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Bleibt der Gläubige zeitlebens ein armer Sünder?

Stellung und Zustand des Gläubigen

Verfasser: Dr. E. Dönges

gescannt von Antipas II

 

Quelle: Verbreitung der Heiligen Schrift

Anschrift vom Heft: D-6345 Eschenburg 1

Jahreszahl unbekannt.

Aktuelle Anschrift des o.a. Verlages

als Empfehlung für weitere Schriften die dem Christen nützen werden

Verbreitung der Heiligen Schrift

Friedrichstr. 45

D-35713 Eschenburg

 

Anmerkung des Bruders, der den Artikel gescannt hat:

Dieser Aufsatz möge Christen helfen

im Kampf mit der Sünde und den Sünden nicht zu verzagen und mutlos zu werden.

Eine Verbreitung dieses Aufsatzes ist darum herzlich erwünscht!

(Fettgedrucktes ist vom scannenden Bruder erstellt worden.)

 

I.

Nur die Heilige Schrift kann uns wirklich sagen, was Gottes Gedanken über uns sind. Hier allein hören wir, wie Gott über die Menschen urteilt, sowohl über die unbekehrten, als die bekehrten. Unsere eigenen Gedanken und Gefühle können uns in beiden Fällen täuschen, und sie täuschen uns oft. Der Unbekehrte weigert sich lange, meist sogar zeitlebens, anzuerkennen, dass er "schuldig" ist und "verloren", "kraftlos", "gottlos", Gottes "Feind"; obwohl Gottes Wort es sagt. Ebenso fällt es andererseits auch vielen Gläubigen schwer, anzuerkennen, was Gott von ihnen sagt, seitdem sie gerettet sind und darum jetzt "in Christo" vor Ihm stehen. Sie betrachten stets nur sich und glauben ihren eigenen schwankenden Gefühlen und Erfahrungen weit mehr als dem heiligen, untrüglichen und ewigen Wort Gottes. Die Heilige Schrift macht aber augenscheinlich einen Unterschied zwischen Stellung und Zustand des gläubigen, d. h. wiedergeborenen Christen. Wird dies nicht erkannt, so bleibt die gläubige Seele in einer gewissen Gefangenschaft, und sie tritt nicht in die glückselige und herrliche Freiheit der Kinder Gottes ein. Der Gläubige, der seine herrliche Stellung vor Gott nicht kennt, wird seinen jeweiligen Zustand für seine Stellung vor Gott halten und darum bald "zum Himmel aufjauchzen", bald "zum Tode betrübt" sein.

 

Wenn Gottes Wort z. B. sagt: "Daher, wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden" (2. Kor. 5, 17), so ist das natürlich des Christen Stellung. Wenn dagegen Gottes Wort ebenso klar denselben Christen zuruft: "Lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes!" (2. Kor. 7,1), so werden ganz dieselben Gläubigen diesmal nach ihrem Zustand betrachtet. Hinsichtlich der Stellung ist bei den Gläubigen, weil Gott sie in Christo, im Wert Seines Werkes und Seiner Person ansieht, also "alles neu geworden." Hinsichtlich des Zustandes aber ist noch eine Reinigung von allerlei Befleckungen geboten. Somit sind Stellung und Zustand nicht dasselbe.

 

Durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi, des Sohnes Gottes, befinden sich alle, die von Herzen an Ihn glauben, in einer neuen und ewig vollkommenen Stellung vor Gott: "Sie sind durch ein Opfer auf immerdar vollkommen gemacht" (Hebr. 10, 14). Sie stehen gemäß dem Wert des Werkes und der Person Jesu Christi vor Gott. Sie sind also nicht nur in dieser Stunde oder nur heute vollkommen und in der nächsten Stunde oder morgen vielleicht nicht, nein, sie sind es auf immer und ewig, was ihre Stellung betrifft. –

Ihre vollkommene Stellung ist keine werdende, sie ist eine gewordene . Es gibt für die Gläubigen hinsichtlich ihrer Stellung darum keinen Fortschritt, kein Wachstum, also auch unter ihnen keinen Unterschied. Der Apostel Paulus, der gewiss "ein Vater" war und "mehr gearbeitet hat, als sie alle", war hinsichtlich seiner Stellung nicht vollkommener vor Gott als der jüngste Gläubige, das schwächste, unerfahrenste Kind Gottes. Denn beide sah Gott in Christo an. -Christus selbst ist hinsichtlich der Stellung für alle G 1 ä u b i gen "Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erlösung" vor Gott (1. Kor. 1,30). Diese Stellung ist für alle gleich groß und in gleicher Weise vollkommen.

