Kleine Sektenkunde
1994 / 4
Ex.: FUNDAMENTUM
Zeugen Jehovas
Dr. theol. S.
Leuenberger
I. Einige entwicklungsgeschichtliche Fakten
1. Charles Taze
Russel als Initiant der Sekte
Der 1852 in
Pittsburgh/Pennsylvania geborene Russel
betätigte sich als Fachmann in der Herrenmode.
Bereits in jungen Jahren verfügte er über ein
grosses Vermögen.
Ursprünglich gehörte
Russel der Presbyterianischen Kirche an. Dort
fand er jedoch nicht die für ihn richtige
Nahrung. Er meinte, die
Kongregationalistenkirche könnte ihm die nötige
geistliche Kost bieten. Doch auch in der
Gemeinde der Kongregationalisten fühlte er sich
nicht wohl, weil er dort
auch der Lehre der
doppelten Prädestination begegnete. Diese Lehre
er- füllte ihn mit Abscheu. Für Rüssel kam nach
dieser Enttäuschung eine Zeit, wo er an der
Bibel irre wurde.
Im Jahre 1870 kam er
mit einer von den Adventisten abgespaltenen
Gruppe in Berührung. Diese Splittergruppe
lehrte, die Wiederkunft Christi werde 1872 oder
1873 stattfinden. Da sich die Prophezeiung nicht
erfüllt hatte, wich die Splittergruppe auf das
Jahr 1874 aus. Solche Machenschaften er weckten
in Russel Misstrauen, und so verband er und sein
Bibelgesprächs kreis sich mit ehemaligen
Adventisten, die sich «Second Adventists»
nannten. Dort fand er in N. H. Barbour, der das
Blatt «The Heraid of the Morning» redigierte,
einen Freund. Russel gelang es, in der Redaktion
dieses Blattes mitzuarbeiten. Doch
Lehrdifferenzen brachten die beiden aus
einander, so dass sich Russel von Barbour 1878
trennte und aufgrund der gewonnenen
Redaktionserfahrung einen eigenen
Zeitschriftenverlag zu gründen wagte, nämlich
«Zion's Watch Tower and Heraid of Ghrist's
Presence» (Zions Wachtturm und Herold der
Gegenwart Christi).
Zeugen Jehovas 39
1879 heiratete er in Pittsburgh seine
Verlagsangestellte Maria Francis Ackley. Es kam
zu grossen Spannungen, weil Russel die
literarische Tätigkeit seiner Gattin als
Konkurrenz empfand. 1906 kam es zur Scheidung.
Viele Anhänger distanzierten sich deswegen von
Russel.
Am Anfang seiner
Wirksamkeit hatte Rüssel noch die Gelegenheit,
in den etablierten Kirchen Vorträge zu halten;
denn damals vertrat er auch noch die wahre
Ökumene aller wahrhaft Gläubigen quer durch alle
Konfessionen hindurch, was in den Ausgaben des
Wachtturms aus dem Jahr 1910 noch spürbar war.
Doch begannen sich etwas später fanatisierende
Tendenzen immer mehr mit unbiblischen Ansichten
zu paaren, so dass sich für ihn die Türen der
Kirchen nach kurzer Zeit schlössen. Seine
Reaktion auf die zu nehmende reservierte Haltung
der Kirchen zeigte sich darin, dass er deren
Mitglieder dazu aufrief, ihre Denominationen zu
verlassen.
Er sammelte nun vom
Jahr 1878 an alle Leser der «Wachtturm-Traktate»
zur sog. «Ecciesia», die er aber bis gegen das
Jahr 1910 noch nicht als Konkurrenz zu den
etablierten Denominationen verstand, sondern
eher als ergänzende Gesinnungsgruppen, die den
Akzent auf die unmittelbar bevor stehende
Wiederkunft Christi setzten. Er teilte diese in
weitere Gruppen auf. Die Hauptaufgabe einer
Gruppe bestand darin, die Traktate Russels
bekannt zu machen. Aus den Gruppen der
«Ecciesia» rekrutierte er Kolporteure, welche
die Traktate in die Häuser bringen und Kunden
für ein Wachtturm-Abonnement gewinnen mussten.
Mit dem Erlös hatten sie ihren Lebensunterhalt
zu bestreiten.
1889 verkaufte
Rüssel sein Kleidergeschäft. Die dadurch flüssig
gemachte Geldsumme investierte er in sein Werk,
das er in eine Aktiengesellschaft umwandelte.
Das Werk wuchs derart schnell, dass Rüssel in
New York zwei Gebäude zu kaufen und das Werk zu
einem Konzern auszuweiten vermochte. Im Jahre
1907 war es so weit, dass Rüssel der
Wachtturmgesellschaft ein siebenköpfiges
Direktorium gab; die Kompetenz zur
Veröffentlichung von Wachtturm-Traktaten
übertrug er einem fünfköpfigen Komitee. Seine
Gründung erhielt 1939 den Namen «Watch Tower
Bible and Tract Society of New York».
Seit 1884 reiste
Russel rastlos in den Staaten umher. Sein
ungeheurer Fleiss zeigte sich darin, dass er
seine Predigten und Vorträge an fast drei
tausend Zeitungen in den USA und Europa
versandte. Im Verlauf seines Lebens hat Russel
gegen dreissigtausend Predigten gehalten und auf
seinen Reisen 1.6 Millionen Kilometer
zurückgelegt. Seine schriftlichen Erzeugnisse
umfassen fünfzigtausend Druckseiten. Seine
wichtigsten Lehren finden wir in den
«Schriftstudien», die insgesamt eine Auflage von
sechzehn Millionen Exemplaren erreicht haben.
Russel leistete Enormes als Bibelforscher,
Schriftsteller, Redner und Organisator, jedoch
vor allem in quantitativer Hinsicht. Russel
erging sich in Spekulationen über
40 Zeugen Jehovas
die Wiederkunft Christi und das Tausendjährige
Reich, dessen Anbruch er für das Jahr 1914
prophezeite. Fehlerhafte eschatologische
Prognosen versuchte er immer wieder durch
Flickwerk zu retten.
Eines müssen wir
Rüssel im Gegensatz zu seinem Nachfolger zugute
halten: Er dachte in positivem Sinn über die
Juden, deren zionistische Bewegung er als ein
deutliches Zeichen der Endzeit wertete. Rüssel
besuchte das Heilige Land und pflegte Kontakte
zu Juden. Es war auf der Heimreise von einer
Vortragstour, als er am 30. Oktober 1916 vom Tod
ereilt wurde.
2. J. F. Rutherford baut die
Wachtturmgesellschaft weiter aus
Der Jurist J. F.
Rutherford war stellvertretendes Mitglied jenes
Gremiums, das für die Veröffentlichung der
Wachtturm-Traktate die Verantwortung hatte. Das
Direktorium wählte diesen tüchtigen Juristen als
Nachfolger Russels
Rutherford stammte
aus einer baptistischen Farmerfamilie, die in
Missouri ansässig war. 1894 lernte er die
Wachtturmgesellschaft kennen. 1906
wählte diese ihn zum
Rechtsberater. Rutherford zeichnete sich aus
durch geschickte Taktik und grosses Können in
organisatorischen Angelegenheiten. An Hingabe
und Opferbereitschaft fehlte es Ihm nicht. Er
formte Russels Lehren um, indem er diesen ein
stark juristisches Gepräge gab. Als
Rechtsgelehrter gehörte Rutherford zu den
wenigen Akademikern der Wachtturm-Gesellschaft.
Er fühlte sich deshalb auch über die etwas
einfachen Gemüter dieser Organisation erhaben,
was u.a. durch sein kaltschnäuziges Gebaren zum
Ausdruck kam. Kraft seiner Stellung gelang es
ihm, die Glaubensgenossen zu gehorsamen
Funktionären zu machen. Rutherford gab zwei
Mitarbeitern den Auftrag, das sechsbändige Werk
Russels, seine «Schriftstudien», mit einem
siebenten Band zu erweitern. Damit wollte er die
Theologie Russels verfremden und untergraben.
Nach dem man im Direktorium diese Machenschaften
erkannt hatte, brach eine kräftige Opposition
gegen Rutherford aus. Dieser schmiss jedoch die
uniebsamen Kritiker heraus und besetzte das
Direktorium eigenmächtig mit seinen Anhängern.
Auf dem Kongress in Columbus/Ohio kam im Jahre
1931 der Name «Zeugen Jehovas» auf. Die
Wachtturm-Gesellschaft stützte diesen Namen auf
Jes 43, 10-12 ab. Es kamen Namensergänzungen
hinzu wie «Theokratische Organisation», «Neue
Weltgesellschaft». Die typischen Züge einer
Sekte traten erst mit dem Machtantritt
Rutherfords in Erscheinung. Die
Lehrveränderungen wurden seit der ersten grossen
Versammlung unter Rutherford in Cederpoint/Ohio
im Jahre 1919 deutlich, was sich in der
Zeitschrift «Erwachet» zeigt. Unter Rutherford
kam ein stark antizionistischer Zug auf, wobei
die Behauptung eine grosse Rolle spielt.
Zeugen Jehovas 41
die Juden seien nun
nicht mehr das erwählte Bundesvolk Gottes,
sondern diese Würde sei seit 1918 auf die
exklusive endzeitliche Heilsgemeinde der Zeugen
Jehovas übergegangen.^ Rutherfords Werk umfasst
achtzehn Bände mit durchschnittlich 350 Seiten
und 32 Traktate. Polemik und Beschimpfungen
vermischt mit Bibelinterpretationen prägen seine
schriftstellerischen Erzeugnisse. Unter seiner
Führung ging die vorerst noch demokratische
Organisation immer mehr verloren. Die Mitglieder
konnten nicht mehr die Leiter der örtlichen
Versammlung wählen; diese wurden unter
Rutherford vom Direktorium bestimmt. Aus der
anfänglich demokratischen Verfassung wurde eine
autoritäre theokratische Ordnung. Rutherford
rief jährliche Kongresse ins Leben, um die
Anordnungen des Direktoriums bzw. der Zentrale
den Mitgliedern bekannt zu geben. Gerade die
Kongresse sollten durch ihre hervorragende
Organisation Werbung nach aussen hin sein. Es
gibt nicht nur Bezirks- und Länderkongresse,
sondern auch Weltkongresse. Die Zeugen Jehovas
gehören zu den kongressfreudigsten
Glaubensgemeinschaften.
3.
Nathan Homer Knarr und die weitere Entwicklung
der «Theokratischen Organisation»
Rutherford starb
1942. Sein Nachfolger wurde der 1905 geborene
Nathan Homer Knorr. Dieser trug viel zum
weiteren Ausbau der «Theokratischen
Organisation» bei. Es gibt zwei juristische
Körperschaften. Die wichtigste ist die «Watch
Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania».
Diese ist die Weiterführung der von Rüssel 1881
gegründeten «Wachtturm-Gesellschaft». Die «Watch
Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania»
stellt die Exekutive dar. In der «Watch Tower
and Tract Society of fiew York» haben wir die
zweite juristische Körperschaft. Knorr fügte
eine dritte Körperschaft hinzu, nämlich die
«International Bible Students Associatlon».
Diese drei Organisationen bil den das
Gesamtwerk.
1971 hat sich unter
Knorr eine leitende Körperschaft mit elf
Mitgliedern gebildet, die die Spitze darstellt.
Die elf Mitglieder kommen im Selbstwahlverfahren
lebenslänglich an die Macht und verstehen sich
nach Mt 24, 45 als den «treuen und verständigen
Sklaven». Die «Leitende Körperschaft» besitzt
die Kompetenz der Legislative. Für den Druck von
Bibeln und sonstigen Schriften ist seit 1944 die
«Watch Tower Bible and Tract Society of
Pennsylvania» verantwortlich. Diese ist die
Exekutive und führt die Befehle der «Leitenden
Körperschaft» aus. Derselben juristischen
Körperschaft obliegt die Aussendung von
Missionaren, die Gründung von Bibelschulen
-------------
1 Vgl. Im Herz! Year
Book, Vol. V, den Artikel von Yona Malachy,
«Jehovas Witnesses and their Attitüde toward
Judaism and the Idea of the Return to Zion»,
1963, 8. 200.
42 Zeugen Jehovas
und der Betrieb von Radiosendern. Die «Walch
Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania»
ist auf eine Mitgliedschaft von 500 Personen be
grenzt. Die grosse Masse der Zeugen Jehovas darf
keinen Einfluss nehmen auf die Wahl dieser 500
Mitglieder, auch nicht auf die Wahl des Gremiums
der «Leitenden Körperschaft». Der ganzen
«Theokratischen Organisation» mit den drei
genannten Körperschaften steht ein Präsident
vor, der zum Elfergremium der «Leitenden
Körperschaft» gehört.
II. Der Aufbau der «Theokratischen
Gesellschaft» von unten her
A. Die wichtigsten Einheiten
1. Die Versammlung
Die Versammlung
bildet die kleinste Einheit. Im Königreichsaal
finden die Lehrvorträge jeweils statt. Älteste
stehen der Versammlung vor. Doch diese können
nicht von der Versammlung gewählt werden. Die
500 Mitglieder der Walch Tower Bible and Tract
Society of Pennsylvania bestimmen darüber, wer
Ältester sein darf während der Periode eines
Jahres.
2. Der Kreis
Mehrere
Versammlungen bilden einen Kreis. Der für einen
Kreis Verantwortliche ist der Kreisaufseher.
3. Der Bezirk
Mehrere Kreise
bilden einen Bezirk, für den es einen eigenen
Vorsteher gibt.
4.
Der Zweig
Verschiedene Länder
bilden zusammen einen Zweig mit eigenem
Aufseher.
B. Die wichtigsten Ämter und Gremien sowie
Drillkurse im Dienst missionarischer Propaganda
1. Die Kolporteure und ihre Aufgaben
Die
«Theokratische Organisation» ist eine riesige
Propagandamaschine. Es braucht Kolporteure, um
ein Maximum an Traktaten an den Mann zu bringen.
Diese Kolporteure müssen für den Konzern werben.
Sie gehen von Haus zu Haus in Begleitung eines
Glaubensbruders oder einer Glaubensschwester.
Zuerst versuchen sie, den Wachtturm abzugeben
für einen Franken oder eine Mark. Der wichtigste
Inhalt der Werbung besteht darin, dem
Bekehrungsobjekt zu versprechen, es dürfe sich
darauf freuen, einmal auf einer ewig heilen Welt
leben zu dürfen. Allerdings gehört zur
Bedingung, ein Zeuge Jehovas zu werden. Nebenbei
drohen die Kolporteure mit
Zeugen Jehovas 43
der Schlacht von Harmagedon, wo alle, die nicht
zu den Zeugen Jehovas gehören, der Vernichtung
anheimfallen würden. Zeigt das Missionsobjekt
Interesse, so findet kurz danach ein Nachbesuch
von 15 Minuten statt. Bei diesem Besuch liegt
der Hauptakzent auf Harmagedon. Ist der
Nachbesuch positiv verlaufen, so geben die
Kolporteure Anleitung zu einem Heimbibelstudium.
Ein von der Organisation empfohlenes Buch müssen
die Kandidaten lesen, aber auch den Wachtturm
abonnieren, der übrigens mit einer Auflage von
über 16 Millionen Exemplaren die quantitativ
stärkste religiöse Zeitschrift ist. Das
Heimstudium geschieht aufgrund eines Frage- und
Antwortspiels, das den angestammten Glauben
madig zu machen versucht.
2. Der Studienleiter und das Bezirksstudium
Sobald die
Kandidaten ihr Heimstudium beendet haben,
gelangen sie in die Obhut eines Studienleiters,
der ein sog. «Bezirksstudium» durchführt. Die
Studienleiter bereiten die Kandidaten auf die
Vorträge im Königreichsaal, dem eigentlichen
Gottesdienstlokal der Zeugen Jehovas, vor. Der
Kandidat muss sich dort Vorträge anhören, die
ihn immer wieder davor warnen, den Kontakt zur
Organisation abzubrechen.
