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Darby

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Aus Synopsis von John Nelson Darby  Matthäusevangelium  (wer die noch nicht gelesen hat , hat was verpasst)  
Bestellung bei Beröa - Verlag Zürich, Ernst Paulus 673 Neustadt/Weinstrasse., Haltweg 23 (wenn sie es denn noch haben, sonst bei
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Einleitung

Mit einer gewissen Furcht behandle ich den auf das Neue Testament bezüglichen Teil unserer Betrachtungen, wie groß auch der Segen sein mag, der eine solche Arbeit begleitet. Das Zusammenströmen und zugleich die Ausdehnung des göttlichen Lichtes im Neuen Testament, die­ser köstlichen Gabe Gottes, die unermeßliche Tragweite der ‑darin enthaltenen Wahrheiten, die unendliche Mannigfaltigkeit der Gesichtspunkte und richtigen Anwendun­gen einer und derselben Stelle, sowie der Beziehungen dieser Stelle zu dem ganzen Umfang der göttlichen Wahr­heiten, die unermeßliche Wichtigkeit dieser Wahrheiten, sei es, daß man sie an und für sich oder im, Blick auf die Herrlichkeit Gottes und die Bedürfnisse der Menschen betrachtet, die Art und Weise, wie diese Wahrheiten Gott offenbaren und den Bedürfnissen des Menschen begegnen ‑ alle diese Erwägungen, die ich nur sehr unvollkom­men auszudrücken vermag, lassen jeden demütig gesinnten Menschen vor der Anmaßung zurückschrecken, einen wahren und (selbst dem Grundsatz nach) entsprechenden Begriff von der Absicht des Heiligen Geistes in den Bü­chern des Neuen Testamentes geben zu wollen. Und je mehr die Wahrheit selbst geoffenbart ist, je mehr das wahre Licht leuchtet, desto mehr muß man seine Unfähigkeit fühlen, darüber zu reden, desto mehr muß man befürch­ten, das Vollkommene zu verdunkeln. Je reiner die Wahr­heit ist, mit‑der wir uns beschäftigen (und mit der Wahr­heit selbst haben wir es hier zu tun), desto größer ist die Schwierigkeit, sie anderen vorzustellen, ohne ihre Rein­heit irgendwie zu beflecken, und desto verhängnisvoller ist dann diese Befleckung. Wenn wir die eine oder andere Stelle betrachten, so können wir zum Nutzen anderer das Maß des Lichtes mitteilen, das uns gegeben ist. Wenn wir aber eine Vorstellung von dem Neuen Testament als Ganzes geben wollen, so stellt sich die ganze Vollkommenheit der Wahrheit selbst vor unseren Geist, sowie die Gesamtheit des Vorsatzes Gottes in der Offenbarung, die Er von ihr gegeben hat; und man zittert bei dem Gedanken, eine wahre und allgemeine, wenn auch nicht vollständige Darstellung geben zu wollen, welch letzteres sich gewiß kein ernster Christ anmaßen wird.

 

                Das Alte Testament erscheint vielleicht einigen schwie­riger als das Neue, und im Blick auf die Erklärung ge­wisser Stellen mag es auch schwieriger sein. Aber wenn auch die inspirierten Schreiber des Alten Testamentes die ihnen von Gott mitgeteilten Gedanken Gottes offen­baren (und wir die darin enthaltene Weisheit anstaunen können), bleibt Gott doch stets hinter dem Vorhang ver­borgen. Allerdings verliert man dabei, wenn man den Sinn eines Ausdrucks mißversteht oder übersieht, denn es war Gott, welcher sprach; allein im Neuen Testament ist es Gott Selbst, der Sich offenbart: in den Evangelien sanftmütig, demütig, als Mensch auf der Erde, und in den nachfolgenden Mitteilungen des Heiligen Geistes durch göttliches Licht belehrend; aber immer ist es Gott Selbst. Und in demselben Maße wie im Neuen Testament das Licht heller scheint, sei es zu unserer persönlichen Lei­tung, sei es zur Erkenntnis Seiner Selbst, wird es eine um so ernstere Sache, diese lebendigen Mitteilungen falsch zu deuten oder durch unsere eigenen Gedanken das, was die Wahrheit ist, zu entstellen; denn wir dürfen nicht vergessen, daß Christus die Wahrheit ist. Er ist das Wort. Es ist Gott, der da redet in der Person des Sohnes, der wahrer Mensch ist und zugleich den Vater offenbart.

 

                Was die Auslegung selbst betrifft, so kann man das Neue Testament (da sich die Wahrheit, Licht und ewiges Leben in dem darin Geoffenbarten finden) von so vielen Gesichtspunkten aus betrachten, daß dadurch die tatsächliche Schwierigkeit noch bedeutend‑vermehrt wird. Denn man kann diese Wahrheit nach ihrem inneren und wesentlichen Wert, als die Offenbarung der ewigen Natur Gottes, oder in ihrer Offenbarung bezüglich der Herrlichkeit des Sohnes betrachten; man kann ferner ihre Beziehungen und Gegensätze erwägen zu den stückweisen alttestamentlichen Mitteilungen, die sie erfüllt und durch ihren eigenen Glanz verdunkelt, sowie zu der Haushaltung der irdischen Regierung Gottes, die durch sie beiseite gesetzt wird, um das einzuführen, was ewig und himmlisch ist. Man kann endlich diese Wahrheit in ihren Beziehungen zu dem Menschen betrachten; denn "das Leben war das Licht der Menschen". Es hat Gott gefallen, Sich im Menschen zu offenbaren und zu verherrlichen. Er wollte Sich dem Menschen zu erkennen geben und ihn als Mittel zur Offenbarung Seiner Selbst für Seine anderen vernünftigen Geschöpfe benutzen. So könnte man bei jedem Abschnitt des Neuen Testamentes von diesen verschiedenen Gesichtspunkten aus etwas sagen; denn die Wahrheit ist eine, weil sie von Gott ist, aber sie beleuchtet alle Dinge und zeigt den wahren Charakter derselben.

 

Angesichts aller dieser Schwierigkeiten ermuntern mich zwei Dinge; erstens, daß wir es mit einem Gott von vollkommener Güte zu tun haben, der uns diese wundervollen Mitteilungen zu unserem Nutzen gemacht hat, und zweitens, daß ‑ obwohl die Quelle der Wahrheit unendlich und vollkommen ist und obwohl diese Offenbarungen aus der Fülle der Wahrheit Gottes quellen und deren Mitteilung vollkommen ist gemäß der Vollkommenheit Dessen, der sie gegeben hat ‑ diese Mitteilung doch vermittelst verschiedener Werkzeuge geschehen ist, welche, in sich selbst von begrenzter Fähigkeit, von Gott gebraucht worden sind, um den einen oder anderen Teil der Wahrheit ans Licht zu stellen. Dieses lebendige und reine Wasser ist in keinerlei Weise getrübt, wohl aber in jeder Mit­teilung nach der Absicht Gottes in der Anwendung des Werkzeuges begrenzt worden, wiewohl. stets in Verbin­dung mit dem Ganzen nach der vollkommenen Weisheit Dessen, der alle Wahrheit mitgeteilt hat. Der Kanal ist nicht unendlich; das darin fließende Wasser ist unend­lich, doch nicht in seiner Mitteilung, denn die Schreiber prophezeiten stückweise und wir erkennen stückweise.

                Die Darstellungsweise und die Anwendung der Wahr­heit tragen sogar, je nach dem Gefäß, durch das Gott die­selbe mitgeteilt hat, einen besonderen Charakter. Das lebendige Wasser ist in seiner vollkommenen Reinheit vorhanden. Es sprudelt aus der Quelle, so wie es sie « h darin findet; der Kanal, durch den es den Menschen zu­ fließt, erhält seine Form nach der Weisheit Dessen, der ihn zu diesem Zweck zu Seinem Werkzeug gemacht hat. Der Heilige Geist wirkt im Menschen, in dem dazu bereiteten Gefäß. Gott hat dasselbe geschaffen, gebildet, gestaltet und es, in sittlichem und geistlichem Sinne, für diesen oder jenen Dienst hinsichtlich der Wahrheit pas­send gemacht. Er wirkt in diesem Gefäße dem Zweck gemäß, für den Er es bereitet hat. Christus war und ist die Wahrheit. Andere haben dieselbe mitgeteilt, je nach dem einem jeden gegeben war, und zwar in Verbindung mit jenen Grundsätzen, durch die Gott Verstand und Herz des Werkzeugs in Einklang gebracht, und mit dem Zweck, für den der Heilige Geist es gerade so zubereitet hatte.

Indem ich daher meine Befürchtungen beiseite setze, trete ich mit Zuversicht an diesen Dienst heran, indem mein Herz in der vollkommenen Güte Gottes ruht, dessen Wonne es ist, uns zu segnen. Möge das rechte Gefühl meiner Verantwortlichkeit mich bewahren, irgend etwas zu sagen, das nicht nach Gottes Gedanken ist; und möge es dem Herrn Selbst in Seiner Gnade gefallen, mich zu leiten und mir das darzureichen, was dem Leser zum Segen gereicht!

 

                Das Neue Testament trägt augenscheinlich einen vom Alten Testament durchaus verschiedenen Charakter. Das Wesentliche dieser Verschiedenheit habe ich bereits oben angedeutet. Das Neue Testament handelt von der Offen­barung Gottes Selbst und zeigt uns, wie der Mensch in Gerechtigkeit in die Herrlichkeit der Gegenwart Gottes eingeführt wird. Ehemals gab Gott Verheißungen und übte Gerichte aus. Er regierte ein Volk auf der Erde und handelte gegen die übrigen Nationen in einer Weise, daß Er dieses Volk als den Mittelpunkt Seiner Ratschlüsse bezüglich der Erde stets im Auge behielt. Er gab diesem Volke Sein Gesetz und, vermittelst der Propheten, einzunehmendes Licht, das immer näher und näher die An­kunft Dessen ankündigte, der ihm alles von Gott kund­tun sollte. Doch die Gegenwart Gottes Selbst, eines Menschen unter Menschen, brachte alles in eine neue Stel­lung. Entweder mußte der Mensch Ihn als eine Krone des Segens und der Herrlichkeit aufnehmen ‑ Ihn, dessen Gegenwart alles Böse verbannen und jedes Element des Guten entwickeln und zur Vollkommenheit bringen sollte, und Der zugleich einen Gegenstand darbot, der der Mittel­punkt aller Zuneigungen sein sollte ‑ und dann wäre der Mensch durch ' den Genuß dieses Gegenstandes völlig glücklich gemacht worden; oder unsere arme Natur mußte, indem sie Ihn verwarf, sich in ihrer wahren Gestalt, als Feindschaft wider Gott, offenbaren und die Not­wendigkeit einer gänzlich neuen Ordnung der Dinge dar­tun, in der das Glück des Menschen und die Herrlichkeit Gottes auf eine neue Schöpfung gegründet sein würden.

Wir wissen, was geschehen ist. Er, der das Bild des unsichtbaren Gottes war, mußte nach Ausübung einer vollkommenen Geduld sagen: "Gerechter Vater! und die Welt hat dich nicht erkannt"‑. Ja, leider noch mehr als das. Wir hören Ihn sagen: "Sie haben gesehen und ge­haßt sowohl mich als auch meinen Vater" (Joh. 17, 25; 15, 24).Dieser Zustand ‑des Menschen verhinderte Gott jedoch keineswegs, Seine Ratschlüsse zu erfüllen; im Gegenteil der eine wurde gerade das Mittel zur Ausführung der anderen. Gott wollte den Menschen nicht verwerfen, ‑bevor der Mensch Ihn verworfen hatte ‑ geradeso wie einst im Garten Eden, wo der Mensch, der Sünde sich bewußt und unfähig, die Gegenwart Gottes zu ertragen, sich aus ihr entfernte, ehe Gott ihn aus dem Garten vertrieb. Als aber der Mensch seinerseits Gott, der in Güte inmitten seines Elends erschienen war, ganz und gar verworfen hatte, war Gott frei ‑ wenn man so sagen darf und der Ausdruck richtig ist ‑, Seine ewigen Ratschlüsse auszuführen. Aber nicht Gericht ist es, das Gott jetzt vollzieht, wie seinerzeit in Eden, als der Mensch sich bereits von Ihm entfernt hatte. Nein, es ist unumschränkte Gnade, die da, wo der Mensch offensichtlich verloren ist und sich als Feind Gottes erklärt hat, ihr Werk tut, um ihre Herrlichkeit in der Errettung armer Sünder, die Ihn verworfen hatten, angesichts des ganzen Weltalls ausstrahlen zu lassen*. Damit sich jedoch die vollkommene Weisheit Gottes sogar in den Einzelheiten kundgebe, mußte dieses Werk der unumschränkten Gnade, in welchem Gott Sich Selbst offenbarte, mit allen Seinen früheren, im Alten Testament geoffenbarten Wegen übereinstimmen und auch Seiner Regierung über die Welt ihren ungeschmälerten Platz einräumen.

 

Alles das hat zur Folge, daß außer dem einen großen, alles beherrschenden Gedanken sich vier Gegenstände im Neuen Testament vor den Augen des Glaubens entfalten.

 

* Siehe Tit. 1, 2; 2. Tim. 1, 9. 10; und vergleiche Sprüche 8, 22‑31, besonders V. 30 u. 31, und Röm. 16, 25. 26; Eph. 3, 5. 10; Kol. 1, 26. Unter dem Gesetz trat Gott nie aus Seiner Verborgenheit hervor, und der Mensch konnte nicht zu Ihm hineingehen. Im Christentum ist Gott hervorgetreten und der Mensch ist eingegangen. Diese Dinge kennzeichnen das Wesen beider Haushaltungen ‑ früher gab es nur Verheißungen ‑; es sind charakteristische Merkmale.

 

Der Hauptgegenstand, die am meisten hervortretende Tatsache ist, daß das vollkommene Licht geoffenbart worden ist: Gott offenbart Sich Selbst. Doch dieses Licht ist geoffenbart in Liebe, diesem zweiten Wesensnamen Gottes.

 

Christus, der die Offenbarung dieses Lichtes und dieser Liebe ist, und Der, wenn Er Aufnahme gefunden hätte, die Erfüllung aller Verheißungen gewesen wäre, ist also dem Menschen vorgestellt worden, und vorzugsweise Israel (in seiner Verantwortlichkeit betrachtet), mit allen persönlichen und sittlichen Beweisen und mit allen Beweisen der Macht, so daß dieses Volk ohne Entschuldigung ist.

 

Zweitens: da Christus verworfen ist (eine Verwerfung, durch die das Heil erfüllt wurde), wird die neue Ordnung der Dinge, die neue Schöpfung, der verherrlichte Mensch sowie die mit Christo an der himmlischen Herrlichkeit teilnehmende Versammlung vor unsere Augen gestellt.

 

Drittens werden die Beziehungen zwischen der alten und neuen Ordnung der Dinge auf der Erde hinsichtlich des Gesetzes, der Verheißungen, der Prophezeiungen oder der göttlichen Einrichtungen hienieden auseinandergesetzt, indem einerseits die neue Ordnung als die Erfüllung und Beiseitesetzung des Veralteten dargestellt, andererseits der zwischen der alten und der neuen Ordnung bestehende Gegensatz bestätigt und endlich die vollkommene Weisheit Gottes in allen Einzelheiten Seiner Wege bewiesen wird.

 

Schließlich wird die Regierung der Welt von seiten Gottes prophetisch ans Licht gestellt; und die Erneuerung der Beziehungen Gottes zu Israel, sei es in Gericht oder in Segnung, wird gelegentlich der Unterbrechung dieser Beziehungen durch die Verwerfung des Messias kurz, aber klar dargetan.

 

Man kann hinzufügen, daß alles, was der Mensch als Pilger auf der Erde bedarf, bis Gott die Vorsätze Seiner Gnade in Macht erfüllt, ihm reichlich dargeboten wird. Ausgegangen auf den Ruf Gottes von dem, was verworfen oder verurteilt ist, aber noch nicht im Besitz des Teiles, das Gott ihm bereitet hat, bedarf der Mensch, der diesem Rufe gefolgt ist, einer Leitung sowie alles dessen, was ihm einerseits die Quellen der nötigen Kraft offenbart, um dem Ziel seiner Berufung zuzustreben, und anderer­seits die Mittel zeigt, um sich diese Kraft anzueignen. In­dem Gott ihn zur Nachfolge eines Herrn berief, den die Welt verworfen hat, hat Er nicht ermangelt, ihm so­wohl all das Licht und die Unterweisungen darzureichen, die nötig sind, ihn auf seinem Wege zu leiten und zu er­mutigen, als auch ihn auf die Quellen der Kraft auf­merksam zu machen und ihm zu zeigen, wie er sich die­selben zunutze machen kann.

Jeder Bibelleser wird verstehen, daß diese Dinge im Neuen Testament nicht in methodischer Weise und jedes für sich behandelt sind. Wäre das der Fall, so würden sie viel unvollkommener verstanden werden. Sie enthüllen sich vor unseren Herzen in Leben und Kraft, sei es die­jenige Christi oder die des in den inspirierten Schrei­bern wirkenden Heiligen Geistes.

Im allgemeinen offenbaren uns die Evangelien zunächst Christum als Licht und Gnade (zugleich, obwohl nicht in Ichhafter Weise, als Gott Selbst), den Menschen in die­ser Welt vorgestellt, wie auch als Den, in welchem die dem Volke Israel gegebenen Verheißungen erfüllt wer­den sollten; und dann öffentlich als eine göttliche Per­son, in der die Vorsätze des Vaters ihre Erfüllung finden sollten, während die Juden in ihrer damaligen Stellung als verworfen betrachtet werden. Das Buch der Offen­barung zeigt die Einführung der Regierung Gottes über diese Welt in Verbindung mit der Verantwortlichkeit, unter welche dieselbe durch ihre Beziehungen zu einem geoffenbarten Gott gestellt ist. Die Schriften des Paulus entwickeln die Annahme und den Platz des Menschen vor Gott durch die Erlösung, d. h. die neue Schöpfung und die Versammlung nach den Ratschlüssen Gottes: das Geheimnis Gottes. Verschiedene hiermit verbundene Gegenstände werden jedoch überall in den Briefen ge­funden, und jede einzelne Entwicklung eines dieser Gegenstände wirft Licht auf die übrigen.

Man kann noch hinzufügen, daß die Schriften des Johannes hauptsächlich von der Offenbarung Gottes reden sowie von dem göttlichen Leben, wie es sich zu­nächst in Christo gezeigt hat und nun in dem lebendig gemachten Menschen sich kundgibt, da beide notwendig einander entsprechen müssen, während die Schriften des Petrus von der auf die Auferstehung Christi gegründeten Pilgrimschaft des Christen und von der sittlichen Regie­rung Gottes über die Welt handeln.

Aber ich wiederhole. die Wahrheit, ob in der Person Christi oder in den Mitteilungen des Heiligen Geistes (indem das Leben Christi in der einen oder anderen Weise das Licht der Menschen ist), strahlt hervor durch die lebendige Offenbarung Gottes und in ihrer lebendigen An­wendung auf die Menschen. Zugleich ist die Wahrheit, ‑der Weisheit Gottes gemäß, mit der zunehmenden Ent­wicklung verbunden*, die ihr eigentümlich ist, sobald sie dem Menschen mitgeteilt und den besonderen Bedürf­nissen und geistigen Fähigkeiten derer angepaßt wird, an ,die sie gerichtet wurde.

 

* Ich spreche selbstverständlich von der im Neuen Testament geoffenbarten Wahrheit. Die Mitteilung derselben wurde in d i e ‑s e r 0 f f e n b a r u n g stufenweise klarer, weil nach der Verherr­lichung des Herrn der Heilige Geist gegeben wurde. Der Apostel Johannes konnte sagen, indem er von der Natur Gottes selbst sprach: "Was wahr ist in Ihm (Christus) und in euch, weil die Finsternis vergeht und das wahrhaftige Licht schon leuchtet" (1‑ Joh. 2, 8). Es ist ein Christus, der die Weisheit Gottes ist. "In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig" (Kol. 2, 9). "Es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen" (Kol. 1, 19). Er heiligte Sich Selbst, auf daß auch wir geheiligt würden durch Wahrheit. Der Heilige Geist leitete die Apostel in alle Wahrheit, indem Er die Dinge Christi nahm und sie ihnen offenbarte. Alles nun, was der Vater hat, gehört Christo; deshalb sagte Er, daß der Heilige Geist von dem Sei­nigen nehmen und ihnen verkündigen würde (Job. 16, 15).

Weil es sich also verhält, ist über die Lehre von einer n a c h ‑h e r i g e n Entwicklung der Wahrheit das Urteil gesprochen. Gibt es etwas, das mehr wäre als "die Falle der Gottheit"? oder mehr als "alles, was der Vater hat"? etwas Klareres als "das wahr­haftige Licht"? Und das gerade ist geoffenbart worden. Denkt man an den Menschen, dessen Gedanken in ihm selbst ihren Ur­sprung haben, wie die Spinne ein Netz aus ihrem eigenen Stoffe webt, so kann man allerdings von Entwicklung sprechen; handelt es sich aber um die Offenbarung Christi durch die Gabe des wahren, schon gekommenen Lichtes, so wichst, so entwickelt sich Christus nicht; und man wird gewiß außer "allem, was ihm der Vater gegeben hat", nichts Gutes finden, und das ist es, was wir durch die Offenbarung besitzen. Eine Entwicklung der dem Menschen gewordenen Mitteilung der Wahrheit gibt es nur in Verbindung mit dessen Auffassungsfähigkeit (darin gibt es für 2inen jeden von uns ein Fortschreiten), sowie mit der Offenbarung Christi von der Zeit Johannes des Täufers an bis zu Seiner vollen Offenbarung durch den Heiligen Geist, wie wir sie im Neuen Testament besitzen. Keine Überlieferung kann der Offen­barung dessen, was Christus ist, etwas hinzufügen; keine Ent­wicklung kann eine einzige neue Wahrheit betreffs Seiner Fülle geben. Die stolzen Anmaßungen des Menschen sind damit ver­nichtet.

 

Ohne Zweifel sind die Offenbarungen des Neuen Testaments für die Heiligen aller Jahrhunderte bestimmt; ge­schichtlich wurden sie aber an lebende Menschen gerichtet und dem Zustand derselben angepaßt. Doch dieser Um­stand schwächt keineswegs die mitgeteilte Wahrheit. Sie ist von Gott, wie auch der Apostel dies ausdrückt: "Denn wir verfälschen nicht, wie die vielen, das Wort Gottes, sondern als aus Lauterkeit, sondern als aus Gott, vor Gott, reden wir in Christo." Ferner: "Indem wir nicht das Wort Gottes verfälschen. sondern durch die Offenbarung der Wahrheit uns selbst jedem Gewissen der Menschen emp­fehlen vor Gott" (2. Kor. 2, 17; 4, 2). Paulus fügte diesem reinen Wein nichts hinzu, er verfälschte ihn nicht; was er empfangen hatte, floß so rein von ihm aus, wie er es empfing*. Aber, an die Menschen gerichtet, hat das Wort Gottes mehr Wirklichkeit als eine bloß gedachte Wahrheit; es ist unmittelbarer von Gott. Es sind nicht menschliche Gedanken über Gott, es sind nicht Vernunft­schlüsse des menschlichen Geistes, selbst wenn die Wahr­heit deren Gegenstand wäre; noch ist die Wahrheit, wie sie in Gott ist, dem Fassungsvermögen des Menschen in abstrakter Weise unterworfen, damit er sie beurteile. Gott wendet sich an den Menschen. Er redet zu ihm, Er teilt ihm Seine Gedanken, als die Seinigen, mit. Denn wenn der Mensch berufen wäre, sie zu beurteilen, so würden es nicht die Worte Gottes sein; aber als solche sind sie an­gekündigt. "Ihr nahmet es nicht auf", sagt Paulus, "als Menschenwort, sondern, wie es wahrhaftig ist, als Got­teswort" (l. Thess. 2, 13).

Man hat die auf den Menschen hervorgebrachte Wir­kung des Wortes, durch die er veranlaßt wird, die Wahr­heit und Autorität desselben anzuerkennen, oft mit einem Urteil verwechselt, das der Mensch über dieses Wort fällt, als wäre es etwas, das seinem Beurteilungsvermögen unterworfen wäre. Niemals aber kann das Wort Gottes sich so darstellen; das hieße seine eigene Natur verleugnen und sagen, daß nicht Gott es sei, der da redet. Könnte Gott sagen, daß Er nicht Gott sei? Wenn das aber unmöglich ist, so kann Er auch nicht reden und zu­gleich zugeben, daß Sein Wort nicht in Sich Selbst Autorität besitze.

 

* Die Ausführungen des Apostels in 1. Kor. 2 sind in dieser Beziehung sehr schlagend und von großer Wichtigkeit für unsere Tage. Wir lesen dort: "Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben" (das war der alttestament­liche Zustand), "uns aber hat Gott es geoffenbart durch seinen Geist , '; das ist Offenbarung. "Welche (Dinge) wir auch ver­kündigen, nicht in Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist"; das ist die Mit­teilung derselben, die Eingebung. Drittens: "sie werden geistlich beurteilt"; das ist die Aufnahme dieser Dinge. Die Offenbarung, das inspirierte Zeugnis und die Aufnahme des Geoffenbarten ‑alles ist, wie hier aufs bestimmteste bezeugt wird, allein durch die Gnade und Kraft des Geistes.

 

 

Das Wort Gottes ist der Natur des Menschen angepaßt: "Das Leben ist das Licht der Menschen." Es gibt viele Dinge, welche eine Wirkung hervorbringen, der Natur des Gegenstandes entsprechend, auf den sie angewandt werden, ohne daß dieselben durch diesen Gegenstand be­urteilt würden ‑ eine Tatsache, die bei jedem chemischen Prozeß hervortritt. Man gibt mir ein Heilmittel, das seine Wirkung meiner Natur entsprechend auf mich aus­übt. Ich werde auf diese Weise von jener Wirkung und von der Kraft der Arznei überzeugt. Es handelt sich aber für mich gar nicht darum, mir über die Arznei selbst, als meinem Beurteilungsvermögen unterworfen, ein Ur­teil zu bilden. Geradeso verhält es sich durch die Gnade mit der Offenbarung Christi, nur mit dem Unterschiede, daß der böse Wille des Menschen diese Offenbarung auch zurückstößt und verwirft, so daß sie ein Geruch des To­des zum Tode wird. Nicht das Wort Gottes wird beurteilt, wenn es seine Wirkung hervorbringt, es selbst ist viel­mehr "ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens" (Hebr. 4, 12). Der Mensch ist dem Wort unter­worfen, er beurteilt es nicht.

Wenn der Mensch durch die Gnade das Wort der Wahr­heit, das sich als solches an ihn richtet, aufgenommen hat, so ist er unter dem Beistand des Heiligen Geistes fähig, die ganze Tragweite dieses Wortes zu verstehen ‑und in diesem Falle werden die Umstände der Personen' an welche das Wort geschichtlich gerichtet wurde, ein Mittel zum Verständnis der Absichten und Gedanken Got­tes in dem in Rede stehenden Teile des Wortes. Wie wir gesehen haben, ändern diese Umstände nichts an der göttlichen Reinheit des Wortes, sondern weil Gott zu den Menschen redet ihrem Zustande gemäß, erleichtert uns dieser Zustand, so wie er uns in dem Worte selbst dar­gestellt wird, in hohem Maße das Verständnis des Mit­geteilten; dieser Zustand selbst aber wird nur durch das Wort und mit Hilfe des Heiligen Geistes verstanden. Zu­weilen ist er die Folge der ' Bosheit des menschlichen Herzens, zuweilen ist er zum Teil von den Wegen Gottes abhängig.

Doch wie dem auch sei, die Gnade richtet sich an die Menschen ihrem Zustand entsprechend*, gemäß den Treue Gottes betreffs Seiner Verheißungen sowie in Verbindung mit Seinen ihnen bereits kundgemachten Wegen. Nicht als ob das wahre Licht, nachdem es gekommen ist, ver­dunkelt oder verringert wäre, um es so der Finsternis anzupassen; denn dann wäre es nicht mehr das Licht selbst, noch auch geeignet, den Menschen aufzurichten, indem es ihn aus dem Zustand befreit, in welchem er sich befindet; sondern das wahre Licht ist in einer den Menschen zugänglichen und auf ihren Zustand anwend­baren Weise mitgeteilt. Das ist es, was die Menschen be­durften, und was zugleich Gottes würdig war; aber auch nur Gott konnte es ausführen.

 

* Es ist Gott, der in Gnaden in die Mitte des Bösen tritt ‑eine Gnade, die dem Menschen in demselben angepasst ist. Sie offenbart Gott, wie nichts anderes ihn offenbaren könnte, aber sie ist dem Menschen angepasst, so böse er auch sein mag, ja als böse; so daß sie, während sie einerseits darbietet, was rein himm­lisch und göttlich ist, andererseits dem Bösen hier begegnet, und zwar um so mehr, w e i 1 sie in dieser Weise dem Menschen angepasst ist. Das ist (obwohl die Gnade offenbart, wie Gott im Himmel gekannt sein wird), was die Tatsache seiner Wirkung betrifft, in einem irdischen oder himmlischen Paradiese un­bekannt. Es ist das Gute inmitten des Bösen. Die Engel begehren hineinzuschauen. Überdies ist es Unumschränktheit, Gnade, Weisheit, was das einfach Gute nicht sein kann, obwohl es in seiner höchsten Form dahin führt.

 

Und es ist ebenso gut an­wendbar auf die Gegenstände, von denen der Herr redet, wie auf diejenigen, von denen der Heilige Geist durch die Apostel spricht. Der Herr konnte sich an bekehrte, aber noch dem jüdischen System anhangende Juden wenden, um die Absichten Gottes, der immer Seinen Verheißungen treu bleibt, hinsichtlich dieses Volkes hervorzuheben; und Er konnte‑auch, nachdem Er in den Himmel erhöht war, durch Seinen Geist alle Folgen mitteilen, die aus der Ver­einigung der Versammlung mit Ihm in den himmlischen Örtern, außerhalb aller Wege Gottes auf der Erde, hervorgegangen sind. Ebenso konnte Er Seelen, die, im Widerspruch mit dieser himmlischen Erhöhung, sich von weltlichen Dingen nährten, und die sich in jener Erhöhung nicht das zunutze7machten, was sie von ihren weltlichen und fleischlichen Neigungen befreit haben würde ‑, Er konnte, sage ich, solchen Seelen die Beweise des Bösen darlegen, in das zu fallen sie im Begriff waren; und Er konnte dies tun durch Mittel, welche diese Seelen in Über­einstimmung mit den ewigen Wahrheiten Gottes brachten, und in einer Weise, die, so einfach sie war, diese fleisch­liche Gesinnung richtete, die zu allen Zeiten in denen

gefunden wird, die sich nicht bis zu der Höhe der Ab­sichten Gottes erheben. Auch mochte der Geist die Wahr­heit in mehr einfacher Weise in der ihr eigentümlichen Erhabenheit offenbaren, indem Er bei den wesentlichen Charaktereigenschaften der Natur Gottes verweilte, um alles das zu richten, was unter scheinbar sehr annehm­baren Formen vorgab, christliches Licht zu sein, was aber gegen diese Natur in den gewöhnlichsten Dingen verstieß, und indem Er so die einfachsten und ungereiftesten See­len mit den erhabensten Eigenschaften Gottes, in dem Wesen Seiner Natur, in Verbindung brachte.

Das Verständnis über die Stellung der Personen, an welche die Schriften gerichtet sind (ein Verständnis, das aus diesen Schriften selbst geschöpft wird), trägt unter der Leitung des Heiligen Geistes viel dazu bei, die darin enthaltene göttliche Wahrheit zu erfassen. Diese Wahr­heit, obwohl an und für sich absolut, wird durch die Gnade

 

Gottes zu einer angewandten, praktischen Wahrheit und verwirklicht sich in der Seele durch die in ihr wirkende Kraft Gottes und bewahrt diese dadurch vor der fleisch­lichen Neigung des Herzens, in jene Übel zu fallen, welche die Veranlassung zu den davon redenden Schriften wur­den. Sie lässt sich, was auch unser Zustand sein mag, bis zu uns herab, verändert aber keineswegs ihren Cha­rakter, um sich uns anzubequemen, noch nimmt sie irgendwie eine Form an, die unserem Zustande entspräche.. sondern sie steigt herab, um uns bis zu der Quelle zu erheben, aus der sie herniederkam und von der sie sich nimmer trennt; denn die uns mitgeteilte Wahrheit bleibt immer die Wahrheit in Gott und in Christo, um uns innerlich zu der ganzen Höhe der göttlichen Natur zu erheben: "Das was wahr ist in ihm und in euch, weil die Finsternis vergeht und das wahrhaftige Licht schon leuchtet" (l. Joh. 2, 8). Es ist die Wirkung der Dazwischenkunft Christi, mit Dem wir durch den Heiligen Geist vereinigt sind, und Der eins ist mit Gott dem Vater.

                Diese Wahrheit, daß die Mitteilungen Gottes der Stellung derer, die sie tatsächlich empfingen, angepasst sind. führt uns in das Verständnis aller Ratschlüsse , Gottes ein; denn in diesen Ratschlüssen offenbart Er Sich in Seiner Autorität, Seiner Weisheit und Seiner Unum­schränktheit, so wie Er Sich in Seiner Natur durch die Offenbarung Seiner Selbst in Christo zu erkennen gibt. Christus ist der Mittelpunkt dieser Ratschlüsse; aber jede Familie in den Himmeln und auf der Erde ist dem Vater unseres Herrn Jesus Christus untergeordnet. Engel, Für­stentümer, Mächte, Juden, Heiden, alles, was genannt werden mag, wird einmal unter Seine Oberhoheit ge­stellt werden, wenn einmal die Versammlung mit Christo in der Herrlichkeit vereinigt ist. Nun, die Ratschlüsse Gottes in bezug auf uns sind in Seinem Warte geoffenbart; und wiewohl Gott nicht zu uns redet, um unsere Neugierde zu befriedigen, so offenbart uns dieses Wort doch viele, außer der eigentlichen Heilswahrheit liegende Dinge, die verbunden sind mit der Oberhoheit Christi so­wie mit dem, was uns Gott, als Entwicklung Seiner Wege hienieden, zu unserer Belehrung mitteilt.

Obwohl also die Absichten Gottes betreffs der Juden naturgemäß weit mehr in dem Alten Testament entwickelt sind, muß doch notwendigerweise der Zusammenhang ihrer Geschichte mit den Gegenständen des Neuen Testa­ments, sowie der geschichtliche Übergang der alten Haus­haltung zu der neuen, und endlich das in Einklang bringen der den Juden gegebenen Verheißungen mit der All­gemeinheit der Haushaltung des Evangeliums einen Platz im Neuen Testament finden, wenn uns anders die Wege Gottes bekannt werden sollen. Ich sage die Wege Gottes, denn wir haben nicht allein an die Juden zu denken; es ist Gott, welcher handelt und Sich in Seinen Wegen zu erkennen gibt. Obwohl also das volle Licht im Neuen Testament ausstrahlt, findet man doch manches darin, was an die Juden und an die Jünger, die einen Teil jenes Volkes gebildet hatten, gerichtet ist, und was die Wege Gottes betreffs ihrer offenbart. Wären diese Offen­barungen nicht gegeben worden und bezögen sich die­selben nicht auf die Stellung dieses Volkes, so würde es keine Übereinstimmung in den Wegen Gottes geben; wenigstens wäre dieselbe vor uns verborgen und innerlich nicht vorhanden. Das bezieht sich sowohl auf die Lehre, als auch auf die Geschichte (d. h. die Darstellung des Messias), auf die Prophezeiung, welche die Treue Gottes zeigt, und auf die Gerichte über dieses Volk.

Um Gott zu erkennen ‑ den Gott, welchem es ge­fallen hat, in die Angelegenheiten dieser Welt einzugrei­fen ‑ genügt bloßes Licht nicht. Er muß erkannt wer­den, nicht allein wie Er in Seiner Natur ist (obwohl das das Wesentlichste und Hauptsächlichste ist), sondern auch, wie Er Sich in der Gesamtheit aller Seiner Wege geoffenbart hat: in jenen Einzelheiten, in denen unsere kleinen und engen Herzen Seine treue, langmütige und herablassende Liebe kennenlernen können ‑ in jenen Wegen, die den abstrakten Begriff Seiner Weisheit der­artig enthüllen, daß sie unserem beschränkten Verständnis zugänglich gemacht wird. Und unser Verständnis findet in dieser Weisheit Dinge, die inmitten der Menschen ver­wirklicht worden sind, wenn auch ganz und gar außer und über allen ihren Erwartungen, Dinge, die von Gott verkündigt wurden, so daß wir wissen, daß sie von Ihm sind.

Vor allem hat es Gott wohlgefallen, Sich in allen diesen Dingen auf eine besondere Weise mit dem Men­schen zu verbinden. Wunderbares Vorrecht für Sein schwaches Geschöpf! Die sinnlose, beschränkte und in allen ihren Vernunftschlüssen tatsächlich törichte Philoso­phie hält die Welt für zu klein ‑ ein Pünktlein nur in dem unermesslichen Weltall ‑, als daß Gott Sich mit einem so schwachen Wesen, wie der Mensch ist, abge­ben sollte. Verächtliche Torheit! Als ob die stoffliche Ausdehnung des Schauplatzes das Maß der darin be­wirkten sittlichen Offenbarungen und des darin zum Aus­trag gebrachten Prinzipienkampfes wäret Was in dieser Weit vorgeht, ist das Schauspiel, das vor den Augen aller mit Vernunft begabten Wesen des Weltalls die Wege, den Charakter und den Willen Gottes entfaltet. Wir sollen dadurch deren Verständnis und die Macht zum Genusse derselben durch die Gnade empfangen, auf daß Gott nicht allein durch uns (denn Er wird durch alle Dinge in irgendeiner Weise verherrlicht), sondern auch in uns verherrlicht werde. Das ist unser Vorrecht durch die Gnade, die in Christo ist, und durch unsere Ver­einigung mit Dem, der die Weisheit Gottes und die Kraft Gottes ist. Je mehr wir, wie kleine Kinder, gehorsam und demütig sind, desto mehr werden wir diese herrliche Stellung verwirklichen. Einmal werden wir erkennen, wie wir erkannt worden sind. Je mehr inzwischen Christus unser Teil und der Gegenstand unserer Beschäftigung ist, desto mehr werden wir Ihm persönlich gleichen. Gott sei Dank! Er hat diese Dinge vor Weisen und Verstän­digen verborgen und sie Unmündigen geoffenbart. "Wir reden aber", sagt Paulus, "Weisheit unter den Voll­kommenen, nicht aber Weisheit dieses Zeitlaufs, noch der Fürsten dieses Zeitlaufs, die zunichte werden, sondern wir reden Gottes Weisheit in einem Geheimnis, die ver­borgene, welche Gott zuvorbestimmt hat vor den Zeit­altern, zu unserer Herrlichkeit" (l. Kor. 2, 6. 7).

 

Ich möchte jetzt einen allgemeinen Begriff von dem Inhalt des Neuen Testaments oder vielmehr von der Ord­nung geben, in welcher die darin enthaltenen Wahrheiten geoffenbart sind.

Wir haben nicht nötig, von der gewöhnlichen Ord­nung der Bücher abzuweichen, obwohl wir derselben keine Wichtigkeit beimessen. Zwar ist in einigen Bibeln, namentlich in mehreren katholischen Ausgaben, auch in manchen Handschriften die Ordnung verschieden; aber dieser Unterschied ist für unseren Zweck von keiner Be­deutung. jeder weiß, daß die Reihenfolge der Bücher mit der Offenbarung selbst nichts zu tun hat.

Der erste Gegenstand, der uns vorgeführt wird, ist die Geschichte und Person des Herrn Jesus selbst. Er ist in den vier Evangelien enthalten.

Dann folgt die Gründung der Kirche und die Aus­breitung des Evangeliums in der Welt nach der Himmel­fahrt Christi. Den geschichtlichen Bericht hierüber finden wir in der Apostelgeschichte.

Weiterhin haben wir die Entwicklung der wahren Lehre Christi sowie die Sorge der Apostel für die Ver­sammlungen und für einzelne Seelen nebst den nötigen Anweisungen zu einem Wandel, wie er den Herrn in der Zeit des 'Wartens auf Seine Rückkehr verherrlichen würde; ferner die Widerlegung der Irrtümer, durch die der Feind den Glauben zu verderben suchte, und die nöti­gen Belehrungen, um die Gläubigen vor den Verfüh­rungen der Werkzeuge seiner Bosheit zu bewahren. Das ist der Inhalt der Briefe.

Alle diese Gegenstände, und besonders der erste der­selben, umfassen die ganze persönliche Herrlichkeit des Herrn.

Zuletzt finden wir die Prophezeiungen. Sie kündigen das Böse an, welches das in der Welt für Christum abgelegte Zeugnis verdunkeln und verderben und durch seine völlige Entfaltung das Gericht herbeiführen würde. Auch offenbaren uns diese Prophezeiungen das Fort­schreiten der Gerichte Gottes, die mit der Zerstörung jener Feinde enden werden, die in offener Empörung gegen das Lamm, den König der Könige und den Herrn der Herren, sich aufzulehnen wagen. Sie offenbaren zu­gleich auch die Herrlichkeit und die Segnung, die diesen Gerichten folgen werden. Dieser letzte Gegenstand ver­bindet die christliche Lehre mit der Offenbarung der ,Wege Gottes hinsichtlich der Regierung über die Welt. Er ist in dem Briefe der Offenbarung umständlich entwickelt, während seine Beziehungen zum Verfall der christlichen Kirche in verschiedenen Briefen behandelt sind.

Wir werden naturgemäß mit den Evangelien be­ginnen. Sie erzählen uns die Lebensgeschichte des Herrn und stellen Ihn unseren Herzen sowohl in Seinen Taten als auch in Seinen Reden dar, und zwar in den mannig­fachen Charakteren, durch welche Er den Seelen der Er­lösten, nach dem ihnen gewährten Maß des Verständnisses und nach ihren Bedürfnissen, in jeder Beziehung köstlich wird. Obwohl Christus hier in Niedrigkeit gesehen wird (vgl. 1. Kor. 2, 8), bilden diese Charaktere doch zusammen die Fülle Seiner persönlichen Herrlichkeit, insoweit wir

dieselbe, während wir hienieden in unseren irdenen Ge­fäßen sind, zu fassen vermögen*.

Es ist augenscheinlich, daß der Herr, nach den Rat­schlüssen Gottes und nach den Offenbarungen Seines Wortes, zur Erfüllung Seiner Herrlichkeit und zur Auf­rechthaltung und Offenbarung der Herrlichkeit Seines Vaters, auf der Erde mehr als einen Charakter in Sich vereinigen mußte. Um dies jedoch möglich zu machen, mußte Er auch etwas sein, damit Er im Lichte Seiner wahren Natur, als hienieden wandelnd, betrachtet werden konnte, Er mußte notwendig den Dienst vollbringen, der Ihm Gott gegenüber geziemte als Dem, der Selbst der wahrhaftige Diener war, und zwar indem Er Gott durch das Wort inmitten Seines Volkes diente nach Ps. 40 (z. B. Vers 8‑10), Jes. 49, 4. 5 und vielen anderen Stellen.

Eine Menge von Zeugnissen hatte angekündigt, daß der Sohn Davids von Seiten Gottes auf Seines Vaters Thron sitzen sollte; und die Erfüllung der Ratschlüsse Gottes hinsichtlich Seines irdischen Volkes ist im Alten Testament mit Dem verbunden, der also kommen und auf Erden in dem Verhältnis des Sohnes Gottes zu Jehova­ Gott stehen sollte. Der Christus, der Messias oder (in deutscher Übersetzung) der Gesalbte, sollte erscheinen und Sich Israel darstellen gemäß der Offenbarung und den Ratschlüssen Gottes. Und dieser verheißene Same sollte Immanuel sein: Gott mit dem Volke.

 

 

* Um nicht mißverstanden zu werden, sollte ich vielleicht die Beziehungen Christi zur Versammlung (ein Gegenstand, den wir in den Briefen finden) hier ausnehmen; aber ich schließe in dem Ausdruck 9,Seine persönliche Herrlichkeit" diesen sehr köstlichen Teil der Lehre Christi nicht mit ein. Mit Ausnahme der An­kündigung, daß Er eine Versammlung auf der Erde bauen werde, hat Er nur durch den nach Seiner Himmelfahrt gesandten Hei­ligen Geist den Aposteln und Propheten dieses unschätzbare Geheimnis bekanntgemacht.

 

Die Erwartung der Juden ging kaum über diesen Charakter Christi, als des Messias und des Sohnes Davids, hinaus, und dabei erwarteten sie Ihn noch in ihrer besonderen Art und Weise, indem, sie in Seinem Er­scheinen nur die Erhebung ihrer Nation erblickten, ohne irgendein Gefühl von ihren Sünden oder deren Folgen zu haben. Indes war dieser Charakter Christi nicht alles, was das prophetische Wort, das die Ratschlüsse Gottes kundmachte, betreffs Dessen angekündigt hatte, den selbst die Welt erwartete. Christus sollte der Sohn des Men­schen sein, ein Titel, den der Herr Jesus Sich mit Vor­liebe gibt, und der für uns von großer Wichtigkeit ist. Der Sohn des Menschen ist, wie mir scheint, nach dem Worte Gottes def Erbe alles dessen, was die Ratschlüsse Gottes für den Menschen, als sein Teil in Herrlichkeit, zuvor bestimmt haben ‑ alles dessen, was Gott dem Menschen nach diesen Ratschlüssen geben wollte (siehe, Dan. 7, 13. 14; Ps. 8, 5. 6; 80, 17; Spr. 8, 30. 31). Um je­doch Erbe alles dessen zu sein, was Gott für den Men­schen bestimmt hatte, mußte Er ein Mensch sein. Der Sohn des Menschen war in der Tat von menschlichem Geschlecht (kostbare und trostreiche Wahrheit!), ge­boren von einem Weibe, wirklich und wahrhaftig Mensch, Fleisches und Blutes teilhaftig, Seinen Brüdern gleich­gemacht. In diesem Charakter mußte Er leiden und ver­worfen werden, um als auferweckt und verherrlicht alle Dinge in einem ganz neuen Zustand erben zu können. Er mußte sterben und wieder auferstehen, weil das Erbe befleckt und der Mensch in Empörung war, und die Miterben Christi ebenso schuldig wie alle übrigen waren.

Aber dann sollte Er der Diener, der große Prophet sein, obwohl der Sohn Davids und der Sohn des Men­schen, mithin wirklich ein Mensch auf der Erde, geboren unter Gesetz, geboren von einem Weibe, von diesem Samen Davids, Erbe der Rechte der Familie Davids, Erbe dessen, was nach der Absicht und den Ratschlüssen Gottes für den Menschen bestimmt war. Doch zu diesem Zweck mußte

Er Gott verherrlichen, entsprechend der Stellung des Men­schen, der in seiner Verantwortlichkeit gefallen war, und Er mußte dieser Verantwortlichkeit so begegnen, daß Gott dabei verherrlicht wurde, während Er zugleich, als der treue Zeuge, das Zeugnis eines Propheten ablegte.

Wer aber sollte alles das sein? War diese Herr­lichkeit, von der das Alte Testament gesagt hatte, daß ein Mensch sie ererben sollte, nur eine amtliche? Der Zustand des Menschen, wie er unter Gesetz und ohne Ge­setz geoffenbart worden war, bewies die Unmöglichkeit, ihn, so wie er war, an der Segnung Gottes teilnehmen zu lassen; die Verwerfung Christi war der letzte und über­wältigendste Beweis von diesem Zustand. Und tatsäch­lich hatte der Mensch, abgesehen 'von jeder Haushaltung und besonderen Regierung über ein irdisches Volk, vor allem nötig, selbst mit Gott versöhnt zu werden. Der Mei7sch hatte gesündigt; zur Herrlichkeit Gottes und zum Heile der Menschen mußte eine Erlösung vollbracht werden. Wer aber konnte sie vollbringen? Der Mensch selbst bedurfte ihrer. Ein Engel mußte den ihm ange­wiesenen Platz bewahren und ausfüllen; mehr konnte er nicht tun, er konnte kein Heiland werden. Und wer unter den Menschen konnte, dem Worte Gottes gemäß, der Erbe aller Dinge sein und über alle Werke Gottes gestellt wer­den? Es war der Sohn Gottes, der sie erben sollte: Er. der sie erschaffen hatte, sollte sie besitzen. Er also, der Diener, Sohn Davids, Sohn des Menschen und Erlöser sein sollte, war der Sohn Gottes, Gott. der Schöpfer*.

 

 

* Der Schöpfungsakt wird, wenn nicht von Gott im all­gemeinen gesprochen wird, sondern die Personen in der Gottheit unterschieden werden, stets dem Sohne oder dem Geiste zu­geschrieben.

 

Die Evangelien entwickeln im allgemeinen diese Cha­raktere Christi, doch nicht in lehrhafter Weise (nur das Evangelium Johannes hat einigermaßen diese Form), sondern indem sie uns die Geschichte des Herrn so erzählen, daß sie Ihn in Seinen verschiedenen Charakteren auf eine viel lebendigere Art darstellen, als wenn diese nur in Form einer Lehre mitgeteilt wären. Der Herr redet die­sem oder jenem Charakter gemäß, Er wirkt in dem einen oder anderen Charakter, so daß wir Ihn Selbst das erfüllen sehen, was den verschiedenen Stellungen, die wir nach der Schrift als Ihm eigen kennen, angemessen ist. Auf diese Weise wird nicht nur der Charakter Christi in seinen Ein­zelheiten (nach seiner wahren, schriftmäßigen Bedeutung) sowie die darin geoffenbarte Meinung und Absicht Gottes weit besser erkannt, sondern Christus Selbst wird in diesen Charakteren mehr persönlich der Gegenstand des Glaubens und der Liebe des Herzens. Es ist eine Person, die wir kennen, nicht nur eine Lehre.

Durch dieses kostbare Mittel, das anzuwenden Gott gefallen hat, treten die Wahrheiten betreffs Jesu weit mehr mit allem Vorhergehenden, mit der Geschichte des Alten Testaments, in Verbindung. Der Wechsel in den Wegen Gottes ist mit der Herrlichkeit der Person Christi verknüpft, und in Verbindung mit dieser Herrlichkeit hat der Übergang der Beziehungen Gottes zu Israel und der Welt zu der himmlischen und christlichen Ordnung statt­gefunden. Diese neue Ordnung, dieses himmlische System (obgleich dasselbe einen von dem Judentum weit schärfer unterschiedenen Charakter trägt, als wenn der Herr nicht erschienen wäre) ist nicht eine Lehre, die dem Vorhergehenden widerspricht und es so als nichtig ver­urteilt. Als Christus kam, stellte Er Sich den Juden einer­seits dar als dem Gesetz unterworfen, und andererseits als der Same, in welchem sich die Verheißungen erfüllen sollten. Er wurde jedoch verworfen, so daß das jüdische Volk nicht nur das Gesetz gebrochen hatte, was schon vom Sinai an geschehen war*, sondern auch jedes An recht auf die Verheißungen verlor; ausgenommen natür­lich sind immer die ohne Bedingung gegebenen Verhei­ßungen (siehe Röm. 10).

 

* Es ist ernst, aber lehrreich, zu bemerken, daß bei allem, was Gott aufgerichtet hat, die erste Handlung des Menschen stets darin bestanden hat, es zu verderben. Adam steht als der erste in der Reihe. Dann folgt Noah, das neue Haupt der Welt; er berauschte sich. Dann kam das goldene Kalb, als das Gesetz gegeben wurde; bald darauf das Verderben des Priestertums, in­dem am ersten Tage fremdes Feuer dargebracht wurde. Später kehrte Salomo zum Götzendienst zurück und verdarb so das Königtum. Nebukadnezar machte das goldene Bild und verfolgte die Knechte des wahren Gottes. Gott ging in Gnade voran, aber das System war gefallen. So ist es auch, wie ich nicht zweifle, mit der Kirche. Alles wird herrlicher wiederhergestellt werden in dem zweiten Adam.

 

Nun konnte Gott Seine Gnaden­fülle einführen. Zugleich fanden die Sinn‑ und Vorbilder ihre Erfüllung, der Fluch des Gesetzes wurde vollzogen, die auf die Erniedrigung Christi bezüglichen Prophe­zeiungen erfüllten sich, und die Beziehungen aller Seelen zu Gott ‑ Beziehungen, die, nachdem Er einmal erschie­nen war, notwendig stets an Seine Person geknüpft waren ‑ wurden mit der Stellung verbunden, die der Erlöser im Himmel eingenommen hat. Dann wurde den Heiden die Tür geöffnet und der Ratschluß Gottes hinsichtlich der Versammlung, des Leibes des aufgefahrenen Chri­stus, vollständig geoffenbart. Sohn Davids dem Fleische nach und als Sohn Gottes in Kraft erwiesen durch Totenauferstehung (Röm. 1, 3. 4), war "Jesus Christus ein Die­ner der Beschneidung um der Wahrheit Gottes willen, um die Verheißungen der Väter zu bestätigen, auf daß die Nationen aber Gott verherrlichen möchten um der Be­gnadigung willen" (Röm. 15, 8. 9). Er war "der Erst­geborene aus den Toten, das Haupt des Leibes, der Ver­sammlung, auf daß Er in allem den Vorrang habe" (Kol. 1, 18).

Die Herrlichkeit der neuen Ordnung der Dinge war um so vorzüglicher und um so erhabener über jede ihr vor­angegangene irdische Ordnung, als sie mit der Person des Herrn Selbst verbunden war, und zwar mit Ihm als dem verherrlichten Menschen in der Gegenwart Gottes, Seines Vaters. Zugleich drückte das, was vorging, sein Siegel auf alles Vorhergegangene, als auf etwas, das an seinem Platze gewesen war, von Gott verordnet; denn der Herr erschien auf der Erde in Verbindung mit dem System; das vor Seiner Ankunft bestand.

 

Die ersten drei Evangelien zeigen uns Christum gegen­über dem verantwortlichen Menschen und besonders Is­rael. Johannes stellt uns den göttlichen und ewigen Cha­rakter des Herrn Selbst dar; schon vom ersten Kapitel an hat Israel Ihn verworfen und erscheint als ein Volk, das sich verhärtet hat und selbst verworfen ist, während die Welt sich gefühllos erweist gegenüber der Gegenwart ihres Schöpfers. Deshalb treten in diesem Evangelium die wirksame und unumschränkte Gnade, die Wiedergeburt und das Kreuz als die Grundlage himmlischer Dinge völlig ans Licht.

Das Evangelium nach Matthäus

 

Dieses Evangelium stellt Christum vor uns in dem Charakter des Sohnes Davids und Abrahams, d. h. in Verbindung mit den dem Volke Israel gegebenen Verheißungen, zugleich aber auch als Immanuel, Jehova­ Heiland; denn das war der Christus, und Er würde, wenn Er von Israel aufgenommen worden wäre, die Verhei­ßungen erfüllt haben, und Er wird dieselben später zu Gunsten dieses vielgeliebten Volkes erfüllen. Dieses Evangelium ist daher in der Tat die Geschichte der Ver­werfung Christi durch das Volk, und folglich die Ge­schichte der Verurteilung des Volkes selbst, insoweit es seine Verantwortlichkeit betraf (denn die Ratschlüsse Gottes können nimmer ihren Zweck verfehlen), sowie die Darstellung von dem, was Gott Seinem Vorsatz gemäß nunmehr einführen wollte.

In dem Maße, wie sich der Charakter des Königs und des Reiches entwickelt und die Aufmerksamkeit der Leiter des Volkes erregt, widersetzen sich dieselben und berauben sowohl sich als auch das ihnen anhangende Volk all der Segnungen, die an die Gegenwart des Messias geknüpft waren. Der Herr kündigt ihnen die Fol­gen davon an und zeigt Seinen Jüngern, welchen Cha­rakter das Reich, nach Seiner Verwerfung, hienieden an­nehmen wird, sowie die Herrlichkeiten, die für Christum und für die Seinigen mit Ihm daraus hervorgehen wür­den. In Seiner Person und im Blick auf Sein Werk wird auch die Grundlage der Versammlung geoffenbart ‑ die Kirche, als durch Ihn Selbst gebaut. Mit einem  Wort, im Anschluß an Seine Verwerfung durch Israel tritt zuerst das Reich vor unsere Blicke, so wie es jetzt ist (Kap. 13), dann die Kirche (Kap. 16j und endlich das Reich in Herrlichkeit (Kap. 17).

 

Schließlich, nach Seiner Auferweckung, werden die Apostel durch den auferstandenen Herrn mit einem neuen Auftrag ausgesandt, der sich an alle Nationen richtet*.

 

Kapitel 1

 

Der Zweck des Geistes Gottes in diesem Evangelium ist, den Herrn als Den einzuführen, der die Verheißungen Israels sowie die Weissagungen, die sich auf den Messias beziehen, erfüllen sollte; und jeder aufmerksame Leser wird sich davon getroffen fühlen, wie oft der Nach­weis ihrer Erfüllung geführt wird. Er beginnt dabei mit dem Geschlechtsregister des Herrn, indem Er zu des­seit Ausgangspunkt David und Abraham wählt, als die beiden Stämme, denen das messianische Geschlechts­register entsprang und denen die Verheißungen gegeben worden waren. Das Geschlechtsregister ist in drei Ab­schnitte geteilt, die drei großen Teilen der Geschichte ­des Volkes entsprechen:

1.        von Abraham bis zur Auf­richtung des Königtums in der Person Davids,

2.        von dieser Aufrichtung bis zur Gefangenschaft und

3.        von der Gefangenschaft bis auf. Jesum.

Man wird bemerken, daß der Heilige Geist in diesem Geschlechtsregister schwere Sünden erwähnt, die von Per­sonen begangen wurden, deren Namen angeführt sind, in­dem Er so die unumschränkte Gnade Gottes verherrlicht, die einen Heiland geben konnte in Verbindung mit Sün­den, wie die eines Juda, dann in Verbindung mit einer armen, in die Mitte Seines Volkes eingeführten Moabitin, und endlich in Verbindung mit Verbrechen, wie diejenigen Davids.

 

 

* Dies geschah gleichsam vom Boden der Auferstehung in Galiläa, nicht aus dem Himmel und der Herrlichkeit, das ge­schah bei Damaskus.

 

 

Das von Matthäus gegebene Geschlechtsregister ist das gesetzliche, d. h. das des Joseph, von welchem Christus nach dem Gesetz der Juden der rechtmäßige Erbe war. Der Evangelist hat drei Könige aus der Verwandtschaft Ahabs weggelassen, um in jedem Abschnitt die 14 Ge­schlechter zu haben; auch fehlen Joahas und Jojakim, ohne daß jedoch durch diesen Umstand der Zweck des Geschlechtsregisters in irgendeiner Weise berührt würde. Es handelte sich darum, es so zu geben, wie die Juden es anerkannten, und alle diese Könige waren allgemein be­kannt.

Matthäus erzählt in Kürze die Ereignisse, die auf die Geburt Jesu Bezug haben, Ereignisse, die nicht allein für die unmittelbar dabei beteiligten Juden, sondern auch für uns von unendlicher und ewiger Wichtigkeit sind, und in denen es Gott wohlgefiel, Seine eigene Herrlichkeit mit unserem Interesse, mit dem Menschen, zu verknüpfen. Maria war mit Joseph verlobt. Ihre Nachkommenschaft war folglich, was die Erbschaftsrechte betrifft, gesetz­lich diejenige des Joseph; allein das Kind, das sie in ihrem Schoße trug, war göttlichen Ursprungs, empfangen durch die Kraft des Heiligen Geistes. Der Engel des Herrn wurde als das Werkzeug der Vorsehung gesandt, um das zarte Gewissen und das gerechte Herz Josephs zu be­ruhigen, indem er ihm mitteilte, daß das, was Maria empfangen hatte, vom Heiligen Geiste sei.

Es ist bemerkenswert, daß der Engel bei dieser Ge­legenheit Joseph als "Sohn Davids" anredet. Der Hei­lige Geist richtet so unsere Aufmerksamkeit auf die Ver­wandtschaft Josephs (der für den Vater Jesu angesehen wurde) mit David, während Maria sein Weib genannt wird. Zu gleicher Zeit gibt der Engel dem Kinde, das geboren werden sollte, den Namen Jesus, d. h. "Jehova, der Erretter". Er wendet diesen Namen an auf die Be­freiung Israels aus dem Zustand, in welchen dieses Volk durch die Sünde gekommen war, indem er sagt: "Denn er wird sein Volk erretten" (V. 21); er zeigt dadurch deutlich, daß der Titel "Jehova" in dem Worte Jesus oder

 

Jehoschua enthalten war, denn Israel war das Volk Jeho­vas. Alle diese Umstände ereigneten sich, um zu erfüllen, was Jehova durch den Mund Seines Propheten geredet hatte: "Siehe, die Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären; und sie werden Seinen Namen Emmanuel nennen, was verdolmetscht ist: Gott mit uns" (V. 23).

Was uns also in diesen wenigen Versen durch den Geist Gottes vorgestellt wird, ist folgendes: Jesus, der Sohn Davids, empfangen durch die Kraft des Heiligen Geistes; Jehova, der Erretter, der Israel von seinen Sün­den errettet; Gott mit Seinem Volke; Er, der diese wunderbaren Prophezeiungen erfüllte, die mehr oder we­niger klar die äußere Linie eines Rahmens andeuteten, den der Herr Jesus allein auszufüllen vermochte.

Joseph, ein gerechter Mann, von Herzen einfältig und gehorsam, unterscheidet ohne Schwierigkeit die Offen­barung des Herrn und gehorcht ihr.

Die eben angeführten Titel kennzeichnen den Cha­rakter dieses Evangeliums, d. h. des Weges Christi, der darin dargestellt ist. Und wie wunderbar ist diese Offen­barung von Ihm, durch den die Worte und Verheißungen Jehovas erfüllt werden sollten! Welch eine Wahrheits­grundlage für das Verständnis dieser herrlichen und ge­heimnisvollen Person, von der das Alte Testament genug gesagt hatte, um das Verlangen zu wecken und den Geist des Volkes, dem Er gegeben wurde, in Verwirrung zu bringen! Geboren von einem Weibe, geboren unter Gesetz, Erbe aller Rechte Davids nach dem Fleische, auch Sohn Gottes, Jehova, der Erretter, Gott mit Seinem Volke ‑wer konnte das Geheimnis der Natur Dessen, in dem alle diese Dinge vereinigt waren, erfassen oder ergründen? Sein Leben zeigt, wie wir sehen werden, in der Tat den Gehorsam des vollkommenen Menschen neben den Voll­kommenheiten und der Macht Gottes.

