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Markus Walvoord

Markus (John D. Grassmick)


EINLEITUNG



Das Markusevangelium ist das kürzeste der vier Evangelien. Vom 4. bis ins 19. Jahrhundert galt es lediglich als Auszug aus dem Matthäusevangelium und wurde daher von den Bibelwissenschaften kaum beachtet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich dann jedoch allgemein die Überzeugung durch, daß das Markusevangelium überhaupt das erste schriftliche Evangelium sei. Von da an wurde es zu einem Gegenstand besonderen Interesses und intensiver Forschung.


Verfasserfrage


Formal gesehen ist das Markusevangelium anonym geschrieben, der Autor wird an keiner Stelle genannt. Der Titel "Das Evangelium nach Markus" ( Kata Markon ) wurde der Schrift erst später, kurz vor dem Jahr 125 n. Chr., vorangestellt. Wir haben jedoch genügend Hinweise aus der frühkirchlichen Überlieferung (äußere Belege) und auch aus dem Evangelium selbst (innere Belege), um den Verfasser identifizieren zu können.

Die frühen Kirchenväter sind einhellig der Ansicht, daß es sich bei dem Verfasser des Markusevangeliums um einen Mitarbeiter des Apostels Petrus namens Markus handelt. Die älteste uns bekannte Aussage in dieser Richtung stammt von Papias (um 110 n. Chr.), der sich dabei auf Johannes den Älteren - wahrscheinlich ein Name für den Apostel Johannes - beruft. Papias nennt Markus als Autor und gibt folgende Hintergrundinformationen zu seiner Verfasserschaft: 1. Er war kein Augenzeuge der Worte und Werke Jesu. 2. Er begleitete den Apostel Petrus und hörte seine Predigten. 3. Er schrieb alle Worte und Werke Jesu auf, an die Petrus sich erinnerte, jedoch nicht der Reihe nach, d. h. nicht immer in chronologischer Reihenfolge. 4. Er war Petrus' "Dolmetscher". Das heißt wohl einfach, daß Markus die Lehre des Petrus einem breiteren Publikum zugänglich machte, indem er sie niederschrieb, und nicht etwa, daß er Petrus' auf Aramäisch gehaltene Reden ins Griechische oder Lateinische übersetzte. 5. Sein Bericht ist vollkommen zuverlässig (vgl. Euseb, Kirchengeschichte 3. 39. 15).

Diese frühen Belege werden von Justinus dem Märtyrer ( Dialog 106. 3; etwa 160 n. Chr.), im Antimarcionitischen Prolog zum Markusevangelium (etwa 160 - 180 n. Chr.), von Irenäus ( Adversus Haereses 3. 1. 1 - 2; etwa 180 n. Chr.), Tertullian ( Adversus Marcionem 4. 5; etwa 200 n. Chr) und durch die Schriften des Clemens von Alexandrien (etwa 195 n. Chr.) sowie des Origenes (etwa 230 n. Chr), die von Euseb zitiert werden ( Kirchengeschichte 2. 15. 2; 6. 14. 6; 25. 5), bestätigt. Die äußeren Hinweise auf eine Verfasserschaft von Markus sind also relativ alt und stammen aus verschiedenen Zentren der frühen Christenheit: Alexandria, Kleinasien und Rom.

Obwohl es nirgendwo ausdrücklich gesagt wird, gehen die meisten Exegeten davon aus, daß der Markus, von dem die Kirchenväter sprechen, mit jenem "Johannes (ein hebräischer Name), auch Markus (ein lateinischer Name) genannt", identisch ist, der im Neuen Testament zehnmal erwähnt wird ( Apg 12,12.25;13,5.13;15,37.39; Kol 4,10; 2Tim 4,11; Phlm 1,24; 1Pet 5,13 ). Die Einwände, die gegen diese Identifizierung erhoben werden, sind nicht überzeugend. Außerdem gibt es keinerlei Hinweise auf einen "anderen" Markus, der in engem Kontakt mit Petrus stand, und auf dem Hintergrund des Datenmaterials im Neuen Testament stellt sich ebenfalls keine Notwendigkeit, einen "unbekannten" Markus einzuführen.