3. Die Dienstversammlung
Wenn der Kandidat
das Soll an gottesdienstlichen Vorträgen im
König reichsaal erfüllt hat, muss er der
«Dienstversammlung» beiwohnen. Dort er hält er
eine Ausbildung zum Prediger oder Verkündiger,
um später als Kolporteur im Felddienst tätig
sein zu können. Die Dienstversammlung ist nichts
anderes als eine Schulung für die Erledigung
missionarischer Aufgaben. Erst nach Abschluss
dieser Schule geschieht durch die Taufe die
Aufnahme in den Konzern der Zeugen Jehovas. Die
Taufe geschieht durch Untertauchen, wobei der
Kandidat seine Arme gekreuzt auf der Brust hält.
Die Taufe ist zugleich die Ordination zum
Predigtdienst und Kolporteur. Vergegenwärtigen
wir uns noch einmal kurz die sieben Schritte des
Kandidaten auf dem Weg zum formell anerkannten
Zeugen Jehovas:
Erstens: Ein
Kolporteur und eine Begleitperson sprechen das
Missionsobjekt an der Türe an und verkaufen ihm
einen Wachtturm.
Zweitens: Es
findet ein Nachbesuch statt, der die Abonnierung
des Wachtturms zur Folge haben muss.
Drittens: Der
Kandidat verpflichtet sich zu einem
Heimbibelstudium. Viertens: Der
Kandidat besucht unter der Führung eines
Studienleiters das «Bezirksstudium» als
Vorbereitung auf die Teilnahme an den
Versammlungen im Königreichsaal.
Fünftens: Das
Bekehrungsobjekt hört sich im Königreichsaal die
Vorträge an.
44 Zeugen Jehovas Sechstens: In
der «Dienstversammlung» geschieht die weitere
Ausbildung zum Kolporteur und Prediger.
Siebtens: Die
offizielle Aufnahme in die Organisation und die
Ordination zum Verkündigungsdienst geschieht
durch die Taufe.
4. Drillkurse und die täglichen Pflichten
eines Zeugen
Der weitere Weg
eines Zeugen Jehovas geht über fortwährende
Wiederholungs- und Fortbildungskurse. Diese
Schulungen dauern lebenslang, wobei der Zeuge
vier bis fünf Abende pro Woche investieren muss.
Die Organisation verlangt, dass getaufte Zeugen
Jehovas Kurse für Wachtturmstudien,
Gesprächsführung und richtiges Sprechen
besuchen. Dazu kommt der obligatorische Besuch
von Kreisversammlungen und Kongressen. In diesen
Kursen erhalten die Zeugen Unterlagen mit Frage-
und Antwortmodellen als Anleitung zum
Werbegespräch. Ein gewöhnlicher nebenamtlicher
Kolporteur, der einem weltlichen Beruf nachgehen
muss, ist verpflichtet, den grössten Teil seiner
Freizeit übers Wochenende für den Felddienst und
die Versammlungen im Königreichsaal zu opfern.
Monatlich setzt ein Zeuge mindestens zwanzig
Stunden nur für die Besuche im Felddienst ein.
Zusätzlich kommen die Stunden, die er für die
Leitung von Heimbibelstunden und Kursbesuchen
einsetzen muss. Wendet jemand hundert Stunden im
Monat auf für die Werbetätigkeit, so gilt er als
«Pionier». Bringt es ein in einem weltlichen
Beruf tätiger Zeuge nicht zustande, monatlich
Pionierdienste zu leisten, so ist er
verpflichtet, wenigstens die Ferien für
Pionierdienste dranzugehen. Für einen Zeugen
gibt es keinen Feierabend. Immer wieder muss er
über die Bücher gehen und sei ne Protokolle über
den Besuchsdienst auf dem neuesten Stand halten.
Wir dürfen nicht vergessen, dass ein
nebenamtlicher Zeuge die Werbeliteratur selber
berappen muss. Der Gewinnanteil ist derart
klein, dass er mit gut Glück gerade die Spesen
decken kann. Von einem eigentlichen Gewinn kann
man gar nicht sprechen.
5. Kreis- und Bezirksaufseher
Männer und Frauen
mit diesen Ämtern stehen im Vollzeitdienst. Sie
tragen die Verantwortung dafür, die lokalen
Versammlungen zu inspizieren. Sie verlangen von
den Kolporteuren und Leitern der Versammlung die
Besuchs- und Nachbesuchskarteien, um diese
einzusehen. Kolporteure und Versammlungsleiter
müssen über die Anzahl der Besuche und der
verkauften Werbeliteratur Rechenschaft ablegen.
Die hauptamtlichen Arbeiter krampten neben ihren
Inspektionsarbeiten in Druckereien oder Farmen,
wobei sie Kost und Logis gratis erhalten, jedoch
keinen Lohn, sondern lediglich ein bescheidenes
Taschengeld von ungefähr 120 Dollar.
Zeugen Jehovas 45
III. Die Lehren der Zeugen Jehovas
1. Die Geschichtsschau und Eschatologie
Die Geschichtsschau
ist vor allem durch Rüssel geprägt, von
Rutherford später modifiziert worden. Für die
Geschichtsschau der Zeugen Jehovas sind
Zahlenberechnungen in Bezug auf die Wiederkunft
Jesu und den Weltuntergang typisch. Rüssel
lehrte drei Hauptabschnitte der Heilsgeschichte.
Der erste Zeitabschnitt währt von der Schöpfung
bis zur Sintflut. Engelwesen hatten die
Verantwortung für diese Periode. Es stellte sich
ein zweiter Zeitabschnitt unter der Herrschaft
Satans ein. Er dauerte von der Sintflut bis zum
Kommen Christi. Die dritte Periode nahm mit dem
Kommen Christi ihren Anfang und dauert bis zum
Weltuntergang durch die Schlacht von Harmagedon.
Nach dem Ereignis dieser Schlacht werden die
übriggebliebenen Zeugen Jehovas mit Christus das
Paradies auf Erden aufbauen.
In der
Geschichtsschau der Zeugen Jehovas geht es um
das Drama des «Verlorenen Paradieses», das nun
über viele Kämpfe zurückzugewinnen ist. Im
wesentlichen sieht das für die Zeugen Jehovas
folgendermassen aus: 4128 v. Chr. wurde das
erste Menschenpaar erschaffen. Luzifer erhielt
das Amt, die ersten Menschen zu betreuen. Doch
im Drang, Gott gleich zu werden, verführte er
sie zum Abfall von Jehova. 6000 Jahre stellt nun
Gott der Menschheit zur Verfügung, um gegen
Jehova kämpfen zu dürfen. Er will sich aber in
diesem sechs Millenien dauernden Kampf vor der
ganzen Welt rechtfertigen und sich als der
Sieger über Luzifer erweisen. In dieser
Zeitspanne sammeln sich Gott und Satan ihre
Anhänger. Jehova hatte bereits wichtige
Gegenmassnahmen ergriffen. Er brauchte Abel und
Moses sowie andere Gottesmänner als die ersten
«Zeugen Jehovas» im Kampf gegen Satan.
Im Jahre 1513 v.
Chr. erwählte Jehova das Volk Israel, dem er
eine theokratische Regierung gab. Wegen der
Untreue der Könige Israels entzog er im Jahre
606 v. Chr. Israel das Recht, weiterhin ein
Vorbild theokratischer Regierung sein zu dürfen.
Im gleichen Jahr nahm die Herrschaft der Heiden
ihren Anfang. 2520 Jahre sollte diese dauern.
Jehova sandte seinen Sohn Jesus, der sich zur
moralischen Vollkommenheit emporarbeitete. Am
Kreuz hat er den Lösepreis für alle Menschen
bezahlt, um ihnen dadurch die Möglichkeit zur
Rückkehr ins Leben zu geben anlässlich des
Tausendjährigen Reiches. Die Urgemeinde war noch
in Ordnung. Doch bereits im Jahr 100 n. Chr.
begann der grosse Abfall einzusetzen. Mit dem
Aufkommen kirchlicher Organisation nistete sich
Satan in der Kirche ein. Nicht nur kirchliche
Organisationen weisen diabolischen Charakter
auf, sondern auch politische Systeme. Die wahren
Nachfolger Jehovas sammeln sich ausserhalb der
etablierten
46 Zeugen Jehovas
Kirchen; denn diese
sind Inbegriff des Bösen und sind schuld an der
Kriminalität, der politischen Korruption,
Habsucht, Rauschgiftsucht und an der Auflösung
biblischer Ethik. (2) Interessant ist u.a. auch,
wie die Zeugen Jehovas gerne zur
Abqualifizierung Andersdenkender Bilder aus dem
Bereich zügelloser Sexualität verwenden, was
z.B. in jenem 1972 erschienenen Buch «Die
Nationen sollen erkennen, dass ich Jehova bin»
deutlich zum Ausdruck kommt. Dieses Buch
bezeichnet die Kirche als Dirne, Ehebrecher, als
Weib der Zügellosigkeit, als Bordell usw. Die
Kirchtürme sind nach der Interpretation nichts
anderes als ein Abbild des männlichen Phallus
und drücken die Geilheit aus. Bereits zur Zeit
Russels begann sich ein Stosstrupp zu bilden,
den er «Theokratische Organisation» nannte. Nur
wer zu dieser Organisation gehört, kann in der
endzeitlichen Schlacht von Harmagedon überleben
und sich eines ewigen irdischen Lebens in Wonne
erfreuen. Jehova ist der grosse Rechner, der in
der Bibel einen genauen Terminkalender für den
Ablauf der heils- und gerichtsgeschichtlichen
Ereignisse gegeben hat. (3)
Wiederholen wir die
wichtigsten Zahlen: 4128 v. Chr. wird das erste
Menschenpaar erschaffen. 4126 findet der
Sündenfall statt. Die Sündenherrschaft dauert
6000 Jahre. Hängt man 6000 Jahre an das Jahr des
Sündenfalls, so kommen wir auf die Jahreszahl
1874 n. Chr. Auf 1874 setzte Russel die
Wiederkunft Christi an. Doch er kam in jenem
Jahr nicht leibhaftig auf Erden zurück. Rüssel
wusste sich dadurch zu helfen, dass er nun
plötzlich von einer unsichtbaren Wiederkunft zu
sprechen begann und beauptete, Jesus throne nun
als unsichtbares Geistwesen in den Lufträumen.
Russel lehrte, von
1874 weg gäbe es noch eine vierzigjährige Zeit
der Prüfung und Ernte. Das Ende der Geschichte
träte 1914 ein und gäbe gleichsam den Auftakt
zum Millenium.
Als sich das
angesagte Ende nicht eingestellt hatte, gab es
eine grosse Verunsicherung unter Russels
Anhängern. Rutherford wusste diese
Verunsicherung auszunützen und den
verunsicherten Zeugen aus der Patsche zu helfen.
Er veröffentlichte eine Schrift mit dem
reisserischen Titel «Die Welt ist am Ende -
Millionen jetzt Lebender werden nie sterben». In
dieser Schrift legte Rutherford eine neue
Endzeitberechnung vor. Nach Lev 25 soll das
Sabbathjahr mit dem Einzug der Israeliten in
Kanaan seinen Anfang genommen haben. Rutherford
setzte die Landnahme der Israeliten aufs Jahr
1575 v. Chr. fest. Ein Sabbathjahr wurde alle 50
Jahre gefeiert. Nach Jer 25, 11 muss es im
ganzen 70 Jubeljahre geben.
Bis zum letzten Sab-
---------
(2) Vgl. Zeltschrift
«Erwachet» vom 22.9.1971.
(3) Vgl. Wachtturm
vom 1. Oktober 1951.
Zeugen Jehovas 47
bathjahr
verstreichen 3500 Jahre. Fügt man nun zum Jahr
1575 v. Chr. 3500 Jahre, so gelangen wir zum
Jahr 1925 n. Chr. Rutherford lehrte, 1925 würden
die alttestamentlichen Propheten auf die Erde
zurückkehren. Für den Empfang der Patriarchen
Hess er in San Diego ein schönes Haus bau en mit
dem Namen Beth Sarim. Da aber 1925 nichts
Besonderes geschah, musste Rutherford die
Aufmerksamkeit der Leute auf etwas Neues lenken.
Er gab die Erklärung heraus, Jehova habe aus
Barmherzigkeit eine Verzögerung gewollt, um
besonders in der Alten Welt noch vielen zur
Rettung Gelegenheit zu geben.^ So verstand es
Rutherford, sich mit Schlauheit aus der Patsche
zu helfen. Den apokalyptischen Alarm machte er
zum Dauer zustand, indem er erklärte, Harmagedon
stehe vor der Türe. Er gab aber vorläufig keine
festen Daten bekannt; denn er wusste genau, dass
die Leute eine Ruhepause benötigen, bevor man
sie wieder mit einem Datum in Spannung versetzen
kann. Das nächste veröffentlichte Datum war
1975, jedoch geschickterweise mit einem
Fragezeichen versehen. Als Alternativen gab das
Direktorium noch die Daten 1996 und 1997 heraus.
Immerhin müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass
der jetzige amtierende Präsident der «Leitenden
Körperschaft», M. G. Henschel, in der
Zeitschrift «Erwachet» vom 22. März 1993 auf S.
4 folgendes Eingeständnis gemacht hat: «Jehovas
Zeugen haben in ihrem Enthusiasmus für Jesu
zweites Kommen auf Daten hingewiesen, die sich
als unkorrekt herausgestellt haben.» Was hat es
nun mit diesem Harmagedon für eine Bewandtnis?
Harmagedon ist jene Schlacht, wo Jehova nach
Offb 16,14+16 mit all jenen Völkern abrechnen
wird, die sich gegen ihn und sein auserwähltes
Volk zu einem Vernichtungskampf aufgemacht
haben. Es handelt sich um die endzeitliche hier
auf Erden ausgetragene Schlacht schlechthin. Die
Zeugen Jehovas fassen aber Harmagedon als eine
Endzeitschlacht auf, die gegen sie selber
gerichtet ist; denn sie, die Zeugen, sind ja das
Auserwählte Volk. Jehova wird als der grösste
Feldherr aller Zeiten mit himmlischen
Heerscharen gegen alle politischen und falschen
religiösen Mächte die gewaltige Schlacht
gewinnen. Jehova wird vor dem ganzen Universum
gerechtfertigt dastehen. (5)) Den von Jehova
geführten Kampf schildern die Zeugen in
blutrünstigen Bildern bis ins Detail. Vor allem
im Wachtturm vom 15. März 1956 finden wir ein
grausames Bild von Jesus. Dieser ist der grosse
Keltertreter, der sich mit seinem Trupp in den
Keltertrog stürzt, um die hochaufgehäufte Last
fauler Früchte zu zerstampfen. Die Pferde, die
unter dem Befehl Christi stehen, können beinahe
im vergossenen Menschenblut schwimmen. Der
Wachtturm vom 15. Juni 1967 malt in geradezu
sadistischer Weise aus, wie die durch die
Schlacht von Harmagedon entstandenen
Leichenfelder
-----------
(4) Vgl. Wachtturm
vom 1. August 1955.
(5) Vgl. Wachtturm
vom 15. Mai 1990, S. 5.
48 Zeugen Jehovas
zum Fest für die Aas fressenden Geier werden.
(6) Alle Menschen, die sich nicht den Zeugen
Jehovas anschliessen wollen, gehören zur Klasse
der Böcke. Diese Greuelschilderungen sind in den
Siebzigerjahren allerdings mehr in den
Hintergrund getreten.
Zur Sonderlehre der
Zeugen gehört, dass Jehova sich eine besondere
Heiligtumsklasse sammelt, die für den Aufbau des
Tausendjährigen Reiches zugerüstet werden soll.
Es handelt sich um die sogenannten 144'000. Zur
Zeit Russels begann sich bereits der Stosstrupp
zu bilden, eben die Theokratische Organisation.
Nur wer zu dieser Organisation gehört, kann in
der endzeitlichen Schlacht von Harmagedon
überleben und sich eines ewigen irdischen Lebens
in Herrlichkeit erfreuen.
