Messianische Christologie
Teil 4
Messianische Christologie
Eine Studie der hebräischen Prophetie
über das erste Kommen des Messias
4. Teil
Dr. Arnold G. Fruchtenbaum
1. Chronik 17,10b-14 - Der davidische Bund
10b So verkündige ich dir (nun), dass der HERR dir ein Haus bauen wird. 11 Und es wird geschehen, wenn deine Tage erfüllt sind, so dass du zu deinen Vätern hingehst, dann werde ich deinen Nachkommen nach dir aufstehen lassen, der von deinen Söhnen sein wird, und werde seine Königsherrschaft festigen. 12 Der wird mir ein Haus bauen; und ich werde seinen Thron festigen für ewig. 13 Ich will ihm Vater sein, und er soll mir Sohn sein. Und ich will meine Gnade nicht von ihm weichen lassen, wie ich sie von dem habe weichen lassen, der vor dir war. 14 Und ich will ihm Bestand geben in meinem Haus und in meiner Königsherrschaft auf ewig; und sein Thron soll fest stehen für ewig.^
Wir haben Im Rahmen unseres Studiums bereits den abrahamitischen Bund in Gen 22, 18 kennengelernt. (3) Ein weiterer von den acht Bünden in der Schrift, der für die messianische Christologie von Bedeutung ist, ist der davidische Bund. Dieser wird in zwei Teilen der Schrift gefunden. Der erste konzentriert sich auf Davids unmittelbaren Sohn Salomo, und der zweite handelt von Davids entferntem Sohn, dem Messias.
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1Der folgende Beitrag wurde von der Redaktion aus dem Englischen übersetzt. Der 3. Teil dieser Folge (erschienen in FUNDAMENTUM 1/2000) rundete die Ausführungen zu den messianischen Aussagen in den prophetischen Büchern des AT ab. Der vorliegende 4. Teil beschäftigt sich mit den messianischen Abschnitten der Schriften des atl. hebräischen Kanons.
(2) Wenn nicht anders vermerkt, werden die Bibelstellen gemäss der revidierten Elberfelder Übersetzung wiedergegeben.
(3) Siehe FUNDAMENTUM 2/1997, S. 52f.
2. Samuel 7, 11b-16
Der erste Abschnitt ist in der Rolle der Propheten, in 2. Sam 7, 11b-16 zu finden.
11b So verkündigt dir (nun) der HERR, dass der HERR dir ein Haus machen wird. 12 Wenn deine Tage erfüllt sind und du dich zu deinen Vätern gelegt hast, dann werde ich deinen Nachkommen, der aus deinem Leib kommt, nach dir aufstehen lassen und werde sein Königtum festigen. 13 Der wird meinem Namen ein Haus bauen. Und ich werde den Thron seines Königtums festigen für ewig. 14 Ich will ihm Vater sein, und er soll mir Sohn sein. Wenn er verkehrt handelt, werde ich ihn mit einer Menschen Rute und mit Schlägen der Menschenkinder züchtigen. 15 Aber meine Gnade soll nicht von ihm weichen, wie ich sie von Saul habe weichen lassen, den ich vor dir weggetan habe. 16 Dein Haus aber und dein Königtum sollen vor dir Bestand haben für ewig, dein Thron soll feststehen für ewig. Dieser Abschnitt handelt von einem Sohn, der aus den Lenden Davids selbst hervorgehen wird, ein Sohn, der Davids unmittelbarer Nachfolger sein wird. In Vers 16 verspricht Gott drei Dinge als Bestandteile des Bundes:
1. ein ewiges Haus (oder Dynastie),
2. ein ewiges Königreich,
3. einen ewigen Thron.
Als unmittelbar folgenden Beweis für Gottes Treue diesem Bund gegen über wird Davids Linie von einem Sohn weitergeführt, der den Tempel bauen wird, welchen David nicht bauen durfte. Das wird natürlich Salomes Tempel sein. Wenn dieser Sohn sündigt, wie es Salome dann wirklich tat, als er in Götzendienst verfiel, wird er wohl gezüchtigt, aber Gottes Bundesliebe wird mit ihm bleiben.
1. Chronik 17, 14
Die Parallelstelle in 1. Chr 17,14 ist sehr ähnlich, aber es gibt bedeutsame Unterschiede. In 2. Sam 7 ist der Sohn der unmittelbar folgende, in 1. Chr 17 ist er in der Ferne. In 2. Sam 7 ist der Sohn ein Sünder, in 1. Chr 17 wird Sünde nicht genannt. In 2. Sam 7 bezieht sich der Text auf Salome, in 1. Chr 17 auf den Messias.
Die drei Versprechen aus 2. Sam 7 werden hier wiederholt, aber ein viertes wird noch hinzugefügt: ein ewiger Sohn: «Ich will ihm Bestand geben in meinem Haus ... auf ewig.» Davids Linie wird schliesslich in der Geburt einer ewigen Person ihren Höhepunkt finden, deren Ewigkeit Davids Dynastie, Königreich und Thron für immer garantieren wird.
In den vorangegangenen Prophetien sollte «der Same» geboren werden von einer Frau, und jetzt erfahren wir, in welcher Familie des Stammes Juda: in der Familie Davids. Es wird uns gesagt, dass er von einem der Söhne Davids abstammt, doch in Jer 22, 24-30 wird uns eine Familie genannt, die vom Propheten verflucht und ausgeschlossen wird. Das ist die Familie des Konja, auch als Jechonja oder Jojachin bekannt. Wegen seines Verhaltens sprach Gott in den Tagen Jeremias einen Fluch über ihn aus. Dieser Fluch, der in Jer 22, 30 wiedergegeben wird, besagt, dass kein Nachkomme Jechonjas jemals das Recht haben wird, auf Davids Thron zu sitzen. Der Messias musste also als Sohn Davids geboren werden, aber nicht aus der Linie des Jechonja. Im Evangelium nach Matthäus erfahren wir, dass Joseph, der Mann der Maria, der Mutter Jesu, ein Sohn Davids über Salome und Jechonja war. Er und seine Kinder waren daher unter Gottes Fluch und konnten niemals den Thron Davids erben. Das Evangelium nach Lukas gibt uns ganz klar zu verstehen, dass Jesu Abstammung über Maria'^ zurückgeht auf Nathan und David, und es beweist damit die Legitimität von Jesu Anspruch, der Messias zu sein.
1. Chronik 17,10b-14 lehrt:
- Der Messias wird ein Sohn Davids sein (aber über eine andere Linie
als die des Jechonja).
- Der Messias wird ewig leben.
Psalm 2, 7-12 - Der Sohn Gottes
7 Lasst mich die Anordnung des HERRN bekanntgeben! Er hat zu mir gesprochen: «Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt 8 Fordere von mir. und ich will dir die Nationen zum Erbteil geben, zu deinem Besitz die Enden der Erde. 9 Mit eisernem Stab magst du sie zerschmettern. wie Töpfergeschirr sie zerschmeissen.» 10 Und nun. ihr Könige, handelt verständig; lasst euch zurechtweisen, ihr Richter der Erde! 11 Dienet dem HERRN mit Furcht, und jauchzt mit Zittern! 12 Küsst den Sohn, dass er
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(4) Die Genealogie in Luk 3, 23ff. als den Stammbaum Marias zu verstehen ist eine Auslegungsmöglichkeit, sicher ist sie nicht. Red.
nicht zürne und ihr umkommt auf dem Weg; denn leicht entbrennt sein Zom. Glücklich alle, die sich bei ihm bergen!
Das Buch der Psalmen könnte man mit einem einzigen Satz wie folgt zusammenfassen: «Die Psalmen sind die poetische Fassung der Botschaften von Gesetz und Propheten.» Das Buch der Psalmen wird oft als ein reines Gebetbuch betrachtet. Es ist zwar als solches sehr nützlich, aber es wäre falsch, wenn man es ausschliesslich darauf begrenzen würde. Das ganze Buch der Psalmen ist voller tiefgründiger Lehre und tiefer geistlicher Wahrheiten, die in poetische Begriffe eingebettet sind.
Der ganze 2. Psalm handelt vom zweiten Kommen des Messias, von den Ereignissen vorher, während und danach und ganz besonders bei der Schlacht von Harmagedon.(5) Es gibt jedoch einige Elemente, die auch schon für das erste Kommen wichtig sind, vor allem In den Versen 7-12.