Die Titel Jesu, die wir oben nannten: Erbe Davids, Erretter Seines Volkes und Emmanuel, und die wir in Vers 20‑23 finden, stehen in Verbindung mit Seiner Herrlichkeit in der Mitte Israels. Seine Geburt durch den Heiligen Geist erfüllte betreffs Seiner, als eines auf Erden geborenen Menschen, Ps. 2, 7: "Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt." Der Name Jesus und Seine Empfängnis durch die Kraft des Heiligen Geistes gehen ohne Zweifel über dieses Verhältnis hinaus, aber sie sind doch in besonderer Weise mit Seiner Stellung in Israel verknüpft. In dem Evangelium Lukas, wo Sein Ge­schlechtsregister bis auf Adam verfolgt wird, ist das wei­tere Verhältnis deutlicher dargestellt; aber da ist der Titel "Sohn des Menschen" besonders angemessen.

 

Kapitel 2

 

Jesus, auf solche Weise durch den Engel gekennzeichnet und also geboren, und die. Weissagungen erfüllend, welche die Gegenwart Emmanuels ankündigten, wird von den Heiden förmlich als König der Juden anerkannt; sie wurden durch den Willen Gottes, der auf die Herzen ihrer Weisen wirkte, geleitet*. Das will sagen, wir finden hier den Herrn, Emmanuel, den Sohn Davids, Jehova, den Er­retter, den Sohn Gottes, der als König der Juden geboren ist, von den Häuptern der Heiden anerkannt.

 

* Der Stern leitete nicht die Weisen aus ihrem Lande nach Judäa. Es gefiel Gott, dieses Zeugnis dem Herodes und den Führern des Volkes vorzuführen. Geleitet durch dag Wort (dessen Bedeutung die Hohenpriester und Schriftgelehrten selbst erklär­ten und demgemäß Herodes sie nach Bethlehem sandte) sahen sie den Stern w i e d e r , den sie in ihrem eigenen Lande gesehen hatten, und er führte sie zu dem Hause hin, wo das Kindlein war. Ihr Besuch fand einige Zeit nach der Geburt Jesu statt. Sie hatten ohne Zweifel den Stern zum erstenmal zur Zeit Seiner Geburt gesehen. Auch Herodes richtet sich in seinen Berech­nungen nach dem Augenblick der Erscheinung des Sterns, die er genau von den Weisen erforscht hatte. Diese hatten einige Zeit unterwegs sein müssen.

 

Das ist im Evangelium Matthäus das Zeugnis Gottes und der Charakter, in welchem Jesus dargestellt wird. Weiterhin gehen wir in Gegenwart des also geoffenbarten Jesus die Obersten der Juden in Verbindung mit einem fremden König; sie kennen zwar in systematischer Weise die Offenbarungen Gottes in Seinem Worte, sind aber völlig gleichgültig gegen Den, der der Gegenstand dieser Offen­barungen war, und jener König, der erbitterte Feind des Herrn, des wahren Königs und Messias, trachtet danach, Ihn zu töten. Die Vorsehung Gottes wacht über das Kind­lein, das dem Volke Israel geboren war, indem sie Mittel anwendet, die die Verantwortlichkeit des Volkes in ihrer ganzen Ausdehnung bestehen lassen, zugleich aber alle Absichten Gottes in bezug auf diesen einzig wahren Über­rest Israels, diese allein wahre Hoffnungsquelle des Vol­kes, erfüllen. Denn ohne Ihn hätte alles stürzen und die Folgen des Verbundenseins mit dem Volke tragen müssen.

 

 

*Ich möchte hier auch darauf aufmerksam machen, daß die Weissagungen des Alten Testamentes auf dreierlei Weise an­geführt werden und daher nicht verwechselt werden dürfen. Das Wort sagt. "auf daß erfüllt würde"; "damit erfüllt wurde"; "da ward erfüllt". Im ersten Falle handelt es sich um den Zweck der Weissagung selbst (z. B. Matth. 1, 22. 23); im zweiten um eine Erfüllung, welche in dem Bereich der Weissagung liegt, ohne daß dies jedoch der einzige und vollständige Gedanke des Geistes wäre (z. B. Matth. 2, 23). Im dritten Falle endlich han­delt es sich einfach um ein Ereignis, das dem Geiste oder Sinne nach der angeführten Stelle entspricht, ohne aber deren be­stimmter Gegenstand zu sein (z. B. Kap. 2, 17).

 

Nach Ägypten hinabgezogen, um der grausamen Ab­sieht des Herodes, Ihm das Leben zu nehmen, zu ent­rinnen, wird Jesus der wahre Weinstock. Er beginnt, d. h. in sittlichem Sinne, in Seiner Person sowohl die Geschichte Israels, als auch, in weiterem Sinne, die Ge­schichte des Menschen, und dies als der zweite Adam Gott gegenüber. Nur mußte hierfür Sein Tod eintreten ‑ für alle, ohne Zweifel, zum Segen. Aber Er war Sohn Gottes und Messias, Sohn Davids; um jedoch Seinen Platz als Sohn des Menschen einzunehmen, mußte Er sterben (siehe Joh. 12). So bezieht sich nicht allein die Prophezeiung in Hos. 11, 1 ‑ "Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen", auf diesen wahren Anfang Israels (als der Geliebte Gottes) und nach den göttlichen Ratschlüssen (da das Volk in seiner Verantwortlichkeit gänzlich ge­fehlt hatte, so daß es ohne diese Gnade hätte verworfen werden müssen); sondern wir sehen auch in Jesaja den Knecht Israel dem Knechte Christus Platz machen, der einen treuen Überrest sammelt, welcher der Kern des neuen, Gott entsprechenden Volkes Israel wird (die Kin­der, die Gott Ihm gegeben hat, während Er Sein Antlitz vor dem Hause Jakobs verbirgt). Das 49. Kapitel des Propheten Jesaja stellt uns diesen Übergang von Israel auf Christum in treffender Weise vor Augen. Zudem ist dies die Grundlage der ganzen Geschichte Israels als eines Vol­kes, das unter dem Gesetz gefehlt hat und nun in Gnade wiederhergestellt wird. Christus ist in sittlichem Sinne der neue Weinstock, dem es entsprießt (vgl. Jes. 49, 3 u. 5) *.

Herodes stirbt. Gott macht dies dem Joseph in einem Traume bekannt und befiehlt ihm, mit dem Kindlein und seiner Mutter in das Land Israel zurückzukehren. Es ist bemerkenswert, daß das Land hier unter dem Namen erwähnt wird, der an die von Gott verliehenen Vorrechte erinnert; es ist nicht Judäa noch Galiläa, son­dern das "Land Israel". Aber darf Sich der Sohn Davids bei Seinem Eintritt dem Throne Seiner Väter nahen? Nein, Er muß unter den Verachteten Seines Volkes den Platz eines Fremdlings einnehmen. Joseph, durch Gott im Traum unterwiesen, bringt Jesum nach Galiläa, dessen Bewohner der Gegenstand tiefster Verachtung seitens der Juden waren, weil sie nicht in gewohnheitsmäßiger Ver­bindung standen mit Jerusalem und mit Judäa, dem Lande Davids und der von Gott anerkannten Könige, und mit dem Tempel, und weil sogar der Dialekt der beiden gemeinsamen Sprache ihre tatsächliche Trennung von denen verriet, die einst durch die Güte Gottes aus Babylon nach Judäa zurückgeführt worden waren. Und in dem verachteten Galiläa läßt Joseph sich gar noch in einer Stadt nieder, deren bloßer Name hinreichte, um den Ruf des darin Wohnenden zu beflecken und ihn in Sehmach zu bringen.

 

* In Vers 5 wird dieser Titel "Knecht" von Christo angenom­men. In derselben Weise tritt auch in Joh. 15 Christus an die Stelle Israels. Israel war, einst aus Ägypten gebracht, der Wein­stock, der wurde; Christus ist der w a h r e Weinstock.

 

 

Das war die äußere Lage des Sohnes Gottes, als Er in diese Welt kam, und das die Beziehung des Sohnes Davids zu Seinem Volke, als Er in Gnade und nach den Ratschlüssen Gottes in ihre Mitte trat. Einerseits war Er Emmanuel, Jehova, ihr Erretter, und andererseits der Sohn Davids; aber als Er Seinen Platz inmitten Seines Volkes einnahm, verband Er Sich mit den Ärmsten und Verachtetsten der Herde und verbarg sich in Galiläa vor der Gesetzlosigkeit eines falschen Königs, der mit Hilfe der Heiden des vierten Weltreiches über Judäa regierte, und mit dem die Priester und Leiter des Volkes in Verbindung standen. Letztere, untreu gegen Gott und un­zufrieden mit den Menschen, verabscheuten stolz ein Joch, das ihre Sünden auf sie gebracht hatten und das sie nicht abzuschütteln wagten, während sie andererseits ihre Sün­den zu wenig erkannten, uni sich jenem Joch als einer gerechten Strafe Gottes zu unterwerfen.

So zeigt uns denn Matthäus, oder vielmehr der Heilige Geist, Christum, den Messias, in Verbindung mit Israel. ‑ Wir beginnen jetzt mit Seiner eigentlichen Geschichte.

Kapitel 3

Der Weissagung Jesajas (Kap. 40) gemäß kommt Jo­hannes der Täufer, um den Weg des Herrn vor Ihm zu bereiten, indem er verkündigt, daß das Reich der Him­mel nahe gekommen sei, und das Volk zur Buße ruft. Der Dienst des Johannes für Israel wird in diesem Evangelium durch drei Dinge gekennzeichnet:

1. Der Herr' Jehova Selbst, stand im Begriff zu kom­men. Der Heilige Geist läßt bei Anführung der Stelle (Jes. 40, 3) die letzten Worte „für unseren Gott" feh­len, weil Jesus als Mensch in Niedrigkeit kommt, wie­wohl Er zugleich als Jehova anerkannt wird, aber Israel nicht das Recht zuerkannt werden konnte, zu sagen: "unser Gott".

2. Das Reich der Himmel* war nahe ‑ jene neue Ordnung, die den Platz der früheren einnehmen sollte, welche genau genommen zu Sinai gehörte, wo Jehova auf der Erde geredet hatte. In dieser neuen Ordnung sollten "die Himmel herrschen", sie sollten die Quelle der Autorität Gottes in Seinem Christus sein und diese letz­tere kennzeichnen.

3. Das Volk, anstatt in seinem gegenwärtigen Zustande gesegnet zu werden, wird im Blick auf das Kommen dieses Reiches zur Buße gerufen. Daher nimmt Jo­hannes seinen Platz in der Wüste. Er trennt sich von den Juden, mit denen er sich nicht vereinigen konnte, weil er im Wege der Gerechtigkeit kam (Kap. 21, 32). Die Wüste bietet ihm seine Nahrung (sogar seine Prophetenkleider geben Zeugnis von der Stellung, die er auf seiten Gottes eingenommen hatte), und er war erfüllt mit dem Heiligen Geiste.

 

* Diesen Ausdruck finden wir nur bei Matthäus, der sich vor­nehmlich mit den verschiedenen göttlichen Haushaltungen oder Verwaltungen sowie mit den Handlungen Gottes hinsichtlich der Juden beschäftigt. "Das Reich Gottes" ist gleichsam der Gat­tungsname. "Das Reich der Himmel" ist das Reich Gottes, aber in dem besonderen Sinne als diesen Charakter himmlischer Re­gierung annehmend; wir werden es später wiederfinden als ge­sondert in das Reich unseres Vaters und das Reich des Sohnes des Menschen.

 

 

Johannes war also ein Prophet, denn er kam von Gott und wandte sich an das Volk Gottes, um es zur Buße zu rufen, und er verkündigte ihm die Segnung Gottes gemäß den Verheißungen Jehovas, seines Gottes. Jedoch war Johannes mehr als ein Prophet, denn er verkündigte als eine unmittelbar bevorstehende Sache die Einführung einer neuen, lang erwarteten Haushaltung und die An­kunft des Herrn in Person. Wiewohl er aber zu Israel kam, erkannte er doch das Volk nicht an, denn es sollte gerichtet werden; die Tenne des Herrn sollte gereinigt, und die Bäume, die keine gute Frucht trugen, sollten ab­gehauen werden. Nur einen Überrest wollte der Herr in die neue Stellung in dem durch ihn angekündigten Reiche versetzen. In welcher Art und Weise dieses Reich errichtet werden sollte, wurde indes noch nicht geoffenbart. Johannes verkündigte das Gericht des Volkes.

Welch eine Tatsache von unermeßlicher Größe war die Gegenwart Jehovas in der Mitte Seines Volkes, in der Person Dessen, der, obwohl Er ohne Zweifel die Er­füllung aller Verheißungen sein sollte, und obwohl Er ver­worfen wurde, notwendigerweise der Richter alles Bösen war, das sich unter Seinem Volke vorfand! Je mehr man den vorliegenden Stellen ihre richtige Anwendung gibt, d. h. je mehr man sie auf Israel anwendet, desto besser begreift man ihre wirkliche Kraft*.

 

* Wir müssen uns dabei vergegenwärtigen, daß, abgesehen von den besonderen Verheißungen und der Berufung Israels als Gottes irdisches Volk, dieses Volk gerade den Menschen in seiner Ver­antwortlichkeit gegen Gott unter der sorgfältigsten Behandlung, die Gott ihm angedeihen lassen konnte, darstellte. Bis zur Sint­flut gab es ein Zeugnis, aber keine Verwaltungswege oder Ein­richtungen Gottes. Nachher, in der neuen Welt, finden wir die Regierung des Menschen, Berufung und Verheißung in Abraham, das Gesetz, den Messias, Gott in Gnade gekommen ‑ kurz alles, was Gott tun konnte, geschah in vollkommener Geduld, aber umsonst; da war nichts Gutes im Fleische. Und nun wurde Israel als im Fleische befindlich beiseitegesetzt, das Fleisch wurde verurteilt, der Feigenbaum als unfruchtbar verflucht, und der Mensch Gottes, der zweite Adam, Er, in welchem auf Grund der Erlösung Segen war, in die Welt eingeführt. In den drei ersten Evangelien wird Christus, wie wir bereits sahen, dem Menschen zur Annahme vorgestellt; in Johannes erscheinen der Mensch und Israel von Anfang an als beiseitegesetzt, und die unumschränkten Wege Gottes in Gnade und Auferstehung wer­den eingeführt.

 

Zweifellos ist die Buße eine zu allen Zeiten geltende Notwendigkeit für jede Seele, die Gott naht; aber welch ein Licht wird auf diese Wahrheit geworfen, wenn wir die Dazwischenkunft des Herrn Selbst sehen, der Sein Volk zu dieser Buße ruft und, auf dessen Weigerung hin, das ganze System der Beziehungen Israels zu Ihm bei­seitesetzt und eine neue Haushaltung gründet, ein Reich, das nur denen angehört, die Ihm gehorchen, und der schließlich Sein Gericht gegen Sein Volk und gegen die so lange von Ihm geliebte Stadt hervorbrechen läßt! "Wenn auch du erkannt hättest, und selbst an diesem dei­nem Tage, was zu deinem Frieden dient! ‑ Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen" (Luk. 19, 42).

Diese Wahrheit macht der Darstellung einer anderen Raum, und zwar einer Wahrheit von der höchsten Wich­tigkeit, die hier mehr in Verbindung mit den unum­schränkten Rechten Gottes als in ihren Folgen angekün­digt wird, die aber bereits alle jene Folgen in sich barg. Das Volk, besonders die Gottlosen und Verachteten kamen von allen Seiten herbei, um getauft zu werden, indem sie ihre Sünden bekannten. Jene aber, die inmitten dieses Volkes in ihren eigenen Augen den ersten Platz einnah­men, waren die Gegenstände des Gerichts in den Augen des Propheten, der das Volk Gott gemäß liebte. Der Zorn stand bevor, und wer hatte jene Verächter ange­wiesen, ihm zu entfliehen? Sie hätten sich gleich den anderen demütigen, ihren wahren Platz einnehmen und ihr.‑ Herzensänderung zeigen sollen. Sich mit den Vor­rechten ihrer Nation oder ihrer Väter zu brüsten, war wertlos vor Gott. Er verlangte, was Seine eigene Natur, Seine Wahrheit, verlangen mußte. Überdies war Er un­umschränkt. Er vermochte dem Abraham sogar aus den Steinen Kinder zu erwecken, und Er hat das in Seiner unumschränkten Gnade, durch Christum, im Blick auf die Heiden getan. Auf Wirklichkeit kam es jetzt an; die Axt war bereits an die Wurzel der Bäume gelegt, und alle, die nicht gute Früchte brachten, sollten abgehauen werden (V. 7‑10).

Das ist der große, sittliche Grundsatz, den das Ge­richt jetzt ans Licht stellen sollte. Der Schlag war noch nicht getan, aber die Axt lag schon an der Wurzel der Bäume. Johannes war gekommen, um die, welche sein Zeugnis annahmen, in eine neue Stellung einzuführen, oder doch wenigstens in einen neuen Zustand, in welchem sie hierfür vorbereitet wurden. Auf ihre Buße hin soll­ten sie von den anderen durch die Taufe unterschieden werden. Doch der nach Johannes Kommende, Dessen Sandalen zu tragen er nicht würdig war, wollte Seine Tenne durch und durch reinigen; Er wollte diejenigen, welche wahrhaftig und innerlich Sein waren, aus Seinem Volke Israel (Seiner Tenne) ausscheiden und das Gericht an allen übrigen vollstrecken. Vorher öffnet Johannes seinerseits die Tür zur Buße; nachher sollte das Gericht kommen.

Das Gericht war nicht das einzige Werk, das Jesus vollbringen sollte. Zwei Dinge werden Ihm in dem Zeug­nisse Johannes', des Täufers, zugeschrieben. Er tauft mit Feuer, das ist das in Vers 12 angekündigte Gericht, das alles Böse verzehrt. Er tauft aber auch mit Heiligem Geiste, mit jenem Geiste, der dem lebendig gemachten, erlösten und in dem Blute Christi gereinigten Menschen gegeben wird, und der, in göttlicher Kraft in ihm wir­kend, ihn von dem Einfluß alles dessen trennt, was auf das Fleisch einwirkt, und ihn in Verbindung und in Ge­meinschaft mit allem bringt, was von Gott geoffenbart ist: mit der Herrlichkeit, in die Gott Seine Geschöpfe in dem ihnen mitgeteilten Leben einführt, indem Er in uns die Kraft alles dessen zerstört, was dem Genuß dieser Vorrechte entgegensteht.

Beachten wir hier, daß das aufrichtige, durch die Gnade gewirkte Bekenntnis der Sünden die einzige gute Frucht ist, die Johannes als den Weg des Entrinnens anerkennt; nur diejenigen, welche dieses Bekenntnis ab­legen, entgehen der Axt. Es gab in Wirklichkeit keine guten Bäume, ausgenommen jene, die bekannten, daß sie schlecht waren. Welch ein feierlicher Augenblick war dies für das von Gott geliebte Volk! Welch ein Ereignis war die Gegenwart Jehovas inmitten der Nation, mit der Er in, Verbindung stand!

Auch dürfen wir nicht unbeachtet lassen, daß Johannes der Täufer den Messias hier nicht als den in Gnade ge­kommenen Heiland vorstellt, sondern als das Haupt des Reiches, als Jehova, welcher, wenn das Volk nicht Buße tat, das Gericht vollziehen wollte. Wir werden später die Stellung sehen, die Jesus in Gnade einnahm.

In Vers 13 kommt Jesus Selbst, der bisher als Mes­sias und sogar als Jehova vorgestellt worden ist, zu Johannes, um mit der Taufe der Buße getauft zu wer­den. Zu dieser Taufe zu erscheinen war, wie schon gesagt, die einzige gute Frucht, die ein Jude in seinem damaligen Zustand hervorbringen konnte; diese Tat erwies sich als die Frucht eines Werkes Gottes, als die Frucht der kräf­tigen Wirkung des Heiligen Geistes. Der Bußfertige be­kennt, daß er bisher fern von Gott gewandelt hat; es ist eine neue Regung, die Frucht des Wortes und Werkes Gottes in ihm, das Zeichen eines neuen Lebens, des Lebens des Geistes in seiner Seele. Eben weil Johannes der Täufer gesandt war, gab es in einem Juden keine andere Frucht, keinen anderen gültigen Beweis des Lebens aus Gott als dies. Damit soll nicht gesagt sein, daß nie­mand da gewesen wäre, in welchem der Geist schon zum Leben gewirkt hätte; allein in diesem Zustand des Vol­kes und entsprechend dem Rufe Gottes durch Seinen Diener, war das Bekenntnis der Beweis dieses Lebens, der Umkehr des Herzens zu Gott. Diese Bußfertigen bildeten den wahren Überrest des Volkes, den Gott als solchen anerkannte, und der auf diese Weise von der Masse, die für das Gericht heranreifte, getrennt wurde. Sie waren die wahren Heiligen, "die Herrlichen der Erde", obwohl die Selbsterniedrigung der Buße ihr einzig wahrer Platz sein konnte. Damit mußten sie beginnen. Wenn Gott Barmherzigkeit und Gerechtigkeit einfährt, so benutzen sie dankbar die Barmherzigkeit, indem sie bekennen, daß diese ihre einzige Zuflucht ist, und sie beugen ihr Herz unter die Gerechtigkeit, als die gerechte Folge des Zustandes des Volkes Gottes.. indem sie dieselbe auf sich selbst anwenden.

Jesus tritt nun in die Mitte derer, die dies tun (V. 13). Obwohl Er wahrhaftig der Herr, Jehova, der gerechte Richter Seines Volkes war, der im Begriff stand, Seine Tenne zu reinigen, nimmt Er nichtsdestoweniger Seinen Platz ein unter dem treuen Überrest, der sich vor diesem Gericht beugt. Er nimmt den Platz des Geringsten Seines Volkes vor Gott ein. Er nennt, wie wir' in Ps. 16, 2. 3 lesen, Jehova "Seinen Herrn", und sagt zu Ihm: "Meine Güte reicht nicht hinauf zu dir"; und zu den Heiligen, die auf der Erde sind, zu den Herrlichen, sagt Er: "An ihnen ist alle meine Lust." Vollkommenes Zeugnis der Gnade: der Heiland macht Sich gemäß dieser Gnade eins mit den ersten Regungen des Geistes in den Herzen Seines Volkes und erniedrigt Sich Selbst, nicht allein in der Herablassung Seiner Gnade gegen sie, son­dern indem Er, als einer von ihnen, in ihrer wahren Stel­lung vor Gott Seinen Platz einnimmt; und Er tut das nicht nur, um ihre Herzen durch solche Güte zu trösten, sondern auch um an allen ihren Mühen und Schwierig­keiten herzlichen Anteil zu nehmen und um das Vorbild, die Quelle und der vollkommene Ausdruck jeder Gesin­nung zu sein, die ihrer Stellung angemessen war. Mit dem gottlosen, unbußfertigen Israel konnte Er Sich nicht ver­einigen, wohl aber mit der ersten Lebenswirkung des Wortes und Geistes Gottes in den Armen der Herde, und Er tat dies in Gnade. Er tut es auch jetzt. Bei dem ersten richtigen, wirklich von Gott gewirkten Schritt wird Christus gefunden.

Aber das war noch nicht alles. Er kommt, um die, welche Ihn annahmen, mit Gott in Verbindung zu brin­gen entsprechend der Gunst, die auf einer Vollkommen­heit gleich der Seinigen und auf einer Liebe ruhte, die dadurch, daß sie die Sache Seines Volkes auf sich nahm, das Herz Gottes befriedigte und es Ihm sogar möglich machte, Sich Selbst mit Güte zu sättigen, da Er Gott in allem, was Er ist, vollkommen verherrlicht hat. Damit dies aber geschehe, mußte der Heiland, wie wir wissen, Sein Leben hingeben; denn der Zustand des Juden wie der eines jeden Menschen erheischte dieses Opfer, ehe der eine oder der andere mit dem Gott der Wahrheit in Verbindung treten konnte. Aber selbst dafür hat die Liebe des Heilandes nicht gemangelt. Hier jedoch führt Jesus die Seinigen zu dem Genuß der in Seiner Person ausge­drückten Segnung, die auf jenes Opfer fest gegründet werden sollte ‑ einer Segnung, die sie nur erreichen konnten auf dem Wege der Buße, und diesen betraten sie in der Taufe des Johannes. Jesus empfing diese Taufe mit ihnen, damit sie miteinander in den Besitz all des Guten eintreten möchten, welches Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben.

Im Gefühl der Würde und Vortrefflichkeit der Person Dessen, der zu ihm kam, widersetzte sich Johannes der Absicht des Herrn (V. 14). Auf diese Weise läßt der Heilige Geist den wahren Charakter der Handlung des Herrn ans Licht treten. Was Ihn betraf, so war es die Gerech­tigkeit und nicht die Sünde, die Ihn zur Taufe des Jo­hannes führte, eine Gerechtigkeit, die Er in Liebe erfüllte. Er sowohl wie Johannes erfüllten das, was dem Ihm von Gott angewiesenen Platze angemessen war. Und mit welch einer Herablassung verbindet Er Sich zugleich mit Jo­hannes, wenn Er sagt: "Also gebührt es uns!" (V. 15). Er ist der demütige und gehorsame Diener. So verhielt Er Sich stets auf der Erde. Was überdies die Stellung Jesu betrifft, so führte die Gnade Ihn dahin, wohin die Sünde uns geführt hatte, die wir durch die Tür eingingen, welche der Herr für Seine Schafe aufgetan hat. Indem wir die Sünde bekennen, wie sie ist, indem wir in dem Be­kenntnis unserer Sünde (in sittlichem Sinne das Gegen­teil von Sünde) vor Gott treten, finden wir uns mit Jesu zusammen*. Es ist in der Tat die Frucht Seines Geistes in uns. Dies war bei den armen Sündern der Fall, die zu Johannes kamen. In solcher Weise hat Jesus Seinen Platz in Gerechtigkeit und im Gehorsam unter den Menschen und insbesondere unter den bußfertigen Juden eingenom­men. In dieser Stellung eines gerechten und gehorsamen Menschen, der auf Erden in vollkommener Demut das Werk vollbrachte, für das Er Sich Selbst in Gnade (nach Ps. 40) opferte und in vollkommener Selbstverleugnung hingab, um den ganzen Willen Gottes zu erfüllen ‑ in dieser Stellung hat Gott, Sein Vater, Ihn völlig anerkannt und versiegelt, indem Er auf Erden bezeugte, daß Er Sein vielgeliebter Sohn sei.

 

* Geradeso verhält es sich mit dem Bewußtsein unseres Nichts. Jesus machte Sich Selbst zu nichts; und wenn wir das Bewußtsein unseres Nichts haben, so finden wir uns bei Ihm und sind zugleich mit Seiner Fülle erfüllt. Selbst wenn wir zu Fall kommen, erfahren wir nicht eher, daß Jesus uns wieder auf­richtet, bis wir dahin gebracht sind, uns selbst zu erkennen, wie wir wirklich sind.

Als nun Jesus getauft war (der treffendste Ausdruck der Stellung, die Er mit Seinem Volke eingenommen hatte), wurden Ihm die Himmel aufgetan, und Er sah den Heiligen Geist wie eine Taube auf Ihn herniederfahren. "Und siehe, eine Stimme kommt aus den Himmeln, welche spricht: Dieser ist mein geliebter Sohn, an wel­chem ich Wohlgefallen gefunden habe" (V. 16. 17).

Die hier mitgeteilten Umstände erfordern indes unsere ganze Aufmerksamkeit. Ehe der geliebte Sohn hienieden war, wurden die Himmel niemals über der Erde oder über einem Menschen auf ihr geöffnet*. Gott hatte ohne Zweifel alle Seine Geschöpfe in Seiner Langmut und auf dem Wege der Vorsehung gesegnet; Er hatte auch Sein Volk, gesegnet nach den Regeln Seiner irdischen Regie­rung. Außerdem gab es Auserwählte, die Er in Seiner Treue bewahrt hatte, aber bis dahin waren die Himmel nicht geöffnet worden. In Verbindung mit Seiner Regie­rung auf der Erde war ein Zeugnis von Gott gesandt worden; aber es gab keinen Gegenstand auf derselben, auf dem das Auge Gottes mit Wohlgefallen hätte ruhen können, bis Jesus da war, gehorsam und ohne Sünde, der vielgeliebte Sohn Gottes. Aber ‑ und das ist so köstlich für uns! ‑ sobald Er in Gnaden diesen Platz der Er­niedrigung mit Israel (d. h. mit dem treuen Überrest) öffentlich einnimmt und Sich also vor Gott hinstellt und Seinen Willen erfüllt, öffnen sich die Himmel über einem Gegenstand, der ihrer Aufmerksamkeit würdig war. Aller­dings war Jesus stets, selbst ehe die Welt war, ihrer An­betung würdig; kaum aber hat Er jetzt diesen Platz in den Wegen Gottes als Mensch eingenommen, da öffnen sich die Himmel über Ihm, dem Gegenstand der ganzen Liebe und Zuneigung Gottes auf der Erde; der Heilige Geist kommt sichtbarlich auf Ihn hernieder.

 

* In Hesekiel 1, 1 wird zwar gesagt, daß die Himmel sich auf­taten; allein dies geschah nur in einem Gesicht, wie auch der Prophet selbst erklärt. In diesem Falle war es die Offenbarung Gottes im Gericht.

 

Und Er, ein Mensch auf der Erde, ein Mensch, der mit den Sanft­mütigen des Volkes, die Reue trugen, Seinen Platz ein­nimmt, wird anerkannt als der Sohn Gottes. Er wird nicht nur von Gott gesalbt, sondern Er ist Sich auch als Mensch des Herniederkommens des Heiligen Geistes auf Sich bewußt, dieses Siegels des Vaters, das ‑auf Ihn ge­setzt wurde. Es handelt sich hier augenscheinlich nicht um Seine göttliche Natur in dem Charakter des ewigen Sohnes des Vaters. Das Siegel würde selbst nicht in Übereinstimmung mit diesem Charakter sein; und was Seine Person betrifft und Sein Bewußtsein von dem, was Er war, das zeigte sich, als Er zwölf Jahre alt war (Luk. 2,. 49). Aber während Er dieses ist, ist Er auch ein Mensch, der Sohn Gottes auf der Erde, und wird als ein Mensch versiegelt. Als ein Mensch hat Er das Bewußtsein der unmittelbaren Gegenwart des Heiligen Geistes bei Ihm. Diese Gegenwart steht in Verbindung mit dem Charakter der Niedriggesinntheit, der Sanftmut und des Gehorsams, in welchem der Herr hienieden erschien. "Wie eine Taube" stieg der Heilige Geist auf Ihn hernieder, gleich­wie Er Sich in Gestalt feuriger Zungen auf die Häupter der Jünger setzte für ihr Zeugnis, das in Macht in dieser Welt abgelegt werden sollte, gemäß der Gnade, die sich an alle und jeden in seiner eigenen Sprache richtete.

So bereitet Jesus in Seiner eigenen Stellung als Mensch den Platz, in den Er uns durch die Erlösung einführt (Joh. 20,17). Doch die Herrlichkeit Seiner Person wird immer sorgfältig gewahrt. Es wird dem Herrn nicht ein Gegenstand vorgestellt, wie z. B. dem Saulus und, in einem noch ähnlicheren Falle, dem Stephanus, der, voll Heiligen Geistes, auch die Himmel geöffnet sieht und in sie hinaufblickt und Jesum, den Sohn des Menschen, sieht und in Sein Bild verwandelt wird. Jesus ist ge­kommen; Er Selbst ist der Gegenstand, über dem die Himmel sich auftun. Er hat keinen Gegenstand, der Ihn verwandelt hätte, wie Stephanus oder wie wir selbst in dem Geist; die Himmel blicken auf Ihn, den vollkom­menen Gegenstand der Wonne, herab. Es ist das schon bestehende Verhältnis zu Seinem Vater, das besiegelt wird*. Der Heilige Geist schafft auch nicht Seinen Cha­rakter, außer insofern Christus, was Seine menschliche Natur betrifft, durch die Kraft des Heiligen Geistes im Schoße der Jungfrau Maria empfangen worden ist. Er hatte Sich schon in der Vollkommenheit dieses Charak­ters mit den Armen verbunden, ehe Er versiegelt war; und dann handelt Er nach der Energie und Kraft dessen, was Er in Seinem menschlichen Leben hienieden ohne Maß empfing (vgl. Apg. 10, 38; Matth. 12, 28; Joh. 3, 34).

Wir finden im Worte Gottes vier merkwürdige Ge­legenheiten, bei denen die Himmel sich öffnen. Christus ist der Gegenstand jeder dieser Offenbarungen, und jede hat ihren besonderen Charakter. Hier in Matth. 3, 16 u. 17 steigt der Heilige Geist auf Ihn hernieder, und Er wird als Sohn Gottes anerkannt (vgl. Joh. 1, 33. 34).

Am Ende des 1. Kapitels des Evangeliums Johannes erklärt Jesus Selbst, daß Er der Sohn des Menschen sei,­ und die Engel Gottes sind es, die auf ‑ und niedersteigen auf Ihn. Er ist als Sohn des Menschen der Gegenstand ihres Dienstes **.

Am Ende des 7. Kapitels der Apostelgeschichte ent­hüllt sich eine ganz neue Szene. Die Juden verwerfen das letzte Zeugnis, das Gott ihnen sendet. Stephanus, der dieses Zeugnis vor ihnen ablegt, ist mit dem Heiligen Geiste erfüllt, und die Himmel werden ihm aufgetan. Das irdische System wurde durch die Verwerfung des

 

* Das ist auch von uns wahr, wenn wir durch die Gnade in diesem Verhältnis stehen.

** Die Erklärung, daß Christus die Leiter sei, auf welcher die Engel auf‑ und niederstiegen, ist ganz falsch. Er ist vielmehr. wie Jakob es einst war, der Gegenstand ihres Dienstes und ihrer Bedienung.

 

Zeugnisses des Heiligen Geistes von der Herrlichkeit des aufgefahrenen Christus endgültig abgeschlossen. Doch ist dies nicht nur ein Zeugnis. Der Christ ist erfüllt mit dem Geiste; die Himmel sind ihm aufgetan, die Herrlichkeit Gottes wird ihm geoffenbart, und der Sohn des Menschen erscheint ihm als stehend zur Rechten Gottes. Doch das ist etwas anderes, als wenn die Himmel sich über Jesu, dem Gegenstande der Wonne Gottes auf der Erde, öff­nen; der Himmel ist vielmehr dem Christen selbst geöff­net, indem sein Gegenstand dort ist, während er auf der Erde verworfen ' ist. Er sieht dort durch den Heiligen Geist die himmlische Herrlichkeit Gottes und Jesum, den Sohn des Menschen, den besonderen Gegenstand seines Zeugnisses, in der Herrlichkeit Gottes. Der Unterschied ist ebenso bemerkenswert wie anzichend für uns und zeigt auf die schlagendste Weise die wahre Stellung des Chri­sten auf Erden und die Veränderung' welche die Verwer­fung Jesu durch Sein irdisches Volk hervorgebracht hat. Nur die Kirche, die Vereinigung der Gläubigen zu einem Leibe mit dem Herrn im Himmel, war noch nicht ge­offenbart.

‑Schließlich öffnen sich die Himmel in Offb. 19, und der Herr Selbst, der König der Könige, der Herr der Herren, kommt hervor.

So finden wir denn in diesen verschiedenen Vorgängen:

Jesum, den Sohn Gottes auf Erden, den Gegenstand der Wonne des Himmels, versiegelt mit dem Heiligen Geiste;

Jesum, den Sohn des Menschen, den Gegenstand des Dienstes des Himmels, indem die Engel Gottes Seine Die­ner sind;

Jesum in der Höhe zur Rechten Gottes, und den Gläu­bigen, vom Geiste erfüllt und um Seinetwillen auf der Erde leidend, indem er die Herrlichkeit in der Höhe und den Sohn des Menschen in der Herrlichkeit erblickt; und endlich:

Jesum, den König der Könige und den Herrn der Herren, der hervorkommt, zu richten und Krieg zu führen mit den hochmütigen Menschen, die Seine Oberhoheit bestreiten und die Erde unterdrücken.

Kehren wir jedoch zum Ende unseres Kapitels zurück. Jesus, der gehorsame Mensch auf Erden, der als der gute Hirte durch die Tür eingeht, wird vom Vater Selbst an­erkannt als Sein geliebter Sohn, an welchem Er Sein gan­zes Wohlgefallen hat. Der Himmel öffnet sich Ihm; Er sieht den Heiligen Geist herniederkommen, um Ihn zu versiegeln ‑ die unfehlbare Kraft und Stütze der Voll­kommenheit Seines menschlichen Lebens; und zugleich hat Er des Vaters eigenes Zeugnis über das zwischen Ihnen bestehende Verhältnis. Kein Gegenstand wird Jesu dar­geboten, auf dem Sein Glaube ruhen sollte, wie dies bei uns der Fall ist; Sein eigenes Verhältnis mit dem Himmel und mit Seinem Vater ist es, welches besiegelt wird. Seine Seele erfreut sich dessen durch das Herniederkommen des Heiligen Geistes und die Stimme Seines Vaters.

Diese Stelle erfordert jedoch noch einige weitere Be­merkungen. Der hochgelobte Herr oder vielmehr das, was Ihm begegnete, zeigt uns die Stellung, in die Er die Gläubigen, ob Juden oder Heiden, versetzt; selbstredend werden wir nur durch die Erlösung in dieselbe gebracht. "Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott", so lauten Seine wunder­baren Worte nach Seiner Auferstehung. Der Himmel ist uns geöffnet; wir sind versiegelt mit dem Heiligen Geiste; der Vater erkennt uns als Söhne an. Nur wird die g5tt­liebe Würde der Person Christi stets sorgfältig gewahrt, hier in Niedrigkeit, wie auf dem Berge der Verklärung in Herrlichkeit. Mose und Elia sind in derselben Herr­lichkeit, aber sie verschwinden, wenn der Eifer des Petrus sie auf einen Boden mit dem Herrn stellen will. Je näher wir einer göttlichen Person sind, desto mehr werden wir anbeten und erkennen, was sie ist.

 

Doch es gibt hier noch eine andere sehr beachtenswerte Tatsache. Zum ersten Male wird hier, wo Christus die­sen Platz unter den Menschen in Niedrigkeit einnimmt, die Dreieinheit völlig geoffenbart. Ohne Zweifel, werden der Sohn und der Geist auch im Alten Testament erwähnt; aber dort ist die Einheit der Gottheit der Hauptgegen­stand der Offenbarung. Hier wird der Sohn in dem Men­schen anerkannt, der Heilige Geist kommt auf Ihn her­nieder, und der Vater erkennt Ihn als Seinen Sohn an. Welch eine wunderbare Verbindung mit dem Menschen! Welch ein Platz für den Menschen! Durch die Verbin­dung Christi mit dem Vater ist die Gottheit in ihrer Fülle geoffenbart; die Tatsache, daß Er ein Mensch ist, bringt ihre Entfaltung hervor. Er war wirklich ein Mensch, je­doch der Mensch, in welchem die Ratschlüsse Gottes be­treffs des Menschen ihre Erfüllung finden sollten.

Indem Er daher den Platz verwirklicht und enthüllt hat, in den der Mensch in Seiner eigenen Person versetzt ist, sowie unser Verhältnis zu Gott in den Ratschlüssen der Gnade betreffs unser, tritt Er, da wir mit dem Feinde im Kampfe liegen, ebenfalls in diese Seite unserer Stel­lung ein. Wir haben unsere Beziehungen zu Gott und zu unserem Vater, und wir haben auch mit Satan zu tun. Christus überwindet für uns und zeigt uns, wie man über­windet. Beachten wir auch, daß das Verhältnis zu Gott zuerst völlig klargestellt und ans Licht gebracht wird, und daß dann erst, in dieser Stellung, der Kampf mit Satan beginnt. So ist es auch bei uns. Die erste Frage war jedoch: Wird der zweite Adam da aufrecht bleiben, wo der erste gefallen ist?, und zwar mit dem Unterschiede, daß der zweite Adam sich, anstatt in den Segnungen Got­tes, in der Wüste dieser Welt und der Macht Satans be­fand; denn dahin waren wir gekommen.

Noch ein anderer Punkt ist zu beachten, um den Platz, den der Herr einnimmt, vollständig ans Licht zu stellen. Das Gesetz und die Propheten waren bis auf Johannes;

dann wird die neue Sache, das Reich der Himmel, ange­kündigt. Aber das Gericht macht ein Ende mit dem Volke Gottes; die Axt ist an die Wurzel der Bäume gelegt, die Worfschaufel ist in der Hand Dessen, der da kommt, der Weizen wird in die Scheune Gottes gesammelt und die Spreu verbrannt. Das heißt: die Geschichte des Vol­kes Gottes kommt zu einem Abschluß im Gericht. Wir treten auf den Schauplatz auf dem Boden des Verloren­seins, indem wir das Gericht gleichsam vorausnehmen; aber die Geschichte des Menschen in seiner Verantwort­lichkeit war beendet. Daher wird gesagt: Jetzt aber ist Er einmal in der Vollendung der Zeitalter geoffenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch Sein Opfer." Das ist äußerlich und buchstäblich dem Volke Israel ge­schehen, aber ;in sittlichem Sinne ist es auch für uns wahr; nur werden wir für den Himmel gesammelt (wie damals der Überrest) und werden im Himmel sein. Aber nach der Verwerfung Christi ist die Geschichte der Ver­antwortlichkeit vorüber, und wir werden eingeführt in Gnade, als schon Verlorene. Weil nun dies als nahe bevor­stehend angekündigt wurde, kommt Christus und berei­tet diese neue Stellung für den Menschen auf der Erde, indem Er Sich mit dem Überrest, der durch die Buße dem ,Gericht entgeht, einsmacht; indes konnten wir in dieser neuen Stellung erst sein, nachdem die Erlösung vollbracht war. Auch offenbarte der Herr den Namen des Vaters denen, die Er Ihm aus der Welt gegeben hatte.

 

Kapitel 4

 

Nachdem so Jesus in Gnade Seine Stellung als Mensch auf der Erde eingenommen hat, beginnt Er Seine irdische Laufbahn, indem Er von dem Geiste in die Wüste ge­führt wird, um von dem Teufel versucht zu werden. Er, der gerechte und heilige Mensch, der Sohn Gottes, im Ge­nuß der Vorrechte stehend, die einem solchen eigen sind, muß sich den Proben jener listigen Anläufe unterziehen, durch welche der erste Adam fiel. Sein geistlicher Zu­stand wird auf die Probe gestellt. Es ist hier nicht ein un­schuldiger Mensch, der sich im Genusse aller natürlichen Segnungen Gottes befindet, und der inmitten dieser Seg­nungen, die ihn an den Geber derselben hätten erinnern sollen, auf die Probe gestellt wird. Christus, der Gott nahe war als Sein geliebter Sohn, aber umgeben von Ver­suchungen ‑ Er, der die Erkenntnis des Guten und Bö­sen hatte und, was die äußeren Umstände betraf, inmitten des Zustandes des gefallenen Menschen erschienen war ‑mußte hinsichtlich Seiner Treue in dieser Stellung, d. i. zur Erweisung Seines vollkommenen Gehorsams, auf die äußerste Probe gestellt werden. Er durfte, um Sich in dieser Stellung behaupten zu können, keinen anderen Willen haben als den Seines Vaters und mußte diesen Willen erfüllen oder Sich ihm unterwerfen, was auch die Folgen für Ihn sein mochten. Er mußte ihn erfüllen inmitten all der Schwierigkeiten, der Entbehrungen, der Vereinsamung und der Wüste, wo die Macht Satans war ‑ alles Um­stände, die Ihn hätten bewegen können, einen leichteren Pfad zu wählen als den, der allein zur Verherrlichung Seines Vaters dienen würde. Er mußte auf alle Seiner Person gehörenden Rechte verzichten, es sei denn, daß Er sie von Gott empfing, indem Er sie Ihm mit vollkom­menem Vertrauen überließ

Der Feind tat Sein Äußerstes, um Christum zu bewe­gen, von Seinen Vorrechten ("wenn du Gottes Sohn bist") zu Seiner Erleichterung Gebrauch zu machen, ohne ein Gebot Gottes dafür zu haben und mit Umgehung der Leiden, welche die Erfüllung des Willens Gottes begleiten mochten. Aber das hieß Ihn verleiten, Seinen eigenen und nicht den Willen Gottes zu tun.

Jesus, in Seiner Person und Seinem Verhältnis zu Gott in dem Genuß der vollen Gunst Gottes als Sohn stehend und des Lichtes Seines Angesichts Sich erfreuend, begibt Sich vierzig Tage lang in die Wüste, um mit dem Feinde im Kampf zu liegen. Er entfernte Sich nicht von dem Menschen und von allem Verkehr mit dem Menschen und den Dingen des Menschen, um (wie Moses und Elias) bei Gott zu sein. Er war schon völlig bei Gott, und Er wurde von den Menschen durch die Macht des Heiligen Geistes abgesondert, um in Seinem Kampf mit dem Feinde allein zu sein. Bei Mose sehen wir den Menschen außerhalb sei­nes natürlichen Zustandes, um bei Gott zu sein, bei Jesu war dies der Fall, um bei dem Feinde zu sein; bei Gott zu sein war Seine natürliche Stellung.

Zunächst versucht der Feind Jesum dadurch, daß er Ihm vorschlägt, Seine leiblichen Bedürfnisse zu befriedi­gen und, anstatt auf Gott zu harren, nach Seinem eige­nen Willen und für Sich Selbst die Macht anzuwenden, mit der Er ausgerüstet war. Wenn aber Israel in der Wüste von Gott mit Manna gespeist worden war, so wollte der Sohn Gottes, wie groß auch Seine Macht sein mochte, demgemäß handeln, was Israel durch jenes Mittel hätte lernen sollen, nämlich, daß "der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern von jedem Worte, das durch den Mund Gottes ausgeht" (V. 4). Der Mensch, der gehorsame Jude, der Sohn Gottes, wartete auf dieses Wort und wollte nichts ohne dasselbe tun. Er war nicht gekommen, um Seinen Willen zu tun, sondern den Willen Dessen, der Ihn ge­sandt hatte. Das ist der Grundsatz, der in den Psalmen den Geist Christi kennzeichnet. Keine Befreiung wird ange­nommen, als nur die Dazwischenkunft Jehovas zu der Ihm wohlgefälligen Zeit. Das ist vollkommenes Ausharren, um vollkommen und vollendet zu sein in dem ganzen Willen Gottes. In Christo konnte keine sündige Lust sein. Hung­rig sein war keine Sünde, es war ein menschliches Be­dürfnis; und was konnte es schaden, zu essen, wenn Er hungrig war? Doch Gott hatte Seinen Willen in dieser Hinsicht nicht kundgetan, und diesen durch das Wort ausgedrückten Willen zu tun, war Christus gekommen.

 

Satans Einflüsterung lautete: "Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl"; aber Christus hatte den Platz eines Dieners eingenommen, und das bedeutete nicht "befehlen". Satan suchte den Herrn aus der Stellung eines vollkommenen Dienens und Gehorchens, von dem Platze eines Dieners wegzubringen.

Man beachte hier den Platz, den das geschriebene Wort einnimmt, und den Charakter des Gehorsams Christi. Die­ser Charakter besteht nicht nur darin, daß der Wille Gottes für Ihn eine Richtschnur ist, sondern daß der­selbe den einzigen Beweggrund zum Handeln bildet. Wir haben einen Willen, der oft durch das Wort im Zaum gehalten wird. Nicht so Christus. Der Wille Seines Vaters war Sein Beweggrund. Er handelte nicht nur in Übereinstimmung mit demselben, sondern weil es der Wille Gottes war. Wir sehen mit Freude, wenn ein Kind, das im Begriff steht, auf einen Gegenstand, den es gern hat, zuzulaufen, still steht und freudig den Willen seiner Eltern tut, sobald er ihm bekannt gegeben wird. Doch so gehorchte Christus nie; nie suchte Er Seinen eigenen Wil­len zu tun und wurde auf diesem Wege durch den Willen Seines Vaters aufgehalten. Und wir sind geheiligt zu dem Gehorsam Christi. Man beachte ferner, daß das ge­schriebene Wort es war, durch das Er lebte und über­wand. Alles hing hier von dem Siege Christi ab, wie einst alles von dem Falle Adams abhing. Doch für Christum genügte eine, natürlich richtig angewandte Stelle; Er suchte nach keiner anderen. Das ist Gehorsam. Sie ge­nügte auch für Satan; er fand keine Erwiderung. Seine listigen Anschläge waren somit vereitelt.

Die erste Bedingung des Sieges ist ein einfältiger und unbedingter Gehorsam, indem man von den Worten lebt, die aus dem Munde Gottes hervorgehen. Die zweite ist ein völliges Vertrauen auf dem Pfade des Gehorsams.

Dann führt der Feind Jesum auf die Zinne des Tem­pels, um Ihn zu bewegen, die dem Messias gemachten Verheißungen auf Sich anzuwenden, ohne in den Wegen Gottes zu bleiben. Sicherlich kann der treue Mensch, solange er auf den Wegen Gottes wandelt, auf die Hilfe Gottes rechnen; allein der Feind wollte, daß der Sohn des Menschen Gott auf die Probe stelle (anstatt auf Ihn zu rechnen, während Er auf Seinen Wegen wandelte), um zu sehen, ob man sich wirklich auf Ihn verlassen könne. Das aber würde nicht Gehorsam, sondern Man­gel an Vertrauen auf Gott oder Stolz, ein Sichverlassen auf seine Vorrechte gewesen sein, anstatt im Gehorsam auf Gott zu rechnen*. Indem der Herr Seinen Platz mit Israel in dem Zustand, worin es sich ohne König im Lande befand, einnimmt und die dem Volke im 5. Buche Mose zu seiner Leitung auf dem göttlichen Pfade ge­gebenen Vorschriften anführt, benutzt Er zu Seiner Lei­tung jenen Teil des Wortes, der die göttliche Unter­weisung über diesen Gegenstand enthält: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen", eine Stelle, die oft angeführt wird, als ob sie verbiete, in dem Vertrauen auf Gott zu weit zu gehen, während sie doch nur sagen will, daß man nicht Mißtrauen hegen und nicht Gott ‑"ersuchen soll, ob Er auch treu ist. Israel versuchte Gott, indem es sagte: Ist Gott wirklich unter uns? Und dazu wollte Satan den Herrn verleiten.

 

 

* Wir bedürfen Vertrauen, um Mut zum Gehorsam zu haben; doch wird wahres Vertrauen auf dem Pfade des Gehorsams ge­funden. Satan konnte zwar das Wort arglistig anwenden, aber nicht Christum, den Herrn, von demselben ablenken. Der Herr benutzt es wieder als die richtige göttliche Waffe, und Satan weiß wieder nichts zu antworten; hätte er den Gehorsam nicht gelten lassen, so würde er sich als Satan gezeigt haben. Was die Stellung betrifft, in der der Herr Sich befand in bezug auf die israelitische Haushaltung, so ist es beachtenswert, daß Er stets Stellen aus dem 5. Buche Mose anführt.

 

Nachdem es dem Feinde mißlungen ist, dieses ge­horsame Herz selbst dadurch zu täuschen, daß er sich hinter der Anwendung des Wortes Gottes verbirgt, zeigt er sich jetzt in seinem wahren Charakter. Er versucht den Herrn, Sich all die Leiden, die Seiner warteten, zu er­sparen, indem er Ihm das Erbe des Sohnes des Men­schen auf der Erde zeigt, das, was Ihm gehören sollte, wenn Er es durch all die schmerzlichen, aber für die Herrlichkeit des Vaters nötigen und Ihm vom Vater vorge­zeichneten Wege erlangt haben würde. Alles sollte sofort Sein Eigentum sein, wenn Er Satan dadurch anerkennen würde, daß Er ihn, den Gott dieser Erde, anbetete. Das hatten tatsächlich die Könige der Erde, selbst nur für einen Teil dieser Dinge, getan, ja, wie oft sogar nur für einen ganz wertlosen Schein! Er aber sollte das Ganze haben. Aber wenn Jesus die irdische Herrlichkeit (wie jede andere) erben sollte, so war das Ziel Seines Herzens Gott Selbst, Sein Vater, um Ihn zu verherrlichen. Wie wertvoll auch die Gabe sein mochte, so schätzte sie Sein Herz doch nur als die Gabe des Geber3. Außerdem befand Er Sich in der Stellung eines geprüften Menschen und eines treuen Israeliten; und wie groß auch die Ge­duldsprobe sein mochte, in welche die Sünde des Volkes Ihn gebracht hatte, so wollte Er doch niemand dienen als Seinem Gott allein.

Doch wenn der Teufel die Versuchung, die Sünde, bis zum Äußersten treibt und sich als der Widersacher (Satan) zeigt, so hat der Gläubige das Recht, ihn zurück­zuweisen. Wenn er als ein Versucher kommt, so soll er ihm antworten durch die Treue des Wortes Gottes, das nach dem Willen Gottes der vollkommene Führer des Menschen ist. Es ist nicht nötig, daß der Gläubige alles durchschaue. Das Wort ist das Wort Dessen, der dies tut, und wenn wir ihm folgen, so wandeln wir ent­sprechend einer Weisheit, die alles kennt, und auf einem Pfade, der durch diese Weisheit geordnet ist und der des­halb ein völliges Vertrauen auf Gott in sich schließt. Die zwei ersten Versuchungen waren listige Anschläge des Teufels, die dritte offene Feindschaft gegen Gott. Wenn Satan als der offenbare Widersacher Gottes auftritt, so hat der Gläubige ein Recht, nichts mit ihm zu schaffen zu haben. "Widerstehet dem Teufel, und er wird von euch fliehen." Er weiß dann, daß er Christo begegnet ist, nicht dem Fleische. 0 möchten die Gläubigen stets wider­stehen, wenn Satan sie durch die Welt versuchen will, indem sie daran denken, daß sie Satans Besitztum in dem gefallenen Menschen ist!

Das Bewahrungsmittel des Gläubigen in sittlicher Hin­sicht (d. h. betreffs seines Herzenszustandes) ist ein ein­fältiges Auge. Suche ich nur die Verherrlichung Gottes, so wird das, was nur meine eigene Erhebung oder meine leibliche oder geistige Befriedigung zum Beweggrunde hat, keine Gewalt über mich haben und wird sich im Lichte des Wortes Gottes, welches das einfältige Auge leitet, als den Gedanken Gottes entgegengesetzt erweisen. Das ist nicht etwa Hochmut, der die Versuchung auf Grund der eigenen Güte abweist, sondern es ist Gehorsam, der in Demut Gott Seinen Platz gibt und folglich auch Seinem Worte. "Durch das Wort deiner Lippen habe ich mich bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen", d. h. vor dem, der seinen eigenen Willen tut und diesen zu seinem Führer macht (Ps. 17, 4). Wenn das Herz nur Gott sucht, so wird die feinste Schlinge entdeckt; denn der Feind reizt uns nie an, Gott allein zu suchen. Je­doch setzt dies ein reines Herz voraus, und daß wir uns in keiner Weise selbst suchen. Das ist uns in Jesu ge­zeigt worden.

Unsere Schutzwaffe gegen die Versuchung ist das Wort Gottes, angewandt mittels der Unterscheidungskraft eines vollkommen reinen Herzens, das in der Gegenwart Got­tes* lebt und die Gedanken Gottes in Seinem Worte kennenlernt und deshalb fähig ist, es auf die gerade vorliegenden Umstände anzuwenden. Es ist das Wort Gottes, welches die Seele vor den Ränken des Feindes bewahrt; und in diesem Geist des einfältigen und demütigen Ge­horsams liegt deshalb die Kraft. Wo er vorhanden ist, ver­mag Satan nichts; Gott ist da, und folglich ist der Feind besiegt.

 

* Man darf keinen anderen Beweggrund zum Handeln haben als den Willen Gottes, der für den Menschen stets im Worte Gottes zu finden ist; ist dies der Fall, so wird, wenn Satan uns zu verleiten sucht (wie er es immer tut), aus einem anderen Beweggrund zu handeln, dieser Beweggrund als ein solcher er­kannt, der dem im Herzen wohnenden Wort und dem dasselbe leitenden Beweggrund entgegen ist, und er wird deshalb als sol­cher verurteilt. Es steht geschrieben. "in meinem Herzen habe ich dein Wort verwahrt, auf daß ich nicht wider dich sündigt" (Ps. 119, 11). Um dieser Ursache willen ist es oft so wichtig, wenn wir in Ungewißheit sind, uns zu fragen, durch welchen Beweggrund wir beeinflußt werden.

 

 

Es scheint mir, daß die drei Versuchungen an den Herrn herantraten in den drei Charakteren als Mensch, als Messias und als Sohn des Menschen.

Er hatte keine sündlichen Begierden wie der gefallene Mensch; aber Er hatte Hunger, und der Versucher wollte Ihn überreden, dieses Bedürfnis ohne Gott zu befriedigen.

Die Verheißungen in den Psalmen gehörten Ihm, da sie dem Messias gegeben waren.

Alle Reiche der Welt waren Sein als Sohn des Men­schen.

Stets antwortet Jesus als ein treuer Israelit, der Gott persönlich verantwortlich ist, indem Er Gebrauch macht von dem 5. Buche Mose, das von diesem Gegen­stande handelt, nämlich von dem Gehorsam Israels im Blick auf den Besitz des Landes, und von den Vorrechten, die dem Volke gehörten in Verbindung mit diesem Gehorsam, und zwar abgesehen von der Organisation, die Israel zu einer Körperschaft vor Gott machte*. Satan verläßt Jesum, und die Engel kommen, um ihren Dienst zu Gunsten des Messias, des durch Gehorsam siegreichen Sohnes des Menschen, auszuüben. Das, weswegen Er nach dem Willen Satans Gott versuchen sollte, wird Ihm jetzt in vollem Maße zuteil. Die Engel sind auch für uns dienstbare Geister.

 

* Eine sorgfältige Untersuchung der fünf Bücher Mose wird zeigen, daß, obgleich notwendige geschichtliche Tatsachen mit­geteilt werden, doch der Inhalt des 2., 3. und 4. Buches Mose wesentlich vorbildlich ist. Die Stiftshütte wurde nach dem auf dem Berge gezeigten Muster, dem Muster der himmlischen Dinge, ge­macht: und nicht nur die zeremoniellen Satzungen, sondern auch die geschichtlichen Tatsachen sind, wie der Apostel bestimmt erklärt, den Kindern Israel als Vorbilder widerfahren und zu unserer Er­mahnung niedergeschrieben worden (l. Kor. 10, 11). Das 5. Buch Mose gibt dem Volke Anweisungen für sein Verhalten im Lande. aber die Gegenstände in den drei genannten Büchern sind, selbst wenn es sich um geschichtliche Tatsachen handelt, vorbildlich. Ich weiß nicht, ob e i n Opfer dargebracht worden ist, nachdem sie eingesetzt waren, es seien denn vielleicht die amtlichen Opfer (Vergl. Apg. 7, 42).

 

Doch wie außerordentlich anziehend ist es zu sehen, wie der hochgelobte Herr, der Sohn Gottes, vom Himmel herniederkommt und als das fleischgewordene Wort Sei­nen Platz unter den armen Gottesfürchtigen auf der Erde einnimmt; und wie Er an diesem Platze von dem Vater als Sein Sohn anerkannt wird, indem der Himmel sich öffnet, und zwar sich Ihm als Mensch öffnet, und der Heilige Geist herniederkommt und auf Ihm, dem Men­schen, wiewohl ohne Maß, bleibt, und wie es sieh auf diese Weise zeigt, was unser Platz ist, obwohl wir noch nicht darin waren! Wie sich ferner die ganze Dreieinheit, wie bereits gesagt, zum ersten Male völlig offenbart, als Er so mit dem Menschen vereinigt war; und endlich, wie Er, weil wir Sklaven Satans waren, in diesem Charakter und in dieser Verbindung hinging, um Satan für uns entgegenzutreten, den Starken zu binden und auch dem Menschen diesen Platz zu geben! Nur mußte für uns die Versöhnung geschehen, um uns dahin zu bringen, wo Er ist.

Nachdem Johannes ins Gefängnis geworfen ist, be­gibt Sich der Herr nach Galiläa, und dieser Wechsel, der die Ausübung des Dienstes Jesu außerhalb Jerusalems und Judäas verlegte, war hinsichtlich der Juden von großer Bedeutung. Das jüdische Volk, soweit es in Jerusalem als Mittelpunkt versammelt war und sich des Besitzes der Verheißungen, der Opfer und des Tempels sowie des Vorrechtes, der königliche Stamm zu sein, rühmte, verliert die Gegenwart des Messias, des Sohnes Davids. Jesus begibt Sich, zur Offenbarung Seiner Per­son und zur Bezeugung der Dazwischenkunft Gottes in Israel, zu den Armen und Verachteten‑ der Herde; denn der Überrest und die Armen der Herde werden schon im 3. und 4. Kapitel deutlich von den Obersten des Volkes unterschieden. Er wird so in der Tat der wahre Wein­stock, anstatt ein Zweig von dem zu sein, was anderswo gepflanzt worden war (nämlich von. Israel nach dem Fleische), obwohl dieses Ergebnis noch nicht völlig ge­offenbart wurde. Der Augenblick entspricht dem 4. Ka­pitel des Evangeliums Johannes.

Die Bemerkung mag hier Platz finden, daß in dem Evangelium Johannes die Juden stets von der Volks­menge unterschieden werden. Die Sprache oder vielmehr die Aussprache beider war ganz verschieden; man sprach in Galiläa nicht chaldäisch.

, Die Offenbarung des Sohnes Davids in Galiläa war zugleich die Erfüllung einer Prophezeiung Jesajas, deren Bedeutung folgende ist: Obwohl die römische Unter­jochung viel schrecklicher war als die Einfälle der As­syrer, wenn sie gegen das Land Israel heraufzogen, so war doch jetzt etwas da, was alles veränderte, nämlich die Gegenwart des Messias, des wahren Lichtes, in dem Lande.

Der Geist Gottes übergeht hier die ganze Geschichte Jesu bis zum Beginn Seines Dienstes nach dem Tode Johannes' des Täufers. Er gibt Jesu Seine eigentliche Stellung in der Mitte Israels als Emmanuel, der Sohn Davids, der Geliebte Gottes, anerkannt als Sohn Gottes, als der Treue in Israel, obwohl allen Versuchungen des

Teufels ausgesetzt. Danach haben wir sogleich Seine durch Jesaja angekündigte prophetische Stellung und das als nahe bevorstehend verkündigte Reich*. Sodann sam­melt der Herr diejenigen um Sich, welche bestimmt waren, Ihm in Seinem Dienst und in Seinen Versuchungen zu folgen und, auf Seine Berufung hin, ihr Teil und ihr Los mit dem Seinigen zu verknüpfen, indem sie alles andere verließen.