Nach Harmagedon, das
termingerecht 1996/97 stattfinden sollte, folgt
das Millenium. Beim Anbruch des Tausendjährigen
Reiches gelangen alle verstorbenen Zeugen
Jehovas zur Auferstehung. Mit ihnen zusammen
erhalten alle jene ihr Leben zurück, die nie die
Gelegenheit erhalten haben, die «Frohbotschaft»
der Theokratischen Organisation kennen zu
lernen. Vor allem jene Zeugen Jehovas, die zur
besonderen Klasse der Geweihten gehören, also zu
den 144'000, werden mit Christus zusammen die
Leitung bei den Aufbauarbeiten im Millenium
übernehmen. Dieses wird folgende Kennzeichen
aufweisen: Es werden paradiesische Zustände
herrschen, d.h. Tod und Krankheit sowie Kriege
werden nicht mehr vorhanden sein. Unter den
Tieren wird Frieden herrschen.^ Während des
Milleniums werden ca. 14 Milliarden Verstorbene
auferweckt werden. Die Zeugen Jehovas meinen,
dass auf der dann 149 Millionen Quadratkilometer
umfassenden Erde soviele Auferstandene Platz
haben würden. Einer Bevölkerungsexplosion wird
Jehova dadurch entgegenwirken, dass er den
Menschen die Fortpflanzungsfähigkeit wegnimmt,
im Millennium sollen pro Tag 55*000
Auferweckungen stattfinden. Jene, die noch nicht
die Lehre der Zeugen Jehovas kennengelernt haben
- und das sind Milliarden von Menschen -
brauchen Lehrer. Durch Bekehrungen werden auch
die Lehrkräfte im Jahr um drei Prozent zunehmen,
so dass schliesslich alle nach Ablauf der
tausend Jahre die Lehre der Theokratischen
Organisation kennen durften dank einer
genügenden Anzahl von Lehrkräften.® Wer sich am
Ende des Milleniums nicht von Satan verführen
iässt, darf dann ewig auf der paradiesischen
Erde leben.
Was die Eschatologie
betrifft, denken die Zeugen mehr an die
Wiederherstellung des ursprünglichen Paradieses,
sie denken also mehr regressiv (9)
------------
(6) Vgl. auch
Wachtturm vom 1. Februar 1985, S. 4.
(7) Vgl. Jes 11,
6-9.
(8) Vgl. Wachtturm
vom 1. Dezember 1967.
8)) regressiv =
hier: rückbildend, wiederherstellend.
Zeugen Jehovas 49
Die biblische Sicht
ist vor allem die einer Neuschöpfung, die den
alten paradiesischen Zustand bei weitem
übertreffen wird. Wir haben es also bei den
biblischen Perspektiven mit einer progressiven
Sicht zu tun. Werner Thiede stellt in seinem
Aufsatz «Jehovas Zeugen - Sekte zwischen
Fundamentalismus und Enthusiasmus» folgendes
fest: «Die apokalyptische Hoffnung des Neuen
Testamentes auf einen neuen Himmel und eine neue
Erde wird als bloss 'symbolisch' gemeinte
ausgegeben: Nach dem Mythos der Zeugen bleibt es
bei der alten Erde, die lediglich mit einer
neuen, theokratischen Herrschaftsform überzogen
und sich entsprechend verändern wer de. Das
universal gestimmte 'Siehe, Ich mache alles neu
der Johannesapokalypse wird zurückgeschraubt auf
ein mythologisch gefärbtes Renovierungsprogramm.
»^ ° Typisch für die Zeugen bezüglich der
Eschatologie sind die naiv-realistischen Bilder,
die im menschlich-Allzumenschlichen verhaftet
bleiben. Für die ernsten Bibelforscher ist auch
der Zeitbegriff im materialistischen Sinne
kalkulierbar und unterscheidet sich nicht von
der Ewigkeit.
2. Die Gotteslehre
a) Die Lehre von
Gott als Jehova
In engstem
Zusammenhang mit der endzeitlichen Schlacht von
Harmagedon erhielten wir bereits etwas Einblick
ins Gottesbild. Der Jehova Gott zeigt sich als
blutrünstiger Herrscher und Feldherr. Er erweist
sich als eine Gottheit, die sich vor den Engeln
und Menschen, ja vor dem ganzen Universum,
rechtfertigen muss. Jehova sind gewisse
sadistische Züge eigen; denn er findet
Genugtuung, indem er im Gerichtsakt von
Harmagedon sei ne Rachegelüste befriedigen kann.
Jehova ist vor allem ein strenge Kontrol le
ausübender Aufseher.
b) Christologie
Auch Jesus sehen die
Zeugen Jehovas einseitig als zornigen Richter.
Er ist keinesfalls der Heiland der Sünder, der
mit werbender Liebe das «Kommt zu mir alle, die
Ihr mühselig und beladen seid» spricht, sondern
er ist der Vergelter im Auftrag Jehovas. Nach
der Auffassung der Zeugen Jehovas ist Jesus Gott
nicht wesensgleich. Er ist Geschöpf, dem sie
allerdings Präexistenz zubilligen.
Im präexistenten
Zustand soll Jesus der Erzengel Michael gewesen
sein.
Während seines
Erdenlebens entwickelte sich Jesus zum
vollkommenen Menschen.
Als sündlos
gewordene Person war er imstande,
------------
(10) Werner Thiede,
Jehovas Zeugen - Sekte zwischen
Fundamentalismus und Enthusiasmus
, in: Materialdienst
der Evangelischen Zentrale für
Weltanschauungsfragen, Stuttgart, 1. Oktober
1993, 8. 281.
(11) Vgl. Wachtturm
vom 15. Februar 1989.
50 Zeugen Jehovas
am Kreuz Sühne zu wirken für jene Menschen, die
sich zur Theokratischen Organisation berufen
lassen.
c) Pneumatologie
Der Heilige Geist
ist keine Person, sondern lediglich Gottes
wirksame Kraft.
d)
Auseinandersetzung mit der Trinitätslehre
a') Unhaltbarkeit
von der Bibel her
Vor allem verdient
nun aber die Ablehnung der Trinität unsere
Aufmerksamkeit. Nach der Auffassung der Zeugen
Jehovas ist diese Lehre nicht klar und eindeutig
in der Bibel formuliert. Wichtig ist ihnen, dass
in der ganzen Heiligen Schrift nirgends ein
Begriff auftaucht, der mit Trinität übersetzt
wer den könnte. In der Sonderausgabe des
Wachtturms von 1989 sind Zitate modernistischer
Theologen mit einer negativ kritischen Haltung
gegenüber der Trinität plötzlich gut genug, um
die Auffassung der Zeugen Jehovas zu stützen. So
zitieren sie namhafte katholische Theologen als
Schützenhilfe wie Karl Rahner, Hans Küng,
Herbert Vorgrimmler, aber auch evangelische
Theologen. Was ich als erstaunlich erachte, ist
das Bemühen, kurz auf das Zeugnis der
Kirchenväter einzugehen. Das dürfte ein Novum
unter den nicht besonders theologiegeschichtlich
interessierten Zeugen Jehovas sein. Sie bringen
Zitate der vornicänischen Väter, z. B. von
Justin dem Märtyrer, Clemens von Alexandrien,
Tertullian, Hippolyt und Origenes. Alle diese
Zitate sollen die Auffassung der Zeugen Jehovas
bekräftigen. Es ist aber typisch, dass man diese
Zitate kaum nachkontrollieren kann.^^ Die
Literaturangaben fehlen. Selbst mit dem
Stichwortverzeichnis der deutschen Gesamtausgabe
der Kirchenväter konnte ich diese Zitate
nirgends lokalisieren. So behaupten die Zeugen
Jehovas, Jesus vertrete einen strengen
Monotheismus und weisen auf die in Mk 12, 29
zitierte Stelle aus Dtn 6, wo es heisst: «Höre,
Israel, der Herr, unser Gott, ist allein Herr.»
In diesem Zusammenhang ist für sie auch Jes 42,
8 wichtig: «Ich bin der Herr,
das ist mein Name, und ich will meine Ehre
keinem andern geben ...»
Die Zeugen machen geltend, Jesus oder der
Heilige Geist würden nirgends als allmächtig
bezeichnet. Diese Qualifikation sei nur dem
Jehovagott gegeben.
Wenn es in Gen 1, 16
von Gott heisst: «Lasset uns
Menschen machen nach unserm Bild»,
so behaupten sie, es handle sich hier lediglich
um einen Pluralismajestatis (13) oder einen
Intensitätsplural.
-----------
(12) Vgl. Wachtturm
Sonderausgabe von 1989 mit dem Titel «Sollte man
an die Dreieinigkeit glauben?»
(13)
Pluralismajestatis = Majestätsplural.
Zeugen Jehovas 51
Grossen Wert legen die Zeugen Jehovas auf die
Präexistenz Jesu. Auch im präexistenten Zustand
war er keinesfalls ein Teil einer dreieinigen
Gottheit. Sie führen Kol 1, 15 an, wo Jesus als «Erstgeborener
der Schöpfung» bezeichnet
wird. Die Zeugen Jehovas beziehen Spr 8, 22-28
auf Jesus. Diese Verse sprechen von der
Erschaffung der Weisheit, mit der Jesus
identifiziert wird. Er ist der Werkmeister,
durch den der Jehovagott die materielle
Schöpfung ins Leben gerufen hat. Ein weiterer
Beweis gegen die Gottheit Christi und somit
gegen die Trinität ist der Tatbestand seiner
Versuchung. Nach Jak 1, 13 kann Gott gar nicht
versucht werden. Also ist Jesus nicht Gott.
Hebr 2,9 redet
davon, Jesus sei unter die Engel erniedrigt
worden. Die Zeugen Jehovas sehen das als klares
Indiz an, dass Jesus nicht göttlicher Na tur
ist. Ein Gott würde sich niemals Engeln
unterstellen. Auch Joh 1, 18 dient den Zeugen
als Beweis dafür, dass Jesus Gott nicht
wesensgleich sein kann. In 1. Kor 8, 6
unterscheide Paulus unmissverständlich Jesus vom
Vater, wobei der Vater allein als Gott
qualifiziert werde. Wesentlich ist den Zeugen
weiterhin Mk 10, 18, wo Jesus einem reichen Mann
antwortet: «Was nennst du mich gut? Niemand ist
gut ausser Gott allein.» Weil sich Jesus nach
Joh 5,19; 6,38 und 7,16 seinem Himmlischen Vater
unterordne, könne er keinesfalls mit ihm
wesensgleich sein. Apg 4, 27 spreche von Jesus
als einem Knecht, was wiederum auf Unterordnung
hin weise.
Bei der Taufe Jesu
bestätige der Himmlische Vater seinen Sohn,
indem er sagt: «Dies Ist mein
geliebter Sohn, an dem Ich Wohlgefallen habe.»
Die Zeugen meinen nun, eine Wesensgleichheit
Jesu mit dem Vater ergäbe den Widersinn, dass
der Himmlische Vater sich selber ein Kompliment
machen würde. Gott sagte aber dabei auch aus,
dass er sein eigener Sohn sei, was wiederum ein
Widersinn sei. Wäre Jesus Gott, so würde er beim
Gebet zu sich selber beten. Auch der
Verzweiflungsschrei Jesu am Kreuz «Mein Gott,
mein Gott, warum hast du mich verlassen?» würde
bedeuten, dass Jesus zu sich selber geschrieen
und sich selber verlassen habe, falls er Gott
wäre.
Wenn Thomas Jesus
als «Mein Herr und mein Gott» angesprochen
hat, so ist diese Aussage für die Zeugen nicht
stichhaltig. Sie argumentieren da mit, dass in
der Bibel Menschen und Engel als Götter
bezeichnet werden. Nach der Auffassung der
Theokratischen Organisation ist es sogar eine
Beleidigung Gottes, wenn von einem andern gesagt
wird, er sei ihm gleich. In Hebräer 5, 8 heisst
es, Christus habe Gehorsam lernen müssen. Die
Zeugen meinen, für eine Gottheit sei es niemals
nötig, in einem Lernprozess drinnen zu stehen.
Auch machen sie geltend, Stephanus habe bei der
------
( 14) Vgl. Jes 46,
9.
52 Zeugen Jehovas
Steinigung zwei voneinander getrennte Personen
gesehen, nämlich Jesus und den Himmlischen
Vater, aber nicht den Heiligen Geist. Er sah
also keine Trinität.
Der Heilige Geist
sei niemals eine Person, sondern lediglich
Gottes wirksame Kraft. Wichtig ist für die
Zeugen, dass der Heilige Geist als Symbol nie
eine menschliche Gestalt angenommen hat, sondern
die Gestalt einer Taube oder die Form des Feuers
oder des Windes.
b') Politische
Machenschaften Politische Machenschaften sind
schuld an der Trinitätslehre. Die Zeugen kommen
zum Schluss, Kaiser Konstantin der Grosse habe
in der Phase des Konzils von Nicäa der
teilweisen Uneinigkeit unter den Bischöfen in
bezug auf die Gottheit Christi sein Machtwort
entgegengesetzt, um die Einheit des Reiches
nicht durch religiöse Spaltungen zu gefährden.
So habe er befohlen, die Untertanen seines
Reiches müssten die Gottheit Christi als
verbindliches Dogma anerkennen. Damit sei denn
auch die Grundlage geschaffen worden, um auf dem
Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 die
Trinitätslehre erstmals klar zu formulieren. Die
Quintessenz für die Zeu gen Jehovas ist, dass
die wichtigsten theologischen Verlautbarungen
nicht aufgrund der Bibel entschieden worden
sind, sondern aufgrund politischer und
klerikaler Erwägungen. Die Formulierung der
Trinitätslehre gehört also nach den Zeugen
Jehovas zur Apostasie^® der Kirche. In diesem
Zusammenhang stellen sie folgende Bibelstellen
auf den Leuchter: 2. Thess 2,3+7; Apg 20,29-30;
2. Petr 2, 1; 1. Joh 4, 1-3; Judas 3, 4 sowie 2.
Tim 4,3+4.
c') Adaption an
heidnische Vorbilder
Der Hauptgrund zu
dieser Apostasie der Trinitätslehre liegt nach
den Zeugen Jehovas in der Adaption an heidnische
Vorbilder. Die Zeugen meinen, Triaden der
Gottheit in der babylonischen und ägyptischen
Kultur seien Vorbilder zur Entwicklung der
Trinitätstheologie gewesen, aber auch die
griechische Philosophie, vor allem jene Piatos.
d') Die
Trinitätslehre verhindert die wahre Anbetung
Gottes Die Zeugen Jehovas bezeichnen die
Trinitätslehre sogar als teuflisch. Weil sie
diese angebliche Irrlehre nicht vertreten,
können sie im Wachtturm mit dem Artikel über die
Trinität unter dem Titel «Sollte man an die
Dreieinigkeit glauben» folgendes schreiben:
«Wenn wir Gott als den Höchsten ehren und Ihn so
anbeten, wie Er es will, können wir dem Gericht
entgehen, das Gott bald an der abtrünnigen
Christenheit vollziehen wird. Wir können statt
des-
--------
(15)Apostasie =
Abfall.
Zeugen Jehovas 53
sen mit Gottes Gunst rechnen, wenn das
gegenwärtige System zu seinem Ende kommt...»
3. Die Anthropologie
Die Anthropologie
weist weitgehende Übereinstimmungen mit
derjenigen der Adventisten auf. Der Mensch
zerfällt als Ganzer. Die Lehre von der
Unsterblichkeit der Seele lehnen die Zeugen
Jehovas radikal ab. Sie kennen weder eine
Dichotomie"' (16) noch eine Trichotomie (17) ,
sondern vielmehr einen anthropologischen
Monismus, d.h. Leib, Seele und Geist werden
nicht unterschieden, sondern bilden eine
nahtlose Einheit, die als Ganze sterblich ist.
Der Mensch ist so etwas wie ein höher
organisiertes Tier. Mit Vorliebe zitieren die
Zeugen Jehovas dann auch Prediger 3, 18-20.
Zur Anthropologie
gehört auch die den Zeugen Jehovas eigentümliche
Blutlehre. Sie stützen sich vor allem auf Dtn
12, 23-25 und Apg 15, 29. Blut dürfen die Zeugen
weder in Speise noch durch eine Transfusion zu
sich nehmen. Im Blut steckt das Wesen oder der
Charakter des Menschen gleichsam wie eine
materielle Substanz. Deshalb sind
Bluttransfusionen strengstens verboten. Lieber
stirbt ein Zeuge Jehovas bei einem
Verkehrsunfall, als dass er sich Blut von einem
anderen Menschen geben Hesse. Zeugen Jehovas
tragen häufig auf der Brust eine Etikette mit
der Aufschrift: «Bluttransfusion nicht
erwünscht». Eine Bluttransfusion führt zu einer
unzulässigen Wesensvermischung. In einer
Sonderausgabe des Wachtturms vom Jahr 1990 mit
dem Titel «Wie kann Blut dein Leben retten?»
werden auf 31 Seiten vor allem medizinische
Gründe aufgeführt, die gegen eine
Bluttransfusion sprechen. An erster Stelle
stehen Argumente, die von der Gefahr einer
Übertragung von diversen Krankheiten sprechen.