Zuerst muss einmal festgestellt werden, dass diese Verse unmöglich auf David angewendet werden können. Obgleich David ein grosser König war, hat Gott ihm doch nie die Autorität über die ganze Erde gegeben (Vers 8), auch hat er nie bis an die äussersten Grenzen der Erde regiert. Diese Verse sprechen vom Messias, der, wie der Psalmist es von den Propheten gehört haben wird, über die ganze Welt herrschen wird. Sogar Raschi gibt zu: «Unsere Rabbis legen es so aus, dass es sich auf den König Messias bezieht.»
Unter den dem Messias gegebenen Titeln ist die Bezeichnung «Sohn Gottes». Dieser wird zweimal in Psalm 2 auf den Messias angewendet: in Vers 7 und 12. Dieser Messias, der König in Jerusalem und über die ganze Welt sein soll, ist auch, ganz allein, der Sohn Gottes. Der Ausdruck «Söhne Gottes» bezieht sich im Plural in der ganzen hebräischen Heiligen Schrift stets auf Engel, entweder auf die gefallenen oder die nicht gefallenen. Der Ausdruck «Sohn Gottes» im Singular bezieht sich dagegen immer und einzig auf den Messias.
Psalm 2, 7-12 lehrt:
- Der Messias wird der Sohn Gottes sein.
Psalm 16 - Der Tod des Messias
1 Ein Miktam. Von David. Bewahre mich, Gott, denn ich berge mich bei dir! 2 Ich habe zum HERRN gesagt: «Du bist mein Herr; es gibt kein Glück für mich ausser dir.» 3 An den Heiligen, die auf Erden sind, an den
(5). Arnold G. Fruchtenbaum, Handbuch der biblischen Prophetie, Asslar: Schulte und Gerth, 1984, 8. 270ff.305.
Herrlichen ist all mein Wohlgefallen. 4 Zahlreich sind die Schmerzen derer, die einem anderen (Gott) nachlaufen: ich werde ihre Trankopfer von Blut nicht spenden und ihre Namen nicht auf meine Lippen nehmen. 5 Der HERR ist das Teil meines Erbes und mein Becher; du bist es, der mein Los festlegt. 6 Die Messschnüre sind mir gefallen auf liebliches Land; ja, mein Erbteil gefällt mir. 7 Ich preise den HERRN, der mich beraten hat, selbst des Nachts unterweisen mich meine Nieren. 8 Ich habe den HERRN stets vor Augen; weil er zu meiner Rechten ist, werde ich nicht wanken. 9 Darum freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele. Auch mein Fleisch wird in Sicherheit ruhen. 10 Denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Grube sehe. 11 Du wirst mir kundtun den Weg des Lebens; Fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar.
Die Betonung in Ps 16, 1 liegt darauf, dass die Zuflucht des Messias in Gott ist, und in Vers 3 darauf, dass er all sein Wohlgefallen an den Heiligen, dem gläubigen Überrest, hat (vgl. die Aussagen von Sach 11, 7.11). In den Versen 4-9 sagt der Psalmist, dass Gott der Vater die vollkommene Hoffnung des Messias im Leben und bis in den Tod sein wird (Vers 10). Sogar im Tod vertraut der Messias immer noch Gott. Die tiefste Aussage des Psalms ist jedoch, dass, obwohl Gottzulässt, dass der Messias stirbt, er dennoch - «meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Grube sehe» - wieder zum Leben auferweckt werden wird.
Psalm 16 lehrt:
-Der Messias wird sich eines einzigartigen Verhältnisses zu Gott,
dem Vater, erfreuen. (Dieser Aspekt des Lebens des Messias wird besonders vom Johannesevangelium betont.)
- Der Messias wird sterben.
- Der Messias wird ins Leben zurück erweckt werden.
Psalm 22 - Die Leiden und die Erhöhung des Messias (6)
Psalm 22 ist der berühmteste der messianischen Psalmen. Der ganze Psalm ist den Ereignissen des ersten Kommens und einigen Aspekten
des zweiten Kommens gewidmet. Der Psalm gliedert sich in zwei Haupt- teile. Der erste handelt von dem Leiden des Messias, der zweite von seiner Erhöhung. Der ganze Psalm könnte als eine poetische Version von
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(6) Hier existieren verschiedene Verszählungen. Wir sind derjenigen der Elberfelder Übersetzung gefolgt. Red.
Jes 53 angesehen werden, obgleich der Psalm vor der Prophezeiung des Jesaja geschrieben wurde.
Die Leiden des Messias (Verse 2-22)
Des Messias Schrei um Hilfe
2 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Fern von meiner Rettung sind die Worte meines Gestöhns. 3 Mein Gott, ich rufe bei Tage, und du antwortest nicht; und bei Nacht, und mir wird keine Ruhe.
Die Verse 2-3 schildern den Messias, wie er in tiefster Qual laut auf schreit. Es ist kein Zufall, dass es genau diese Worte sind, die Jesus schrie, als er am Kreuz hing. Er zitierte diese Worte nach einer Periode von drei Stunden intensiver Dunkelheit. Während dieser drei Stunden war der ganze Zorn Gottes, verursacht durch die Sünde Israels und der Welt, über ihn ausgegossen worden. Dies ist die einzige Stelle in den Evangelienberichten, wo Jesus Gott anredet mit den Worten «mein Gott». Bei jeder anderen Gelegenheit (und es sind mehr als 170 Stellen) sagt Jesus «Vater» oder «mein Vater». Daran wird sehr deutlich, dass Jesus eine ganz besondere, einzigartige Beziehung zu Gott hatte. Am Kreuz jedoch starb Jesus für die Sünden der Welt, und seine Beziehung zu Gott war die zu einem Richter geworden und nicht die zu einem Vater; daher sein Schrei: «Mein Gott, mein Gott!» statt «Mein Vater, mein Vater!»
Gottes Retter Taten In der Vergangenheit
4 Doch du bist heilig, der du wohnst (unter) den Lobgesängen Israels. 5 Auf dich vertrauten unsere Väter; sie vertrauten, und du rettetest sie. 6 Zu dir schrieen sie um Hilfe und wurden gerettet; sie vertrauten auf dich und wurden nicht zusehenden.
Die Verse 4-6 erzählen, wie Gott in der Vergangenheit gerettet hat. Gott ist vollkommen in der Lage zu retten, aber dieses Mal will er es nicht.
Der Messias wird verachtet
7 Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und verachtet vom Volk. 8 Alle, die mich sehen, spotten über mich; sie verziehen die Lippen, schütten den Kopf: 9 «Er hat es auf den HERRN gewälzt, der rette ihn, befreie ihn, denn er hat ja Gefallen an ihm»
Die Verse 7-9 beschreiben mit Ausdrücken, die Jes 53 sehr ähnlich sind, den Hohn und den Spott der bösen Menschen über die Leiden des Messias. Die Worte, die hier benutzt werden, sind in der Tat den verspotten-
den Worten sehr ähnlich, die von der Menge bei der Kreuzigung Jesu geäussert wurden.
Der Messias setzt sein Vertrauen in Gott
10 Ja, du bist es, der mich aus dem Mutterleib gezogen hat, der mir Vertrauen einflösste an meiner Mutter Brüsten. 11 Auf dich bin ich geworfen von Mutterschoss her, von meiner Mutter Leib an bist du mein Gott. 12 Sei nicht fern von mir, denn Not ist nahe, denn kein Helfer ist da.
Die Verse 10-12 stellen fest, dass der Messias von Geburt an auf Gott vertraut hat. Es gibt hier Hinweise auf die Mutter des Messias, aber wie in allen anderen messianischen Prophetien gibt es niemals einen Hinweis auf einen menschlichen Vater. Der Messias wird von einer Jungfrau geboren werden, wie es in Jes 7,14 prophezeit ist.
Die Beschreibung der Agonie
13 Viele Stiere haben mich umgeben, starke (Stiere) von Basan mich umringt 14 Sie haben ihr Maul gegen mich aufgesperrt, (wie) ein Löwe, reissend und brüllend. 15 Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt; wie Wachs ist mein Herz geworden, zerschmolzen in meinem Inneren. 16 Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen; und in den Staub des Todes legst du mich. 17 Denn Hunde haben mich umgeben, eine Rotte von Übeltätern hat mich umzingelt. Sie haben meine Hände und meine Füsse durchgraben. 18 Alle meine Gebeine könnte ich zählen. Sie schauen und sehen auf mich (herab). 19 Sie teilen meine Kleider unter sich, und über mein Gewand werfen sie das Los.