 

Christus hat mit Seinem vollkommenen Opfer nicht nur Sühnung getan für meine Sünden, Er ist auch gerichtet worden für meine anererbte sündhafte alte Natur: für "die Sünde im Fleische" (lies Röm. 8,3). -Wäre Christus nur gestorben für das, was ich getan habe, so hätte dies nicht ausgereicht vor Gott, um mich zu retten und "heilig und tadellos vor sich hinzustellen." Christus musste auch sterben für das, was ich b i n als Nachkomme des gefallenen Adam. So sind wir als Erlöste und Wiedergeborene nicht nur "gewaschen von unseren Sünden" (Offbg. 1,5) und "rein", "ganz rein" (Joh. 13,10), sondern sind auch (weil wir, hinsichtlich unserer verderbten Natur, im Tod Christi richterlich schon unser Todesurteil empfangen haben) "mit Christo gekreuzigt" worden und "gestorben" (Rörn. 6,6-8; Kol. 3,3). Ja, noch mehr: Gott hat uns in Christo "mitauferweckt" und "mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern" (Eph. 2,4-6). So vollkommen und völlig schaut Gott die Gläubigen in Christo an; sie stehen "in Christo", dem Auferstandenen und Verherrlichten, vor Ihm da als eine "neue Schöpfung". Gott redet darum die Seinigen, obwohl noch auf Erden, wo sie noch viel zu lernen haben, auch niemals mehr an als "arme Sünder" oder als „Sünder". Der Apostel sagt zu den Gläubigen: "Da wir noch Sünder waren" (Rörn. 5, 8). Und von einem fortdauernden "armen Sünderturn" der gläubigen Christen zu reden, steht in völligen Widerspruch mit Gottes Wort, das sie nur noch als „Kinder des Lichts", als "Geliebte" und "Heilige" anredet (Eph. 5, 1.8; Kol. 3, 12). Gott kennt die Gläubigen hinsichtlich ihrer Annahme und Stellung nur noch in Christo.

Darum singt ein Zeuge des Herrn fröhlich:

Mein Siegeskranz ist längst geflochten und nichts mehr noch hinzuzutun;

Seitdem der Held für mich gefochten,

Darf ich in Friedenszelten ruhn.

Mich schreckt kein Zorn,

kein Fluch der Sünden,

Kein Tod mehr, keine finstre Macht,

Er hat in Seinem Überwinden

Durch alles mich hindurchgebracht.

Ich kenne mich nicht mehr im Bilde Der alten seufzenden Natur;

Ich jauchze unter Gottes Schilde,

Er kennet mich in Christo nur .

In Christi Schmuck, Triumph und Schöne heb' ich getrost mein Haupt empor

Und mische meine Harfentöne schon in den ew'gen Siegerchor."

 

(Fr. W. Krummacher)

 

Und dies alles ist nicht etwa nur das Teil eines einzelnen und erfahrenen und geistlich geförderten Christen, nein, es ist das kostbare Teil, die herrliche Stellung aller gläubigen, wirklich wiedergeborenen Christen vor Gott, mögen diese nun ihre Stellung kennen oder nicht. Tun sie es, so genießen sie dauernd Frieden mit Gott und vermögen Gott "im Geist und in Wahrheit anzubeten", was so köstlich und ihr Vorrecht ist; denn der Vater sucht solche, die Ihn anbeten (Joh. 4,23; Hebr. 13,15; 1. Petr. 2,5). Tun sie es nicht, so betrüben sie hierin den Heiligen Geist und leugnen die Vollkommenheit ihrer Erlösung und Stellung. Sie nehmen als unbefreite Christen ihre Stellung noch "im Vorhof" ein und sollten doch nach Gottes Wort durch den zerrissenen Vorhang hindurch "mit Freimütigkeit eintreten in das Heiligtum" (Hebr. 10,19-22). Sie sind ja Priester Gottes geworden und, wie wir bereits hörten, "in Christo eine neue Schöpfung". Sie sind Gottes Kinder und darum auch "Gottes Erben" (Röm. 8,16-17; Gal. 4,7).