Die internen Belege, wenngleich nicht ganz eindeutig, sind mit den historischen Zeugnissen der frühen Kirche durchaus vereinbar. Sie sagen folgendes über den Verfasser des Evangeliums aus: 1. Markus war mit der Geographie Palästinas vertraut; vor allem kannte er Jerusalem (vgl. Mk 5,1;6,53;8,10;11,1;13,3 ). 2. Er verstand anscheinend Aramäisch, die Umgangssprache in Palästina (vgl. Mk 5,41;7,11.34;14,36 ). 3. Er kannte die jüdischen Institutionen und Bräuche (vgl. Mk 1,21;2,14.16.18;7,2-4 ).

Auch auf eine Verbindung zu Petrus gibt es Hinweise: (a) die anschaulichen und ungewöhnlich genauen Einzelheiten der Erzählungen, die den Eindruck erwecken, daß sie den Erinnerungen eines apostolischen Augenzeugen aus dem "engsten Kreis" um Jesus, zu dem Petrus ja gehörte, entstammen (vgl. Mk 1,16-20.29-31.35-38;5,21-24.35-43;6,39.53-54;9,14-15;10,32.46;14,32-42 ); (b) der Umgang des Verfassers mit Petrus' Worten und Taten (vgl. Mk 8,29.32-33;9,5-6;10,28-30;14,29-31.66-72 ); (c) der Einschub "und Petrus" in Kapitel 16,7 , der nur im Markusevangelium zu finden ist; und (d) die auffällige Übereinstimmung zwischen dem Aufbau des Markusevangeliums und der Predigt des Petrus in Cäsarea (vgl. Apg 10,34-43 ).

Im Lichte der äußeren und der inneren Belege ist es also durchaus plausibel, jenen "Johannes/Markus", der in der Apostelgeschichte und den Briefen auftaucht, als Verfasser des Evangeliums zu betrachten. Dieser Markus war ein Judenchrist, der mit seiner Mutter Maria zur Anfangszeit der Kirche in Jerusalem lebte. Über seinen Vater ist nichts bekannt. Das Haus der Familie war ein frühchristlicher Versammlungsort (vgl. Apg 12,12 ), möglicherweise sogar Schauplatz von Jesu' letztem Passamahl (vgl. den Kommentar zu Mk 14,12-16 ). Markus selbst könnte der "junge Mann" gewesen sein, der nach Jesu Gefangennahme nackt von Gethsemane floh (vgl. den Kommentar zu Mk 14,51-52 ). Daß Petrus ihn "mein Sohn" nennt ( 1Pet 5,13 ), bedeutet vielleicht, daß er es war, der Markus zum christlichen Glauben bekehrte.

Zweifellos hörte Markus in der Frühzeit der Kirche in Jerusalem (etwa 33 - 47 n. Chr.) Petrus predigen. Später kam er mit Paulus und Barnabas (seinem Vetter; vgl. Kol 4,10 ) nach Antiochia und begleitete sie auf ihrer ersten Missionsreise bis nach Perge (vgl. Apg 12,25;13,5.13 : etwa 48 - 49 n. Chr.). Aus ungeklärten Gründen kehrte er von dort nach Jerusalem zurück. Weil Markus sie das erste Mal verlassen hatte, weigerte Paulus sich, ihn auf seine zweite Missionsreise mitzunehmen. Statt dessen arbeitete Markus mit Barnabas zusammen auf der Insel Zypern (vgl. Apg 15,36-39; etwa 50 - ? n. Chr.). Etwas später, vielleicht im Jahr 57, ging er dann nach Rom, wo er Paulus in der Zeit seiner ersten Gefangenschaft beistand (vgl. Kol 4,10; Phlm 1,23 - 24 ; etwa 60 - 62 n. Chr.). Nach Paulus' Freilassung blieb Markus anscheinend in Rom und arbeitete mit Petrus zusammen, nachdem auch dieser in das "Babylon" - Petrus' Codewort für Rom - gekommen war (vgl. 1Pet 5,13; etwa 63 - 64 n. Chr.). (Manche Exegeten beziehen "Babylon" auch auf die Stadt am Euphrat; vgl. den Kommentar zu 1Pet 5,13 .) Wahrscheinlich veranlaßt durch die schweren Verfolgungen unter Kaiser Nero und Petrus' Martyrium verließ Markus Rom dann wieder für einige Zeit. Während seiner zweiten Gefangenschaft in Rom (etwa von 67 - 68 n. Chr.) bat Paulus Timotheus in Ephesus, er möge Markus, der sich zu dieser Zeit vermutlich irgendwo in Kleinasien befand, suchen und nach Rom mitbringen, weil er ihn dort brauche (vgl. 2Tim 4,11 ).