Die Verse 13-19 beschreiben die Leiden des Messias, und einiges wird fast wörtlich im Neuen Testament zitiert.
1. Wie Wasser bin ich hingeschüttet... Das betont ein übermässiges Schwitzen.
2. ... und alle meine Gebeine haben sich zertrennt; Nach dem Annageln am Boden wird das Kreuz senkrecht aufgerichtet und in ein tiefes Loch im Boden fallen gelassen. Dieser heftige Stoss verursacht, dass die Knochen aus den Gelenken springen.
3. ... wie Wachs ist mein Herz geworden...
Eine hebräische Redewendung, die bedeutet, dass das Herz
gebrochen ist, wie es durch das Herausfliessen von Blut und Wasser
be wiesen ist.(7)
4. Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scherbe... Seine Kraft ist völlig geschwunden.
5. ... und meine Zunge klebt an meinem Gaumen; Seine Zunge klebt ihm am Gaumen, ein Zeichen ungeheuren Durstes. Nach sechs Stunden am Kreuz, drei davon in völliger Dunkelheit, sagte Jesus: «Mich dürstet». Während dieser drei Stunden hat Jesus die Ausgiessung des Zornes Gottes durchlitten, die Qualen der Hölle selbst. Jesus hatte vorher einmal von einem reichen Mann gesprochen, der nach nur einigen Augenblicken in der Hölle sagte: «Mich dürstet» (Lk 16). Dass Jesus dieselben Worte gebraucht, zeigt, was für ausserordentlich grosse Höllenqualen er erlitt, als er am Kreuz hing.
6. Sie haben meine Hände und meine Füsse durchgraben.
Das hebräische Wort, das hier für «durchgraben» benutzt wird, ist nicht dasselbe wie in Sach 12, 10. Das Wort in Sach 12 bedeutet «durchbohrt» und könnte mit dem römischen Speer in Verbindung gebracht werden, der Jesu Seite durchbohrte. Das Wort, das hier benutzt wird, würde man z. B. gebrauchen für das Durchstechen eines Ohres; es kann sich hier auf das Annageln der Hände und Füsse Jesu ans Kreuz beziehen. (8)
7. Alle meine Gebeine könnte ich zählen. Seine Knochen stehen hervor.
8. Sie teilen meine Kleider unter sich, und über mein Gewand werfen sie das Los. in Vers 19 werden die Kleider des Messias unter seine Henker verteilt, indem das Los geworfen wird. Auch dieses ist wörtlich bei Jesu Kreuzigung erfüllt worden (Mt 27, 35; Mk 15, 24, Lk 23, 34; Joh 19, 23-24).
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(7) Eine andere mögliche Deutung: Das Herz vergeht vor Leiden und Kummer. Vgl. W. Gesenius, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, bearbeitet von F. Buhl, Berlin: Springer, 1962 (17. Auflage). Red.
(8) Die Bedeutung des in V. 17 gebrauchten Verbs kä'ar ist nicht ganz eindeutig, da diese Form sonst nicht vorkommt. Der Autor leitet es von kärah graben ab, was möglich ist. Dieses Verb wird in Ps 40, 7 für das Durchbohren eines Ohres verwendet. Red.
Alle eben aufgeführten Leiden müssen sich auf den Messias beziehen, weil offensichtlich keines davon je auf David zugetroffen hat.
Das Gebet des Messias um Hilfe
20 Du aber, HERR, sei nicht fern! Meine Stärke, eile mir zu Hilfe! 21 Errette vom Schwert meine Seele, meine einzige aus des Hundes Pranke! 22 Rette mich aus dem Rachen des Löwen und von den Hörnern der Büffel! Du hast mich erhört.
Die Verse 20-22 sind noch einmal ein Hilfeschrei des Messias, während er noch am Kreuz hängt.
Die Erhöhung des Messias (Verse 23-32)
23 Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern; inmitten der Versammlung will ich dich loben.
24 Ihr, die ihr den HERRN fürchtet, lobet ihn; alle Nachkommen Jakobs, verherrlicht ihn, und scheut euch vor ihm, alle Nachkommen Israels!
25 Denn er hat nicht verachtet noch verabscheut das Elend des Elenden, noch sein Angesicht vor ihm verborgen; und als er zu ihm schrie, hörte er.
26 Von dir (kommt) mein Lobgesang in grosser Versammlung; erfüllen will ich meine Gelübde vor denen, die ihn fürchten.
27 Die Sanftmütigen werden essen und satt werden; es werden den HERRN loben, die ihn suchen; leben wird euer Herz für immer.
28 Es werden daran gedenken und zum HERRN umkehren alle Enden der Erde; vor dir werden niederfallen alle Geschlechter der Nationen. 29 Denn dem HERRN (gehört) das Königtum, er herrscht über die Nationen. 30 Es assen und fielen nieder alle Fetten der Erde; vor ihm werden sich beugen alle, die in den Staub hinabfuhren, und der, der seine Seele nicht am Leben erhalten konnte. 31 Nachkommen werden ihm dienen; man wird vom Herrn erzählen einem Geschlecht, das kommen wird. 32 Sie werden verkünden seine Gerechtigkeit einem Volk, das noch geboren wird, denn er hat es getan.
Das Leiden des Messias ist jetzt vollendet, und in den Versen 22b-32 tritt eine Wende ein: sie sprechen von seiner Erhöhung. (9) In Vers 23 wird der Messias Gott in der Mitte der Versammlung preisen. Aber wie kann er das, wenn er zuvor starb? Ganz klar ist, dass dies nur durch die Auferstehung möglich sein kann. Der Rest des Psalms schildert dann weiter, was
V. 22b: «Du hast mich erhört.» Red.
nach seiner Auferstehung geschieht. Es gipfelt schliesslich in seinem zweiten Kommen und im Errichten seines Reiches.
Psalm 22 lehrt:
- In seiner tiefsten Agonie wird der Messias nach Gottes Hilfe schreien.
- Der Messias wird ein verachtetes und verstossenes Individuum sein. - In seinem Todeskampf wird der Messias angegafft und verspottet werden.
- Die Knochen des Messias werden aus den Gelenken springen. - Das Herz des Messias wird brechen.
- Der Messias wird einen ausserordentlich grossen Durst leiden.
- Die Hände und Füsse des Messias werden durchbohrt werden.
- Die Kleider des Messias werden verteilt, und das Los wird darüber geworfen werden.
- Im Augenblick des Todes wird der Messias auf Gott, den Vater, vertrauen.
- Der Messias wird vom Tode auferweckt werden.
Psalm 80,18 - Der Mann zu deiner Rechten
Deine Hand sei über dem Mann deiner Rechten, über dem Menschensohn, den du dir hast stark werden lassen.
Der ganze Psalm 80 handelt von der Rettung Israels als Nation, die kurz vor dem zweiten Kommen des Messias eintritt.(10) Israel fleht nun den Messias an, zurückzukommen; aber in diesem Gebet ist ein Vers besonders bedeutsam bezüglich des ersten Kommens des Messias. Es ist Vers 18, der tatsächlich eine Weiterentwicklung der Lehre von Ps 110,1 ist, welcher eigentlich vorher studiert werden sollte.
Israel betet zu Gott um Rettung; und in Vers 18 ist derjenige, den sie bitten zu kommen und sie zu befreien, derjenige, der zur Rechten Gottes sitzt. In Ps 110 wird uns gesagt, dass dies der Messias ist, der zur Rechten Gottes hinaufgestiegen ist, nachdem er verworfen worden war. Der Titel, der dem Messias in Vers 18 gegeben wird, ist «Menschensohn». Dies ist ein sehr häufiger messianischer Titel im Neuen Testament, vor allem im Lukasevangelium.
Um die Lehre von Ps 110, 1 zu wiederholen: Weil der «Menschensohn» zur rechten Hand Gottes sitzt, muss er Gott gleich sein, und daher haben
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Siehe A. G. Fruchtenbaum, a.a.O., S. 296-297.
wir einen weiteren Vers, der bestätigt, dass der Messias ein Gottmensch sein muss.
Psalm 80,18 lehrt:
- Der Messias wird zur rechten Hand Gottes, des Vaters, sitzen.