 

II.

  

Wir sahen bis jetzt aus verschiedenen Stellen der Heiligen Schrift, dass Gott den gläubigen Christen nach der Vollkommenheit des Werkes und der Person Jesu Christi schätzt und ansieht. Der wiedergeborene Christ steht vor Gott "in Christo". In Christo ist seine Stellung, die eine herrliche, ewig unantastbare ist. Darum kann der Apostel an die Gläubigen schreiben: "Gleichwie Er ist (Christus in der Herrlichkeit), sind auch wir in dieser Welt" (1. Joh. 4, 17). Und weiter: "Also ist keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind " 1)  (Röm. 8, 1). "Ist jemand in Christo, da ist eine neue Schöpfung" (2. Kor. 5,17). "Ihr seid in Ihm vollendet" (Kol. 2, 10) Blicken wir aber nun von dieser herrlichen, unantastbaren und ewig vollkommenen Stellung, die alle Kinder Gottes in Christo besitzen, weg auf ihren Zustand! Da gibt es in der Tat nicht nur für sie noch viel zu lernen, da gibt es sogar noch "zu töten" und "abzulegen" und "anzulegen" und zu "wachsen"! Wir hören, dass Gottes Wort den Gläubigen zuruft:

"Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind: Hurerei, Unreinigkeit, Leidenschaft, böse Lust, Habsucht." 2)

 

1) So Röm. 8,1 im Urtext

2) Im Urtext heißt es: "Habet getötet!" Und nachher: "Habet abgelegt!" "Habet angezogen!" doch in der Bedeutung, dass in dem, was schon geschehen ist (bei der Bekehrung nämlich), fortgefahren werde und dass man darin verbleibe!

 

 

"Leget auch das alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliche Reden aus eurem Munde." "Ziehet nun an, als Auserwählte, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Niedriggesinntheit, Milde, Langmut, einander ertragend und euch gegenseitig vergebend!" (Kolosser 3).

 

Dies alles zeigt doch, wie noch viele andere Ermahnungen, die in Gottes Wort an die gläubigen, wiedergeborenen Christen gerichtet werden, dass diese auch nach der Wiedergeburt noch die alte Natur an sich tragen, die sündhaft und zum Sündigen fähig, ja selbst dazu geneigt ist.

 

So müssen wir nach diesen und vielen anderen klaren Stellen aus Gottes Wort bei dem gläubigen Christen unterscheiden zwischen seiner vollkommenen Stellung in Christo und seinem eigenen, praktischen Zustand, der noch keineswegs vollkommen ist. Darum sagt der Apostel: "Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollendet (wörtlich übersetzt: zum Ziel geführt) sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möge, indem ich auch von Christo ergriffen bin. ..So viele nun v o 11kommen sind, lasst uns also gesinnt sein!" (Phil. 3,12-15). Die in Christo Vollkommenen werden also ermahnt, mit göttlicher Energie zur Vollendung zu eilen, d.h. zu dem herrlichen Ziel der Gleichförmigkeit mit Jesu in der Herrlichkeit.-

 

Dieses wunderbare Ziel, die herrliche Gleichförmigkeit mit Jesu Christo, dem himmlischen Haupt, erreicht der Gläubige nicht in diesem Leib. Erst wenn er den neuen und verklärten Leib empfangen hat, ist diese Gleichförmigkeit gekommen. Darum lesen wir, dass der Apostel gerade in jenem Kapitel, in welchem er sagt, dass er noch nicht "zum Ziel gekommen" oder "vollendet" sei, von der Wiederkunft des Herrn redet. Er sagt: "Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der Er ver- mag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen (Phil. 3,20.21).