Für die Zeugen Jehovas gibt es also kein
Jenseits. Auch eine Hölle existiert nicht.
Unmittelbar nach der Schlacht von Harmagedon
werden verstorbene Menschen durch einen
Wiederherstellungsakt des Jehovagottes in die
irdische Existenz zurückversetzt. Allerdings
betrifft das nur zwei Kategorien von Menschen.
Erstens: All jene Menschen, die während ihres
Erdenlebens überzeugte Zeugen Jehovas geworden
sind. Zweitens: All jene Menschen, die noch
keine Gelegenheit erhalten haben, sich mit dem
Heilsangebot der Theokratischen Organisation
auseinanderzusetzen. All jene Ungläubigen, die
die Belehrung der Zeugen Jehovas während des
Milleniums nicht annehmen, werden annihiliert''®
werden. Ihnen widerfährt das gleiche Schicksal
wie jenen, die bei der Schlacht von Harmagedon
um kommen sollen. Es gibt nun aber eine
spezielle Gruppe unter den Zeugen
(16) Dichotomie =
Zweiteilung des menschlichen Wesens in Leib und
Seele. (17) Trichotomie = Dreiteilung des
Menschen in Leib, Seele und Geist, (18)
(18) annihiliert =
vernichtet.
54 Zeugen Jehovas
Jehovas, die im Tod
keiner provisorischen Annihilation zum Opfer
fallen wie die übrigen Zeugen Jehovas. Es
handelt sich um die 144'000, die beim Sterben
direkt in den Himmel eingehen. Zum Menschenbild
gehört wesentlich, dass eigenes Prüfen und
Denken sowie freie Entscheidung klein
geschrieben sind. Die Theokratische Organisation
versteht den Menschen als ein Wesen, das sie
durch Diktatur bevormunden und durch
Kadavergehorsam formen muss. Der Mensch zählt
als Individuum wenig. Die Theokratische
Organisation schätzt vor allem die gehorsame und
gefügige Masse. Bei den Zeugen wird der Gehorsam
durch Drohungen und Strafmassnahmen erzwungen.
Jerry R. Bergman spricht von einer
ausgesprochenen Bestrafungsmentalität. Niemand
darf Ausgeschlossene, die der Versammlung
beiwohnen, grüssen. Jerry Bergman, der die
Zeugen Jehovas in psychologischer Hinsicht
analysiert hat, meint, Gemeinschaftsentzug diene
vor allem als Druckmittel, um die Zeugen Jehovas
zu konformem Verhalten zu zwingen.(19)
In diesem Punkt
unterscheiden sich nun die Adventisten
wesentlich von den Zeugen Jehovas. Die Ideologie
der Zeugen Jehovas versteht den Menschen kaum
als Ebenbild Gottes, der mit seinem Schöpfer
persönlichen Kontakt pflegen und sei ne
geschenkten Gaben kreativ entfalten soll. In
engstem Zusammenhang mit dieser Sicht des
Menschen hängt auch die für die Zeugen Jehovas
so typische Kulturlosigkeit zusammen. Zur
gleichen Schlussfolgerung kommt Werner Thiede,
wenn er schreibt: »Dadurch, dass die Leitende
Körperschaft dem Durchschnittszeugen eine so
grosse Zahl von Entscheidungen abnimmt, wird er
auf Dauer in einem kindlichen Zustand
gehalten... Ein derartig hilfloser, infantiler
Zustand verhindert oder beschränkt die
Entfaltung der meisten höher stehenden
menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, wie
zum Beispiel die Kreativität, und blockiert den
höchst individuellen Wachstumsprozess und das
innere Ringen, das uns erst menschlich macht.
(20)
Ein eigenständiges
Denken ist unter den Zeugen Jehovas wenig zu
finden. Wenn wir nun zur Lehre der Erlösung
übergehen, so stellen wir fest, wie sehr diese
mit dem dargestellten Menschenbild
korrespondiert. (Fortsetzung folgt)
(19) Jerry R.
Bergman, Zur seelischen Gesundheit von Zeugen
Jehovas, Ahrensburg 1991 S. 36.
(20) Vgl. Werner
Thiede, a.a.O., S. 287.
=======================
Zeugen Jehovas 86
Fundamentum 1995/1
Kleine Sektenkunde
Zeugen Jehovas
Ideologie der Entmündigung
2. Teil
Dr. theol. S.
Leuenberger
(Biographische
Angaben finden sich
am Ende des
Artikels)
4. Die Soteriologle
(1)
Die Anthropologie
der Zeugen Jehovas hat ihre klaren Konsequenzen.
Weil der Mensch dem Tier gegenüber keinen Vorzug
hat, deshalb gibt es auch keine geistigen Werte
zu pflegen. Das zeigt sich in der Soteriologie.
Erlösung beinhaltet lediglich ein
Weiterexistieren auf Erden unter vollkommenen
materiellen Bedingungen. Geistige Momente kommen
kaum zum Tra gen. Weil die Zeugen Jehovas die
biblische Lehre von der Wiedergeburt ablehnen,
geht es bei der Erlösung nicht um den erneuerten
Menschen mit der Frucht des Heiligen Geistes. Es
geht um reinen Eudämonismus^, um
Wohlfahrtserlebnisse. Bei den Vorstellungen vom
Leben auf der Neuen Welt fehlt die himmlische
Liturgie als Dank, Anbetung und Lobpreis. Bei
der Erlösung handelt es sich um eine Existenz,
das Leben eines «homo consumens» (3) ohne
zeitliche Begrenzung führen zu können. Erlösung
be deutet, sich für immer irdischer Wohlfahrt
ohne Todesbedrohung freuen zu dürfen, wobei die
Befriedigung biologischer Bedürfnisse im
Vordergrund steht.
5. Ethik
a) Dekalogethik
Ein Zeuge Jehovas
möchte den Dekalog' ( 4) ernst nehmen. ( 5)
Libertinistische Tendenzen gibt es nicht. In der
treuen Gesetzeserfüllung sind die Zeugen oft
vorbildlich. Sie setzen viel dran, ihren Glauben
in die Tat umzusetzen.
--------------
(1) Soteriologie =
die Lehre von der Erlösung, vom Heil.
(2) Eudämonismus =
Ethik, die behauptet, dass das Gute im Glück
bestehe.
(3) Homo consumens = konsumierender Mensch.
(4) Dekalog = 10
Gebote.
(5) Vgl. Wachtturm
vom 15. November 1989.
Zeugen Jehovas 87
Allerdings steckt dahinter häufig die Angst, in
der Schlacht von Harmagedon nicht bestehen zu
können.
Die Zeugen haben
sich vor allem im Dritten Reich unter
schauderhaften Umständen bewährt. In den
Konzentrationslagern fielen sie auf durch ihre
Sauberkeit, aber auch durch ihre
Hilfsbereitschaft selbst anders Gesinnten
gegenüber. Trotz Folterungen und Prügelstrafen
Hessen sie sich nicht zu Lästerungen oder
dergleichen hinreissen. Die Kommunistin
Margareta Buber-Neumann war Gefangene im Block 3
im Konzentrationslager zu Ravensbrück, wo sie
vorwiegend mit Zeuginnen Jehovas zusammen war.
In ihrem Buch «Als Gefangene bei Stalin und
Hitler» berichtet sie darüber, wie vorbildlich
sich die Zeugen Jehovas aufgeführt haben. Man
konnte mit ihrer Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit
rechnen. Sie teilten immer wieder Essensrationen
mit solchen, die mehr Nahrung benötigten.
Einschüchterungsversuche nützten nichts. Die
Zeugen gingen lieber in den Tod als ihrer Lehre
abzuschwören. Sogar ein grosser Naziführer wie
Himmler fand würdigende Worte für die Zeugen.
Ihre unglaubliche Opferbereitschaft hinterliess
sogar bei den Folterknechten einen nachhaltigen
Eindruck. Viele Zeugen Jehovas starben als
Märtyrer. Sie waren bereit, für die
Theokratische Organisation alles herzugeben, Hab
und Gut, Gesundheit, ja selbst das Leben. Für
die Theokratische Organisation ist es wichtig,
dass ihre Mitglieder auf dem Arbeitsplatz durch
ihr Verhalten ein besonders gutes Beispiel
geben.
b) Staatsethik
Die Pflichten
gegenüber Staat und Nation erfüllen die Zeugen
nur mit Widerwillen; denn die Theokratische
Organisation lehrt grundsätzlich, der Staat sei
ein Werkzeug des Teufels. Allerdings herrscht
heute in dieser Hinsicht etwas mehr
Zurückhaltung. Der Staat gehört zum sog.
«gegenwärtigen System», das man nicht durch eine
Armee stützen darf. Deshalb verweigern die
Zeugen den Wehrdienst. Immerhin verstehen sie
seit 1962 die in Römer 13 erwähnte Obrigkeit als
die von Jehova eingesetzte Macht zur
Aufrechterhaltung von Ordnung. Die finanzielle
Schuld gegenüber den Behörden zahlen sie im
allgemeinen gewissenhaft.
c) Der Geist der Engführung des Gesetzes
(«Gesetzlichkeit»)
Bei der sog.
«Gesetzlichkeit» geht es darum, den vom Schöpfer
den Menschen durch Verordnungen als Hilfe
vorgezeichneten Weg schmäler zu machen, als er
von Gott her ursprünglich ist. So wird das
Gesetz zur Schikane und kann keine wirkliche
Lebenshilfe mehr sein. Bei dieser Engführung der
Ordnungen Gottes geht es oft um Extravaganzen,
bei deren Erfüllung der Zeuge das Gefühl erhält,
sich besondere Verdienste zu erwerben. Bei
dieser Art von Gesetzeserfüllung verliert man
den Blick für das Wesentliche.
88 Zeugen Jehovas
So darf z.B. ein
Zeuge an keinem Fest mit fröhlichem Rahmen
teilnehmen, sei es an einem Jubiläum einer Firma
oder an Hochzeiten von Verwandten, die nicht zur
Theokratischen Organisation gehören. Alles, was
den Charakter des Vergnügens hat, wie der Besuch
eines Konzertes, einer Sportveranstaltung, eines
Theaters usw., gilt als Vergeudung von Zeit, die
man für den Zeugendienst einsetzen sollte. Ein
Zeuge darf keinem Verein angehören, also keinem
weltlichen Männer- oder Frauenchor, keinem
Schachclub oder Schützenverein. Eine
Ferienreise, ja überhaupt das Verbringen von
Ferien, ist für die Zeugen Jehovas Luxus, auf
den sie verzichten müssen. Dieser unnatürliche
Opferzwang dürfte einer der Ursachen sein,
weshalb Zeugen wenig Freude ausstrahlen. Zu
diesem Geist der Engführung gehört vor allem
auch das Verbot von Bluttransfusionen. Verpönt
ist das Essen von Blutwürsten oder jeglicher
Nahrungsmittel, wo Blutextrakt beigemischt
worden ist.
6. Ekklesiologie
a) Äussere Strukturen
Beim frühen Russel
zur Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist das
Sektiererische noch nicht eindeutig zum
Vorschein gekommen. Rüssel betrachtete
anfänglich alle wahrhaft Gläubigen als zur
Kirche Christi gehörig unabhängig von ihrer
Konfession. Diese ökumenische Haltung findet man
noch in einem Wachtturm aus dem Jahre 1910.
Rutherford war es, der die Wachtturmgesellschaft
mit ihren Anhängern zur endzeitlichen
Heilsgemeinde erklärte. Schon die späteren
Ersatznamen sind für die Ekklesiologie der
Zeugen Jehovas bezeichnend. In den
Dreissigerjahren ist der Begriff «Theokratische
Organisation» entstanden. 1953 kam eine weitere
Bezeichnung hinzu, nämlich
«Neue-Welt-Gesellschaft».
Bei der
Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas handelt
es sich in erster Linie um eine kalte und
geschäftstüchtige Organisation. Diese masst sich
an - so weit es die «Leitende Körperschaft»,
also das höchste Gremium betrifft -
Stellvertreter Gottes auf Erden zu sein. Die
Organisation der Zeugen Jehovas können wir am
besten mit einem riesigen Konzern vergleichen,
der sich durch das Vertreiben von Traktaten zu
einer Finanzmacht hohen Ranges aufgeschwungen
hat. Doch dieser Konzerncharakter wird gut
getarnt. Die «Theokratische Organisation»
interpretieren die Zeugen als Jehovas eigene
Schöpfung, die ihren Ursprung im Himmel hat. Was
man organisatorisch auf Erden sieht, ist die
Verlängerung der unsichtbaren Organisation der
144'000, die sich teilweise bereits im Himmel
befinden. Die «Theokratische Organisation» ist
gleichsam die Braut Jehovas. Bei der
«Theokratischen Organisation» setzt sich das
oligarchische (6) Prinzip durch
-----------------
(6) Oligarchie =
Herrschaft Weniger.
Zeugen Jehovas 89
und zwar in der
«Leitenden Körperschaft», die vor 1971 noch
unter dem Namen «Direktorium» bekannt gewesen
ist. Die «Theokratische Organisation» mit ihrer
oligarchischen Führungsspitze ist irrtumslos und
steht unter der vollkommenen Herrschaft Gottes,
ja sie ist der direkte Verbindungskanal zu
Jehova. Diese Organisation versteht sich als
Jehovas Sturmbock gegen Satan. Sie ist die
einzige Trägerin von Jehovas Verheissungen. Nur
bei Ihr gibt es Rettung aus dem scheusslichen
Gericht von Harmagedon. Gott handelt nicht mit
Einzelpersonen. Er ist nur an der
«Theokratischen Organisation» als Kollektiv
interessiert. Nur wer dieser Organisation
angehört, wird von Gott ernst genommen. ( 7) Die
«Neue-Welt-Gesellschaft» versteht sich als
Mittelpunkt der Geschichte. Alle grossen
geschichtlichen Umwälzungen oder
wirtschaftlichen Krisen infolge von
kriegerischen Auseinandersetzungen gelten
letztlich den Zeugen Jehovas, weil diese derart
wichtig sind, dass alle Mächte dieser Welt sich
gegen sie aufmachen. Zu diesen Mächten gehören
die etablierten Kirchen, aber auch die Finanz-
und Wirtschaftsmächte.
Kritik gegenüber der
«Theokratischen Organisation» gilt als Abfall.
Den von der Leitung ausgehenden lehrmässigen
Verlautbarungen schuldet der Zeuge absoluten
Gehorsam. Die «Theokratische Organisation»
versteht sich als Sklave Jehovas.
Zur
ekklesiologischen Eigenart der «Theokratischen
Organisation» gehört es, dass sie sich gut mit
einer Fabrik vergleichen lässt. Alle
funktionieren den Räder sind in dieser Fabrik
gleichsam durch Transmissionsriemen mit der
Leitungsitze verbunden, wobei Christus als
Produktionsleiter verstanden wird.® Christus
leitet diese Organisation so, dass das Maximum
an Produkten herausgewirtschaftet wird. Die
einzelnen Zeugen sind die Arbeiter dieser
Fabrik. Es geht vor allem um Riesenproduktion
und Umsatz. Die von der Wachtturmgesellschaft
herausgegebene Broschüre «Die Wahrheit, die zum
ewigen Leben führt», hat eine Auflage von 63
Millionen erreicht. 1980 gelang es der
Wachtturmgesellschaft, ihre Schriften in 106
Sprachen herauszugeben. Die «Theokratische
Organisation» ist eine riesige
Propagandamaschine. Damit man ein Maximum an
Traktaten an den Mann bringen kann, braucht es
Prediger und Kolporteure, die mehr oder weniger
ehrenamtlich für den Konzern werben.
b) Innere Strukturen
Was sich in den
Königreichssälen abspielt, dürfen wir nicht als
Gottesdienst im eigentlichen Sinn bezeichnen.
Lob und Preis sowie Verkündigung der
--------
7 Vgl. Wachtturm vom
1. April 1948.
8 ® Diesen Vergleich
findet man im Wachtturm vom 1. März 1957.