- Der Messias muss Gott gleich sein, um zu seiner Rechten sitzen
zu können.
- Der Messias muss daher sowohl Gott als auch Mensch sein.
Psalm 110 - Ein Priester nach der Weise Melchisedeks
1 Von David. Ein Psalm. Spruch des HERRN für meinen Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde gemacht habe zum Schemel deiner Füsse! 2 Den Stab deiner Macht wird der HERR aus Zion ausstrecken. Herrsche inmitten deiner Feinde! 3 Dein Volk ist (voller) Willigkeit am Tage deiner Macht, in heiliger Pracht, aus dem Schoss der Morgenröte habe ich dich wie Tau gezeugt. (11) 4 Geschworen hat der HERR, und es wird ihn nicht gereuen: «Du bist Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks!» 5 Der Herr zu deiner Rechten zerschmettert Könige am Tag seines Zorns. 6 Er wird richten unter den Nationen, er füllt (Täler) mit Leichen. Das Haupt über ein grosses Land zerschmettert er. 7 Auf dem Weg wird er trinken aus dem Bach, darum wird er das Haupt erheben.
Psalm 110 gehört zur vierten Kategorie der messianischen Prophetie (12), d.h. er umfasst das gesamte messianische Programm. In seinen sieben kurzen Versen schliesst er alle vier Perioden des messianischen Programms ein: das erste Kommen, die Zwischenzeit, das zweite Kommen und das messianische Königreich. Der Psalm lässt sich in drei Teile gliedern.(13)
Erste Strophe (Verse 1-2)
Wir sollten zuerst feststellen, dass der Psalmist hier David ist. David war König über das ganze Land Israel. Er gründete ein jüdisches Imperium, indem er die umliegenden Nationen unterwarf und von ihnen Tribut ein zog. David hatte keinen menschlichen Herrn. Es gab keine Autorität über ihm ausser Jahwe selbst. Und doch spricht David in Vers 1 des Psalms von zwei Herren: «Der HERR (Jahwe) sagte zu meinem Herrn ...» David
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(11) Nach einer anderen, u. E. besseren Lesart lautet der Schluss von V. 3: «... aus dem Schoss der Morgenröte (kommt) dir der Tau deiner Jungmannschaft.»Red.
(12) Siehe FUNDAMENTUM 2/1997, S. 44.
(13) In der hebräischen Dichtung auch «Strophen» genannt.
spricht also hier von zwei Persönlichkeiten, von Jahwe und von «meinem Herrn». Aber wer könnte dieser «mein Herr» sein, wo doch David keinen menschlichen Oberherrn hatte? Die einzige Möglichkeit, diesen Vers zu verstehen ist die, dass man Jahwe als Gott, den Vater, ansieht und Davids Herrn als den Messias. Daher ist es der Messias, der hier eingeladen wird, sich zur Rechten Gottes zu setzen. Was wir hier haben, ist eine Prophetie, die bei Jesu Auffahrt von der Erde zum Himmel nach seiner Auferstehung erfüllt wurde, als er sein Erlösungswerk vollbracht hatte und sich zur Rechten seines Vaters setzte.
In dieser Prophetie ist auch die Auffassung vom Gottmenschen implizit enthalten. Wir wissen nämlich aus 1. Kön 2, 19, dass jemand, der zur Rechten des Königs sitzt, dem König ebenbürtig sein muss. Wenn ein König auf Staatsbesuch bei einem anderen König war, dann pflegte er zur Rechten seines Gastgebers zu sitzen. Weil der Messias von Gott aufgefordert wird, sich zu seiner Rechten zu setzen, folgt daraus, dass der Messias Gott ebenbürtig sein muss.
Was seine Menschheit betrifft, so muss der Messias ein Nachkomme Davids sein; aber auf Grund seiner Gottheit kann er zur Rechten Gottes sitzen. Er muss dort eine Zeit lang sitzen, nämlich «bis ich deine Feinde gemacht habe zum Schemel deiner Füsse». Diese Aussage setzt das erste Kommen sowie die Ablehnung des Messias voraus. Das erste Kommen geschieht unter feindseligen Umständen, und in Vers 2 wird gesagt, dass die Feinde von Vers 1 in Zion selbst sind. Weil das erste Kommen abgelehnt wurde, wird der Messias aufgefordert, eine Zeit lang sich zur Rechten Gottes niederzusetzen, bis sich seine Feinde ihm unterwerfen. Dieser Gedanke ist in Ps 80 weiterentwickelt.
Zweite Strophe (Verse 3-4)
Hier finden wir den erwarteten Wandel in den Herzen der Feinde des Messias. Wenn der Messias ein zweites Mal kommt, am Tag seiner Macht, wird sein Volk bereit und willig sein. Dann wird in Vers 4 eine neue und sehr wichtige Aussage bezüglich des Messias gemacht: Er wird Priester sein nach der Weise des Melchisedek. Nach Gen 14 konnte ein Priester nach der Weise Melchisedeks beides sein: Priester und König. Das war vor der Zeit des Mose. Unter dem mosaischen Gesetz war das nicht mehr möglich. Das Gesetz des Mose legte fest, dass alle Priester vom Stamme Levi sein mussten. Es ist also klar, dass notwendigerweise das Gesetz des Mose und die levitische Ordnung aufgehoben werden müssen, damit diese Prophetie erfüllt werden kann. Das Neue Testament lehrt ganz klar, dass mit dem Tode Jesu das Gesetz des Mose ausser Kraft gesetzt worden ist (indem er es erfüllte), und dass
es durch das Gesetz Christi ersetzt wurde. Unter dem neuen Gesetz Christi wird die Ordnung des Melchisedek anstelle der levitischen Ordnung eingesetzt, und so ist der Messias in der Tat Priester und König. Vers 4 stellt fest, dass das Priestertum und das Königtum des Messias ewig sein werden.
Dritte Strophe (Verse 5-7)
Diese Strophe handelt vom zweiten Kommen und gehört somit nicht in den Rahmen dieser Untersuchung.
Psalm 110 lehrt:
- Der Messias wird sowohl Priester als auch König sein, nach der Welse des Melchisedek.
- Der Messias wird Gott und Mensch sein müssen. Um ein Priester zu sein, muss er ein Mensch sein, aber um zur Rechten Gottes zu sitzen, muss er Gott ebenbürtig sein.
- Das erste Kommen des Messias wird abgelehnt werden. - Nach seiner Ablehnung wird der Messias in den Himmel hinauf steigen.
- Nach seiner Himmelfahrt wird der Messias sich zur Rechten Gottes niedersetzen.
- Der Messias wird wiederkommen, wenn Israel Ihn annimmt.
Sprüche 30,4 - Der Name des Sohnes Gottes
Wer ist hinaufgestiegen zum Himmel und herabgefahren? Wer hat den Wind in seine Fäuste gesammelt? Wer hat die Wasser in ein Tuch eingebunden? Wer hat aufgerichtet alle Enden der Erde? Was ist sein Name und was der Name seines Sohnes, wenn du es weisst?
Unter den Worten Agurs in Spr 30 ist ein Rätsel. Das Rätsel besteht aus sechs Fragen, von denen die ersten vier rhetorisch sind. Die Antworten darauf sind offensichtlich, weil nur Gott diese Dinge machen konnte. Die fünfte Frage ist auch leicht zu beantworten, weil der Name Gottes den Menschen schon lange bevor das Buch der Sprüche geschrieben wurde, geoffenbart war. Der Name Gottes, Jahwe (JHWH), wird in modernen Übersetzungen meist als HERR wiedergegeben.
Die sechste Frage ist es, die kompliziert ist: «Was ist der Name seines Sohnes?»
Wir haben schon gezeigt, dass die hebräische Heilige Schrift offenbart, dass Gott einen Sohn hat. Das wurde zweimal in Ps 2 festgestellt.
hier steht es noch einmal. Was aber nicht offenbart wird, ist der Name dieses Sohnes (daher dieses neckende «wenn du es weisst»). Zu diesem Zeitpunkt der progressiven Offenbarung konnte noch niemand seinen Namen wissen. Erst im Neuen Testament wird sein Name als Jesus geoffenbart - «kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, in dem wir errettet werden müssen» (Apg 4, 12). Sein Name ist jetzt geoffenbart.
Sprüche 30,4 lehrt:
- Der Messias, er allein, wird der Sohn Gottes sein.