Also handelt es sich bei der Vollendung nicht nur darum, dass unser jetziger Leib irdisch und gebrechlich ist, während der neue Leib himmlisch und verherrlicht sein wird, sondern vor allem darum, dass in diesem Leib noch die Sünde wohnt, d.h. die sündhafte alte Natur .-Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch." Und da wir aus dem Fleisch geboren sind, so sind wir in uns selbst naturgemäß nur Fleisch, sind von Gott abgefallen und verderbt. Nun sind die Gläubigen allerdings auch "aus dem Geist geboren" worden, als sie die Stimme des Sohnes Gottes hörten. Es ist ihnen allen durch Gottes Wort und den Heiligen Geist eine neue Natur ein- gepflanzt worden. Aber die anererbte alte Natur ist dadurch nicht beseitigt worden, hat auch nicht aufgehört, in dem Gläubigen zu existieren; sie ist auch nicht besser oder gar umgewandelt und heilig geworden. Nein, das alles nicht. -Wohl können die Gläubigen durch den Heiligen Geist, der seit der Wiedergeburt in ihnen wohnt (vgl. Eph. 1,13; 2. Kor. 1,22; Röm. 8,16 u.v.a.), der auch die Kraft des neuen Lebens ist, jetzt der Tätigkeit des Fleisches entgegentreten und sie unterdrücken, aber die alte Natur ist und bleibt darum doch da und ist unverändert schlecht, verderbt und böse.

Weil dies nun so ist, so sagen Tausende von gläubigen Christen, dass sie zeitlebens arme Sünder blieben, was, wie wir sahen, auch ganz und gar gegen Gottes Wort ist, welches die Gläubigen "Heilige" und "geliebte Kinder" nennt, ja, "vollkommen" und eine "neue Schöpfung!" Darum sagt der Apostel: "Da wir noch Sünder waren". Also sind wir es nicht mehr. -Die Gläubigen sind ja "in Christo", wie wir hörten und "nicht mehr im Fleisch" (lies Röm. 7,5 und 8,8-9), d.h. Gott sieht sie nicht mehr an in ihrer früheren verderbten Stellung als Nachkommen des gefallenen Adam. Aber, obwohl sie nicht mehr "im Fleisch" sind, ist und bleibt doch "das Fleisch" (bildlicher Ausdruck für die alte verderbte Natur) noch in ihnen. Und da- rauf kommt es hier an, weil dies von allen Anhängern der falschen Vollkommenheitslehre geleugnet wird. Die Vollkommenheit, welche der gläubige Christ in Christo besitzt, suchen sie in sich selbst, behaupten gar, dass "das Fleisch" in ihnen heilig geworden sei. Aber es gehört ziemlich viel Unaufrichtigkeit oder Gleichgültigkeit gegen das Böse oder Blindheit gegen sich selbst dazu, um zu sagen, dass das eigene Herz nun in sich selbst heilig sei oder es doch allmählich werde. Es ist darum auch ein törichter, vergeblicher, eigenwilliger, uns von Gott nicht verordneter Kampf, unsere alte, verderbte Natur heilig machen zu wollen. Viele solcher Christen, obwohl sie doch vielleicht treu gewandelt hatten- kommen darum vor ihrem Ende noch in tiefe Not und Seelenübungen. Sie hatten nämlich gehofft, dass ihr "alter Mensch", "das Fleisch", doch noch zuletzt heilig werden würde; und siehe, es ist nicht geschehen! -Wir sollen, so viele wir in Christo errettet sind, vielmehr anerkennen, dass unsere anererbte Natur durch die Sünde so unverbesserlich verderbt ist, dass Gott kein anderes Heilmittel für sie hatte als den Tod. Und richterlich ist unser alter Mensch vor Gott durch den Tod dann auch wirklich hinweggetan. So lesen wir: "Indem wir dieses wissen, dass unser alter Mensch (auf Golgatha in Christo) mitgekreuzigt worden ist" (Röm. 6,6). Die Aufgabe des Gläubigen ist nun, diesen Tod zeitlebens hienieden auf den alten Menschen und alle seine Regungen unter Wachen und Beten anzuwenden, ihn im Tod zu halten, auf dass das Leben Christi, welches durch die Wiedergeburt in ihm ist, nun an ihm offenbar werde (2. Kor. 4,10). Und zu dieser Aufgabe ist der Gläubige wirklich befähigt, denn er besitzt den Heiligen Geist. Durch den Heiligen Geist kann, soll und wird der gläubige Christ" „die Handlungen des Leibes töten", oder "die Glieder töten, die auf der Erde sind" (Kol. 3). Das Wort "Glieder" ist hier ein bildlicher Ausdruck für die Äußerungen der alten Natur, für Hurerei, Unreinigkeit, Habsucht usw. Auch wird der wahre Christ "ablegen" Zorn, Wut, Lüge und alles, was dem göttlichen Leben zuwider ist.

