THEOLOGIE /
Im
Ordinationsstreit zeigt sich ein grundlegender Unterschied zwischen
Katholiken und Protestanten
Gewitter im
Anzug
Der Dialog
zwischen den Konfessionen war nicht ehrlich genug. Deshalb sind die
jetzt daraus folgenden Enttäuschungen heilsam.
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BUNTE VIELFALT:
Auf einer Messe für Kirchenbedarf werden katholische
Messgewänder angeboten.
Fotos: Benja Weller/Das Fotoarchiv |
RHEINISCHER MERKUR: Herr Professor Härle, der neueste ökumenische
Streit geht um Amt und Ordination. Warum ist die Frage nach dem Amt
so wichtig?
WILFRIED HÄRLE:
Bei der Frage nach dem Amt geht es um das Abendmahl und darüber
hinaus um die Frage der Zugehörigkeit zur Kirche im vollen Sinne.
Nach katholischer Auffassung befähigt erst die Priesterweihe einen
Menschen dazu, am Altar die Wandlung zu vollziehen, die Brot und
Wein Leib und Blut Christi werden lässt. Weil evangelisch ordinierte
Pfarrerinnen und Pfarrer diese Weihe nicht haben, ist das, was am
evangelischen Altar gefeiert wird, aus der Sicht der katholischen
Kirche kein wirkliches Abendmahl.
Deshalb ist die
evangelische Kirche aus römischer Sicht keine Kirche Jesu Christi im
vollen Sinne des Wortes, und ihre Mitglieder gehören folglich nicht
im vollen Sinn zur Kirche Jesu Christi.
Die evangelische
Kirche sagt hingegen, die Fähigkeit, ein Abendmahl gültig zu feiern,
hat jeder Christenmensch aufgrund seiner Taufe. Um der guten Ordnung
willen soll jedoch nur derjenige die Abendmahlfeier leiten, der dazu
von der Gemeinde ordnungsgemäß berufen ist aufgrund einer
Befähigung, die durch ein Studium erworben wird, und aufgrund einer
rechtmäßigen Amtsübertragung durch Ordination oder durch
Beauftragung.
Kardinal
Kasper hat den evangelischen Kirchen vorgeworfen, mit der
Unterscheidung von Ordination und Beauftragung eine ökumenisch
unehrliche Praxis theologisch zu legitimieren. Geben Sie ihm Recht?
Ja und nein. Ja,
sofern es ökumenische Vereinbarungen gibt, in denen die evangelische
Seite den Eindruck erweckt oder bestätigt hat, dass in den
evangelischen Kirchen nur Ordinierte berechtigt seien, eine
Abendmahlfeier zu leiten. Aber das stimmt faktisch nicht generell.
Nein aber insofern, als die evangelische Kirche sich im Grundsatz
immer an das Kriterium der rechtmäßigen Berufung gehalten hat, von
der auch im Artikel 14 des Augsburger Bekenntnisses die Rede ist, ob
sie nun in Form einer Ordination oder einer Beauftragung
ausgesprochen wird.
Hat
die evangelische Seite in der Ökumene bisher zu wenig Profil
gezeigt?
Es wäre sicher
günstiger gewesen, sie hätte auch in früheren Texten ihre Position
klarer zur Geltung gebracht und nicht gelegentlich den Eindruck
erweckt, die Ordination sei eigentlich etwas ganz Ähnliches wie die
Priesterweihe. Aussagen, die nicht genau stimmen, das Bemühen, die
Kanten abzuschleifen, damit die Positionen besser zusammenpassen,
oder auch die Angst, dem Partner die eigene Überzeugung zuzumuten –
all das rächt sich über kurz oder lang.
Warum
machen die evangelischen Kirchen einen Unterschied zwischen
Ordination und Beauftragung?
Weil es sinnvoll
ist, zu unterscheiden zwischen der vollen, umfassenden Ausübung des
Amtes und einer begrenzten oder teilweisen Wahrnehmung – und
zugleich zu sagen, dass beide Formen am gleichen Auftrag beteiligt
sind. Die Kirche soll das Evangelium verkündigen und die Sakramente
darreichen.
Wer diesem
Auftrag in vollem Umfang nachkommt, braucht theologische Kompetenz,
wie sie durch ein Theologiestudium und ein Vikariat erworben wird.
Das wird bescheinigt mit der Ordination, verbunden mit der
Handauflegung und der Segensbitte. Wer einzelne Aspekte dieses Amtes
oder begrenzte Formen wahrnimmt, als Lektor, als Prädikant, als
Religionslehrer, als Kantor oder Küster, braucht eine begrenztere
theologische Kompetenz, deshalb wird er beauftragt.
Diese
Unterscheidung, sagt Kardinal Kasper, geht an der Bibel vorbei und
verstößt gegen das Augsburger Bekenntnis, eine Grundurkunde des
evangelischen Glaubens. Die rede nur von der Ordination.