Daniel 9 - Der messianische Zeitplan
(...) 20 Während ich noch redete und betete und meine Sünde und die Sünde meines Volkes Israel bekannte und mein Flehen für den heiligen Berg meines Gottes vor den HERRN, meinen Gott, hinlegte - 21 und während ich noch redete im Gebet, da, zur Zeit des Abendopfers, rührte mich der Mann Gabriel an, den ich am Anfang im Gesicht gesehen hatte, als ich ganz ermattet war. 22 Und er wusste Bescheid, redete mit mir und sagte: Daniel, jetzt bin ich ausgegangen, um dich Verständnis zu lehren. 23 Am Anfang deines Flehens ist ein Wort ergangen, und ich bin gekommen, um (es dir) mitzuteilen. Denn du bist ein Vielgeliebter. So achte nun auf das Wort und verstehe die Erscheinung: 24 Siebzig Wochen sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt, um das Verbrechen zum Abschluss zu bringen und den Sünden ein Ende zu machen und die Schuld zu sühnen und eine ewige Gerechtigkeit einzuführen und Gesicht und Propheten zu versiegeln, und ein Allerheiligstes zu salben. 25 So sollst du denn erkennen und verstehen: Von dem (Zeitpunkt an, als das) Wort erging, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis zu einem Gesalbten, einem Fürsten, sind es sieben Wochen und 62 Wochen; es werden Platz und Stadtgraben wiederhergestellt und gebaut sein, und zwar in der Bedrängnis der Zeiten. (14) 26 Und nach den 62 Wochen wird ein Gesalbter ausgerottet werden und wird keine (Hilfe) finden. Und das Volk eines kommenden Fürsten wird die Stadt und das Heiligtum zerstören, und sein Ende ist in einer Überflutung; und bis zum Ende ist Krieg, fest beschlossene Verwüstungen. 27 Und stark machen wird er einen Bund für die Vielen, eine Woche lang; und zur Hälfte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen. Und auf dem Flügel von Gräueln
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(14) In Vers 25 ist es nicht leicht zu entscheiden, wo man die Satzzeichen setzen soll; daher gibt es unterschiedliche Übersetzungen und Interpretationen. Wir sind hier der englischen NASB-Übersetzung gefolgt; in der Elberfelder Übersetzung steht: «sieben Wochen. Und 62 Wochen (lang) werden Platz und Stadtgraben wiederhergestellt...» Red.
kommt) ein Verwüster, bis festbeschlossene Vernichtung über den Verwüster ausgegossen wird.
Weit mehr als jedes andere Buch der hebräischen Heiligen Schrift konfrontieren uns die Schriften des Propheten Daniel mit Anhaltspunkten für die Zelt des Kommens des Messias - Beweismaterial, das viele Menschen Heber nicht sehen möchten. Aber es Ist da und kann nicht Ignoriert werden. Dass Daniel wirklich ein Prophet war, das Ist gut untermauert: Er beschrieb genau den Aufstieg des medo-persischen, des griechischen und des römischen Reiches, und das zu einer Zelt, als das babylonische Weltreich, das allen voranging, auf seinem Höhepunkt war. Er sagte ganz genau die Schicksale, Konflikte, Kriege und Verschwörungen der beiden Königreiche Syrien und Ägypten voraus, die entstanden, als das griechische Weltreich zerbrach, sowie die Eroberung durch Rom. Er prophezeite die Rolle der Makkabäer In dieser Zelt. Well Daniel In seinen Prophetien die Details so genau schildert, war dies für viele Kritiker der Grund zu versuchen, die Entstehung des Buches Daniel In eine spätere Zelt anzusetzen. Dabei konnte kein Beweis entdeckt werden, der dagegen spricht, dass das Buch zu der Zeit geschrieben worden Ist, die es selbst angibt. Das Buch war spätestens um 530 v. Chr. vollendet. Die Schlüsselpropheten, die uns In dieser Untersuchung Interessieren, befinden sich In Dan 9, 24-27. Es Ist aber sinnvoll, sich einen Überblick über das ganze Kapitel zu verschaffen, um zu sehen, was eigentlich diese Prophetie darüber, wann der Messias kommen würde, auslöste. Der
Hintergrund (Verse 1-2)
Das Datum von Daniels Prophetie Ist «das erste Jahr des Darius», das heisst das Jahr 539 v. Chr., etwa 66 oder 67 Jahre, nachdem die ersten Juden nach Babylon Ins Exil gehen mussten. Daniel schreibt, dass er zu dieser Zelt die Heiligen Schriften studierte. Und aus dem Studium dieser Schriften gewann er die Erkenntnis, dass die An zahl der Jahre, nach denen die Verwüstung Jerusalems beendet werden sollte, fast erreicht war, weil sie 70 Jahre dauern sollte. Daniel erwähnt, dass er Bücherrollen studierte, und wir können sehen, dass er zum einen die Schriften Jeremias studiert hat. Das Leben von Jeremia und Daniel überschnitt sich In gewissem Masse. Bei zwei Gelegenheiten (Jer 25, 10- 14 und 29, 10-14) sagte Jeremia, dass die Gefangenschaft und die Verwüstung Jerusalems 70 Jahre dauern werde. Welche anderen Bücher Daniel studiert haben mag, wissen wir nicht genau. Aber es Ist möglich, dass er auch das Buch Jesaja studiert hat, weil Jesaja In der Tat Kyrus mit
Namen nannte, als den, der den Juden erlauben würde zurückzukehren (Jes 44, 28 - 45,1). Weiterhin gibt es andere Schriftstellen bei Mose und den Propheten, die einige spezifische Bedingungen für die Errichtung des messianischen Reiches angeben, und Daniel mag einige davon auch angeschaut haben (Lev 26, 40-43; 1. Kön 8,46-53; Jer 3,12-18; Hos 5,15-6, 3). Diese Stellen sagen mit Nachdruck, dass Israel als Nation Busse tun und seine Sünde bekennen muss, bevor irgendein Königreich des Messias errichtet werden kann.
Als er die 70 Jahre vom Jahr 605 (als die ersten Juden ins Exil gingen) an ausrechnete, merkte er, dass dies das Ende der 70 Jahre für das Jahr 536 V. Chr. bringen würde. Daniel erkannte, dass die Gefangenschaft nur noch 3 Jahre dauern würde. Aber Daniel entartete nicht nur, dass die Gefangenschaft zu Ende gehen würde, er erwartete auch eine endgültige Beendigung jeglicher Möglichkeit einer zukünftigen Verwüstung Jerusalems. Er handelte so, als stehe das messianische Königreich unmittelbar bevor: Da das Reich Gottes auf der Grundlage von Gebet errichtet werden sollte, betete er. Und weil er er kannte, dass die Vorbedingung für das Kommen des Reiches das Bekenntnis der nationalen Sünde war, bekannte er die Sünden Israels.
Daniels Gebet (Verse 3-19)
Daniels ausführliches Gebet kann man in zwei Teile gliedern. Der erste (Verse 3-14) ist das Sündenbekenntnis. Daniel gibt beides zu, Sünde und Schuld, in die man auf zwei Weisen geraten ist: erstens durch Ungehorsam dem Gesetz des Mose gegenüber und zweitens durch Ungehorsam gegenüber den Propheten, die nach Mose kamen. Daniel verneinte weder die Sünde seiner Nation noch seine eigene Sünde, und durch den Ge brauch des Pronomens «wir» hat sich Daniel vollkommen mit dem ganzen jüdischen Volk und seinen Sünden identifiziert. Er hat Sünde nicht bloss als eine schlechte Gewohnheit gesehen, sondern als etwas, das im Volk tief verwurzelt war und göttliches Gericht über es gebracht hatte. Dieser Ungehorsam dem Gesetz und den Propheten gegenüber war die Ursache für Israels «Beschämung des Angesichts», eine Redewendung, die aus sagt, dass Israel ein Bewusstsein für seine Schande bekam. Und dies führte auch zu einem Bedürfnis nach Vergebung. Hier bekennt Daniel, dass bei Gott Erbarmen und Vergebung ist, und dass Vergebung not wendig war. Daniel schloss den ersten Teil seines Gebetes mit einer Beschreibung der Bestrafung von Sünde und Schuld. Diese Bestrafung, die Gefangenschaft in Babylon, bestätigte die Worte der Propheten, die sie vorhergesagt hatten, und bestätigte das Gesetz des Mose, das lehrt, göttliches Gericht werde die Folge von Ungehorsam sein.