Der Starke war gebunden, so daß Jesus ihn seines Hausrats berauben und das Reich mit den Beweisen jener Macht verkündigen konnte, die imstande war, es aufzu­richten.

 

Kapitel 5,6 u. 7

 

In der Erzählung des Evangeliums treten jetzt zwei Dinge in den Vordergrund. Das erste ist die Macht, welche die Verkündigung des Reiches begleitet, ‑ eine Tatsache, die in zwei oder drei Versen** und ohne be­sondere Einzelheiten angekündigt wird. Unter mächtigen Taten, die die Aufmerksamkeit des ganzen Landes, des ganzen alten Gebietes Israels auf sich ziehen, wird das Reich ausgerufen. Jesus erscheint vor Israel mit dieser Macht bekleidet. Zweitens wird der Charakter des Rei­ches, sowie der Charakter derer, die daran teilhaben soll­ten, in der Bergpredigt (Kap. 5‑7) dargelegt, indem zu­gleich der Name des Vaters geoffenbart wird.

 

* Es ist hier beachtenswert, daß Jesus, wie bereits bemerkt, die Juden und Jerusalem und auch Seinen sozusagen natürlichen Platz, der Ihm Seinen Namen gab ‑ Nazareth ‑ verläßt und Seinen prophetischen Platz einnimmt. Daß Johannes ins Ge­fängnis geworfen wurde, war ein Zeichen Seiner eigenen Ver­werfung. Johannes war hierin der Vorläufer des Herrn, wie er es auch in seiner Mission gewesen war (siehe Kap. 17, 12). Das Zeugnis Jesu ist dasselbe wie dasjenige Johannes' des Täufers.

** Der ganze Dienst des Herrn wird hier in einem einzigen Verse erzählt (Kap. 4, 23). Alle nachfolgenden Berichte enthalten Tatsachen, die eine besondere sittliche Bedeutung haben und uns zeigen, was in Gnade unter dem Volke bis zur Verwerfung des Herrn vorging, bilden aber nicht eine eigentliche fortlaufende Geschichte. Das bezeichnet sehr deutlich den Charakter des Evan­geliums Matthäus.

 

 

Es ist augenscheinlich, daß in diesem ganzen Teile des Evangeliums die Stellung des Herrn und nicht die Einzelheiten Seines Lebens der Gegenstand der Beleh­rung des Geistes ist. Die Einzelheiten kommen nachher, um völlig das zu zeigen, was Jesus inmitten Israels war: Seine Beziehungen zu diesem Volke und Seinen Wandel in der Kraft des Geistes, wodurch der Bruch zwischen dem Sohn‑ Davids und dem Volke, das Ihn hätte aufnehmen sollen, herbeigeführt wurde.

Als nun die Aufmerksamkeit der ganzen Gegend durch Seine mächtigen Taten angeregt war, belehrt der Herr Seine Jünger, und zwar vor den Ohren des Volkes, über die Grundsätze Seines Reiches. Diese Unterweisungen kann man in folgende Teile zerlegen:

1. der Charakter und das Teil derer, die in dem Reiche sein sollen (Kap. 5, 1‑12);

2. ihre Stellung in der Welt (Vers 13‑16);

3. die Verbindung zwischen den Grundsätzen des Rei­ches und dem Gesetz (Vers 17‑48) *;

4. die Gesinnung, in der die Jünger Jesu gute Werke verrichten sollten (Kap. 6, 1‑18);

5. die Trennung von dem Geist der Welt und ihren Sorgen (Vers 19‑34);

6. der Charakter der Beziehungen der Jünger Jesu zu anderen Menschen (Kap. 7, 1‑6);

 

* Es ist indes wichtig zu bemerken, daß wir hier keine all­gemeine Vergeistlichung des Gesetzes haben, wie oft behauptet wird. Es werden vielmehr die beiden Hauptgrundsätze der Sitten­losigkeit unter den Menschen (Gewalttat und böse Lust) behan­delt, welchen freiwillige Eidschwüre hinzugefügt sind. Die For­derungen des Gesetzes in bezug hierauf und das, was Christus fordert, werden einander gegenübergestellt.

 

7. das Vertrauen auf Gott, welches ihnen geziemte (Vers 7‑12);

8. die Energie, die sie an den Tag legen sollten, :um in das Reich einzugehen; doch nicht nur einzugehen ‑das würden manche zu tun versuchen ‑, sondern jenen Grundsätzen entsprechend einzugehen, die es für d= Menschen schwer machen: Gott gemäß, durch die enge Pforte. Sodann das Mittel, um die, welche sie zu täuschen suchen würden, zu erkennen, sowie die nötige Wach­samkeit, um sich nicht täuschen zu lassen (Vers 13‑23);

9. endlich der praktische und wirkliche Gehorsam gegenüber den Aussprüchen des Herrn, der wahren Weis­heit derer, die Seine Worte hören (Vers 24‑29).

Noch ein anderer Grundsatz kennzeichnet diese Unter­weisungen, nämlich die Einführung des Vaternamens. Jesus setzt Seine Jünger in Verbindung mit Seinem Vater als ihrem Vater. Er offenbart ihnen den Vaternamen, damit sie in Beziehung zu Ihm stehen und handeln möch­ten in Übereinstimmung mit dem, was Er ist.

Die obige Einteilung kann zu einer praktischen An­wendung der Bergpredigt behilflich sein. Hinsichtlich der in ihr enthaltenen Gegenstände könnte sie vielleicht, ob­wohl der Unterschied nicht sehr groß ist, noch besser in folgender Weise eingeteilt werden:

Kap. 5, 1‑16 enthält das vollkommene Bild Charakters und der Stellung des Überrestes, der die Unterweisungen des Herrn empfing ‑ einer Stellung, wie sie den Gedanken Gottes gemäß sein sollte. Dieser Teil ist in sich selbst vollständig.

Die Verse 17‑48 bestätigen die Autorität des Ge­setzes, das das Verhalten der Getreuen bis zur Einfüh­rung des Reiches hätte regeln sollen; des Gesetzes, das sie, geradeso wie die Worte der Propheten, hätten erfüllen sollen, um als ein Überrest auf diesen neuen Boden gestellt zu werden, während die Verachtung des­selben jeden Schuldigen, wer er auch war, vom Reiche ausschließen mußte. Denn Christus redet hier nicht als im Reiche befindlich, sondern indem Er es als nahe be­vorstehend ankündigt. Aber während Er in solcher Weise die Autorität des Gesetzes bestätigt, bespricht Er die bei­den Hauptelemente des Bösen, Gewalttat und Sitten­verderbnis, die im Gesetz nur als offenbare Taten behan­delt werden, und verurteilt das Böse in dem Herzen (V. 22 u. 28). Er will, daß man sich, was es auch kosten möge, von demselben und von jeder ‑Veranlassung dazu losmache, und zeigt so, was das Verhalten und der Seelen­zustand Seiner Jünger sein sollte; denn gerade das war es, was sie als solche kennzeichnen sollte.

Dann beschäftigt Sich der Herr mit gewissen Dingen, mit denen Gott in Israel Nachsicht gehabt hatte, und die demgemäß angeordnet worden waren, wie sie es damals zu ertragen vermochten. Diese Dinge werden jetzt in das Licht einer richtigen sittlichen Schätzung gerückt. Zu­nächst ist die Rede von der Ehescheidung, während doch die Ehe die von Gott angeordnete Grundlage aller mensch­lichen Beziehungen ist; dann vom Schwören oder vom feierlichen Geloben, der Tätigkeit des menschlichen Wil­lens in Beziehung zu Gott; dann von der Geduld dem Bösen gegenüber und von vollkommener Gnade, Seinem eigenen gesegneten Charakter, und in Verbindung damit von dem sittlichen Anrecht der Seinen auf das, was Sein lebendiger Platz war. Söhne ihres Vaters, der im Himmel war. Anstatt das zu schwächen, was Gott unter dem Ge­setz gefordert hatte, wollte der Herr es nicht nur bis zu seiner gänzlichen Erfüllung befolgt haben, sondern Seine Jünger sollten auch vollkommen sein, sogar wie ihr Vater im Himmel vollkommen war. Das fügte dem sittlichen Wandel und Zustand, der dem Charakter der Söhne, wie er sich in Christo offenbarte, angemessen war, die Offen­barung des Vaters hinzu.

Im 6. Kapitel haben wir die Beweggründe, den Gegenstand, wodurch das Herz im Gutestun, im Führen eines gottseligen Lebens geleitet werden sollte. Das Auge der Jünger sollte auf ihren Vater gerichtet sein. Das gilt dem einzelnen.

Das 7. Kapitel beschäftigt sich wesentlich mit dem ge­ziemenden Verhalten Seines Volkes anderen gegenüber: sie sollten ihre Brüder nicht richten und sich vor den Verächtern hüten. Dann ermahnt Er sie zum Vertrauen, wenn sie ihren Vater um das bitten würden, was sie bedürften, und belehrt sie, mit derselben Gnade, die sie von anderen sich selbst erwiesen sehen möchten, auch gegen andere zu handeln. Das gründet sich auf die Er­kenntnis der Güte des 'Vaters. Endlich ermahnt Er sie zu der Energie, die durch die enge Pforte eingehen und den Weg Gottes erwählen will, was es auch kosten möge (denn viele würden in das Reich einzugehen begehren, aber nicht durch jene Pforte); und Er warnt sie vor sol­chen, die unter dem Vorwande, das Wort Gottes zu haben sie zu verführen trachten würden; denn wir haben bei der Nachfolge des Herrn nicht nur unsere eigenen Her­zen und das wirklich Böse zu fürchten, sondern auch die List des Feindes und seiner Diener. Doch diese würden sich durch ihre Früchte verraten.

Die Bergpredigt entwickelt die Grundsätze des Rei­ches, setzt aber die Verwerfung des Königs voraus sowie die Stellung, in welche die Seinigen dadurch gebracht werden würden: sie mußten sich infolge jener Ver­werfung nach einer himmlischen Belohnung umsehen. Sie sollten da, wo Gott bekannt und wirksam war, ein gött­licher Geruch sein und würden der ganzen Weit als Schauspiel dienen. Zudem war das die Absicht Gottes. Ihr Bekenntnis sollte so offensichtlich sein, daß die Welt ihre Werke dem Vater zuschreiben würde. Einerseits soll­ten sie nach einem Urteil über das Böse handeln, wo­durch das Herz und die Beweggründe erreicht wurden, anderseits aber auch nach dem Charakter des Vaters in Gnade, um sich den Beifall des Vaters zu erwerben, der im Verborgenen sieht, wohin das Auge des Menschen nicht zu dringen vermag. Hinsichtlich aller ihrer Bedürfnisse sollten sie ihr volles Vertrauen auf Ihn setzen. Sein Wille war die Richtschnur, nach der man in das Reich einging.

Man wird bemerken, daß diese Rede mit der Ver­kündigung des Reiches als nahe bevorstehend in Verbin­dung steht, und daß alle hier angeführten Grundsätze des Verhaltens gegeben sind, um das Reich sowie die Be­dingungen des Eintritts in dasselbe zu kennzeichnen. Ohne Zweifel geht daraus hervor, daß die gegebenen Grund­sätze sich für diejenigen geziemen, welche in das Reich eingegangen sind; jedoch ist diese Rede inmitten von Israel* gehalten worden, bevor das Reich errichtet war, und um den Zustand zu bezeichnen, der zum Eintritt ins Reich verlangt wurde, sowie um die Fundamental‑Grund­sätze desselben, in. Verbindung mit diesem Volke und im Gegensatz zu den Vorstellungen, welche Israel sich dar­über gebildet hatte, ans Licht zu stellen.

 

* Wir müssen uns hierbei stets vergegenwärtigen, daß, obwohl Israel, was die Verwaltung der Zeiten betrifft, als Mittelpunkt der Regierung Gottes in dieser Welt von großer Wichtigkeit ist, es doch in sittlicher Beziehung gerade den Menschen darstellt, mit welchem die Wege und Handlungen Gottes ausgeführt worden waren, um zu zeigen, was der Mensch ist. Die Nationen oder Heiden stellten den Menschen dar, der (was die besonderen Wege Gottes betrifft) sich selbst überlassen und deshalb ungeoffenbart blieb. (Christus war ein Licht zur Offenbarung der Nationen.

 

Bei Betrachtung der Seligpreisungen finden wir, daß dieser Teil im allgemeinen den Charakter Christi Selbst darstellt. Sie setzen zwei Dinge voraus: die zukünftige Besitznahme des Landes Israel seitens der Sanftmütigen und die Verfolgung des treuen Überrestes, der, wirk­lich gerecht in seinen Wegen, die Rechte des wahren Kö­nigs behauptet, während ihm als Hoffnung und zur Aufrechthaltung des Herzens der Himmel vor Augen gestellt wird*. Dies wird die Stellung des Überrestes in den letz­ten Tagen vor der Einführung des Reiches sein; und es war in sittlichem Sinne der Fall in den Tagen der Jün­ger des Herrn in ihrem Verhältnis zu Israel, indem der irdische Teil des Reiches einstweilen hinausgezögert war. Was den Himmel betrifft, so werden die Jünger als Zeu­gen in Israel betrachtet; aber als das Salz der Erde, als das einzige Erhaltungsmittel derselben sind sie der Welt ein Zeugnis. Sie werden also als mit Israel in Ver­bindung stehend betrachtet, zu gleicher Zeit aber auch als Zeugen von seiten Gottes der Welt gegenüber, indem das Reich in Aussicht gestellt, aber noch nicht errichtet ist. Die Verbindung mit den letzten Tagen ist augen­scheinlich; dessenungeachtet hatte das Zeugnis der Jün­ger in jenen Tagen sittlich den soeben besprochenen Cha­rakter. Nur ist die Aufrichtung des irdischen Reiches einstweilen aufgeschoben und die Kirche, die himmlisch ist, eingeführt. In Kap. 5, 25 finden wir eine deutliche Anspielung auf die Stellung Israels in den Tagen Christi: Israel bleibt in der Tat im Gefängnis verwahrt, bis es seine volle Strafe erhalten hat, dann wird es herauskommen.

 

* Die seliggepriesenen Charakterzüge mögen hier kurz hervor­gehoben werden; sie setzen das Böse in der Welt und unter dem Volke Gottes vorhus. Der erste besteht darin, daß man nicht etwas Großes für sich selbst sucht, sondern sich mit einem ver­achteten Platz in einer Welt, die Gott entgegen ist, begnügt. Solche Personen kennzeichnet daher Trauer und Sanftmut, ein Wille, der sich nicht gegen Gott auflehnt oder seinen Platz und sein Recht zu behaupten sucht. Dann folgt das Herbeisehnen des wirklich Guten, denn es ist noch nicht vorhanden, daher bestehen der innere Zustand und die Tätigkeit des Herzens im Hungern und Dürsten danach. Dann haben wir Gnade anderen gegenüber: dann Reinheit des Herzens, die Abwesenheit von allem, wodurch Gott ausgeschlossen werden würde; und, was stets damit ver­bunden ist, Friedfertigkeit und Friedenstiften. Ich glaube, daß in diesen Versen ein innerer Fortschritt liegt, indem jeder die aus dem vorhergehenden sich ergebende Folge ist. Der Inhalt der beiden letzten Seligpreisungen ist die Folge der Bewahrung eines guten Gewissens und der Verbindung mit Christo in einer Welt des Bösen. Wir finden hier, wie im 1. Briefe Petri, zwei Arten von Leiden: Leiden um der Gerechtigkeit und Leiden um Christi willen.

 

 

Der Herr, angeregt und geleitet durch den Heiligen Geist, spricht und handelt stets als der gehorsame Mensch; aber man sieht in diesem Evangelium auf die schlagendste Weise, wer es ist, der *also handelt, und gerade dies ist es, was dem Reiche der Himmel seinen wah­ren, sittlichen Charakter verleiht.

Johannes der Täufer mochte das Reich als einen Wech­sel der Haushaltung ankündigen; aber sein Dienst war irdisch. Christus mochte ebenfalls denselben Wechsel an­kündigen (und dieser Wechsel war von großer Wichtig­keit); allein in Ihm gab es mehr als das. Er war vom Himmel, der Herr, der vom Himmel kam; und indem Er von dem Reiche der Himmel redete, sprach Er aus der tiefen und göttlichen Fülle Seines Herzens. Niemand war im Himmel gewesen außer Ihm, der von dort herab­gekommen war, dem Sohne des Menschen, der im Him­mel war. Wenn also Jesus vom Himmel sprach, so redete Er von dem, was Er wußte, und zeugte von dem, was Er gesehen hatte, und dies war, wie uns im Evangelium Matthäus gezeigt wird, auf zweierlei Art der Fall. Es war nicht mehr eine irdische Regierung nach dem Gesetz; Jehova, der Heiland, Emmanuel, war da. Hätte Er in Seinem Charakter, in der Gesinnung, in dem Wesen Sei­nes ganzen Lebens anders als himmlisch sein können? Mehr noch! Als Er Seinen öffentlichen Dienst antrat und von dem Heiligen Geiste versiegelt wurde, öffnete sich Ihm der Himmel; Er wurde als ein vom Heiligen Geiste auf Erden versiegelter Mensch mit dem Himmel eins­gemacht. So war Er der fortwährende Ausdruck des Gei­stes oder der Wirklichkeit des Himmels. Es war noch nicht die Ausübung der richterlichen Macht, die diesen Charakter allem gegenüber geltend machen wird, was sich ihr widersetzt. Es war die Offenbarung dieses Charakters in Geduld, ungeachtet des Widerstandes Seiner ganzen Umgebung und der Unfähigkeit Seiner Jünger, Ihn zu verstehen.

Wir finden daher in der Bergpredigt die Beschreibung dessen, was dem Reiche der Himmel angemessen war, und selbst die Zusicherung einer Belohnung im Himmel für die, welche auf Erden um Seinetwillen leiden wür­den. Diese Beschreibung ist, wie wir gesehen haben, wesentlich diejenige des Charakters Christi Selbst. In sol­cher Weise drückt sich eine himmlische Gesinnung auf Erden aus. Wenn der Herr diese Dinge lehrte, so ge­schah es, weil Er sie liebte, weil Er sie war und an ihnen Seine Freude fand. Als der Gott des Himmels, der als Mensch mit dem Heiligen Geiste ohne Maß er­füllt war, stand Sein Herz in vollkommenem Einklang mit einem Himmel, den Er vollkommen kannte. Deshalb schließt der Herr die Beschreibung des Charakters, den Seine Jünger tragen sollten, mit den Worten: "Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater voll­kommen ist" (Kap. 5, 48). Ihr ganzes Betragen sollte in Beziehung stehen zu ihrem Vater in den Himmeln.

Je mehr wir die göttliche Herrlichkeit Jesu verstehen, je mehr wir verstehen, in welcher Weise Er als Mensch in Verbindung mit dem Himmel war, desto besser werden wir zu erfassen vermögen, was das Reich der Himmel für Ihn war im Blick auf das, was demselben entsprach. Wenn es später in Macht errichtet sein wird, dann wird die Welt nach diesen Grundsätzen regiert werden, wie­wohl sie eigentlich nicht deren eigene Grundsätze sind. Indes wird, wie ich nicht bezweifle, der Überrest in den letzten Tagen, weil er alles um sich her mit der Treue im Widerspruch findet und jede jüdische Hoffnung vor seinen Augen schwinden sieht, gezwungen sein, aufwärts zu schauen, und wird mehr und mehr diesen Charakter erlangen, der, wenn nicht himmlisch, so doch wenigstens sehr viel mit Christo übereinstimmend ist*.

Es gibt zwei Dinge, die mit der Anwesenheit der Volksmenge (V. 1) in Verbindung stehen. Zunächst er­forderte der Augenblick, daß »der Herr einen wahren Begriff von dem Charakter Seines Reiches gab, weil Er jetzt schon die Menge anzog. Da Seine Macht sich fühl­bar machte, war es wichtig, Seihen Charakter bekannt zu machen. Anderseits war die Menge, die Jesu folgte, ein Fallstrick für die Jünger. Er läßt sie daher den völ­ligen Gegensatz verstehen, der zwischen dem Einfluß, den die Volksmenge auf sie ausüben konnte, und dem wah­ren Geiste bestand, der sie leiten sollte. Selbst voll des wahrhaft Guten, brachte Er unmittelbar das hervor, was Sein eigenes Herz erfüllte. Das war der wahre Cha­rakter des Überrestes, der hierin im Grunde Christo ähn­lich war. Es ist häufig so in den Psalmen.

 

 

* Diejenigen, welche getötet werden, werden in den Himmel geben, wie es Matthäus (Kap. 5, 12) und Johannes in der Offen­barung bezeugen; die anderen, die Christo, als einem leidenden Juden, in der oben angedeuteten Weise gleichgemacht werden sollen, werden mit Ihm auf dem Berge Zion stehen; sie werden das Lied lernen, das im Himmel gesungen wird, und dem Lamme folgen, wohin irgend es (auf der Erde) geht.

Wir mögen hier auch noch beachten, daß in den Selig­preisungen den Sanftmütigen der Besitz der Erde verheißen wird (Kap. 5, 5); diese Verheißung wird in den letzten Tagen buch­stäblich in Erfüllung gehen. In Kap. 5, 12 wird denen, die um Christi willen leiden, eine Belohnung in den Himmeln zugesagt, ‑ eine Zusage, die jetzt uns und in gewissem Sinne auch denen gilt, die in den letzten Tagen um Seinetwillen den Tod finden Lind, obwohl sie dem jüdischen Überrest und nicht der Versamm­lung angehören, ihren Platz droben haben werden. Denselben s.nen begegnen wir auch in Dan. 7, 25; nur ist dort zu beachten, daß nicht die Heiligen, sondern die Zeiten und Gesetze in die Hände des Tieres gegeben sein werden.

 

Der Herr sagt zu den Seinigen: "Ihr seid das Salz der Erde"; und: "Ihr seid das Licht der Welt" (Kap. 5, 13. 14). Das Salz der Erde ist etwas anderes als das Licht der Welt. Die Erde scheint mir hier das auszu­drücken, was bekannte, schon Licht von Gott empfangen zu haben ‑ das, was kraft dieses Lichtes in Beziehung zu Ihm stand und vor Ihm eine bestimmte Gestalt an­genommen hatte. Die Jünger Christi waren das erhaltende Element der Erde; aber sie waren auch das Licht der Welt, die dieses Licht nicht besaß. Das war ihre Stel­lung, ob sie wollten oder nicht. Es war die Absicht Got­tes, daß sie das Licht der Welt sein sollten; und man zündet nicht ein Licht an, um es zu verbergen.

Alles das setzt die Möglichkeit der Aufrichtung des Reiches in dieser Welt voraus, aber auch den Wider­spruch der Mehrzahl der Menschen gegen diese Aufrich­tung. Es handelt sich nicht um die Erlösung des Sün­ders, sondern um die Verwirklichung des Charakters, der einem Platz im Reiche Gottes angemessen war; um das, was der Sünder suchen sollte, solange er sich noch mit seiner Gegenpartei auf dem Wege befand, damit er nicht dem Richter überliefert würde. Dies letztere ist tatsäch­lich mit Israel geschehen.

Zugleich werden die Jünger persönlich in Verbindung mit dem Vater gebracht ‑ der zweite Hauptgrundsatz der Bergpredigt, die Folge der Anwesenheit des Sohnes ‑und noch etwas Köstlicheres, als ihre Stellung des Zeug­nisses für das Reich, wird ihnen vorgestellt. Gleich ihrem Vater sollten sie in Gnade handeln, und sie sollten beten um eine Ordnung der Dinge, in der in sittlichem Sinne alles dem Charakter und Willen ihres Vaters entspre­chen würde. "Geheiligt werde dein Name; dein Reich* komme", d. h. alles möge dem Charakter des Vaters ent­sprechen, alles die Wirkung Seiner Macht sein. "Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden"; das ist vollkommener Gehorsam (Kap. 6, 9. 10).

 

* d. h. das Reich des Vaters (vgl. Matth. 13, 43).

 

Eine allgemeine Unterwerfung im Himmel und auf Erden unter Gott wird durch die Dazwischenkunft Christi im Tausend­jährigen Reiche bis zu einem gewissen Punkt herbei­geführt werden; vollkommen wird sie da sein, wenn Gott alles in allem ist. Inzwischen drückt das Gebet die täg­liche Abhängigkeit aus, das Bedürfnis der Vergebung, das Bedürfnis, vor der Macht des Feindes bewahrt zu werden, den Wunsch, nicht von ihm, als Gottes Schik­kung (wie Hiob und Petrus) gesichtet, sondern von dem Bösen errettet zu werden.

Dieses Gebet ist auch der Stellung des Überrestes an­gepaßt; es übergeht die Haushaltung des Geistes und selbst dasjenige, was dem Tausendjährigen Reiche als einem irdischen Reiche eigentümlich ist, um die richtigen Wünsche auszudrücken und von dem Zustand und den Ge­fahren des Überrestes bis zur Ankunft des Reiches des Vaters zu sprechen. Viele der in diesem Gebet enthal­tenen Grundsätze sind immer wahr, denn wir befinden uns in dem Reiche und sollen im Geiste seine Charakter­züge offenbaren; allein die besondere und buchstäbliche Anwendung ist die eben angegebene. Die Jünger werden mit dem Vater in Verbindung gebracht in der Verwirk­lichung Seines Charakters, der sich kraft dieser Verbin­dung in ihnen entfalten und sie veranlassen sollte, die Aufrichtung Seines Reiches herbeizuwünschen, die Schwie­rigkeiten einer feindlichen Welt zu überwinden, vor den Ränken des Feindes sich zu hüten und den Willen des Vaters zu vollbringen. Es war Jesus, der ihnen dieses mitteilen konnte. Er geht deshalb von dem Gesetz*, das als von Gott gekommen anerkannt wird, zur Erfüllung desselben über, wenn es sozusagen in dem Willen Dessen, der es gegeben hat, aufgegangen oder in seinen Absichten durch Den erfüllt sein wird, Der es allein und in jeg­lichem Sinne zu erfüllen vermochte.

 

* Das Gesetz ist die vollkommene Richtschnur für ein Kind Adams, die Richtschnur oder der Maßstab dessen, was der Mensch sein sollte, nicht aber der Offenbarung Gottes in Gnade. Das war Christus, Der hierin unser Muster ist. Das Gesetz ist eine gerechte Aufforderung, Gott zu lieben und in Erfüllung der Pflichten gegen andere zu wandeln, nicht aber ein Nachahmen Gottes, indem man in Liebe wandelt, "gleichwie der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat".

 

 

Kapitel 8

 

Jetzt beginnt der Herr in der Mitte Israels Sein ge­duldiges Leben des Zeugnisses, das mit Seiner Ver­werfung durch das Volk, das Gott so lange für Ihn und für dessen eigene Segnung aufbewahrt hatte, endigte. Er hatte das Reich angekündigt, hatte im ganzen Lande Seine Macht ans Licht gestellt und Seinen Charakter sowie die Gesinnung derer gezeigt, die in das Reich eingehen sollten.

Sowohl die Wunder* Jesu, als auch dieses ganze Evangelium werden stets durch Seine Stellung unter den Juden sowie durch die Handlungen Gottes mit ihnen bis zu Seiner Verwerfung gekennzeichnet.

 

* Die Wunder Christi hatten einen besonderen Charakter. Sie waren nicht einfach Betätigungen der Macht, sondern sämtlich Handlungen der Macht Gottes, der in Güte diese Welt besuchte. Die Macht Gottes hatte sich oft auf besondere Weise gezeigt, von Moses an, aber häufig im Gericht. Die Wunder Christi dagegen dienten alle der Befreiung der Menschen von den bösen Folgen der Sünde. Es gab indes e i n e Ausnahme, nämlich die Verfluchung des Feigenbaums; doch diese war eine richterliche Verurteilung Israels oder des Menschen unter dem Alten Bunde, als sich zwar viel äußerer Schein, aber keine Frucht vorfand.

 

Er ist Jehova' jedoch der dem Gesetz gehorsame Mensch, der den Ein­tritt der Leiden in das Reich (und dessen Errichtung als ein Geheimnis in der Welt) im voraus ankündigt, der die Erbauung der Kirche oder der Versammlung auf die An­erkennung hin, daß Er der Sohn des lebendigen Gottes sei, sowie die Errichtung des Reiches in Herrlichkeit vor­aussagt, und als Wirkung Seiner Gegenwart die Ver­derbtheit des Volkes ans Licht stellt, wiewohl Er mit vollkommener Geduld die Last Israels auf Seinem Her­zen trägt*. Er ist Jehova, in Güte gegenwärtig, äußerlich einer von ihnen ‑ wunderbare Wahrheit!

 

* Ich möchte hier noch einige Bemerkungen hinzufügen, die, wie ich denke, weiteres Licht auf> den Zusammenhang dieses Evangeliums werfen. Die Kapitel 5‑7 geben den Charakter an, der zum Eintritt in das Reich erforderlich ist und der den an­genommenen Überrest kennzeichnen sollte, da Jehova mit der Nation auf dem Wege zum Richter war. In Kap. 8 u. 9 haben wir die andere Seite: Gnade und Güte treten hervor, Gott ist ge­offenbart, Sein Charakter und Seine Handlungen ‑ jener neue Wein, der nicht in die alten Schläuche getan werden durfte, doch es ist Güte, geoffenbart in Macht, aber sie wird verworfen, der Sohn des Menschen (nicht der Messias), der nicht hatte, wohin Er Sein Haupt legen konnte. Kap. 8 zeigt eine gegen­wärtige Dazwischenkunft durch zeitliche Güte, verbunden mit Macht. Sie geht als Güte über Israel hinaus, indem sie in Gnade handelt mit dem, was von dem Lager Gottes ausgeschlos­sen war; sie zeigt eine Macht, die über aller Gewalt Satans, über jeder Krankheit und über den Elementen steht, und zwar indem Jesus die Last auf Sich nimmt, obwohl Er Sich Seiner Verwer­fung bewußt ist. Kap. 8, 17‑20 erinnert uns an Jes. 53, 3. 4. Der Zustand der Dinge fordert die entschiedene Nachfolge des Herrn, indem man alles verläßt. Dies führt zu dem traurigen Zeugnis, daß, wenn die göttliche Macht diejenige Satans aus­treibt, die also sich offenbarende göttliche Gegenwart der Welt unerträglich ist. Die Schweine stellen daraufhin Israel dar. Kap. 9 zeigt die religiöse Seite Seiner Gegenwart, in Gnade und Ver­gebung, sowie das Zeugnis, daß Jehova gegenwärtig war nach Ps. 103, aber gegenwärtig, um Sünder zu rufen und nicht Ge­rechte; und das war es insonderheit, was für die alten Schläuche nicht paßte. Endlich beschließt dieses Kapitel (die Langmut der Güte ausgenommen) in praktischem Sinne die Geschichte Israels. Der Herr kam, um das Leben Israels zu retten. Es war wirklich tot, als Er kam; doch wo inmitten der Ihn umgeben­den Menge Glauben war, da war auch Heilung. Bei den Phari­säern zeigen sich die Lästerungen der Leiter des Volkes; doch die Geduld der Gnade bestand noch, und sie wird in Kap. 10 gegen Israel ausgeübt: aber alles erwies sich als nutzlos (Kap. 11). Der Sohn offenbarte den Vater, und dies bleibt und gibt Ruhe. Kap. 12 enthüllt völlig das Gericht und die Verwerfung Israels. Kap. 13 führt Christum als Säemann ein, indem Er nicht länger Frucht sucht an Seinem Weinstock, und zeigt zugleich die jetzige Form des Reiches der Himmel.

Zunächst finden wir die Heilung eines Aussätzigen. Jehova allein konnte in Seiner unumschränkten Güte den Aussätzigen heilen. Hier tut es Jesus. "Wenn du willst", sagt der Aussätzige, "kannst du." ‑ "Ich will", ant­wortet der Herr; und während Er in Seiner Person das offenbart, was alle Möglichkeit der Verunreinigung aus­schließt, das, was über die Sünde erhaben ist, legt Er zugleich die vollkommenste Herablassung gegen den Ver­unreinigten an den Tag. Er rührt den Aussätzigen an und sagt: "Ich will, sei gereinigt!" (V. 3). Wir sehen also, wie in der Person Jesu die Gnade, Macht und un­befleckbare Heiligkeit Jehovas in die unmittelbarste Nähe des Sünders herabsteigen und ihn gleichsam anrühren. Es war wirklich "Jehova, der dich heilt"* (2. Mose 15, 26). Zugleich verbirgt Sich Jesus und gebietet dem soeben Geheilten, nach der Anordnung des Gesetzes zu dem Prie­ster zu gehen und seine Gabe zu opfern. Er geht über den Platz eines dem Gesetz unterworfenen Juden nicht hinaus; aber Jehova war in Güte gegenwärtig.

 

 

* Wer einen Aussätzigen anrührte, wurde selbst unrein; aber der Hochgelobte naht dem Menschen, nimmt seine Unreinigkeit hinweg, ohne Selbst davon befleckt zu werden. Der Aussätzige kannte die Macht Jesu, aber er war nicht Seiner Güte gewiß. Die Worte: "Ich will!" offenbarten dieselbe; aber der Herr sprach sie mit einem Recht, mit dem nur Gott sagen kann: ..Ich will."

 

In den nächsten Versen erblicken wir einen Heiden, der durch den Glauben die volle Wirkung jener Macht genießt, die sein Glaube Jesu zuschreibt, indem er so dem Herrn Gelegenheit gibt, die ernste Wahrheit ans Licht treten zu lassen, daß viele dieser armen Heiden ins Reich der Himmel eingehen und zu Tische liegen würden mit den Vätern, die von der jüdischen Nation als die Stamm­väter der Erben der Verheißung geehrt wurden, während sieh die Kinder des Reiches in der äußersten Finsternis befinden würden. In der Tat erkannte der Glaube dieses Hauptmanns eine göttliche Macht in Jesu an ‑ eine Macht, die durch die Herrlichkeit Dessen, der sie besaß, Israel zwar nicht verlassen, aber den Heiden die Tür öffnen und in den Ölbaum der Verheißung Zweige des wilden Ölbaumes einpfropfen werde an Stelle derjenigen, welche ausgeschnitten werden sollten. Die Art und Weise, in welcher diese Dinge in der Kirche ihre Erfüllung fin­den sollten, kam noch nicht in Frage. Noch verläßt Jesus Israel nicht. Er geht in das Haus des Petrus und heilt dessen Schwiegermutter sowie alle Kranken, die sich am Abend, als der Sabbat zu Ende war, um das Haus drängten. Sie werden geheilt, die Dämonen werden aus­getrieben, so daß sich die Weissagung von Jesajas er­füllte: „Fürwahr, er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen" (Jes. 53, 4). Jesus stellt Sich von ganzem Herzen unter die Last all des Elends, das Israel niederdrückte, um es zu lindern und sie zu heilen. Es ist noch Emmanuel, der ihr Elend fühlt und in all ihrer Bedrängnis bedrängt ist (Jes. 63, 9), der aber mit der Macht gekommen ist, die Ihn zu ihrer Befreiung fähig erweist.

                Die drei soeben besprochenen Heilungen zeigen in klarer und treffender Weise diesen Charakter des Dienstes Jesu. Er verbirgt Sich, denn bis zu dem Augenblick, da Er den Heiden das Gericht ankündigen wird, erhebt Er Seine Stimme nicht auf den Straßen: die Taube ruht auf Ihm. Diese Offenbarungen der Macht ziehen die Menschen zu Ihm hin, aber Er läßt Sieb dadurch nicht beirren, nie entfernt Er Sich in Seinem Geiste von dem Platze, den Er eingenommen hat. Er ist der von den Menschen Verachtete und Verworfene; Er hat nicht, wo Er Sein Haupt hinlege. Die Erde hatte mehr Raum für die Füchse und die Vögel als für Den, welchen wir vor wenigen Augenblicken als Jehova erscheinen sahen, und Der wenigstens von denen anerkannt wurde, deren Bedürfnisse zu befriedigen Er Sich niemals weigerte. Darum, wenn irgendein Mensch Ihm nachfolgen wollte, mußte er alles verlassen, um den Herrn zu begleiten, Der nicht auf die Erde gekommen wäre, wenn nicht alles in Frage gestanden hätte, und Der nicht gekommen wäre, ohne ein unbedingtes Recht dazu zu haben, obschon dies zugleich in einer Liebe geschah '. die nur mit ihrer Mission und mit der Not, die Ihn auf diese Erde brachte, be­schäftigt sein konnte.

Jehova auf Erden war alles oder nichts. Freilich mußte dies innerlich in seinen Wirkungen gefühlt werden durch die Gnade, die, mittelst des Glaubens wirkend, den Gläubigen durch ein unauflösliches Band an Ihn knüpfte. Ohne das würde das Herz nicht auf die Probe gestellt worden sein; aber nichtsdestoweniger war es Tatsache, daß Er sogar persönlich unter ihnen war. Die Beweise davon mangelten nicht. Der Wind und die Meereswogen, denen der Herr nach menschlichen Begriffen ausgesetzt zu sein schien, gehorchten augenblicklich Seiner Stimme ‑ ein schlagender Tadel für den Unglauben, der Ihn aus dem Schlafe aufweckte und der es für möglich hielt, daß Er von den Wellen (verschlungen werden könnte, und mit Ihm die Ratschlüsse und die Macht Dessen, der Wind und Wellen erschaffen hat. Augenscheinlich wurde dieser Sturm zugelassen, um den Glauben der Jünger auf die Probe zu stellen und die ‑ Würde der Person des Herrn hervortreten zu lassen. War der Feind das Werk­zeug, um den Sturm hervorzubringen, so hatte sein Tun doch keinen anderen Erfolg, als daß der Herr Seine Herr­lichkeit offenbarte. Das ist allerdings immer der Fall im Blick auf Christum, und auch auf uns, wenn Glaube vorhanden ist.

Die Wirklichkeit dieser Macht nun und die Art, in der sie sich kundgab, gehen in auffallender Weise aus dem Folgenden hervor (V. 28 u. f.).

Der Herr steigt in der Gegend der Gergesener ans Land. Dort zeigt sich die Macht des Feindes mit allen ihren Schrecken. Wenn der Mensch, zu dem Jehova in Gnade gekommen war, Ihn nicht kannte, so kannten doch die Dämonen ihren Richter in der Person des Sohnes Gottes. Der Mensch war von ihnen besessen. Die Furcht derselben vor den Qualen des Gerichts am letzten Tage verbindet sich in den Gedanken des Besessenen mit der unmittelbaren Gegenwart des Herrn: "Bist du hierher gekommen, vor der Zeit uns zu quälen?" Die bösen Geister wirken durch die Schrecken ihrer Macht auf den Menschen. Sie sind ohnmächtig, wenn man sie nicht fürchtet, aber nur der Glaube kann diese Furcht von dem Menschen wegnehmen. Ich rede jetzt nicht von den Lüsten, auf welche die bösen Geister wirken, noch von der List des Feindes, sondern von seiner Macht. "Widerstehet dem Teufel, und er wird von euch fliehen." Hier begehren die Dämonen die Wirklichkeit dieser Macht zu offen­baren, und der Herr läßt es ihnen zu, um so kundwerden zu lassen, daß es sich in dieser Welt nicht bloß um den Menschen handelt, er sei gut oder böse, sondern auch um das, was stärker ist als der Mensch. Die Dämonen fahren in die Schweine, und diese kommen in dem Ge­wässer um ‑ eine traurige Tatsache, die klar bewies, daß es sich weder um bloße Krankheit, noch um sündliche Lüste handelte, sondern um böse Geister; aber auch, Gott' sei dafür gepriesen! um Einen, der, obwohl ein Mensch auf Erden, mächtiger war als sie. Sie werden gezwun­gen, diese Macht anzuerkennen, und sie berufen sich auf dieselbe. Da ist kein Gedanke an Widerstand. In der Versuchung in der Wüste war Satan überwunden wor­den. Jesus befreit gänzlich den Menschen, den sie mit ihrer bösen Macht überwältigt hatten. Vor Ihm war die Macht der Dämonen nichts. Er hätte die Welt von der ganzen Macht des Feindes und von allem Elend der Menschheit befreien können, wenn es sich darum allein gehandelt hätte. Der Starke war gebunden und der 11err beraubte ihn seiner Habe. Aber die Gegenwart Gottes, Jehovas, belästigt die Welt noch mehr als die Macht des Feindes den Geist und den Leib entwürdigt und beherrscht. Die friedliche und leider zu wenig be­achtete Herrschaft des Feindes über das Herz ist mäch­tiger als seine Stärke. Diese weicht vor dem Worte Jesu; aber der Wille des Menschen fügt sich in die Welt, so wie sie ist, beherrscht durch den Einfluß Satans. Die Einwohner der Stadt, welche Zeugen der Befreiung des Besessenen und der in ihrer Mitte anwesenden Macht Jesu gewesen waren, bitten Ihn, Sich, zu entfernen. Trau­rige Geschichte der Welt! Der Herr ist mit Macht her­niedergekommen, um die Welt, den Menschen, von der ganzen Gewalt des Feindes zu befreien; aber die Welt hat nicht gewollt. Der Mensch war nicht nur ein Sklave der Macht des Feindes, sondern auch innerlich von Gott entfernt. Er unterwarf sich dem Joch des Feindes; er hatte sich daran gewöhnt und wollte nicht die Gegen­wart Gottes.

Ich zweifle nicht daran, daß das, was mit den Schwei­nen geschah, ein Bild von dem ist, was den gottlosen und gotteslästerlichen Juden widerfahren ist, die den Herrn Jesum verwarfen. Nichts könnte eindrucksvoller sein als die Art und Weise, wie eine göttliche Person, Emmanuel, obwohl ein Mensch in Gnade, in unserem Kapitel dargestellt ist.

 

Kapitel 9

 

In diesem Kapitel handelt der Herr in dem Charakter und der Macht Jehovas nach den Worten des 103. Psal­mes: "Der da vergibt alle deine Ungerechtigkeit, der da heilt alle deine Krankheiten." Die an Israel und für sie tätige Gnade, in der Er kam, ist es, die hier an und für sich dargestellt wird. Offenbarte das vorhergehende Ka­pitel die Würde Seiner Person das, was Er war, so macht uns dieses mit dem Charakter Seines Dienstes bekannt.

 

Er stellt sich Israel vor als sein wahrer Erlöser und Be­freier. Zur Erweisung Seines Rechts (dem der Unglaube sich schon widersetzte), diese Segnung für Israel zu sein und ihm alle seine Ungerechtigkeiten zu vergeben, die eine Scheidewand zwischen Israel und seinem Gott bil­deten, erfüllt Er den zweiten Teil des aus Psalm 103 'an­geführten Verses und "heilt die Krankheiten". Schönes und köstliches Zeugnis von der Güte gegen Israel, und zu ‑gleich ein Beweis der Herrlichkeit Dessen, der Sich in der Mitte Seines Volkes befand! In demselben Geist, in wel­chem der Herr vergeben und geheilt hatte, ruft Er den Zöllner und kehrt in dessen Haus ein; denn Er war nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

Wir kommen jetzt zu einem anderen Teil der Be­lehrung in diesem Evangelium, nämlich zu der Entwick­lung des Widerstandes der Ungläubigen, besonders der gelehrten und der religiösen Menschen, sowie der Ver­werfung des Werkes und der Person des Herrn.

Die Idee, die bildliche Darstellung dessen, was sich ereignete, ist uns bereits in der Geschichte des besessenen Gergeseners vor Augen gestellt worden: die Macht Gottes, gegenwärtig, um Sein Volk und die Welt (wenn man Ihn aufgenommen hätte) gänzlich zu befreien, wurde von den Dämonen als diejenige anerkannt, die sie spätel. richten und austreiben würde, und während sie allen Be­wohnern jener Gegend sich in Segnung offenbarte, wurde sie von ihnen verworfen, weil sie nicht wünschten, daß eine solche Macht unter ihnen wohne; sie wollten nicht die Gegenwart Gottes.

Mit dem 9. Kapitel beginnt nun die Mitteilung der Einzelheiten und des Charakters dieser Verwerfung.

Beachten wir, daß Kap. 8, 1‑27 die Offenbarung der Macht des Herrn schildert als der wirklichen Macht Jehovas auf Erden; und daß uns von Vers 28 an die Aufnahme, die diese Macht in der Welt fand, sowie der Einfluß gezeigt wird, der diese Welt beherrschte, sei als Macht, sei es innerlich in den Herzen der Men­schen.

Wir kommen also in Kapitel 9 zu der geschichtlichen Entwicklung der Verwerfung dieser Dazwischenkunft Gottes auf Erden. Die Menge, welche die Wirkung der Worte Jesu auf den Gichtbrüchigen sieht, verherrlicht Gott, der solche Macht einem Menschen gegeben hatte. Jesus nimmt diesen Platz an. Er war Mensch; die Menge sah Ihn als solchen und erkannte die Macht Gottes an, ohne jedoch diese beiden Begriffe in der Person Jesu vereinigen zu können.

Die Gnade, die die Ansprüche des Menschen‑ auf Ge­rechtigkeit verachtet, wird jetzt ans Licht gestellt: Mat­thäus, der Zöllner, wird berufen; denn Gott sieht das Herz an, und die Gnade beruft die auserwählten Gefäße. Der Herr kündigt die Gedanken Gottes in dieser Hinsicht sowie Seine eigene Sendung an (V. 13). Er ist gekommen, Sünder zu rufen; Er wollte Barmherzigkeit. Es war Gott in Gnade, und nicht der Mensch mit seiner vermeintlichen Gerechtigkeit, der Sich auf seine Verdienste stützt.

Dann bezeichnet der Herr zwei Gründe, die es un­möglich machten, Seinen Weg mit den Forderungen der Pharisäer in Übereinstimmung zu bringen. Wie konnten die Jünger fasten, während der Bräutigam da war? Wenn der Messias weggegangen war, dann mochten sie es tun. Auch war es unmöglich, die neuen Grundsätze und die neue Kraft Seiner Sendung in die alten pharisäischen For­men einzuführen.

So zeigt sich uns die Gnade den Sündern gegenüber; aber da die Gnade verworfen wird, kommt jetzt sofort ein höherer Beweis davon, daß der Messias, Jehova, da war, und zwar in Gnade. Gebeten, ein junges Mädchen von ihrem Totenbett wieder aufzurichten, folgt Jesus der Aufforderung, und auf diesem Wege wird ein armes Weib, das bereits alle Heilmittel erfolglos angewandt hatte, durch das gläubige Berühren des Saumes Seines Kleides augenblicklich geheilt.

Diese Geschichte zeigt uns die beiden Gesichtspunkte, unter welchen die in Jesu geoffenbarte Gnade erschienen war. Christus kam, um das tote Israel aufzuerwecken, Er wird das später in der vollen Bedeutung des Wortes tun. Wer inzwischen aus der Mitte der Ihn begleiten­den Menge Christum im Glauben anrührte, wurde geheilt, mochte der Fall auch noch so hoffnungslos sein. Was in Israel damals geschah, als Jesus gegenwärtig war, ist dem Grundsatz nach auch für uns wahr. Die Gnade in Jesu ist eine Macht, die von den Toten auferweckt und welche heilt. So öffnete Er die Augen derer in Israel, die Ihn als den Sohn Davids anerkannten und die an Seine Macht, ihren Bedürfnissen begegnen zu kön­nen, glaubten. Er trieb Dämonen aus und gab Stummen die Sprache wieder (V. 27 u. f.).

Doch als Jesus diese Wunderwerke in Israel vollbracht hatte, so daß das Volk Ihn deswegen mit Bewunderung anerkannte, schrieben die Pharisäer, der religiöseste Teil der Nation, diese Macht dem Obersten der Dämonen zu. Das war die Wirkung der Gegenwart des Herrn auf die Leiter des Volkes, die eifersüchtig waren auf die also ge­offenbarte Herrlichkeit Jesu inmitten derer, über die sie ihren Einfluß ausübten. Allein dieser Widerstand hemmt Jesum keineswegs auf Seiner Bahn des Wohltuns. Noch kann Er in der Mitte des Volkes Zeugnis ablegen; noch kann Er ungeachtet der Pharisäer Seine langmütige Güte ausüben. Er fährt fort zu predigen und zu heilen. Er hat Mitleid mit dem Volke, das, einer Herde ohne Hirten gleichend, in sittlichem Sinne seiner eigenen Leitung überlassen war. Noch sieht Er, daß die Ernte groß ist und der Arbeiter wenige; noch sieht Er alle Türen ge­öffnet, um sich an das Volk wenden zu können, und die Bosheit der Pharisäer beachtet Er nicht.

Laßt uns den Inhalt dieses Kapitels, in welchem die Gnade in Israel geoffenbart wird, noch einmal kurz zu­sammenfassen. Wir sehen zuerst die Gnade, heilend und vergebend, wie in Psalm 103; dann die Gnade, die ge­kommen ist, Sünder zu rufen, nicht Gerechte. Der Bräu­tigam war da, auch konnte die Gnade in Macht nicht in jüdische oder pharisäische Gefäße getan werden; sie war neu, selbst im Blick auf Johannes den Täufer. Der Herr kommt in Wirklichkeit, um den Toten das Leben zu geben, nicht nur um zu heilen; aber wer irgend Ihn im Glauben anrührte ‑ und es gab solche ‑ wurde auf dem Wege geheilt. Er öffnet, als Sohn Davids, die Augen, um zu sehen, und Er öffnet den stummen Mund des vom Teufel Besessenen. Alles das wird von den selbstgerechten Pharisäern mit Gotteslästerung verworfen. Doch die Gnade betrachtet die Volksmenge bis jetzt noch als Schafe, die keinen Hirten haben; und solange der Türhüter die Tür offen hält, hört der Herr nicht auf, zu suchen und den Schafen zu dienen. Solange Ihm der Zugang zum Volke von Gott gestattet ist, setzt Er Seine Arbeit der Liebe fort. Nichtsdestoweniger hatte der Herr, obwohl Er nicht Seine eigene Ehre suchte, das Be­wußtsein von der Ungerechtigkeit, die das Volk be­herrschte.

 

Kapitel 10

 

Nachdem der Herr Seine Jünger ermahnt hatte, den Herrn der Ernte um Aussendung von Arbeitern zu bitten, beginnt Er in Übereinstimmung mit diesem Verlangen zu handeln. Er beruft Seine zwölf Jünger, gibt ihnen die Macht, Dämonen auszutreiben und Kranke zu heilen, und sendet sie zu. den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

Aus dieser Sendung der Zwölfe ersieht man, wie sehr die Wege Gottes mit Israel den Gegenstand unseres Evan­geliums bilden. Die Jünger sollten dem Volke, und zwar ihm ausschließlich, die Nähe des Reiches ankündigen und zugleich die Macht ausüben, die sie empfangen hat­ten: ein glänzendes Zeugnis für Den, der gekommen war, und der nicht nur selbst Wunder wirken, sondern auch anderen die Gewalt geben konnte, das gleiche zu tun. Zu diesem Zweck gab Jesus Seinen Jüngern Ge­walt über die bösen Geister; und dies ist es, was das Reich kennzeichnet: der Mensch wird geheilt von jeder Krankheit, und der Dämon wird ausgetrieben. Deswegen werden auch in Hebr. 6 Wunder die "Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters" genannt*. Auch sollten die Jün­ger in bezug auf ihre Bedürfnisse gänzlich von Dem ab­hängig sein, der sie sandte. Emmanuel war da. Wenn die Wunder für die Welt ein Beweis der Macht ihres Meisters waren, so mußte die Tatsache, daß ihnen nichts mangelte, der Beweis für ihr eigenes Herz sein.

Das hier in Vers 9 und 10 gegebene Gebot wurde für die Zeit des Dienstes der Jünger, die auf den Weggang Jesu aus dieser Welt folgte, aufgehoben (siehe Luk. 22, 35. 36). Das, ivas, Er hier (Matth. 10) anordnet, steht mit Seiner Gegenwart als Messias, als Jehova, auf der Erde im Zusammenhang. Deshalb entschied die Auf­nahme oder Verwerfung Seiner Boten das Schicksal derer, zu welchen sie gesandt wurden. Diese Boten ver­werfen, hieß den Herrn verwerfen, den Emmanuel. Gott mit Seinem Volke**. In der Tat sandte Jesus Seine

 

* Denn alsdann wird Satan gebunden und der Mensch durch die Macht Christi befreit sein, damals fanden teilweise Be­freiungen dieser Art statt.

** Ich denke, daß in der Unterweisung des Herrn mit dem 16. Verse ein neuer Abschnitt beginnt. Bis dahin spricht Er von ihrer damaligen Sendung. Vorn 16. Verse an haben wir mehr allgemeine Gedanken über die Sendung der Jünger unter Israel, als ein Ganzes betrachtet, bis ans Ende. Augenscheinlich geht die Belehrung über ihre damalige Sendung hinaus und setzt das Kommen des Heiligen Geistes voraus. Die Mission, durch welche die Kirche als solche berufen wird, ist eine besondere Sache. Hier handelt es sich nur um Israel; die Jünger durften nicht zu den Heiden gehen. Diese Mission fand notwendigerweise mit der Zerstörung Jerusalems und der Zerstreuung der jüdischen Nation ihren Abschluß; sie wird aber am Ende wieder auf­genommen werden, bis der Sohn des Menschen kommt. Was nach dem 16. Verse folgt, hat mit dem Evangelium des Reiches weniger zu tun.

 

Jünger wie Schafe in die Mitte der Wölfe; sie würden der Schlangenklugheit bedürfen und sollten Tauben­einfalt offenbaren: Eigenschaften, die sich nur selten ver­einigt finden, und denen man nur in solchen begegnet, die durch den Geist des Herrn weise zum Guten und einfältig hinsichtlich des Bösen sind. Wenn sie sich nicht hüteten vor den Menschen (ein trauriges Zeugnis für diese!), so würden sie nur zu leiden haben; doch wenn sie gegeißelt und vor Synedrien, vor Statthalter und Könige geführt werden würden, so sollte dies alles zu einem Zeugnis für jene ausschlagen. Es war das göttliche Mittel, das Evangelium vom Reiche Königen und Fürsten vorzutragen, ohne den Charakter desselben zu verändern. oder es der Welt anzupassen, oder das Vol k des Herrn in die Gebräuche und in die falsche Größe dieser Welt zu verwickeln. Überdies ließen solche Umstände ihr Zeug­nis weit klarer hervortreten, als eine Verbindung mit den Großen der Erde es getan haben würde. Und um dieses Zeugnis abzulegen, sollten sie eine solche Macht und Leitung von dem Geiste ihres Vaters empfangen, daß die von ihnen geredeten Worte nicht ihre eigenen, son­dern die Worte Dessen sein würden, der sie inspirierte (V. 19. 20).

Das Verhältnis der Jünger Jesu zu ihrem Vater, das die Bergpredigt so deutlich kennzeichnet, wird auch hier wieder die Grundlage ihrer Fähigkeit für den Dienst, den sie zu vollbringen hatten. Wir müssen uns daran erinnern, daß dieses Zeugnis nur an Israel gerichtet wurde; indes sollte es, da Israel seit der Zeit Nebukad­nezars unter dem Joche der Heiden war, ihre Beherrscher erreichen. Aber es würde einen Widerstand erwecken, der alle Familienbande lösen und einen Haß hervorrufen würde, der das Leben, sogar der Liebsten, nicht schonen würde. Wer trotz allem diesem bis ans Ende ausharren würde, sollte errettet werden (V. 21. 22). Doch der Fall war dringend; die Jünger sollten nicht widerstehen, sondern wenn die Feindschaft die Gestalt von Verfol­gungen annehmen würde, sollten sie weitergehen und das Evangelium anderswo verkündigen; denn bevor sie die Städte Israels durchzogen hätten, würde der Sohn des Menschen kommen*.

 

* Achten wir hier (V. 23) auf den Ausdruck ‑ "Sohn des Men­schen." Dieser Titel drückt den Charakter aus, in welchem der Herr nach Daniel 7 mit einer viel größeren Macht und Herrlich­keit kommen wird als die des Messias, des Sohnes Davids, ‑ mit einer Macht und Herrlichkeit, die sich auch in einem viel aus­gedehnteren Kreise entfalten werden. Als Sohn des Menschen ist Jesus der Erbe alles dessen, was Gott für den Menschen be­stimmt (siehe Hebr. 2, 6‑8 und 1. Kor. 15, 27). Deshalb mußte Jesus zufolge des Zustandes des Menschen leiden, um in den Be­sitz dieses Erbes zu gelangen. Er war gegenwärtig als Messias: allein Er mußte in Seinem wahren Charakter als Emmanuel aufgenommen und die Juden mußten in dieser Weise sittlich auf die Probe gestellt werden. Jesus will nicht nach fleisch­lichen Grundsätzen das Reich besitzen. Als Messias, als E­mmanuel, verworfen, verschiebt Er den Zeitpunkt der Begeben­heiten, die den Dienst Seiner Jünger betreffs Israel abschließen werden, bis zu Seiner Ankunft als Sohn des Menschen. Unterdes bringt Gott andere Dinge ans Licht, die von Grundlegung der Welt an verborgen waren, nämlich die wahre Herrlichkeit Jesu, des Sohnes Gottes, Seine himmlische Herrlichkeit als Mensch und die mit Ihm im Himmel vereinigte Kirche. Das Gericht Jerusalems und die Zerstreuung des Volkes haben den Dienst. der in dem hier von dem Evangelisten besprochenen Augenblick begann~ einstweilen beiseitegesetzt. Das, was die seitdem ver­flossene Zeit ausgefüllt hat, ist nicht der Gegenstand der Rede des Herrn hier; dieselbe bezieht sich vielmehr ausschließlich auf den Dienst, der die Juden zum Gegenstand hatte. Die Ratschlüsse Gottes hinsichtlich der Kirche, in Verbindung mit der Herrlich­keit. Jesu zur Rechten Gottes, werden anderswo behandelt. Lukas gibt uns mehr Einzelheiten über das, was den Sohn des Men­schen betrifft, während der Heilige Geist uns im Evangelium Matthäus mit der Verwerfung Emmanuels beschäftigt.

 

Das Reich war der Gegenstand ihrer Verkündigung. Jehova, Emmanuel, war in der Mitte Seines Volkes gegenwärtig, und die Obersten des Volkes hatten den Hausherrn Beelzebub genannt. Dies hielt Sein Zeugnis nicht auf, aber es kennzeichnete scharf die Umstände, unter denen dieses Zeugnis abgelegt wer­den sollte. Indem Er  die Jünger wegen dieser Lage der Dinge warnt, sendet Er sie aus, um dieses letzte Zeugnis inmitten Seines geliebten Volkes so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Es wurde abgelegt zu jener Zeit und konnte möglicherweise,. wenn es die Umstände er­laubten, abgelegt werden, bis der Sohn des Menschen zur Vollzichung des Gerichts erscheint. Dann wird der Hausherr aufgestanden sein, um die Tür zu verschließen; das "Heute" des 95. Psalms ist dann vorüber.

Israel, als im Besitz seiner Städte stehend, ist der Gegenstand dieses Zeugnisses: es muß deshalb notwen­dig unterbrochen werden, sobald das Volk nicht mehr im Lande ist. Das Zeugnis von dem zukünftigen Reiche, das nach dem Tode des Herrn inmitten Israels durch die Apostel abgelegt wurde, ist, insoweit dies im Lande Israels geschah, eine Erfüllung dieser Mission ', denn das Reich konnte als seiner Aufrichtung nahe angekündigt werden, solange Emmanuel auf Erden war, oder (wie es Petrus in Apg. 3 tut) als ein Reich, das durch die Rück­kehr Christi vom Himmel in die Erscheinung treten sollte; und dieses Zeugnis hätte, wenn Israel im Lande geblieben wäre, sogar bis zu dieser Rückkehr fortdauern können. Es kann mithin in Israel erneuert werden, wenn das Volk sich wieder in sc*,nem Lande befindet und Gott die nötige geistliche Kraft 'äazu darreicht.

     Unterdessen sollten die Jünger die Stellung Christi teilen. Hatten sie den Hausherrn Beelzebub geheißen.

Wieviel mehr dessen Hausgenossen! Doch sollten sie sich nicht fürchten. Es war das notwendige Teil derer, die in der Mitte des Volkes für Gott dastanden. Doch es gibt nichts Verborgenes, das nicht aufgedeckt werden wird. Auch den Jüngern wurde geboten, nichts zurück­zuhalten, sondern alles, was sie gehört hatten, auf den Dächern zu predigen; denn alles sollte ans Licht gebracht werden: sowohl ihre Treue gegen Gott in dieser Bezie­hung, als auch alles andere. Dies sollte die Handlungs­weise der Jünger kennzeichnen und zugleich den gehei­men Plänen ihrer Feinde begegnen. Gott, der Licht ist und der in der Finsternis sieht wie im Licht, würde alles ans Licht bringen; aber in sittlichem Sinne sollten sie dies jetzt schon tun und darum auch bei der Ausübung dieses Werkes nichts fürchten, es sei denn Gott Selbst, den ge­rechten Richter am letzten Tage. Sie waren ihrem Vater teuer, Ihm, der selbst den Tod eines Sperlings beachtet; die Haare ihres Hauptes waren sogar gezählt (V. 25‑33). Nichts konnte ihnen geschehen ohne Den, der ihr Vater war.

Endlich sollten sie gänzlich von der Überzeugung durchdrungen sein, daß der Herr nicht gekommen war, Frieden auf die Erde zu bringen; nein, statt Frieden Ent­zweiung, selbst im Schoße der Familien. Jedoch teurer als Vater oder Mutter, ja selbst teurer als ihr eigenes Leben, sollte Christus den Seinigen sein. Denn wer sein Leben auf Kosten seines Zeugnisses für Christum retten würde, sollte es verlieren; wer es aber um Christi willen verlieren würde, sollte es gewinnen. Wer dieses Zeugnis Christi in der Person der Jünger aufnahm, der nahm Christum auf und in Christo Den, der Ihn gesandt hatte. Gott, auf diese Weise in der Person Seiner Zeugen auf Erden anerkannt, würde allen denen, die sie aufnehmen würden, eine dem abgelegten Zeugnis entsprechende Be­lohnung geben. Wer deshalb, das Zeugnis des verwor­fenen Herrn also anerkennend, auch nur einen Becher kalten Wassers darreichte, sollte seinen Lohn nicht ver­lieren. Wer in einer feindlichen Welt dem Zeugnis Gottes glaubt und, ungeachtet der Welt, den Träger dieses Zeug­nisses aufnimmt, bekennt wirklich Gott, so gut wie Sein

Diener. Und das ist alles, was wir tun können. Die Ver­werfung Christi machte Ihn zu einem Prüfstein für den Menschen.