Quellen


Wenn man davon ausgeht, daß Markus der Verfasser des Markusevangeliums war, so bedeutet das nicht, daß er selbst das in diesem Evangelium verarbeitete Material schuf. Ein "Evangelium" verkörpert vielmehr eine ganz bestimmte literarische Form des 1. Jahrhunderts. Es handelt sich dabei nicht einfach um eine Biographie Jesu, eine Chronik seiner "Taten" oder um eine Sammlung von Erinnerungen seiner Jünger, wenn auch durchaus etwas von all dem darin enthalten ist; in erster Linie ist ein Evangelium eine theologische Proklamation von Gottes "guter Nachricht", die ihr Zentrum in den historischen Ereignissen von Jesu Leben, Tod und Auferstehung hat, für eine ganz bestimmte Leserschaft. Von dieser Intention geleitet stellte Markus das historische Material, das ihm vorlag, zusammen und bearbeitete es.

Seine Hauptquelle bildeten die Predigten und Lehren des Apostels Petrus (vgl. die Ausführungen unter "Verfasserfrage"). Vermutlich hatte er ihn zwischen 33 und 47 n. Chr. viele Male in Jerusalem predigen hören, sich teilweise Notizen zu dem Gehörten gemacht und wohl auch mit Petrus persönlich gesprochen. Auch mit Paulus und Barnabas (vgl. Apg 13,5-12;15,39; Kol 4,10-11 ) stand Markus in Verbindung, und zumindest eine Stelle in seinem Evangelium dürfte sogar auf eine eigene Erinnerung zurückgehen (vgl. Mk 14,51-52 ). Zu den anderen Informationsquellen des Evangelisten gehören: (a) Einheiten mündlicher Überlieferung, die in der Frühkirche einzeln oder als thematische (z. B. Mk 2,1-3,6 ), zeitliche oder geographische Zusammenfassungen zirkulierten (z. B. Mk 14-15 ) und zu einer zusammenhängenden Erzählung verschmolzen; (b) voneinander unabhängige, tradierte Jesusworte, die durch "Stichworte" miteinander verbunden wurden (z. B. Mk 9,37-50 ); und (c) mündliches Überlieferungsgut, das Markus zusammenfaßte (z. B. Mk 1,14-15;3,7-12;6,53-56 ). Aus all diesen Quellen schuf Markus unter der Anleitung des Heiligen Geistes ein historisch genaues und vertrauenswürdiges Evangelium.

Es gibt keine sicheren Hinweise darauf, daß Markus auch schriftliche Quellen benutzte, obwohl die Leidensgeschichte ( Mk 14-15 ) ihm wohl zumindest teilweise in dieser Form vorlag. Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis des Markusevangeliums zu Matthäus und Lukas.

Viele Forscher sind der Ansicht, daß Markus das erste schriftliche Evangelium war und zusammen mit anderem Quellenmaterial die wichtigste Vorlage für Matthäus und Lukas bildete. Lukas erwähnt ja sogar ausdrücklich, daß ihm bereits andere schriftliche Dokumente zur Verfügung standen ( Lk 1,1-4 ).