Der zweite Teil des Gebetes (Verse 15-19) ist ein Flehen um Erbarmen. Daniel machte die Gerechtigkeit zur Grundlage seines Flehens - nicht Israels, sondern Gottes Gerechtigkeit. Er flehte auch um Erbarmen auf der Grundlage von Gottes Gnade, denn Israel hatte kein Erbarmen verdient. Aber der Gnade Gottes war (und ist) es möglich, sich trotzdem zu erbarmen. Und ausserdem verpflichtete die Gerechtigkeit Gottes ihn, seine Verheissungen zu erfüllen: daher sollte er dies am Ende der Periode von 70 Jahren auch tun. Der Schluss von Daniels Gebet ist sehr dramatisch: «Herr, höre! Herr, vergib! Herr, merke auf und handle! Zögere nicht, um deiner selbst willen, mein Gott! Denn dein Name ist über deiner Stadt und deinem Volk genannt worden.»
Die Ankunft Gabriels (Verse 20-23)
Während Daniel noch seine Bitten vortrug, wurde er unterbrochen. Er hatte offensichtlich beabsichtigt, noch mehr zu sagen, als Gabriel erschien. Die Unterbrechung geschah durch eine Berührung durch die Hand des Engels «zur Zeit des Abendopfers» . Dies bezieht sich auf das tägliche regelmässige Abendopfer, das dargebracht wurde, als der Tempel noch stand. Obwohl es seit 586 nicht mehr dargebracht wurde, zeigte Daniel seine Sehnsucht nach der Heimkehr aus der Gefangenschaft und nach dem Wiederaufbau des Tempels dadurch, dass er sich an das Opfer erinnerte. Gabriel sagte zu Daniel, dass der Zweck seines Besuches erstens darin lag, Daniels Missverständnisse bezüglich der Zeit, wann das messianische Königreich errichtet werden würde, zu korrigieren, und zweitens, Gottes Offenbarung zu zeigen, welche einen Zeitplan für das Kommen des Messias enthält.
Die Bestimmung der 70 Siebener (Vers 24a) (15) Gabriels Prophetie an Daniel begann mit den Worten: «Siebzig Siebener sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt...» In vielen Übersetzungen liest man «siebzig Wochen». Aber diese Übersetzung ist nicht ganz genau und hat einige Verwirrung über die Bedeutung dieses Abschnittes gestiftet. Die meisten Juden kennen das Wort für «Wochen», weil sie das Wochenfest feiern, das auf hebräisch Schawuot heisst. Das Wort, das aber in unserem Text erscheint, ist shawuim, was
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(15)Es gibt verschiedene Erklärungen dieser geheimnisvollen Prophetie, vgl. Gerhard Maier, Der Prophet Daniel, in: Wuppertaler Studienbibel, Wuppertal: R. Brockhaus, 1982 (4. Auflage), 8. 338-354. Er geht dort auf verschiedene Auslegungen und deren Schwierigkeiten ein. Red.
Siebener bedeutet Das Wort bezieht sich auf einen Siebener von irgend etwas, und erst der Zusammenhang zeigt, wovon. Hier ist offensichtlich, dass Daniel an Jahre dachte - besonders an die 70 Jahre der Gefangenschaft. Daniel hatte sowohl angenommen, dass die Gefangenschaft nach 70 Jahren enden würde, als auch dass das König reich nach 70 Jahren errichtet werden würde. Aber hier bediente sich Gabriel eines Wortspiels im hebräischen Text, indem er deutlich machte, dass in Bezug auf das messianische Königreich es nicht «70 Jahre» waren, sondern «70 Siebener von Jahren», also 490 Jahre (70 mal 7). Diese Periode von 490 Jahren war über das jüdische Volk und über die heilige Stadt Jerusalem «bestimmt» worden. Das hebräische Wort, das mit «bestimmt» übersetzt wird, bedeutet wörtlich «abschneiden» oder «festsetzen». In den Kapiteln 2, 7 und 8 hat Gott Daniel den Verlauf der zukünftigen Weltgeschichte offenbart, in der Heiden eine beherrschende Rolle über das Jüdische Volk haben würden. Diese lange Periode, die mit dem babylonischen Reich begann und bis zur Errichtung des messianischen Königreiches dauern sollte, wird aus diesem Grunde oft als «die Zeit der Heiden» bezeichnet. Hier aber wird dem Propheten gesagt, dass ein Total von 490 Jahren aus der Zeit der Heiden «herausgeschnitten» wird, und dass eine Periode von 490 Jahren «bestimmt» oder «festgesetzt» worden ist für die endgültige Wiederherstellung Israels und die Errichtung des messianischen Königreiches. Im Brennpunkt dieses Programms der 70 Siebener steht «dein Volk und ... deine heilige Stadt». Das «Volk» ist Daniels Volk, das jüdische Volk, und die Stadt ist Daniels Stadt, Jerusalem. Obgleich er die grösste Zeit seines Lebens in der Stadt Babylon verbracht hatte, war Jerusalem immer noch Daniels Stadt. Für Juden ist ihre Stadt immer Jerusalem und keine andere, ganz gleich, ob sie sich im Land selbst oder ausserhalb des Landes befinden.
Der Zweck der 70 Siebener (Vers 24b)
Daniel wurde als nächstes von Gabriel gesagt, dass die 70 Siebener sechs Zwecke erfüllen müssen.
Der erste liegt darin, das Verbrechen zum Abschluss zu bringen. Das hier mit «zum Abschluss bringen» übersetzte hebräische Wort bedeutet «kräftig zurückhalten», «austilgen» oder «zur Vollendung bringen». Das mit «Verbrechen» übersetzte hebräische Wort ist ein sehr starkes Wort für Sünde und geht der Wortbedeutung nach mehr in die Richtung von «Rebellion». Der hebräische Text hat dieses Wort hier mit dem bestimmten Artikel, so dass es wörtlich bedeutet: «das Verbrechen» oder «die Rebellion». Die Kernaussage ist daher, dass ein spezifischer Akt der
Rebellion endlich vollkommen unter Kontrolle und zu einem Ende gebracht wird. Dieser Akt der Rebellion oder diese Übertretung soll unter vollständige Kontrolle kommen, so dass sie nicht mehr weiter erfolgreich sein kann. Israels Apostasie (16) muss jetzt kräftig Einhalt geboten werden, was mit einer ähnlichen Vorhersage in Jes 59, 20 in Übereinstimmung steht.
Der zweite Zweck der 70 Siebener ist, den Sünden ein Ende zu machen. Das hebräische Wort, das hier mit «ein Ende machen» übersetzt wird, bedeutet wörtlich «versiegeln». Das mit «Sünden» übersetzte hebräische Wort bedeutet wörtlich «das Ziel verfehlen». Es bezieht sich eher auf die Sünden des täglichen Lebens als auf eine spezifische Sünde. Auch diesen Sünden muss ein Ende gemacht werden, und sie müssen weggenommen werden. Auch das ist ganz in Übereinstimmung mit den Vorhersagen der Propheten, die verkünden, dass im messianischen Königreich das Sündigen von Israel weichen wird (Jes 27, 9; Hes 36, 25-27; 37, 23; Jer 31, 31- 34).
Der dritte Zweck liegt darin, die Schuld zu sühnen. Das hebräische Wort, das mit «sühnen» oder «versöhnen» übersetzt wird, ist kaphar und hat dieselbe Wurzel wie kippur, das wir aus «Jom Kippur», dem Versöhnungstag, kennen. Das Wort kaphar bedeutet eigentlich «sühnen». Der dritte Zweck ist also, irgendwie Sühne zu erwirken für die Schuld. Und tatsächlich werden durch diese Sühne die ersten beiden Zwecke erreicht, nämlich dass das Verbrechen zum Abschluss gebracht wird und dass den Sünden ein Ende gemacht wird. Das mit «Schuld» übersetzte Wort bezeichnet (u.a.) inwendige Sünde.(17) Diese ist manchmal als «sündige Natur» bezeichnet worden oder mit einem im jüdischen Volk vielleicht gebräuchlicheren Ausdruck als jetzer hara, «die böse Neigung».