90 Zeugen Jehovas
Frohbotschaft kommen kaum zum Zug. Die Predigten
sind einseitig Lehrvorträge mit einer
Drohbotschaft. Es gibt keine Proklamation der
freien Gnade und Liebe Gottes in Jesus. Selbst
in den Liedern und Gebeten herrscht das
Lehrmässige derart vor, dass Lob und Dank stark
in den Hintergrund treten. Das 1966 neu
eingeführte Liederbuch trägt zu Unrecht den
Titel «Singt und spielt dabei Jehova in euren
Herzen». Es handelt sich in diesem Buch um 119
Lieder, in denen das Lehrgut der «Theokratischen
Organisation» in simplen Reimen zum Ausdruck
kommt. Eine Strophe aus Lied 65 möge als
Beispiel genügen:
«Sei loyal zu deinem Bruder, hilf dem Neuen
Immer gern. Mit dem Schwachen zu studieren hilf
Ihm, Felddienst zu vermehren. So wie Im
Familienkreise, zeigen wir Loyalität; nie
misstrauen wir einander, jeder treu zum Bruder
steht.»
Alle guten
traditionellen Melodien aus kirchlichen oder
freikirchlichen Kreisen werden als von
babylonischer Herkunft abqualifiziert. Es
handelt sich bei den Liedern der Zeugen
hinsichtlich der Melodien um eine Neuschöpfung.
Das immer wiederkehrende Hauptthema ist der
Ansporn zum Verkündigungsdienst. Treffend
charakterisiert Kurt Hutten die Versammlungen
der Zeugen Jehovas, wenn er sagt: «Die
Versammlungen haben denn auch viel mit
kommunistischen Agitatlons- und
Propaganda-Trupps gemeinsam: Es sind Werbe- und
Propagandagruppen, die zusammen kommen, um sich
zu schulen und anfeuern zu lassen,
Dienstanweisungen In Empfang zu nehmen und Ihre
Werbemethode zu verbessern.» (9)
Fassen wir diese
Ekklesiologie in wenigen Sätzen zusammen: Es
handelt sich bei der «Theokratischen
Organisation» nicht um einen Organismus, sondern
um eine starre, kasernenartige Ordnung zur
Beherrschung dienstbarer Sklaven. Es geht im
Wesentlichen darum, genügend Sklaven heran
zuziehen, um die literarischen Erzeugnisse der
Wachtturm-Gesellschaft in rentabler Welse zu
vertreiben. Die Maschine des
Traktatverteilungskonzerns darf ja nicht zum
Stillstand kommen. Weil die Menschen bloss Räder
im Getriebe sind, darf man sie jederzeit
auswechseln. In diesen Rädern ist ja keine Seele
mit postmortaler Existenz. Von dort her versteht
es sich auch, weshalb Menschen verheizt werden
dürfen. Liebeswerke im Sinn sozialer
Hilfeleistungen finden in dieser
ekklesiologischen Konzeption konsequenterweise
keinen Platz. Fröhliche und herzliche
Gemeinschaft können sich in diesem System nicht
entfalten, da die ganze Mentalität auf Leistung
und Akkord erpicht ist. Die dienstbaren Sklaven
Jehovas werden von ihren ^
--------------
(9) Kurt Hutten,
Seher, Grübler, Enthusiasten, Stuttgart:
Quell-Verlag der Ev. Ges., 1982, 8. 113-114.
Zeugen Jehovas 91
Vorgesetzten sogar ermuntert, Konflikte und
Verfolgungen zu provozieren, weil es
werbewirksam sei.
7. Schriftverständnis
a) Ein widerbiblisches und unreformatorisches
hermeneutisches Prinzip
Auffallend ist, dass
das reformatorische «sola scriptura (10)
vergeblich zu suchen ist. «Fundamentalist» zu
sein bedeutet noch lange nicht, das
reformatorische «sola scriptura» ernst zu
nehmen. Die Zeugen verstehen sich als strenge
«Fundamentalisten». Jedes Wort ist vom Geist
Jehovas eingegeben. Doch sieht die
«Neue-Welt-Gesellschaft» die Bibel flächenhaft.
Jede Aussage ist gleichwertig. Es gibt keine
verschiedenen Akzente, was folgende ernste
Konsequenz mit sich bringt: Das «scriptura sui
ipsius interpres» ( 11) findet keinen Platz in
ihrem Schriftverständnis. Das meines Erachtens
sehr wesentliche hermeneutische Prinzip «Was
Christum treibet» ( 12) ist unauffindbar. Das
Zentrum der Bibel, auf das die ganze
Interpretation der Zeugen hinausläuft, ist der
auf das Millenium ( 13) zugehende Geschichtsplan
Jehovas mit der Schlacht von Harmagedon. Die
Bibel verstehen die Zeugen Jehovas als Baukasten
mit jeweils kongruenten Bauelementen, die alle
ineinander passen wie bei einem Lego-Baukasten.
Kreuz und quer darf der Zeuge diese Bauelemente
der Bibel aus dem Zusammenhang herausnehmen und
willkürliche Verbindungen konstruieren, um die
Ideologie der «Theokratischen Organisation» zu
rechtfertigen. Was nun aber vor allem dem «sola
scriptura» widerspricht, ist die Auffassung der
nicht abgeschlossenen Offenbarung. Die «Leitende
Körperschaft», die Spitze der «Theokratischen
Organisation», hat die Kompetenz, neue
Offenbarungen von Jehova zu empfangen und
weiterzugeben. Für die Zeugen Jehovas besteht
Bekehrung darin, sich davon überzeugen zu
lassen, dass die Wachtturm-Organisation der
Kanal Gottes ist und man ihr deswegen folgen
muss. (14) Die richtige Interpretation der Bibel
wird immer wieder durch die verlässliche
Erkenntnis vermittelnden Traktate und Bücher der
«Theokratischen Organisation» gegeben, so dass
eine identitätsstiftende Gesamtorientierung
zustande kommt.
-----------------
10 Sola scriptura =
Allein die Schrift.
11 Scriptura sui
ipsius interpres = Die Schrift ist ihr eigener
Ausleger,
12 Martin Luther hat
sehr viel Gewicht auf dieses «Was Christum
treibet» gelegt. Für ihn war dies das wichtigste
Auslegungsprinzip für das richtige Verständnis
der Bibel.
13 Millenium = Das
Tausendjahrreich.
14 Vgl. J. R.
Bergmann, Zur seelischen Gesundheit von Zeugen
Jehovas, Ahrensburg, 1991, S. 55
92 Zeugen Jehovas b)
An den Haaren herbeigezogene Interpretationen
Wichtige
Begriffe im Schriftverständnis der Zeugen
Jehovas sind Vorausschattung und Gegenbild An
und für sich sind diese Begriffe durchaus
brauchbar. Doch müssen wir uns an den Kopf
greifen, wenn wir sehen, was die Zeugen aus
diesen Begriffen machen. Hiob 40,15-41,25 soll
eine Vorausschattung heutiger technischer
Errungenschaften sein. Die Kapitel 40 u. 41 im
Buch Hiob schildern ein Ungeheuer, das mit
Behemot oder Leviathan bezeichnet wird. In
diesem Ungeheuer sehen sie eine Vorausschattung
für die Dampfmaschine und Dampflokomotive. 1940
gab das Direktorium eine andere Interpretation
als verbindlich heraus: Der Leviathan sei eine
Versinnbildlichung für die Organisationen
Satans. Nahe verwandt mit den Vorausschattungen
sind die sog. «Parallelisierungen». Der
Unterschied besteht in folgendem: Eine
Vorausschattung meint nur ein bestimmtes
Ereignis der Zukunft. Eine Parallelisierung
lässt sich für verschiedene Ereignisse in der
Zukunft einspannen. Bekannt ist die
parallelisierende Deutung von Simson und den 300
Füchsen, deren Schwänze er in Brand gesteckt
hat. Die Füchse sind die Millionen von Traktaten
der «Theokratischen Organisation», die den
geistlichen Nahrungsvorrat aller falschen
Kirchen in Brand gesteckt haben. Der er grimmte
Simson, der mit einem Eselskinnbacken 1000
Philister erschlagen hat, ist das Mundwerk der
Zeugen Jehovas. Diese haben damit unzählige
Anhänger der falschen Religion mundtot gemacht.
Die Zeugen bemühen sich überhaupt nicht um den
Literalsinn der Bibel. Der geschichtliche und
kulturelle Zusammenhang wird sehr einseitig und
vor allem nicht auf einem akzeptablem Niveau
reflektiert.
c) Begriffsverfremdungen durch die
«Neue-Welt-Übersetzung» mit ihrem
spiritistischen Hintergrund
1961 kam die
«Neue-Welt-Übersetzung» heraus, welche die Bibel
als Propagandaschrift für die «Theokratische
Organisation» umfunktioniert. Die von den Zeugen
Jehovas geschaffene Terminologie prägt diese
Übersetzung. Im Neuen Testament wird das für
Christus im Grundtext gebrauchte Wort «Kyrios»,
was Herr bedeutet, mit Jehova übersetzt. Als
Beispiele mö gen folgende Stellen dienen: 1. Kor
1,31 wird nicht übersetzt mit «Wer sich rühmt,
rühme sich des Herrn», sondern «Wer sich rühmt,
rühme sich in Je hova»; Kol 3, 23 wird nicht
übersetzt mit «Was immer ihr tut, daran arbeitet
von Herzen als für den Herrn», sondern «Was
immer ihr tut, daran arbeitet mit ganzer Seele
als für Jehova ...» Eine Stelle, die einige
Kommentatoren auf Christus beziehen, ist jenes
Ich-bin-Wort von Offb 1, 8, wo es heisst: ^®Vgl.
Wachtturm vom 15. Mai 1967.
Zeugen Jehovas 93
«Ich bin das A und O, sagt Gott der Herr, der
ist und der war und der kommt, der Allmächtige.»
Diese Stelle gibt die Neue-Welt-Übersetzung mit
«Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Jehova
Gott...» wieder. Überall, wo die Trinitätslehre
anklingt, wird sie aus dem Text herausgenommen.
Der universelle Versöhnungswillen Gottes wird im
Text derart abgeändert, dass der Heilswille
Gottes sich nur auf die Schar der Zeugen Jehovas
bezieht. Das griechische Wort «aion», das im
Urtext des Neuen Testaments je nach Zusammenhang
mit Zeitabschnitt, Zeit oder Ewigkeit über setzt
werden kann, gibt die «Theokratische
Organisation» mit «System der Dinge» wieder. Die
«Neue-Welt-Übersetzung» ändert jene Wörter
sinnverfremdend ab, die mit Verkündigung zu tun
haben. Statt «verkündigen» heisst es dann
«unterweisen», «lehren». Überall, wo im
griechischen Grundtext «Ekklesia» (Kirche,
Gemeinde) steht, verwenden die Zeugen Jehovas
den Begriff «Organisation». In der neuesten
Übersetzung wird mit «Versammlung» übersetzt.
Das Wort Kreuz wird in «Pfahl» abgeändert. Wo
die Rede von der allerbarmenden Liebe Gottes
ist, gilt diese nur den Zeugen. Der Verlorene
Sohn ist einer, der eingesehen hat, dass er zur
«Theokratischen Organisation» zurückkehren muss.
Dass es in dieser Organisation der Zeugen
Jehovas nicht um die Freiheit der Kinder Gottes
geht, sehen wir in der für die ernsten
Bibelforscher so typischen Übersetzung von Römer
12, 11, wo folgendermassen übersetzt wird:
«Dient als Sklaven für Jehova» statt «Seid für
den Herrn zum Dienst bereit.»
Das hermeneutische
Prinzip ist nicht die Selbstauslegung der Bibel
und schon gar nicht das «was Christum treibet»,
sondern «was Harmagedon treibet». Die Bibel kann
grundsätzlich nur durch die Schriften Russels
und Rutherfords richtig verstanden werden.
Alarmierend muss es für uns sein, wenn wir zur
Kenntnis nehmen müssen, dass die
«Neue-Welt-Übersetzung» sich teilweise an die
Übertragung des Neuen Testaments durch einen
ehemals führenden Spiritisten anlehnt. Es
handelt sich um Johannes Greber (1876-1944), der
nach seinem Austritt aus der katholischen Kirche
nach dem ersten Weltkrieg in New York eine
spiritistische Gemeinschaft gründete. Er
übersetzte das Neue Testament aus dem
Griechischen, wobei ihm abgeschiedene Geister
geholfen haben sollen. Diese Übertragung wurde
unter dem Titel «Das neue Testament aus dem
Griechischen neu übersetzt und erklärt»
herausgegeben.
Die
«Neue-Welt-Übersetzung» zeigt die Anlehnung an
diese Übersetzung des Neuen Testaments von
Greber In jenen Passagen, die für die
Christologie von Bedeutung sind. Kolosser 1, 15
wird in engster Verbindung mit Grebers
Übersetzung so paraphrasiert, dass Jesus nicht
mehr der unerschaffene Sohn Gottes ist, sondern
«ein Erster unter den Geistgeschöpfen.» Die
Spekulation, Jesus sei in seinem präexistenten
Zustand der Erz-
94 Zeugen Jehovas
engel Michael gewesen, haben die Zeugen Jehovas
von Greber übernommen. Grebers Übertragung von
Johannes 1, 1 geriet ebenfalls in die
«Neue-Welt-Übersetzung», wo die Stelle
folgendermassen wiedergegeben wird: «Und das
Wort war ein Gott» statt «das Wort war Gott.» Es
ist vordergründig paradox, dass ausgerechnet die
Wachtturmgesellschaft, die ein materialistisches
Weltbild kennt, sich in jenen für die
Christologie wichtigen Passagen den
Textmodifikationen eines Spiritisten an gleicht.
Und doch ist eine gewisse Verwandtschaft gerade
im Hinblick auf den Materialismus zwischen den
Zeugen Jehovas und dem Spiritismus
festzustellen. Bei beiden ist nämlich das Leben
nach dem Tod im grossen und ganzen eine
Fortsetzung des irdischen Lebens unter
vollkommenen Bedingungen. Der Unterschied zu den
Zeugen Jehovas besteht lediglich darin, dass es
bei den Spiritisten keine provisorische
Unterbrechung durch Annihilation gibt.
Die Botschaften des
verstorbenen Mediums Beatrice Brunner von der
spiritistischen Kirche «Geistige Loge Zürich»
waren immer wieder gekennzeichnet durch
Beschreibungen irdischer Wünsche, die man ins
Jenseits verlagerte. So vernahm man vom
abgeschiedenen Geist Josef, der jeweils durch
Beatrice Brunner gesprochen haben soll, wie
gewisse Verstorbene nun in ein neues schönes
Haus eingezogen seien und sich elegante Kleider
beschafft hätten usw. Was bei den Spiritisten
ein Jenseits ist, zeigt sich bei den Zeugen
Jehovas als ein mit Unterbruch fortgesetztes
Diesseits. Die Wahrheit «les extremes se
touchent ( 16) bestätigt sich hier.
Im Wachtturm vom 1.
Juli 1983 musste die «Theokratische
Organisation» Rechenschaft darüber ablegen,
weshalb sie den Spiritisten Greber für ihre
Bibelübersetzung zuhilfe genommen hatten. Die
Antwort lautete, sie hätten Greber nur
gelegentlich verwendet, um gewisse Stellen in
der «NeuenWelt-Übersetzung» stützen zu können.
Es geht aber um das Zentrale, um die
Christologie. Liest man im Buch von Johannes
Greber «Verkehr mit der Geisterwelt», so
entdecken wir weitgehend die Christologie der
Wachtturmgesellschaft. Es lohnt sich, Grebers
«Neues Testament aus dem Griechischen neu
übersetzt und erklärt» aus dem Jahr 1936 zu
konsultieren und mit der
«Neuen-Welt-Übersetzung» zu vergleichen.
Aufschlussreich ist eine Gegenüberstellung der
«Neuen-Welt-Übersetzung» von Mt 27, 52-53 mit
Grebers Version. Die «Neue-Welt-Übersetzung»
lautet folgendermassen: «Und
die Gedächtnisgrüfte wurden geöffnet und viele
Leiber der entschlafenen Heiligen wurden
aufgerichtet und Leute, die nach seiner
Auferweckung von den Gedächtnisgrüften herkamen,
gingen in die Stadt und sie wurden vielen
sichtbar.» Nun
die englische Fassung von Johannes Greber: «Tombs
were laid open, and many bodies of tho
(16) franz.;
Die Extreme berühren sich.