Von dieser Stunde an finden wir die endgültige Ver­urteilung des Volkes; allerdings noch nicht offen aus­gesprochen (das kommt erst im 12. Kapitel), noch im Aufhören des Dienstes Christi, der trotz des Widerstandes der Nation fortdauerte in der Sammlung des Überrestes und in der noch wichtigeren Wirkung der Offenbarung Emmanuels; wohl aber zeigt sie sich in dem Charakter der Reden Jesu, in Seinen bestimmten Aussprüchen, die den Zustand des Volkes schildern, sowie in dem Verhalten des Herrn inmitten von Umständen, die Anlaß gaben zu dem Ausdruck der Beziehungen, in denen Er zu Israel stand.

 

Kapitel 11

 

Nachdem Jesus Seine Jünger zu predigen ausgesandt hat, setzt Er die Ausübung Seines eigenen Dienstes fort. Das Gerücht von den Werken Christi dringt bis zu Jo­hannes ins Gefängnis; und dieser (in dessen Herz, unge­achtet seiner prophetischen Gabe, noch ein Rest‑ jüdischer Gedanken und Hoffnungen zurückgeblieben war) läßt Jesum durch seine Jünger befragen, ob Er der Kom­mende sei, oder ob sie eines anderen warten sollten*. Gott erlaubte diese Frage, um alles an seinen wahren Platz zu stellen. Christus, als das Wort Gottes, mußte Sein eigener Zeuge sein. Er sollte von Sich Selbst, wie auch von Johannes, zeugen, aber kein Zeugnis von diesem emp­fangen; und Er legte dieses Zeugnis in Gegenwart der Jünger Johannes' ab. Er heilte die Menschen von allen

 

* Daß er zu Jesu sandte, offenbart sein völliges Vertrauen auf Sein Wort als Prophet, zugleich aber auch seine Unkenntnis betreffs Seiner Person; und dies letztere tritt hier völlig ans Licht.

 

 

ihren Krankheiten und predigte den Armen das Evan­gelium. Die Boten Johannes' sollten ihrem Meister dieses wahrhaftige Zeugnis von dem, was Jesus war, über­bringen, und Johannes sollte es annehmen. Der Mensch wurde durch diese Dinge auf die Probe gestellt; und glücklich derjenige, weicher sich nicht an dem unschein­baren Äußern des Königs von Israel ärgerte! Gott, ge­offenbart im Fleische, kam nicht, um die Pracht des Königtums zu suchen, wiewohl sie Ihm gebührte, sondern die Befreiung leidender Menschen. Sein Werk offen­barte einen viel göttlicheren Charakter und ging aus einem weit herrlicheren Beweggrund hervor, als wenn es sich um die Besitznahme des Thrones Davids sowie um eine Befreiung gehandelt hätte, die Johannes in Frei­heit gesetzt und der Tyrannei, die ihn ins Gefängnis geworfen, ein Ende gemacht haben würde.

Einen solchen Dienst zu unternehmen, in den Bereich der Ausübung desselben herabzusteigen, die Leiden und Schmerzen Seines Volkes zu tragen, alles das konnte zu einem Stein des Anstoßes werden für ein fleischliches Herz, welches auf die Erscheinung eines herrlichen Reiches hoffte, das den Stolz Israels befriedigt hätte. Aber war es nicht wahrhaft göttlicher und für den Zu­stand des Volkes, so wie derselbe in den Augen Gottes war, notwendiger? Das Herz eines jeden sollte daher in dieser Weise auf die Probe gestellt werden, um zu zeigen, ob er wirklich jenem bußfertigen Überrest ange­hörte, der die Wege Gottes unterschied, oder der stolzen Menge, die nur ihre eigene Herrlichkeit suchte, ohne weder ein vor Gott geübtes Gewissen, noch ein Gefühl ihrer Bedürfnisse und ihres Elends zu haben.

Nachdem Johannes so unter die Verantwortlichkeit der Annahme dieses Zeugnisses gebracht worden war, das ganz Israel auf die Probe stellte und den Überrest von der Nation im allgemeinen unterschied, legt der Herr von Johannes Zeugnis ab, indem Er Sich an die Menge

wendet und ihr vorhält, in welcher Weise sie die Worte Johannes' befolgt hatte. Er zeigt genau den Punkt, bis zu welchem Israel in den Wegen Gottes gelangt war. Die Einführung des Reiches (im Zeugnis) bildete den Unterschied zwischen dem, was vorangegangen war, und dem, was jetzt folgte. Unter allen, die von Weibern ge­boren worden, war kein Größerer aufgestanden als Jo­hannes der Täufer; keiner, der Jehova so nahe gestan­den hätte und der vor Ihm hergesandt worden wäre, keiner, der von Ihm ein genaueres und vollständigeres Zeugnis abgelegt hätte, und der durch die Macht des Gei­stes Gottes von allem Bösen so getrennt gewesen wäre, wie er ‑ eine Trennung, die sich zur Erfüllung einer solchen Mission unter dem Volke Gottes geziemte. Den­noch war Johannes nicht im Reiche gewesen, denn es war noch nicht errichtet; und in der Gegenwart Christi, in Seinem Reiche, im Genuß der Folgen der Einführung Seiner Herrlichkeit* zu sein war eine größere Sache als jedes Zeugnis, das die Zukunft dieses Reiches an­kündigte. Nichtsdestoweniger war mit der Erscheinung Johannes' des Täufers eine bemerkenswerte Veränderung eingetreten. Von jenem Augenblick an war das Reich angekündigt worden; es war noch nicht aufgerichtet, aber es wurde gepredigt. Das war etwas ganz anderes als die Weissagungen, die das Reich in eine noch ferne Zeit ver­legten, während sie das Volk zu dem durch Moses ge­gebenen Gesetz zurückriefen. Der Täufer ging vor dem König her, indem er die Nähe des Reiches ankündigte und die Juden zur Buße aufforderte, damit sie in das‑

 

* Wir haben es hier nicht mit der Versammlung Gottes zu tun; aber nachdem die Rechte des Königs, als geoffenbart in Herrlichkeit, festgestellt und die Grundlagen des Reiches gelegt sind, befinden sich die Christen in dem Reiche, wiewohLin einer ganz besonderen Weise: sie sind "in dem Königreich und dem Ausharren Jesu Christi", der verherrlicht, aber in Gott verborgen ist. Sie teilen‑das Schicksal des Königs und werden, wenn Er regieren wird, auch Seine Herrlichkeit mit Ihm teilen.

 

selbe eingehen machten. So redeten denn das Gesetz und die Propheten von seiten Gottes bis auf Johannes. Das Gesetz war die Richtschnur, die Propheten hielten sie aufrecht und stärkten die Hoffnung und den Glauben des Überrestes.

Die Energie des Geistes trieb nuranchr den Menschen an, seinen Weg durch alle Schwierigkeiten und jeden Widerstand der Obersten der Nation und eines blinden Volkes hindurch zu verfolgen, um ‑ koste es, was es wolle ‑ zu dem Reiche eines Königs zu gelangen, der durch den blinden Unglauben derer verworfen war, die Ihn hätten aufnehmen sollen. Weil der König in Nie­drigkeit gekommen und verworfen worden war, bedurfte es dieses Gewalttuns, um eingehen zu können. Die enge Pforte war der einzige Eingang.

Vermochte der Glaube wirklich in dir, Gedanken Gottes einzudringen, so war Johannes der Elias, der kom­men sollte. ~ Wer Ohren hatte zu hören, sollte hören; denn es war in der Tat nur für solche. Wäre dagegen das Reich in der Herrlichkeit und Macht seines Hauptes erschienen, so würde es, um einzugehen, jenes Gewalt­tuns nicht,bedurft haben. Man würde es als die sichere Wirkung dieser Macht genossen haben; allein es war der Wille Gottes, Sein Volk sittlich auf die Probe zu stellen, weshalb es auch Elias auf eine geistliche Weise hätte auf ‑nehmen sollen.

Das Ergebnis dieser Probe wird uns unmittelbar nach­her in den Worten des Herrn selbst mitgeteilt (V. 16 u. f.). Wir erkennen darin den wahren Charakter dieses Ge­sehlechts wie auch die Wege Gottes in bezug auf die Person Jesu, die durch Seine Verwerfung selbst geoffen­bart wurden. Sowohl die Drohungen der Gerechtigkeit als auch die Anziehungskraft der Gnade waren für das Volk als Geschlecht verloren. Die Kinder der Weisheit, die, welche in ihrem Gewissen von Gott wirklich unter­wiesen waren, erkannten die Wahrheit des Zeugnisses

Johannes', als gegen sich selbst gerichtet, an, sowie die für die Schuldigen so nötige Gnade in den Wegen Jesu Johannes, getrennt von der Ungerechtigkeit der Nation, hatte in den Augen derselben einen Dämon. Jesum, gütig gegen die Unglücklichen und Elenden, beschuldigte man der Annahme schlechter Sitten. Indes trat der wahre Sachverhalt so stark hervor, daß es wohl die Herzen von Tyrern und Sodomitern hätte überwältigen können; und der gerechte Tadel des Herrn warnt die verkehrte und ungläubige Nation vor einem schrecklicheren Gericht als dasjenige, welches den Hochmut von Tyrus und die Ver­derbtheit Sodoms einst treffen wird.

Jedoch galt die Probe den Meistbegünstigten unter den Menschenkindern. Man hätte fragen können: Warum wurde die Botschaft nicht nach Tyrus gesandt, zu dieser Stadt, die bereit war, zu hören? Warum nicht nach So­dom, daß ce dem verzehrenden Feuer hätte entfliehen können? Weil zur Entwicklung der vollkommenen Ratschlüsse Gottes der Mensch in jeder Weise auf die Probe gestellt werden mußte. Wenn Tyrus und Sodom die Vor­züge, mit denen Gott als Schöpfer und in Seiner Vor­sehung sie überhäuft hatte, mißbraucht hatten, so sollten die Juden den Herzenszustand eines Menschen offenbaren, der alle Verheißungen Gottes besitzt und zum Bewahrer aller Aussprüche Gottes gemacht ist. Sie brüsteten sich mit der Gabe und entfernten sich von dem Geber; ihr verblendetes Herz erkannte ihren Gott nicht an, verwarf Ihn sogar.

Der Herr fühlte die Verachtung von seiten Seines Volkes, das Er liebte: aber als der gehorsame Mensch hienieden unterwarf Er Sich dem Willen Seines Vaters, Der, in Unumschränktheit als Herr des Himmels und der Erde handelnd, Seine göttliche Weisheit und die Voll­kommenheit Seines Charakters in der Ausübung dieser Unumschränktheit offenbarte (V. 25 u. f.). Jesus beugt Sich unter den Willen Seines Vaters in dessen Wirkungen, und, also unterworfen, erkennt Er die Vollkommenheit desselben.

Es war geziemend, daß Gott den Demütigen alle Gaben Seiner Gnade in Jesu, diesem Emmanuel auf der Erde, offenbarte, und daß Er sie dem Stolze verbarg, der sich anmaßte, sie erforschen und beurteilen zu kön­nen. Aber dies öffnet der Herrlichkeit der Ratschlüsse Gottes die Tür. Die Wahrheit ist, daß die Person Jesu zu herrlich war, um von dem Menschen ergründet oder ver­standen zu werden, obwohl Seine Worte und Werke die Nation in ihrer Weigerung, zu Ihm zu kommen, um den Vater kennenzulernen, ohne Entschuldigung ließen.

Jesus, dem Willen Seines Vaters unterworfen, er­blickt die ganze Ausdehnung der Herrlichkeit, die auf Seine Verwerfung folgen sollte, wie sehr auch Sein Herz all das Schmerzliche fühlte, das mit der Ausfüh­rung dieses Willens zusammenhing. Alles war Ihm von Seinem Vater übergeben. Es ist der Sohn, welcher un­serem Glauben geoffenbart ist, indem der Vorhang, der Seine Herrlichkeit verbarg, jetzt weggenommen wird, nachdem Er als Messias verworfen ist. Niemand kennt Ihn, als nur der Vater. Wer unter diesen Stolzen hätte ergründen können, was Er war? Er, der von Ewigkeit her eins mit dem Vater war und Mensch wurde, über­traf in dem tiefen Geheimnis Seines Wesens alle Er­kenntnis, ausgenommen die des Vaters Selbst. Die Un­möglichkeit, Den zu erkennen, der Sich Selbst erniedrigt hatte, um Mensch zu werden, hielt die Gewißheit, die Wirklichkeit Seiner Gottheit aufrecht, welche diese Selbsterniedrigung den Augen des Unglaubens hätte ver­bergen können. Die Unfaßbarkeit eines Wesens in einer begrenzten Form offenbarte die Unendlichkeit, die in die­sem Wesen war. Die Gottheit Christi wurde für den Glauben gesichert gegen die Wirkung Seiner Menschheit auf den Geist des Menschen.

Wenn aber außer dem Vater niemand den Sohn er­kannte, so war doch der Sohn, als wahrer Gott, imstande, den Vater zu offenbaren. "Niemand hat Gott jemals ge­sehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht" (Joh. 1, 18). Niemand erkennt den Vater als nur der Sohn, und wem irgend der Sohn Ihn offenbaren will. Erbärmliche Unwissen­heit, die Ihn in ihrem Stolze verwirftl Es entsprach also dem Wohlgefallen des Sohnes, diese Offenbarung zu machen. Welch ein unterscheidendes Merkmal gött­licher Vollkommenheitl Er kam, um den Vater zu offen­baren, und Er tat es nach Seiner eigenen Weisheit. Das sind die wahren Beziehungen des Menschen zu Ihm, wie­wohl Er Sich der schmerzlichen Erniedrigung der Ver­werfung seitens Seines Volkes unterwarf, als der letzte» Probe ihres Zustandes und des Zustandes des Menschen im allgemeinen.

Beachterp wir hier auch, daß dieser Grundsatz, diese Wahrheit ün Blick auf Christum den Heiden die Tür öffnet, und zwar allen denen, die berufen werden soll­ten. Der Sohn offenbart den Vater, wem irgend Er will; Er sucht stets die Ehre Seines Vaters. Er allein kann Ihn offenbaren, Er, dem der Vater, der Herr des Him­mels und der Erde, alles übergeben hat. Die Heiden, ja jede Familie in den Himmeln und auf der Erde, sind in die Rechte eingeschlossen, die Ihm durch diesen Titel ver­liehen sind. Christus übt diese Rechte in Gnade aus, indem Er zur Erkenntnis des Vaters beruft, wen Er will.

Wir finden also hier das verkehrte und ungläubige Geschlecht; dann einen Überrest des Volkes, der die in Johannes und in Jesu geoffenbarte Weisheit Gottes in Gericht und Gnade rechtfertigt; weiter den Urteilsspruch über die Ungläubigen und schließlich die Verwerfung Jesu in dem Charakter, in welchem Er Sich dem Volke vorgestellt hatte, sowie Seine völlige Unterwürfigkeit als Mensch unter den Willen Seines Vaters in dieser Verwerfung. Alles das gibt Gelegenheit, Seiner Seele die Herrlichkeit, die Ihm, als dem Sohne Gottes, angemessen war, zu offenbaren ‑ eine Herrlichkeit, die niemand zu erkennen vermochte, wie ja auch nur Er die des Vaters offenbaren konnte. Die Welt, die Ihn zurück­wies, war daher in gänzlicher Unwissenheit, ausgenommen insoweit der Sohn nach Seinem Wohlgefallen den Vater offenbarte.

Auch sieht~man, daß die Mission der Jünger in Israel, das Christum verwarf, fortdauert (wenn Israel in seinem Lande ist), bis Er, als der Sohn des Menschen, der als solcher ein Recht hat auf Gericht und Herrlichkeit als der Erbe aller Dinge, kommen wird, d. h. bis zu dem Gericht, durch das Er von dem Lande Kanaan Besitz nimmt, in einer Macht, die Seinen Feinden gar keinen Raum läßt. Dieses Recht Jesu auf Gericht und Herr­lichkeit, als Erbe aller Dinge, finden wir erwähnt in Joh. 5, Dan. 7, Ps. 8 und Ps. 80.

                Beachten wir auch, daß in unserem Kapitel die Ver­kehrtheit des Geschlechts, welches das Zeugnis des Jo­hannes und das des Sohnes des Menschen, der in Gnade gekommen war und Sich in Gnade mit den Judeh ver­band, verworfen hatte ‑ daß diese Verkehrtheit dem Zeugnis von der Herrlichkeit des Sohnes Gottes sowie

der Offenbarung des Vaters durch Ihn in unumschränkter Gnade die Tür öffnet. Es war eine Gnade, die den Vater in gleich wirksamer Weise einem armen Heiden wie einem Juden kundmachen konnte. Es handelte sich nicht *mehr um die Verantwortlichkeit, den von Gott Gesandten aufzunehmen, sondern um die unumschränkte Gnade, die da mitteilte, wem irgend sie wollte. Jesus kannte den Menschen, die Welt und jenes Geschlecht das unter allen, die jemals auf der Erde gewesen waren, die größten Vorrechte genossen hatte. In dem schmutzi­gen * Sumpf dessen, was sich von Gott getrennt hatte, fand Er keinen Raum für Seinen Fuß. Inmitten einer bösen Welt blieb Jesus der einzige Offenbarer des Vaters und die Quelle alles Guten. Und wen beruft Er? Und was gibt Er denen, die da kommen? Als die einzige Quelle der Segnung und als der einzige Offenbarer des Vaters ruft Er alle Mühseligen und Beladenen zu Sich. Vielleicht kannten diese nicht die wahre Quelle alles Elends, nämlich die Entfernung von Gott, die Sünde; aber Jesus kannte diese Quelle, und nur Er konnte jene Elenden heilen, Drückte das Bewußtsein der Sünde sie nieder, um so besser; in jedem Falle aber befriedigte die Welt ihre Herzen nicht mehr. Sie waren elend und deshalb die Gegenstände des Herzens Jesu. Überdies wollte Er ihnen Ruhe geben. Er sagt hier nicht, durch welche Mittel, sondern teilt einfach die Tatsache mit. Die Liebe des Vaters, die in der Person des Sohnes die Elenden in Gnade suchte, wollte Ruhe geben (nicht nur Linderung oder Mitgefühl, sondern Ruhe), und zwar jedem, der zu Jesu kam. Es war die vollkommene Offenbarung des Vaternamens durch den Sohn für das Herz derer, die es bedurften; es war der Friede, der Friede mit Gott. Sie hatten nur zu Jesu zu kommen; alles andere übernahm Er und gab ihnen Ruhe.

 

Doch es gibt noch ein zweites Element in der Ruhe, noch mehr als bloßen Frieden mittelst der Erkenntnis des Vaters in Jesu, und mehr als das ist nötig. Denn selbst wenn die Seele sich vollkommen in Frieden mit Gott befindet, bietet diese Welt doch dem Herzen viele Anlässe zur Beunruhigung dar; in diesen Fällen handelt es sich um die Frage, ob die Seele sich unterwerfen oder im Eigenwillen vorangehen will. Christus,‑‑‑im Bewußtsein ‑‑Seiner Verwerfung, in dem tiefen Kummer über .den Unglauben der Städte, in denen Er so viele Wunder getan hatte, Christus hatte gerade die vollkommenste Unterwerfung unter Seinen Vater geoffenbart und darin eine vollkommene Ruhe für Seine Seele gefunden. Hierzu ladet Er alle ein, die Ihn hörten, alle, die das Bedürfnis nach Ruhe für ihre Seelen fühlten. "Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir" "Nehmet auf euch mein Joch", d. h. das Joch einer vollständigen Unterwerfung unter den Willen Seines Vaters, indem wir von Ihm lernen wie wir uns in den Mühsalen des Lebens zu verhalten haben; denn Er war sanftmütig und von Herzen demütig. Er war zufrieden, nach dem Willen Seines Gottes den niedrigsten Platz einzunehmen. In der Tat kann einen Menschen, der schon den untersten Platz eingenommen hat, nichts mehr zu Boden werfen. Es ist der Platz vollkommener Ruhe für das Herz.

 

Kapitel 12

 

Im vorigen Kapitel wird die Verwerfung Israels, als Folge der Verachtung des  Herrn, sowie das Aufhören aller Seiner Beziehungen zu dem Volke als Nation sehr klar gezeigt, um von seiten Gottes ein durchaus neuartiges System, d. h. das Reich unter einer ganz besonderen Form, ans Licht zu stellen. In dieser Hinsicht bildet das Kapitel den großen Wendepunkt in der ganzen Geschichte. Christus ist ein göttlicher Zeuge für Sich Selbst, und Johannes der Täufer hat Ihn so anzunehmen wie jeder andere. Der Herr stand nicht länger da als der Messias, für den Zeugnis abgelegt werden mußte, sondern als der Sohn Gottes; jedoch gibt Er dem Johannes ein vollständiges Zeugnis. Die Nation hatte Gott verworfen, der Sich ebenso durch Warnungen wie durch Gnade geoffenbart hatte; nur war noch ein Überrest vorhanden. Die Weisheit wurde gerechtfertigt von ihren Kindern.

 

Dann finden wir, wie Christus Sieb Seiner Verwerfung, so böse sie auch sein mochte, unterwirft, entsprechend dem Willen des Vaters; aber das führt Ihn zum Bewußtsein Seiner persönlichen Herrlichkeit, dem ‑wahren Grunde jener Verwerfung. Alles war Ihm übergeben vom Vater. Niemand konnte Ihn erkennen, und niemand erkannte den Vater, wenn Er Ihn nicht offenbarte. Die ganze Welt, durch Seine Vollkommenheit auf die Probe gestellt, wurde als im Bösen liegend erfunden, wenn auch noch ein kleiner Überrest da war. Die Menschen im all­gemeinen waren fern von Gott. Er blickte vom Himmel herab, wie wir lesen, um zu scheu, ob nicht ein Verstän­diger da sei; aber alle waren abgewichen, es war kein Gerechter da, auch nicht einer. Jesus stand somit, als Er auf dem See wandelte, allein in einer gerichteten Welt, gerichtet durch Seine Verwerfung, aber jetzt in der unumschränkten Gnade des Vaters, indem Er als Sohn Ihn offenbarte und zu der Offenbarung dieser Gnade (in Seiner Person) einlud. Das ist jetzt das neue Ver­hältnis. Er hatte die Menschen auf die Probe gestellt, aber gerade das, was Er war, verhinderte sie, Ihn anzu­nehmen. Jetzt mußten die Mühseligen zu Ihm, der so allein stand, kommen, und Er gab ihnen Ruhe. Sie muß­ten von Ihm lernen, der Sich Selbst so völlig unterworfen hatte, und sie würden dann Ruhe finden im Blick auf die Welt und alles, was hienieden war. So ist es auch mit uns: wenn wir uns völlig beugen, gelangen wir auf himm­lischem und höherem Boden in den bewußten Besitz un­serer Vorrechte, als von der Welt nicht anerkannt.

Der erste Umstand, der die Frage bezüglich Seiner Person und Seines Rechtes, die alte Haushaltung abzu­schließen, zur Sprache brachte, war der, daß Seine Jün­ger Kornähren abpflückten und in ihren Händen zerrie­ben, um ihren Hunger zu stillen. Die Pharisäer tadeln sie deshalb, weil es an einem Sabbattage geschah. Der Herr aber zeigt ihnen, daß der durch die Bosheit Sauls ver­worfene König David von dem Gebrauch gemacht hatte, was nur den Priestern gegeben war. Der Sohn Davids durfte wohl in einem ähnlichen Falle ein ähnliches Vor­recht genießen. Überdies wirkte Gott in Gnade. Ent­heiligten nicht auch die Priester den Sabbat durch ihren Dienst im Tempel? Und Einer, der größer war als der Tempel, war da (V. 5. 6). Wenn sie überdies die Gedanken Gottes wirklich verstanden hätten, wenn sie von dem Geist durchdrungen gewesen wären, der vor Ihm wohlgefällig ward nach Seinem Worte‑, "Ich will Barm­herzigkeit und nicht Opfer!", so würden sie die Schuld­losen nicht verurteilt haben. Zudem war der Sohn des Menschen auch Herr selbst des Sabbats. Er legt Sich hier nicht länger den Titel des Messias bei, sondern den des Sohnes des Menschen ‑ ein Name, der von einer neuen Ordnung der Dinge und von einer ausgedehnteren Macht Zeugnis gab. Die Worte des Herrn sind von gro­ßer Bedeutung; denn der Sabbat war das Zeichen des Bundes zwischen Jehova und der jüdischen Nation (Hes. 20, 12‑20), und der Sohn des Menschen erklärte Seine Macht über denselben. Wenn der Sabbat ange­tastet wurde, war es um den Bund geschehen.

Dieselbe Frage entsteht in der Synagoge, und der Herr fährt fort, in Gnade zu handeln und Gutes zu tun, in­dem Er ihnen zeigt, daß sie das gleiche für eines ihrer Schafe tun würden. Das erregt nur ihren Haß, so groß auch der Beweis der wohltätigen Macht Jesu gewesen sein mochte. Sie waren Kinder des Mörders. Jesus zieht Sich von ihnen zurück, und eine große Menge folgt Ihm. Er heilt sie, indem Er sie auffordert, Ihn nicht kund zu machen. In diesem allem waren Seine Werke indes nur die Erfüllung einer Prophezeiung, die die Stellung des Herrn in dieser Zeit klar bezeichnete (V. 17 u. f.). Die Stunde sollte kommen, wo Jesus das Gericht zum Siege hinausführen würde. Inzwischen aber verläßt Er nicht die Stellung einer vollkommenen Demut, in welcher sich die Gnade und die Wahrheit denen empfehlen konn­ten, die sie schätzten und ihrer bedurften. Allein in der Ausübung dieser Gnade und in Seinem Zeugnis von der Wahrheit wollte Jesus nichts tun, was diesen Charakter der Erniedrigung entstellt oder wodurch Er die Aufmerk­samkeit der Menschen auf Sieh gelenkt und also Seinem wahren Werke ein Hindernis in den Weg gelegt hätte, oder was gar den Verdacht hätte erwecken können, daß Er Seine eigene Ehre suche. Nichtsdestoweniger war der Geist des Herrn auf Ihm, als Seinem Geliebten, an wel­chem Seine Seele Wohlgefallen gefunden hatte. Er sollte den Nationen das Gericht ankündigen, und diese wür­den auf Seinen Namen hoffen. Die Anwendbarkeit die­ser Weissagung auf Jesum ist in diesem Augenblick sehr augenscheinlich. Wir sehen, wie vorsichtig Er gegen die Juden war, indem Er Sich der Befriedigung ihrer fleisch­lichen Wünsche betreffs Seiner Person enthielt, und zu­frieden war, im Hintergrunde zu stehen, wenn nur Sein Vater verherrlicht wurde. Er Selbst verherrlichte Ihn vollkommen auf Erden, indem Er Gutes tat. Bald sollte Er den Nationen angekündigt werden, sei es in der Ausübung des Gerichts Gottes, oder indem Er Sich ihnen als Den darstellte, auf welchen sie hoffen sollten (V. 17‑21). Diese Stelle ~Jes. 42, 1‑4) wird hier augen­scheinlich durch den Heiligen Geist angeführt, um ein genaues Bild von der Stellung des Herrn zu geben, ehe die neuen Szenen dargestellt werden, die Seine Verwerfung für uns bereitet.

Hernach treibt der Herr einen Dämon aus von einem Menschen, der blind und stumm war (V. 22 u. f.) ‑ein trauriger Zustand, der ein getreues Abbild des Zu­standes Israels Gott gegenüber war. Die Menge, voll Ver­wunderung über diese Heilung, ruft aus: "Dieser ist doch nicht der Sohn Davids?" Aber als die Religiösen unter ihnen, die auf den Herrn eifersüchtigen und dem Zeug­nisse Gottes feindseligen Pharisäer, das hörten, be­haupten sie, Jesus habe dieses Wunder durch die Macht Beelzebubs gewirkt. Sie besiegeln dadurch ihren Zu­stand und stellen sich unter das endgültige Gericht Gottes. Jesus zeigt das Widersinnige ihrer Anschuldigung, indem Er sagt, daß Satan doch nicht sein eigenes Reich zer­stören werde, und daß überdies ihre eigenen Kinder, die auch die Dämonen auszutreiben vorgaben, ihre Ungerech­tigkeit richten würden. Die Pharisäer gaben zu, daß die Dämonen wirklich ausgetrieben wurden; nun, wenn Jesus das nicht durch die Macht Beelzebubs tat, so war es der Finger Gottes, und dann war das Reich Gottes in ihrer Mitte. Der, welcher in das Haus des Starken eingedrungen war, um seinen Hausrat zu rauben, hatte denselben zu­vor binden müssen (V. 29).

Die Gegenwart Jesu stellte alles auf die Probe; alles, was von Gott war, vereinigte sich in Ihm. Emmanuel Selbst war da. Wer nicht mit Ihm war, der war wider Ihn, und wer nicht mit Ihm sammelte, der zerstreute (V. 30). Von Ihm allein hing jetzt alles ab. Betreffs Seiner Person ertrug Er den Unglauben. Die Gnade konnte denselben beseitigen. Er konnte jede Sünde ver­geben, aber wider den Heiligen Geist reden und Ihn lästern, d. h. die Tätigkeit einer von Gott kommenden Macht anerkennen und dennoch dieselbe Satan zuschrei­ben, das konnte nimmer vergeben werden. Die Phari­,&er gaben zu, daß der Dämon ausgetrieben war (V. 24); und nur aus Bosheit, mit sehenden Augen und aus wohl­bedachtem Haß gegen Gott schrieben sie diese Macht Satan zu. Welche Vergebung hätte es für eine solche Lästerung geben können? Keine, weder in dem Zeit­alter des Gesetzes *, noch in dem des Messias.

 

* Beachten wir diesen Ausdruck. Wir sehen, in welcher Weise der Heilige Geist von der d a m a l s für die Juden gegenwärtigen Zeit, die bald enden sollte, zu d e r Zeit übergeht, wann der Mes­sias Sein Reich aufrichten wird, zu dem "zukünftigen Zeitalter". wir haben eine Stellung außer diesem allem, währenddem die öffentliche Aufrichtung des Reiches aufgeschoben ist. Selbst die Apostel predigten oder kündigten das Reich nur an; sie richteten es nicht auf. Ihre Wunder waren "die Wunderwerke des zu­künftigen Zeitalters" (vgl. 1.Petr.1,11‑13). Das ist von großer Wichtigkeit, wie wir bald sehen werden. Ebenso verhält sich mit dem neuen Bande; Paulus war dessen Diener, und eh richtete er ihn mit Juda und Israel nicht auf.

 

Das Schicksal derer, welche also den Heiligen Geist lästerten, war entschieden, und der Herr gibt ihnen dies zu‑verstehen. Die Frucht bewies die Natur des Baumes: sie war durch und durch schlecht. Die, an welche der Herr Sich wen­det, waren eine Otternbrut. Johannes hatte ihnen dasselbe gesagt; ihre eigenen Worte verdammten sie (V.31‑37).

Daraufhin verlangen die Schriftgelehrten und Pharisäer ein Zeichen (V. 38 u. f.). Das war nichts als Bosheit, denn sie hatten Zeichen genug gesehen; sie wollten nur den Unglauben der übrigen aufreizen. Dieses Ver­langen gab‑ dem Herrn Gelegenheit, das Gericht über dieses böse Geschlecht auszusprechen, dem kein anderes Zeichen als das des Jonas gegeben werden sollte. Wie Jonas drei Tage und drei Nächte in dem Bauche des Fisches geblieben war, so sollte der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte in dem Herzen der Erde bleiben; und ach! Christus war bereits verworfen. Die Niniviten würden am Tage des Gerichts dieses Geschlecht durch ihr Verhalten verdammen; denn sie hatten auf die Predigt Jonas' hin Buße getan, und ein Größerer als Jonas war hier. Die Königin des Südens würde gleicher­weise Zeugnis ablegen gegen die Bosheit dieses wider­spenstigen Geschlechts. Ihr Herz, angezogen durch das Gerücht von der Weisheit Salomos, hatte sie von den Enden der Erde zu ihm geführt; und ein Größerer als Salomo war hier. Jene armen, unwissenden Heiden ver­standen besser die Weisheit Gottes in Seinem Worte, sei es durch den Propheten oder den König, als Sein ge­liebtes Volk, obwohl der große König und Prophet Selbst in dessen Mitte war.

Sein Gericht über dieses Geschlecht lautete daher also: Der böse Geist (der Geist des Götzendienstes), der von dem Volke ausgegangen war und fern von Israel keine Ruhe fand ‑ von Israel, acht seinem wahren Hause, während es das Haus Gottes hätte sein sollen ‑ dieser böse Geist würde mit sieben anderen Geistern, böser als er selbst, zurückkehren; sie würden das Haus leer, gekehrt und geschmückt finden, und hineingehend daselbst wohnen. Und so würde der letzte Zustand ärger sein als der erste (V. 45). Welch ein ernstes Gericht über das Volkl Israel, in dessen Mitte Jehova gewan­delt hatte, sollte die Behausung eines unreinen Geistes. ja, einer Überfülle von unreinen Geistern werden; nicht nur von sieben Geistern, als der vollkommenen Zahl, sondern mit diesen sieben Geistern, die das ganze Volk zu sinnloser Torheit gegen Gott und Seine Verehrer auf­reizen und es so in sein eigenes Verderben stürzen wür­den, sollte auch jener andere unreine Geist kommen und es zu der traurigen Abgötterei zurückführen, der es seit der Rückkehr aus ' der babylonischen Gefangenschaft ent­ronnen war. Damit war Israels Urteil gesprochen.

Jesus zerreißt schließlich öffentlich die natürlichen Bande, die zwischen Ihm und dem Volke dem Fleische nach bestanden (V. 46‑50), indem Er nur diejenigen als die Seinigen anerkennt, welche durch das Wort Gottes gezeugt waren und dies dadurch offenbarten, daß sie den Willen Seines Vaters taten, der in den Himmeln war. Als Seine Verwandten wollte Er nur solche anerkennen, die nach dem Muster der Bergpredigt gebildet waren. Von diesem Augenblick an zeugen Seine Taten und Seine Worte von dem neuen Werke, das Er in Wirklichkeit auf der Erde vollbrachte. Er verläßt das Haus und setzt sich an das Ufer des Sees. Er nimmt eine neue Stel­lung außerhalb Israels ein, um der Menge zu verkünden, was Sein eigentliches Werk war. "Siehe, der Säemann ging aus, zu säen"

Kapitel 13

 

Der Herr suchte nicht länger Frucht in Seinem Wein­berge. Entsprechend den Beziehungen Gottes zu Israel hätte Er diese Frucht suchen sollen; allein der wahre Dienst Jesu, wie Er Selbst wohl wußte, bestand nicht darin, Frucht unter den Menschen zu linden, sondern ihnen das zu bringen, was Frucht hervorbringen konnte.

Es ist wichtig hier zu bemerken, daß der Herr von der sichtbaren und äußeren Wirkung Seines Werkes als Säemann redet. Nur einmal drückt Er Sein Urteil be­züglich der inneren Ursachen aus, wenn Er sagt: "Weil es keine Wurzel hatte"; aber auch hier handelt es sich einfach um eine Tatsache. Die Lehren bezüglich des gött­lichen Werkes, das zum Fruchtbringen notwendig ist, fin­den wir hier nicht behandelt. Nur von dem Säemann und dem Ergebnis Seines Säens ist die Rede, nicht aber von dem, was den Samen in der Erde keimen läßt. In jedem der angeführten Fälle wird, mit Ausnahme des ersten, eine gewisse Wirkung hervorgebracht.

Der Herr wird uns also hier vorgestellt als ein Werk beginnend, das von allen früheren Beziehungen zwischen Gott und den Menschen unabhängig ist. Er bringt den Samen des Wortes mit Sich, den Er durch Seinen Dienst in die Herzen sät. Wo dieses Wort verbleibt, wo es verstanden wird, wo es weder erstickt noch verdorrt, da bringt es Frucht hervor zu Seiner Herrlichkeit und zum Glück und zum Nutzen des Menschen, der diese Frucht trägt.

In Vers 11 zeigt der Herr die Ursache, warum Er zu der Menge in Gleichnissen redet. Es wird zwischen dem Überrest und der Nation ein endgültiger Unterschied gemacht: die letztere stand unter dem Gericht der Ver­blendung, das durch den Propheten Jesaja angekündigt war (V. 14. 15). Glückselig aber waren die Augen der Jünger, die den Emmanuel sahen, den Messias, den Gegenstand der Hoffnungen und des Verlangens so vieler Propheten und Gerechten1 Alles dies kennzeichnet ein Gericht und einen berufenen und verschonten Überrest*.

Ich möchte hier noch einige Bemerkungen über den Charakter der Personen hinzufügen, von denen der Herr in dem Gleichnisse redet. Wenn das Wort in ein Herz gesät wird, welches dasselbe nicht versteht, wenn es keine Verbindung des Verständnisses, der Gefühle oder des Ge­wissens zwischen dem Herzen und Gott erzeugt, so nimmt der Feind es hinweg; es bleibt nicht im Herzen. Jedoch ist der, der das Wort gehört hat, darum nicht weniger strafbar; denn das in das Herz Gesäte war allen Be­dürfnissen, der Natur und dem Zustande des Menschen angepaßt.

Die augenblickliche Aufnahme des Wortes mit Freu­den in dem nächsten Falle weist mehr darauf hin, daß das Herz das Wort nicht bewahren wird; denn in einem solchen Falle ist es nicht wahrscheinlich, daß das Ge­wissen erreicht war. Ein durch das Wort getroffenes Gewissen macht den Menschen nachdenklich; er sieht sich in der Gegenwart Gottes, was immer eine ernste Sache ist, wie anziehend auch Seine Gnade oder die durch Seine Güte eingeflößte Hoffnung sein mag. Ist hingegen das Gewissen nicht erreicht, so ist keine Wurzel da. Das Wort ist aufgenommen worden wegen der Freude, die es dem Herzen mitteilt; sobald es aber Trübsale herbeiführt, verläßt man es wieder. Wenn das Gewissen bereits ge­übt war, bringt das Evangelium sofort Freude; wenn aber nicht, weckt es das Gewissen auf, vorausgesetzt, daß ein echtes Werk in der Seele vorgeht. Im ersten Falle ist es die Antwort auf die bereits vorhandenen Bedürfnisse und begegnet ihnen; im zweiten ruft es diese Bedürfnisse wach.

 

* Vergleiche Mark. 4, 33. 34. Es war angeinessen für alle, die Ohren hatten zu hören, aber es war den Halsstarrigen verborgen.

 

Die tagtägliche Geschichte ist die traurige, aber auch die beste Erklärung der dritten Klasse. Hier ist nicht böser Wille vorhanden, sondern Unfruchtbarkeit.

Ein wahres Verständnis des Wortes ist nur bei jenen erwiesen, die Frucht bringen. Ein solches Verständnis bringt die Seele in Verbindung mit Gott; denn das Wort offenbart Gott, es drückt aus, was Er ist. Verstehe ich es, so erkenne ich Ihn; und die wahre Erkenntnis Gottes, d. h. des Vaters und Seines Sohnes Jesus Christus, ist das ewige Leben. Wie groß oder klein auch der Grad des Lichtes sein mag~ stets ist es der also geoffenbarte Gott, der durch das Wort, das Jesus sät, bekannt ge­macht wird; und, in solcher Weise durch das Wort ge­zeugt, bringen wir in dieser Welt in verschiedenem Maßz die Früchte des Lebens Gottes hervor. Es handelt sich hier um die Wirkung, welch,‑. die Aufnahme der durch Jesum gebrachten Wahrheit in dieser Welt hervorbringt, nicht um den Himmel, noch um das, was Gott im Her­zen wirkt, um den Samen zum Fruchttragen zu bringen.

Das Gleichnis vom Säemann ist nicht ein Sinnbild des Reiches, obgleich das gesäte Wort das Wort vom Reiche war; es spricht vielmehr von dem großen elemen­taren Grundsatz des Dienstes Christi in der Allgemein­heit seiner Anwendung, wie er in Seiner Person und in Seinem Dienste verwirklicht ‑wurde, während Er auf Erden war, und selbst noch nach Seiner Aufnahme, ob­gleich dann noch völligere Gegenstände der Gnade ans Licht getreten sein mögen.

In den sechs folgenden Gleichnissen* finden wir Sinn­bilder des Reiches. Wir müssen uns daran erinnern, daß es das Reich ist, das während der Verwerfung des Königs* aufgerichtet ist und infolgedessen einen besonderen Charakter trägt. Das will sagen, es ist gekenn­zeichnet durch die Abwesenheit des Königs; indes wird in der Erklärung des ersten dieser Gleichnisse die Wir­kung Seiner Rückkehr in Sein Reich hinzugefügt.

 

* Beachten wir noch dies‑ nachdem uns in Kapitel 12 das Ge­richt des jüdischen Volkes vorgestellt worden ist, tritt in diesem 13. Kapitel das Reich, wie es in der Abwesenheit des Königs ist, vor unsere Blicke; darauf im 16. Kapitel die durch Christum erbaute Kirche und in Kapitel 17 das Reich in Herrlichkeit.

 

Die drei ersten Gleichnisse stellen das Reich in seiner äußeren Form in der Welt dar; sie sind an die Menge gerichtet. Die drei letzten beschreiben das Reich nach der Wert­schätzung des Heiligen Geistes, nach seinem wirklichen Charakter, so wie Gott es sieht: Seine Gedanken und Ratschlüsse darin. Sie sind demzufolge nur an die Jün­ger gerichtet. Die öffentliche Aufrichtung des Reiches in der Gerechtigkeit und Macht Gottes wird ebenfalls den Jüngern in der Erklärung des Gleichnisses "vom Un­kraut" angekündigt.

Betrachten wir zunächst die äußere Form, die das Reich annehmen sollte und die der Menge öffentlich an­gekündigt wurde. Der König, d. li. der Herr Jesus, war auf der Erdc verworfen. Die Juden hatten durch Seine Verwerfung sich selbst das Urteil gesprochen; und indem das Wort Gottes dazu diente, das Werk Dessen, Den der Vater gesandt hatte, zu erfüllen, verkündigte der Herr, daß Er das Reich nicht durch Seine in Gerech­tigkeit und Gericht ausgeübte Macht, sondern dadurch aufrichten würde, daß Er den Herzen der Menschen von demselben Zeugnis gab. Das Reich sollte jetzt einen Cha­rakter annehmen, der sowohl mit der Verantwortlichkeit des Menschen verbunden war, als auch mit der Wirkung, die hervorgebracht wird, wenn das Wort des Lichtes auf der Erde gesät, an die Herzen der Menschen gerichtet und als ein System der Wahrheit ihrer Treue und Pflege überlassen wird, während Gott jedoch Sein unum­schränktes Recht festhält, die Seinigen und die Wahrheit Selbst zu bewahren. Letzteres ist jedoch nicht der Gegen­stand dieser Gleichnisse; ich erwähne es hier nur, weil sonst angenommen werden könnte, daß alles ganz und gar von den Menschen abhängig wäre. Ach,'in diesem Falle wäre alles verloren gewesen!

Das Gleichnis "vom Unkraut" ist das erste (V. 24‑30). Es gibt uns einen allgemeinen Begriff von der Wirkung der Aussaat ün Blick auf das Reich, oder vielmehr von dem Ergebnis der zeitweiligen Übergabe des Reiches hie­nieden in die Hände der Menschen. Und dieses Er­gebnis ist, daß das Reich hienieden, als ein Ganzes be­trachtet, nicht mehr das Aussehen eines Werkes des Herrn Selbst hat. Er sät kein Unkraut; aber durch die Nachlässigkeit und Schwachheit der Menschen hat der Feind Mittel und Wege gefunden, solches zu säen. Be­merken wir, daß unter dem Unkraut weder die Heiden noch die Juden zu verstehen sind, sondern vielmehr das Böse, das durch Satan unter den Christen angerichtet wurde durch schlechte Lehren, schlechte Lehrer und deren Anhänger. Der Herr Jesus säte, und während die Menschen schliefen, säte auch Satan. Da waren Menschen, welche die Christen unter das Judentum zurückzubringen trachteten, da waren Philosophen und Ketzer, die es einerseits mit den beiden erstgenannten hielten oder andererseits sich der Wahrheit des‑ Alten Testamentes widersetzten.

Christus hatte indes nur guten Samen gesät. Muß nun das Unkraut ausgerissen werden? Offenbar hängt der Zustand des Reiches während der Abwesenheit Christi von der Beantwortung dieser Frage ab; auch dient sie dazu, auf diesen Zustand Licht zu werfen. Nun war aber noch weniger Fähigkeit vorhanden, das eingedrun­gene Übel zu beseitigen, als dagewesen war, um sein Eindringen zu verhindern. Alles mußte bleiben, wie es war, bis zum Auftreten des Königs zur Zeit der Ernte. Das Reich der Himmel auf Erden, so wie es sich in den Händen der Menschen befindet, muß ein gemischtes System bleiben. Ketzer und falsche Brüder werden ebensowohl da sein wie die Frucht des Werkes des Herrn; und dieses Ergebnis des letzten Versuchs Gottes mit dem Menschen ist ein Beweis von dessen Unfähigkeit, das Gute und Reine in seinem ursprünglichen Zustand zu be­wahren. So ist es immer gewesen*.

Zur Zeit der Ernte (ein Ausdruck, der einen gewissen Zeitraum bezeichnet, in dem sich die mit der Ernte in Verbindung stehenden Ereignisse erfüllen) wird der Herr Sich zuerst in Seiner Vorsehung mit dem Unkraut beschäftigen. Ich sage "in Seiner Vorsehung", weil Er Sich der Engel dazu bedienen wird. Das Unkraut wird in Bündel gebunden werden, um der Verbrennung an­heim zu fallen. In diesem Gleichnis ist, wie bereits be­merkt, die Rede von den äußeren Erscheinungen in die­ser Welt, von Handlungen, die das Verderben ausrotten, das inmitten der Christenheit aufgewachsen ist. Die Knechte sind dazu nicht fähig; denn die durch ihre Schwachheit und Nachlässigkeit verursachte Vermengung ist eine derartige, daß sie beim Zusammenlesen des Un­krauts auch den Weizen mitausraufen wüiden. Es würde ihnen nicht nur das Unterscheidungsvermögen, sondern auch die praktische Kraft der Aussonderung mangeln, um ihre Absicht in Ausführung bringen zu können. Ist das Unkraut einmal vorhanden, so haben die Knechte bezüg­lich seines Vorhandenseins in dieser Welt, in der Chri­stenheit, nichts mit ihm zu schaffen; ihr Dienst beschäftigt sich mit dem Guten. Die Christenheit von dem Un­kraut zu reinigen ist nicht ihre Sache; es ist ein Werk des Gerichts über das, was nicht von Gott ist – ein Werk, das Dem zukommt, Der es nach der Vollkommen­heit einer allumfassenden Kenntnis und mit einer Macht, der nichts entrinnen kann, auszuführen vermag.

 

* Es ist ein ernster Gedanke, daß die erste Tat des Menschen immer darin bestanden hat, zu verderben, was Gott gut ein­gerichtet hatte. So war es Mit Adam, mit Noah, mit dem Gesetz, mit dem Priestertum Aarons, mit dem Sohne Davids, ja, selbst mit Nebukadnezar, und so ist es auch mit der Kirche. In den Tagen des Apostels Paulus suchten alle das Ihrige, nicht das, was Jesu Christi ist. Allen wird wieder gut, ja, besser und be­ständig gemacht in dem Messias.

 

Er wird von zwei Menschen, die auf einem Bette sein wer­den, den einen zu nehmen und den anderen zu lassen wissen (Luk. 17, 34). Die Vollstreckung des Gerichts über die Bösen in dieser Welt ist nicht Aufgabe der Knechte* Christi. Er wird es vollziehen durch die Engel Seiner Macht, denen Er die Ausführung dieses Werkes überträgt.

Nachdem das Unkraut gebunden ist, sammelt Er den Weizen auf Seinen Speicher. Der Weizen wird nicht, wie das Unkraut, in Bündel gebunden, sondern der Herr nimmt ihn ganz und gar zu Sich. Das ist das Ende dessen, was die äußere Erscheinung des Reiches hienieden aus­macht. Es ist zwar nicht alles, was dieses Gleichnis uns lehren kann, aber es beendigt den Gegenstand, von dem dieser Teil des Kapitels spricht.

Während der Abwesenheit Jesu wird das Ergebnis Seines Säens, als Ganzes hienieden betrachtet, durch das Werk des Feindes verdorben. Aber am Ende wird der Herr das Unkraut, das ganze Werk des Feindes, in Bündel binden, d. h. in dieser Welt für das Gericht zubereiten, und dann wird Er die Versammlung aufneh­men. Augenscheinlich schließt das die Vorgänge ab, die sich während Seiner Abwesenheit hienieden entwickeln. Das Gericht ist noch nicht vollzogen; und bevor der Herr davon redet, gibt Er uns andere Darstellungen der For­men, welche das Reich während der Zeit Seiner Abwesen­heit annehmen wird.

 

 

* Ich rede hier von denen, die während der Zeit Seiner‑ Ab­wesenheit Seine Diener hienieden gewesen sein werden: denn auch die Engel und die Heiligen des zukünftigen Zeitalters sind Seine Knechte.

 

 

Das, was als ein Senfkorn gesät worden war, wird ein .großer Baum" (V. 31. 32), das Sinnbild einer großen Macht auf der Erde. Die Assyrer, der Pharao, auch Nebukadnezar werden in dem Worte als große Bäume bezeichnet (siehe Hes. 31, 3 u. L; 17, 23. 24; Dan. 4, 10 u. f.). So würde das Reich sich gestalten, das durch das vom Herrn und später von Seinen Jün­gern gesäte Wort einen so unscheinbaren Anfang nahm. Das aus diesem Samen Aufsprießende würde allmählich die Form einer großen Macht annehmen, die sich auf der Erde in Ansehen bringen, und unter welcher man, wie die Vögel unter den Zweigen eines Baumes, Schutz suchen würde. Und so ist es in der Tat geworden.

Das Reich würde indes, wie wir weiter sehen (V. 33 u. f.), nicht nur zu einem großen Baume auf Erden werden, sondern sich auch als ein weithin sich aus­breitendes Lehrsystem kennzeichnen, als ein Bekenntnis, das alle umfassen würde, über die sich sein Einfluß er­streckt. Der ganze Teig von drei Maß Mehl würde durch­säuert werden. Ich brauche mich hier nicht bei der Tat­sache aufzuhalten, daß das Wort "Sauerteig" von den heiligen Schreibern stets in einem bösen Sinne gebraucht wird. Der Heilige Geist will uns durch diesen Ausdruck zu verstehen geben, daß es sich hier nicht handelt um die wiedergebärende Kraft des Wortes in dem Herzen eines Menschen, die ihn zu Gott zurückführt; auch ist es nicht einfach eine durch äußere Gewalt handelnde Macht, wie der Pharao, Nebukadnezar und die anderen großen Bäume der Heiligen Schrift, sondern vielmehr ein Lehrsystem, das, alles durchdringend, die Masse des Teiges kennzeichnet. Es ist weder der eigentliche Glaube noch das Leben, sondern eine Religion; es ist die Chri­stenheit. Das Bekenntnis einer Lehre in solchen Herzen, die weder Gott noch die Wahrheit ertragen, verbindet sich stets mit Verderbtheit in der Lehre selbst.

Mit dem Gleichnis "vom Sauerteig" enden die Be­lehrungen des Herrn für die Menge. Alles wurde jetzt in Gleichnissen zu ihnen geredet; denn sie nahmen Ihn,

ihren König, nicht auf, und Er redete von Dingen, die sowohl Seine Verwerfung, als auch einen Charakter des Reiches voraussetzten, der den Offenbarungen des Alten Testamentes unbekannt war. Diese Offenbarungen reden entweder von einem in Macht errichteten Reiche, oder von einem kleinen Überrest, der, von Leiden umgeben, das Wort des verworfenen Propheten‑Königs aufnimmt.

Nach diesem Gleichnis bleibt Jesus nicht mehr bei der Menge am Ufer des Sees. Er verläßt diesen Ort, welcher derStellung angemessenwar,in derErSich nach dem am Ende des 12. Kapitels abgelegten Zeugnis dem Volke gegenüber befand, und wohin Er, das Haus ver­lassend, gekommen war. Jetzt tritt Er mit Seinen Jün­gern wieder in das Haus ein (V. 36); und hier offen­bart Er, in traulicher Abgeschlossenheit mit ihnen, den wahren Charakter, den eigentlichen Gegenstand des Rei­ches der Himmel sowie das Ergebnis dessen, was in ihm geschehen, sowie die Mittel, die angewandt werden soll­ten, um alles auf Erden zu reinigen, wenn die äußere Ge­schichte des Reiches während Seiner Abwesenheit beendet sein würde. Das heißt, wir finden hier das, was das Reich für den geistlichen Menschen kennzeichnet, das was dieser als Gottes wahre Gedanken über dieses Reich er­kennt, sowie das Gericht, das alles aus dem Reiche ent­fernen wird, was Ihm zuwider ist, die Ausübung 'dei Macht, die das Reich äußerlich nach dem Herzen Gottes gestalten wird.

Wir haben die äußere Geschichte des Reiches damit enden sehen, daß der gute Weizen auf dem Speicher ge­borgen und das Unkraut in Bündel gebunden, zum Ver­brennen bereit, auf der Erde gelassen wird. Die Erklä­rung dieses Gleichnisses nimmt die Geschichte des Rei­ches zu jener Zeit wieder auf; nur läßt der Herr die ver­schiedenen Teile der Mischung des Unkrauts und des Weizens erkennen und unterscheiden, indem Er jeden Teil seinem wahren Urheber zuschreibt. Der Acker ist die Welt*. Dort wurde das Wort zur Errichtung des Rgiehes in dieser Weise gesät. Der gute Same waren die Söhne des Reiches; sie gehörten demselben wirklich Gott gemäß an, sie waren Erben desselben. Die Juden waren das nicht mehr, auch war es nicht mehr das Vor­recht der natürlichen Geburt, zu ihm zu gehören. Die Kinder des Reiches wurden durch das Wort geboren. Aber unter diese führte der Feind, um das Werk des Herrn zu verderben, allerlei Leute ein ‑ die Frucht der Lehren, welche er unter jene gesät hatte, die aus der Wahrheit geboren waren. Das ist das Werk Satans da, wo die Lehre Christi gepflanzt worden war.

"Die Ernte ist die Vollendung des Zeitalters"; die Schnitter aber sind Engel" (V. 39). Man wird hier bemerken, daß der Herr nicht die Ereignisse geschichtlich erkläft, sondern vielmehr die Ausdrücke, deren Er Sich bedient hatte, um den Ausgang zur Zeit der Ernte zu beschreiben. Die Erfüllung des geschichtlichen Teiles des Gleichnisses wird vorausgesetzt; und der Herr geht zu dem großen Ergebnis über, abgesehen davon, was das Reich während Seiner Abwesenheit droben war. Der Weizen, d. h. die Kirche, ist auf dem Speicher, das Un­kraut in Bündeln auf der Erde. Nun, der Sohn des Menschen wird alles das, was diese Bündel enthalten, alles, was in dem Reich Gott anstößig ist, nehmen und in den Feuerofen werfen, wo das Weinen und das Zähne­knirschen sein wird (V. 40‑42). Nach diesem Gericht werden die Gerechten in dem Reiche ihres Vaters leuchten, gleich Ihm Selbst, der wahren Sonne dieses Tages der Herrlichkeit, des zukünftigen Zeitalters. Christus wird das Reich von dem Vater, dessen Söhne sie waren, empfangen; und diesem Charakter entsprechend werden sie mit Ihm darin leuchten.

 

 

* Es ist klar, daß der Herr das Säen nicht in der Kirche be­gann, denn sie bestand damals noch nicht. Er unterscheidet viel­mehr Israel hier von der Welt und spricht von der letzteren. Er suchte "Frucht in Israel"; weil aber Israel trotz all Seiner Bearbeitung keine Frucht brachte, so säte Er "in der Welt".

** Nicht nur der Zeitpunkt, der es beendet, sondern die Handlungen, welche, indem sie es beenden, die Absichten Gottes erfüllen (s~nt61eia).

 

So stellte also der Herr der Menge das Ergebnis der göttlichen Aussaat auf der Erde sowie die göttlichen Machenschaften des Feindes ‑ das Reich, unter dieser Form dargestellt ‑ vor Augen; dann die Verbindung der Bösen untereinander, abgesehen von ihrer natürlichen Ordnung auf der Oberfläche des Feldes, und endlich die Hinwegnahme der Kirche. Seinen Jüngern erklärt der Herr alles, was nötig war, um ihnen die Ausdrücke des Gleichnisses völlig verständlich zu machen. Dann folgt die Ausführung des Gerichts durch den Sohn des Mcn­scheu, über die Bösen, die ins Feuer geworfen werden, und die Offenbarung der Gerechten in Herrlichkeit. Diese letzten Ereignisse gehen in Erfüllung, nachdem der Herr schon aufgestanden ist, der äußern Form des Reiches der Himmel auf Erden ein Ende gemacht hat, und nachdem die Bösen in Haufen gesammelt und die Heiligen auf­genommen sind *.

Nachdem der Herr so, zur vollständigen Unterweisung Seiner Jünger, die Erklärung der öffentlichen Geschichte des Reiches und deren Ergebnis in Gericht und in Herr­lichkeit gegeben hat, teilt Er ihnen die Gedanken Gottes betreffs dessen mit, was sich während der Entwicklung der äußeren und irdischen Begebenheiten des Reiches auf der Erde zutragen würde; d. h. Er teilt ihnen das mit, was der geistliche Mensch darin unterscheiden sollte.

 

* Man beachte hier auch, daß das Reich der Himmel in zwei Teile eingeteilt wird, in das Reich des Sohnes des Menschen und das Reich unseres Vaters: die Gegenstinde des Gerichts in dem, was Christo unterworfen ist, und ein Platz gleich dem Seinigen vor dem. Vater für die Söhne.

 

 

Das Reich der Himmel war für den, der die Absicht Gottes verstand, gleich einem "in einem Acker verbor­genen Schatz" (V. 44). Ein Mensch findet den Schatz und kauft den Acker, um jenen zu besitzen. Der Acker war nicht sein Zweck, sondern der Schatz, der sich darin befand. Also hat Christus die Welt erkauft. Er besitzt sie von Rechts wegen. Sein Zweck ist der in ihr verbor­gene Schatz, Sein eigenes Volk, und in Verbindung da­mit die ganze Herrlichkeit der Erlösung, mit einem Wort, die Kirche, nicht in ihrer sittlichen und in gewissem Sinne göttlichen Schönheit betrachtet, sondern als der besondere Gegenstand der Wünsche und des Opfers des Herrn, als das, was Sein Herz in dieser Welt nach den Ratschlüssen und Gedanken Gottes gefunden hatte.

In diesem Gleichnis ist es die starke Anziehungskraft dieser "neuen Sache", welche den Finder veranlaßt, den ganzen Acker zu kaufen, um in den Besitz des Schatzes zu gelangen. Die Juden waren keine neue Sache; die Welt hatte nichts Anziehendes für Christum; aber dieser neue Schatz veranlaßte seinen Entdecker, alles zu verkaufen, was er hatte, um ihn zu gewinnen. Tatsächlich hat Chri­stus alles verlassen. Er hat Sich nicht allein zu nichts gemacht, um uns zu erkaufen, sondern hat auch allem entsagt, was Ihm als Mensch, als Messias auf der Erde, angehörte: den Verheißungen, Seinen königlichen Rech­ten, Seinem Leben, um so die Welt zu erlangen, die diesen Schatz, das Volk, das Er liebte, in sich barg.

Derselbe Gedanke, nur durch andere ein wenig ab­geändert, findet sich in dem Gleichnis "von der sehr kostbaren Perle" wieder (V. 45. 46). Ein Käufmann sucht schöne Perlen. Er kennt ihren Wert; er hat Sinn, Unterscheidungsvermögen und Kenntnis betreffs dessen, was er sucht. Es ist die wohlbekannte Schönheit der Sache, die ihn zu diesem Suchen veranlaßt. Wenn er eine Perle gefunden hat, die seinen Gedanken entspricht, so weiß er, daß es sich der Mühe lohnt, für deren Besitz alles zu verkaufen. Die Perle hat diesen Preis in den

Augen dessen, der ihren Wert zu schätzen weiß. Auch kauft er nur die Perle und nichts weiter. So hat Christus in der Kirche an sich eine Schönheit und, dieser Schön­heit wegen, einen Wert gefunden, der Ihn alles aufgeben ließ, um sie zu erlangen. Gerade so ist es im Blick auf das Reich. In Anbetracht des Zustandes des Menschen, selbst der Juden, forderte die Herrlichkeit Gottes, daß für den Besitz dieser neuen Sache alles aufgegeben werde‑, denn. im Menschen war nichts, was Christus für Sich hätte nehmen können. Nicht nur war Er zufrieden, alles für den Besitz dieser neuen Sache aufzugeben, sondern das, was Sein Herz suchte, was Er nirgendwo anders fand, hat Er in dem gefunden, was Gott Ihm in dem Reiche gegeben hat. Er kaufte keine anderen Perlen. Bis Er diese Perle fand, hätte Ihn auch nichts bewegen kön­nen, alles zu verkaufen, was Er hatte. Sobald Er aber diese gesehen hat, ist Er entschlossen, alles für sie hin­zugeben. Ihr Wert bestimmt Ihn dazu; denn Er weiß ihn zu schätzen, und Er sucht mit Einsicht.

Ich will damit nicht sagen, daß nicht auch die Söhne des Reiches durch denselben Grundsatz geleitet werden. Wenn wir gelernt haben, was es ist, ein Sohn des Rei­ches zu sein, so verlassen wir alles, um uns dessen zu er­freuen, um zu der "sehr kostbaren Perle" zu gehören; allein wir kaufen nicht den Acker, um den Schatz zu besitzen, und wir sind sehr weit davon entfernt, schöne Perlen zu suchen, bevor wir "die sehr kostbare Perle" ge­funden haben. Deshalb können die Gleichnisse "vom Schatz" und "von der Perle" in ihrer vollen Kraft nur auf Christum angewandt werden. Der Zweck diesec Gleichnisse ist, den Gegensatz zwischen dem, was damals geschah, und dem vorhergehenden Zustande, d. h. den Beziehungen des Herrn zu den Juden, hervortreten zu lassen.