Mehrere Argumente sprechen für die Priorität des Markusevangeliums: 1. Das Matthäusevangelium enthält etwa 90 Prozent des Markustextes, Lukas über 40 Prozent - bei Matthäus und Lukas zusammen finden sich über 600 von den 661 Versen des Markusevangeliums. 2. Matthäus und Lukas folgen im allgemeinen Markus' Chronologie, und wo einer von ihnen einmal aus thematischen Gründen von ihr abweicht, hält der andere sie doch ein. 3. Es gibt kaum Stellen, an denen Matthäus und Lukas sich im gleichen Zusammenhang beide gegen Markus wenden, wenn alle drei über dasselbe Ereignis berichten. 4. Matthäus und Lukas wiederholen Markus' Aussagen häufig wörtlich; wo sie von ihm abweichen, erscheint die Sprache jeweils nur grammatisch oder stilistisch geglättet (vgl. z. B. Mk 2,7 mit Lk 5,21 ). 5. In manchen Fällen hat man den Eindruck, daß Matthäus und Lukas Markus' Worte lediglich abwandelten, um ihre Bedeutung klarer herauszuarbeiten (vgl. Mk 2,15 mit Lk 5,29 ) oder um einige besonders harte Aussagen des Markusevangeliums etwas "abzumildern" (vgl. z. B. Mk 4,38 b mit Mt 8,25 und Lk 8,24 ). 6. Matthäus und Lukas lassen manchmal Worte aus Markus' "ausführlichen" Beschreibungen aus, um dafür zusätzliches Material aufzunehmen (vgl. z. B. Mk 1,29 mit Mt 8,14 und Lk 4,38 ).

Gegen diese Theorie wurden in der Hauptsache fünf Einwände geltend gemacht: 1. Matthäus und Lukas stimmen in manchen Passagen gegen Markus überein. 2. Lukas bezieht sich nirgends auf das Material aus Mk 6,45-8,26 ,was ungewöhnlich wäre, wenn er das Markusevangelium benutzt hätte. 3. An einigen Stellen enthält der Markustext Informationen, die im Bericht von Matthäus und Lukas nicht auftauchen (vgl. Mk 14,72 ).

4. Die Kirchenväter waren anscheinend der Überzeugung, daß Matthäus - nicht Markus - das erste Evangelium ist. 5. Wenn das Markusevangelium das erste Evangelium wäre, so hieße das, daß Matthäus und/oder Lukas erst nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. geschrieben wurden.

Dem ersten Einwand ließe sich entgegenhalten, daß die Übereinstimmungen von Lukas und Matthäus gegen Markus nur einen sehr geringen Anteil ausmachen (sechs Prozent) und wahrscheinlich auf gemeinsame, zusätzliche Quellen (d. h. mündliche Überlieferungen) zurückzuführen sind, die die Verfasser neben dem Markusevangelium verwendeten. Der zweite Einwand verliert viel von seiner Überzeugungskraft angesichts der allgemein anerkannten Tatsache, daß die Verfasser der Evangelien ihr Material aus den Quellen, die ihnen zur Verfügung standen, je nach ihrer besonderen Intention auswählten. So überging Lukas das in Mk 6,45-8,26 Gesagte vielleicht bewußt, um den Ablauf seiner eigenen Schilderung der Reise Jesu nach Jerusalem nicht zu unterbrechen (vgl. Lk 9,51 ). Das würde, neben der Tatsache, daß Markus sich auf Petrus als Augenzeugen stützte und dadurch möglicherweise zusätzliche Einzelheiten erfuhr, auch den dritten Einwand bis zu einem gewissen Grad beantworten. Der vierte Einwand leitet sich hauptsächlich von der Reihenfolge der Evangelien im neutestamentlichen Kanon ab.