Es ist
umgekehrt: Das Augsburger Bekenntnis spricht ausdrücklich nicht von
der Ordination, sondern von einem Berufensein. Philipp Melanchthon,
der Hauptverfasser des Bekenntnisses, kannte sehr wohl einen
Unterschied zwischen Berufung, Ordination und Weihe. Und er
gebrauchte bewusst den Begriff der rechtmäßigen Berufung.
In
Schweden und Finnland sind die Lutheraner sozusagen etwas
katholischer geworden. Sie haben sich wieder der apostolischen
Sukzession angeschlossen, der Tradition der ununterbrochenen Kette
der Handauflegung seit den Tagen der Apostel; aus katholischer Sicht
eine Voraussetzung der Weihe. Könnten sich die deutschen Lutheraner
dem anschließen?
Das sollten sie
auf keinen Fall tun. Die Apostolizität der Kirche besteht nach dem
Neuen Testament nicht in einer Kette von Handauflegungen, sondern
nur darin, dass die Kirche das Evangelium, wie es von den Aposteln
bezeugt ist, rein erhält und verkündigt. Wer Zusatzbedingungen als
Sicherungen einführt, sagt Paulus bei einer vergleichbaren Forderung
im Neuen Testament, verliert Christus.
Die
evangelischen Kirchen sollen in gut einem Monat zu dem Papier
Stellung nehmen, das den Streit ausgelöst hat, damit es gemeinsam
beschlossen werden kann. Wäre nach der Warnung aus Rom eine
Denkpause angebracht? Die an der Erarbeitung beteiligte Berliner
Theologin Dorothea Wendebourg hat ein Sondervotum abgegeben, das der
Kritik von Kardinal Kasper entgegenkommt.
Die evangelische
Kirche ist gut beraten, wenn sie sich auf ihrem Weg nicht beirren
lässt und bei dem bleibt, was sie von ihrem Bekenntnis und von der
Heiligen Schrift her als das Richtige erkannt hat. Das Sondervotum
von Frau Wendebourg zeigt, dass der Text einige widersprüchliche
Formulierungen enthält. Die müssen behoben werden. Die Gesamtlinie
ist aber meines Erachtens ein Fortschritt gegenüber dem bisherigen
Diskussionsstand.
Als
der Vatikan und der Lutherische Weltbund 1999 die Gemeinsame
Erklärung zur Rechtfertigungslehre annahmen, haben Sie
widersprochen, und mehr als 250 evangelische Hochschullehrer
schlossen sich Ihrem Protest an. Sie beanstandeten, dass die
evangelische Seite ihr Profil bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffen
habe. Sehen Sie einen Zusammenhang zu den jetzt zutage tretenden
Differenzen? Wäre die Enttäuschung heute kleiner, wenn man damals
vorsichtiger gewesen wäre?
Wir haben damals
unter anderem gesagt, dass diese Erklärung keinen ökumenischen
Fortschritt in der Sache erkennen lasse, dass sie reformatorische
Grundpositionen infrage stellt und es akzeptiert, dass sie aus Sicht
des Partners keine Kirche im Vollsinn ist. Dass die katholische
Kirche das der lutherischen Seite in den Folgejahren erneut so
gnadenlos und offen bescheinigt hat, besonders in der Erklärung „Dominus
Iesus“ von 2000, habe ich nicht erwartet. Insgesamt ist eine gewisse
ökumenische Naivität Lügen gestraft worden.
Auf
dem Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin sprachen Sie von
ermutigenden Enttäuschungen in der Ökumene. Auch jetzt noch?
Ja. Denn durch
das neue evangelische Papier wird auf katholischer Seite eine
Täuschung erkannt, die unter Mitwirkung evangelischer Aussagen
entstanden sein mag. In solchen Enttäuschungen liegt immer ein
Gewinn, wenn auch ein schmerzlicher – solange beide Seiten am
Gespräch darüber festhalten. Es ist außerdem gut, dass wir damit
allmählich auf die Grundthemen stoßen, die auf die Tagesordnung
gesetzt werden müssen, um festzustellen, wo wir im Kern
übereinstimmen oder uns unterscheiden. In der Ökumene hilft nur
Klarheit.
Welches
Thema muss jetzt geklärt werden?
Wir brauchen
einen Dialog über die Frage, was einen Menschen zum Christen und
eine Gemeinschaft von Menschen zur christlichen Kirche macht. Wenn
wir uns darüber verständigen können, hätte das Konsequenzen im Blick
auf die Frage, wie weit wir einander als Kirche anerkennen und
Kirchengemeinschaft aufnehmen können. Erst in diesem Zusammenhang
stellt sich auch sachgemäß die Frage nach dem Amt, die von vielen
als das jetzt vordringliche Thema angesehen wird.
Wilfried Härle
ist Professor für Systematische Theologie in Heidelberg und
Vorsitzender der Kammer der EKD für Öffentliche Verantwortung. Das
Interview führte Wolfgang Thielmann.
©
Rheinischer Merkur Nr. 04, 27.01.2005
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