Der vierte Zweck der 70 Siebener ist es, ewige Gerechtigkeit einzuführen. Genauer sollte es übersetzt werden, «um ein Zeitalter der Gerechtigkeit zu bringen», weil das hebräische olam besser mit «Zeitalter» als mit «ewig» übersetzt wird.^^ Dieses Zeitalter der Gerechtigkeit muss das messianische Königreich sein, von dem in den Propheten gesprochen wird (Jes 1, 26; 11, 2-5; 32, 17; Jer 23, 5-6; 33, 15-18). Es ist genau dieses Zeitalter, dessen Errichtung Daniel nach den 70 Jahren der Gefangenschaft zu sehen erwartete. Aber jetzt wird ihm gesagt, dass dies erst nach der 490- Jahr-Periode sein wird.
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(16) Apostasie = Abfall vom Glauben.
(17) Diese Bedeutung ist möglich (vgl. evtl. Ps 51, 7); das Wort bezeichnet aber auch verschiedene einzelne Vergehen und manchmal die Schuld allgemein. Red.
(18) Da hier der Plural olamim als Genitiv dem Begriff Gerechtigkeit nachgestellt ist, scheint doch die Übersetzung «ewige Gerechtigkeit» hier besser. Red.
Der fünfte Zweck ist, Gesicht und Propheten zu versiegeln. Hier bedeutet «versiegeln» soviel wie «bewirken, dass etwas aufhört» oder «völlig er füllen». Also müssen Vision und Prophezeiungen vollständig erfüllt sein. «Gesicht» bezieht sich auf mündliche Prophetie, wogegen «Propheten» sich auf niedergeschriebene Prophetie bezieht. Beides, mündliche und schriftliche Prophetie, wird mit der endgültigen Erfüllung aller Offenbarungen aufhören.
Der endgültige Zweck der 70 Siebener ist es, das Allerheiligste zu salben. Eine bessere Übersetzung wäre hier: «um einen allerheiligsten Ort zu salben». Dies bezieht sich auf den jüdischen Tempel, der wieder aufgebaut werden soll, wenn der Messias kommt. Dies ist derselbe Tempel, den Daniels Zeitgenosse Hesekiel in vielen Einzelheiten beschrieben hat (Hes 40-48).
Der Beginn der 70 Siebener (Vers 25a)
Daniel wurde ganz deutlich gesagt, wann der Countdown für diese 70 Siebener beginnen wird. Gabriel sagte: «So sollst du denn erkennen und verstehen: Von dem (Zeitpunkt an, als das) Wort erging, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen ...» Die 70 Siebener werden also mit einem Dekret beginnen, das den Wiederaufbau der Stadt Jerusalem beinhaltet. Nicht alles in der persischen Chronologie ist so klar, wie wir es gerne hätten, und deswegen gibt es immer noch einige Lücken in unserem Geschichtswissen. Aber aus den biblischen und historischen Berichten, die wir besitzen, können wir vier mögliche Antworten auf die Frage geben, von welchem Dekret hier die Rede ist.
Eines ist das Dekret des Kyrus, das irgendwann zwischen 538 und 536 v. Chr. erlassen wurde, und das den Wiederaufbau des Tempels (2. Chr 36, 22-23; Esr 1, 1-4; 6,1-5) und der Stadt Jerusalem betraf (Jes 44, 28; 45,13). Eine andere Möglichkeit ist das Dekret von Darius Hystaspes (Esr 6, 6-12), das 521 v. Chr. erlassen wurde; es war eine Bestätigung des Dekrets von Kyrus. Die dritte Möglichkeit ist das im Jahr 458 v. Chr. für Esra ausgestellte Dekret von Artaxerxes (Esr 7, 11-26), das die Erlaubnis enthielt, den Tempeldienst fortzusetzen. Die letzte Möglichkeit ist das 444 V. Chr. ausgestellte Dekret des Artaxerxes für Nehemia (Neh 2,1-8). Dieses Dekret betraf ganz besonders den Wiederaufbau der Mauern rund um Jerusalem. Von diesen vier Möglichkeiten sind nur die erste und die vierte gültig für die Erfüllung von Gabriels Worten an Daniel. Für unseren Zweck ist es nicht nötig, an dieser Stelle die verschiedenen Argumentationen für jede Möglichkeit durchzugehen, aber eins ist sicher: Spätestens im Jahr 444 V. Chr. hat der Countdown begonnen.
Die ersten 69 Siebener (Vers 25b)
Die 70 Siebener sind in drei voneinander getrennte Einheiten unterteilt - in sieben Siebener, 62 Siebener und einen Siebener. Während der ersten Periode (49 Jahre) wird Jerusalem wieder aufgebaut werden mit «Platz und Stadtgraben ... und zwar in der Bedrängnis der Zeiten». Der zweite Zeit Block (62 Siebener, 434 Jahre) wird unmittelbar auf den ersten Block folgen. Das sind insgesamt 69 Siebener oder 483 Jahre.
Nun wird uns gesagt, dass der Endpunkt dieser 69 Siebener gesetzt ist: «bis zu einem Gesalbten, einem Fürsten». Klarer hätte Daniel es gar nicht ausdrücken können. Er lehrte, dass 483 Jahre nach dem Erlass des Dekretes, Jerusalem wieder aufzubauen, der Messias hier auf der Erde sein würde. Die offensichtliche Folgerung ist diese: Wenn der Messias nicht 483 Jahre nach einem Dekret, Jerusalem wieder aufzubauen, auf der Erde sein würde, dann wäre Daniel ein falscher Prophet und sein Buch hätte in den hebräischen Schriften der Bibel nichts zu suchen. Aber wenn Daniel recht hatte und seine Prophetie sich erfüllte, wer ist dann der Messias, von dem er spricht?
Die Ereignisse zwischen dem 69. und 70. Siebener (Vers 26)
Während die zweite Einheit der 70 Siebener unmittelbar auf die erste Periode folgen wird, wird die dritte nicht unmittelbar der zweiten folgen. Daniel weist in Vers 26 darauf hin, dass drei Dinge nach diesem zweiten Zeitabschnitt und vor dem dritten eintreten werden. Wenn wir uns in der Zeit zurückbewegen und aus Daniels Perspektive in Vers 26 in die Zukunft schauen, dann sehen wir zuerst, dass der «Messias ausgerottet wird und nichts haben wird». Das mit «ausgerottet» übersetzte hebräische Wort wird oft im Gesetz des Mose verwendet und bedeutet einfach «getötet werden». Der Unterton bei diesem Begriff ist der, dass der Messias nicht nur getötet wird, sondern dass er auf Grund eines Ur teils einen Tod durch Exekution erleiden wird. Der hebräische Ausdruck «und er wird nichts haben» hat zwei Bedeutungen. Es kann «nichts» bedeuten und den Status des Messias bei seinem Tod bezeichnen. Es kann aber auch übersetzt werden mit «aber nicht für sich selbst» (19), und die Bedeutung wäre dann, dass er für andere starb und nicht so sehr für
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(19) Wie Keil es vermerkt, sollte aber dann lö' und nicht 'en als verneinende Partikel stehen. Vgl. C. F. Keil, Biblischer Commentar über den Propheten Daniel, in; C. F. Keil / Fr. Delitzsch (Hrsg.), Biblischer Commentar über das Alte Testament, Leipzig: Dörffling und Franke, 1869, S. 300-301.