Von dieser Anordnung darauf zu schließen, daß die frühen Kirchenväter das Matthäusevangelium für das erste schriftlich vorliegende Evangelium hielten, ist jedoch nicht zwingend. Ihnen lag vor allem an der apostolischen Autorität und der apologetischen Beweiskraft der synoptischen Evangelien, nicht an den historischen Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Texten. Aus diesem Grund wurde dem von einem Apostel verfaßten Matthäusevangelium, das zudem mit dem Stammbaum Jesu begann und damit eine Brücke zum Alten Testament schuf, der erste Platz eingeräumt. Außerdem würde man, wenn Matthäus das erste schriftliche Evangelium wäre und Markus und Lukas es benutzt hätten, doch erwarten, Stellen zu finden, an denen Lukas sich an Matthäus orientiert und Markus nicht - was jedoch nie der Fall ist. Darüber hinaus lassen sich die Unterschiede zwischen dem Markus- und dem Matthäusevangelium sehr viel schwerer erklären, wenn man Matthäus als Grundlagentext voraussetzt, als wenn man in Markus die Vorlage sieht. Die Abweichungen in der Chronologie sprechen durchgehend stärker für Markus als erstes Evangelium. Gegen den letzten vorgebrachten Einwand schließlich ist zu sagen, daß die Priorität von Markus nicht zwingend eine Datierung von Matthäus und/oder Lukas in die Zeit nach 70 n. Chr. verlangt (vgl. den Kommentar zu "Datierung").

Insgesamt scheint sich die enge Verwandtschaft zwischen den drei synoptischen Evangelien nur durch die Annahme einer literarischen Abhängigkeit erklären zu lassen. Die Theorie von der Priorität des Markustextes, wenngleich selbst nicht ganz unproblematisch, erhellt dabei noch am ehesten den grundlegenden Aufbau und die bis in Einzelheiten gehenden Ähnlichkeiten. Die daneben bestehenden Unterschiede dagegen sind wahrscheinlich auf die Kombination verschiedener mündlicher und schriftlicher Überlieferungen zurückzuführen, die Matthäus und Lukas unabhängig voneinander zusätzlich zum Markusevangelium benutzten. (Weitere Ausführungen zu diesem Punkt und eine andere Auffassung des synoptischen Problems, nämlich die Annahme, daß Matthäus das älteste Evangelium ist, siehe in der Einführung zum Matthäusevangelium.)



Datierung


Nirgendwo im Neuen Testament findet sich eine explizite Aussage über den Zeitpunkt der Entstehung des Markusevangeliums. Der Abschnitt mit Jesu Vorhersage der Zerstörung des Tempels in Jerusalem (vgl. den Kommentar zu Mk 13,2.14-23 ) legt jedoch immerhin die Vermutung nahe, daß das Evangelium vor der tatsächlichen Zerstörung im Jahre 70 n. Chr. geschrieben wurde.

Über die Frage, ob Markus sein Evangelium vor oder nach dem Martyrium des Petrus schrieb (zwischen 64 - 68 n. Chr.), gehen die Zeugnisse der Kirchenväter auseinander. Einerseits erklärte Irenäus ( Adversus Haereses 3. 1. 1), daß Markus nach dem "Weggang" ( exodon ) von Petrus und Paulus (also nach 67 oder 68 n. Chr.) schrieb. Er gebrauchte dabei das Wort exodon wahrscheinlich im Sinne von "Ende" oder "Hinscheiden" - wie es auch bei Lk 9,31 und 2Pet 1,15 auftaucht. Diese Deutung wird ganz klar durch die Aussage des Antimarcionitischen Prologs zum Markusevangelium gestützt, der feststellt: "Nach dem Tod des Petrus schrieb er (Markus) dieses Evangelium nieder..." Nach Clemens von Alexandrien und Origenes dagegen (vgl. Euseb, Kirchengeschichte 2. 15. 2; 6. 14. 6; 6. 25. 5) entstand das Markusevangelium noch zu Lebzeiten von Petrus, ja, ihrer Ansicht nach war Petrus sogar an der Niederschrift beteiligt und billigte die Verwendung des Textes in der Kirche.