Es bleibt uns nun noch das letzte der sieben Gleich­nisse zu betrachten übrig, nämlich das "von dem ins Meer geworfenen Netze" (V. 47‑50). In diesem Gleich­nis findet hinsichtlich der tätigen Personen kein Wechsel statt, d. h. in dem Gleichnis selbst. Dieselben Personen, welche das Netz auswerfen, ziehen es wieder an das Ufer herauf und beginnen die Auslese, indem sie die guten Fische in Gefäße sammeln und sich mit den schlechten nicht weiter beschäftigen. Die guten Fische in Sicherheit zu bringen ist das Geschäft derer, die das Netz ans Ufer ziehen; und diese Arbeit findet erst dann statt, wenn die Fische am Ufer sind. Ohne Zweifel neh­men die Fischer die Auslese vor; allein sie beschäftigen sich nur mit den guten Fischen, und sie kennen sie. Das ist ihre Arbeit, der Zweck ihres Fischens. Allerdings gehen auch andere Fische mit ins Netz und werden mit den guten zusammen gefunden; es sind aber deshalb keine guten Fische. Eine andere Beurteilung ist unnötig. Die Fischer kennen die guten Fische; wenn sie nicht gut sind, so lassen sieSie beiseite. Das Tun der Fischer gehört mit zur Geschichte des Reiches der Himmel. Von dem Gericht über die Bösen ist hier keine Rede; die schlechten Fische werden, wenn die Fischer die guten in Gefäße sammeln, am Ufer liegengelassen. Die schließliche Bestimmung der Guten und Bösen wird uns hier nicht mitgeteilt. Das End‑Schicksal der einen ist nicht einfach, an dem Ufer ausgesondert zu werden. und das der anderen, dort liegenzubleiben; es folgt erst auf die im Gleichnis vor­genommene Handlung. Hinsichtlich der Bösen findet das Gericht nicht statt durch ihre bloße Absonderung von den Guten, mit denen sie vermengt waren, sondern durch ihre Vertilgung. Weder in diesem Gleichnis noch in dem von dem Unkraut unter dem Weizen, bildet die Aus­übung des Gerichts einen Teil des Gleichnisses selbst. Dort wird das Unkraut in Bündel gebunden und auf dem Felde gelassen, hier werden die Bösen aus dem Inhalt des Netzes genommen und weggeworfen.

So ist das Netz des Evangeliums in das Meer der Völker geworfen worden und hat Menschen aller Art umschlossen. Nach diesem allgemeinen Sammeln, wo­durch das Netz gefüllt worden ist. bringen die Arbeiter des Herrn, indem sie sich mit den Guten beschäftigen, diese zusammen und trennen sie von den Bösen. Jedoch muß hier bemerkt werden, daß dies nicht das ursprüng­liche Sammeln der Kirche, sondern ein Gleichnis. vom Reiche ist, und daß es sich hier um den Charakter han­delt, den dasselbe annimmt, wenn das Evangelium eine Menge von Guten und Bösen zusammengebracht hat. Am Ende, wenn das Netz aufgezogen ist und alle Sorten von Fischen umschlossen hat, werden die Guten, weil sie kostbar sind, ausgesondert und die anderen beiseite­gelassen. Die Guten werden in verschiedene Gefäße zu­sammengebracht; die Heiligen werden gesammelt, doch nicht durch Engel, sondern durch die Tätigkeit derer, welche im Namen des Herrn gearbeitet haben. Die Unter­scheidung wird nicht durch das Gericht herbeigeführt, sondern durch die Fischer, die sich mit den Guten be­schäftigen.

Die Vollstreckung des Gerichts ist eine andere Sache; die Arbeiter haben nichts damit zu tun. In der Voll­endung des Zeitalters werden die Engel ausgehen, die Bösen aus der Mitte der Gerechten aussondern (nicht die Gerechten aus den übrigen, wie die Fischer taten) und sie in den Feuerofen werfen, wo das Weinen und das Zähneknirschen sein wird (V. 49. 50). Hier wird nichts davon gesagt, daß sie sich mit den Gerechten beschäftigen; das Sammeln in die Gefäße ist nicht Sache der Engel, sondern der Fischer. In beiden Gleichnissen beschäftigen sich die Engel mit den Bösen. Das sichtbare Ergebnis hatte der Herr in dem Gleichnis vom Unkraut gezeigt, sowohl während des Zeitabschnittes des Reiches der Him­mel, als auch hernach. Hier wird dies nicht wiederholt; jedoch wird die Handlung hinzugefügt, die, wenn das Netz gefüllt ist, hinsichtlich der Gerechten vollzogen werden muß. Das Schicksal der Bösen wird hier nochmals angeführt, um die betreffs ihrer zu vollziehende Hand­lung von derjenigen zu unterscheiden, welche die Fischer ausüben, indem sie die guten Fische in verschiedene Ge­fäße sammeln. Es wird jedoch unter einem anderen Ge­sichtspunkt dargestellt; und die Gerechten werden da ge­lassen, wo sie waren. In dem Gleichnis vom Unkraut wird das Gericht der Bösen mitgeteilt, wie in diesem: sie wer­den dahin geworfen, wo das Weinen und das Zähne­knirschen ist. Aber während dort der allgemeine Zu­stand des Reiches gezeigt wird, und wir die Gerechten leuchten sehen wie die Sonne ‑ der erhabene Teil des Reiches ‑ haben wir hier nur das, was der Einsichtsvolle versteht, was. der geistliche Sinn wahrnimmt: die Ge­rechten werden in Gefäße getan. Vor dem Gericht findet eine Trennung durch geistliche Kraft statt, die in dem allgemeinen öffentlichen Zustand des Reiches nicht vor­handen war; in letzterem zeigte sich nur das, was die Vor­sehung öffentlich auf dem Felde tat, und dann wurde der gute Weizen nach oben aufgenommen. Hier findet die Trennung statt durch die Beschäftigung mit den Guten. Das war der wichtigste Punkt für ein geistliches Verständ ‑nis. Es handelt sich nicht um eine öffentliche Entfal­tung des Reiches, doch wird das Gericht an den Bösen tatsächlich ausgeübt, und die Gerechten werden dann da gelassen werden, wo sie sind*.

In der Erklärung des Gleichnisses vom Unkraut

 

Erklärung übeT das Gleichnis richt, das öffentlich bezeugt

Üungen und Gleichnissen geht

 

weil die Ausführung des Ge,

,h"i:nzul,n allen sinnbildlichen Prophez' hinaus und fügt Tatsachen

 

was zur Zeit des Gleichnisses nur geistlich unterschieden ‑erde'

n

konnte. Das letztere mag geistlidh verstanden werden; aber das Gericht wird das Ergebnis, die öffentliche Erklärung, bringen, so daß wir in der Auslegung stets über das Gleichnis hinausgehen müssen. Das Gericht zeigt öffentlich, was vorher nur auf geist­liche Weise verstanden werden konnte, und führt eine neue Ord­nung der Dinge ein (vgl. Dan. 7).

finden wir ein bedingungsloses und endgültiges Gericht über das Unkraut: das, was auf dem Felde bleibt und schon gesammelt und durch die Vorsehung von dem Wei­zen getrennt wurde, wird zerstört und verzehrt. Die Engel werden am Ende ausgesandt, nicht um das Un­kraut von dem Weizen zu scheiden (das war schon ge­schehen), sondern um das Unkraut ins Feuer zu werfen und das Reich auf diese Weise zu reinigen. In der Erklärung des Gleichnisses von den Fischen hingegen findet die Auslese selbst statt; es werden Gerechte auf der Erde sein, und die Bösen werden von ihnen abge­sondert werden. Die praktische Belehrung dieses Gleich­nisses ist.‑ Trennung der Guten von den Bösen, und ein Vereinigen der ersteren in Gemeinschaften. Das ist mehr als einmal geschehen, indem an verschiedenen Orten viele Gute in eins versammelt wurden. Die Knechte des Herrn sind die Werkzeuge, die zur Ausführung des in dem Gleichnis Gesagten dienen.

Diese Gleichnisse enthalten Neues und Altes (V. 51. 52). Die Lehre vom Reiche z. B. war wohlbekannt; daß aber das Reich die von dem Herrn beschriebenen Formen annehmen würde, daß es die ganze Welt ohne Unterschied umfassen sollte, indem das Volk Gottes seine Herkunft nicht von Abraham, sondern von dem Worte Gottes herleitete ‑ alles das war ganz neu. Alles aber war von Gott. Die, Schriftgelehrten hatten wohl Kenntnis vom Reiche; aber sie waren ganz unwissend über den Charakter, den es annehmen würde als das Reich der Himmel, wie es in dieser Welt mittels des Wortes (von dem alles hier abhängt) errichtet werden sollte.

Vom 53. Verse an nimmt der Herr Sein Werk unter den Juden* wieder auf. Sie sehen in Ihm nur den Sohn des Zimmermanns"; sie kannten Seine Familie nach dem Fleische. Das Reich der Himmel war in ihren Augen nichts. Es wurde anderen geoffenbart, denen die Kenntnis der. göttlichen Gedanken vermittelt werden sollte. Das Verständnis der Juden ging nicht über das hinaus, was das natürliche Herz wahrnehmen konnte; und die Segnung des Herrn wurde durch ihren Unglauben zurückgehalten: Er wurde als Prophet und auch als König durch Israel verworfen.

 

* Die folgenden Kapitel sind ergreifend in ihrem Charakter. Die Person Christi, als der Jehova von Psalm 132, wird ein­geführt; aber Israel wird fortgesehickt, die Jünger werden allein­gelassen, während Er auf der Höhe betet. Er kehrt zurück, gesellt

 

 

Kapitel 14

 

Hier nimmt unser Evangelium den geschichtlichen Lauf seiner Offenbarungen wieder auf, aber in einer Weise, die den Geist zeigt, von welchem das jüdische Volk be­seelt war. Herodes, der seine irdische Macht und seine Herrlichkeit mehr liebte als die Unterwerfung unter das Zeugnis Gottes, und der (obgleich er, wie es scheint, die Kraft der Wahrheit in vielen Dingen erkannte) mehr durch einen falschen Ehrbegriff als durch sein Gewissen beherrscht wurde, hatte den Vorläufer des Messias, Jo­hannes den Täufer, enthaupten lassen, nachdem er ihn zuvor schon wegen des treuen Verweises betreffs seiner Sünde mit der Herodias ins Gefängnis geworfen hatte.

 

Sich wieder zu ihnen, und die Bewohner von Gadara erkennen Ihn an. Dann haben wir in Kap. 15 die ausführliche Beschrei­bung des Bodens, auf welchem Israel in sittlicher Beziehung hätte stehen sollen und wo es tatsächlich stand; und Jesus führt diese Beschreibung noch viel weiter aus, indem Er zeigt, was das !nenschliche Herz ist, aber auch, was Gott ist, wenn Er Sich in Gnade dem Glauben offenbart, selbst wenn dieser Glaube sich in einer Heidin vorfindet. Geschichtlich erkennt Er Israel noch an, aber in göttlicher Vollkommenheit, zugleich aber auch in einer Macht, die Seiner Verwaltung als Mensch anvertraut war. In Kap. 16 wird dann die Kirche prophetisch eingeführt und den Jüngern verboten zu sagen, daß Er der Christus sei; das war vorüber. In Kap. 17 erscheint das Reich der Herrlichkeit in einem Gesicht.

    Jesus empfindet tief die Tragweite dieser Tat, die Ihm berichtet wird. Da Er mit Johannes, wie hoch Er persönlich auch über ihm ' stand, in gemeinsamem demü­tigem Dienst das Zeugnis Gottes in der Gemeinde Is­raels erfüllte, fühlte Er Sich mit ihm im Herzen und auch in Seinem Werke verbunden; denn Treue inmitten all des Bösen bindet die Herzen sehr eng zusammen, und Jesus war herabgekommen, um einen Platz einzunehmen, an dem es sich um Treue handelte (siehe Ps. 40, 9. 10). Als Er daher den Tod des Johannes vernahm, zog Er Sich an einen öden Ort zurück. Indem Er Sich aber von der Volksmenge entfernt, die das Zeugnis Gottes öffentlich zu verwerfen beginnt, hört Er nicht auf, ihren Bedürfnissen entgegenzukommen und dadurch Zeugnis abzulegen, daß Der, welcher alle ihre Bedürfnisse in göttlicher Weise zu befriedigen vermochte, unter ihnen gegen­wärtig war. Denn die Menge, die diese Bedürfnisse fühlte und die Macht Jesu, wenn auch ohne Glauben, bewunderte, folgt Ihm in die Wüste; und von Mitleid bewegt, heilt Jesus alle ihre Kranken. Am Abend bitten Ihn Seine Jünger, die Menge zu entlassen, damit sie sich nach Speise umsehe. Er aber lehnt das ab und legt dann ein bemerkenswertes Zeugnis ab, daß in Seiner Person Der gegenwärtig war, welcher die Armen Seines Volkes mit Brot sättigen sollte (Ps. 132) * Jehova, der Herr, der den Thron Davids aufgerichtet hatte, war gegenwärtig in der Person des Erben jenes Thrones (V. 13‑21)~. 'Ich zweifle nicht daran, daß wir durch die "zwölf" mit Brocken gefüllten Körbe, von denen hier die Rede ist, an die Zahl erinnert werden, die in der Heiligen Schrift immer die Vollkommenheit der ver­waltenden Macht im Menschen bezeichnet. Beachten wir auch, daß der Herr hier bei Seinen zwölf Jüngern die Fähigkeit erwartet, als Werkzeuge zur Ausübung Seiner Segens‑ und Machttaten zu dienen, indem sie Seiner eigenen Macht gemäß die Segnungen des Reiches spenden. "Gebet ihr ihnen zu essen", sagt Er. Es handelt sich hier um die Segnung des Reiches des Herrn 'und um die zwölf Jünger Jesu, als Ver­walter derselben; aber wir begegnen zugleich einem höchst wichtigen Grundsatz hinsichtlich des Ergebnisses des Glaubens bei jeder Dazwischenkunft Gottes in Gnade. Der Glaube sollte fähig sein, die Macht zu benutzen, die in einer solchen Dazwischenkunft wirksam ist, um so die Werke hervorzubringen, die jener Macht eigen sind, ent­sprechend der jeweiligen Zeitverwaltung und dem Ver­ständnis, das der Glaube von derselben hat. Wir wer­den diesen Grundsatz anderswo völliger entwickelt wie­derfinden. Die Jünger wollten die Menge entlassen, weil sie nicht wußten, wie sie die Macht Christi benutzen sollten. Sie hätten imstande sein sollen, sich ihrer zu­gunsten Israels zu bedienen, gemäß der Herrlichkeit Dessen, der unter ihnen war.

Wenn der Herr jetzt in vollkommener Geduld durch Seine Taten zeigt, daß Er, der Israel also zu segnen ver­mochte, inmitten Seines Volkes war, so legt Er nichts­destoweniger Zeugnis ab von Seiner Absonderung von diesem Volke infolge seines Unglaubens. Er läßt Seine Jünger in ein Schiff steigen und ohne Ihn an das jen­seitige Ufer fahren. Dann entläßt Er die Volksmenge und steigt auf den Berg, um allein. zu sein und zu beten, während das Schiff, in welchem die Jünger sich befin­den, von einem ungestümen Wind auf den Wogen des Sees hin‑ und hergeworfen wird: ein lebendiges Bild von dem, was sich seither zugetragen hat. Gott hat in der Tat Sein Volk ausgesandt, um das sturmbewegte Meer dieser Welt allein zu durchkreuzen, wo es einem Widerstand begegnet, gegen den schwer anzukämpfen ist. Unterdessen betet Jesus droben allein. Er hat das jüdi­sche Volk entlassen, das Ihn während der Zeit Seiner Anwesenheit hienieden umgeben hatte. Außer ihrem allgemeinen Charakter stellt diese Fahrt der Jünger besonders den jüdischen Überrest vor unsere Augen. Indem Petrus aus dem Schiffe steigt, geht er persönlich im Vorbilde über die Stellung des Überrestes hinaus. Er stellt den Glauben dar, der die irdische Be­quemlichkeit des Schiffes verläßt und Jesu, der Sich ihm geoffenbart hat, entgegengeht. Petrus wandelt auf dem Gewässer: ein kühnes Unternehmen, das aber gestützt ist auf das Wort Jesu: "Komm!" Bemerken wir jedoch, daß dieses Wandeln auf dem Gewässer keine andere Grundlage hat als. "Herr, wenn du es bist . . .", d. b. Jesum Selbst. Da ist keine Stütze, keine Möglichkeit wandeln zu können, wenn Christus aus dem Auge verloren wird; von Ihm hängt alles ab. Ein Schiff ist ein bekanntes Mittel, um über ein Wasser zu kommen; aber auf dem Wasser wandeln kann nur der Glaube, der auf Jesum schaut. Der Mensch, einfach als Mensch betrachtet, sinkt unter, sobald er das Wasser betritt. Der Glaube allein, der die in Jesu wohnende Kraft aus Ihm schöpft und der deshalb Ihm nachahmt, kann sich über dem Gewässer erhalten. Es ist lieblich, Jesu nachzuahmen: man ist Ihm dann näher, man ist Ihm ähnlicher. Petrus auf dem Gewässer ist ein Bild der wahren Stellung der Kirche, im Gegensatz zu dem Überrest in seinem ge­wöhnlichen Charakter. Jesus wandelt auf dem Wasser wie auf festem Boden; Er, der die Elemente so geschaffen hat, wie sie sind, kann wohl auch nach Seinem Wohl­gefallen über ihre Eigenschaften verfügen. Er erlaubt Stürme, um unseren Glauben zu erproben. Er wandelt auf den stürmischen Wogen geradeso gut wie auf den ruhigen. Der Sturm macht eigentlich keinen Unter­ schied; wer im Wasser sin * kt, sinkt bei der Windstille wie im Sturm, und wer auf dem Gewässer wandeln kann wird dies im Sturm wie bei Windstille vermögen, d. h. so lange, bis er auf die Umstände blickt und so des Glaubens ermangelt und den Herrn vergißt. Denn oft lassen uns die Umstände Jesum da vergessen, wo der Glaube uns befähigen sollte, über den Umständen erhaben zu sein, indem wir durch Glauben an Den wandeln, Der über ihnen allen steht.

Doch Gott sei Dank! Er, Der in Seiner eigenen Macht­vollkommenheit auf dem Gewässer wandelt, ist gegen­wärtig, um den Glauben und den wankenden Schritt Sei­nes armen Jüngers zu stützen. In jedem Falle hatte dieser Glaube den Petrus so nahe zu Jesu geführt, daß dieser Seine Hand ausstrecken und ihn aufrecht halten konnte. Der Fehler des Petrus war der, daß er auf die Wellen und auf den Sturm sah (die doch schließlich mit seinem Wandeln nichts zu schaffen hatten), anstatt auf Jesum zu blicken, Der unverändert blieb und auf denselben Wellen wandelte; das hätte der Glaube des Petrus beachten sollen. Doch sein Notschrei tut das, was sein Glaube hätte tun sollen: er setzt die Macht des Herrn in Tätigkeit. Nur diente das jetzt zu seiner Beschämung; er hätte statt dessen die Gemeinschaft des Herrn ge­nießen und wandeln sollen, wie Er wandelte.

Sobald Jesus in das Schiff gestiegen war, legte sich der Wind. Gerade so wird es sein, wenn Er zu dem Überrest Seines Volkes in dieser Welt zurückkehrt. Dann wird Er auch als Sohn Gottes angebetet werden von all denen, die im Schiffe sind, samt dem Überrest Israels. In Gene­zareth übt Jesus abermals die Macht aus, die am Ende der Tage alles Böse, das Satan auf diese Erde gebracht hat, von ihr vertilgen wird. Denn wenn Er zurückkehrt, wird die Welt Ihn anerkennen. Wir haben hier ein schö­nes Gemälde von dem Ergebnis der Verwerfung Jesu, wo­mit uns unser Evangelium schon bekannt gemacht hat, als vorgehend inmitten des jüdischen Volkes.

Kapitel 15

Dieses Kapitel zeigt uns den Menschen und Gott, den inneren Gegensatz der Lehre Jesu zu derjenigen der Juden; und daher wird das jüdische System von Gott verworfen. Wenn ich hier von dem jüdischen System rede, so verstehe ich darunter den ganzen sittlichen Zu­stand der Juden, der durch ihre Heuchelei zu einem System gestempelt wurde. Durch diese Heuchelei such­ten sie zwar das Böse zu verbergen, in Wirklichkeit aber vermehrten sie es nur in den Augen des Gottes, vor den sie hintraten. Sie bedienten sich Seines Namens, um unter dem Vorwande der Frömmigkeit selbst unter die Forderungen des natürlichen Gewissens herabzusinken. Auf *diesem Wege wird ein religiöses System das große Werkzeug der Macht des Feindes, und das um so mehr, wenn das, wovon dieses System noch den Namen trägt, von Gott eingesetzt worden ist. Aber dann ist das Gericht des Menschen besiegelt; das Judentum zeigt uns, was der Mensch unter Gottes Gesetz und Behandlung ist.

Das Gericht, das der Herr über dieses System der Heuchelei ausspricht, stellt einerseits die daraus hervor­gehende Verwerfung Israels ans Licht und gibt ander­seits Anlaß zu einer viel weitergehenden Unterweisung; und indem diese das Herz des Menschen ergründet und ihn nach dem, was aus demselben hervorkommt, beur­teilt, zeigt sie, daß dieses Herz eine Quelle alles Bösen ist, und daß daher alle wahre Sittlichkeit in der Überzeugung von und in dem Bekenntnis der Sünde ihre Grund­lage haben muß; denn ohne diese Überzeugung und dieses Bekenntnis ist das Herz stets unwahr und schmeichelt sich selbst vergeblich. Der Herr geht deshalb auch allem auf den Grund. Er tritt aus den besonderen und zeit­lichen Beziehungen des jüdischen Volkes heraus, um von der wahren Sittlichkeit zu reden, die allen Zeitaltern an­gehört. Die Jünger beobachteten die Überlieferungen der Ältesten nicht (V. 1. 2). Um diese kümmerte der Herr Sich nicht, aber Er benutzte die Anklage der Pharisäer, um ihrem Gewissen die Wahrheit vorzustellen, daß das durch die Verwerfung des Sohnes Gottes herbeigeführte Gericht sich schon auf Grund jener Beziehungen recht­fertige, die zwischen Gott und Israel bestanden. Die Schriftgelehrten und Pharisäer machten durch ihre Über­lieferungen das Gebot Gottes in einem höchst wichtigen Punkte wirkungslos, in einem Punkte, von welchem alle irdischen Segnungen für die Kinder Israel abhingen. Zugleich benutzt Jesus ihre eigenen Satzungen, um die vollendete Heuchelei, den Eigennutz und Geiz derer bloß­zustellen, welche vorgaben, die Nation zu leiten und deren Herz zur Sittlichkeit und zur Anbetung Jehovas heranzu­bilden. Jesajas hatte bereits das Gericht über sie an­gekündigt.

Dann zeigt Er der Menge (V. 10 u. f.), daß es sich um das handle, was der Mensch ist, und um das, was aus seinem Herzen, aus seinem Innern hervorgeht, und Er beschreibt die schlechten Ströme, die aus dieser ver­dorbenen Quelle hervorfließen. Aber die einfache Wahr­heit von dem menschlichen Herzen, so wie Gott es kennt, ist den Selbstgerechten dieser Welt ein Ärgernis und war selbst den Jüngern unverständlich. Nichts ist so einfach wie die Wahrheit, wenn sie gekannt wird, nichts so schwer, so dunkel wie die Wahrheit, wenn das Herz des Menschen, der sie nicht besitzt, sich ein Urteil über sie bilden soll. Denn er urteilt nach seinen eigenen Gedan­ken, und in diesen ist die Wahrheit nicht. Mit einem Wort, Israel, und besonders das religiöse Israel, und wahre Sittlichkeit werden einander gegenübergestellt; der Mensch erscheint unter der ihm zukommenden Verant­wortlichkeit und in seinen wahren Farben vor Gott.

 

Jesus erforscht das Herz. Da Er aber in Gnade wirkt, handelt Er nach dem Herzen Gottes und offenbart dieses Herz, indem Er für den einen wie für den anderen über die festgesetzten Grenzen der Beziehungen Gottes zu Israel hinausgeht. Eine göttliche Person, Gott, kann Sich wohl innerhalb des Bundes, den Er gegeben hat, bewegen, kann aber nicht auf denselben beschränkt Werden. Und die Untreue Seines Volkes gegenüber diesem Bunde ist gerade die Veranlassung zu offenbaren, daß Er über jenen Platz hinausgeht. Zugleich sieht man hier, wie eine Religion von Überlieferungen dahin führt, das sittliche Urteil zu verblenden. Was war klarer und einfacher als die Tatsache, daß das, was aus Mund und Herz her­vorging, einen Menschen verunreinigte, nicht aber das, was er aß? Aber infolge des bösen Einflusses der pha­risäischen Belehrung, die äußere Formen an die Stelle der inneren Reinheit setzte, konnten die Jünger es nicht verstehen.

Der Herr beendet damit Seine Unterredungen mit den Gelehrten Jerusalems und verläßt das Gebiet Israels, um jene Orte zu besuchen, die von den jüdischen Vor­rechten am weitesten entfernt lagen. Er begibt Sich in die Gegenden von Tyrus und Sidon (V. 21), in jene Städte, die Er selbst in Kap. 11 als Beispiele weitester Entfernung von der Buße angeführt hatte, verhärteter selbst als Sodom und Gomorra.

Aus diesen Gegenden kommt ein Weib (V. 22 u. f.). Sie gehörte nach den Grundsätzen, die Israel von anderen Völkern unterschieden, einem verfluchten Geschlecht an (5. Mose 7, 1. 2). Sie war eine Kanaaniterin. Sie kommt, um die Hilfe Jesu zugunsten ihrer Tochter zu erbitten, die von einem Dämon besessen war. Indem sie diese Gnade von dem Herrn erbittet, redet sie Ihn mit dem Titel an, den der Glaube dem Herrn in Seiner Verbin­dung mit den Juden zuerkannte; sie nennt Ihn: "Sohn Davids". Das gibt Veranlassung zu einer vollständigen Entwicklung der Stellung des Herrn sowie der Be­dingungen, unter denen der 'Mensch hoffen konnte, an den Ergebnissen Seiner Güte teilzuhaben, ja, führt zu der Offenbarung Gottes Selbst.

Als Sohn Davids hatte der Herr nichts mit einer Kanaaniterin zu schaffen. Er antwortet ihr deshalb nicht. Seine Jünger wünschen zwar, daß ihrer Bitte willfahrt werde, um sie loszuwerden und ihrer Zudringlichkeit ein Ende zu machen. Der Herr aber erwidert ihnen, daß Er nur gesandt sei zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Das war in der Tat so. Was auch die Ratschlüsse Gottes sein mochten, die bei Gelegenheit Seiner Ver­werfung geoffenbart wurden (siehe Jes. 49), war Er doch der Diener der Beschneidung um der Wahrheit Gottes willen, um die den Vätern gemachten Verheißungen zu erfüllen (Röm. 151 8).

Das Weib über begehrt in einfacher und gerader Sprache (dem natürlichen Ausdruck ihrer Gefühle) die erbarmungsvolle Dazwischenkunft Dessen, der helfen konnte, und auf Dessen Macht sie ihr Vertrauen setzte. Der Herr antwortet ihr, daß es sich nicht gezieme, das Brot der Kinder zu nehmen und es den Hunden zu geben. Das war in der Tat, insofern der Herr zu Israel gekom­men war, eine Seiner wahren Stellung angemessene Antwort. Die Verheißungen gehörten den Kindern des Reiches; der Sohn Davids war der Diener dieser Ver­heißungen. Konnte Er als solcher den Vorzug des Volkes Gottes beiseitesetzen?

Allein der Glaube, der seine Kraft aus dem dringen­den Bedürfnis schöpft, und der keine andere Hilfsquelle findet als in dem Herrn Selbst, nimmt das Demütigende seiner Stellung an und denkt, daß sich bei dem Herrn Brot genug finde, um auch den Hunger derer zu stillen, die kein Anrecht darauf haben. Er harrt aus, weil die Not gefühlt wird und Vertrauen auf die Macht Dessen vorhanden ist, der in Gnade gekommen war.

Was hatte der Herr in Seiner scheinbaren Härte ge­tan? Er hatte das arnte‑Weib zu dem Gefühl und zu dem Ausdruck ihres wahren Platzes vor Gott geführt, d. h. zu der Wahrheit im Blick auf sie selbst. War es denn wirklich wahr, daß Gott nicht so gut war, wie sie glaubte? nicht so reich an Erbarmen gegen den Hilflosen, dessen einzige Hoffnung und Stütze dieses Erbarmen war? Das wäre eine Leugnung des Charakters und der Natur Gottes gewesen, wovon Jesus der Ausdruck und der wahre Zeuge auf Erden war ‑ eine Leugnung Seiner Selbst und des Zweckes Seiner Sendung. Er konnte nicht sagen: "Gott hat kein Krümlein für solche, wie du bist." Er antwortet aus der Fülle, Seines Herzens: "0 Weib, dein Glaube ist groß! dir geschehe, wie du willst." Gott über­schreitet die engen Grenzen Seines Bundes mit den Juden, um in Seiner unumschränkten Güte nach Seiner eigenen Natur zu handeln. Er überschreitet sie, um Gott in Güte zu sein, und nicht nur Jehova in Israel. Diese Güte aber erweist sich gegen eine Seele, die angesichts derselben zu der Erkenntnis gebracht wird, daß sie kein Recht daran hat. Zu dieser Erkenntnis hatte die schein­bare Härte des Herrn sie geleitet; sie empfing alles aus Gnaden, weil sie in sich selbst ganz unwürdig war.

In dieser und nur in dieser Weise empfängt jede Seele die Segnung. Das Gefühl der Not genügt nicht; dieses Gefühl hatte das Weib von Anfang an und wurde durch dasselbe zu Jesu getrieben. Es genügt auch nicht zu erkennen, daß der Herr Jesus der Not entsprechen kann; das Weib kam in diesem Bewußtsein. Nein, wir müssen in der Gegenwart der einzigen Quelle der Seg­nung sein und dort zu dem Gefühl gebracht werden, daß, obgleich wir da sind, wir kein Recht haben, sie uns zu­nutze zu machen. Das ist eine schreckliche Lage; wenn man aber so weit gekommen ist, dann ist alles Gnade. Gott kann dann nach Seiner eigenen Güte handeln; und Er entspricht jedem Wunsche, den das Herz für sein Glück hegen mag.

Wir sehen hier also Christum als einen "Diener der Beschneidung, um der Wahrheit Gottes willen, um die Verheißungen der Väter zu bestätigen", und zugleich, "auf daß die Nationen Gott verherrlichen möchten um &r Begnadigung willen", wie in Röm. 15, 8. 9 geschrie­ben steht. Die letztgenannte Wahrheit stellt zugleich den wahren Zustand des Menschen und die gänzliche und voll­kommene Gnade Gottes ans Licht. Dieser Gnade gemäß handelt Er, während Er zugleich Seinen Verheißungen treu bleibt; und die Weisheit Gottes wird in einer Weise entfaltet, die unsere Bewunderung hervorruft.

Man sieht, wie sehr die Einführung der Geschichte der Kanaaniterin an dieser Stelle den vorliegenden Teil unseres Evangeliums entwickelt und erläutert. Der An­fang des Kapitels stellt den sittlichen Zustand der Juden vor uns, die Falschheit pharisäischer und priesterlicher Religiosität; dann zeigt es, was der wahre Zustand des Menschen als Mensch ist und was aus dem Herzen des Menschen hervorquillt; und schließlich enthüllt es das in Jesu geoffenbarte Herz Gottes. Die Handlungsweise Jesu mit der Kanaaniterin zeigt die Treue Gottes be­treffs Seiner Verheißungen, und die schließlich gewährte Segnung offenbart die volle Gnade Gottes in Verbindung mit der Offenbarung des wahren, von dem Gewissen anerkannten Zustandes des Menschen ‑ eine Gnade, die sich über den Fluch, der auf dem Gegenstand dieser Gnade ruhte, ja selbst über alles erhebt, um sich einen Weg bis zu dem Bedürfnis zu bahnen, das der Glaube ihr darbringt.

Jetzt verläßt der Herr die Gegend von Tyrus und Sidon (V. 29 u. f.) und begibt sich nach Galiläa, an den Ort, wo Er mit dem verachteten Überrest der Juden in Verbindung war. Hier, wo weder Zion, noch der Tempel, noch Jerusalem ist, befindet Sich Jesus bei den Armen der Herde, bei dem in tiefer Finsternis sitzenden Volke (Jes. 8 u. 9). Dorthin folgen Seine Erbarmungen die­ses armen Überrest und sind zugunsten desselben wie­

der tätig. Er erneuert nicht nur die Beweise Seines zärt­lichen Mitgefühls, sondern auch Seiner Gegenwart, der Gegenwart Dessen, der die Armen Seines Volkes mit Brot sättigte. Doch handelt Er hier nicht nach der ver­waltenden Macht, die Er Seinen Jüngern verleihen konnte (wie in Kap. 14, 15‑19), sondern nach Seiner eigenen Vollkommenheit und indem Er von Sich aus tätig ist. Er sorgt für den Überrest Seines Volkes, weshalb sieben Körbe voll Brocken gesammelt werden (V. 37). Auch geht Er hinweg, ohne daß sich irgend etwas anderes ereignete.

Wir haben hier also gesehen, wie eine sich nie ver­ändernde Sittenlehre und Wahrheit im Innern an die Stelle der Heuchelei äußerer Formen treten, wie das gesetzlich religiöse Gefühl und das Herz des Menschen sich als eine Quelle von Bösem (und nichts als Bösem) erweist, und wie endlich das Herz Gottes sich offen­bart, indem es sich über alle Zeitverwaltungen erhebt, um in Christo volle Gnade ans Licht zu stellen. Diese Verwaltungen oder göttlichen Haushalte werden, obwohl durchaus anerkannt, beiseite gesetzt, und indem das ge­schieht, zeigt es sich deutlich, was der Mensch und was Gott ist. Es ist ein wunderbares Kapitel, sowohl bezüglich dessen, was im Blick auf Gott ewige Wahrheit ist, als auch bezüglich dessen, was der Mensch ist gemäß der Offenbarung Gottes über ihn. Und man beachte, daß dies Anlaß gibt ‑zur Offenbarung der Versammlung (Ge­meinde) im folgenden Kapitel, die, anstatt ein neuer Haushalt zu sein, gegründet ist auf das, was Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, ist. Im 12. Kapitel wurde Christus, was den israelitischen Haushalt betrifft, ver­worfen, und im 13. Kapitel trat das Reich der Himmel an dessen Stelle. Hier, im 15. Kapitel, wird der Mensch und was er aus dem Gesetz gemacht hatte, beiseite ge­setzt, und Gott handelt in Seiner eigenen Gnade, erhaben über allen Verwaltungen. Danach kommt die Versamm­lung und schließlich das Reich in Herrlichkeit.

 

Kapitel 16

 

Dieses Kapitel geht über die Offenbarung der ein­fachen Gnade Gottes hinaus. Jesus teilt mit, was nach den Ratschlüssen dieser Gnade da, wo Er anerkannt wurde, geschaffen werden sollte, indem Er zeigt, daß Er die Stolzen verwarf, wie sie Ihn verabscheuten (Sach. 11). Infolge der Verkehrtheit ihres Willens blind für die wun­derbaren und gesegneten Zeichen Seiner Macht, die Er ununterbrochen den Ihn suchenden Armen gewährte, be­gehren die nach Herz und Willen ungläubigen Pharisäer und Sadducäer, getroffen durch diese Kundgebungen, ein Zeichen vom Himmel. Der Herr wirft ihnen ihren Un­glauben vor, indem Er ihnen zeigt, daß sie die Wetter­zeichen zu beurteilen wußten; und doch waren die Zei­chen der Zeit noch viel auffallender. Sie waren das böse und ehebrecherische Geschlecht, und Er verließ sie, ein bezeichnender Ausdruck von dem, was jetzt in Israel vor sich ging. Er warnt Seine vergeßlichen Jünger vor den Ränken dieser schlauen Widersacher der Wahrheit und Dessen, den Gott zur Kundmachung der Wahrheit ge­sandt hatte (V. 5‑12). Israel ist, als Nation, in den Per­sonen seiner Leiter aufgegeben. Zugleich ruft der Herr in langmütiger Gnade Seinen Jüngern die Bedeutung Sei­ner Worte an sie ins Gedächtnis zurück.

Hernach fragt Jesus Seine Jünger, was die Menschen im allgemeinen von Ihm sagten (V. 13 u. f.). Alle ihre Gedanken waren nur Meinungen, nicht Glaube, und ver­rieten eine Ungewißheit, die der inneren Gleichgültigkeit entspringt sowie dem Nichtvorhandensein jenes bewuß­ten Bedürfnisses der Seele, das nur in der Wahrheit, in dem gefundenen Heilande, Seine Befriedigung finden kann. Dann fragt Er Seine Jünger, was sie selbst von Ihm sagten. Petrus, den der Vater gewürdigt hatte, eine Offenbarung über Christum zu empfangen, bekennt sei­nen Glauben, indem er sagt: "Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes." Da ist keine Ungewißheit, keine bloße Meinung, sondern die mächtige Wirkung der Offenbarung, die der Vater Selbst über die Person Christi dem Jünger gegeben, den Er zu diesem Vorrecht aus­erwählt hatte.

Hier tritt auf eine bemerkenswerte Weise der Zustand des Volkes hervor, nicht hinsichtlich des Gesetzes, wie im vorigen Kapitel, sondern hinsichtlich Christi, der dem Volke vorgestellt worden war, und im Gegensatz zu der Offenbarung Seiner Herrlichkeit an jene, die Ihm nach­folgten. Wir haben hier also drei Klassen: erstens hoch­mütige, ungläubige Pharisäer; dann Personen, die sich bewußt waren und anerkannten, daß in Christo göttliche Kraft und Autorität vorhanden waren, die aber trotzdem gleichgültig blieben; und schließlich die Offenbarung Gottes und ein von Gott gegebener Glaube.

Im 15. Kapitel wird die Gnade für ein Weib, das außer sich keine Hoffnung hatte, in Gegensatz gebracht zu dem Ungehorsam und der heuchlerischen Verdrehung des Ge­setzes, durch welche die Schriftgelehrten und Pharisäer unter dem Schein von Frömmigkeit ihren Ungehorsam zu verdecken suchten.

Das 16. Kapitel führt, indem es den Unglauben der Pharisäer betreffs der Person Christi verurteilt und diese verkehrten Menschen beiseite setzt, die Offenbarung Sei­ner Person als die Grundlage der Versammlung ein, welche den Platz der Juden als Zeugin Gottes auf der Erde einnehmen sollte, verkündigt dann die Ratschlüsse Gottes in bezug auf die Gründung dieser Versammlung, und zeigt uns, als Zusatz, die Verwaltung des Reiches. wie es jetzt aufgerichtet werden sollte.

Üetrachten wir zunächst die Offenbarung der Person Christi. Petrus bekennt Ihn als den Christus, als die Er­füllung der Verheißungen Gottes und der Weissagungen, die die Verwirklichung jener angekündigt hatten. Er war Der, welcher kommen sollte, der von Gott verheißene Messias.

 

Überdies war Er der Sohn Gottes. Der 2. Psalm hatte angekündigt, daß, trotz der Verschwörungen der Ober­sten des Volkes und der stolzen Feindschaft der Könige der Erde, Gottes König auf dem Berge Zion gesalbt werden sollte; Er war der Sohn, von Gott gezeugt. Die Könige und Richter der Erde waren* angewiesen, sich Ihm zu unterwerfen, um nicht von dem Zepter Seiner Macht zerschmettert zu werden, wenn Er einmal die Na­tionen zu Seinem Erbteil nehmen wird. So erwartete der wahre Gläubige den Sohn Gottes, der zur bestimmten Zeit auf dieser Erde geboren wurde; und Petrus bekannte Jesum als Sohn Gottes. So auch Nathanael: "Du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israelst" (Joh. 1, 49) und noch später Martha: ja, Herr, ich glaube, daß du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt" (Joh. 11, 27).

Petrus, vom Vater besonders unterwiesen, fügt in­des seinem Bekenntnis ein einfaches, aber machtvolles Wort hinzu: "Du bist der Sohn des lebendigen Got­tes!" Jesus ist nicht nur Der, der die Verheißungen er­füllt und den Weissagungen entspricht; Er i, t der Sohn des lebendigen Gottes, der Sohn Dessen, ~ i welchem Leben und lebengebende Kraft ist. Er ist der Erbe dieser Kraft des Lebens in Gott, die nichts zu besiegen noch zu zerstören vermag. Denn wer könnte die Macht dieses Sohnes überwältigen, der entsprossen ist aus Dem, "der da lebt"?

Satan hat die Gewalt des Todes; er ist es, der den Menschen unter der Herrschaft dieser schrecklichen Folge der Sünde gefangen hält, und zwar nach dem gerechten Gericht Gottes, das dem Tode seine Kraft gibt. Der Ausdruck in Vers 18: "die Pforten des Hades", der unsichtbaren Welt, bezieht sich auf dieses Reich Satans.

 

* Bei der Betrachtung der Psalmen wird es uns klar ge­worden sein, daß dies in Verbindung steht mit der Herstellung des jüdischen Überrestes in Segnung in den letzten Tagen.

 

 

Auf die Macht also, die dieses Bollwerk des Feindes aller Kraft beraubt, ist die Versammlung gebaut. Das Leben Gottes wird nicht zerstört, der Sohn des lebendigen Gottes nicht besiegt werden. Darum wird auch das, was Gott auf diesen Felsen der unwandelbaren Kraft des Lebens in Seinem Sohne gründet, nicht durch das Reich des Todes überwältigt werden. Ist auch der Mensch be3­siegt worden und unter die Gewalt dieses Reiches ge­fallen, Gott, der lebendige Gott, wird nicht durch sie besiegt werden. Auf diesen Grund baut Christus Seine Versammlung; sie ist das Werk Christi, auf Ihn als Sohn des lebendigen Gottes gegründet, und nicht das Werk des ersten Adam, noch auf ihn gegründet; sie ist Sein Werk, vollendet nach der‑Kraft, die diese Wahrheit offenbart. Die Person Jesu, des Sohnes des lebendigen Gottes, ist ihre Kraft, und diese ist bewiesen durch die Auferstehung. Dort ist Er "als Sohn Gottes in Kraft erwiesen" worden (Röm. 1, 4). Demzufolge beginnt Jesus dieses Werk nicht während Seines Lebens, sondern erst nach Seiner Auferstehung. Das Leben war in Ihm; aber erst nachdem der Vater oder vielmehr Er Selbst, in Seiner göttlichen Kraft, die Pforten des Hades zer­brochen hatte und auferstanden und in den Himmel ge­fahren war, begann Er durch den Heiligen Geist das zu bauen, was die schon besiegte Gewalt des Todes oder dessen, der sie handhabte, nimmer zerstören kann. Es handelt sich hier um Seine Person, und auf Seine Per­son ist alles gegründet. Die Auferstehung ist der Be­weis, daß Er der Sohn des lebendigen Gottes ist, und daß die Pforten des Hades nichts gegen Ihn vermögen; ihre Gewalt ist durch die Auferstehung zerstört worden. Hieraus ersehen wir, daß die Versammlung, obwohl auf Erden gebildet, weitmehr ist als ein Haushalt, eine Ver­waltung, was von dem Reiche nicht gesagt werden kann.

Das Werk des Kreuzes war notwendig; aber in unserer Stelle handelt es sich nicht um das, was das gerechte Gericht Gottes erheischte, noch um die Rechtfertigung einzelner Personen, sondern um das, was die Macht des Feindes vernichtete. Es war Petrus gegeben, die Person Dessen zu erkennen, der nach der Kraft des Lebens Gottes lebte; und er besaß diese Erkenntnis durch eine besondere und unmittelbare Offenbarung vom Himmel, von seiten des Vaters. Ohne Zweifel hatte Christus zur Genüge bewiesen, wer Er war; aber Beweise hatten dem Herzen des Menschen nichts bewiesen. Die Offenbarung von seiten des Vaters war der Weg, auf dem man erkennen konnte, wer Er war; und dies ging weit über die Hoffnungen auf einen Messias hinaus.

Hier hatte also der Vater in unmittelbarer Weise die Wahrheit betreffs der Person Christi geoffenbart, und diese Offenbarung ging über jede Frage hinsichtlich der Beziehungen zu den Juden hinaus. Auf diesen Grund wollte Christus Seine Versammlung bauen. Petrus (vom Herrn bereits so genannt, wie wir das auch in Mark. 3, 16 U. Joh. 1, 42 sehen) empfängt bei dieser Gelegenheit eine Bestätigung dieses Titels. Der Vater hatte Simon, dem Sohne Jonas, das Geheimnis der Person Jesu ge­offenbart; und Jesus bezeichnet Seinerseits durch den Namen, den Er ihm gibt, die Festigkeit, die Standhaftig­keit, die Dauerhaftigkeit und die praktische Kraft Seines durch die Gnade bevorzugten Dieners.

Das Recht, einen Namen zu geben, steht einem Höhe­ren zu, der dem Empfänger des Namens seinen Platz und seinen Namen in der Familie oder in der Stellung, in der er sich befindet, bestimmen kann. Dieses Recht setzt, wo es wirklich vorhanden ist, Unterscheidungs­vermögen und Einsicht. in das voraus, um was es sich handelt. Adam gibt den Tieren Namen (l. Mose 2, 19. 20); Nebukadnezar gibt den gefangenen Juden neue Namen (Dan. 1, 7); der König ‑von Ägypten dem Elja­kim, den er auf den Thron gesetzt hatte (2. Kön. 23, 34). Jesus nimmt daher diesen Platz ein, wenn Er zu Petrus sagt: der Vater hat dir dieses geoffenbart, und auch Ich gebe dir einen Platz und einen Namen, der mit dieser Gunst des Vaters in Verbindung steht. Auf das dir vom Vater Geoffenbarte will Ich Meine Versammlung*

bauen, welche (weil gegründet auf dieses von Gott kom­mende Leben) durch die Pforten des Reiches des Todes nimmer überwältigt werden wird. Und Ich, der Ich baue, und zwar auf diese unerschütterliche Grundlage baue, gebe dir den Platz eines Steines (Petrus) in Verbindung mit diesem lebendigen Tempel. Durch die Gabe Gottes gehörst du schon von Natur zu dem Gebäude, als ein lebendiger Stein, der die Kenntnis der Wahrheit be­sitzt, welche die Grundlage dieses Gebäudes bildet, und die aus jedem Steine einen Teil desselben macht. Petrus war in hervorragender Weise durch sein Bekennt­nis ein solcher Stein; er war es im voraus schon durch die Wahl Gottes. Der Vater hatte ihm diese Offen­barung in Seiner Unumschränktheit gegeben; der Herr, als Der, welcher das Recht der Verwaltung und der Auto­ rität in dem Reiche, das Er errichten wollte, hat, be­stimmt ihm seinen Platz. Das ist es, was uns hinsicht­lich der hier zum ersten Male erwähnten Versammlung gesagt wird, nachdem die Juden wegen ihres Unglaubens verworfen sind und der Mensch als ein überführter Sün­der dasteht.

 

* Es ist wichtig, die Kirche, die Christus Selbst baut und die noch nicht vollendet ist, von dein zu unterscheiden, was als ein geoffenbartes Ganzes in der Welt durch den Menschen in Verantwortlichkeit gebaut wird. Eph. 2, 20. 21 und 1. Petr. 2, 4. 5 zeigen uns dieses göttliche Bauwerk, wie es wächst und aufgebaut wird. In keiner dieser Stellen wird ein Tun des Menschen er­wähnt; es ist ein göttliches Bauwerk. In 1. Kor. 3 ist Paulus ein weiser Baumeister; andere mögen mit Holz, Heu und Stroh bauen. Die durch diese letzteren angerichtete Verwirrung hat dem Papsttum und anderen Verderbnissen, die sich in dem, was man Kirche nennt, vorfinden, zur Grundlage gedient. Die Kirche Christi, die wahre Kirche, ist ein göttliches Werk, welches Chri­stus vollendet und welches bleibt.

 

In Verbindung mit der Versammlung, die der Herr zu bauen im Begriff stand, tritt hier ein anderer Ge­genstand vor unsere Blicke (V. 18), nämlich das Reich, das aufgerichtet werden sollte. Es sollte (und zwar nach den Ratschlüssen Gottes) die Form des Reiches der Himmel tragen. Da aber der König auf der Erde ver­worfen worden war, mußte es in ganz besonderer Art aufgerichtet werden. Aber obwohl verworfen, hatte doch der Herr die Schlüssel des Reiches in Seiner Hand; die Autorität über dasselbe gehörte Ihm. Er wollte die Schlüssel dem Petrus anvertrauen, damit dieser, wenn Er, Christus, die Erde verlassen hätte, zunächst den Juden und dann den Heiden die Türen des Reiches öffnen möchte. Auch sollte er in diesem Reiche von seiten des Herrn Autorität ausüben, so daß alles, was er auf Erden im Namen Christi, des wahren, obgleich gen Himmel gefahrenen Königs, binden würde, im Himmel gebunden sein sollte; und wenn er auf Erden etwas lösen würde, so sollte es im Himmel seine Bestätigung finden. Mit einem Wort, Petrus hatte die Autorität, in dem Reiche Gottes auf der Erde Anordnungen zu treffen, in dem Reiche, das jetzt den Charakter des Reiches der Himmel* trug, weil sein König im Himmel war, und der Himmel würde den Handlungen des Petrus den Stempel seiner Autorität aufdrücken. Indes bestätigt der Himmel nur seine irdischen Handlungen, nicht etwa ein Binden oder Lösen seinerseits für den Himmel.

 

* Beachten wir hier, wie ich schon anderswo gesagt habe, daß es keine Schlüssel der Kirche oder für die Kirche oder Ver­sammlung gibt. Petrus hatte die Schlüssel der Verwaltung im Reiche; aber die Idee von Schlüsseln in Verbindung mit der Kirche oder von einer Schlüsselgewalt in der Kirche ist eitel Täuschung. Solche Schlüssel gibt es überhaupt nicht. Die Kirche wird gebaut, aber mit Schlüsseln baut man nicht, und es ist Christus, nicht Petrus, der sie baut. Ferner waren die in solcher Weise bestätigten Handlungen Verwaltungsmaßregeln hienieden; wohl gab der Himmel ihnen seine Bestätigung, aber sie bezogen sich nicht auf den Himmel, sondern auf die irdische Verwaltung des Reiches. Ferner muß beachtet werden, daß das hier Über­tragene individuell und persönlich ist; Simon, dem Sohne Jonas, wird ein Name und eine Autorität verliehen. ‑ Einige weitere Bemerkungen mögen uns behilflich sein, die Tragweite dieser Kapitel völliger zu verstehen. In dem Gleichnis vom Säemann (Kap. 13) wird nicht die Person des Herrn in den Vordergrund gestellt, sondern die Tatsache, daß es sich um Säen, nicht um Ernten handelt. In dem ersten Gleichnis vom Reiche ist Er der Sohn des Menschen, und das Feld ist die Welt. Er befindet Sich ganz außerhalb des Judentums. In Kap. 14 haben wir den Zustand der Dinge von der Verwerfung Johannes' bis zu der Zeit, wo der Herr bei Seiner Rückkehr da anerkannt werden wird, wo Er einst verworfen wurde. In Kap. 15 handelt es sich um sittliche Streitfragen zwischen dem Herrn und den Schrift­gelehrten und Pharisäern.‑ zugleich sehen wir, daß Gott in Gnade über allem Bösen steht. Doch ich will nicht länger hierbei ver­weilen. In Kap. 16 wird uns die Person des Sohnes Gottes, des lebendigen Gottes, vorgestellt und danach die Versammlung und Christus als Baumeister derselben; in Kap. 17 das Reich, das in Verbindung mit dem Sohne des Menschen in Herrlichkeit kommt. Die Schlüssel (obwohl der Himmel ihren Gebrauch von seiten Simons bestätigt) sind, wie wir gesehen haben, die Schlüssel des Reiches der Himmel (nicht der Kirche), und dieses Reich sollte, wie das Gleichnis vom Unkraut zeigt, unheilbar ver­derbt und zugrunde gerichtet werden. Ich wiederhole noch ein­mal, daß es Christus ist, der die Versammlung baut, nicht Petrus (vgl. 1. Petr. 2, 4. 5).

 

Die Versammlung, die mit dem Charakter des Sohnes des lebendigen Gottes in Verbindung steht und durch Christum gebaut wird, gehört, obwohl auf Erden gebildet, dem Himmel an; das Reich dagegen, wenngleich vom Himmel aus regiert, ge­hört zur Erde ‑ hat seinen Platz und seine Verwaltung hienieden.

Vier Dinge sind es also, die in dieser Stelle durch den Herrn angedeutet werden:

1. Die Offenbarung des Vaters an Simon.

2. Der Name, den dieser Simon durch Jesum emp­fing, welcher im Begriff stand, Seine Versammlung auf den Grund zu bauen, der in der Mitteilung des Vaters an Petrus geoffenbart war.

3. Die Versammlung, die, noch nicht vollendet, durch Christum Selbst gebaut wird, und zwar auf die Grund­lage der Person des als Sohn des lebendigen Gottes an­erkannten Jesus, und

4. Die Schlüssel des Reiches, die dem Petrus ge­geben werden sollten, d. h. eine Autorität im Reiche, um dieses im Namen Christi zu verwalten und nach Seinem Willen darin Anordnungen zu treffen, die im Himmel ihre Bestätigung finden sollten. Alles dieses steht persön­lich mit Simon in Verbindung, kraft der Auswahl des Vaters, der ihn in Seiner Weisheit ausersehen hatte, diese Offenbarung zu empfangen, und kraft der Autorität Christi, der ihm den Namen erteilte, durch welchen er als der, der sich persönlich dieses Vorrechts erfreute, aus­gezeichnet wurde.

Nachdem der Herr in solcher Weise die Absichten Gottes hinsichtlich der Zukunft ‑ Absichten, die sich in der Versammlung und in dem Reiche erfüllen sollten ‑kundgemacht hatte, gab es für Seine Darstellung als Messias den Juden gegenüber keinen Raum mehr. Nicht als ob Er das Zeugnis, das Er voll Geduld und Gnade gegen Sein Volk während Seines ganzen Dienstes ab­gelegt hatte, nunmehr gänzlich aufgegeben hätte; o nein, es dauerte noch fort. Allein Seine Jünger sollten ver­stehen, daß es nicht mehr ihre Sache war, Jesum dem Volke als den Christus zu verkündigen. "Dann gebot Er Seinen Jüngern, daß sie niemand sagten, daß Er der Christus sei" (V. 20). Von dieser Zeit an begann der Herr auch Seine Jünger zu belehren, daß Er leiden, ge­tötet und wiederauferweckt werden müsse (V. 21 u. f.).

Doch so gesegnet und geehrt Petrus durch die ihm von dem Vater zuteil gewordene Offenbarung auch war, hing sein Herz dennoch in menschlicher Weise an der menschlichen Herrlichkeit seines Herrn und, um die Wahrheit zu sagen, an seiner eigenen; er war noch weit davon entfernt,. sich zu der Höhe der Gedanken Gottes

zu erheben. Ach, er ist nicht der einzige, dem es so geht; denn von den erhabensten Wahrheiten überzeugt zu sein und sich ihrer sogar als Wahrheiten aufrichtig zu er­freuen, ist etwas anderes, als das Herz für die Gefühle und für einen Wandel hienieden gebildet zu haben, die in Übereinstimmung mit jenen Wahrheiten stehen! Es fehlt dann nicht an Aufrichtigkeit im Genuß der Wahrheit; nein, was mangelt, ist: der Weit gestorben zu sein, das Fleisch, das Ich, gekreuzigt zu haben. Wir können uns aufrichtig, als von Gott unterwiesen, der Wahrheit er­freuen, und doch nicht das Fleisch gekreuzigt haben noch uns in einem Herzenszustand befinden, der jener Wahr­heit in bezug auf das, was sie hienieden in sich schließt, entspricht. Petrus ‑ eben erst geehrt durch die Offen­barung der Herrlichkeit Jesu, und in einer ganz beson­deren Weise zum Träger der Verwaltung des dem Sohne übergebenen Reiches gemacht, indem er in dem Zustand der Dinge, der auf die Verwerfung‑des Herrn durch die Juden folgen sollte, einen besonderen Platz einnahm ‑ja, Petrus tut jetzt das Werk des Widersachers im Blick auf die vollkommene Unterwerfung Jesu unter das Leiden und die Schmach, die diese Herrlichkeit einführen und das Reich kennzeichnen sollten. Ach, die Sache war klar; er sann auf das, was der Menschen, und nicht auf das, was Gottes ist. Aber der Herr in Seiner Treue weist Petrus in dieser Sache von Sich und belehrt Seine Jün­ger, daß das Kreuz der festgestellte, notwendige und ein­zige Pfad ist (V. 23. 24). Diesen Pfad ging Jesus, und wer Ihm nachfolgen wollte, mußte den nämlichen Pfad gehen. Was hätte es überdies einem Menschen genützt, sein Leben zu retten und alles zu verlieren ‑ die Welt zu gewinnen und seine Seele einzubüßen? Denn um dies, und nicht um die äußere Herrlichkeit des Reiches, han­delte es sich jetzt*.

 

* In dem 1. Briefe des Petrus finden wir beständig dieselben Gedanken (die Worte: "lebendige Hoffnung, lebendige Steine") angewandt auf Christum und nachher auf die Christen. Und Wiederum lesen wir in Übereinstimmung mit dem vorliegenden Gegenstand, der Errettung durch das Leben in Christo, dem Sohne des lebendigen Gottes‑ "indem ihr das Ende eures Glaubens, die Errettung der Seelen, davontraget" (Kap. 1, 9). Es ist gut, die Verse alle zu lesen, mit denen der Apostel seine Unterweisungen einleitet.

 

Nachdem wir so dieses Kapitel betrachtet haben als den Ausdruck des Übergangs von dem messianischen System zu der auf die Offenbarung der Person Christi gegründeten Errichtung der Versammlung, möchte ich noch auf die verschiedenen Charakterzüge des Unglau­bens aufmerksam machen, die hier sowohl unter den Juden als auch in den Herzen der Jünger zutage treten. Es wird nicht ohne Nutzen sein, die Formen dieses Un­glaubens ein wenig näher zu betrachten.

Zunächst nimmt der Unglaube die gröbere Form der Forderung eines Zeichens vom Himmel an (V. 1). Die Pharisäer und die Sadducäer vereinigten sich, um ihre Gefühllosigkeit gegen alles, was der Herr getan hatte, an ‑den Tag zu legen; sie verlangen einen Beweis für ihre natürlichen Sinne, d. h. für ihren Unglauben. Sie wollen Gott nicht glauben, weder indem sie auf Seine Worte lauschen noch auf Seine Werke schauen. Gott sollte ihren Eigenwillen befriedigen, was weder Glaube noch das Werk Gottes gewesen wäre. Für die viel weniger klar geoffenbarten menschlichen Dinge hatten sie Ver­ständnis, aber nicht für die Dinge Gottes. Es sollte ihnen kein anderes Zeichen gegeben werden, als ein für sie, als Juden auf der Erde, verlorener Heiland. Sie würden sich, ob freiwillig oder gezwungen, dem Gericht des in ihnen sich kundgebenden Unglaubens zu unter­werfen haben. Das Reich sollte von ihnen genommen werden; der Herr verläßt sie. Das in Vers 4 erwähnte Zeichen Jonas' steht mit dem Gegenstand des ganzen Kapitels in Verbindung.

Darnach begegnen wir in den Jüngern derselben Unachtsamkeit gegenüber der Macht, die sich in den Werke Jesu offenbarte. Jedoch ist es hier nicht mehr ein Widerspruch des ungläubigen Willens, sondern das mit de gegenwärtigen Dingen beschäftigte Herz entzieht de Menschen dem Einfluß der schon gegebenen Zeichen: e ist Schwachheit, nicht böser Wille. Dessenungeachtet sin die Jünger schuldig, und Jesus nennt sie "Kleingläubige' jedoch nicht "Heuchler" oder gar "ein böses und ehebrecherisches Geschlecht".

Endlich sehen wir den Unglauben in Form einer gleich gültigen Meinung sich kundgeben, die beweist, daß Her und Gewissen sich nicht für einen Gegenstand interessieren, der sie beherrschen sollte, und der, wenn da Herz seine wahre Wichtigkeit recht ins Auge faßte, ihn keine Ruhe lassen würde, bis es betreffs seiner völlig Gewißheit erlangt hätte. Die Seele hat kein wirklich gefühltes Bedürfnis und infolgedessen kein Unterscheidungsvermögen. Wenn die Seele dieses Bedürfnis fühlt so gibt es nur eine Sache, die es befriedigen kann und sie hat keine Ruhe, bis diese Sache gefunden ist. Die Offenbarung Gottes, die jenes Bedürfnis hervorge­rufen hat, läßt die Seele nicht ruhen, bis sie mit voller Gewißheit das besitzt, was sie aus ihrem Schlafe aufge­weckt hat. Die, welche für dieses Bedürfnis nicht emp­fänglich sind, können sich mit Wahrscheinlichkeiten be­ruhigen, entsprechend dem natürlichen Charakter, der Er­ziehung und den Umständen jedes einzelnen. Da ist ge­nug, um die Neugierde zu erregen; der Geist ist damit beschäftigt und gibt sein Urteil darüber ab. Der Glaube hingegen hat Bedürfnisse und kennt, dem Grundsatz nach, den Gegenstand, der diesen Bedürfnissen entspricht. Die Seele wird geübt, bis sie gefunden hat, was sie bedarf; denn Gott ist da wirksam.

So war es mit Petrus. Der Vater offenbart ihm Seinen Sohn. Obwohl schwach, war doch ein lebendiger Glaube in ihm zu finden; und wir erkennen den Zustand seiner Seele, wenn er sagt: "Herr, zu wem sollen wir gehen? du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt daß du der Heilige Gottes bist" (Joh. 6, 68. 69). Glücklich der Mensch, dem Gott solche Wahrheiten offenbart und bei dem Er solche Bedürf­nisse weckt! Da mag es viel Kampf, viel zu lernen, viel

zu töten geben; aber der Ratschluß Gottes und das damit verbundene Leben ist da. Wir haben die Wirkung davon bei Petrus gesehen. Jeder Christ hat seinen eigenen Platz in dem Tempel, in welchem Simon Petrus ein so hervor­ragender Stein war. Aber folgt daraus, daß sich das Herz im, Praktischen auf der Höhe der ihm zuteil geworde­nen Offenbarung befindet? Nein, es kann trotzdem sein, daß da, wo die Offenbarung unsere irdische Stellung be­rührt, das Fleisch noch nicht gekreuzigt ist.