Und in dem Maß, als sich der Gläubige der Sünde für tot hält (lies Röm. 6,11), weil er ja in Christo nach seiner sündhaften Natur richterlich weggetan und gestorben ist, wird er in der praktischen Heiligkeit wachsen und zunehmen. Seine Stellung ist schon vollkommen und kann nie vollkommener werden; aber der praktische Zustand des Gläubigen kann und soll gehoben werden. So lesen wir: "Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat" (1. Joh. 2,6). Das Ziel, dem der Gläubige entgegeneilt, ist Christus in der Herrlichkeit, und so ist Christus allein auch der Maßstab für seinen Wandel.

 

Solange der Christ aber in diesem Leib ist, mag er noch so treu wandeln und in der praktischen Heiligkeit auch wirklich wachsen, solange hat er stets das Wort des Herrn Jesus zu beachten: "Wachet und betet!" Und er hat nötig, mit allen Kindern Gottes die Ermahnung zu beachten: "Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget!" Aber es gilt ihm auch zum Trost: "Und wenn jemand gesündigt hat, wir haben einen Sachwalter (Fürsprecher) bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten" (1. Joh. 2,1). Solange das Kind Gottes in diesem Leib ist, wird in ihm beides: "Geist" und "Fleisch" vorhanden sein, und diese werden zeitlebens einander feindlich gegen Überstehen (lies Gal. 5,16 ff).

Der große Apostel Paulus war nicht nur ein auserwähltes Rüstzeug, er war auch ein treuer Christ, der "allezeit das Sterben Jesu an seinem Leibe umhertrug", d. h. der die Wahrheit, dass sein alter Mensch mit Christo gekreuzigt worden war, im praktischen Leben darstellte. Nun ist er einmal in den dritten Himmel entrückt worden (2. Kor. 12). Aber ist seine anererbte alte Natur deshalb heilig oder doch wenigstens besser geworden? Nein! -Treffend sagt ein alter Christ darüber: "Das Fleisch in Paulus war jetzt ebenso geneigt, sich zu überheben, nachdem er im dritten Himmel gewesen war, wie zur Zeit, da er mit Gewalt und Vollmacht von den Hohenpriestern nach Damaskus reiste, um wenn möglich, den Namen Christi von der Erde auszurotten. Ich sage nicht, dass diese Neigung des Fleisches in beiden Fällen dieselbe Kraft hatte, aber sie war in der Zeit nach jener herrlichen Offenbarung ebenso schlecht oder schlechter, weil sie sich angesichts viel höherer und herrlicher Dinge zeigte." Es bedurfte daher, wie Gottes Wort uns sagt, "eines Dornes für das Fleisch", auf dass er sich nicht der hohen Offenbarungen wegen aufblähte (2. Kor. 12,7). Wie ernst und lehrreich! - Wäre das Fleisch (die alte Natur) einer Besserung oder gar Heiligung fähig, so wäre diese bei dem Apostel Paulus nach solchen Offenbarungen im dritten Himmel sicherlich eingetreten. Er musste aber erkennen und bekennen: "Ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt" (Röm. 7,18). -Ja, mit Recht sagt der Apostel Johannes: "Wenn wir (die Kinder Gottes) sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns" (1. Joh. 1,8). Die Sünden sind dem Gläubigen alle vergeben; Gott gedenkt ihrer sogar nicht mehr (Hebr. 10,17). Aber die Wurzel (kurz "Sünde", auch "Fleisch" genannt) ist geblieben und muss allezeit überwacht und im Tod gehalten werden.

 

III.