Die einander widersprechenden äußeren Belege erschweren somit eine eindeutige Klärung der Datierung. Es gibt zwei Möglichkeiten. Wenn man sich an der Tradition orientiert, derzufolge es nach dem Tod von Petrus und Paulus geschrieben wurde, muß es zwischen 67 und 69 n. Chr. verfaßt worden sein. Die Verfechter dieser These datieren die Entstehung des Matthäus- und des Lukasevangeliums in der Regel entweder nach 70 n. Chr. oder vor dem Markusevangelium. Die zweite These, daß das Evangelium vor 64 - 68 n. Chr. (also vor Petrus' Tod) geschrieben wurde, geht dagegen davon aus, daß der Text zu Lebzeiten von Petrus entstand. Das beinhaltet die Möglichkeit, das Markusevangelium (oder auch das Matthäusevangelium) als das älteste Evangelium zu betrachten und zugleich die Annahme beizubehalten, daß alle synoptischen Evangelien vor 70 n. Chr. geschrieben wurden.

Folgende Gründe sprechen dafür, dieser zweiten These den Vorzug zu geben: 1. Die Überlieferung zu diesem Punkt ist zwar nicht einheitlich, doch sprechen die verläßlicheren Belege für die zweite Annahme. 2. Die Priorität von Markus (vgl. die Ausführungen unter "Quellen") und vor allem der Zusammenhang zwischen dem Markus- und dem Lukasevangelium, das quasi den ersten Teil der Apostelgeschichte darstellt (vgl. Apg 1,1 ), weist auf eine Entstehung vor 64 n. Chr. hin. Die Tatsache, daß die Apostelgeschichte mit Paulus' erster Gefangenschaft schließt (etwa 62 n. Chr.), verlegt die Datierung sogar noch vor das Jahr 60 n. Chr. 3. Historisch gesehen spricht einiges dafür, daß sich Markus (und vielleicht für kurze Zeit auch Petrus) gegen Ende der 50er Jahre in Rom aufhielt (vgl. die Ausführungen zu "Verfasserfrage" und "Ursprungsort und Adressaten"). Vor diesem Hintergrund bietet sich eine Datierung des Markusevangeliums zwischen 57 und 59 n. Chr., in der Anfangszeit der Regierung Kaiser Neros (54 - 68 n. Chr.), an.



Ursprungsort und Adressaten


Fast alle frühen Kirchenväter (vgl. die Belege unter "Verfasserfrage") stimmen darin überein, daß das Markusevangelium in Rom in erster Linie für römische Heidenchristen geschrieben wurde.

Diese Auffassung wird auch von den folgenden Belegen aus dem Evangelium selbst gestützt: 1. Jüdische Bräuche werden erklärt (vgl. Mk 7,3-4;14,12;15,42 ). 2. Aramäische Ausdrücke sind ins Griechische übersetzt (vgl. Mk 3,17;5,41;7,11.34;9,43;10,46;14,36;15,22.34 ). 3. Es werden eher lateinische Termini als ihre griechischen Entsprechungen benutzt (vgl. Mk 5,9;6,27;12,15.42;15,16.39 ). 4. Die römische Zeitrechnung wird zugrundegelegt (vgl. Mk 6,48;13,35 ). 5. Nur Markus identifiziert Simon von Kyrene als den Vater von Alexander und Rufus (vgl. Mk 15,21; Röm 16,13 ). 6. Es kommen nur wenige Zitate aus dem Alten Testament oder Hinweise auf erfüllte alttestamentliche Prophezeiungen vor.