Die dem Petrus gewordene Offenbarung schloß tat­sächlich die Verwerfung Christi hienieden in sich und führte notwendigerweise zu Seiner Erniedrigung und zu Seinem Tode. Das war der Punkt, um den es sich handelte. Wenn die Offenbarung des Sohnes Gottes, der Versammlung und des himmlischen Reiches an die. Stelle der Kundgebung des Messias auf der Erde gesetzt werden sollte ‑ was konnte das anders bedeuten, als daß Jesus den Heiden überliefert, gekreuzigt werden und hernach auferstehen sollte? Nun aber war Petrus inner­lich noch nicht bis zu diesem Punkte gelangt. Im Gegenteil, sein fleischliches Herz benutzte die ihm gewordene Offenbarung sowie die an ihn gerichteten Worte des Herrn zur Selbsterhebung. Deswegen sah er die persönliche Herrlichkeit Jesu, ohne deren praktische Folgen für sein Herz zu erfassen. Er wagt es, den Herrn zu strafen und sucht Ihn von dem Wege des Gehorsams und der Unterwerfung abzulenken. Aber der Herr, treu wie immer, behandelt ihn als einen Widersacher. Ach, wie oft haben wir die eine oder andere Wahrheit genossen, ja aufrichtig genossen, und dennoch in den für uns hienieden daraus entspringenden praktischen Folgen gefehlt! Ein himmlischer, verherrlichter Heiland, der die Ver­sammlung baut, schließt das Kreuz auf der Erde in Sich; aber das Fleisch versteht das nicht. Es will wohl seinen Messias bis in den Himmel erheben; aber seinen An­teil an der Erniedrigung nehmen, die notwendigerweise daraus folgt, das entspricht nicht seiner Vorstellung von einem verherrlichten Messias. Das Fleisch muß gekreu­zigt sein, um diesen Platz einnehmen zu können. Da­zu aber bedarf es der Kraft Christi durch den Heiligen Geist. Ein Christ, der nicht für die Welt tot ist, ist nur ein Stein des Anstoßes für jeden, der Christo nach­zufolgen trachtet.

Das also sind die Formen des Unglaubens, welche einem wahren Bekenntnis Christi vorausgehen, und die sich leider selbst bei denen finden, die Christum aufrichtig erkannt und bekannt haben. Das Fleisch ist nicht so weit getötet, daß die Seele auf der Höhe dessen wandeln könnte, was sie von Gott gelernt hat; und das geistliche Verständnis wird verdunkelt durch den Gedanken an die Folgen, die dem Fleische nicht gefallen.

Doch wenn das Kreuz der Eintritt in das Reich ist, so wird die Offenbarung der Herrlichkeit nicht auf sich warten lassen; und da der Messias von den Juden ver­worfen ist, so wird ein Titel von viel größerer Herr­lichkeit und Tragweite geoffenbart: der Sohn des Men­8chen sollte in der Herrlichkeit des Vaters (denn Er war der Sohn Gottes) ‑kommen und einem jeden nach seinen Werken vergelten (V. 27). Unter den Umstehenden gab es sogar einige, die den Tod (denn davon sprach der Herr) nicht schmecken würden, bevor sie die Offenbarung der dem Sohne des Menschen gehörenden Herrlichkeit des Reiches gesehen hätten.

Beachten wir, daß der Titel "Sohn Gottes" hier zur Grundlage von allem gemacht wird. Der Titel "Messias", insoweit derselbe das in jenen Tagen abgelegte Zeugnis

 

betraf, wird aufgegeben und durch den Titel "Sohn. des Menschen" ersetzt, welch letzteren Jesus zugleich mit dem Titel "Sohn Gottes" annimmt, und der eine Herrlich­keit besaß, die Ihm nach Seinen eigenen Rechten ge­hörte. Er sollte in der Herrlichkeit Seines Vaters als >9Sohn Gottes" und in Seinem Reiche als "Sohn des Men­schen" kommen.

Es ist interessant, uns hier an die Unterweisung zu erinnern, die uns im Anfang des Buches der Psalmen gegeben wird. Nachdem uns im 1. Psalm der von der Versammlung der Bösen unterschiedene gerechte Mensch vorgestellt ist, finden wir ün 2. Psalm den Aufstand der Könige der Erde und der Fürsten gegen Jehova und gegen Seinen Gesalbten, d. h. Seinen Christus. Hierauf wird der Beschluß Jehovas mitgeteilt: "Der im Himmel thront, lacht, Adonai (der Herr) spottet ihrer", und: "Habe doch ich meinen König gesalbt auf, Zion." Dies ist nun der Beschluß Jehovas: "Jehova hat zu mir ge­sprochen: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich ge­zeugt"'*. Die Könige der Erde und die Richter werden aufgefordert, den Sohn zu küssen. In den folgenden Psalmen aber verhüllt sich diese ganze Herrlichkeit, und die Drangsale des Überrestes, an denen Christus teil hat, werden vorgestellt. Dann wird Er in Psalm 8 als Sohn des Menschen begrüßt, als der Erbe aller dem Menschen durch die unumschränkten Ratschlüsse Gottes übertragenen Rechte; der Name "Jehova" wird herrlich auf der ganzen Erde.

 

* Christus wird hier betrachtet als der Sohn, der in der Zeit auf Erden geboren worden ist, nicht aber als der Sohn, der von Ewigkeit her in dem Schoße des Vaters ist. Petrus war, wie wir gesehen haben, in seinem Bekenntnis weitergegangen; denn ohne die vollständige Offenbarung dieser letzten Wahrheit empfangen zu haben, sieht er Christum als den Sohn nach der Macht des göttlichen Lebens in Seiner Person, auf welche demgemäß d i e V e r s a m m 1 u n g gebaut werden konnte. 1 . ndes müssen wir uns hier auf das beschränken, was sich auf das Reich bezieht.

 

Mit Ausnahme der Stelle: "Der im Himmel thront, lacht, der Herr spottet ihrer" (Ps. 2, 4), gehen diese Psalmen nicht über den irdischen Teil dieser Wahrheiten hinaus. Hier in Matth. 16 hingegen wird uns der Sohn Gottes in Verbindung hiermit und Sein Kommen mit Seinen Engeln (um nicht von der Versamm­lung zu reden) vor Augen gestellt; das will sagen: wir sehen, daß der Sohn des Menschen kommen wird in der Herrlichkeit des Himmels. Es handelt sich bei der hier mitgeteilten Wahrheit nicht darum, daß Er dort wohnt, sondern daß Er bekleidet ist mit der höchsten Herrlich­keit des Himmels, wenn Er kommt, um Sein Reich auf Erden aufzurichten. Er kommt "in Seinem Reiche". Das Reich wird errichtet auf der Erde, aber Er kommt mit der Herrlickeit des Himmels, um es in Besitz zu neh­men; und das ist es, was uns, gemäß der Zusage in Vers 28, das folgende, Kapitel zeigen wird.

Auf die Zusage, den Tod nicht zu schmecken, ohne zu­vor das Reich des Sohnes des Menschen gesehen zu haben, folgt unmittelbar in allen davon redenden Evangelien die Verklärung (vgl. ‑Mark. 9, 1 u. L; Luk. 9, 27 u. f.). Und nicht nur das, sondern Petrus erklärt auch in sei­nem zweiten Briefe (Kap. 1, 16), wenn er von diesem Vorgang redet, daß derselbe eine Offenbarung der Macht und der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus gewesen sei. Er sagt, daß ihnen, den Aposteln, das prophetische Wort durch das Anschauen Seiner Majestät befestigt worden sei, so daß sie in der Verkündigung der "Macht und Ankunft des Herrn" von etwas redeten, was sie kannten, da sie Seine Majestät gesehen hatten. Und genau in demselben Sinne spricht hier der Herr darüber, wie wir gesehen haben. Es war ein Muster der Herrlichkeit, in der Er später kommen wird. Dieses Muster wurde ge­geben, um den Glauben der Jünger zu befestigen im Hinblick auf Seinen soeben angekündigten Tod.

 

Kapitel 17

Jesus führt Petrus, Jakobus und Johannes auf einen hohen Berg und wird dort vor ihren Augen umgestaltet. "Sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne, seine Kleider aber wurden weiß wie das Licht"; auch erschienen Moses und Elias und unterredeten sich mit Ihm. Ich möchte jedoch den höchst wichtigen Gegenstand ihrer Unter­redung für jetzt außer acht lassen, um bei der Betrach­tung des Evangeliums Lukas darauf zurückzukommen; denn Lukas fügt einige andere Umstände hinzu, die uns hinsichtlich dieses Vorgangs in gewissen Beziehungen an­dere Gesichtspunkte eröffnen.

Hier erscheint der Herr in Herrlichkeit, und Moses und Elias mit Ihm: Moses, der Gesetzgeber der Juden, und Elias (fast ebenso ausgezeichnet wie jener), der Pro­phet, der die zehn abtrünnigen Stämme zur Anbetung Je­hovas zurückzuführen suchte, und der, an dem Volke ver­zweifelnd, nach Horeb, dem Ausgangspunkt des Gesetzes, zurückkehrte und schließlich, ohne durch den Tod zu gehen, in den Himmel aufgenommen wurde.

Diese beiden überaus wichtigen Personen in den Wegen Gottes mit Israel, als Gründer und Wiederhersteller des Volkes in Verbindung mit dem Gesetz, erscheinen mit Jesu. Ergriffen von dieser Erscheinung und sich freuend, seinen Meister mit diesen Säulen des jüdischen Systems, mit so großen Dienern Gottes, vereinigt zu sehen, wünscht Petrus ‑ unwissend bezüglich der Herr­lichkeit des Sohnes des Menschen und nicht eingedenk der Offenbarung, die ihm über die Herrlichkeit Seiner Person, als Sohn Gottes, zuteil geworden war ‑ drei Hütten zu Machen und Jesum, Moses und Elias, als Vermittler der Aussprüche Gottes, auf einen und denselben Boden zu stellen. Aber die Herrlichkeit Gottes, d. h. das in Israel als Wohnstätte (schechinah) dieser Herrlichkeit* ge‑

 

* Petrus, unterwiesen durch den Heiligen Geist, nennt sie die "prachtvolle Herrlichkeit".

 

kannte Zeichen, offenbart Sich, und die Stimme des Va­ters läßt Sich vernehmen. Die Gnade mag Moses und Elias in gleiche Herrlichkeit mit dem Sohne Gottes ver­setzen und diese Männer Ihm zugesellen, wenn aber der törichte Mensch in seiner Unwissenheit sie zusammen­stellen will, als ob sie in sich selbst eine gleiche Autori­tät über das Herz des Gläubigen hätten, so muß der Vater alsbald die Rechte Seines Sohnes geltend machen. Un­verzüglich verkündigt die Stimme des Vaters die Herr­lichkeit der Person Seines Sohnes, Seine Beziehungen zu Ihm Selbst, und erinnert daran, daß Er der Gegenstand Seiner innigen Zuneigung sei, an welchem Er Sein ganzes Wohlgefallen finde. Ihn sollten die Jünger hören. Moses und Elias verschwinden; Jesus bleibt allein zurück als der Eine, welcher verherrlicht werden und diejenigen be­lehren soll, die auf die Stimme des Vaters hören. Der Vater Selbst zeichnet Ihn aus, indem Er Ihn der Auf­merksamkeit der Jünger vorstellt, und zwar nicht als Den, der ihrer Liebe würdig war, sondern vielmehr als den Gegenstand Seiner eigenen Wonne. Er Selbst fand Sein Wohlgefallen an Jesu. So wird uns die Liebe des Vaters als die Richtschnur der unsrigen vorgestellt, indem sie uns einen gemeinsamen Gegenstand vor Augen führt. Welch eine Stellung für solch arme Geschöpfe, wie wir sind. Welche Gnade!*

 

* Daß Moses und Elias verschwanden, hatte nichts zu tun mit dem göttlichen Wert ihres Zeugnisses, es hätte vielmehr, wie auch Petrus sagt, keine stärkere Bestätigung desselben geben können als gerade der Vorgang auf dem Berge. Allein sie waren nicht nur nicht die Gegenstände des Zeugnisses Gottes, wie Christus es war, sondern ihr Zeugnis und ihre Ermahnungen be­zogen und erstreckten sieh auch nicht auf die himmlischen Dinge, die jetzt in Verbindung mit dem Sohne vom Himmel geoffenbart werden sollten. Selbst Johannes der Täufer macht diesen Unterschied (Joh. 3,13.31‑34). Daher mußte, wie dort aus­geführt wird, der Sohn des Menschen erhöht werden. Und so gebot auch hier der Herr den Jüngern, niemand zu sagen, daß Er der Messias sei; denn der Sohn des Menschen mußte leiden, Es war der Wendepunkt in dem Leben und Dienst das Herrn, und die kommende Herrlichkeit des Reiches erglänzte vor den Jüngern; aber wenn das so war, so mußte Er leiden (siehe Joh. 12,27). Die jüdische Geschichte war in Kap. 12, eigentlich schon in Kap. 11, zu Ende, und der Grund zu der Veränderung war gelegt. Wir sehen dort sowohl Johannes als. auch den Herrn verworfen, ferner die völlige Unterwürfigkeit des Herrn, dann, daß der Vater Ihm alles übergeben hatte, und schließlich, daß Er den Vater offenbarte. Vergleiche auch Joh. 13 und 14. In Matth. 13 aber beginnt Er, getrennt von dem Judentum, mit dem, was Er brachte, ohne länger Frucht bei dem Menschen zu suchen.

 

Zugleich hat das Gesetz und jeder Gedanke an dessen Wiederherstellung unter dem Alten Bunde ein Ende ge­nommen, und Jesus, als Sohn des Menschen verherrlicht und als Sohn des lebendigen Gottes, bleibt der alleinige Spender der Erkenntnis und der Gedanken Gottes. Die erschrockenen Jünger fallen auf ihr Angesicht, als sie die Stimme Gottes hören; aber Jesus, für den diese Herrlich­keit und diese Stimme natürlich waren, ermutigt sie, wie Er es immer hienieden zu tun pflegte, indem Er sagt. "Stehet auf und fürchtet euch nicht!" Sie waren bei Ihm, dem Gegenstand der Liebe des Vaters; warum sollten sie sich fürchten? Ihr bester Freund war die Offenbarung Gottes auf der Erde; Ihm gehörte die Herrlichkeit. Moses und Elias waren verschwunden und ebenso die Herrlichkeit, die zu ertragen die Jünger noch nicht fähig waren. Jesus, der ihnen auf solche Weise in der Ihm gegebenen Herrlichkeit und in den Rechten Sei­ner glorreichen Person, in Seinen Beziehungen zum Vater geoffenbart worden war ‑ Jesus bleibt für sie Der­selbe, wie sie Ihn immer gekannt hatten. Indes sollte dies‑‑ Herrlichkeit nicht eher der Gegenstand ihres Zeug­nisses werden, bis der Sohn des Menschen, der leidende Sohn des Menschen, aus den Toten auferstanden wäre. Dieser große Beweis, daß Er der Sohn Gottes in Macht war (Röm. 1, 4), sollte gegeben und dann Zeugnis davon abgelegt werden. Dann wollte Er persönlich in die Herrlichkeit hinaufsteigen, die soeben ihren Glanz vor den Augen der Jünger hatte ausstrahlen lassen.

Jedoch erhob sich eine Schwierigkeit für die Jünger, die ihren Grund in der Lehre der Schriftgelehrten be­züglich des Elias hatte. Diese hatten nämlich gesagt, daß Elias vor der Offenbarung des Messias kommen müsse; und in der Tat rechtfertigte die Prophezeiung des Maleachi (Kap. 4, 5. 6) diese Erwartung. Die Jünger fra­gen Jesum: "Was sagen denn die Schriftgelehrten, daß Elias zuerst kommen müsse" (d. h. vor der Offenbarung des Messias), während wir doch soeben gesehen haben, daß Du Selbst dieser Messias bist? und Elias ist doch noch nicht gekommen? Jesus bestätigt ihnen die Worte des Propheten, und nachdem Er hinzugefügt hat, daß Elias alle Dinge wiederherstellen werde (V. 11), fährt Er fort: "Ich sage euch aber, daß Elias schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was irgend sie wollten. Also wird auch der Sohn des Men­schen von ihnen leiden" (V. 12). Jetzt verstanden die Jünger, daß Er von Johannes dem Täufer zu ihnen sprach, der, wie der Heilige Geist durch seinen Vater Zacharias angekündigt hatte, in dem Geist und in der Kraft des Elias gekommen war. Indes bedarf diese Stelle noch einiger Erläuterungen.

Wenn der Herr zunächst (V. 11) sagt: "Elias zwar kommt zuerst", so bestätigt Er nur das, was die Schrift­gelehrten nach der Prophezeiung Maleachis behauptet hatten. Dann gibt Er die Wirkung des Kommens des Elias an, indem Er sagt: Jr wird alle Dinge wieder­herstellen." Nun aber sollte der Sohn des Menschen noch kommen, wie Jesus zu Seinen Jüngern gesagt hatte: "Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen sein wird" (Kap. 10, 23). Nichtsdestoweniger war Er bereits gekommen und unterredete Sich eben mit ihnen; allein jenes Kommen des Sohnes des Menschen, von dem Er gesprochen hatte,

 

ist Sein Kommen in Herrlichkeit, wenn Er nach Dan. 7 als des Menschen Sohn im Gericht‑ geoffenbart werden wird. In dieser Weise sollte also alles, was zu den Juden gesagt worden war, erfüllt' werden; und im Matthäus­evangelium redet der Herr zu Seinen Jüngern in Ver­bindung mit dieser Erwartung Seiner Ankunft. Dennoch war es nötig, daß Jesus der Nation dargestellt wurde und litt; denn durch diese Darstellung des Messias, gemäß der Verheißung, sollte die Nation auf die Probe gestellt werden. Dies war geschehen, und wie Gott es durch die Propheten vorausgesagt hatte, wurde Er von den Men­schen verworfen. Auch war Johannes der Täufer (nach Jes. 40) im Geist und in der Kraft des Elias, als die Stimme eines Rufenden in der Wüste, vor Ihm ' her­gegangen; aber auch er wurde, wie nachher der Sohn des Menschen, verworfen *.

Mit diesen Worten (V., 11. 12) verkündigt also der Herr Seinen Jüngern in Verbindung mit dem soeben von ihnen geschauten Vorgang und mit diesem ganzen Teile unseres Evangeliums, daß der Sohn des Menschen, so wie Er jetzt den Juden vorgestellt war, verworfen werden müsse. Derselbe Sohn des Menschen aber sollte in Herrlichkeit geoffenbart werden, so wie sie es für einen Augenblick auf dem Berge gesehen hatten. Elias sollte in der Tat kommen, wie die Schriftgelehrten ge­sagt hatten; aber Johannes der Täufer hatte diesen Dienst des Elias für die gegenwärtige Darstellung des Sohnes des Menschen in Macht erfüllt. Diese Gegenwart des Sohnes des Menschen (während die Juden gerechter­weise ihrer eigenen Verantwortlichkeit überlassen wur­den) konnte nur in Seiner Verwerfung endigen, sowie in der Beiseitesetzung der Nation bis zu den Tagen, in welchen Gott wieder anfangen wird, Sich mit Seinem Volke zu verbinden, das Ihm immer noch teuer war, wie traurig auch sein Zustand, sein mochte.

 

* Aus diesem Grunde nimmt Johannes der Täufer die An­wendung von Mal.4,5.6 auf sich 'nicht an, dagegen werden Jes. 40 und Mal. 3,‑ 1 in Luk. 1, 76 und 7, 27 auf ihn an­gewandt.

 

Er wird alsdann alle Dinge wiederherstellen ‑ ein herrliches Werk, das Er erfüllen wird durch die Wiedereinführung Seines Erst­gebornen in der Welt. Der Ausdruck: "alle Dinge wieder­herstellen" bezieht sich hier, und zwar in sittlichem Sinne, auf die Juden, während derselbe Ausdruck in Apg. 3, 21 die Wirkung der Gegenwart des Menschensohnes Selbst bezeichnet.

Die vorübergehende Gegenwart des Sohnes des Men­schen auf der Erde war der Augenblick der Erfüllung eines Werkes, von welchem die ewige Herrlichkeit ab­hängt, und das. Gott vollkommen verherrlicht hat; eines Werkes, das über und außerhalb jeder Verwaltung stand, und in welchem Gott und auch der Mensch geoffenbart worden sind; eines Werkes, von dem sogar die äußere Herr ‑lichkeit des Sohnes des Menschen, insoweit sie von Seinem Werk und nicht von Seiner göttlichen Person abhängt, nur die Frucht war, und in welchem Er in sittlichem Sinne Selbst vollkommen verherrlicht worden ist, indem Er Gott vollkommen därin verherrlicht hat. Jedoch war, in An­sehung der den Juden gemachten Verheißungen, diese vorübergehende Gegenwart des Sohnes des Menschen nur der letzte Abschnitt in der Probe, welcher dieses Volk durch die Gnade unterworfen worden ist. Gott wußte wohl, daß sie Seinen Sohn verwerfen würden; allein Er wollte sie nicht endgültig als schuldig betrachten, bis sie das wirklich getan hatten. So stellt Er denn in Seiner göttlichen Weisheit (während Er später Seine unfehl­baren Verheißungen erfüllt) den Juden Jesum, Seinen Sohn, ihren Messias, vor. Er gibt ihnen alle nötigen Be­weise. Er sendet ihnen, als Vorläufer dieses Messias, Johannes den Täufer, in dem Geist und in der Kraft des Elias. Der Sohn Davids wird in Bethlehem geboren mit all den Zeichen, die das Volk hätten überführen sollen.

 

Aber durch ihren Stolz und ihre Eigengerechtigkeit ver­blendet, verwarfen sie alles.

Dessen ungeachtet geziemte es Jesus Sich, was Seine Stellung betraf, in Gnade dem elenden Zustande Seines Volkes anzupassen. Daher teilte Er auch, als das Gegen­bild des zu seiner Zeit verworfenen David, die Drangsale Seines Volkes. Wenn die Heiden die Israeliten unter­jochten, so mußte Er, ihr König, ein Mitgenosse ihrer Trübsale werden, indem Er zugleich alle erforderlichen, Beweise von dem gab, was Er war, und dem Volke in Liebe nachging. Ist Er einmal verworfen, so wird alles reine Gnade; zufolge der Verheißungen haben die Juden kein Recht mehr auf irgend etwas und sind, gleich einem armen Heiden, einzig und allein auf diese Gnade ange­wiesen. Gott wird es an Gnade nicht fehlen lassen. Er hat sie demgemäß auf den wahren Standpunkt von Sün­dern gebracht, wird aber trotzdem Seine Verheißungen erfüllen. Dieser Gegenstand wird in Röm. 11 behandelt.

Der wiederkehrende Sohn des Menschen wird der­selbe Jesus sein, der weggegangen ist; der Himmel wird Ihn aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von welchen die Propheten geredet haben. Aber Sein Vorläufer bei Seiner vorübergehenden An­wesenheit hienieden konnte nicht derselbe Elias sein wie der spätere. Demzufolge war Johannes der damaligen Of­fenbarung des Sohnes des Menschen angepaßt, nur mit dem Unterschied" daß die Person des Sohnes des Men­schen notwendigerweise nur eine sein konnte, während dies bei Johannes dem Täufer und Elias nicht der Fall war. Doch so wie Jesus die ganze Macht des Messias und alle Seine Rechte auf das, was diesem Messias gehörte, offenbarte, ohne jedoch, da Seine Zeit (Joh. 7) noch nicht gekommen war, die äußere Herrlichkeit anzuerkennen, so hat auch Johannes (den einzigen auf ihn angewandten Stellen, Jes. 40 und selbst Maleachi 3, buchstäblich ent­sprechend) die Sendung des Elias in sittlichem Sinne in Macht erfüllt, um nach dem wahren Charakter der Ankunft des Herrn, so wie dieselbe damals in Erfüllung ging, den Weg des Herrn vor Ihm her zu bereiten. Aus diesem Grunde sagt Johannes, daß er nicht Elias sei, während der Herr Seinen Jüngern sagte: "Wenn ihr es annehmen wollt, er ist Elias, der kommen soll" (Kap. 11, 14). Aus demselben Grunde bezieht auch Johannes niemals Mal. 4, 5. 6 auf sich, sondern kündigt sich selbst als die Erfüllung von Jes. 40, 3‑5 an; und so ist es in allen Evangelien, was auch deren besonderer Charakter* sein mag.

 

Setzen wir indes die Betrachtung unseres 17. Kapitels fort. Wenn der Herr einerseits in die Herrlichkeit einführt, so kommt Er andererseits in diese Welt herab ' (selbst heute im Geiste und in Mitgefühl), und begegnet der Volksmenge und der Macht Satans, mit der wir zu tun haben. Während der Herr auf dem Berge war, hatte ein armer Vater seinen mondsüchtigen und besessenen Sohn zu den Jüngern gebracht (V. 14 u. f.). Jetzt entwickelt sich ein anderer Charakter des Unglaubens des Menschen, ja, selbst des Gläubigen, nämlich die Unfähigkeit, sich der Kraft zu bedienen, die sozusagen in dem Herrn zu seiner Verfügung bereit steht. Christus, der Sohn Gottes, der Messias, der Sohn des Menschen, hatte den Feind besiegt, den Starken gebunden, und hatte mithin das Recht, ihn auszutreiben. Als Mensch, als der gehorsame Mensch trotz der Versuchungen Satans, hatte Er diesen in der Wüste überwunden, und hatte darum als Mensch ein Recht, ihm seine Herrschaft über einen Menschen betreffs dieser Welt zu nehmen; und dies tat Er. Indem Er Dämonen austrieb und Kranke heilte, befreite Er die Menschen von der Macht des Feindes. "Gott",‑sagt Petrus in Apg. 10, 38, "hat Jesum von Nazarftth mit Heiligem Geiste und mit Kraft gesalbt, der umherging, wohltuend und heilend alle, die von dem

 

* Siehe die vorhergehende Anmerkung.

 

T(‑,ufel überwältigt waren". Nun, die Jünger hätten diese Macht benutzen und verstehen sollen, durch den Glauben das zu gebrauchen, was Jesus also auf Erden geoffenhart hatte; aber sie waren nicht fähig dazu. Was nützte es nun, diese Macht auf die Erde zu bringen, wenn die Jünger nicht den Glauben hatten, sie zu benutzen? Die Macht war da, und der Mensch konnte sich ihrer zu einer gänzlichen Befreiung von aller Unterdrückung des Feindes bedienen; aber er hatte keinen Glauben, es zu tun ‑ selbst die Gläubigen hatten ihn nicht. In dem Manne, der sein Kind brachte, war mehr Glaube als in den Jüngern; denn das Gef ühl der Not trieb ihn zu Dem, der sie stillen konnte. Die Gegenwart Christi auf Erden war nutzlos, wenn gar Seine eigenen Jünger keineu Nutzen daraus zu ziehen wußten. Einen jeden trifft daher das Urteil des Herrn: "0 ungläubiges und verkehrtes Geschlecht1" (V. 17). Er muß sie verlassen, und das, was die Herrlichkeit droben geoffenbart hatte, wird der Unglaube hienieden verwirklichen.

 

Bemerken wir hier, daß das Böse in der Welt nicht der besonderen Dazwischenkunft Gottes ein Ziel setzt, sondern daß es im Gegenteil zu einer solchen Dazwischenkunft in Gnade Gelegenheit gibt. Gerade wegen der Herrschaft, die der Teufel über die Menschen ausübte, war Christus gekommen. Er entfernt Sich, weil diejenigen, welche Ihn aufgenommen hatten, unfähig waren, sich der durch Ihn gebrachten oder zu ihrer Befreiung gewährten Kraft zu bedienen; sie verstanden nicht, sich die Vorzüge, deren sie sich in jenen Tagen erfreuten, zunutze zu machen. Der Glaube fehlte. Beachten wir indes auch die wichtige und köstliche Wahrheit, daß, solange jene Verwaltung Gottes fortdauerte, Jesus nicht ermangelte, dem persönlichen Glauben in Segnung zu, begegnen, selbst wenn Seine Jünger nicht imstande waren, Ihn durch Glauben zu verherrlichen. In demselben Augenblick, da Er den Unglauben der Jünger verurteilt, beruft Er den betrübbauen, und daß der, welcher die Gewalt des Todes hatte, sie nicht überwältigen werde. So erklärt auch Petrus in seinem ersten Briefe, daß die Gläubigen durch die Auf erstehung Jesu Christi aus den Toten zu einer lebendigen Hoffnung wiedergeboren seien; und gerade in dieser Auferstehung ist die Macht des Lebens des lebendigen Gottes geoffenbart worden. Dann nennt Petrus Christum "den lebendigen Stein", zu welchem kommend auch wir, als lebendige Steine, zu einem heiligen Tempel im Herrn aufgebaut werden.

 

In seinem zweiten Briefe erinnert Petrus in einer besonderen Weise an die Herrlichkeit der Verklärung, als einen Beweis der Ankunft des Reiches des Sohnes des Menschen, und demgemäß redet er dann auch vom Gericht des Herrn.

 

Kapitel 18

 

In diesem Kapitel werden den Jüngern die Hauptgrundsätze mitgeteilt, die der neuen Ordnung der Dinge angemessen waren.

 

Werfen wir einen kurzen Blick auf diese lieblichen und köstlichen Unterweisungen des Herrn. Wir können sie von zwei Seiten aus betrachten. Sie offenbaren einerseits die Wege Gottes in Ansehung dessen, was den Platz des Herrn auf Erden einnehmen sollte, als Zeugnis für die Gnade und Wahrheit; und sie beschreiben anderseits den Charakter, der in sich selbst das wahre, abzulegende Zeugnis bildet.

 

Das 18. Kapitel setzt Christum als verworfen und abwesend voraus, indem die Herrlichkeit des 17. Kapitels noch nicht gekommen ist. Es übergeht das letztere und verbindet sich mit dem 16. Kapitel, ausgenommen insoweit, als die letzten Verse des 17. Kapitels in praktischer Weise bezeugen, daß Christus Seinen wahren Rechten so lang entsagt hat, bis Gott sie geltend machen wird. Der Herr redet von den beiden Gegenständen des 16. Kapitels, von dem Reiche und von dei Kirche.

 

~ Dem Reiche war der Geist der Abhängigkeit und 'der Demut, die sanfte Gesinnung eines Kindes angemessen, das seine Rechte nicht geltend zu machen versteht gegenüber einer Welt, die seiner nicht achtet. Sie mußten werden wie die Kindlein. Das war die Gesinnung, die den Nachfolgern Jesu während der Abwesenheit ihres verworfenen Herrn geziemte (V. 1‑4). Wer irgendein Kindlein im Namen Jesu aufnahm, nahm Ihn Selbst auf; und anderseits: Wer irgend auf den Weg eines dieser Kleinen, die an Jesum glaubten*, einen Stein des Anstoßes legte, sollte mit dem schrecklichsten Gericht heimgesucht werden (V. 5. 6). Ach, die Welt legt solche Steine vor die Kleinen; aber wehe der Welt dieser Ärgernisse wegen! Was die Jünger betraf, so sollten sie, wenn das Teuerste, das sie besaßen, zu einem Fallstrick für sie werden würde, dieses abhauen und ausreißen; sie sollten die größte Sorgfalt in Gnade anwenden, um nicht für einen Kleinen, der an Christum glaubte, zu einem Fallstrick zu werden, sowie gegen sich selbst die unnachgiebigste Strenge gebrauchen im Blick auf alles, was sich für sie selbst als ein Fallstrick erweisen konnte. Der Verlust des Kostbarsten hienieden war nichts im Vergleich mit ihrer ewigen Stellung in einer anderen Welt; denn darum handelte es sich jetzt, und die Sünde konnte keinen Platz im Hause Gottes haben. Sorge für andere, selbst für die Schwächsten, und Strenge gegen sich selbst war die Richtschnur für das Reich, damit kein Fallstrick noch irgend etwas Böses vorhanden sein möchte. Gegenüber einer Beleidigung sollte völlige Gnade und Vergebung geübt werden.

 

* Hier unterscheidet der Herr einen "Kleinen, der glaubt", während Er in den anderen Versen von einem kleinen Kinde redet, indem Er dessen Charakter als Muster des ohristlichen Charakters in dieser Welt hinstellt.

 

Auch sollten jene Kleinen nicht verachtet werden; denn sie, die sich ihren Weg in dieser Welt nicht selbst zu bahnen wissen, sind Gegenstände der besonderen Gunst des Vaters, gleich jeneri, die an irdischen Höfen das besondere Vorrecht hatten, das Angesicht des Königs zu schauen (V. 10). Nicht als ob keine Sünde in den Kleinen wäre; doch sie sollten wissen, daß der Vater jene nicht verachtete, die fern von Ihm waren. Der Sohn des Menschen war gekommen, das Verlorene zu erretten* und es war nicht der Wille des Vaters, daß eines dieser Kleinen verloren ging (V. 11‑14). Der Herr redet hier, wie ich nicht bezweifle, von kleinen Kindern, denen gleich, die Er so oft in Seine Arme nahm; aber Er prägt Seinen Jüngern einerseits die Notwendigkeit eines Geistes der Demut und der Abhängigkeit ein, und stellt ihnen anderseits die Gesinnung des Vaters vor, die sie nachzuahmen hatten, um wahrhaft Kinder des Reiches zu sein. Er belehrt sie, nicht nach der Gesinnung des Menschen zu wandeln, der stets seinen Platz zu behaupten und seine Wichtigkeit geltend zu machen sucht, sondern vielmehr Spott und Verachtung willig zu erdulden, sich selbst zu erniedrigen und zu gleicher Zeit (und das ist wahre Herrlichkeit) dem Vater nachzuahmen, welcher der Niedrigen gedenkt und sie in Seine Gegenwart nahen läßt. Der Sohn des Menschen war um der Unwürdigen willen gekommen. Das ist der Geist der Gnade, von welcher am Ende des 5. Kapitels die Rede ist; es ist der Geist des Reiches.

 

 

 

* Als Lehre ist hier der sündhafte Zustand des Kinies und sein Bedürfnis für das Opfer Christi klar ausgedrückt. Der Herr sagt in bezug auf die Kinder nicht: "zu suchen". Die Einführung des Gleichnisses von dem verlorenen Schaf an dieser Stelle ist auffallend und charakteristisch.

 

In besonderer Weise aber sollte die Versammlung den Platz Christi auf Erden einnehmen. Was persönliche Beleidigungen betraf, so geziemte Seinen Jüngern auch der eben beschriebene Geist der Sanftmut; sie sollten ihre Brüder dadurch gewinnen (V. 15). Wenn der Mann, der wider seinen Bruder gesündigt hatte, auf diesen hörte, so sollte die Sache in dem Herzen des Beleidigten begraben bleiben; wenn er nicht hörte, so sollte der Beleidigte zwei oder drei mit sich nehmen, um das Gewissen des anderen zu erreichen oder um als Zeugen zu dienen; blieben aber diese verordneten Mittel erfolglos, so mußte die Sache vor die Versammlung gebracht werden, und falls auch das keine Unterwerfung herbeiführte, so sollte der, der das Unrecht begangen hatte, für ihn sein, was ein Fremder, ein Heide und ein Zöllner für Israel war. Es handelt sieh hier nicht um die öffentliche Zucht seitens der Versammlung, sondern um die Gesinnung, in welcher Christen wandeln sollten. Beugte sich der Beleidiger, wenn mit ihm gesprochen wurde, so sollte ihm sogar siebenzigmal siebenmal an einem Tage vergeben werden. Allein wenn auch nicht von der kirchlichen Zucht die Rede ist, so sehen wir doch, daß die Versammlung auf der Erde an die Stelle Israels trat; das "drinnen" und "draußen" bezog sich fortan auf sie. Im Himmel würde das, was die Versammlung auf Erden band, bestätigt werden, und auch der Vater würde die Bitte von zweien oder dreien, die in ihrem Verlangen einstimmig sein würden, gewähren; denn Christus würde in der Mitte sein, wo zwei oder drei in Seinem Namen (oder zu Seinem Namen hin) versammelt wären*.

 

* Es ist wichtig, sich hier daran zu erinnern, daß ‑ obwohl in Matthäus der Heilige Geist persönlich vollkommen anerkannt wird, wie in der Geburt des Herrn als handelnd und in Kap. 10 als redend in den Jüngern bei ihrem Dienst, ferner als eine göttliche Person und als die alleinige Kraft, durch die wir richtig zu handeln vermögen ‑ daß doch das Kommen des Heiligen Geistes, nach der göttlichen Ordnung der Verwaltung der Zeiten, keinen Teil der Lehre dieses Evangeliums bildet, obwohl es als Tatsache in Kap. 10 anerkannt wird. Die Darstellung, die voll Christo in Matthäus gegeben wird, schließt mit Seiner Auferstehung ab, und Seine Jüngerschar wird als eine angenommene Körperschaft von Galiläa aus in die Weit gesandt, um den Hei­den das Evangelium zu verkündigen, und der Herr erklärt, daß Er bei ihnen sein werde bis zur Vollendung des Zeitalters. So ist Er hier in der Mitte von zweien oder dreien, die zu Seinem Namen hin versammelt sind. Die Kirche ist hier nicht der Leib, wie er durch die Taufe mit dem Heiligen Geiste gebildet ist; es ist auch nicht das Haus, in welchem der Heilige Geist auf Erden wohnt; sondern wo zwei oder drei zu Seinem Namen hin sich versammeln, da ist Christus.

Ich zweifle natürlich nicht daran, daß alles Gute, vom Leben und dem Worte des Lebens an, von dem Heiligen Geiste kommt, aber das ist etwas anderes; hier ist die Versammlung weder der Leib noch das Haus, als gebildet durch das Herniederkommen des Heiligen Geistes. Diese Lehre, diese Offenbarung sollte später mitgeteilt werden und bleibt stets in gesegneter Weise wahr; aber hier handelt es sich darum, daß Christus in der Mitte derer ist, die zu Seinem Namen hin versammelt sind. Selbst in Kap. 16 ist Er es, der baut; aber das ist eine andere Sache. ‑Selbstredend ist Er geistlicherweise gegenwärtig.

 

Sowohl hinsichtlich der zu lassenden Beschlüsse als auch der Bitten waren sie also Christo auf der Erde gleichgestellt; denn Chri­stus Selbst war unter ihnen. Welch eine ernste Wahr­heitl Eine unendliche Gunst ist zweien oder dreien ge­währt, wenn sie wirklich in Seinem Namen versammelt sind. Aber gerade das wird auch ein Anlaß zu tiefster Trauer, wenn diese Einheit wohl vorgegeben, aber nicht verwirklicht wird*.

Ein anderer Zug des dem Reiche eigentümlichen Cha­rakters ist die vergehende Gnade, die in Gott und in Christo geoffenbart worden ist. Auch darin sollen die Kinder des Reiches Nachahmer Gottes sein, sie sollen stets vergeben. Selbstredend handelt es sich hier um Un­rechte, die uns persönlich zugefügt werden, nicht um öffentliche Zucht. Es geziemt uns, bis ans Ende hin zu vergeben oder vielmehr ohne Ende, gleichwie Gott uns alles vergeben hat.

 

 

* Es ist sehr auffallend, hier zu sehen, daß die einzige Nach­folge in dem Dienst oder Amt des Bindens und Lösens. das der Himmel bestätigt, sich bei den zweien oder dreien findet, die in dem Namen Christi versammelt sind.

 

Ich glaube indes, daß uns hier zugleich die Wege Gottes mit Israel beschrieben werden. Die Juden hatten nicht nur das Gesetz übertreten, sie töteten schließlich auch den Sohn Gottes. Christus legte für sie Fürsprache ein mit den Worten: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Luk. 23, 34); und als Antwort auf diese Bitte wurde durch den Heiligen Geist, durch den Mund des Petrus, eine einstweilige Ver­gebung gepredigt. Aber auch diese Gnade ist verworfen worden, und als es sich um die Begnadigung der armen Heiden handelte, die den Juden ohne Zweifel die 100 Denare schuldeten, wollten diese nichts davon hören; und daher sind sie den Peinigern überliefert worden, bis der Herr sagen kann: "Sie haben Zwiefältiges empfangen für alle ihre Sünden" (Jes. 40, 2) *.

Mit einem Wort, der Geist des Reiches ist nicht äußere Macht, sondern Demut. Aber in dieser Stellung der Niedrigkeit ist man dem Vater nahe, und dann ist es leicht, in dieser Welt sanftmütig und demütig zu sein. Jemand, der die Gunst Gottes geschmeckt hat, trachtet nicht nach Größe auf der Erde. Er ist von dem Geiste der Gnade durchdrungen; er liebt die Kleinen; er vergibt denen, die ihm unrecht getan haben; er ist in der Nähe Gottes und Ihm ähnlich in seinen Wegen. Derselbe Geist der Gnade herrscht sowohl in der Versammlung als auch in ihren Gliedern. Die Versammlung allein stellt Chri­stum auf der Erde dar; und auf sie beziehen sich jene Vorschriften, die auf die Annehmlichkeit eines Volkes als Gott angehörend gegründet sind. Zwei oder drei, die wirklich in dem Namen Jesu versammelt sind, handeln mit Seiner Autorität und genießen Seine Vorrechte bei dem Vater; denn Jesus Selbst ist in ihrer Mitte.

 

*Dieses Überliefern und der ausdrückliche Hinweis auf den jetzigen himmlischen Platz, der mit dem Sohne des Menschen in der Herrlichkeit in Verbindung steht, finden wir in Apg. 7, wo Stephanus die Geschichte der Juden von Abraham, dem zuerst als Wurzel der Verheißung Berufenen, bis zu jenem Tage hin erzählt,

Kapitel 19

 

Dieses Kapitel setzt die Behandlung des Geistes, der dem Reiche der Himmel angemessen ist, fort, und geht tief in die Grundsätze ein, welche die menschliche Natur leiten, sowie in das, was jetzt göttlich eingeführt war. Der Herr hatte Sich Judäa genähert, und eine Frage der Pharisäer gibt Anlaß zur Darstellung Seiner Lehre über die Ehe. Indem Er dabei das Gesetz verläßt, das wegen ihrer Herzenshärtigkeit gegeben worden war, geht Er zu der Anordnung Gottes zurück*, nach welcher ein Mann und ein Weib sich verbinden sollten, um in Gottes Augen eins zu sein. Er stellt den wahren Charakter des unlös­lieben Bandes der Ehe fest oder vielmehr wieder her. Ich sage unlöslich; denn die Ausnahme im Falle der Un­treue kann nicht als eine solche gelten, weil die straf­bare Person das Band bereits gebrochen hat; Mann und Weib sind dann nicht mehr ein Fleisch! Doch wenn Gott die geistliche Kraft dazu verleiht. ist es noch besser, un­verheiratet zu bleiben.

 

* Die Verbindung zwischen der neuen Sache und der Natur, wie Gott sie von Anfang an geschaffen hatte, wird hier gezeigt, indem das Gesetz übergangen wird als etwas, das bloß neben­eingekommen ist. Es war eine neue Macht, weil das Böse ein ‑gedrungen war; aber es erkannte Gottes Schöpfung an, während es zugleich den Zustand des Herzens erprobte und seiner Schwach­heit nicht Rechnung trug. Die Sünde hat verdorben, was Gott gut geschaffen hatte. Die Macht des Geistes Gottes, die uns durch die Erlösung gegeben ist, hebt den Menschen und seinen Weg völlig aus dem ganzen Zustand des Fleisches heraus und führt eine neue göttliche Macht ein, durch die er, dem Beispiel Christi gemäß, in dieser Welt wandelt. Zugleich ist damit die völligste Bestätigung de'ssen verbunden, was Gott Selbst ur­sprünglich angeordnet hat. Es ist gut, obwohl es etwas Besseres

tben mag. Sehr eindrucksvoll ist die Weise, wie der Herr das 'setz übergeht, um zu Gottes ursprünglicher Anordnung zu­rückzukehren, wo die geistliche Kraft das Herz nicht völlig aus der ganzen Szene herausnahm, obwohl es in jener Kraft wandelte. In der Ehe, in dem Kinde und in dem Charakter des Jünglings wird das, was aus Gott und was lieblich in d‑‑r Natur ist, von dem Herrn anerkannt. Aber der Zustand des mensch­lichen Herzens wird erforscht; dieser hängt nicht vom Charakter, sondern von Beweggründen ab und wird völlig durch Christum erprobt (die Haushaltung hat gänzlich gewechselt, denn einem treuen Juden waren Reichtümer verbeißen), und zwar durch einen verworfenen Christus. Alles wird beurteilt, was aus dem Herzen des Menschen kommt.

Gott schuf den Menschen aufrichtig, mit bestimm en Familien­beziehungen. Die Sünde hat diese alte oder erste ~ ;höpfung des Menschen vollständig verdorben. Das Kommen des Heiligen Geistes hat eine neue Macht eingeführt, die in dem zweiten Men­schen aus der alten Schöpfung in die neue erhebt und uns himm­lische Dinge gibt ‑ nur noch nicht in bezug auf das Gefäß, den Leib; aber sie kann nicht das, was Gott im Anfang g3schaffen hat, verleugnen oder verurteilen. Das ist unmöglich. Im Anfang schuf Gott Mann und Weib. Wenn wir zu der himmlischen Stellung gelangen, so verschwindet alles das, obwohl nicht die Früchte davon, in Gnade. Wenn ein Mensch in der Kraft des Hei­ligen Geistes die Gabe hat, es aufzugeben und ganz himmlisch zu sein, um so besser: aber es ist ganz verkehrt, die Beziehungen, die Gott ursprünglich geschaUen hat, zu verurteilen oder gegen sie zu sprechen, oder die Autorität, die Gott mit ihnen verbun­den hat, zu verringern oder zu schwächen. Kann ein Mensch ganz außer oder über dem allen leben, um Christo zu dienen, so ist alles recht; aber es ist ein seltener Ausnahmefall

 

In den folgenden Versen erneuert der Herr Seine Unterweisungen betreffs der Kinder, indem Er Seine Zu­neigung zu ihnen bezeugt, und zwar hier, wie es mir scheint, mehr in Verbindung mit dem Nichtvorhandensein alles dessen, was an die Welt, an ihre Zerstreuungen und ihre Lust bindet, und in Anerkennung des Lieblichen, Ver­trauenden und äußerlich Unverdorbenen in der Natur. In Kapitel 18 handelte es sich dagegen um den innern Charakter des Reiches.

Sodann zeigt Jesus (mit Bezug auf die Einführung des Reiches in Seiner Person) die Natur einer gänzlichen Widmung und Aufopferung von allem, um Ihm nachzu­folgen, wenn man wirklich nur Gott zu gefallen suchte. Der Geist der Welt, seien es fleischliche Leidenschaften oder Reichtümer, stand in allen Punkten im Gegensatz zu dieser Gesinnung. Allerdings legte das Gesetz Moses diesen Leidenschaften einen Hemmschuh an; allein es setzt dieselben voraus und erträgt sie in gewisser Bezie­hung. Im Blick auf die Herrlichkeit der Welt hatte ein Kind keinen Wert. Welche Bedeutung könnte es da haben? Aber in den Augen des Herrn hat es Wert.

Das Gesetz verhieß dem, der es hielt, das Leben. Der Herr vereinfacht seine Forderungen und macht sie praktisch, oder vielmehr Er stellt die Forderungen in ihrer wahren Einfachheit wieder her. Reichtümer waren nicht durch das Gesetz verboten; das will sagen: obwohl die sittlichen Verbindlichkeiten der Menschen unter­einander durch das Gesetz aufrecht gehalten wurden, ver­urteilte es doch nicht das, was das Herz an die Welt fes­selte. Vielmehr war der Regierung Gottes gemäß äußerer Wohlstand mit dem Gehorsam gegen das Gesetz ver­bunden; denn es hatte diese Welt und den Menschen, als in ihr lebend, zur Voraussetzung, und es stellte ihn hier auf die Probe. Christus erkennt das an; aber die Be­weggründe der Herzen werden geprüft. Das Gesetz war geistlich, und der Sohn Gottes war da. Wir finden hier wieder dasselbe wie früher: der Mensch wird erprobt und bloßgestellt, und Gott wird geoffenbart. Alles ist inner­lich und ewig in seiner Natur, denn Gott ist schon ge­offenbart. Christus richtet alles, was einen schlechten Einfluß auf das Herz ausübt, was auf seine Selbstsucht einwirkt und es auf diese Weise von Gott trennt. Er sagt zu dem Jüngling: "Verkaufe deine Habe und folge mir nach!" (V. 21). Ach, der junge Mann konnte nicht auf seine Besitztümer, auf seine Bequemlichkeiten und auf sich selbst verzichten; und so fügt der Herr hinzu: "Schwerlich wird ein Reicher in das Reich der Himmel eingehen." Das eine war klar: es handelte sich um das Reich Gottes, um das Reich der Himmel, in welchem das .Ich und die Welt keinen Raum fanden. Die Jünger, die nicht begriffen, daß nichts Gutes im Menschen ist, verwunderten sich, daß ein so bevorzugter und gutgesinnter Mann noch vom Heil fern sein sollte; und sie fragen den Herrn: "Wer kann dann errettet werden?" (V.25). Hierauf enthüllt sich die ganze Wahrheit: "Bei Menschen ist dies unmöglich." Der Mensch kann die Begierden des Fleisches nicht überwinden; denn in sittlichem Sinne und soweit es seinen Willen und seine Neigungen betrifft, sind diese Begierden er selbst. Kann man auch einen Mohren weiß waschen, oder einem Leoparden seine Flecken nehmen? Die Farbe des Mohren und die Flecken des Leoparden gehören ihrer Natur an. Aber bei Gott ‑Sein Name sei dafür gepriesen! ‑ sind alle Dinge möglich.

Diese Unterweisungen Jesu betreffs der Reichtümer veranlassen Petrus zu der Frage: Was wird das Teil derer sein, die um Jesu willen alles verlassen haben? Das führt uns zu der Herrlichkeit des 17. Kapitels zurück. Jesus erwidert ihm, daß eine Wiedergeburt stattfinden, und daß unter der Herrschaft des Sohnes des Menschen der Zustand der Dinge gänzlich erneuert werden würde. Zu jener Zeit sollten sie auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Die Jünger werden den ersten Platz in der Verwaltung des irdischen Reiches einnehmen. Ubrigens wird jeder seinen besonderen Platz haben; für alles, was man verlassen und worauf man um des Namens Jesu willen verzichtet hat, wird man hundertfältig empfangen *und das ewige Leben erben (V. 28. 29). Die Entscheidung hierüber wird jedoch nicht nach dem äußeren Schein gefällt werden, auch nicht nach dem Platze, den der Mensch in dem alten System und vor den Menschen einnahm; denn "viele Erste werden Letzte, und Letzte Erste sein".

 

Kapitel 20

 

Es war in der Tat zu befürchten, daß das fleischliche Herz des Menschen diese Ermunterung, die in Form einer Belohnung für alle seine Mühe und seine Opfer gegeben wurde, in einem lohnsüchtigen Geist auffassen und Gott zu seinem Schuldner zu machen suchen würde. Deshalb stellt der Herr in dem nun folgenden Gleichnis den Grundsatz der Gnade und der Unumschränktheit Gottes sowohl hinsichtlich derer, die Er beruft, als auch be­treffs dessen, was Er gibt, in sehr bestimmter Weise fest. Von dieser Berufung und Gnade Gottes macht Er die Gaben derer abhängig, die Gott in Seinen Weinberg ein­fahrt.

Man wird bemerken, daß die Antwort des Herrn an Petrus auf dessen Vorstellung hin erfolgt, daß sie auf den Ruf Christi alles verlassen hätten, um Ihm nach­zufolgen. Der Beweggrund ‑war Christus Selbst. Darum sagt Er: "Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid." Er spricht auch von solchen, die "um Seines Namens willen" also gehandelt hatten. Da war dies der Beweggrund. Die Belohnung ist eine Ermunterung für uns, wenn wir um Christi willen bereits auf dem Wege sind; von diesem Gesichtspunkt aus wird die Belohnung im Neuen Testa­ment immer betrachtet*.

 

* Tatsächlich stellt die Schrift die Belohnung stets als eine Ermunterung hin für solche, die aus höheren Beweggründen den Weg Gottes betreten haben und infolgedessen durch Leiden und Trübsale gehen. So war es bei Moses. So hat Selbst Christus, dessen Beweggründe in vollkommener Liebe wir kennen, dennoch für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldet und der Schande nicht geachtet. Er war "der Anfänger und Vollender" auf dem Pfade des Glaubens.

 

Der, welcher zur elften Stunde berufen wurde, war für den Eintritt in die Arbeit von dieser Berufung abhängig; und wenn sein Herr in Seiner Güte ihm ebensoviel geben wollte wie den anderen, so hätten sich diese darüber freuen sollen. Die ersten be­riefen sich auf die Gerechtigkeit; aber sie hatten nach der Übereinkunft mit dem Hausherrn empfangen. Die letzten genossen die Gnade ihres Herrn. Und es ist zu beachten, daß sie den Grundsatz der Gnade und des Vertrauens auf dieselbe angenommen hatten. "Was irgend recht ist, werde ich euch geben", hatte der Herr gesagt. Der wich­tigste Punkt in unserem Gleichnis ist dieser: Vertrauen auf die Gnade des Hausherrn, und Gnade als der Boden, auf dem die Arbeiter tätig sind. Aber wer verstand das? Ein Paulus mochte, da Gott ihn nicht früher berief, erst spät in die Arbeit eintreten und nichtsdestoweniger zu einem mächtigeren Zeugnis der Gnade werden, als jene Arbeiter, die seit dem Anbruch des Tages des Evange­liums gearbeitet hatten.

Hernach setzt der Herr den Gegenstand Seiner Unter­redung mit den Jüngern fort. Er geht nach Jerusalem hinauf (wo der Messias hätte aufgenommen und gekrönt werden sollen), um verworfen und getötet zu werden, aber um dann aufzuerstehen. Und wenn die Söhne Zebedäus kommen, um die beiden ersten Plätze im Reiche zu bean­spruchen, erwidert Er ihnen, daß Er sie zwar zu Leiden führen könne, daß Er aber die ersten Plätze in Seinem Reiche, den Ratschlüssen Gottes gemäß, nur denen zu geben vermöge, für welche sie der Vater bereitet habe (V. 20 u. f.). Wunderbare Selbstverleugnung! Er arbei­tet für den Vater, für uns, und Er verfügt über nichts. Er kann denen, die Ihm nachfolgen, Anteil an Seinen Leiden geben; alles andere wird aber nach den Rat­schlüssen des Vaters ausgeteilt werden. Doch welch eine Herrlichkeit ist gerade das für Christum, und welch eine Vollkommenheit zeigt sich hier in Ihm! Und weiter, welch ein Vorrecht ist es für uns, nur diesen Beweggrund zur Nachfolge zu haben und an Seinen Leiden teilzunehmen! Und wie wird uns hier Gelegenheit geboten, unsere fleischlichen Herzen zu läutern, indem wir angeleitet werden, nur für einen leidenden Christus zu wirken, Sein Kreuz zu teilen und betreffs der Belohnung uns Gott völlig zu überlassen1

Der Herr benutzt diese Gelegenheit auch, um zu zei­gen, welche Gefühle sich für Seine Nachfolger geziemen; sie hatten die Vollkommenheit derselben in Ihm Selbst ge­sehen. In der Welt trachtet man nach Machtvollkommen­heit; aber die Gesinnung Christi war die Gesinnung eines Dieners und führte dahin, den letzten Platz zu wählen und Sich ganz für andere hinzugeben. Welch schöne und herr­liche Grundsätze, deren Vollkommenheit in völligem Glanze in Christo geoffenbart worden ist! Auf alles zu verzichten, um vertrauensvoll von der Gnade Dessen ab­hängig zu sein, dem wir dienen, und dementsprechend bereit, den niedrigsten Platz einzunehmen und so aller Diener zu sein ‑ diese Gesinnung sollte alle die be­seelen, die teilhaben an dem Reiche, so wie dasselbe jetzt durch den verworfenen Herrn aufgerichtet worden ist. Das ist es, was Seinen Nachfolgern geziemt*.

 

 

* Bemerkenswert ist die Art und Weise, in welcher die Söhne Zebedäi und ihre Mutter gerade in dem Augenblick um den höchsten Platz nachsuchen, wo der Herr Sich anschickt, ohne Vorbehalt den niedrigsten einzunehmen. Ach, wie viele Beispiele derselben Gesinnung erblicken wir täglich! Die Folge war, daß ans Licht trat, wie gänzlich Jesus Sich von allem, entäußert hatte. Die Grundsätze des himmlischen Reiches sind diese: Voll­kommene Selbstverleugnung, zufrieden zu sein, sich gänzlich hinzugeben. Das ist die Frucht der Liebe, die nicht das Ihrige sucht: eine Nachgiebigkeit, die aus der Tatsache entspringt, daß man nicht sich selbst sucht; stille Unterwerfung, wenn man verachtet wird; Sanftmut und Niedriggesinntheit des Herzens. Die Liebe erzeugt zugleich den Geist des Dienstes für andere sowie die Demut, die mit dieser Stellung zufrieden ist. Der Herr hat, indem Er Sein Leben zum Lösegeld für viele gab, diesen Dienst der Liebe bis zum Tode erfüllt.

 

Mit dem 28. Verse endigt dieser Teil des Evange­liums, und die Schlußszene des Lebens unseres hochgelobten Heilandes hebt an. In Vers 29*> beginnt die letzte Offenbarung Jesu an Israel als Sohn Davids, Jehova, der wahre König Israels, der Messias. Er be­ginnt Seine Laufbahn in dieser Beziehung zu Jericho, an dem Orte, wo Josua in das Land eingetreten war, und auf dem der Fluch so lang geruht hatte. Er öffnet die blinden Augen Seines Volkes, die Augen derer, die an Ihn glaubten und Ihn, obwohl Er verworfen war, als den Messias aufnahmen; denn das war Er in Tat und Wahrheit. Die Blinden begrüßen Ihn als Sohn Davids; und Er antwortet ihrem Glauben, indem Er ihre Augen öffnet. Dann folgen sie Ihm nach ‑ ein Bild des wah­ren Überrestes Seines Volkes, der Ihn erwarten wird.

 

Kapitel 21

 

Über alles verfügend, was Seinem willigen Volke an­gehörte, hält Jesus dann, dem Zeugnis Sacharjas gemäß, als König und Herr Seinen Einzug in Jerusalem. Doch ob­wohl Er als König einzieht und dadurch gegenüber der vielgeliebten Stadt, die (zu ihrem Verderben) im Be­griff stand, Ihn zu verwerfen, das letzte Zeugnis ablegt, kommt Er dennoch als ein sanftmütiger und demütiger König. Die Macht Gottes wirkt auf das Herz der Volks­menge, und sie begrüßt Ihn als König, als Sohn Davids, indem sie sich dabei der Ausdrücke des 118. Psalmes** bedient, welcher den tausendjährigen Sabbat besingt, der durch den alsdann vom Volke anerkannten Messias herbeigeführt werden wird.

 

* Die Geschichte des Blinden zu Jericho bildet in den drei ersten Evangelien den Anfang der letzten Umstände des Lebens Christi, die Ihn zum Kreuze führten, nachdem der allgemeine Inhalt und die Belehrungen jedes einzelnen Evangeliums zu Ende geführt sind; daher wird Er als Sohn Davids angeredet und Ihm, als solchem, dem Volke Israel gegenüber zum letztenmal von Gott Zeugnis gegeben.

** Dieser Psalm sagt in besonderer Weise Seine zukünftige Aufnahme voraus und wird oft in Verbindung damit angeführt.

 

 

Die Volksmenge breitet ihre Kleider aus, um den Weg ihres sanftmütigen, obwohl herrlichen Königs zu bereiten. Sie schneiden Zweige von den Bäumen, um Zeugnis für Jesum abzulegen; und Er wird im Triumph nach Jerusalem geführt unter dem Rufe des Volkes: "Hosanna (errette jetztl) dem Sohne Davidsl Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhel" (V. 9). Wie glücklich wären sie gewesen, wenn ihre Herzen erneuert gewesen wären, um dieses Zeugnis im Geiste zu bewahrenl Doch Gott bereitete in Seiner unumschränkten Macht ihre Herzen zu, um dieses Zeugnis von Ihm abzulegen. Er konnte nicht erlauben, daß Sein Sohn verworfen würde, ohne dasselbe empfangen zu haben.

Und jetzt steht der König im Begriff, alles Seiner Beurteilung zu unterwerfen, obwohl Er immer noch Seine Stellung der Demut und des Zeugnisses beibehält. Schein­bar kommen die verschiedenen Klassen des Volkes herbei, um Ihn zu richten oder in Verlegenheit zu bringen; in Wirklichkeit aber treten sie alle vor Ihn hin, um eine nach der anderen aus Seinen Händen das göttliche Urteil über sich zu empfangen.

Der Vorgang, der sich vor unseren Augen abspielt, ist äußerst eindrucksvoll. Der wahre Richter, der ewige König, zeigt Sich zum letztenmal Seinem aufrührerischen Volke mit dem vollständigsten Zeugnis Seiner Rechte und Seiner Macht, und sie, die gekommen waren, um Ihn zu quälen und zu verurteilen, werden gerade durch ihre Bosheit veranlaßt, einer nach dem anderen an Ihm vorüberzuziehen, um so ihren wahren Zustand an den Tag zu legen und ihr Urteil aus Seinem Munde zu ver­nehmen. Dabei verläßt Er nicht für einen Augenblick (es sei denn bei der Reinigung des Tempels vor Beginn dieses Vorgangs) die Stellung des treuen und wahren Zeugen in aller Sanftmut auf der Erde.