sich, also einen stellvertretenden Tod. Die letztere Bedeutung würde viel eher mit dem übereinstimmen, was die Propheten über den Grund für den Tod des Messias zu sagen hatten (z. B. Jes 53, 1-12). Die ersten drei Zwecke der 70 Siebener - das Verbrechen zum Abschluss zu bringen, den Sünden ein Ende zu machen und die Schuld zu sühnen - müssen durch eine Sühnung vollbracht werden. Das Gesetz des Mose schreibt vor, dass Sühnung durch Blut geschieht (Lev 17, 11). Es wird deutlich, dass der Tod des Messias «nicht für sich selbst», sondern für andere, das Mittel sein wird, durch das Israels Verbrechen, Sünden und Schuld gesühnt werden. Die Kernaussage dieses Satzes ist, dass zwischen dem Ende der zweiten Periode (der 69 Siebener also) und dem Beginn des 70. Siebeners der Messias getötet werden wird und den Tod als Strafe, als stellvertretenden Tod, erleiden wird. Zweitens wird während dieser Zwischenzeit auch geschehen, dass «das Volk eines kommenden Fürsten die Stadt und das Heiligtum zerstören wird, und sein Ende ist in einer Überflutung (oder wie eine Flut) ...» Die Stadt und der Tempel, die auf Grund des Dekretes, mit dem die 70 Siebener begannen, wieder aufgebaut werden sollen, die werden dann zerstört werden. Einige Zeit, nachdem der Messias ausgerottet werden wird, wer den Jerusalem und der Tempel eine weitere Zerstörung erleiden. Unsere Kenntnisse der Geschichte jener Periode sind ausserordentlich klar: Das für diese Tat verantwortliche Volk waren die Römer, und Jerusalem und der Tempel wurden im Jahre 70 n. Chr. zerstört. Gestützt auf diesen Vers wird auch klar, dass der Messias vor dem Jahr 70 n. Chr. gekommen und gestorben sein muss. Wenn das nicht geschehen wäre, wäre Daniel ein falscher Prophet. Wenn ein solches Ereignis aber eingetreten ist, dann muss die Frage beantwortet werden, wer denn der Messias war, der vor 70 n. Chr. getötet wurde. Und das dritte, was beachtet werden muss, ist: «und bis zum Ende ist Krieg, fest beschlossene Verwüstungen». Für den übrigen Zeitraum zwischen dem 69. Siebener und dem 70. Siebener soll das Land gekennzeichnet sein durch Krieg, und das Ergebnis davon wird Verwüstung sein. All dies wird dann die Bühne für das Finale, für den 70. Siebener, vorbereiten.
Der 70. Siebener (Vers 27)
Von unserem Standpunkt in der Geschichte aus gesehen sind die letzten sieben Jahre von Daniels Prophetie noch prophetisch, noch in der Zu kunft, aber mit ihrer Erfüllung werden alle sechs Zwecke von Vers 24 verwirklicht. Die Hauptaussagen des Verses sind folgende: Erstens wird der 70. Siebener erst dann beginnen, wenn ein Siebenjahres-Bündnis oder ein
Vertrag zwischen Israel und einem politischen Führer einer grösseren nicht jüdischen Macht unterzeichnet wird. Das Pronomen «er» in Vers 27 bezieht sich auf die nächststehende Bezugsperson, und das ist nicht der Messias, sondern «der kommende Fürst». Dieser politische Fürst ist bei den Christen besser bekannt unter der Bezeichnung «Antichrist». Zweitens: In der Mitte dieser Periode, das heisst nach 3 1/2 Jahren, wird dieser Führer der Heiden seinen Vertrag mit Israel brechen und bewirken, dass das Opfersystem eingestellt wird. Voraussetzung dafür ist, dass zu dieser Zeit wieder ein Tempel in Jerusalem errichtet und das Opfersystem Moses eingeführt worden ist. Dann aber wird es mit Gewalt beendet. Drittens: Das Ergebnis des Bruchs dieses Bündnisses wird sein, dass der Tempel durch einen Greuel verunreinigt sein wird. Dieser Greuel bezieht sich auf eine Statue oder ein Götzenbild. Wie es in den Tagen des Antiochus Epiphanes war, so wird es in Zukunft wieder sein, wenn ein heidnischer Führer den Tempel durch Götzendienst entweihen wird. Viertens: Auf diese Entweihung muss in der restlichen Hälfte des 70. Siebeners (den letzten 3 1/2 Jahren) Zorn und Verwüstung folgen, Verfolgung und Krieg. Dies erinnert an die Prüfungen und Trübsale, von denen die Rabbis gesprochen haben, dass sie die Vorbereitung für die Errichtung des messianischen Reiches seien. Diese schrecklichen Tage werden als «die Fussstapfen des Messias» bezeichnet. Aber wenn dann diese schrecklichen Dinge ihren Lauf genommen haben, werden die letzten drei der in Vers 24 vorhergesagten Dinge eintreten: Nach dieser Periode wird ein Zeitalter der Gerechtigkeit anbrechen, in dem das Allerheiligste gesalbt und jede Vision und Prophetie erfüllt werden wird. Zu diesem Zeitpunkt wird das messianische Königreich errichtet werden, nach dem der Prophet Daniel sich so sehr sehnte. Ganz offensichtlich erfordert ein messianisches Königreich, dass der Messias als König herrscht. Das bedeutet, dass der Messias nach dem 70. Siebener kommen wird. Aber Daniel hatte doch vorher behauptet, dass der Messias kommen und nach dem 69. Siebener getötet werden würde. Das würde einen Widerspruch bedeuten, es sei denn, Daniel spräche von zwei Kommen des Messias. Das erste Kommen wäre dann nach dem 69. Siebener, wenn er als Verurteilter einen stellvertretenden Tod für die Sünden Israels sterben würde und dadurch die ersten drei in Vers 24 genannten Zwecke erfüllte. Das zweite Kommen wäre nach dem 70. Siebener (noch in der Zukunft), wenn er das messianische Königreich errichten und die drei letzten Dinge von Vers 24 bewirken würde. Es gibt aber noch einen weiteren wichtigen Hinweis, den wir nicht übersehen dürfen: Der Messias wird nach seinem ersten Kommen getötet, aber er wird bei seinem zweiten Kommen lebendig sein. Das bedeutet, dass der Messias nach seiner Hinrichtung von den Toten auferweckt werden wird.
Schlussfolgerungen
Diese dramatische Prophetie zeigt gewisse Dinge in sehr klaren und unmissverständlichen Worten.
- Erstens, dass der Messias 483 Jahre nach dem Erlass zum Wiederaufbau Jerusalems auf der Erde leben muss.
- Zweitens, dass er nach dem Erscheinen auf der Erde getötet werden muss, aber nicht für seine eigenen Sünden, sondern für die Sünden anderer, und dass dieser Tod die Hinrichtung nach einem Prozess sein wird.
- Drittens, dass der Tod des Messias eintreten muss, bevor Jerusalem und der Tempel wieder zerstört werden, also vor dem Jahre 70 n. Chr.
- Viertens, dass irgendwann nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels, nach einer langen Zeit von Kriegen, der 70. Siebener beginnen wird. Wenn dieser seinen Lauf beendet hat, wird das messianische Königreich errichtet und ein Zeitalter der Gerechtigkeit beginnen. Damit das geschehen kann, wird vorausgesetzt, dass der Messias, der getötet worden war, wiederkommen wird. Aber wer ist dieser Messias? - Ein einziger Mensch erfüllt alles, was diese Schriftstelle fordert. Jesus von Nazareth wurde in die jüdische Welt hinein geboren und verkündete seine Messianität 483 Jahre nach dem Erlass des Dekrets, Jerusalem wieder aufzubauen. Im Jahre 30 n. Chr. wurde Jesus durch Kreuzigung hingerichtet. Daniel deutete an, dass er sterben würde, nicht um seiner selbst, sondern um anderer willen. Auch in Jes 53 wurde der Tod des Messias prophezeit und darauf hingewiesen, dass er einen stellvertretenden Tod für sein Volk Israel sterben würde. Die Lehre des Neuen Testamentes ist, dass Jesus den Tod eines Verbrechers starb, indem er die Strafe des Gesetzes stellvertretend für sein Volk auf sich nahm. In Übereinstimmung mit Dan 9, 24 starb er, um Sünden zu sühnen. Drei Tage nach seinem Tod wurde er auferweckt. Und schliesslich erklärt das Neue Testament, dass er eines Tages wiederkommen wird, um sein Reich und das Zeitalter der Gerechtigkeit aufzurichten. Wenn Daniel Recht hat, dann kam der Messias und starb vor dem Jahre 70 n. Chr. Wenn Daniel Recht hat, gibt es keine andere Antwort auf die Frage, wer der Messias ist, als diese: Jesus von Nazareth. Wenn Daniel Recht hat, dann muss dieser Jesus wiederkommen und das messianische Königreich aufrichten.
Der Zeit Plan des Messias
Daniel 9,24-27 lehrt:
- Der Messias soll 483 Jahre nach dem Erlass, Jerusalem wieder
aufzubauen, geboren werden.
-Der Messias wird nach einer Gerichtsverhandlung hingerichtet werden. - Der Tod des Messias wird zu der Zerstörung Jerusalems und des Tempels führen.
- Die Geburt und der Tod des Messias müssen daher vor 70 n. Chr. geschehen sein. (Fortsetzung folgt)