 

 Die Stelle nun, die von den Anhängern der falschen Vollkommenheitslehre immer wieder als Beweis für diese gelten soll, ist der von ihnen nicht verstandene Vers aus 1. Johannes 3,9: "Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist." Und ferner: "Wir wissen, dass jeder, der aus Gott geboren ist, nicht sündigt, sondern der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an" (1. Joh. 5,18). So sagen denn diese Leute immer wieder: "Wir können nicht mehr sündigen, wir fehlen nicht mehr in alle Ewigkeit, weder in Gedanken, noch in Werken." Fürwahr, für einen gläubigen aufrichtigen Christen, der Gottes Heiligkeit und das menschliche Herz kennt, eine ganz schreckliche Sprache! Der Apostel sagt allerdings: "Der aus Gott Geborene kann nicht sündigen." Er sagt aber nicht: "Der Gläubige kann nicht sündigen", sondern: "Jeder, der aus Gott geboren ist, kann nicht sündigen." Der Christ oder der Gläubige ist aber nicht nur aus Gott geboren, er ist nach seiner alten Natur auch aus dem Fleisch geboren. Und "was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch" und bleibt "Fleisch" und wird nie etwas anderes werden. Es ist und bleibt unverbesserlich schlecht.

Der Gläubige hat also zwei Naturen in sich.

(Anmerkung: vom scannenden Bruder bewusst hervorgehoben)

 In ihm ist "der aus Gott Geborene" und der "aus dem Fleisch Geborene". Absichtlich gebraucht der von Gottes Geist geleitete Apostel hier nicht einmal das in seinen Briefen sonst mehrfach angewandte Wort "Bruder"; denn ein "Bruder" kann noch sündigen. So lesen wir in demselben Brief und Kapitel: "Wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht" (1. Joh. 5, 16). Wenn also der Apostel zuerst sagt: "Der aus Gott geboren ist, kann nicht sündigen" und dann wieder: "Wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht," und ferner: "Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget; und wenn jemand gesündigt hat, -wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten," so muss doch die Stelle: "Der aus Gott Geborene kann nicht sündigen," anders verstanden werden, als die Anhänger jener falschen Vollkommenheitslehre sie tatsächlich verstehen. Man bedenke: es heißt nicht nur: "Der aus G ott Geborene sündigt nicht," sondern: "er kann nicht sündigen." Also ist es eine absolute Unmöglichkeit für jeden, der aus Gott geboren ist, zu sündigen. Warum aber? Weil der Ausdruck: "der aus Gott Geborene" gebraucht ist für das aus Gott geborene Leben, die neue, göttliche Natur des Gläubigen.

 