Der Unterschied zwischen den beiden Teilen dieser Geschichte ist bemerkenswert. Der erste zeigt uns den Herrn in Seinem Charakter als Messias und Jehova. Als Herr befiehlt Er die Eselin zu holen (V. 2. 3); als König zieht Er der Verheißung gemäß in die Stadt ein (V. 4‑11). Er reinigt den Tempel mit Machtvollkom­menheit (V. 12 u. 13). Den Einwürfen der Priester stellt Er den 8. Psalm entgegen, der, von der Art und Weise redet, wie Jehova einst den Grund zu Seiner Verherrlichung legte und Sich das Ihm gebührende Lob aus dem Munde der Kinder und Säuglinge zubereitete (V. 15 u. 16). Im Tempel heilt Er auch Israel (V. 14). In dem zweiten Teile (V. 17 u. f.) sehen wir, wie der Herr die Juden verläßt und nicht mehr in der Stadt, die Er nicht länger anerkennen konnte, sondern mit dem Überrest außerhalb derselben übernachtet. Am folgenden Tage zeigt Er in einem bemerkenswerten Bilde den Fluch, der, die Nation treffen sollte. Israel war der Feigen­baum Jehovas, aber dieser Feigenbaum hinderte das Land, er war mit Blättern bedeckt, hatte aber keine Frucht. Vom Herrn verflucht, verdorrt er alsbald ‑ ein Bild der unglücklichen Nation, des Menschen im Fleische, der, obwohl er mit allen Vorrechten ausgestattet ist, für den Hausherrn keine Frucht bringt.

Israel besaß in der Tat alle äußeren Formen der Religion. Es eiferte für das Gesetz und die Satzungen, aber es brachte keine Frucht für Gott; und insofern es unter die Verantwortlichkeit des Fruchttragens, d. h. unter den alten Bund gestellt ist, wird es niemals solche bringen. Die Verwerfung Jesu von seiner Seite hat alle Hoffnung abgeschnitten. Gott wird unter dem Neuen Bunde in Gnade handeln; allein davon ist hier nicht die Rede. Der Feigenbaum stellt Israel in seinem wirklichen Zu­stande dar, den Menschen, der von Gott in jeder Be­ziehung, aber ohne Erfolg, gepflegt worden war. Alles war vorbei. Obgleich das, was hier der Herr über das Versetzen des Berges zu Seinen Jüngern sagt, ein wich­tiger, allgemeiner Grundsatz ist, zweifle ich doch nicht daran, daß wir auch an das zu denken haben, was Israel mittelst ihres Dienstes widerfahren sollte. Als eine Kör­perschaft auf Erden, als eine Nation betrachtet, sollte Israel verschwinden und sich inmitten der Heiden ver­lieren. Die Jünger waren solche, die Gott ihrem Glauben gemäß annahm. Wir haben gesehen, wie der Herr als ein König, als Jehova, der König Israels, in Jerusalem einzieht und das Gericht über die Nationen ausspricht. Dann folgen die Einzelheiten dieses Gerichts über die verschiedenen Klassen des Volkes. Zuerst kommen die Hohenpriester und Ältesten, die Führer des Volkes hätten sein sollen; sie nahen dem Herrn und stellen Seine Machtvollkom­menheit in Frage (V. 23 u. f.). Indem sie sich so an Ihn wandten, nahmen sie die Stellung als Häupter der Nation ein und maßten sich an, Richter zu sein, fähig, über die Rechtmäßigkeit irgendwelcher Ansprüche, die erhoben werden konnten, zu entscheiden. Denn weshalb hätten sie sich sonst mit Jesu beschäftigt? Der Herr richtet in Seiner unendlichen Weisheit eine Frage an sie, die ihre vermeintliche Fähigkeit auf die Probe stellt, und sie müssen selbst ihre Unfähigkeiten bekennen. Wie also konnten sie Ihn beurteilen?* Ihnen gegenüber Seine Machtvollkommenheit zu begründen, wäre nutzlos ge­wesen; dazu war es jetzt zu spät. Hätte Er ihnen die wahre Quelle derselben genannt, so würden sie Ihn ge­steinigt haben; darum antwortet Er ihnen durch die Frage: "Die Taufe Johannes', woher war sie?" (V. 25). Konnten sie über die Sendung Johannes' des Täufers nicht entscheiden, warum kümmerten sie sich dann um die Seinige? Sie sind außerstande zu antworten. Johannes als von Gott gesandt anerkennen, hieß Jesum anerkennen; die Sendung leugnen, hieß ihren Einfluß bei dem Volke verlieren.

 

* Dieses Zurückgehen auf das Gewissen des Fragenden ist, wenn dessen Wille böse ist, oft die weiseste Antwort.

 

Von Gewissen war gar keine Rede bei ihnen. Sie bekennen ihre Unfähigkeit, und Jesus spricht ihnen darauf ‑hin die Befugnis als Leiter und Glaubenswächter des Volkes ab; sie hatten sieh selbst ihr Urteil gefällt. Hierauf stellt ihnen der Herr (von V. 28 bis Kap. 22,14) ihr Betragen und die sie betreffenden Wege Gottes klar vor Augen.

Zunächst, obwohl sie vorgaben, den Willen Gottes zu tun, taten sie ihn nicht, während die offenbar Bösen Reue getragen und Seinen Willen getan hatten. Obgleich sie das sahen, blieben sie dennoch verhärtet. Weder durch das Zeugnis des Johannes noch durch das Wahrnehmen der Buße bei anderen war ihr natürliches Gewissen be­rührt worden. Aber nicht nur das, Gott hatte auch nichts als Verkehrtheit und Empörung bei ihnen gefunden, trotz­dem Er alle Mittel angewandt hatte, um eine Seiner Pflege würdige Frucht aus ihnen zu gewinnen. Die Pro­pheten waren verworfen worden, und die Verwerfung des Sohnes Selbst stand bevor; das Erbe des Sohnes wollten sie sich zueignen (V. 38). Sie konnten nicht anders als anerkennen, daß ein solches Verbrechen notwendigerweise das Verderben der bösen Weingärtner zur Folge haben, und daß der Weinberg anderen übergeben werden müsse (V. 41). Nunmehr wendet Jesus das Gleichnis auf sie an, indem Er Psalm 118 anführt, welcher ankündigte, daß der durch die Bauleute verworfene Stein zum Eck­stein werden würde; ferner sagt Er ihnen, daß der, der auf diesen Stein falle (was mit der Nation damals ge­schah), zerschmettert, und daß der, auf den der Stein fallen würde (was in den letzten Tagen das Schicksal der rebellischen Nation sein wird), zermalmt werden würde. Die Hohenpriester und Pharisäer erkannten, daß Er von ihnen redete; aber sie wagten nicht Ihn zu greifen, denn das Volk hielt Ihn für einen Propheten. Das ist die Geschichte Israels, als unter Verantwortlichkeit ge­stellt, selbst bis zu den letzten Tagen hin. Jehova suchte Frucht in Seinem Weinberge.

Kapitel 22

 

In Kapitel 22 wird uns das Verhalten der Juden gegenüber den Ein­ladungen der Gnade vorgestellt. Das von dem Herrn be­nutzte Gleichnis ist daher ein Gleichnis von dem Reiche der Himmel. Der Ratschluss Gottes ist, Seinen Sohn da­durch zu ehren, daß Er Ihm Hochzeit macht. Zuerst werden die bereits eingeladenen Juden zum Hochzeits­fest gerufen; allein sie weigern sich zu kommen. Dies geschah während der Lebzeiten Christi auf Erden. Dann sendet Gott, nachdem alles bereitet ist, von neuem Boten aus, um die Geladenen zum Kommen zu bewegen (V. 3). Das ist die Sendung der Apostel an die Nation nach Voll­endung des Erlösungswerkes. Die Juden aber verachten die Botschaft oder töten die Boten*, und die Folge davon ist die Zerstörung jener Bösen und ihrer Stadt (V. 4‑7) ' mit anderen Worten die Zerstörung, die über Jerusalem kam.

Da die Juden die Einladung verworfen haben, so werden die Armen und Elenden, die Heiden, die, welche "draußen" waren, zu dem Feste geführt; und der Hoch­zeitssaal füllt sich mit Gästen. Ein anderer Umstand tritt hier jetzt in die Erscheinung. Wir haben zwar in unserem Gleichnis das Gericht über Jerusalem (V. 7) gefunden, aber weil es ein Gleichnis vom Reiche ist, ent­hält es auch das Gericht über das, was sich im Reiche befindet. Nur muß man jeweils für die Gelegenheit passend sein, und zu einem Hochzeitsfest gehört ein Hochzeitskleid. Wenn Christus verherrlicht werden soll, so muß alles Seiner Herrlichkeit entsprechen.

 

* Verachtung und Gewalttat sind die beiden Formen der Verwerfung des Zeugnisses Gottes und des treuen Zeugen. Sie hassen den einen und lieben den anderen, oder sie hangen dem einen an und verachten den anderen.

 

 

 

Man kann äußerlich in das Reich eingehen, sich zum Christentum bekennen; wer aber nicht mit dem Hochzeitskleide, d. h. mit dem angetan ist, was zu dem Feste gehört, wird hinausgeworfen werden. Wir müssen mit Christo Selbst bekleidet sein. Anderseits ist alles bereitet, nichts wird gefordert. Es lag nicht den Geladenen ob, etwas mit­zubringen; der König sorgte für alles. Aber wir müssen ein wahres Gefühl von dem haben, was vorgeht. Wer irgendwie daran denkt, was für ein Hochzeitsfest paßt, wird sicher das Bedürfnis fühlen, in einem Hochzeits­kleide zu erscheinen; wer dieses Bedürfnis nicht fühlt, vergißt die Ehre des Königssohnes. Sein Herz ist dem Geiste des Festes und der Herrlichkeit des Sohnes völlig fremd. Wenn daher der König hereinkommt, um die ver­sammelten Gäste zu besehen, so wird der Mensch ohne Hochzeitskleid als Fremder behandelt.

So ist auch dem Volke Israel Gnade angeboten wor­den, und es wird gerichtet, weil es die Einladung des großen Königs zu der Hochzeit Seines Sohnes zurück­gewiesen hat. Aber auch jene werden gerichtet werden, die diese Gnade anzunehmen scheinen, sie jedoch miß­brauchen. Hierauf wird die Einführung der Heiden an­gekündigt, und damit endet die Geschichte der Ver­urteilung Israels im allgemeinen sowie die Beschreibung des Charakters, den das Reich annehmen sollte.

Jetzt erscheinen nacheinander (V. 15 u. f.) die ver­schiedenen Klassen der Juden. Zunächst suchen die Phari­säer und die Herodianer (von denen die einen die Herr­schaft der Römer begünstigen, während die anderen ihr entgegen waren), Jesum in der Rede in eine Falle zu locken. Der hochgelobte Herr antwortet ihnen mit jener vollkommenen Weisheit, die sich stets in allem, was Er sagte, in allem, was Er tat, kundgab. Die Frage dieser Menschen geschah aus reiner Bosheit und offenbarte ihre völlige Gewissenlosigkeit. Ihre eigene Sünde hatte sie unter das römische Joch gebracht, in eine Stellung, die in der Tat derjenigen völlig entgegengesetzt war, welche das Volk Gottes auf Erden hätte einnehmen sollen. Somußte Christus dem Anschein nach entweder den obrig­keitlichen Gewalten verdächtigt werden, oder auf den An­spruch verzichten, der Messias und mithin der Befreier zu sein. Wer aber hatte diese Schwierigkeit herbei­geführt? Sie war die Frucht ihrer eigenen Sünden. Der Herr zeigt ihnen, daß sie sich selbst unter das Joch ge­beugt hatten; der Ihm dargereichte Denar lieferte den Beweis dafür. Sie sollten ihn denen geben, denen er zu­kam, und sollten (was sie nicht taten) Gott geben, was Gottes war. Indem der Herr sie so unter dem Joche ließ, unter welches sie sich gestellt hatten, wie sie dies selbst anzuerkennen gezwungen waren, erinnert Er sie an die Rechte Gottes, die sie vergessen hatten. Dies war übrigens eigentlich schon der Zustand Israels unter der Macht Nebukadnezars gewesen, als der Prophet es einen "üppigen Weinstock von niedrigem Wuchse" nannte (Hes. 17, 6).

Dann nahen die Sadducäer und legen Ihm Fragen über die Auferstehung vor, in der Absicht, die Ungereimtheit derselben zu beweisen. War nun vorher, in der Unter­redung mit den Pharisäern, der Zustand der Nation ans Licht getreten, so offenbart sich hier der Unglaube der Sadducäer. Sie dachten nur an die Dinge dieser Welt, indem sie das Vorhandensein einer anderen Welt zu leug­nen suchten. Doch wie traurig auch der Zustand der Entwürdigung und der Dienstbarkeit, in den das Volk ver­sunken war, sein mochte, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs veränderte sich nicht. Die den Vätern gemachten Verheißungen blieben gesichert, und die Väter lebten, um diese Verheißungen später zu genießen. Das Wort und die Macht Gottes waren die Dinge, um die es sich handelte; der Herr hält sie mit Macht und Klarheit auf­recht und bringt die Sadducäer zum Schweigen.

Die Gesetzgelehrten, betroffen über Seine Antwort, werfen jetzt eine Frage auf (V. 36), die dem Herrn Veranlassung gibt, aus dem ganzen Gesetz das, was nach den Gedanken Gottes das Wesen desselben ausmacht, vor ihre Augen zu stellen. Er zeigt so die Vollkommen­heit des Gesetzes und das, was (durch welch6s Mittel man auch dahin gelangen mag) das Glück derer ausmacht, die im Gesetze wandeln. Die Gnade allein führt auf einen höheren Boden.

Damit haben ihre Fragen ein Ende. Alles ist verurteilt, alles ist ans Licht gebracht hinsichtlich der Stellung des Volkes und der Sekten in Israel; und der Herr hat ihnen die vollkommenen Gedanken Gottes über sie dargelegt, sowohl hinsichtlich ihres Zustandes als auch der Ver­heißungen Gottes oder des Wesens des Gesetzes.

Nun war es an Jesu, eine Frage zu tun, um Seine eigene Stellung hervortreten zu lassen. Er fordert die Pharisäer auf, den Titel: "Sohn Davids" mit dem Titel: "Herr" zu vereinigen, welch letzteren David selbst Ihm einst gab, und zwar in Verbindung mit der Tatsache, daß dieser nämliche Christus hinaufgestiegen ist, um Sich zur Rechten Gottes zu setzen, bis Gott alle Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt und Seinen Thron in Zion aufgerichtet haben wird. Dies kennzeichnete die ganze Stellung Christi in jenem Augenblick. Sie waren unfähig, Ihm zu antworten, und niemand wagte mehr eine Frage an Ihn zu richten. In der Tat, hätten die Juden den 110. Psalm verstanden, so würden sie auch alle Wege Gottes hinsichtlich Seines Sohnes zur Zeit, da sie im Begriff standen, Ihn zu verwerfen, verstanden haben. Hiermit endeten notwendigerweise diese Unterredungen des Herrn mit den Juden, da die wahre Stellung Christi durch sie ans Licht gebracht war; obwohl Er der Sohn Davids war, mußte Er auffahren, um das Reich zu empfangen, und, solange Er auf das Reich wartete, den Rechten Seiner herrlichen Person gemäß zur. Rechten Gottes sitzen ‑ als Davids Herr sowohl als auch als Davids Sohn.

An dieser Stelle ist noch ein anderer interessanter Punkt zu beachten. Der Herr stellt in diesen Unterredungen und in Seinen, an die verschiedenen Klassen des Volkes gerichteten Reden den Zustand der Juden hinsichtlich ihrer Beziehungen zu Gott nach allen Seiten hin klar und zeigt dann die Stellung, die Er Selbst einnahm. Zu­nächst weist Er auf ihre nationale Stellung hin, die sie nach ihrem natürlichen Gewissen und nach den ihnen gehörenden Vorrechten, als unter Verantwortlichkeit ste­hend, Gott gegenüber einnahmen. Das Endergebnis wird ihre Beiseitesetzung sowie dic Einführung anderer in den Weinberg des Herrn sein (Kap. 21, 28‑46). Dann stellt  der Herr den Zustand der Juden mit Bezug auf die Gnade des Reiches dar, sowie die Einführung von Sündern aus den Heiden (Kap. 22, 1‑10). Auch hier ist das Er­gebnis die Beiseitesetzung und die Zerstörung der Stadt*.

 

 

     * Von Kap. 21, 28 bis zum Ende des Kapitels haben wir die Verantwortlichkeit der Nation, als im Besitz ihrer ursprüng­lichen Vorrechte betrachtet, nach welchen sie hätte Frucht bringen sollen. Da dies aber nicht geschehen ist, so werden andere an ihre Stelle gesetzt. Das ist jedoch nicht die Ursache des an Jerusalem vollzogenen Gerichts, welches damals die Zer­störung der Stadt bewirkte und am Ende der Tage in noch schrecklicherer Weise ausgeübt werden wird. Der Tod Jesu, des Letzten derer, die ausgesandt wurden, um Frucht zu suchen, führt das Gericht über Seine Mörder herbei (Matth. 21, 33‑41). Die Zerstörung Jerusalems ist die Folge der Verwerfung des Zeugnisses vom Reicht, das als ein Ruf der Gnade an sie ergangen war. In dem ersten Falle handelt es sioh um das Gericht über die Weingärtner: die Schriftgelehrten, Hohenpriester und Leiter des Volkes, wogegen das wegen der Verwerfung des Zeugnisses vom R ei eh ausgeübte Gericht viel weiter geht (siehe Kap. 22, 7). Die einen verachten die Botschaft, die anderen mißhandeln die Boten; und nachdem die Gnade also verworfen ist, wird die Stadt verbrannt und ihre Bewohner werden ausgerottet. Ver­gleiche Kap. 23, 36 und die geschichtliche Prophezeiung in Luk. 21 Dieser Unterschied wird in allen drei Evangelien festgehalten.

 

Endlich bieten die Herodianer, diese Freunde der Römer, und die Pharisäer, die Feinde Roms und vorgeblichen Freunde Gottes, Gelegenheit, die wahre Stellung der Juden, sowohl der heidnischen kaiserlichen Macht als auch Gott gegenüber, zu beleuchten.

In der Unterredung mit den Sadducäern zeigt der Herr die Gewißheit der den Vätern gegebenen Verhei­ßungen und die Verbindung, in welcher Gott mit ihnen stand hinsichtlich des Lebens und der Auferstehung. Da­nach stellt Er den Schriftgelehrten den wahren Sinn des Gesetzes vor sowie die Stellung, die Er, der Sohn Davids, dem 110. Psalm gemäß, einnahm, und die in Verbindung stand mit Seiner Verwerfung durch die Ihn umringenden Führer der Nation.

 

Kapitel 23

 

Dieses Kapitel zeigt klar, inwieweit die Jünger als Juden in Verbindung mit der Nation betrachtet werden, obwohl der Herr die Führer verurteilte, die das Volk irreleiteten und Gott durch ihre Heuchelei verunehrten. Zu der Volksmenge und zu Seinen Jüngern redend, sagt Jesus: "Die Schriftgelehrten und die Pharisäer haben sich auf Moses' Stuhl gesetzt"; und obwohl ihr Verhalten nur Heuchelei war, hatten sie ihnen, als den Auslegern des Gesetzes, doch in allem zu folgen, was sie in Über­einstimmung mit demselben redeten.

Wichtig ist hier die Stellung der Jünger; sie ist tat­sächlich diejenige des Herrn Selbst. Sie stehen in Ver­bindung mit allem, was von Gott ist in der Nation, d. h. mit der Nation als dem anerkannten Volke Gottes, und infolgedessen mit dem Gesetz, als dem, was von seiten Gottes Autorität besitzt. Zu gleicher Zeit spricht der Herr Sein Urteil aus; und auch die Jünger sollten den Wandel der Nation, insoweit dieselbe durch ihre Führer öffentlich dargestellt wurde, im Praktischen be­urteilen. Während sie noch einen Teil dieser Nation bil­deten, sollten sie sorgfältig den Wandel der Pharisäer und Schriftgelehrten vermeiden. Nachdem der Herr die­sen Hirten des Volkes ihre Heuchelei vorgeworfen hat, beschreibt Er die Art und Weise, in welcher sie selbst die Taten ihrer Väter verdammten, indem sie die Gräber dür durch dieselben ermordeten Propheten bauten. Sie waren also Kinder derer, welche die Propheten getötet hatten, und Gott wollte auch sie durch die Sendung von Pro­pheten, Weisen und Schriftgelehrten auf die Probe stellen (V. 34); und indem sie diese Gesandten verfolgten und töteten und so sich selbst ihr Urteil sprächen, würden sie das Maß ihrer Gesetzlosigkeit vollmachen, auf daß alles gerechte Blut, welches vergossen worden war, von dem Blute Abels an bis auf das des Propheten Zacharias, über dieses Geschlecht käme (V. 35 u. 36). In der Tat, ein entsetzliches Gewicht von Schuld, aufgehäuft durch den sündigen Menschen seit dem Beginn der Feind­schaf t, die er, wenn unter Verantwortlichkeit gestellt, stets wider das Zeugnis Gottes bewiesen hatte und die täglith größer wurde, weil das Gewissen jedesmal, wenn es sich diesem Zeugnis widersetzte, härter wurde. Die Wahrheit war um so völliger geoffenbart worden, weil ihre Zeugen für sie gelitten hatten. Diese Zeugen der Wahrheit zu verwerfen und zu verfolgen, war eine Klippe die yor aller Augen bloßlag, und die das Volk auf. seinem Wege hätte vermeiden sQllen; allein es beharrte im Bösestun, und jeder Schritt vorwärts, jede ähnliche Tat war der Beweis seiner stetig zunehmenden Verhärtung. Während Gott in Gnaden durch das Zeugnis tätig gewesen war, hatte Seine Geduld ihr Tun nicht unbeachtet gelassen; und unter dieser Geduld war alles zu seinem Höhepunkt gekommen. Alles sollte auf das Haupt dieses ruchlosen Geschlechts kommen.

    Man beachte hie " r die Bezeichnung, die den Aposteln und christlichen Propheten beigelegt wird. Sie sind die "Schriftgelehrten, Weisen und Propheten", die Gott zu den Juden, dieser stets aufrührerischen Nation, gesandt hat. Das läßt uns sehr deutlich den Gesichtspunkt er­kennen, unter welchem sie in diesem Kapitel betrachtet werden. Selbst die Apostel sind "Weise und Schrift­gelehrte", die zu den Judeh als solchen gesandt wurden.

Doch die Nation ‑ Jerusalem, die geliebte Stadt Gottes ‑ ist schuldig und wird verurteilt. Wie wir ge­sehen haben, stellt Sich Christus seit der Heilung des Blinden bei Jericho als Jehova, den König, Israels, dar. Wie oft hatte Er die Kinder Jerusalems versammeln wollen, aber sie hatten nicht gewolltl (V. 37‑39). Des­halb sollte ihr Haus jetzt wüst bleiben, bis sie, von Her­zen bekehrt, sich der Ausdrücke des 118. Psalms be­dienen und mit Verlangen die Ankunft Dessen begrüßen würden, der da kommt im Namen des Herrn, indem sie auf Befreiung durch Seine Hand warten und sie von Ihm erflehen, mit einem Wort, bis sie rufen würden: "Gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn!" Sie sollten Jesum nicht mehr sehen, bis sie, von Herzen ge­demütigt, Ihn den Gesegneten nennen würden, den sie erwarteten, und den sie jetzt verwarfen ‑ kurz, bis ihre Herzen zubereitet sein würden. Friede würde Seiner Er­scheinung folgen, das Verlangen danach ihr vorangehen.

Die drei letzten Verse zeigen uns also deutlich *genug die Stellung der Juden oder Jerusalems, als des Mittel­punktes des jüdischen Systems vor Gott. Seit langer Zeit hatte Jesus, Jehova, der Heiland, die Kinder Jeru­salems oftmals versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel versammelt; aber sie hatten nicht gewollt. Ihr Haus sollte wüst und verlassen bleiben; jedoch nicht für immer. Nachdem sie die Propheten ge­tötet und die zu ihnen gesandten Boten gesteinigt hatten, kreuzigten sie auch ihren Messias und verwarfen und töteten dann die, die Er zu ihnen sandte, um ihnen sogar noch nach Seiner Verwerfung Gnade anzubieten. Sie sollten Ihn daher nicht mehr sehen, bis sie Buße getan hätten, und bis der Wunsch, Ihn zu sehen, in ihren Herzen geweckt wäre, so daß sie bereit sein würden, Ihn zu preisen, ja, daß sie in ihren Herzen Ihn preisen und ihre Bereitwilligkeit dazu bekennen würden. Der Messias, der im Begriff stand, sie zu verlassen, sollte nicht mehr von ihnen gesehen werden, bis die Buße ihre Herzen Dem zugewandt haben würde, den sie jetzt verwarfen. Dann würden sie Ihn sehen. Der im Namen Jehovas kom­mende Messias wird Seinem Volke Israel geoffenbart werden. Jehova, ihr Heiland, wird erscheinen, und das­selbe Israel, das Ihn verworfen hat, wird Ihn als Sol­chen sehen; und so wird das Volk wieder eintreten in den Genuß seiner Beziehungen zu Gott.

Das ist das sittliche und prophetische Bild von Israel. Die Jünger (als Juden) werden als ein Teil der Nation betrachtet, wenngleich als ein Überrest, der in geistlicher Beziehung von ihr getrennt ist und Zeugnis ablegt in ihrer Mitte.

 

Kapitel 24u.25

 

Wir haben schon gesehen, daß die Verwerfung des Zeugnisses von dem in Gnade errichteten Reiche die Ur­sache des Gerichts ist, das über Jerusalem und seine Be­wohner kommt. Nun belehrt uns das 24. Kapitel zunächst über die Lage dieses Zeugnisses inmitten des Volkes, über den Zustand der Heiden und die Beziehung, in welcher sie zu dem durch die Jünger abgelegten Zeugnisse standen; ferner über den Zustand Jerusalems infolge seiner Ver­werfung des Messias und seiner Verachtung des Zeug­nisses, sowie endlich über den allgemeinen Umsturz am Ende dieser Tage: ein Zustand der Dinge, der beendigt werden wird durch die Erscheinung des Sohnes des Men­schen und durch das Versammeln der Auserwählten Is­raels von den vier Winden her. Diese bemerkenswerte Stelle verdient unsere ganze Aufmerksamkeit; sie ist eine Prophezeiung und zugleich eine an die Jünger gerichtete

 

Unterweisung, um sie auf dem Pfade zu leiten, den sie in­mitten der kommenden Ereignisse verfolgen sollten.

Jesus verläßt den Tempel, und zwar für immer ‑eine feierliche Handlung, die, wie man wohl sagen darf, das soeben von Ihm ausgesprochene Urteil vollzog. Das Haus war jetzt wüst gelassen. Die Herzen der Jünger aber blieben wegen ihrer alten Vorurteile noch an diesen Tempel gefesselt. Sie lenken die Aufmerksamkeit des Herrn auf die prachtvollen Gebäude desselben, und Jesus kündigt ihnen die gänzliche Zerstörung derselben an. Allein mit Ihm auf dem Ulberg sitzend, fragen sie Ihn, wann sich diese Dinge ereignen würden, und welches das Zeichen Seiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters sei (V. 3). Sie fassen die Zerstörung des Tempels, die Ankunft Christi und die Vollendung des Zeitalters als ein Ganzes zusammen. Die Vollendung des Zeitalters ist hier, wie beachtet werden muß, das Ende des Zeit­abschnitts, während dessen Israel unter dem alten Bunde dem Gesetz unterworfen war und der enden sollte, um dem Messias und dem Neuen Bunde Platz zu machen. Man beachte auch, daß es sich um die Regierung Gottes über die Erde und um die Gerichte handelt, welche bei der Ankunft Christi, die das jetzige Zeitalter beenden wird, vollzogen werden sollen. Die Jünger vermengten das, was der Herr über die Zerstörung des Tempels ge­sagt hatte, mit der Ankunft Jesu im Gericht*.

 

* In der Tat ist diese Stellung Israels sowie das damit ver­bundene Zeugnis durch die Zerstörung Jerusalems unterbrochen worden. Deswegen tritt diese Zerstörung in Verbindung mit der obigen Prophezeiung vor unseren Geist, ist aber keineswegs die Erfüllung derselben. Der Herr ist noch nicht gekommen und ebensowenig die große Trübsal; aber der Zustand der Dinge, auf "welchen der Herr bis zum Ende des 14. Verses anspielt, erlitt eine gewaltsame und gerichtliche Unterbrechung durch die Zer­störung Jerusalems, so daß von diesem Gesichtspunkt aus die beiden Begebenheiten miteinander in Verbindung stehen.

 

Der Herr behandelt den Gegenstand von Seinem eigenen Gesichtspunkt aus, d. h. sowohl im Blick auf das Zeugnis, das die Jünger während Seiner Abwesenheit bezüglich der Juden abzulegen hatten, als auch im Blick auf die Vollendung des Zeitalters. Er fügt über die Zerstörung Jerusalems, die Er bereits angekündigt hatte, nichts hinzu. Die Zeit Seines Kommens wurde absichtlich verborgen gehalten. Überdies beendete die Zerstörung Jerusalems durch Titus tatsächlich die Stellung, auf welche die Unterweisungen des Herrn sich bezogen. Unter den Juden gab es nachher kein erkennbares Zeugnis mehr. Wird später jene Stellung wieder eingenommen, so wird die Anwendbarkeit dieser Stelle auch wieder beginnen. Von der Zerstörung Jerusalems bis zu jenem Zeitpunkt aber handelt es sich nur um die Kirche. Die Unterweisung des Herrn besteht aus drei Teilen. Wir finden:

1. den allgemeinen Zustand der Jünger und der Welt während der Zeit des Zeugnisses (bis zum Ende des 14. Verses);

2 * den Zeitabschnitt, der durch die Tatsache, daß der Greuel der Verwüstung an heiligem Orte steht, gekenn­zeichnet wird (V. 15);

3. die Ankunft des Herrn und das Versammeln der Auserwählten in Israel (V. 29).

Die Zeit des Zeugnisses der Jünger wird gekennzeichnet durch falsche Christi und falsche Propheten unter 'den Juden sowie durch die Verfolgung d«er, die Zeugnis ablegen, indem man sie den Nationen überliefert. Doch im Blick auf jene Tage werden noch bestimmtere Einzel­heiten gegeben. Falsche Christi würden in Israel auf­treten, Kriege, Hungersnöte, Seuchen und Erdbeben da sein; aber die Jünger sollten sich dadurch nicht beun­ruhigen lassen, denn diese Dinge wären nicht das Ende, sondern nur der Anfang der Wehen (V. 5‑8). Außer diesen mehr äußeren Dingen kündigt der Herr noch an­dere Begebenheiten an, welche die Jünger in größere Versuchung bringen und sie noch völliger auf die Probe stellen würden~ Dinge, die mehr von innen heraus kom­men. Man würde sie in Drangsal überliefern und töten; und von allen Nationen würden sie gehaßt werden. In­ folgedessen würden viele unter denen, die sich als Jünger bekännten, geärgert werden. Einer würde den anderen überliefern. Falsche Propheten würden aufstehen und viele verführen, und wegen des Überhandnehmens der Gesetzlosigkeit würde die Liebe vieler erkalten (V. 9‑12).

Wahrlich, eine traurige Zeit, die jedoch zur Ausübung eines bewährten Glaubens Gelegenheit bieten würdel Wer bis ans Ende ausharrte, würde errettet werden (V. 13). Dies bezieht sich in besonderer Weise auf den Bereich des Zeugnisses. Das, was der Herr sagt, ist zwar nicht durch­ aus auf das Zeugnis in Kanaan beschränkt, aber da Ka­naan der Ausgangspunkt des Zeugnisses ist, steht alles mit diesem Lande als dem Mittelpunkt der Wege Gottes in Verbindung. Hernach sollte (V. 14) das Evangelium des Reiches auf dem ganzen Erdboden allen Nationen zu einem Zeug­nis gepredigt werden, und dann würde das Ende, die Vollendung dieses Zeitalters, kommen. Obwohl nun nach Aufrichtung des Reiches der Himmel die Quelle der Autorität ist, bilden Kanaan und Jerusalem nichtsdesto­weniger den irdischen Mittelpunkt, so daß der Begriff des Reiches, wiewohl die ganze Erde umfassend, unsere Ge­danken zum Lande Israel hinlenkt. Der Herr sagt hier: "Dieses Evangelium des Reiches"*; es ist also nicht die Ankündigung der Vereinigung der Versammlung mit

 

* Das Evangelium des Reiches war im 10. Kapitel auf Israel beschränkt worden, und so wird es hier, obwohl dies nicht Ge­genstand der Belehrung ist, bis zum 14. Verse betrachtet; aber es wird keine bestimmte Unterscheidung gemacht. Die Sendung in Kap. 28, 19 ist an die Heiden gerichtet; aber da finden wir auch nichts von dem Reiche, sondern eher das Gegenteil, obwohl ~hristus noch nicht gen Himmel gefahren, Ihm aber alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben war.

 

Christo noch das Erlösungswerk in seiner Fülle, wie es nach der Himmelfahrt durch die Apostel gepredigt und gelehrt wurde, sondern es ist das Reich, dessen Auf­richtung auf Erden Johannes der Täufer und der Herr Selbst angekündigt hatten. Diese Predigt von der Autori­tät des gen Himmel gefahrenen Christus über alle Dinge wird in der ganzen Welt erschallen, um ihren Gehorsam auf die Probe zu stellen und denen, die Ohren haben zu hören, den Gegenstand des Glaubens darzubieten.

Das ist also die allgemeine Geschichte dessen, was sich bis zur Vollendung des Zeitalters zutragen wird, ohne auf den Gegenstand der Predigt, durch welche die Kirche oder Versammlung gegründet wurde, näher einzugehen. Die bevorstehende Zerstörung Jerusalems und die Weige­rung der Juden, das Evangelium anzunehmen, veranlaßten Gott, durch den Dienst des Paulus ein besonderes Zeug­nis aufzurichten, ohne dadurch die Wahrheit von dem kommenden Reiche aufzuheben. Das Folgende beweist, daß eine solche Fortsetzung des Zeugnisses vom Reiche am Ende stattfinden und das Zeugnis dann zu allen Nationen gelangen wird, bevor das Gericht kommt, wel­ches das Zeitalter beschließen wird.

Indes steht ein Augenblick bevor, wo in einem be­stimmten Umkreis (nämlich in Jerusalem und seiner nächsten Umgebung) eine besondere Leidenszeit in Ver­bindung mit dem Zeugnis in Israel anbrechen wird. Indem der Herr von dem verwüstenden Greuü‑1 spricht, verweist Er uns auf den Propheten Daniel, damit wir verstehen sollen, wovon Er redet. Daniel nun versetzt uns (in Kap. 12, wo von diesen Trübsalen gesprochen wird) ganz in die letzten Tage, in die Zeit, wo Michael für das Volk Daniels, d. h. für die Juden, die sich unter der Herrschaft der Heiden befinden, aufstehen wird ‑ in die Tage, in denen eine Drangsal sein wird, wie sie nie gewesen ist und auch nie mehr sein wird, und in denen die Befreiung des Überrestes stattfinden soll. In Dan. 11 40 wird diese Zeit "die Zeit des Endes" genannt; und die Vernichtung des Königs des Nordens wird prophetisch mitgeteilt. Der Prophet kündigt an (Dan. 12, 11. 12), daß 1335 Tage vor der vollen Seg­nung (glückselig der, der daran teilhaben wird!) das be­ständige Opfer abgeschafft und der verwüstende Greuel aufgerichtet werden würde; daß ferner von diesem Augen ‑blick an 1290 Tage verfließen würden, d. h. ein Monat mehr als jene 1260 Tage, von denen in der Offen­barung die Rede ist, und während derer das Weib, das vor dem Drachen flieht, in der Wüste ernährt wird; und so auch ein Monat mehr als die "eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit", wovon in Dan. 7, 25 die Rede ist. Am Ende kommt, wie‑ man hier sieht, das Gericht, und das Reich wird den Heiligen gegeben (Dan. 7, 26. 27).

Es ist also deutlich bewiesen, daß die Stelle in Matth. 24, 15 sich auf die letzten Tage und auf die Stel­lung der Juden in jener Zeit bezieht. Die seitherigen Zeitereignisse bestätigen diesen Gedanken; denn weder 1260 Tage noch 1260 Jahre nach der Zeit des Titus, noch auch 30 Tage oder Jahre später hat irgendeine Begebenheit stattgefunden, die als Erfüllung der 1260 und 1290 Tage Daniels betrachtet werden könnte. Es sind schon viele Jahre mehr verflossen, und weder ist Israel befreit worden, noch hat Daniel (vgl. Dan. 12, 13) am Ende jener Tage sein Teil gefunden. Ebenso klar ist es, daß es sich in dieser Stelle um Jerusalem und dessen nächste Umgebung handelt; denn die, welche in Judäa sind, werden aufgefordert, auf das Gebirge zu flie­hen (Kap. 24, 16). Auch werden die Jünger, die zu jener Zeit in Judäa sein werden, angeleitet zu beten, daß ihre Flucht nicht an einem Sabbat geschehen möge (V. 20) ‑ ein neues Zeugnis dafür, daß es sich in dieser Prophe­zeiung um Juden handelt; zugleich aber auch ein Zeug­nis von der Sorge, die der Herr um die Sei‑nen trägt, in­dem Er inmitten von Begebenheiten, die ihresgleichenauf Erden nicht haben, daran denkt, ob wohl zur Zeit ihrer Flucht Winterwetter sein würde.

                Auch andere Umstände beweisen, wenn überhaupt noch Beweise nötig sind, daß hier von dem jüdischen Überrest und nicht von der Versammlung die Rede ist. Wir wissen, daß alle Gläubigen dem Herrn in die Luft entgegegerückt werden sollen, und daß sie nachher mit Ihm wiederkommen werden (l. Thess. 4, 17 u. 14). Aber hier ist von falschen Christi die Rede, die auf der Erde auf­treten  werden, und man wird sagen: "Siehe, er ist in der Wüste; siehe, in den Gemächern!" (V. 24. 26). Die Heiligen aber, die zum Herrn aufgenommen und mit Ihm zurückkehren werden, haben nichts mit falschen Christi auf der Erde zu tun, da sie, bevor Christus auf die Erde kommt, in den Himmel eingehen, um dort bei Ihm zu

sein; wohingegen es leicht verständlich ist, daß die Juden, die eine irdische Befreiung erwarten, diesen Ver­suchungen. ausgesetzt sein werden und ihnen erliegen würden, wenn Gott Selbst sie nicht bewahrte.

Dieser Teil der Weissagung bezieht sich also auf die letzten Tage, auf die letzten 31/, Jahre vor dem Gericht, das bei der Erscheinung des Sohnes des Menschen plötz­lich hereinbrechen wird. Der Herr wird plötzlich, wie ein Blitzstrahl, wie ein Adler, der auf seine Beute stürzt, dahin kommen, wo sich der Gegenstand Seines Gerichts befindet (V. 27. 28). Unmittelbar nach der Drangsal dieser letzten 31/2 Jahre wird das ganze kirchliche Re­gierungssystem erschüttert und von Grund aus zerstört werden (V. 29). Dann wird das Zeichen des Sohnes des Menschen im Himmel erscheinen, und man wird den Sohn des Menschen kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit (V. 30) * Dieser Vers enthält die Antwort auf den zweiten Teil der Frage der Jünger in Vers 3: "Und was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?" Der Herr gibt Seinen Jüngern die zu ihrer Leitung notwendigen Warnungen. Die Welt aber wird keine Zeichen sehen, so klar dieselben auch für diejenigen sein mögen, die sie verstehen; erst im Augenblick der Erscheinung des Herrn wird da3 Zeichen sichtbar werden. Der Glanz der Herrlichkeit Dessen, den die Welt verachtet hat, wird ihr zeigen, wer der Kommende ist; und Er wird ganz unerwartet für sie kommen. Welch ein entsetzlicher Augenblick, wenn statt eines Messias, der ihrem welt­lichen Stolz entsprechen würde, der Christus, den sie ver­achtet haben, in den Himmeln erscheint!

Sodann wird der also gekommene und geoffenbarte Sohn des Menschen Boten aussenden, um alle Auser­wählten Israels von den vier Enden der Erde her zu versammeln (V. 31). Damit schließt die Geschichte der Juden und selbst Israels, die der Herr als Antwort auf die Frage der Jünger mitgeteilt hat. Zugleich werden die Wege Gottes hinsichtlich des Zeugnisses inmitten des Volkes, das dieses Zeugnis verworfen hat, entwickelt, und die Zeit seiner großen Drangsal und das Gericht wird angekündigt, das mitten in diesen Vorgängen, wenn, Jesus kommt, hereinbrechen wird. Der Umsturz der großen und kleinen Mächte wird dann vollständig sein.

Der Herr schildert also die Geschichte des Zeugnisses in Israel und diejenige des Volkes selbst, von dem Augen­blick Seines Wegganges an bis zu Seiner Wiederkunft; jedoch übergeht Er die ganze Zeit, während welcher we­der Volk, noch Tempel, noch Jerusalem da sein sollten ‑. und das ist es, was die Zerstörung Jerusalems so bedeutungsvoll macht. Von diesem Ereignis ist hier unmittelbar keine Rede; der Herr beschreibt es nicht. Aber es hat die Ordnung der Dinge beendet, auf die Seine Unter­weisungen sich beziehen; und diese Unterweisungen wer­den erst dann wieder ihre Anwendung finden, wenn Je­rusalem und die Juden von neuem auf dem Schauplatz erscheinen. Der Herr kündigt von vornherein die Zer­störung Jerusalems an. Die Jünger meinten, daß Seine Ankunft zu derselben Zeit stattfinden würde; und Jesus beantwortet ihre Fragen in einer Weise, daß Seine Un­terweisungen ihnen bis zu der Zerstörung Jerusalems von Nutzen sein konnten. Sobald aber von "dem Greuel der Verwüstung" die Rede ist, finden wir uns in die letzten Tage versetzt.

Die Jünger sollten die ihnen vom Herrn gegebenen Zeichen verstehen. Die Zerstörung Jerusalems unterbrach, wie schon bemerkt, durch die Tatsache selbst die An­wendung der Mitteilungen Jesu. Das jüdische Volk wurde beiseite gesetzt; allein Vers 34 hat einen viel weiteren und mehr auf Israel passenden Sinn. Ungläubige Juden werden, bis alles erfüllt ist, als solche vorhanden sein. Man vergleiche 5. Mose 32, 5. 20, wo insbesondere dieses Gericht über Israel in Frage steht. Gott verbirgt Sein Antlitz vor ihnen, bis Er sieht, was ihr Ende sein wird; denn sie sind ein verkehrtes und verdrehtes Geschlecht, Kinder, in denen keine Treue ist. Diese Worte sind ein­getroffen. Bis auf den heutigen Tag sind die Juden eine bestimmt unterschiedene Menschenrasse. Dieses Ge­schlecht besteht heute noch in demselben Zustand ‑ ein Denkmal von der Unfehlbarkeit der Wege Gottes und der Worte Jesu.

Schließlich wird die Regierung, die Gott bezüglich die­ses Volkes ausübt, bis ans Ende geschildert. Der Herr kommt und nird die zerstreuten Auserwählten Israels versammeln (V. 31).

Der Faden der prophetischen Geschichte wird in Kap. 25, 31 wieder aufgenommen, als Fortsetzung von Kap. 24, 30. Und wie in Kap. 24, 31 das Sammeln Israels, nach der Erscheinung des Sohnes des Menschen, be­richtet wird, so finden wir in Kap. 25, 31 Sein gericht­liches Verfahren mit den Heiden. Er wird im Blick auf den ".Abfe41", der gleich einem Aase vor Ihm ist, ohne Zweifel wie ein Blitz erscheinen; wenn Er aber in feier­licher Weise kommt, um Seinen irdischen Platz in Herrlichkeit einzunehmen, wird das nicht wie ein Blitz vor­übergehen. Er wird auf dem Throne Seiner Herrlichkeit sitzen; und alle Nationen werden vor Ihm, der den Thron des Gerichts eingenommen hat, versammelt stehen, um gerichtet zu werden, je nachdem sie die Boten be­handelt haben, die ihnen das Reich predigten. Diese Bo­ten sind "die Brüder" (Kap. 25,40); die, welche die Boten aufgenommen haben, sind "die Schafe"; und die, die ihre Botschaft verworfen haben, sind "die Böcke". In diesem ganzen Vorgang erblicken wir also das Gericht der Nationen auf der Erde, das sich gründet auf ihr Verhalten den Boten des Reichs gegenüber. Es ist "das Gericht der Lebendigen", wenigstens soweit es die Na­tionen betrifft ‑ ein Gericht, ebenso endgültig wie das "der Toten". Es handelt sich hier nicht um ein kriege­risches Gericht Christi, wie in Offb. 19, sondern vielmehr um eine Sitzung Seines höchsten Gerichtshofes in Seinem Regierungsrecht über die Erde, wie in Offb. 20, 4. Ich rede von dem Grundsatz, oder vielmehr von dem Cha­rakter des Gerichts. Die bereits erwähnten "Brüder" sind ohne Zweifel Juden, die sich hinsichtlich ihres Zeug­nisses in einer ähnlichen Stellung befinden werden wie die Jünger. Die Heiden, die ihre Botschaft angenommen haben, werden betrachtet, als hätten sie Christum Selbst in dieser Weise behandelt. Sein Vater hat ihnen die Freude des Reichs bereitet, und während sie noch auf Erden sind, werden sie in dasselbe eingeführt; denn Christus war in der Kraft des ewigen Lebens herabge­kommen *.

 

* Es ist ganz und gar unmöglich, das Gleichnis des Herrn hier auf das anzuwenden, was man gewöhnlich das allgemeine Gericht nennt ‑ ein Ausdruck, der nicht einmal schriftgemäß ist. Zu­nächst ist zu bemerken, daß hier nicht nur zwei, sondern drei Klassen unterschieden werden: Böcke, Schafe und Brüder. So­dann ist es nur das Gericht der Heiden. Ferner ist der Grund, weshalb oder aus welchem dieses Gericht stattfindet, durchaug nicht anwendbar auf die große Masse der Menschen, selbst nicht der Heiden. Dieser Grund liegt in der Art und Weise, wie die 9,Brüder" behandelt worden sind. Nun ist aber zu der größten Mehrzahl der Heiden viele Jahrhunderte lang kein einziger Bote gesandt worden. Gott hat die Zeit der Unwissenheit übersehen: und im Anfang des Römerbriefes wird uns ein anderer Gerichts­grund betreffs der Heiden angegeben. Von den bekennenden Christen und Juden ist schon im 24. Kapitel und in der ersten Hälfte des 25. Kapitels die Rede. Die Personen, um die es sich in diesem Gericht handelt, sind eben diejenigen welche der Herr auf der Erde findet, wenn Er kommt, und die kr nach ihrer Behandlung der an sie gesandten Boten richten wird.

 

 

Ich habe für den Augenblick alles übersprungen, was zwischen Kap.24,31 und Kap. 25;31 liegt, weil das Ende des letztgenannten Kapitels alte die Mitteilungen betreffs der Regierung und des Gerichts über die Erde vervoll­ständigt. Zwischen den eben genannten Versen finden wir die Geschichte einer anderen Klasse von Personen in ihren großen sittlichen Zügen. Diese Klasse besteht aus den Jüngern Christi (außerhalb des Zeugnisses in Israel), denen Er, während Seiner Abwesenheit, Seinen Dienst sowie eine Stellung in Verbindung m ' it Sich Selbst anvertraut hat., Beide, Stellung und Dienst, stehen mit Christo Selbst und nicht mit Israel in ' Verbindung, wo irgend dieser Dienst auch erfüllt werden mag.

Einige Verse jedoch beziehen sich ausschließlicher auf den Zustand der Dinge in Israel; sie bilden eine War­nung für die inmitten des Volkes befindlichen Jünger und beschreiben das eintreffende Gericht ' das in den letzten Tagen unter den Juden stattfinden wird. Ich er­wähne sie hier, weil dieser ganze Teil der Rede des Herrn (von Kap. 24, 31 bis Kap. ~25, 3'1) eine Ermah­nung ist, eine Ansprache des Herrn an die Jünger betreffs ihrer Pflichten während Seiner Abwesenheit. Ich meine die Verse 32‑44 im 24. Kapitel. Wir finden da die be­ständige Erwartung, die durch die Unkenntnis über den Augenblick der Erscheinung des Sohnes des Menschen. worin die Jünger absichtlich gelassen wurden, diesen ge­boten war. (Das Gericht ist das irdische Gericht).

 

 

Von Vers 45 ab richtet Sich der Herr unmittelbarer und zugleich in allgemeinerer Weise an sie hinsichtlich ihres Verhaltens während Seiner Abwesenheit, jedoch nicht in Verbindung mit Israel, sondern mit den Seinigen mit Seinem Hausgesinde. Er hatte ihnen die Aufgabe übertragen, diesem Gesinde zur rechten Zeit die ange­messene Speise zu geben. Hier handelt es sich um die Verantwortlichkeit des Dienstes in der Versammlung.

Es ist bemerkenswert, daß in dem ersten Gleichnis der Zustand der Versammlung im ganzen betrachtet wird. während das Gleichnis von den zehn Jungfrauen und das von den Talenten mehr die persönliche Verantwortlichkeit hervorhebt. Daher wird der böse Knecht hinausgeworfen und empfängt sein Teil mit den Heuchlern. Der Zustand der verantwortlichen Versammlung hängt davon ab, ob sie auf Christum wartet, oder ob sie in ihrem Herzen spricht: Mein Herr verzieht zu kommen. Bei Seiner Wiederkunft wird der Herr Sein Urteil über ihre Treue während Seiner Abwesenheit aussprechen. An jenem Tage wird die Treue anerkannt werden. Andererseits wird das praktische Vergessen Seiner Wiederkunft Zügellosigkeit und Willkür herbeiführen.

Es handelt sich hier nicht um eine Verstandessache. Der böse Knecht "sagt in seinem Herzen: Mein Herr verzieht zu kommen"; sein Wille ist dabei tätig. Das Ergebnis dieser Gedanken seines Herzens ist die Kund­gebung seiner fleischlichen Neigungen. Es ist nicht länger ein Dienst, der dem Hausgesinde mit Hingebung erwie­sen wird, indem das Herz auf den Beifall des Herrn bei Seiner Rückkehr gerichtet ist, sondern ein weltliches Verhalten und die Anmaßung einer willkürlichen Macht­vollkommenheit, wozu der anvertraute Dienst Gelegen­heit darbietet. Der Knecht ißt und trinkt mit den Trun­kenen; er verbindet sich mit der Welt, nimmt teil an ihren Wegen, und schlägt nach Willkür seine Mitknechte (V. 49). Das ist die Folge, wenn während der Abwesen­heit des Herrn Seine Rückkehr wohlüberlegt beiseite ge­schoben und behauptet wird, die Versammlung habe einen Platz und ein ' Recht auf dieser Erde; an die Stelle eines treuen Dienstes tritt dann Weltlichkeit und Tyrannei. Ist das nicht ein überaus treues Bild von dem, was ge­schehen ist?

Wohin ist es mit denen gekommen, die eine solche dienstliche Stellung im Hause Gottes innehatten? Und was werden die Felgen sein? Der treue Knecht, der sich aus Liebe und Hingebung für seinen Herrn dem Wohle Seines Haushaltes gewidmet hat, wird bei der Rückkehr seines Herrn über deren ganze Habe gesetzt werden. Die, welche die Bedienung des Hauses treu ausgeübt haben, werden, wenn der Herr dereinst den Platz der Macht einnimmt und als König handelt, von Ihm über alle Dinge gesetzt werden. "Alles" ist den Händen Jesu vom Vater übergeben worden, und wer in Demut, wäh­rend Seiner Abwesenheit, in Seinem Dienst treu war, wird über alles, was Ihm übergeben ist, d. h. über alle Dinge, gesetzt werden; denn alles Bestehende ist nichts anderes als die "Habe" Jesu. Anderseits wird der, der sich während der Abwesenheit Christi als Herr aufge­worfen hat und der Gesinnung des Fleisches und der Welt, mit der er sich verbunden hat, gefolgt ist, nicht nur wie die Welt behandelt werden, sondern sein Herr wird ganz unerwartet kommen und ihm sein Teil mit den Heuchlern setzen. Welch eine ernste Lehre für alle, die sich die Stellung eines Dieners in der Kirche an­maßent ‑ Man beachte hier, daß nicht gesagt wird, daß der Knecht selbst betrunken ist, sondern daß er mit den Trunkenen ißt und trinkt; er verbindet sich mit der Welt und folgt ihren Gewohnheiten.

Das ist übrigens die allgemeine äußere Erscheinung des Reiches an jenem Tage, wie verkehrt das Herz des bösen Knechtes auch sein mag. Der Bräutigam wollte in der Tat verziehen, und die Folgen des Verzugs, die man von dem Herzen des Menschen erwarten kann, wer­den nicht ermangeln, sich zu verwirklichen. Hierdurch aber wird der Unterschied zwischen denen, die wirklich die Gnade Christi besaßen, und denen, die sie nicht be­saßen, offenbar* (Kap. 25, 1‑13).

Die Bekenner während der Abwesenheit des Herrn werden hier als Jungfrauen dargestellt, die dem Bräu­tigam entgegengehen, um Ihm auf dem Wege zum Hause zu leuchten. In dieser Stelle ist Er nicht der Bräutigam der Kirche. Niemand geht diesem zu Seiner Hochzeit mit der Versammlung im Himmel entgegen. Auch mit der Braut beschäftigt sich das Gleichnis nicht; wäre von einer Braut die Rede, so würde es Jerusalem auf der Erde sein. Es handelt sich in diesen Kapiteln nicht um die Versammlung als solche.

Wir haben hier die persönliche** Verantwortlichkeit während der Abwesenheit Christi. Das, was die Gläu­bigen in diesem Zeitabschnitt kennzeichnet, ist ihr Aus­gehen aus der Welt, aus dem Judentum, ja, aus allem, auch aus der mit der Welt verbundenen Religion, um dem kommenden Herrn entgegenzugehen; der jüdische Überrest dagegen erwartet Jesum an dem Orte, wo er sich befindet. Ist diese Erwartung des Bräutigams eine wirkliche, so wird der Gedanke an das bei Seiner Ankunft Notwendige, (das Licht, das Öl) den kennzeichnen, der durch sie geleitet wird; wenn nicht, wird das Herz sich damit begnügen, mittlerweile in der Gesellschaft von Bekennern zu sein und, gleich ihnen, eine Lampe zu tragen. Doch die Jungfrauen nehmen alle eine Stellung ein; sie gehen aus, sie verlassen das Haus, um dein Bräutigam entgegenzugehen. Er verzieht, und alle schla­fen ein. Und das ist in der Tat geschehen. Die ganze bekennende Kirche, ja, selbst die Gläubigen, die den Geist besitzen, haben den Gedanken an die Wiederkunft des Herrn verloren; auch sind sie all.‑‑ irgendwo wieder ein­gegangen, um ruhig schlafen zu können ‑ in einen Ruheplatz für das Fleisch.

 

* Wie feierlich ist das hier gegebene Zeugnis betreffs der Folgen wenn die Versammlung die gegenwärtige Erwartung der Rückkehr des Herrn aus den Augen verliert! Was die bekennende Kirche dahin gebracht hat, in hier ' archisrhe Bedrückung und Weltlichkeit zu verfallen, so daß ste am Ende als Heuchlerin abgeschnitten werden wird, ist die Sprache in ihrem Herzen:

„Mein Herr verzieht zu kommen." Sie hat die gegenwärtige Erwartung des Herrn aufgegeben. Das ist die Quelle ihres Ver­falls geworden. Die wahre christliche Stellung war verloren, sobald die Kirche anfing, die Ankunft des Herrn beiseitezusetzen; aber obwohl sie in diesem Zustande ist, wird sie doch behandelt werden wie der verantwortliche Knecht.

 

** Der Knecht in Kap. 24 stellt die g e m e i n s a m e Ver­antwortlichkeit dar.

 

Um Mitternacht aber, ganz unerwartet, entsteht ein Geschrei: "Siehe, der Bräutigam! gehet aus, Ihm ent­gegenl" Ach! die Jungfrauen bedürfen desselben Zurufs wie im Anfang; sie müssen aufs neue ausgehen, um dem Bräutigam zu begegnen. Sie stehen auf und schmücken ihre Lampen. Zwischen dem mitternächtlichen Geschrei und der Ankunft des Bräutigams verfließt Zeit genug, um den Zustand der einzelnen auf die Probe zu stellen. Da sind einige, die kein Öl in ihren Gefäßen haben; und ihre Lampen* erlöschen. Die Klugen haben Öl, aber es ist ihnen unmöglich, den anderen davon mitzuteilen; sie gehen allein mit dem Bräutigam ein, um an der Hochzeit teilzunehmen (V. 7‑10). Der Bräutigam weigert sich, die Törichten anzuerkennen; was haben sie auch dort zu tun? Der Dienst Jer Jungfrauen bestand darin, mit ihren Lampen zu leuchten. Sie hatten das aber nicht getan. was für ein Anrecht hatten sie also auf das Fest? Das, was ihnen dort einen Platz verschafft hätte' hatten sie unterlassen. Die Jungfrauen, die dem Fest..‑ beiwohnen, hatten den Bräutigam begleitet; sie hatten das aber nicht getan, und so werden sie auch nicht zugelassen.

 

* Das Wort bedeutet eigentlich "Fackeln". Um die Flamme derselben zu nähren% hatten sie Öl in Gefäßen bei sich, oder hätten es wenigstens haben sollen.

 

Aber auch die Klugen hatten die Ankunft Christi vergessen und waren eingeschlafen; doch besaßen sie wenigstens das, was für diese Ankunft notwendig war. Die Gnade des Bräutigams ruft das Geschrei hervor, das Seine Ankunft ankündigt. Dieses Geschrei weckt sie auf, und sie habin Öl in ihren Gefäßen. Der Aufschub, der das Erlöschen der Lampen der Törichten verursacht, gibt den Klugen Zeit, sich vorzubereiten und auf ihrem Platze zu sein; und so vergeßlich sie auch gewesen sein mochten, so ge­hen sie doch mit dem Bräutigam zum Hochzeitsfest ein*.

Wir gehen jetzt von Seelenzuständen zum Dienst über.

Damit verhält es sich wie mit einem Menschen, der sich von seinem Hause entfernt ‑ denn der Herr wohnte in Israel ‑ der seinen Knechten seine Habe anvertraut und weggeht (Kap. 25, 14). Wir finden hier die Grund­sätze, welche treue Knechte kennzeichnen, oder aber das Gegenteil. Es handelt sich nicht um die persönliche Erwartung des einzelnen, oder um den Besitz des Öles, das notwendig ist, um in dem herrlichen Gefolge des Herrn einen Platz zu haben; auch nicht um die allge­meine und öffentliche Stellung derer, die sich im Dienst des Herrn befinden ‑ eine Stellung, die als solche und als ein Ganzes gekennzeichnet und deshalb durch einen einzigen Knecht dargestellt wird (Kap. 24, 45‑51). Es handelt sich vielmehr um die persönliche Treue im Dienst, wie vorher in der Erwartung des Bräutigams. Der Herr

 

* Beachten wir hier auch, daß das Erwachen die Folge des Geschreies ist; letzteres weckt alle auf. E3 ist stark genug, um alle Bekenner zu der erforderlichen Tätigkeit anzuspornen; aber die Wirkung. ist, daß sie auf die Probe gestellt und voneinander geschieden werden. Es war nicht die Zeit für solche, die schon Bekenner waren, Öl oder Vorkehrungen der Gnade zu empfangen. Um B e k e h r u nj. handelt es sich in unserem Gleichnis gar nicht. Von dem Kaufen des Öls ist, wie ich nicht bezweifle, nur deshalb die Rede, um zu zeigen, daß es nicht die rechte Zeit dafür war.

 

wird bei Seiner Wiederkunft mit einem jeden abrechnen. Welches ist nun die Stellung der Knechte? welches der Grundsatz, der Treue hervorruft?

                Beachten wir vor allem, daß hier nicht von Gaben der Vorsehung oder von irdischen Besitztümern die Rede ist. Das ist nicht "die Habe", die Jesus den Seinigen bei Seinem Weggange anvertraut hat. Nein, es sind Gaben, die sic befähigen, in Sei ' nein Dienst während Seiner Ab­wesenheit zu arbeiten. Der Herr war unumschränkt und weise. Er gab jedem verschieden und, einem jeden nach seiner Fähigkeit. Jeder war geeignet für den Dienst, in welchen er gestellt wurde, und die zur Erfüllung des­

selben nötigen Gaben wurden ihm verliehen. Es han­delte sich allein um Treue in der Ausübung des Dien­stes. Was nun die treuen Knechte von den untreuen unterscheidet, ist das Vertrauen zu ihrem Herrn. Sie vertrauten hinlänglich auf Seinen wohlbekannten Charak­ter, auf Seine Güte und Liebe, um zu arbeiten, ohne eine andere Bevollmächtigung zu haben als diejenige, die sie aus der Kenntnis Seines persönlichen Charakters und aus dem durch dieses Vertrauen und diese Erkennt­nis hervorgerufenen Verständnis.schöpften. Welch einen anderen Zweck hätte es haben können, ihnen Geldsummen zu übergeben, als um damit Handel zu treiben? Hatte es

ihrem Herrn an Weisheit gemangelt, als Er ihnen diese Gaben anvertraute? Die Hingebung, die aus der Kenntnis ihre§ Herrn entsprang, rechnete auf die Liebe Dessen, den sie kannten. Sie arbeiteten, und sie wurden belohnt. Das ist der wahre Charakter und die Quelle des Dienstes in der Kirche; und das war es, was dem dritten Knecht mangelte. Er kannte seinen Herrn, nicht; er vertraute Ihm nicht; er verstand nicht einmal das zu tun, was mit seinen eigenen Gedanken übereinstimmend gewesen wäre (V. 27). Er wartete auf irgendeine Bevollmächtigung, die ihm eine Sicherheit gegenüber dem Charakter gegeben hätte, den sein Herz fälschlich seinem Herrn beilegte.

 

Jene aber, die den Charakter ihres Herrn kannten, gingen ein in Seine Freude.

Zwischen diesem Gleichnis und dem in Luk. 19, 12‑27 besteht der Unterschied, daß in Lukas jeder Knecht nur ein Pfund erhält. Es handelt sich dort nur um die Ver­antwortlichkeit; und folglich wird der, welcher zehn Pfund gewinnt, über zehn Städte gesetzt. Hier hingegen handelt es sich um die Unumschränktheit und die Weis­heit Gottes, und der Arbeiter wird durch die Kenntnis geleitet, die er von seinem Herrn hat; es werden die Ratschlüsse Gottes in Gnade erfüllt. Der, welcher am meisten hat, empfängt noch mehr. Zugleich ist die Be­lohnung allgemeiner; der, welcher zwei, und der, welcher fünf Talente gewonnen hat, gehen gleicherweise ein in die Freude des Herrn, dem sie gedient haben (V. 21 u. 23). Sie haben Ihn nach Seinem wahren Charakter gekannt, und sie gehen ein in Seine volle Freude. Möchte der Herr uns allen dies gewähren!