Zeugen Jehovas 95 se
buried were tossed upright. In this posture they
projected from the graves and were seen by many
who passed by the place on their way to the
cIty.»
Auf Deutsch müsste
man das so wiedergeben: «Grüfte wurden geöffnet
und viele beerdigte Leichname wurden in
aufrechtstehender Haltung hochgeschleudert. In
dieser Position ragten sie aus den Gräbern
heraus, wobei sie vielen, die an der Stelle auf
ihrem Weg in die Stadt vor beizogen, sichtbar
wurden.» Im Wachtturm vom 21. Juli 1962, der in
Bogota erschienen ist, finden wir einen
interessanten Kommentar zu dieser Stelle von Mt
27. Der Kommentar zeigt ein Verständnis, das in
Zusammenhang mit Grebers Übersetzung stehen
muss. Die Übersetzung dieses Kommentars aus dem
Englischen sieht folgendermassen aus: «Wie dem
auch immer sei, ein Vergleich der
Auferstehungstexte macht es deutlich, dass diese
Verse keine Auferstehung beschreiben, sondern
lediglich den Auswurf von Körpern aus den
Gräbern vergleichbar mit Ereignissen in Equador
1949 und wiederum in Bogota 1962, als 200
Leichname anlässlich eines gewaltigen Erdbebens
im Friedhof aus den Gräbern geschleudert
wurden.» Ein ehemaliges Mitglied der «Leitenden
Körperschaft», R. Franz, hat in seinem Buch «Der
Gewissenskonflikt» eine gründliche Abrechnung
mit den Lehren der Zeugen Jehovas gemacht. Er
schreibt in bezug auf das Schriftverständnis
folgendes: «Alle Veränderung in mir erwuchs aus
der Einsicht, dass ich die Bibel aus einer total
sektiererischen Sicht heraus gesehen hatte -
wovor ich mich eigentlich geschützt geglaubt
hatte. Als ich die Heilige Schrift für sich
selbst sprechen Hess, ohne dass alles erst durch
den Trichter einer fehlbaren menschlichen
Einrichtung als 'Kanal' gegangen war, machte ich
die Entdeckung, dass sie erheblich an
Aussagekraft gewann. Ich war höchst erstaunt
darüber, wieviel Wichtiges mir vorher entgangen
war.» (17) Wie weit die «Theokratische
Organisation» im Sektiererischen steckt, se hen
wir besonders auch daran, dass weder
Weihnachten, Ostern, Himmel fahrt, noch
Pfingsten gefeiert wird. (Fortsetzung folgt)
17 Raymond Franz,
Der Gewissenskonflikt, München: Claudius Verlag,
1988, S. 215.
96 Zeugen Jehovas
Der Autor:
Pfr. Dr. Samuel
Leuenberger wurde als Sohn eines reformierten
Pfarrers 1942 in l\/loutier geboren. Bereits in
den Teenager-Jahren machte sich bei ihm ein
starkes Interesse am römischen Katholizismus
bemerkbar. Dank seiner wertvollen Kontakte mit
einem katholischen Jugendseelsorger er hielt er
die Möglichkeit, mehrere Jahre in einem
Benediktinerkollegium zu studieren und dort im
Jahre 1964 die Matura zu absolvieren. Seine
Auseinandersetzung mit dem Katholizismus fand
eine notwendige Ergänzung durch die Studienjahre
an der evangelisch-reformierten Fakultät in
Bern. Ein Auslandssemester in Oxford 1966/67
führte auch zur eingehenden Beschäftigung mit
dem Anglikanismus. Nach dem Staatsexamen in Bern
folgten zwei Studienjahre in den USA, in die
auch ein einjähriges Gemeindepraktikum
eingeschlossen war. in den USA entdeckte Samuel
Leuenberger erweckliches Christentum, dessen
Impulse er in seiner Tätigkeit als
landeskirchlicher Pfarrer in der Schweiz
weiterzugeben versucht. 1975 begann er mit
seiner Doktorarbeit und promovierte im März 1984
in Stellenbosch/Südafrika. Während der
Auseinandersetzung mit seiner Doktorarbeit wurde
er von der Richtigkeit der reformatorischen
Wahrheit überzeugt. Pfr. Dr. Samuel Leuenberger
ist seit 1986 Pfarrer an der reformierten Kirche
in Schlossrued und lehrt seit 1985 an der STH
Basel Kirchen-, Sekten- und
Weitanschauungskunde.
Veröffentlichungen:
- »Cultus Ancilla
Scripturae, das Book of Common Prayer als
erweckliche Liturgie - ein Vermächtnis des
Puritanismus», in: Bo Reicke (Hrsg.),
Theologische Dissertationen, Bd. XVII, Basel:
Friedrich Reinhardt Kommissionsveriag, 1986
(Vorstellung dieser Dissertation in FUNDAMENTUM
4/1984, S. 86-106).
- «Archbishop
Cranmer's Immortal Bequest», Grand Rapids:
Eerdmans, 1990.
- «Die
theosophischen Wurzeln von New Age», in: P.
Beyerhaus/L. von Padberg (Hrsg.), Eine Welt -
eine Religion?, Assiar: Schulte & Gerth, 1988.
- «Jesu Sicht der
Heiligen Schrift», FUNDAMENTUM 2/1989.
- «Zum 500.
Geburtstag des englischen Reformators Thomas
Cranmer», FUNDAMENTUM 4/1989. -
-«Pluralistisches
New Age: Seine totalitären Elemente», FUNDAMEN
TUM 2/1991.
- «Die Homöopathie
Hahnemanns in der Sicht Herbert Fritsches»,
FUN DAMENTUM 1/1992.
============
1995/2 Fundamentum
Zeugen Jehovas
Kleine Sektenkunde Zeugen Jehovas
Ideologie der
Entmündigung
Schluss
Dr. theol. S.
Leuenberger (Biographische Angaben finden sich
in
FUNDAMENTUM 1/1995,
S. 96)
V. Versuch einer seelsorgerlichen
Konfrontation und
Argumentation
1. Werkgerechtigkeit
Bei den Zeugen
Jehovas sollten wir bei der Werkgerechtigkeit
einsetzen. Glauben bedeutet bei den Zeugen
Jehovas in erster Linie Felddienst tun. Es
handelt sich um den ausweisbaren und
verbuchbaren Einsatz, mit dem man sich in der
«Theokratischen Organisation» die Rettung
erkaufen kann. Diese Werkgerechtigkeit könnten
wir mit Zeugen Jehovas, die uns besuchen, anhand
von Galater 2, 15-16 sowie 3, 10-11 und Römer 3,
23ff reflektieren. Reflexion dürfte für die
Zeugen etwas Neues und Unbekanntes sein, das
sich vom Indoktriniert werden wohltuend abheben
könnte. Mit diesen Stellen geben wir ihnen die
Chance, dass sie etwas von der
Selbstinterpretation der Heiligen Schrift ahnen
können. Man muss die Zeugen bei ihren Monologen
unterbrechen und ihnen mit Vollmacht kundtun,
dass wir für sie eine Frohbotschaft hätten. Wie
wäre es, sie darauf hinzuweisen, wie
menschenfreundlich doch unser biblischer Gott
ist, der nicht einen krampf haften Einsatz auf
Kosten der Familie und der Gesundheit von einem
verlangt? Sie müssen das zu hören bekommen, dass
in Christus die Menschenfreundlichkeit Gottes
erschienen ist, und dass es zu dieser
Menschenfreundlichkeit gehört, uns Freizeit zur
Erholung zu gönnen. Wir dürfen den Zeugen
zurufen: Gott befreit euch in Jesus vom Zwang,
Ihm eure Ver dienste vorrechnen zu müssen. Der
Zeuge braucht die Herausforderung durch die
Heilige Schrift, z.B. durch Titus 3, 4-7. Dieser
Text und mit ihm viele andere Steilen widerlegen
eindeutig eine gesetzliche Verdienstethik.
94 Zeugen Jehovas 2.
Das Gottesbild
a) Das Bild vom Jehovagott
Dieses Bild, das
unter Jehova den sich an Racheakten weidenden
und sich vor der Menschheit rechtfertigenden
Gott sieht, widerspricht dem Zeugnis des Alten
und Neuen Testaments. Psalm 103 zeigt ein
wesentlich anderes Bild von Gott als das der
Zeugen Jehovas.
b) Das Verständnis von Jesus
Den Zeugen sollte
man aufzeigen, wie die Ablehnung der Gottheit
Jesu nur durch einen «Murks» möglich ist. Es ist
auffällig, wie die Zeugen in ihrer Literatur zur
Widerlegung der Gottheit Christi die so
wichtigen johanneischen Ich-Bin-Worte Jesu nicht
heranziehen. Ein Mensch, der nur Geschöpf wäre,
könnte niemals von sich behaupten, das Licht der
Welt, der Weg, die Wahrheit, das Leben, die
Auferstehung, die Türe, der wahre Weinstock, das
Brot des Lebens und das A und O zu sein. Auch
das Zeugnis der Schrift, dass Jesus ohne Sünde
durch dieses irdische Leben gewandelt ist, ist
nur denk bar, wenn wir die Gottheit Christi
voraussetzen. Die Sicht Anselms von Canterbury
(1033-1109) scheint mir für die
Auseinandersetzung in dieser Frage hilfreich zu
sein. Wenn Menschen den unendlichen Gott durch
ihren Abfall beleidigt haben und als Strafe
ewige Trennung vom Himmlischen Vater gewärtigen
müssen, so kann nur ein Wesen zwischen Gott und
den Menschen vermitteln, das beide Seiten in
sich vereinigt, die göttliche und die
menschliche; ein Tier ist nicht nach dem
Ebenbild Gottes geschaffen, weshalb es für die
Vermittlung nicht in Frage kommen kann. Ein
gewöhnlicher Mensch vermag wegen seiner
Begrenzungen und Unzulänglichkeiten für den
beleidigten vollkommenen Gott nie und nimmer die
sühnende Zahlung zu leisten. Nur ein
vollkommenes Wesen, das aber beide Seiten in
sich vereinigt, vermag diese Zahlung zu leisten,
nämlich Jesus als wahrer, jedoch sündloser
Mensch und wahrer Gott. Auch Matthäus 28,18
steht im Widerspruch zur Auffassung, Jesus sei
nicht Gott, sondern nur ein ausserordentlich
begnadeter und ethisch einzigartig hochstehender
Mensch. Wenn Offenbarung 19, 13 Jesus als das
«Wort Gottes» bezeichnet, so meint der Begriff
«Wort Gottes» den Ausfluss des ureigensten
Gedankens und Wesens Gottes. Im Wort drückt eine
Person ihr Wesen aus. Wenn Jesus den Würdetitel
«Das Wort Gottes» trägt, so liegt es auf der
Hand, dass Er mit dem Himmlischen Vater Wesen
und Natur gemeinsam haben muss. Im gleichen
Kapitel lässt sich der doxologische Ehrentitel
«König der Könige und Herr der Herren» kaum
erklären, wenn Jesus nicht Gott wäre.
Schliesslich sind all jene Stellen im Buch der
Offenbarung eindeutig, wo Jesus in der
himmlischen Liturgie Anbetung empfängt wie z.B.
in Offb 5, 12-14. Nach Hebräer 1, 6 beten Engel
Jesus an. Eine
Zeugen Jehovas 95
sehr hilfreiche
Stelle ist auch Titus 2,13, wo es heisst: «Wir
warten auf die selige Hoffnung und auf die
Erscheinung der Herrlichkeit unseres grossen
Gottes und Heilandes Jesus Christus, der sich
für uns dahingegeben hat...»
Für den bei den
Zeugen Jehovas so hochgespielten Namen «Jehova»
gibt es keine Grundlage. Apg 4, 12 weist
unmissverständlich darauf hin, dass der Name
Jesus der höchste Name ist. Eindeutig lehrt das
Neue Testament, dass Wundertaten im Namen Jesu
geschehen sind und noch geschehen, seien es
Krankenheilungen, Dämonenaustreibungen und sogar
Auferweckungen. Nach Kolosser 3,17 sind wir dazu
angehalten, die alltäglichen Aufgaben im Namen
Jesu zu erledigen: «Und alles,
was ihr tut mit Wort oder mit Werk, das tut
alles im Namen des Herrn Jesus, indem ihr Gott,
dem Vater, durch Ihn dankt.»
c) Dreieinigkeit
Das Problem bei den
Zeugen Jehovas ist das Unvermögen, drei zum
einen Gott vereinte Personen als Realität
hinnehmen zu können. Die Zeugen denken in
Kategorien eines platten Rationalismus. Ihnen
dürfen wir aufzeigen, dass gerade die
Dreifaltigkeit mit der Liebe Gottes engstens
zusammenhängt. Gott ist eben kein Einzelgänger
wie Allah. In Ihm drinnen gibt es eine lebendige
Gemeinschaft drei verschiedener Personen, die
uns gleich sam das Modell und Urbild für die
richtige Gemeinschaftsweise unter den Menschen
gibt. Die Zeugen Jehovas sind durch die Meinung
fixiert, Unterordnung sei für Gott eine
Unmöglichkeit. Unterordnung bedeutet eben ein
Werturteil im disqualifizierenden Sinn, das sich
auf Gott nicht anwenden lässt. Wenn in der
Dreieinigkeit Über- und Unterordnung vorhanden
sind, so legitimiert das auch Über- und
Unterordnung im gesellschaftlichen Leben. Ohne
die trinitarische Struktur Gottes würde uns das
wichtigste Modell fehlen für alles, was
letztlich mit echter und tiefer Gemeinschaft zu
tun hat. Im Johannesevangelium dürfen wir sehen,
wie Jesus mit Seinem Himmlischen Vater umgeht.
Wichtigste Elemente im gemeinschaftlichen Umgang
zeigen uns die Gespräche zwischen Jesus und dem
Himmlischen Vater, nämlich gegenseitiges
Vertrauen, Ehrerbietung, Liebe, Anteilnahme, ge
genseitige Rücksichtnahme und lebendige
Auseinandersetzung.
Wer den Heiligen
Geist als Person leugnet, dem verschliesst sich
dieser Geist, so dass es gar nicht zur
Selbstauslegung der Heiligen Schrift kommen
kann. Deshalb stellen wir ja auch bei den Zeugen
eine naiv willkürliche Schriftinterpretation
fest. Folgende Stellen weisen u.a. auf den
Heiligen Geist als Person: Mk 3, 28; Lk 12,12;
Joh 14,26; Joh 15, 26; Joh 16, 7-15. Die
wahrscheinlich wichtigste Stelle für die Einheit
der drei göttlichen Personen ist Johannes 17,
20-23.
96 Zeugen Jehovas
Theologiegeschichtlich handelt es sich bei den
Zeugen um ein Wiederaufleben des alten
Arianismus\ wenn auch in viel primitiverer Form.
d) Anthropologie (2)
Die monistische^
Anthropologie müssen wir streng unter die Lupe
nehmen. Obschon der Mensch ein gefallenes Wesen
ist, bleibt ihm die Ebenbildlichkeit Gottes,
wenn auch in verzerrter Weise. Wenn der Mensch
nichts dem Tier voraushaben soll im Tod nach
Prediger 3,19-20, so steht das im Konflikt mit
der dem Menschen zugedachten Würde, auch Träger
geistiger Qualitäten sein zu dürfen. Der
bekannte amerikanische Theologe Norman Geisler
sieht in dieser Stelle von Prediger 3 nicht eine
Lehre, sondern viel mehr eine Darstellung
Salomes, zu welcher Schlussfolgerung ein
materialistisch gesinnter Mensch kommen muss.
Salome präsentiert also den Nihilismus' (4)
eines materialistisch eingestellten Menschen.
Natürlich darf eine Weiterexistenz über den Tod
hinaus niemals mit Rettung verwechselt wer den.
Auch der nicht gerettete Mensch ist Ebenbild
Gottes und ein gemeinsames Schicksal mit dem
Tier im Sinn einer Annihilation widerspricht
dieser Ebenbildlichkeit: zur Ebenbildlichkeit
gehört ja auch, dass Gott den Menschen einmal
zur Rechenschaft ziehen wird für all seine Taten
und Gedanken. Andernfalls gäbe es keine
Verantwortung, die doch ein für die
Ebenbildlichkeit konstitutives Element ist.