Aber nun wird jemand fragen: "Warum heißt es denn nicht: ,Das göttliche Leben' oder, d i e  n e u e  N a t u r' oder ,alles, was aus Gott geboren ist', kann nicht sündigen?" -Der Grund ist sehr einfach und sehr schön, aber auch sehr ernst. Der Apostel Johannes sieht den gläubigen Christen an als das, was er ist vor Gott: als "eine neue Schöpfung" (2. Kor. 5,17). Der Gläubige wird hier ausschließlich und einzig als das betrachtet, was er ist, insofern er aus Gott geboren ist. Es ist hier völlig davon abgesehen, dass in dem Gläubigen, neben dem göttlichen Leben, auch noch die zwar verurteilte, aber doch unveränderte und auch unveränderliche alte Natur ist und bleibt. Der Gläubige wird hier nur angeredet als das, was ihn vor Gott kennzeichnet: "der aus Gott Geborene." Die neue, göttliche und darum absolut heilige Natur, die der Gläubige besitzt, macht ja jetzt im geistlichen Sinn auch nur noch seine Stellung aus, sie ist jetzt sein wahres "Ich" vor Gott. Ähnlich redet auch der Apostel Paulus einmal von sich: "Nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir" (Gal. 2,20). Und diese neue Schöpfung, das neue Wesen, (der Gläubige, insofern er "von" und "in Christo" ist) sündigt nicht. Ja, als aus Gott geboren -und nur so wird der Gläubige hier betrachtet -kann er nicht sündigen. Und so sollte er - das ist nun seine Berufung! - sich selbst betrachten lernen und sein ganzes Leben so in Christo zu führen begehren, wie Gott ihn in Christo betrachtet. Wir wissen ja, dass Gott gesagt hat: "Seid heilig, denn Ich bin heilig!" Demgemäss ermahnt uns der Heilige Geist: " Wenn ihr Den als Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingsschaft in Furcht, indem ihr wisset, dass ihr nicht mit verweslichen Dingen, mit Silber oder Gold, erlöst worden seid... sondern mit dem kostbaren Blute Christi, als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken" (1. Petrus 1, 16-19). Dabei ist aber immer festzuhalten, dass der Gläubige, so lange er in diesem Leib ist, auch noch die sündhafte alte Natur in sich trägt, die nie geheilig wird und im Tod gehalten werden muss. Wir haben dies oben aus vielen Stellen aus Gottes Wort gezeigt; auch die Erfahrung aller aufrichtigen ernsten wahren Gläubigen bestätigt dies (1. Joh. 2, 1). Gerade der Apostel Johannes sagt: "So wir sagen, dass wir keine Sünde haben (die sündhafte alte Natur, "das Fleisch"), so betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns" (1. Joh. 1, 8). Ferner sagt der Apostel, wie wir schon mehrfach anführten: "Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget." Also ist die Fähigkeit des Sündigens bei dem Gläubigen noch da, wenn auch, Gott sei Dank, nicht mehr die Notwendigkeit; denn er besitzt ja jetzt das neue Leben und den Heiligen Geist; und die Gnade, in der er jetzt steht, will und kann ihn bewahren und regieren. Aber in demselben Brief zeigt uns noch eine andere Stelle, dass der Gläubige, was seinen Zustand und den praktischen Wandel betrifft, nie in diesem Leben völlig Christo gleichförmig wird. Die Stelle sagt nämlich: "Wir wissen, dass, wenn es offenbar werden wird, -also nicht früher! - wir Ihm gleich sein werden... Und jeder, der diese Hoffnung zu Ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie Er rein ist" (1. Joh. 3,2). Die Reinigung geht also bei dem treuen Christen voran; sie währt bei ihm das ganze Leben hindurch und zwar im Blick auf Christus in der Herrlichkeit. Man muss also sagen, der Christ bedarf zeitlebens der Bewahrung durch Gott, den Vater; (1. Petrus 1,5) er bedarf auch der Sachwalterschaft Jesu Christi (1. Joh. 2,1) und der fortwährenden Zucht des Heiligen Geistes, wie der Reinigung durch Gottes Wort (lies Gal. 5,16; Joh. 13,10; 17,11-17; Eph. 5,26). Und woher kommt dies? -In dem Christen ist und bleibt, wie wir wiederholt gezeigt haben, "das Fleisch", "die Sünde", "die alte Natur", an welche stets Welt und Satan anknüpfen können. Die Tatsache, dass in Christo, "der alte Mensch mitgekreuzigt worden ist" (Röm. 6,6), hat die Abwesenheit, das Verschwinden oder die Verbesserung der alten Natur nicht zur Folge. Darum wird der gläubige Christ so oft er- mahnt, "Fleiß anzuwenden", "z u w a c h e n " und alle- zeit "zu beten", "nüchtern zu sein", "die volle Waffenrüstung Gottes zu tragen" u. a. m. Und der Geist Gottes ruft allen Gläubigen zu: "Da wir nun diese Verheißungen haben, Geliebte, so lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes!" (2. Kor. 7,1).

 

Aber nie mehr werden, was wir nochmals hervor- heben wollen, die wahrhaft gläubigen oder wieder- geborenen Christen in Gottes Wort noch als "arme Sünder" betrachtet oder angeredet, wenn auch ihr Zustand, wie wir wiederholt sahen, niemals in diesem Leib ihrer herrlichen und vollendeten Stellung in Christo als "einer neuen Schöpfung" völlig entspricht. Sie sind jetzt schon "Heilige" und "Geliebte Gottes", "Kinder Gottes" und "Erben Gottes". Möchten darum doch alle Gläubigen in wahrer Treue und Wachsamkeit allezeit "Nachahmer Gottes sein als geliebte Kinder!" (Eph. 5, I). Wie ernst ist doch das Wort: "Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat!" (I. Joh. 2, 6).