In dem zweiten Gleichnis, dem von den zehn Jung­frauen, ist jedoch noch mehr als das enthalten; es bezieht sich unmittelbarer und ausschließlicher auf den himm­lischen Charakter der Christen. Es ist hier nicht die Rede von der eigentlichen Versammlung als einem Leibe, son­dern von dem Ausgehen der Gläubigen, um dem zur Hochzeit wiederkehrenden Bräutigam entgegenzugehen. Zur Zeit der Wiederkunft des Herrn zur Vollziehung des Gerichts wird das Reich der Himmel den Charakter von Personen annehmen, die von der Welt und mehr noch von dem Judentum, ja, von allem ausgegangen sind, was hinsichtlich der Religion mit dem Fleische in Verbindung steht ‑ von jeder eingerichteten, weltlichen Form ‑ um nur mit dem kommenden Herrn zu tun zu haben und Ihm entgegenzugehen. Das war der Charakter der Treuen von Anfang an als solcher, die teil hatten am Reiche der Himmel, insofern sie die Stellung verstanden, in welche sie durch die Verwerfung des Herrn versetzt waren. Die Jungfrauen waren freilich wieder irgendwo eingegangen, und das verfälschte ihren Charakter; aber das Geschrei um Mitternacht brachte sie an ihren wah­ren Platz zurück. Sie gehen deshalb mit dem Bräutigam ein; und es handelt sich weder um Gericht noch um Be­lohnung, sondern einfach darum, bei Ihm zu sein. In dem ersten Gleichnis hingegen sowie in demjenigen in Lukas handelt es sich um die Rückkehr des Herrn auf die Erde und um die persönliche Belohnung ‑ um die Fol­gen des Verhaltens in dem Reiche während der Abwesen­heit des Königs*. In dem Gleichnis von den Jungfrauen ist nicht der Dienst und dessen Folgen der Gegenstand. Jene, welche kein Öl haben, gehen überhaupt nicht zur Hochzeit ein; das genügt. Die anderen haben eine ge­meinsame Segnung; sie gehen mit dem Bräutigam zur Hochzeit ein. Es handelt sich hier weder um eine beson­dere Belohnung noch um eine Verschiedenheit zwischen dem Betragen der einzelnen. Das Kommen des Bräuti­gams bildete die Erwartung ihres Herzens, obwohl die Gnade sie zu dieser Erwartung wieder hatt..‑ zurückbringen müssen. Was ‑ aber auch das Feld ihres Dienstes ge­wesen sein mochte, der Lohn war sicher. Dieses Gleich­nis bezieht und beschränkt sich auf den himmlischen Teil des Reiches als solchen; es ist ein Gleichnis vom Reiche der Himmel.

 

* In dem dritten Gleichnis in Matthäus (dem von den Talenten) finden wir allerdings die Verwaltung über viele Dinge, das Reich, aber es ist vollständiger durch den Ausdruck: "Qehe ein in die Freude deines Herrn"; und die Segnung wird allen, die im Dienste treu waren, gleichmäßig zuteil, gleichwohl ob dieser Dienst groß oder klein war.

 

 

Man beachte jedoch, daß der Verzug des Herrn im dritten Gleichnis ebenfalls erwähnt wird: "Nach langer Zeit aber . . ." (Kap. 25, 19). Die Treue und die Aus­dauer der Knechte werden in dieser Weise auf die Probe gestellt. Möge der Herr uns geben, daß wir jetzt, am Ende der Zeiten, treu und ergeben erfunden werden, auf daß Er auch zu uns sagen könne ‑ "Guter und getreuer Knecht!" Es ist bemerkenswert, daß in diesen Gleich­nissen die, welche im Dienst stehen oder zuerst ausgehen, dieselben sind, wie jene, die am Ende gefunden werden. Der Herr wollte den Gedanken, daß Er verzieht zu kommen, nicht weiter ausdehnen als: "Wir, die Leben­den, die übrig bleiben"*.

Weinen und Zähneknirschen sind das Teil dessen, der seinen Herrn nicht gekannt und Ihn geschmäht hat durch die Gedanken, die er über Seinen Charakter hegte.

Wie wir bereits gesehen haben, wird der Faden der prophetischen Geschichte, der in Kap. 24, 31 abgebrochen wurde, in Kap. 25, 31 wieder aufgenommen. In Kapitel 24 sehen wir den Sohn des Menschen gleich einem Blitze erscheinen und danach den Überrest Israels von den vier Enden der Erde versammeln. Das ist jedoch nicht alles. Wenn der Sohn des Menschen auf eine ebenso plötzliche wie unerwartete Weise erscheint, richtet Er ' zugleich Sei­nen Thron des Gerichts und der Herrlichkeit auf Erden auf. Er vernichtet Seine Feinde, die Er in Auflehnung wider Sich, findet und setzt Sich auch auf Seinen Thron, um alle Nationen zu richten. Das ist das Gericht der Lebendigen auf der Erde (Kap. 25, 31 u. f.).

Vier verschiedene Parteien stehen hier versammelt: Der Herr, des Menschen Sohn, die Brüder, die Schafe und die Böcke.

Die "Brüder" hier‑ sind, wie ich glaube und bereits bemerkt habe, Juden, Seine Jünger als Juden, die der Herr zu Seinen Boten bestellt hat, damit sie während Seiner Abwesenheit das Reich verkündigen. Das Evan­gelium des Reiches sollte allen Nationen zu einem Zeug­nis gepredigt werden, und dann sollte das Ende des Zeit‑

 

* So ist es auch mit der Versammlung in Offb. 2 u. 3. Der Herr redet zu damals bestehenden Versammlungen, obwohl ich nicht daran zweifle, daß die sieben Sendschreiben eine voll­ständige Geschichte der Kirche enthalten alters kommen. Zu der Zeit, von welcher hier die Rede ist, ist dies bereits geschehen; das Ergebnis aber soll erst vor dem Thron des Sohnes des Menschen offenbar werden.

.Er nennt daher diese Boten Seine Brüder. Er hatte

ihnen gesagt, daß sie mißhandelt werden würden, und das war geschehen; doch gab es etliche, die ihr Zeugnis an­genommen hatten. Nun, die Liebe des Herrn zu Seinen treuen Knechten ist so groß, und ihr Wert in Seinen Augen so hoch, daß Er jene, zu denen das Zeugnis ge­sandt war, danach richten, wird, ob sie diese Boten gut oder schlecht aufgenommen haben, und gerade so, als ob sie Ihm Selbst alles getan hätten. Welch eine Ermutigung für Seine Zeugen in dieser drangsalsvollen Zeit, während welcher ihr Glaube im Dienst auf die Probe gestellt wer­den soll! Zugleich war dies nur ein Akt der Gerechtigkeit denen gegenüber, die gerichtet wurden; denn sie hatten das Zeugnis verworfen, wer auch der Träger desselben gewesen sein mochte. Dann zeigt uns der Herr die Er­gebnisse des Betragens der einen wie der anderen. Der König (denn das ist der Charakter, den Christus auf der Erde angenommen hat) fällt das Urteil; und Er beruft die Schafe (d. h. diejenigen, welche die Boten aufge­nommen und ihnen in ihren Mühsalen und Verfolgungen Mitleid bewiesen hatten) zur Ererbung des Reiches, das von Gründung der Welt an für sie bereitet war. Denn das war in der Tat Gottes Vorsatz im Blick auf diese Erde gewesen. Gott hatte stets das Reich im Auge; und sie, di,‑ Schafe, waren die Gesegneten Seines (des Königs) Vaters. Sie waren nicht Kinder, die ihr Verhältnis zu "ihrem" Vater verstanden, sondern sie empfingen Segen von dem Vater des Königs dieser Welt. Außerdem soll­ten sie in das ewige Leben eingehen; denn das war durch die Gnade die Kraft des Wortes, das sie in ihren Herzen aufgenommen hatten. Als Besitzer des ewigen Lebens sollten sie in einer Welt gesegnet sein, die gleich ihnen gesegnet war (V. 34). Jene aber, die das Zeugnis und die Zeugen verachtet hatten, hatten damit den König, der sie sandte, verachtet; sie sollten eingehen in die ewige Pein (V. 45. 46).

So ist denn die ganze Wirkung der Ankunft Jesu in bezug auf das Reich und dessen Boten während der Ab­wesenheit des Herrn entwickelt, und zwar zunächst hin­sichtlich der Juden bis Kap. 24, 31; dann hinsichtlich Seiner Knechte während Seiner Abwesenheit bis Kap. 25, 30 (mit Einschluß des Reiches der Himmel in seinem gegenwärtigen Zustand und der verheißenen himmlischen Belohnungen) und endlich (von Kap. 25, 31 bis ans Ende) hinsichtlich der Nationen, die bei Seiner Wiederkunft auf der Erde gesegnet sein werden.

 

Kapitel 26

 

Der Herr hat Seine Reden beendet. Er bereitet Sich vor zum Leiden und zu Seinem letzten und rührenden Ab­schied von Seinen Jüngern bei Gelegenheit Seines letzten Passahs auf der Erde, wo Er das einfache und köstliche Gedächtnismahl einsetzte, das uns in so inniger Weise Seine Leiden und Seine Liebe vor Augen stellt. Dieser Teil unseres Evangeliums erfordert nicht viel Erklärung, wahr­lich nicht darum, weil er von geringerem Interesse wäre.. sondern weil er weit mehr gefühlt als erklärt zu werden bedarf.

Mit welcher Einfachheit verkündigt der Herr das, was geschehen sollte (V. 2)! Schon sechs Tage vor dem Passah ist Er in Bethanien angekommen (Joh. 12, 1); und dort wohnte Er (mit Ausnahme des letzten Abendessens) bis zu Seiner Gefangennahme im Garten Gethsemane, wiewohl Er Jerusalem besuchte und dort Sein letztes Mahl feierte.

Die Reden, die der Herr während dieser sechs Tage hielt, sowie Seine Taten, wie z. B. die Reinigung des Tempels, haben wir bereits betrachtet. Dem 26. Kapitelgeht voran die Offenbarung Seiner Rechte als Emma­nuel, König von Israel, dann die Offenbarung des Ge­richts des großen Königs hinsichtlich des Volkes (ein Gericht, ausgedrückt in Gesprächen, auf die das Volk nichts zu erwidern vermochte), und endlich die Lage Sei­ner Jünger während Seiner Abwesenheit. Jetzt tritt Seine Unterwerfung unter die Ihm bestimmten Leiden vor un­sere Blicke, unter das Gericht, welches bald an Ihm aus­geführt werden sollte, das in Wirklichkeit aber nur die Ausführung der Ratschlüsse Gottes, Seines Vaters, und Seines eigenen Liebeswerkes war.

Das finstere Gemälde der schrecklichen Sünde des Menschen, begangen in der Kreuzigung Christi, entrollt sich vor unseren Blicken. Doch der Herr Selbst kündigt Seinen Tod im voraus an mit der Ruhe eines Mannes, der eben zu diesem Zwecke gekommen war. Bevor die Beratung der Hohenpriester stattgefunden hatte, spricht Jesus schon davon als von einer bereits geordneten Sache: Jhr wisset, daß nach zwei Tagen das Passah kommt: und der Sohn des Menschen wird überliefert, um ge­kreuzigt zu werden" (V. 2). Dann versammeln sich die Priester, die Schriftgelehrten und Ältesten zur Fest­stellung ihrer Pläne, um sich der Person Jesu zu be­mächtigen und sich Seiner Person zu entledigen. Kurz. das Wort zeigt uns zunächst die wunderbaren Ratschlüsse Gottes und die Unterwerfung Jesu nach Seiner Kenntnis dieser Ratschlüsse und der Umstände, die ihre Erfül­lung herbeiführen sollten, und danach di.‑‑ gottlosen Über­legungen der Menschen, die nur die göttlichen Rat­schlüsse zur Ausführung bringen. Ihr Beschluß, Ihn nicht am Tage des Festes gefangen zu nehmen, weil sie das Volk fürchtet..‑n (V. 5), war nicht der Beschluss Gottes, und deshalb schlägt er fehl: gerade an dem Feste sollte Jesus leiden.

Judas war nur das Werkzeug der Bosheit der Ober­sten des Volkes in der Hand Satans, der wiederum alles

 

nur der Absicht Gottes entsprechend einzurichten ver­mochte. Es war, wie gesagt, der Wunsch der Obersten, die Gefangennahme Jesu zur Zeit des Festes zu vermeiden, und zwar wegen der Volksmenge, die Ihm (was schon bei dem Einzug in Jerusalem geschehen war) ihre Gunst hätte zuwenden können, wenn Er Sich etwa auf sie berufen hätte., Sie setzten wohl voraus, daß Jesus das tun würde; denn die Bösen rechnen stets darauf, daß andere nach denselben Grundsätzen handeln, durch die sie selbst geleitet werden. Aus diesem Grunde gelingt es ihnen auch so oft nicht, die Gerechten zu überlisten, weil diese einfältig sind. Es war der Wil4e Gottes, daß Jesus während des Festes leiden sollte. Aber Er hatte für das Herz Jesu eine liebliche Erquickung bereitet ‑eine Salbe, mehr für Sein Herz als für Seinen Leib; ein Umstand, der durch den Feind benutzt wurde, um Judas zurn äußersten zu treiben und ihn mit den Hohenprie­stern in Verbindung zu bringen.

Bethanien, das in unseren Gedanken mit den letzten Augenblicken der Ruhe und des Friedens in dem Leben unseres Heilandes verknüpft ist, und wo Martha und Maria und Lazarus, der Auferstandene, wohnten, ‑Bethanien nimmt Jesum zum letzten Male auf*. Das Herz Jesu, jederzeit bereit, sich in Liebe zu ergießen, und immer beengt in einer sündhaften Welt, die diese Liebe nicht erwiderte und nicht zu erwidern vermochte ‑dieses Herz, das uns in Seinen Beziehungen zu der ge­geliebten Familie in Bethanien ein Beispiel vollkommener und doch menschlicher Liebe gibt, für die es überaus köst­lich war, erwidert und geschätzt zu werden ‑ dieses Herz findet eine gesegnete, wenn auch nur vorübergehende Zufluchtsstätte in Bethanien.

 

* Die Salbung des Herrn fand nicht im Hause der Martha statt, sondern in dem  Hause Simons, des Aussätzigen; Martha diente, und Lazarus lag mit zu Tische. Das macht die einsichts­volle Handlung der Maria noch mehr zu einer rein persönlichen.

 

Die Nähe des Kreuzes, wo Er Sein Antlitz ‑ einem Kieselstein gleichmachen mußte, vermochte Seinem Herzen weder die Freude noch die Süßigkeit dieser Gemeinschaft‑zu rauben, machte sie vielr mehr feierlich und rührend. Indem Er das Werk Gottes vollbrachte, hörte Er nicht auf, Mensch zu sein; es ge­fiel Ihm, in allem uns anzugehören. Jerusalem konnte Er nicht mehr anerkennen, aber dieses Heiligtum (Bethanien) schützte Ihn für einen Augenblick vor der rohen Hand des Menschen. Hier konnte Er kundtun, was Er als Mensch stets war. Mit Recht sollte die Handlung jenes Weibes, das in gewissem Maße zu schätzen wußte, was Er fühlte*) ‑ deren Liebe instinktmäßig wahrnahm, wie die Feindschaft wider den Gegenstand ihrer Liebe immer höher stieg, und die dadurch gedrängt wurde, sich kundzugeben ‑ mit Recht sage ich, sollte eine Hand­lung, welche den Wert ausdrückte, den Seine Kostbarkeit und Gnade für ihr Herz besaß, in der ganzen Welt er­zählt werden (V. 6‑13). Das Schauspiel oder Zeugnis, das sich hier vor unseren Blicken vollzieht, bringt uns den Herrn fühlbar nahe und weckt in unseren Herzen ein heiligendes Gefühl, indem es sie mit Seiner vielgeliebten Person verbindet. Sein tägliches Leben war eine fort­währende Seelenspannung, die im Verhältnis stand zu der Stärke Seiner Liebe; es war ein Leben der Aufopferung inmitten der Sünde und des Elends.

Angesichts der Macht des Bösen, die jetzt ihren freien Lauf haben sollte, und indem die Liebe, die an Ihm hing, sich unter diese Macht beugte, weil sie infolge des Sitzens zu Seinen Füßen eine wahre Kenntnis Seiner Person besaß ‑ ja, angesichts dieser konnte und wollte Er für einen Augenblick jene Hingebung für Ihn aner­kennen, die durch das hervorgerufen wurde, welchem Seine Seele in göttlicher Vollkommenheit sich unter­werfen wollte.

 

* Wir finden keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Jünger jemals verstanden haben, was Jesus zu ihnen sagte.

 

Er konnte dem, was eine von Gott bewirkte Zuneigung schweigend ausübte, einen verständ­lichen Ausdruck geben, ihm seine wahre Bedeutung bei­legen *.

Der Leser wird wohl daran tun, diese Szene rühren­der Herablassung und innigen Herzensergusses sorgfältig zu betrachten. Von Kap. 21 bis zum Ende des 25. Ka­pitels haben wir gesehen, wie Jesus, Emmanuel, der König und allerhöchste Richter, über alles Sein Urteil aussprach. Er war fertig mit dem, was Er zu sagen hatte. In dieser Beziehung war Seine Aufgabe hienieden erfüllt. Er nimmt jetzt den Platz des Opfers ein. Er hat nur noch zu leiden und kann Sich frei dem Genüsse einer rühren­den Liebe hingeben, die aus einem Ihm ergebenen Herzen hervorströmt. Allerdings konnte Er den Honig nur kosten und mußte dann weitergehen; aber Er kostet ihn und weist eine Liebe nicht zurück, die Sein Herz zu schätzen wußte und auch schätzte.

Andererseits können wir hier die Wirkung einer tiefen Liebe zum Herrn wahrnehmen. Diese Liebe atmet not­wendigerweise die Luft, in welcher der Geist des Hei­landes Sich in jenem Augenblick befand. Das Weib, das Ihn salbte, war über die Einzelheiten dessen, was kommen sollte, nicht unterrichtet, auch war sie keine Prophetin. Aber das Herannahen der Stunde der Finsternis wurde von einer, deren Herz auf Jesum gerichtet war, gefühlt**. Die verschiedenen Formen des Bösen enthüllten sich vor Ihm und zeigen sich in ihren wahren Farben; und unter, dem Einfluß eine,9 Meisters' Satans, gruppieren sie siel um den einzigen Gegenstand, gegen welchen diese Ver­einigung der Bosheit zu richten der Mühe wert war, und der ihren wahren Charakter völlig ans Licht stellte.

 

* Christus kam dem Herzen des armen Weibes in der Stadt, die eine Sünderin war, entgegen und teilte ihr Gottes Gedanken mit. Er kommt hier dem Herzen der Maria entgegen, rechtfertigt und befriedigt ihre Liebe und tut kund, welchen Wert ihre Handlung nach den Gedanken Gottes hatte. Er kam dem Herzen der Maria Magdalena am Grabe entgegen, für welche die Welt ohne I h n nur ein leerer Raum war, und sprach Gottes Gedanken in ihren höchsten Formen der Segnung aus. Das sind die Folgen des innigen Hangens an Christo.

** Die Feindschaft der Obersten Israels war den Jüngern be­kannt. „Rabbi", hatten sie zu Ihm gesagt, "eben suchten die Juden dich zu steinigen, und wiederum gehst du dahin?" Und nachher sagt Thomas ‑ ein schönes Zeugnis für die Liebe dessen, der später seinen Unglauben hinsichtlich der Auferstehung Jesu offenbarte ‑: "Laßt auch uns gehen, auf daß wir mit ihm sterben." Das Herz der Maria fühlte ohne Zweifel diese Feind­schaft, und in dem Maße, wie diese zunahm, wuchs auch ihre Anhänglichkeit an den Herrn.

 

 

Doch dieselbe Vollkommenheit Jesu, welche die Feind­schaft der Juden hervorrief, rief in Maria die innigste Liebe wach; und sie ließ diese Vollkommenheit sozusagen in ihrer Liebe zurückstrahlen. Und wie jene Vollkommen­heit durch die Feindschaft in Tätigkeit gesetzt und ans

Licht gebracht wurde, so auch ihre Liebe. So konnte denn das Herz Christi nicht anders als dieser Liebe entgegen­kommen. Infolge jener Feindschaft wurde Jesps nur um so mehr der Gegenstand der Beschäftigung für ein Herz, das, ohne Zweifel von Gott geleitet, instinktmäßig fühlte, was vorging. Für, Jesum war die Zeit des Zeug­ilisses und selbst die der Erklärung Seiner Beziehungen zu allem, was Ihn umgab, vorüber. Sein Herz war frei, um Sich der guten, wahren und geistlichen Zuneigungen, deren Gegenstand Er war, zu erfreuen, und die, was im­mer ihre menschliche Form sein mochte, ihren göttlichen Ursprung deutlich darin zeigten, daß sie sich an den Gegenstand knüpften, auf welchen in diesem feierlichen Augenblick die ganze Aufmerksamkeit des Himmels ge­richtet war. Jesus Selbst war Sich Seiner Stellung be­wußt. Seine Gedanken waren auf Seinen Heimgang ge­richtet. Solange Er Seine Macht ausübte, verbarg und vergaß Er Sich. Jetzt aber, unterdrückt und verworfen und gleich einem Lamme zur Schlachtbank geführt, fühlte Er, daß Er der wahre und rechtmäßige Gegenstand der Gedanken derer war, die Ihm gehörten, aller derer, welche Herzen hatten, zu schätzen, was Gott schätzt. Sein Herz war von den kommenden Ereignissen erfüllt (siehe die Verse 2, 10, 13, 18 u. 21).

Doch noch einige Worte mehr über das Weib, das Jesum salbte. In auffallender Weise wird uns in ihr gezeigt, was das Ergebnis ist, wenn das Herz in Liebe auf den Herrn gerichtet ist. Mit Ihm beschäftigt, fühlt sie Seine Lage. Sie fühlt, was Ihn bewegt, und dies setzt ihre Liebe in Tätigkeit gemäß der besonderen Hingabe, die diese Lage ihr einflößt. Wenn der Haß gegen Ihn bis zu dem Entschluß stieg, Ihn zu ermorden, wuchs dem­entsprechend in ihr der Geist der Hingebung. Infolge­dessen tat sie mit dem feinen Gefühl, welches die Hin­gebung verleiht, genau das, was Seiner Liebe angemessen war. Das arme Weib hatte keine klare Einsicht hierüber; allein sie tat gerade das, was passend war. Ihre Wert­schätzung der Person Jesu, der so unendlich kostbar für sie war, machte sie scharfsichtig betreffs dessen, was in Seinem Geiste vorging. In ihren Augen war Christus mit der ganzen Bedeutsamkeit Seiner Umstände bekleidet, und sie schüttet das über Ihn aus, was ihrer Liebe Aus­druck gab. Als Frucht dieses Gefühls steht ihr Tun in Übereinstimmung mit den Umständen; und obwohl ihre Handlung nur dem unbewußten Triebe ihres Herzens ent­sprang, legt Jesus ihr doch den ganzen Wert bei, den Seine vollkommene Einsicht ihr beimessen konnte, indem Er die Gefühle ihres Herzens und die kommenden Be­gebenheiten zugleich umfaßte.

Doch dieses Zeugnis der Zuneigung und Hingebung an Jesum bringt den Eigennutz und die Herzlosigkeit der übrigen an den Tag. Sie tadeln das arme Weib ‑ ein betrübender Beweis davon, um nichts von Judas* zu sagen, wie verkehrt es ist zu denken, daß die Erkenntnis dessen, was Jesum betrifft, notwendigerweise eine der­selben angemessene Zuneigung in unseren Herzen er­wecken müsse.

 

* Das Herz des Judas war die Quelle dieses Bösen; aber die übrigen Jünger fielen in die Schlinge, weil ihre Herzen nicht mit Christo beschäftigt waren.

 

Gleich danach geht Judas hinaus und ver­ständigt sich mit den unglücklichen Priestern, um ihnen Jesum für den Preis eines Sklaven zu überliefern.

Mit" Vers 16 endet der besprochene Gegenstand: die Kenntnis, welche Christus Gott gemäß von dem hatte, was Ihm begegnen sollte, die Verschwörung der Priester, die von dem Herrn wohlgefällig angenommene Liebe des armen Weibes, die selbstsüchtige Kaltherzigkeit der Jün­ger und endlich der Verrat des Judas.

Der Herr verfolgt Seinen Weg der Liebe; und wie Er den Beweis der Liebe jenes armen Weibes angenommen hatte, so gibt Er jetzt Seinen Jüngern einen Liebesbeweis; der für unsere Seelen von unendlichem Werte ist. Er setzt das Gedächtnis des wahren Passah ein. Er sendet Seine Jünger aus, um für die Feier des Festes zu Jerusalem Vorbereitungen zu treffen, und bezeichnet Judas als den, der Ihn den Juden überliefern werde (Vers 17‑25). Man wird bemerken, daß der Herr hier nicht einfach Seiner Kenntnis des Verräters Ausdruck gibt (Er kannte Judas, als Er ihn berief), sondern Er sagt: „Einer von euch wird mich überliefern" (V. 21). Da3 war es, was Sein Herz bewegte; und Er wünschte, daß auch das Herz Seiner Jünger davon bewegt werden möchte.

Dann weist Jesus darauf hin, daß es ein gestorbener Hei­land ist, dessen sich die Seinigen erinnern sollen. Es han­delt sich nicht mehr um einen lebenden Messias (alles das war vorüber), auch nicht mehr um die Erinnerung an die Befreiung Israels aus der Sklaverei Ägyptens. Christus, und zwar der gestorbene Christus, begann eine ganz neue Ordnung von Dingen; Seiner, des auf Erden Gestorbenen, sollen sie gedenken. Dann lenkt Jesus ihre Aufmerksamkeit auf das Blut des Neuen Bundes und deutet darauf hin, daß dieses Blut noch für andere als nur für die Juden bestimmt sei, ohne diese anderen jedoch zu nennen. „Es wird vergossen für viele." Auch dient dieses Blut nicht allein, wie auf dem Berg Sinai, zur Bestätigung des Bundes, dem sie treu zu sein verpflichtet waren, sondern es wurde vergossen zur Vergebung der Sünden. Das Mahl des Herrn stellt daher die Erinne­rung an den gestorbenen Jesus dar, der durch Seinen Tod mit der Vergangenheit gebrochen, die Grundlage des Neuen Bundes gelegt, die Vergebung der Sünden erwirkt und den Heiden die Tür geöffnet hat. Im Abendmahl er­blicken wir Jesum nur in Seinem Tode. Sein Blut ist von Seinem Leibe getrennt; Er ist gestorben. Es ist weder der auf Erden lebende noch der im Himmel verherrlichte Christus. Er ist von den Seinigen getrennt, was ihre Freuden auf der Erde betrifft; aber sie sollen Ihn er­warten als den Genossen des Glückes ‑ denn es hat Ihm wohlgefallen, ein Solcher zu sein ‑, das Er ihnen für bessere Tage gesichert hat: "Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken, bis zu jenem Tage, da ich es neu* mit euch trinken werde in dem Reiche meines Vaters" (V. 29). ‑ Da nun aber diese Bande auf Erden zerrissen waren, wer anders als Er konnte den Kampf bestehen? Alle würden Ihn ver­lassen; die Zeugnisse des Wortes sollten erfüllt werden. Es stand geschrieben‑. "Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden zerstreut werden" (V. 31).

Nichtsdestoweniger wollte Er vor ihnen her nach Ga­liläa gehen, um als ein auferstandener Heiland Seine Be­ziehungen zu diesen Armen der Herde da wieder an­zuknüpfen, wo Er Sich schon während Seines Lebens mit ihnen einsgemacht hatte (V. 32>. Diese Zusage ist sehr bemerkenswert, weil der Herr Seine früheren Beziehungen zu ihnen und zu dem Reiche in einer neuen Form wieder aufnimmt.

 

* "Neu" bedeutet hier nicht "aufs neue" (n6on), sondern "in einer neuen Weise" (kainon).

 

Man beachte hier, daß der Herr, so wie Er bis ans Ende des 25. Kapitels alle Klassen von Personen gerichtet hatte, jetzt den Charakter Seiner Beziehungen zu allen denen zeigt, mit welchen Er solche unterhielt. Mag es sich um das Weib, um Judas oder um die Jünger hati­deln ‑ ein jeder nimmt seinen Platz dem Herrn gegen­über ein. Das ist alles, was wir hier finden. Besaß Petrus so viel natürliche Energie, um ein wenig weiter zu gehen, so geschah es nur, um einen um so tieferen Fall da zu tun, wo allein der Herr aufrecht bleiben konnte.

Und jetzt (V. 3fi u. f.) geht der Herr in die Einsam­keit, um Seinem Vater die Seiner wartenden Leiden im Gebet vorzutragen. Doch während Er Sich zu diesem Zweck zurückzieht, nimmt Er drei Seiner Jünger mit Sieh, damit sie in diesem feierlichen Augenblick mit Ihm wache ' n möchten. Es sind dieselben drei, die auf dem Berge der Verklärung bei Ihm gewesen waren: Petrus, Jakobus und Johannes. Wie sie Seine Herrlichkeit im Reiche ge­schaut hatten, so sollten sie jetzt auch Seine Leiden sehen. Er geht ein wenig weiter, fällt auf Sein Antlitz und betet. Sie aber schlafen ein, wie sie es auch auf dem Berge ge­tan hatten.

Dieser Vorgang wird uns in Hebr. 5, 7 geschildert. Noch trank Jesus den Kelch nicht, aber er stand vor Sei­nen Augen. Am Kreuze trank Er ihn, als Er für uns. zur Sünde gemacht war und Seine Seele sich von Gott verlassen fühlte; hier hingegen sehen wir die Macht Satans, der den Tod als Schrecken gebraucht, um den Herrn dadurch zu überwältigen. Wir werden bei der Be­trachtung des Lukasevangeliums näher auf diesen Gegen­stand eingehen, in dem dieser Evangelist die Leiden des Heilandes mehr im einzelnen schildert, weil er sich in besonderer Weise mit dem Sohn des Menschen beschäf­tigt. Wir sehen hier die Seele Jesu im Vorgefühl der

 

Schrecken des Todes, wie nur Er dieselben kennen konnte; und der Tod hatte noch nicht seinen Stachel verloren. Wir wissen, wer die Gewalt des Todes hat, und noch be­saß der Tod den vollen Charakter des Soldes der Sünde, des Fluches und des Gerichts Gottes. Aber Jesus wacht und betet. Indem Er als Mensch infolge Seiner Liebe diesem Sturm preisgegeben war, wacht Er angesichts der mächtigsten Versuchung, der Er je ausgesetzt werden konnte; und anderseits stellt Er Seinem Vater die Angst Seines Herzens vor. Seine Gemeinschaft mit dem Vater war hier nicht unterbrochen, wie groß auch Seine Angst sein mochte. Diese Angst trieb Ihn nur um so mehr in gänzlicher Unterwerfung und völligem Vertrauen zu Sei­nem Vater hin. Sollten wir aber errettet, sollte Gott in Ihm, der unsere Sache auf Sich genommen hatte, ver­herrlicht werden, so durfte der Kelch nicht an Ihm vor­übergehen. Und Seine Unterwerfung ist vollkommen.

In welch zarter Weise erinnert Er den Petrus an sein falsches Vertrauen*, indem Er ihn seine Schwäche fühlen läßt (V. 40. 41); aber Petrus war zu sehr von sich ein­genommen, um Nutzen daraus zu ziehen. Er erwacht von seinem Schlafe; aber sein Selbstvertrauen ist nicht er­schüttert. Zu seiner Heilung bedurfte es einer traurigeren Erfahrung.

Jesus nimmt also den Kelch, aber Er nimmt ihn aus der Hand Seines Vaters; denn es war Sein Wille, daß Er ihn trinke. Indem Er so Sich gänzlich Seinem Vater

 

*Es ist wunderbar, den Herrn in dem. ganzen Seelenkampf des Vorgefühls des Kelches zu sehen, indem Er diesen Kelch hier noch nicht trinkt, sondern ihn nur Seinem Vater vorstellt, zu sehen, wie Er Sich trotzdem zu Seinen Jüngern wendet und in Ruhe und Gnade, als wenn Er noch in Galiläa wäre, zu ihnen spricht, und wie Er dann wiederum zu dem schrecklichen Geistes­kampfe zurückkehrt, der vor Seiner Seele stand. In Matthäus ist Er das Schlachtopfer, und so begegnet S3ine Seele jeglicher Erschwerung des Leidens ohne einen einzigen erleichternden Umstand.

 

übergibt, nimmt Er diesen Kelch weder aus der Hand Seiner Feinde noch aus der Hand Satans (wiewohl diese die Werkzeuge waren). Er empfängt ihn allein aus der Hand Seines Vaters, nach der Vollkommenheit, in welcher Er Sich in dieser Hinsicht dem Willen Gottes, dem Er alles übergeben, unterworfen hatte. Es war der Wille des Vaters. Wenn wir daher nur den Willen Gottes suchen, der alle Dinge leitet, so entrinnen wir den Nebenursachen und den Versuchungen des Feindes. Nahen Trübsale und Prüfungen, so nehmen wir dieselben nur von Gott an.

 

Die Jünger brauchen jetzt nicht länger zu wachen, die Stunde ist gekommen. Jesus sollte in die Hände der Menschen überliefert werden; damit war alles gesagt. Juda,i macht Ihn kenntlich durch einen Kuß. Jesus abcr geht der Menge entgegen und tadelt Petrus, weil er mit fleischlichen Waffen zu widerstehen sucht (V. 45-56). Hätte Christus entrinnen wollen, so hätte Er um zwölf Legionen Engel bitten können und würde sie bekommen haben, allein alles mußte erfüllt werden*. Es war die Stunde Seiner Unterwerfung unter die Wirkung der Bosheit des Menschen und der Macht der Finsternis, und die Stunde des Gerichtes Gottes über die Sünde. Er ist das Lamm für die Schlachtbank. Jetzt verlassen Ihn alle Jünger, und Jesus übergibt Sich der Menge, indem Er ihr vorstellt, was sie tut. Und obwohl, vor Kaiphas geführt, niemand beweisen kann, daß Er schuldig sei, will Er doch die Wahrheit nicht verleugnen.

 

* Man beachte hier, welchen Platz der Herr in diesem feierlichen und schmerzlichen Augenblick den Schriften gibt: es mußte so geschehen, denn so stand es geschrieben (V. 54). Sie sind das Wort Gottes.

 

Er bekennt die Herrlichkeit Seiner Person als Sohn Gottes und erklärt, daß sie den Sohn des Menschen von nun an nicht mehr in der Sanftmut Dessen sehen würden, der das zerstoßene Rohr nicht zerbricht, sondern vielmehr sitzend zur Rechten der Macht und kommend auf den Wolken des Himmels (V. 57--64)

 

Nach Ablegung dieses Zeugnisses wird Jesus verurteilt um deswillen, was Er zum Bekenntnis der Wahrheit von Sich Selbst sagt. Die falschen Zeugen hatten keinen Erfolg, Die Hohenpriester und die Obersten des Volkes sind Seines Todes schuldig zufolge ihrer persönlichen Verwerfung des Zeugnisses, das Er von der Wahrheit ablegte. Er war die Wahrheit; sie standen unter der Macht des Vaters der Lügen und verwarfen den Messias, den Heiland Seines Volkes (V. 65. 66). Deswegen sollten sie, Ihn nicht mehr sehen, es sei denn als Richter. Sie verspotten und beschimpfen Ihn. Acht ein jeder nimmt, wie wir gesehen haben, seinen Platz ein - Jesus den des Schlachtopfers, die anderen den des Verrats, der Verwerfung, des Verlassens und der Verleugnung des Herrn! Welch ein Bild! Welch ein feierlicher Augenblick! Wer konnte in ihm bestehen? Christus allein konnte festen Schrittes hindurchgehen, und Er ging hindurch als ein Schlachtopfer. Als solches mußte Er von allem entblößt werden, und zwar in der Gegenwart Gottes. Alles andere verschwand, ausgenommen die Sünde, die Ihn in diese Lage gebracht hatte; und durch Gnade schwand auch diese vor der wirksamen Kraft Seines Opfers.

 

Petrus, auf sich selbst vertrauend, wankt jetzt. Als ein Gefährte Jesu erkannt, lügt und schwört er und verleugnet seinen Herrn; und alsdann, von der Ohnmacht des Menschen gegenüber dem Feinde seiner Seele und der Sünde schmerzlich überführt, geht er hinaus und weint bitterlich (V. 69-75). Seine Tränen konnten seine Schuld nicht tilgen, und während'sie einerseits ein Beweis einer durch die Gnade bewirkten Herzensaufrichtigkeit waren, bezeugten sie anderseits jene Ohnmacht, die durch Aufrichtigkeit des Herzens nicht behoben werden kann*.

 

* Beim Vergleichen der Evangelien wird man finden, daß, der Herr während der Nacht bei Kajaphas verhört wurde, als Petrus Ihn verleugnete. Erst am Morgen versammelten sie> sich wieder und erhielten von dem Herrn auf die an Ihn gerichtete Frage das Bekenntni59 auf welches hin sie Ihn zu Pilatus führten. Während der Nacht waren nur die Leiter tätig; aber am Morgen fand eine förmliche Versammlung des Synedriums statt.

Kapitel 27

 

Wie Jesus Selbst Seinen Jüngern angekündigt hatte, überliefern jetzt die unglückseligen Priester und die Häupter des Volkes ihren Messias den Heiden. Judas, unter der Macht Satans zur Verzweiflung getrieben, er­hängt sich, nachdem er den Lohn seiner Ungerechtigkeit den Priestern und Ältesten des Volkes vor die Füße ge­worfen hat. Satan mußte also sogar durch ein von ihm betrogenes Gewissen Zeugnis ablegen von der Unschuld des Herrn. Welch ein Schauspiel! Die Priester, die sich kein Gewissen daraus gemacht hatten, das Blut Jesu von Judas zu kaufen, tragen Bedenken, das Geld in den Opferkasten des Tempels zu werfen, weil es Blutgeld war. Angesichts dessen, was sich in jenem Augenblick zutrug, wurde der Mensch gezwungen, seinen wahren Charakter sowie die Macht Satans über ihn an den Tag zu legen. Nach einer Beratung kaufen die Priester für das Geld eine Begräbnisstätte für Fremde. Diese waren in ihren Augen gemein genug dafür, wenn nur sie selbst durch ein solches Geld nicht verunreinigt wurden. Doch es war die Zeit der Gnade Gottes gegenüber dem Fremd­ling und des Gerichts über Israel. Übrigens stifteten sie hierdurch ein fortdauerndes Gedächtnis ihrer eigenen Sünde und des vergossenen Blutes. Akeldama ist alles, was von den äußeren Umständen dieses großen Opfers in der Welt übrigbleibt. Die Welt ist ein Blutacker, aber dieses Blut redet Besseres als das Blut Abels.

Es ist bekannt, daß sich die hier angeführte Prophe­zeiung in Sacharja vorfindet (Kap. 11, 12. 13). Der Name "Jeremias" mag sich später in den Text eingeschlichen

haben, wenn nichts anderes in demselben stand als: Aurch den Propheten". Oder der Fehler ist dadurch ent­standen, daß nach der von den Talmudisten vorgeschrie­benen Ordnung "Jeremias" als erster in dem Buche der Propheten stand, weshalb man auch wahrscheinlich sagte: "Jeremias oder einer der Propheten" (vgl. Matth. 16, 14). Jedoch ist hier nicht der Ort, sich mit dieser Frage zu beschäftigen.

Hiermit endet der besondere Anteil der Juden an die­ser Sache. Der Herr steht nun vor Pilatus, und hier ist die Frage nicht, ob Er der Sohn Gottes, sondern ob Er der König der Juden sei. Wiewohl Er dieser König war, wollte Er doch nur in dem Charakter als Sohn Gottes von den Juden aufgenommen sein. Hätten sie Ihn als solchen aufgenommen, so wäre Er ihr König gewesen. Das aber konnte nicht sein, denn Er mußte das Ver­söhnungswerk vollbringen. Nachdem die Juden Jesum als Sohn Gottes verworfen haben, verleugnen sie Ihn jetzt als ihren König. Doch auch die Heiden machen sich in der Person ihres Hauptes in Palästina schuldig. Ihnen war die Regierung des Landes anvertraut, und ihr Ober­haupt hätte in Gerechtigkeit regieren sollen. Zwar erkennt Pilatus, der Stellvertreter dieses Oberhauptes in Judäa, die Bosheit der Feinde Jesu an, und sein Gewissen, be­unruhigt durch den Traum seines Weibes, ‑will der Schuld der Verurteilung Jesu entgehen. Aber der wahre Fürst, dieser Welt (was die gegenwärtige Ausübung, der Herr­schaft betrifft) war Satan; und obwohl Pilatus in der eitlen Hoffnung, sich seiner Verantwortlichkeit zu ent­ledigen, seine Hände wäscht, überliefert er doch den Un­schuldigen, an welchem er nach seiner eigenen Aussage keine Schuld findet, dem Willen Seiner Feinde. Statt des Fürsten des Lebens gibt er den Juden einen des Auf­ruhrs und Mordes schuldigen Menschen los. Doch auch hier wurd.‑‑ der Herr nur auf Sein eigenes Bekenntnis hin verurteilt, indem Er vor dem heidnischen Gerichtshof dasselbe bekannte wie vor dem jüdischen. Vor beiden legte Er ein gutes Bekenntnis betreffs der Wahrheit ab, und zwar der Wahrheit hinsichtlich derer, vor welchen Er stand.

Barabbas der Ausdruck der Gesinnung Satans, dieses Mörders von Anfang, der Ausdruck der Empörung gegen die Gewalt, weiche Pilatus zu handhaben berufen war ‑ Barabbas wird von den Juden geliebt; und durch ihn sucht die ungerechte Gleichgültigkeit des gegen das Böse ohnmächtigen Landpflegers den Willen des Volkes, das er hätte beherrschen sollen, zu befriedigen. "Das ganze Volk" macht sich des Blutes Jesu schuldig durch das ernste, aber schreckliche Wort (das bis auf den heu­tigen Tag erfüllt bleibt, bis die unumschränkte Gnade, entsprechend dem göttlichen Vorsatz, es aufheben wird): "sein Blut komme über uns und unsere Kinder!" (V. 25). ‑ Traurige und schreckliche Unwissenheit, in die der Eigenwille ein Volk gestürzt hat, welches das Licht von sich stieß!

Wir sehen, ach, ich wiederhole es, in welcher Weise ein jeder seinen Platz angesichts dieses Prüfsteins, des verworfenen Heilandes, einnimmt. Das gemeine Volk der Heiden, die Kriegsknechte, verspotten Ihn (V. 29); und mit der Roheit, die ihnen als Heiden und infolge ihrer Beschäftigung als Henker zur Gewohnheit geworden war, tun sie das, was die Heiden einst mit Freude und An­betung tun werden, wenn der jetzt von ihnen Verspot­tete wirklich der König der Juden in Herrlichkeit sein wird. Jesus erträgt alles. Es war die Stunde Seiner Unterwerfung unter die ganze Macht des Bösen. Das Ausharren mußte sein vollkommenes Werk haben, damit Sein Gehorsam nach jeder Seite hin völlig wäre. Er ertrug lieber alles ohne Erleichterung, als daß Er im Gehorsam gegen Seinen Vater gefehlt hätte.

 

* Wie sonderbar! Dieses Wort bedeutet: Sohn des Abba: es ist, als ob Satan sie mit diesem Namen hätte verhöhnen wollen.

 

Welch ein Unterschied zwischen diesem Betragen und dem Verhalten des mit Segnungen umgebenen ersten Adam!

Jeder muß in dieser feierlichen Stunde, wo alles auf die Probe gestellt wird, entweder ein Knecht der Sünde sein oder unter der Tyrannei der Bosheit stehen. Die Kriegsknechte zwingen einen gewissen Simon, der, wie es scheint, später unter den Jüngern bekannt war, das Kreuz Jesu zu tragen; und man führt den Herrn zur Stätte Seiner Kreuzigung. Dort weist Er das zurück, was Ihn hätte betäuben können (V. 34). Jesus will weder dem Kelche ausweichen, den Er zu trinken hatte, noch Sich der Fähigkeiten berauben, die Ihm von Gott auferlegten Lei­den zu fühlen. Die Prophezeiung der Psalmen erfüllten sich in Seiner Person vermittelst derer, die wenig daran dachten, was sie taten. Zugleich hatten die Juden es da­hin gebracht, sich im höchsten Grade verächtlich zu machen: ihr König war ans Kreuz genagelt! Gegen ihren Willen mußten sie diese Schmach tragen; aber an wem lag die Schuld?

Verhärtet und gefühllos gegen alles, teilen die Juden mit einem Missetäter die traurige Genugtuung, den Sohn Gottes, ihren König, den Messias, zu beschimpfen (V. 39‑44), und dies zu ihrem eigenen Verderben; und ‑ so blind macht der Unglaube! ‑ sie führen aus ihren eigenen Schriften als den Ausdruck ihrer Gesinnung das an, was in denselben den ungläubigen Feinden Jehovas in den Mund gelegt wird. Jesus fühlte das alles; allein die Qual Seiner Prüfung, in welcher Er trotz allem ein ruhiger und treuer Zeugz‑ war, der Abgrund Seiner Leiden barg noch etwas weit Schrecklicheres in sich als alle diese Bosheit oder das Verlassensein von seiten des Men­schen. Zwar erhoben die Fluten ihr Brausen*, eine Woge der Bosheit nach der anderen rollte über Ihn dahin; wer aber vermöchte die Tiefen drunten zu ermessen, die Sei­ner noch warteten?

 

* Bei Matthäus finden wir in besonderer Weise die dem Herrn 1,Ugefügte Schmach und die Ihm widerfahrenen Beleidigungen zusammengestellt, bei Markus das Verlassensein von Gott.

 

Nur Sein Herz, nur Seine Seele, diese Gefäße einer göttlichen Liebe, konnten noch unter den Boden des Abgrundes hinabsteigen, den die Sünde für den Menschen geöffnet hatte, um ‑ nachdem Er die Strafe der Sünde in Seiner eigenen Seele erlitten hatte ‑ die heraufzuführen, welche dort lagen. Ein Herz, das immer tr,‑‑u gewesen war, wurde von Gott verlassen. Wohin die Sünde den Menschen gebracht hatte, dahin brachte die Liebe den Herrn, jedoch mit einer Natur und einem Gefühlsvermögen, in welchen es keine Ent­fernung, keine Absonderung gab, damit alles in seiner ganzen Schwere gefühlt würde. Keiner außer Ihm, der in dieser Stellung war, konnte es ergründen oder fühlen.

Es ist ein über alles Erfassen wunderbares Schau­spiel, den einzig gerechten Menschen, der je in der Welt war, am Ende Seines Lebens erklären zu hören, daß Er von Gott verlassen sei. Aber auf diese Weise verherr­lichte Er Gott wie kein anderer es hätte tun können, und wo kein anderer außer Ihm es vermocht hätte ‑Er, der zur Sünde gemacht war in der Gegenwart Gottes als Gott, ohne irgend einen Schleier, der sie verhüllt hätte, ohne irgendwelche Gnade, um si.‑ ertragen oder damit zudecken zu können.

Die Väter hatten voll Glauben in ihrer Drangsal die Treue Gottes erfahren, die der Erwartung ihrer Her­zen entsprach. Jesus aber (was Seinen Seelenzustand in jenem Augenblick betrifft) schrie vergeblich. Als "ein Wurm und kein Mann" vor den Augen der Menschen, mußte Er das Verlassensein von Gott, auf Den Er Sein Vertrauen setzte, ertragen. Weit davon entfernt, Seine Gedanken zu verstehen, erfassen die Ihn Umgebenden nicht einmal den Sinn Seiner Worte; aber durch ihre Un­wissenheit erfüllen sie die Weissagungen. Jesus, durch die Stärke Seiner Stimme Zeugnis davon ablegend, daß nicht die Schwere des Todes Ihn erdrückte, gibt den Geist auf.

Die Wirkung des Todes Jesu wird uns in diesem Evangelium von einem doppelten Gesichtspunkt aus vor­gestellt. Zunächst zerreißt der Vorhang des Tempels von oben bis unten (V. 51). Gott, der stets hinter dem Vorhang verborgen gewesen war, enthüllte Sich gänzlich vermittelst des Todes Jesu. Der Weg zum Allerheilig­sten ist jetzt geoffenbart, ein neuer und lebendiger Weg, den Gott uns eingeweiht hat durch den Vorhang hin (Hebr. 10, 19. 20). Das ganze jüdische System, die Be­ziehungen des Menschen zu Gott unter der Herrschaft und unter dem Priestertum dieses Systems ‑ alles fiel mit dem Zerreißen des Vorhangs. Jeder Nahende he­fand sich jetzt vor dem Angesicht Gottes, ohne daß ein Vorhang ihn jetzt von Gott getrennt hätte. Die Priester sollten allezeit in Seiner Gegenwart sein. Durch dieselbe Tatsache wurde auch die Sünde, die es für uns unmög­lich gemacht haben würde, in dieser Gegenwart zu ste­hen, für den Gläubigen gänzlich vor Gott hinweggetan. Der heilige Gott und der von seinen Sünden gereinigte Gläubige sind durch den Tod Christi zusammengebracht worden. Welch eine Liebe war es, die das Werk voll­bracht hat!

Sodann war die Wirkung des Todes Jesu so groß, daß, als Seine Auferstehung die Bande zerrissen hatte, welche die Toten festhielten, viele derselben in der Stadt erschienen als Zeugen der Macht Dessen, der, nachdem Er den Tod erlitten, denselben überwältigt, besiegt und seine Macht zerstört oder dieselbe in Seine eigene Hand ge­nommen hatte. Segnung war jetzt in der Auferstehung.

So beweist denn die Gegenwart Gottes ohne Vorhang und die Gegenwart des Sünders vor Ihm ohne Sünde die Wirkung der Leiden Christi. Die Auferstehung der Toten, an welche‑‑‑ der König der Schrecken kein Anrecht mehr hatte, zeigte die Wirkung des Todes Christi für die Sünder sowie die Kraft Seiner Auferstehung. Für die, weiche Glauben haben, ist das Judentum zu Ende, und ebenso die Macht des Todes. Der Vorhang ist zerrissen, das Grab gibt seine Beute wieder. Er ist Herr der Toten und der Lebendigen*.

Doch es gibt noch ein anderes besonderes Zeugnis von der mächtigen Wirkung des Todes Jesu und von der Tragweite des Wortes: "Und ich, wenn ich erhöht bin von der Erde, werde alle zu mir ziehen" (Joh. 12, 32). Als der Hauptmann, der bei dem Kreuze des Herrn Wache hielt, das Erdbeben sah und das, was geschah, bekannte er mil, Zittern die Herrlichkeit Seiner Person; und fremd, wie er in Israel war, legte er das erste Glaubenszeugnis unter den Heiden ab: "Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn!" '(V. 54).

Indes wird die Erzählung noch fortgesetzt. Einige arme Weiber ‑ deren Hingebung in göttlichen Dingen ihnen oft mehr Mut verleiht als den Männern in ihrer mehr verantwortlichen und geschäftlichen Stellung ‑ stehen in der Nähe des Kreuzes und sehen zu, was Dem be­gegnete, den sie liebten (V. 55. 55) **.

 

 

* Die in der Himmelfahrt geoffenbarte Herrlichkeit Christi und Seine Herrlichkeit als "Herr über alles" gehören ge­schichtlich nicht in den Rahmen des Matthäusevangeliums.

** Der Anteil der Weiber in dieser ganzen Geschichte ist sehr lehrreich, besonders für Frauen. Die Tätigkeit des öffentlichen Dienstes, dasjenige, was man "Werk" nennen kann, alles, was gewöhnlich als Dienst bezeichnet wird, kommt seiner Natur nach den Männern zu, wiewohl die Weiber in der Stille an einer sehr köstlichen Tätigkeit Anteil haben. Jedoch gibt es noch eine andere Seite des christlichen Lebens, die besonders das Teil der Frauen ist, nämlich die persönliche und liebevolle Hingabe an Christum. Ein Weib salbte den Herrn, während die Jünger murrten. Weiber standen am Kreuze, als alle, mit Ausnahme des Johannes, Ihn verließen. Weiber kamen zum Grabe und wurden gesandt, um den Aposteln, die alle nach Hause gegangen waren, die Wahrheit zu verkündigen, und Weiber waren es, die dem Herrn mit ihrer Habe dienten. Und das ist noch nicht alles. Die Hingebung im Dienst ist vielleicht das Teil der Männer; aber der Instinkt der Liebe, das, was inniger in die Stellung Jesu eingeht und daher in unmittelbarer Verbindung mit Seinen Ge­fühlen und in engerer Gemeinschaft mit den Leiden Seines Herzens steht, ist das Teil des Weibes. Gewiß, ein glückliches Teil! Die Tätigkeit im Dienst für Christum rückt den Mann ein wenig aus dieser Stellung heraus, wenigstens wenn der Christ nicht wachsam ist. Die Tätigkeit des Mannes und diejenige des Weibes haben beide ihren besonderen Platz. Ich rede von dem, was beide kennzeichnet; denn es gibt Weiber, die viel gedient, und Männer, die viel Gefühl gezeigt haben. ‑ Man beachte hier auch, worauf ich wohl schon früher hingewiesen habe, daß dieses Verbundensein des Herzens mit Jesu, dieses Hangen an Ihm die Stellung ist, in welcher der Seele wahre Erkenntnis mitgeteilt wird. Das erste volle Evangelium wurde jenem armen Weibe verkündigt, das eine Sünderin war und die Füße des Herrn wusch; die für den Tod zubereitende Salbung des Herrn fiel der Maria zu; unsere höchste Stellung wurde der Maria Magdalene mitgeteilt, und die Mitteilung, die Petrus wünschte, wurde dem Johannes zuteil, der an der Brust Jesu lag. Und auch hier haben die Weiber einen großen Anteil.

 

Jedoch sind diese Weiber nicht die einzigen, welche den Platz der erschrockenen Jünger einnehmen. Andere, (und dies ist nicht selten der Fall), die die Welt bis dahin zurückgehalten hat, fühlen ‑ wenn einmal die Tiefe ihrer Liebe aufgeweckt ist durch die Leiden Dessen, den sie wirklich liebhaben, und der Augenblick so schmerzvoll ist, daß viele mit Schrecken erfüllt sind ‑andere, sage ich, fühlen, beherzt gemacht durch die Ver­werfung Christi, daß die Zeit der Entscheidung gekom­men ist und werden furchtlose Bekenner des Herrn (V. 57‑60). Bisher mit denen verbunden, die Jesum ge­kreuzigt haben, müssen sie jetzt entweder die Handlung jener anerkennen oder ihre wahren Gefühle betreffs Christi offenbaren. Durch die Gnade geleitet, tun sie das letztere.

Gott hatte alles zum voraus zubereitet. Sein Sohn sollte Sein Grab bei einem Reichen haben. Joseph von Arimathia kommt kühn zu Pilatus und bittet um den Leib Jesu. Pilatus überläßt ihm denselben, und er wickelt ihn in reine Leinwand und legt ihn in sein eigenes Grab, das noch nie dazu gedient hatte, die Verwesung eines Menschen zu verbergen. Maria Magdalene und die andere Maria* ‑ denn sie waren miteinander bekannt ‑ setzen sich am Grabe nieder, gefesselt durch das, was ihrem Glauben von Dem übriggeblieben war, den sie geliebt hatten und dem sie während Seines Lebens mit Anbetung gefolgt waren (V. 61).

Aber der Unglaube traut sich selbst nicht, und indem er fürchtet, daß das von ihm Geleugnete wahr sein möchte ' mißtraut er allem. Die Hohenpriester bitten Pilatus, das Grab zu bewachen, um jeden Versuch der Jünger zu ver hindern, die Lehre von der Auferstehung auf das Nichtvorhandensein des Leibes Jesu in dem Grabe, in das er gelegt worden war, gründen zu können. Pilatus fordert sie auf, das Grab selbst zu sichern; auf diese Weise diente alles, was sie taten, nur dazu, sie zu unfreiwilligen Zeu­gen der Tatsache der Auferstehung Jesu zu machen, und uns die Erfüllung dessen zu bestätigen, was sie befürch­teten. So war also Israel des ohnmächtigen Widerstandes gegen das Zeugnis schuldig, welches Jesus von Seiner Auferstehung abgelegt hatte; ja, es legt.‑ gegen sich selbst Zeugnis ab von der Wahrheit dieser Auferstehung. Die Vorsichtsmaßregeln, die Pilatus wohl nicht getroffen haben würde, werden von den Hohenpriestern bis zum äußersten getrieben, so daß jeder Irrtum über die Tat­sache der Auferstehung Jesu unmöglich war.

 

* Diese Maria ist das Weib des Kleopas und die Mutter von Jakobus und Joses und wird stets "die andere Maria" genannt. Nach Joh. 19, 25 wird oft gemeint, daß Maria, des Kleopas Weib, die Schwester der Mutter des Herrn gewesen sei. Da‑4 ist aber ein Irrtum. Wir haben in dieser Stelle vier Personen: drei Marien und die Schwester der Mutter des Herrn.

 

Kapitel 28

 

In Matthäus wird die Auferstehung des Herrn nur kurz mitgeteilt. Es handelt sich auch nach der Auferstehung wieder darum, das Amt und den Dienst Jesu, die von nun an auf  Seine Jünger übertragen sind, mit den Armen der Herde, dem Überrest Israels, zu verbinden. Der Herr ver­sammelt sie wiederum in Galiläa, wo Er sie beständig belehrt hatte, und wo, fern von dem Stolz der Juden, die Verachteten des Volkes wohnten. Dies verband ihr Werk mit dem Seinigen gerade in dem Punkte, der es im Blick auf den Überrest Israels besonders kennzeichnete.

Indem ich die Einzelheiten der Auferstehung an an­derer Stelle näher zu betrachten gedenke, beschäftige ich mich hier nur mit der Tragweite derselben in dem Matthäusevangelium.

Nach Ablauf des Sabbats (d. h. für uns am Samstag­abend) kommen Maria Magdalene und die andere Maria, um das Grab zu besehen. Das war in diesem Augen­blick alles, was sie taten. Der zweite Vers folgt nicht unmittelbar auf den ersten, Vers 2‑4 gehören zusammen. Als das Erdbeben und die dasselbe begleitenden Ereignisse stattfanden, war außer den Kriegsknechten nie­mand am Grabe. Während der Nacht war alles gesichert, da das Grab mit einer Wache umstellt war; am Morgen der Auferstehung Jesu wußten die Jünger noch von nichts. Als die Weiber am frühen Morgen zum Grabe kamen, tröstete sie der Engel, der an der Tür der Gruft saß, durch die Mitteilung von der Auferstehung des Herrn. Der Engel des Herrn war herniedergekommen und hatte die Tür der Gruft geöffnet, welche der Mensch mit allen möglichen Vorsichtsmaßregeln verschlossen hatte*.

 

* Ich glaube zwar, daß der Herr das Grab verlassen hatte, noch ehe der Stein weggewälzt war; letzteres geschah für sterbliche Augen.

 

 

Indem die Juden die Kriegsknechte beim Grabe aufstellten, haben sie in Wirklichkeit nur die Wahrheit der Predigt der Apostel durch unverdächtige Zeugen ver­bürgt. Die Weiber erlangen durch ihren Besuch am Grabe des Abends vorher und dann am Morgen, als der Engel mit ihnen redete, für ihren Glauben eine volle Gewißheit über die Tatsache der Auferstehung des Herrn.

Nur die Tatsachen werden hier mitgeteilt. Die Weiber waren des Abends am Grabe gewesen. Das Erscheinen des Engels vergewisserte die Kriegsknechte über den wahren Charakter des Hervorgehens Jesu aus dem Grabe; und der Besuch der Weiber am Morgen bestätigte die Tatsache der Auferstehung als einen Gegenstand des Glaubens für sie selbst. Sie gehen hin und verkündigen sie den Jüngern, die so weit davon entfernt waren, das zu tun, was die Juden argwöhnten, daß sie nicht einmal den Versicherungen der Weiber Glauben schenkten. Jesus Selbst erscheint den Weibern, die, den Worten des Engels glaubend, vom Grabe zurückkehrten.

Wie ich bereits früher bemerkte, tritt Jesus jetzt mit Seinem früheren Werk unter den Armen der Herde in Verbindung, fern von dem Sitze jüdischer Überlieferungen, fern von dem Tempel und von allem, was nach dem Alten Bunde das Volk mit Gott verband. Er bescheidet Seine Jünger nach Galiläa, und dort finden und erkennen sie Ihn. Auf diesem alten Schauplatz der Wirksamkeit Christi, nach Jesaja 8 u. 9, empfangen sie von Ihm ihren Auftrag. Deshalb finden wir in diesem Evangelium die Himmelfahrt Christi gar nicht; aber alle Gewalt im Himmel und auf Erden ist Ihm gegeben, und demgemäß erstreckt sich der den Jüngern gegebene Auf­trag auf alle Nationen (Heiden). Ihnen sollten sie die Rechte Jesu verkündigen und sie zu Jüngern machen.

Indes war nicht nur der Name des Herrn der Gegenstand ihrer Verkündigung, noch stand ihre Sendung mit Seinem Throne in Jerusalem in Verbindung. Vielmehr sollten die Jünger Ihn, als den Herrn des Himmels und der Erde, allen Nationen verkündigen, indem sie ihre Lehre auf das Bekenntnis des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes gründeten. Sie sollten nicht das Gesetz, sondern die Gebote Jesu lehren; und Er gibt den Jüngern, die Ihn also bekennen, die Versicherung, daß Er bei ihnen sein werde bis zur Vollendung des Zeitalters (V. 18‑20). Dies verbindet alles, was noch er­füllt werden wird, bis Christus auf dem großen weißen Throne (Offb. 20, 11) sitzt, mit dem Zeugnis, das Er Selbst auf der Erde in der Mitte Israels abgelegt hat. Es ist das Zeugnis von dem Reiche und von seinem Haupte, das einst durch ein Volk verworfen wurde, welches Ihn nicht kannte. Es verbindet das Zeugnis an die Nationen mit einem Überrest in Israel, der Jesum als Messias an­erkennt (aber als auferstanden aus den Toten, wie Er Selbst zu ihnen gesagt hatte), nicht aber mit einem Christus" der als gen Himmel gefahren gekannt ist. Auch stellt es uns weder Jesum allein noch Jehova als den ferneren Gegenstand des Zeugnisses dar, sondern die Offenbarung des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes; das war der heilige Name, durch den die Nationen jetzt mit Gott verbunden waren.