Denken wir zunächst einmal vom Alten Testament
her über die Frage nach, was nach dem Tod
geschehen wird. In Gen 25, 8 heisst es: «So
starb Abraham in schönem Alter, alt und
lebenssatt, und ward versammelt zu seinen
Stammesgenossen.» Der bedeutende amerikanische
Alttestamentler Barton Payne weist in seiner
«Theologie des älteren Testaments» darauf hin,
dass diese «Versammlung zu den Vätern» vor der
Beerdigung geschehen sei. Dasselbe berichtet uns
Gen 35,29 in bezug auf Isaak: «Dann verschied
Isaak und starb und ward versammelt zu seinen
Stammesgenossen, alt und lebenssatt; und seine
Söhne Jakob und Esau begruben Ihn.» Barton Payne
weist darauf hin, dass dieses Versammeltwerden
demnach nicht mit der Beisetzung im Grab
identifiziert werden darf, wo manchmal
verschiedene Leichname zusammengekommen sind (
5) Abraham und Jakob
(1) Arianismus =
Lehre, die die Gottheit Christi ablehnt. Er ist
lediglich das bevorzugte Geschöpf Gottes, aus
dem Nichts erschaffen.
(2) Anthropologie =
Lehre vom Menschen.
(3) Monistisch = den
Monismus (Einheitslehre, nach der die
Wirklichkeit einheitlich und von einer
Grundbeschaffenheit ist) betreffend.
(4) Nihilismus =
Überzeugung von der Nichtigkeit alles
Bestehenden.
(5) Barton Payne,
Theology of the Older Testament, Grand Rapids;
Zondervan, 1976, S. 445-446.
Zeugen Jehovas 97
kamen mit ihren Vorvätern zusammen nach der
Aussage der Schrift. Diese Vorväter lebten aber
an verschiedenen Orten und ihre Leiber wurden
auch an verschiedenen Orten beigesetzt. Deshalb
kann mit dem Begriff «Zu seinen Vätern
versammelt werden» niemals die Anhäufung der
Leichname im Grab gemeint sein.
Interessant ist auch
die Begebenheit in Endor nach 1. Sam 28. Saul
suchte einen spiritistischen Kontakt mit Samuel.
Die Zeugen Jehovas meinen nun aber, es habe sich
gar nicht um Samuel gehandelt, sondern um einen
Dämon, der in nachäffender Weise in der
körperlichen Gestalt Samuels er schienen sei.
Ein dämonischer Geist hätte aber Saul kaum die
Wahrheit gesagt und von einer Störung der Ruhe
gesprochen. Es scheint mir, Gottes Wort hätte um
der Wahrhaftigkeit willen darauf hingewiesen,
wenn eine Täuschung im Spiel gewesen wäre. Auch
frage ich mich, weshalb eine Warnung vor dem
Kontakt mit Verstorbenen nötig wäre, wie das
übrigens in Dtn 18, 9ff geschieht, wenn es gar
keine jenseitige Weiterexistenz gäbe. In Hiob
19, 26 sehen wir, wie Hiob deutlich erkennt,
dass er einen vergänglichen Leib hat und eine
den physischen Leib überdauernde Seele: «Selbst
wenn die Haut an mir zerschlagen ist, werde Ich
Gott schauen, ja ich werde ihn schauen mir zum
Heil ...» In Mt
10 sagt Jesus die Worte: «Fürchtet
euch nicht vor denen, die den Leib töten, die
Seele aber nicht töten können ...» Wohl
ist die Seele von Gott geschaffen und nicht im
platonischen Sinn ohne Anfang. Dennoch verfällt
sie nicht im Tod der Existenzlosigkeit. In 2.
Kor 5 schreibt Paulus: «Wir
haben aber viel mehr Lust, aus dem Leibe
auszufahren und daheim zu sein beim Herrn.» Wer
fährt denn aus dem Leibe aus? Es handelt sich um
die unsterbliche Seele. Beim Herrn zu sein hätte
ja keinen Sinn, wenn nach dem Tod der Zustand
ewiger Bewusstlosigkeit einträte.
In 2. Kor 12 spricht
Paulus davon, dass er ins Paradies entrückt
worden sei. Dabei lässt er offen, ob dies im
Leib oder ausserhalb des Leibes geschehen sei.
Er rechnet immerhin damit, dass man ausserhalb
des Leibes sein könne. In diesem Zusammenhang
finde ich auch die Lehrerzählung vom «Reichen
Mann und armen Lazarus». Sofort nach dem Tod ist
beim reichen Mann Bewusstsein vorhanden. Er
empfindet Qual. Er macht sich Gedanken und
spricht sogar mit Abraham. Die Worte Jesu zum
Schächer am Kreuz «Heute noch
wirst du mit mir im Paradiese sein» implizieren
doch auch eine über den Tod hinaus eintretende
Weiterexistenz des Kerns der Persönlichkeit,
also der Seele. Einige weitere Stellen der
Heiligen Schrift mögen diesen anthropologischen
Monismus zumindest in Frage stellen wie z.B.
Phil 1, 21-23: «Denn für
98 Zeugen Jehovas
mich ist das Leben ein Dienst
für Christus und das Sterben ein Gewinn ... ich
habe vielmehr Lust, abzuscheiden und bei
Christus zu sein, aber im Fleisch zu bleiben ist
nötiger um euretwillen.»
Im Fall einer provisorischen Annihilation wäre
ja das Sterben kein Gewinn. Auch wäre man
infolge des Todes nicht bei Christus. Der
Ausdruck «im Fleisch bleiben» legt uns nahe,
dass Paulus den Körper als Hülle verstanden hat,
aus welcher die Seele beim Sterben austritt.
Sehr aufschlussreich scheinen mir die
johanneischen Ich-Bin-Worte Jesu zu sein. So
heisst es in Joh 11, 25: «Ich
bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich
glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und
jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in
Ewigkeit nicht sterben.» Besonders
deutlich spricht gegen eine Annihilation 1. Petr
3,18-20: «Denn
auch Christus ist einmal der Sünden wegen
gestorben als Gerechter für Ungerechte, damit Er
uns Gott zuführte, indem Er getötet wurde nach
dem Fleisch, aber lebendig gemacht wurde nach
dem Geist. In diesem ist Er auch hingegangen und
hat den Geistern im Gefängnis gepredigt, die
vorzeiten ungehorsam waren ...» So
könnten wir noch manche Stellen anführen, welche
die Unsterblichkeit der Seele stützen. Die
Verneinung der postmortalen Existenz des
Persönlichkeitskerns bei den Zeugen Jehovas
lässt auf die Geringschätzung des Individuums
schliessen. Diese Geringschätzung kommt übrigens
auch darin zum Aus druck, dass die Autoren der
im Wachtturm abgedruckten Beiträge meistens
nicht mit ihrem Namen zeichnen. Durch den
anonymen Charakter des Schrifttums will man
einerseits das Eingebundensein in eine
kollektive Mas se zum Ausdruck bringen,
andererseits beim Leser den Eindruck erwecken,
die Artikel würden direkt von Jehova stammen. Es
scheint mir wichtig zu sein, den Zeugen Jehovas
aufzuzeigen, wie wert voll Gott der einzelne
Mensch ist. Dafür gibt es genügend Hinweise in
der Bibel.
Die Zeugen Jehovas
lehnen die Hölle ab. Der Ernst des Evangeliums
würde aber verlorengehen, wenn es kein «zu spät»
gäbe. Jesus spricht in Mk 9, 43
unmissverständlich vom unauslöschlichen Feuer.
Eine Annihilation der Gottlosen würde aber keine
Strafe mehr bedeuten. Leugnen wir die Hölle, so
gibt es kein Verlorengehen. Die Heiligkeit und
der Ernst Gottes müssen uns erhalten bleiben,
sonst geht der Anreiz zur Heiligung verloren.
Einen Gott, der seiner spotten Hesse, könnten
wir nicht mehr ernst nehmen.
VI. Erklärungsversuche für den Erfolg der
Zeugen Jehovas Immerhin
müssen wir bei den Zeugen Jehovas auf die
Anfrage gefasst sein, ob denn das
kontinuierliche Wachstum der «Theokratischen
Organisation» nicht auf Gottes besonderen Segen
schliessen lasse. Nehmen wir
Zeugen Jehovas 99
einige Zahlen aus
dem Materialdienst der Evangelischen
Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. In der
Ausgabe vom 1.9.1993 lesen wir: «1965 erreichte
die Zahl der weltweit aktiven 'Verkündiger' die
Millionengrenze, 1975 waren es bereits zwei
Millionen, 1985 drei Millionen und schon 1990
wurde die Vier-Millionen-Grenze überschritten.
Derzeit sind rund viereinhalb Millionen
'Verkündiger', organisiert in 70'000
Versammlungen, in weit über 200 Ländern aktiv.»®
Wir haben es bei den Zeugen Jehovas mit einem
Sammelbecken von vielen psychisch labilen
Personen zu tun. So meint E. Koppel in seinem
Buch, in dem er eine psychologische Analyse von
den Zeugen Jehovas macht, dass die Glieder
dieser Sekte ihre Ideologie zu einem Instrument
machten, mit dessen Hilfe Rationalisierungen
vorgenommen werden könnten, ohne dass der
Überzeugte gezwungen werde, sich mit seinen
eigentlichen Konflikten auseinanderzusetzen. Das
apokalyptisch-dualistische'' Weltbild der Sekte
werde als Stabilisierungsfaktor wirksam, indem
es dem Bedürfnis nach subjektiver Sicherheit
sehr nahe komme. Für einen Zeugen Jehovas gebe
es von der Lehre her im Leben keine Rätsel mehr,
was zu einem psychischen Wohlbefinden
oberflächlicher Art vorübergehend führen kann
(8)
VII. Beurteilung der Zeugen Jehovas von einem
ehemaligen Mitglied der Leitenden Körperschaft
von 1971-1980
1. Mühsame Verhandlungstraktanden an
Sitzungen der Leitenden Körperschaft
R. Franz berichtet,
wie in den jeweils an einem Mittwoch tagenden
Sitzungen die 11 Mitglieder nicht nach ihrem
Gewissen Entscheidungen treffen konnten. Es
wurde ein Gruppendruck erzeugt, der Konformität
verlangte. Vielfach brachte der Präsident
Probleme an die Sitzung, über die man sprechen
musste. Franz erwähnt folgende Probleme, über
deren Lösung das Gremium abstimmen musste: Darf
ein Vater das Ältestenamt ausüben, wenn er seine
Tochter mit 18 Jahren heiraten oder seinen Sohn
in eine höhere Schule gehen liess?
Darf man es dulden, wenn einem bedürftigen
Zeugen Jehovas durchs Rote Kreuz Hilfsgüter
gegeben worden sind?
Weil das Rote Kreuz eben ein Symbol der
christlich-abendländischen Kirche verwendet, die
babylonischer Herkunft ist, könnte das auf den
Empfänger je
-----------------
6 Materialdienst der
EZW, 56. Jahrgang, 1. September 1993, 8. 257.
7 Apokalyptisch =
auf das Weltende, das Jenseits ausgerichtet.
Dualistisch =
zweiheitlich geartet. Der Dualismus ist die
Zweiheitslehre, eine Anschauung vom
Nebeneinanderbestehen zweier verschiedener,
nicht vereinbarer Grundkräfte (Geist - Leib
u.a.) am Anfang aller Dinge.
8 E. Koppel, Die
Zeugen Jehovas. Eine psychologische Analyse,
München, 1990,8.58 u. 54.
100 Zeugen Jehovas
ner Hilfsgüter eine verunreinigende Wirkung
haben. Besonders wichtig waren Diskussionen über
Ehebruch unter Mitgliedern und welche Verfahren
eingeleitet werden sollten.
2. Unmenschliche Machenschaften
a) Abbruch der Beziehungen mit Abtrünnigen
Raymond Franz
gibt uns in seinem Buch «Der Gewissenskonflikt»
tiefen Einblick in die Machenschaften der
Theokratischen Organisation. So zeigt er uns die
Unmenschlichkeit gegenüber sog. Abtrünnigen. Der
Wachtturm vom 15.12.1981 gibt genaue
Anweisungen, wie man mit solchen Leuten
umzugehen hat, die sich von der Organisation
distanzieren. Man darf sie nicht mehr grüssen
und muss den Kontakt selbst zu engen
Familiengliedern abbrechen. Franz bringt den
Vergleich mit einer Mutter, die ein Kind
grossgezogen und mit ihm Freude und Leid geteilt
hat. Und nun zeigt jenes Kind der Mutter
plötzlich die kalte Schulter, nur weil sie nach
ihrem Gewissen einen eigenen Weg gehen will.
Loyalität zur Organisation entschuldigt das
härteste gefühllose Vorgehen gegen sogenannte
Abtrünnige. Aspekte menschlicher Anteilnahme
kommen überhaupt nicht zum Tragen, weil
Korrektheit gegenüber der Organisation über
aller Menschlichkeit steht.
b) Zerstörung der Lebensqualität durch starre
Gesetzlichkeit
In der Leitenden
Körperschaft behandelte man einen vorgelegten
Fall folgendermassen: Die Leitende Körperschaft
musste über einen Chauffeur befinden, der als
Angestellter der Coca Cola-Firma das Getränk
auch auf einen militärischen Stützpunkt bringen
musste. Dieses herrschende Gremium war der
Meinung, der betreffende Zeuge Jehovas würde der
Theokratischen Organisation Schande bringen
durch Belieferung eines militärischen
Stützpunktes mit Coca Cola. So wurde dem
Chauffeur befohlen, vom Arbeitgeber eine andere
Fahrroute zu verlangen. Dabei war es diesem
Gremium egal, dass der betreffende Chauffeur mit
einem solchen Begehren den Job aufs Spiel setzen
könnte. Im Fall der Weigerung, dem zuständigen
Arbeitgeberchef diesen Antrag zu stellen, musste
der betreffende Zeuge Jehovas mit Ausschluss aus
der Gemeinschaft rechnen. (9) Einen anderen Fall
berichtet Raymond Franz vom Staat Malawi in
Afrika. Malawi verlangt von jedem Staatsbürger
eine Solidaritätserklärung mit der einzigen
Partei, die es in diesem Land gibt, nämlich mit
der «Malawi Congress Party.» Diese
Solidaritätserklärung durften Zeugen Jehovas
aufgrund eines Beschlusses der Leitenden
Körperschaft nicht geben, was für die Zeugen
Brandschatzung ihrer Häuser, Vergewaltigung
ihrer Frauen und lange Gefängnisstrafen
bedeutete. Solche unverhältnismässigen Opfer
--------------
9 Raymond Franz, Der
Gewissenskonflikt, München: Claudius Verlag,
1991, S. 100.
Zeugen Jehovas 101
wurden den Gliedern der Theokratischen
Organisation abverlangt, weil eine
Solidaritätserklärung zum Einparteienstaat das
Einverständnis mit dem gegenwärtigen System der
Dinge bedeutet hättet (10)
c) Das Messen mit verschiedenen Ellen
Unlautere
Machenschaften mit Bestechungsgeldern sind
durchaus erlaubt, sobald es der Ideologie der
Theokratischen Organisation entspricht. So gibt
uns R. Franz ein Beispiel, wo die Leitende
Körperschaft mexikanischen Bürgern, die Zeugen
Jehovas sind, die Erlaubnis erteilte,
Bestechungsgel der zu zahlen, um sich vom
Militärdienst loszukaufen.^^ In der
Dominikanischen Republik vermochten gewisse
junge Männer der Zeugen Jehovas das nötige Geld
nicht zu zahlen, um sich vom Militärdienst
freizukaufen. Die Leitende Körperschaft
verlangte von ihnen, die Konsequenzen für die
Zahlungsunfähigkeit zu tragen, was für einige
dieser dominikanischen Bürger bis zu neun Jahren
Gefängnis bedeutete. Raymond Franz öffneten
solche Machenschaften die Augen gegenüber seiner
Sekte. Es wurde ihm klar, dass in der
Theokratischen Organisation für zahlungsfähige
und unbemittelte Zeugen nicht das gleiche Mass
angewendet wird. Es gibt also das Ansehen der
Person aufgrund der finanziellen Stellung. Vom
zahlungsfähigen Zeugen Jehovas verlangt man
nicht die gleichen Opfer wie vom armen Zeugen.