 

Nachwort

Zum Schluss mag es nun gut sein, noch ein Wort zu sagen über das Geheimnis des Fortschritts in der praktischen Heiligung, wie geschrieben steht: "Jaget (oder "strebet") dem Frieden nach mit allen und der Heiligkeit, ohne welche niemand den Herrn schauen wird!" (Hebr. 12, 14). Leider machen sich viele Christen den Weg und Kampf unnütz schwer. Sie sind stets mit sich beschäftigt und ihrem trotzigen und verzagten Herzen, anstatt wegzublicken von sich auf Christum und auf ihr herrliches Teil in I h rn. -Der Apostel sagt: "Mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an- schauend (also nicht sich selbst!), werden wir verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist" (2. Kor. 3,18).

 

Geschieht dies in Wahrheit, so wird der Gang durch die Welt notgedrungen ein Gang des Friedens und der Heiligkeit sein zur Verherrlichung Gottes.

Zur Veranschaulichung: Zwei Brüder wollen sehen, wer von ihnen zum Vaterhaus, das vor ihnen liegt, den geradesten Pfad zurücklegt. Es liegt tiefer Schnee, so können sie gut feststellen, wer gewonnen hat. Der eine geht und blickt, ängstlich trippelnd, stets auf seine Füße und Schritte und schaut nie oder selten hin zum Vaterhaus. Der andere blickt vor allem hin aufs Vaterhaus und geht, es fest im Auge behaltend, darauf zu. -Dort angelangt, schauen beide zurück. Der Pfad des ersteren ist eine einzige Zickzacklinie, der Pfad des anderen aber eine schöne gerade Bahn. -

 

 

Darum ist es weise und durchaus nötig, um "gerade Bahn zu machen" und treu zu wandeln, das Wort des Apostels zu befolgen: "Lasset uns mit Ausharren laufen den vor uns liegenden Wettlauf, hinschauend auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens!" (Hebr.12,1-2).

Ja, wenn 1.) Liebe, persönliche Liebe zu Jesu, "der mich geliebt und sich selbst für mich dahin- gegeben hat," (Gal. 2,20) mein Herz erfüllt, und ich 2.) zum "Glauben die Entschiedenheit* füge", indem ich "allen Fleiß anwende", so wird die Erkenntnis meiner herrlichen, unantastbaren S t e II u n g mir eine stete Freude, ein beständiger Segen sein, und ich werde wandeln Gott zum Ruhm. Aber "der alte Mensch" wird deshalb nicht heilig oder geringer und in sich besser . Zur Illustration: Es schenkt dir jemand einen Blumenstock: neben der Blume steht im Topf ein hohes, hässliches, totes Stäbchen. Du pflegst die Blume treu; sie wächst, blüht, gedeiht. Der tote Stab wird dabei verdeckt. Nun kommt ein Freund zu dir und sagt: "Wie gut, dass der hässliche tote Stab, der neben der Blume stand, weggenommen oder doch kleiner geworden ist." Du sagst: "Ja; aber der tote Stab ist eigentlich nicht weggenommen und nun fort, sondern die Blume ist größer geworden und der tote Stab verdeckt und unsichtbar." -So ungefähr ist es mit dem alten und dem neuen Menschen. Und was ruft uns der Apostel zu: "Da wir durch den Geist leben, lasst uns auch durch den Geist wandeln!" So wird unser alter Mensch, der zwar noch da, aber mit Christus gekreuzigt worden ist, allezeit im Tod gehalten und darum sich nicht offen- baren, und unser praktischer Zustand wird immer mehr unserer herrlichen Stellung in Christo entsprechen, wie wir von Herzen flehen sollen:

"Im Wort, im Werk, in allem Wesen,

sei Jesus und sonst nichts zu lesen!"

Aber völlig wird dies erst der Fall sein, wenn wir Jesum schauen. O selige Hoffnung, herrliches Ziel! Ja, "wir werden Ihm gleich sein, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist!" (1. Joh. 3,1-2)

 

 

*Übersetzt: "Tugend" (2. Petr.l,5). Gemeint ist aber die Entschiedenheit oder Tapferkeit, wie das griech. Wort zeigt.

   

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  17.06.01