Dazu kommt noch, dass mit Bestechungsgeldern
erkaufte Scheine zur Dispensierung vom
Militärdienst in Mexiko als illegale
Machenschaften gelten. Das aber scheint die
Theokratische Organisation nicht zu berühren.
Gerade am Beispiel Mexiko kommt es deutlich zum
Ausdruck, wie mit der Wahrheit sehr willkürlich
umgegangen werden kann. So liessen sich die
Zeugen Jehovas wegen der besonderen Gesetzeslage
in diesem Land nicht als religiöse, sondern als
kulturelle Organisation bei der staatlichen
Behörde registrieren. Man spricht nicht von
«Versammlung», was die Zusammenkünfte im
Königreichssaal anbetrifft, sondern von
«Freundes kreis.» Führen sie Taufen durch, so
nennen sie diese Handlung nicht Taufe, sondern
lediglich «Symbol.» Gehen die Kolporteure von
Haus zu Haus, so geben sie den Wachtturm ab mit
der Begründung, das solle zu kultureller Arbeit
dienen. In den sog. «Freundeskreisen» spricht
man keine Gebete und singt auch keine Lieder, um
den Eindruck einer kulturellen Versammlung für
Aussenstehende aufrecht erhalten zu können.
Weshalb ist dies in Mexiko so wichtig, als
kulturelle und nicht als religiöse Gesellschaft
in Erscheinung zu treten? Nach mexikanischem
Recht darf keine religiöse Gemeinschaft, auch
nicht die katholische Kirche, Immobilien
besitzen. Die
10 Ebd..S. 112-113.
11 Ebd.S. 120-121.
12 Ebd.. 8. 131.
102 Zeugen Jehovas
Theokratische
Organisation verhält sich äusserst unsolidarisch
mit anderen religiösen Gemeinschaften, die dazu
stehen, dass sie religiöse Körperschaften sind
und auch den Nachteil auf sich nehmen, keine
Immobilien zu besitzen. Nur die Theokratische
Organisation masst sich an, durch Tarnmanöver zu
Immobilien kommen zu dürfen.
d) Respektlosigkeit gegenüber der Privat- und
Diskretionssphäre
In der Leitenden
Körperschaft gab man Direktiven heraus, dass
Älteste Ehepaare nach ihren Sexualpraktiken
ausforschen und ihr Rechenschaft geben müssten.
Vor allem in den Siebzigerjahren war dieser
Vorstoss, auch aufs Intimleben Macht auszuüben,
ein Charakteristikum der Leiten den
Körperschaft, was sich u.a. in den Wachttürmen
vom 15.3.1970, 1.3. und 15.2.1973 spiegelt. Eine
Flut von Briefen ging damals ein, wo Leute sich
genau absichern wollten, wie weit man bei
geschlechtlichen Handlungen in der Ehe gehen
dürfe. Es gehört zu den Praktiken der
Theokratischen Organisation, den Verhörstil zu
pflegen und von eng befreundeten Mitarbeitern
beispielsweise her auszupressen, welche
Meinungen sie untereinander austauschen. Wagt es
jemand, eine Lehre der «Neuen-Welt-Gesellschaft»
nur ein wenig anhand des biblischen Befundes in
Frage zu stellen, so wird sofort ein
Verhörkomitee zusammengestellt, das mit
inquisitorischer Akribie die kritisch
eingestellte Person mundtot zu machen versucht.
Dazu gehören Methoden wie das Ablesen von
Fragelisten, wobei der Angeklagte nur mit Ja
oder Nein antworten darf."' (13) Raymond Franz
gibt ein Stimmungsbild von jenen durch die
Leitende Körperschaft zusammengestellten
Verhörgremien wieder, wenn er sagt: «Von der
Güte Christi spürte man nichts, aber auch gar
nichts. Statt freundschaftlicher Wärme und einem
einfühlenden Verstehen, das der Freundschaft
erst die Wärme verleiht, herrschte ein kaltes,
einzig an Organisationsinter essen orientiertes
Verhalten. Man nahm stets das Schlimmste an, gab
möglichen anderen Erklärungen keine Chance und
sah Nachsicht und Geduld als Schwäche an, da sie
den Interessen und Zielen der Organisation
zuwiderliefen, die da lauteten:
Gleichförmigkeit, Fügsamkeit, stromlinienförmige
Anpassung. » (14) Franz verweist auch auf den
Wachtturm vom 15.1.1981, wo vor all jenen
Personen in der Organisation gewarnt wird, die
es wagen, eine kritische Haltung einzunehmen.
Solche Personen werden im genannten Wachtturm
verunglimpft, wobei man überhaupt nicht auf die
von den betreffenden Leuten geäusserte Kritik
eingeht.
13 Ebd., S. 247-250.
14 Ebd., 8. 253.
Zeugen Jehovas 103
VII. Einige zum Portrait der Zeugen Jehovas
gehörende
soziologische und psychologische Momente
sowie die theologiegeschichtliche Einordnung
1. Soziologische Momente
Die Zeugen
Jehovas mit ihrer stark chiliastischen'' (15)
Ausrichtung sprechen vor allem die sozial
benachteiligten Schichten an. Sehr präzise
drückt das der Soziologe E. T. Clark aus, wenn
er sagt, nicht privilegierte soziale Schichten
seien sehr empfänglich für das Versprechen einer
kommenden heilen Welt, wo es wirtschaftlich
keine Benachteiligten mehr geben werde, auch
keine Unterschiede von reich und arm. Es sei
daher verständlich, dass eine Sekte mit stark
chiliastischer Prägung die kosmische Katastrophe
herbeisehnen würde; denn durch diese würden ja
auch die ungerechten gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Systeme fallen.(16)
Es ist von den
soziologischen Gegebenheiten her verständlich,
weshalb es innerhalb der Theokratischen
Organisation keinen guten Bildungsstand gibt,
somit auch keine Kultur, was beispielsweise in
den kitschigen Illustrationen im Wachtturm zum
Ausdruck kommt sowie in den bescheidenen
musikalischen Kreierungen, wenn wir an das
Liedgut denken. Akademiker gibt es nur sehr
wenige bei den Zeugen Jehovas. An
Gebäulichkeiten gibt es nichts, was
architektonisch als Sonderleistung gelten
könnte. Die Ver sammlungslokale befinden sich
häufig in grösseren Gebäudekomplexen und heben
sich nicht von anderen Gebäuden ab wie das etwa
bei der Christengemeinschaft der Fall ist, die
den künstlerischen Aspekten einen hohen
Stellenwert beimisst. Eine interessante
soziologisch-gesellschaftliche Eigenheit bei den
Zeugen ist die strikte Unterordnung der Frau.
Sie darf in keine höheren Gremien aufsteigen und
darf im Königreichssaal sich nicht als lehrende
Person an die Versammlung wenden. Ein für die
Zeugen typisches soziologisches Moment ist die
Tatsache eines Frauenüberschusses, vor allem
mittelalte und ältere Frauen. Das hängt ganz
einfach damit zusammen, dass die an die
Haustüren klopfenden Kolporteure Hausfrauen
vorfinden; die Männer befinden sich meistens auf
der Arbeit. Ghiliastische schlaraffenlandartige
Perspektiven haben junge Frau en nicht so nötig,
weil sie von den Problemen des Lebens im
Normalfall noch nicht besonders heimgesucht
worden sind. Mittelalte und ältere Frau en auf
dem sogenannten absteigenden Ast lechzen viel
mehr nach einem Auffüllen ihrer Defizite. Der
Anteil des weiblichen Geschlechtes beträgt also
65 Prozent.
--------
15 Chiliastisch =
Den Chiliasmus (Lehre von einer 1000jährigen
Herrschaft Christi auf der Erde) betreffend.
16 E. T. Clark, The
small sects In America, New York, 1949, 8. 218f.
104 Zeugen Jehovas 2.
Psychologische Momente
Ein sehr
interessanter psychologischer Mechanismus ist
besonders von L. Festinger erforscht worden. Er
nennt diesen psychologischen Mechanismus
«kognitive Dissonanz». In bezug auf die Zeugen
Jehovas lässt sich eine kognitive
Dissonanzreduktionsstrategie feststellen.
Darunter ist folgendes zu verstehen: Die
Theokratische Organisation, vor allem die führen
den Leute darin, wissen durchaus, dass
gravierende Fehlprophezeiungen in Bezug auf den
Anbruch des Milleniums gemacht worden sind. Doch
das Nichteintreffen der Prophezeiungen wird nun
als Erfolg deklariert, indem man die Mitglieder
davon überzeugen will, das Ausbleiben der
Prophezeiung sei von Jehova als wertvolle
Prüfung der Durchhaltekraft der Zeugen gewollt
und sei als grosse Chance der Bewährung zu
verstehen. Zu dieser kognitiven
Dissonanzreduktionsstrategie gehört die schlaue
Erklärung, weshalb 1975 das Ende noch nicht
gekommen sei. So wird einem weisgemacht, Adam
sei 4'026 Jahre vor der Zeitrechnung erschaffen
worden. Vom Jahre 4'026 weg seien also bis zum
Zeitpunkt von 1975 6'000 Jahre verflossen. Eines
sei aber noch nicht berücksichtigt worden,
nämlich die Erschaffung Evas, die in einem
späteren Zeitpunkt erfolgt sei. Erst vom
Zeitpunkt der Vollendung des ersten
Menschenpaars, das mit der Erschaffung Evas
geschehen sei, dürfe man die 6*000 Jahre
hinzufügen. Somit kommen die Zeugen Jehovas auf
ein späteres, noch nicht definitiv festgesetztes
Datum für den Anbruch des Endes. Ein weiteres
dissonanzreduzierendes kognitives Element ist
für die Theokratische Organisation die Tatsache,
dass trotz Spott und Hohn von Seiten der Welt
neue Mitglieder angeworben werden und die
Neue-Welt-Gesellschaft im Wachstum begriffen
ist. Ein interessantes Detail dafür, dass die
Zeugen Jehovas psychologische Gegebenheiten
ausnützen, wenn auch in reflektierter Weise, ist
folgende Gepflogenheit: Die Zeugen lesen mit
besonderem Eifer die Todesanzeigen der lokalen
Zeitungen; denn dieser Sachverhalt ist auch
ihnen klar, dass emotional durch einen Todesfall
stark mitgenommene Menschen eher indoktriniert
werden können. Die Theokratische Organisation
kennt in ihrer psychologischen Strategie drei
wichtige Mechanismen, die funktionieren müssen:
Es handelt sich um den Kohäsions-, Isolations-
und Kontrollmechanismus.
a) Der Kohäsionsmechanismus (17)
Beim
Kohäsionsmechanismus geht es darum, die
Mitglieder mit Druck zur regelmässigen Teilnahme
an den Versammlungen zu bewegen, sie zum
-----
17 Kohäsion = von
lat. cohaerere, zusammenhängen.
Zeugen Jehovas 105
Verkauf von
möglichst vielen Wachttürmen zu bewegen,
Rollenspiele zu leiten, vor der Versammlung aus
dem Wachtturm vorzulesen. Alles, was den
Zusammenhalt und die Gruppenidentität fördert,
gehört zur Kohäsionsmethode. Je mehr Opfer
gebracht werden durch die Einzelnen, desto mehr
fühlen sich die Mitglieder moralisch
verantwortlich, sich mit den anderen zu
solidarisieren. Die Verachtung von aussen her
will man geradezu provozieren, weil das die
Mitglieder noch mehr zusammenschweisst. Die
Proklamation, dass die Zeugen die endzeitliche
Heilsgemeinde darstellen, intensiviert den
Kohäsionsmechanismus.
b) Der Isolationsmechanismus
Der Zeuge muss sich
von der Welt trennen, d.h. vom «System der
Dinge». So reglementiert die Leitung die
Beziehungen der Gläubigen zur Aussenwelt. Dazu
gehören wie bereits an früherer Stelle erwähnt
das Verbot der Besuche von Theater, von
Vereinen, überhaupt von fröhlicher Unterhaltung
wie die eines Dorffestes. Kontakte mit
Andersgläubigen sind nicht gestattet, es sei
denn einzig mit der Absicht, diese zu bekehren.
Beziehungen zu Eltern, Geschwistern und
Verwandten sowie zu Freunden müssen abgebrochen
werden, wenn diese sich nicht für die
«Theokratische Organisation» zu interessieren
beginnen. V. Mine bezeichnet diese Massnahmen
als «bridge-burning-act».^® Zum
Isolationsmechanismus gehören Verbote wie
Bluttransfusion und ausserordentlich strenge
sexuelle Vorschriften, die dem Zeugen das
ethische Überlegenheitsgefühl vermitteln.
c) Kontrollmechanismen
Jeder Zeuge ist
verpflichtet, beobachtete Verfehlungen den
«Ältesten» zu melden, also den Aufsehern der
Versammlung. Wenn ein Mitglied eine Meinung
äussert, die nicht konform ist mit der Lehre der
Zeugen, so wird der Umgang mit dieser Person
verboten. Diese Mechanismen führen zu tiefen
psychischen Schäden. Der Zeuge fühlt sich nur in
seiner Gruppe wohl. Dort ist er sicher und von
dorther empfängt er auch Mut, der Welt und ihrer
Meinung zu widerstehen. Wenn auch die Zeugen
eine grosse Opferbereitschaft an den Tag legen
und einen wesentlich höheren ethischen Standard
als der Durchschnittsbürger unserer
Gesellschaft, so ist doch eine Kontaktarmut
vorhanden, eine Steifheit und eine subdepressive
Stimmung. Eigenständiges Denken ist wenig vorhan
den. Wie ein Papagei muss immer das
nachgeplappert werden, womit man
(18) Bridge burning
= Brücken verbrennen. V. Hine,
Bridge burners:
Commitment and participation in a rellgious
movement. Sociologicai analysls, 1970, S. 61-66.
106 Zeugen Jehovas
indoktriniert worden ist. Die Zeugen sind
Sklaven. Weil die Realisierung ih rer Ideale
kaum möglich ist, stecken die Zeugen in einem
Kampf und oft in Schuldgefühlen; denn sie müssen
ihre Bedürfnisse immer zugunsten der
Theokratischen Organisation zurückstecken.
Kreative Werte können sie nicht entfalten. Die
Macht des Klischees verformt diese Leute oft zu
Karikaturen, Leute, die doch von ihnen aus
gesehen alles zur Ehre Gottes und für das Wohl
der Menschen tun möchten. Ihr Ernst, Gott zur
Ehre zu leben, das dürfen wir ihnen nicht
absprechen. Darin könnten sie uns ein grosses
Beispiel sein, wenn es nicht aus einem sklavi
schen Geist heraus geschehen würde.
3. Theologiegeschichtliche Einordnung
Was die
theologiegeschichtliche Einordnung betrifft,
würde ich die Zeugen Jehovas als Nachfahren der
spätantiken Arianer sowie des
hochmittelalterlichen Joachimismus im 13.
Jahrhundert sehen, aber auch der chiliastischen
Strömungen unter den Nonkonformisten Englands im
17. Jahrhundert
. Eingesehene
Literatur:
Verschiedene
Wachtturm-Ausgaben.
Hans-Jürgen
Twisselmann,
Vom Zeugen Jehovas zum Zeugen Jesu Christi, Basel:
Brunnen Verlag, 1987. F. W. Haack, Jehovas
Zeugen, München, 1981. Gerhard Heinzmann, Lehren
die Zeugen Jehovas die Wahrheit?, Karls
ruhe, 1988.
Raymond Franz, Der
Gewissenskonflikt, München:
Claudius Verlag, 1991.
Zusätzliche Literatur:
Erich Brüning, Sind
Zeugen Jehovas Christen?, Bad
Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission,
1990. |
Herzliche Grüsse
Hans Peter
1. Mo
15,6 Und er glaubte Jehova; und er rechnete
es ihm zur Gerechtigkeit.
===
Wer im Forum schreiben will, muss sich per Mail bei mir:
h.p.wepf@bibelkreis.ch anmelden
und mir seine Mailadresse und das Geburtsdatum mitteilen.
Man kann sich nicht mehr selbst anmelden das habe ich wegen den
vielen Fake- Anmeldungen gestoppt.
|