7. Markus spricht immer wieder mit besonderem Nachdruck von "allen Völkern" (vgl. den Kommentar zu Mk 5,18-20;7,24-8,10;11,17;13,10;14,9 ), und an einer der wichtigsten Stellen seines Evangeliums bezeugt niemand anderer als ein heidnischer römischer Hauptmann unabsichtlich Jesu Gottheit (vgl. Mk 15,39 ). 8. Der Ton und die Botschaft des Evangeliums sind auf die römischen Gläubigen zugeschnitten, die bereits Verfolgungen ausgesetzt waren und in Erwartung weiterer Leiden lebten (vgl. den Kommentar zu Mk 9,49;13,9-13 ). 9. Markus setzt voraus, daß seine Leser mit den Hauptcharakteren und -ereignissen seines Berichts vertraut waren; er schrieb also stärker aus einer theologischen als biographischen Intuition heraus. 10. Markus spricht seine Leser direkter als die anderen Evangelisten als Christen an, indem er die Bedeutung bestimmter Handlungen und Aussagen im christlichen Kontext transparent macht (vgl. Mk 2,10.28;7,19 ).



Besonderheiten


Das Markusevangelium nimmt aus mehreren Gründen eine Sonderstellung unter den synoptischen Evangelien ein. Zunächst einmal stellt es Jesu Taten stärker in den Vordergrund als seine Lehren. Markus erzählt beispielsweise achtzehn Wunder Jesu, greift aber nur vier seiner Gleichnisse ( Mk 4,2-20.26-29.30-32;12,1-9 ) und nur eine größere Rede ( Mk 13,3-37 ) auf. Er weist zwar wiederholt darauf hin, daß Jesus lehrte, geht jedoch an keiner Stelle näher auf den Inhalt dieser Lehren ein ( Mk 1,21.39;2,2.13;6,2.6.34;10,1;12,35 ). Die meisten Lehren, die er aufgenommen hat, stammen aus Jesu Kontroversen mit den jüdischen Religionsführern und Theologen ( Mk 2,8-11.19-22.25-28; 3,23-30; 7,6-23; 10,2-12; 12,10-11.13-40 ).

Zweitens: Markus' Stil ist lebendig, kraftvoll und sehr anschaulich, er hat die Unmittelbarkeit eines Augenzeugenberichts, wie Petrus ihn etwa hätte geben können (vgl. z. B. Mk 2,4;4,37-38;5,2-5;6,39;7,33;8,23-24;14,54 ). Sein Griechisch ist nicht sehr gebildet, es entspricht eher der Umgangssprache der damaligen Zeit und hat außerdem einen merklichen semitischen Einschlag. Sein Umgang mit der griechischen Zeitform, besonders der Einsatz des Präsens historicum (das über einhundertfünfzigmal vorkommt), die einfachen, durch "und" verbundenen Sätze, das häufige "alsbald" (euthys; vgl. den Kommentar zu Mk 1,10 ) im Sinne von "und da, in diesem Moment" wie überhaupt die kernige, sehr ausdrucksvolle Wortwahl (z. B.: "der Geist trieb ihn in die Wüste"; Mk 1,12 ) machen den Bericht dabei ungemein spannend und lebendig.

Drittens: Bemerkenswert ist die ungewöhnliche Offenheit, mit der Markus seine Personen schildert. So würzt er die Reaktionen von Jesu Hörern mit den verschiedensten Ausdrücken des Erstaunens (vgl. den Kommentar zu Mk 1,22.27;2,12;5,20;9,15 ). Er berichtet ohne Beschönigung, daß die Familie Jesu sich tatsächlich Sorgen um seine geistige Gesundheit machte (vgl. Mk 3,21.31-35 ), und legt freimütig und wiederholt das mangelnde Verständnis der Jünger und ihre Schwächen offen (vgl. Mk 4,13;6,52;8,17.21;9,10.32;10,26 ). Außerdem beschreibt er ganz plastisch die Emotionen Jesu, sein Mitleid ( Mk 1,41;6,34;8,2;10,16 ), seinen Zorn und sein Mißfallen ( Mk 1,43; 3,5; 8,33; 10,14 ), aber auch seine Angst und seine Not ( Mk 7,34;8,12;14,33-34 ).

Viertens: Das Markusevangelium steht ganz im Zeichen des Kreuzes und der Auferstehung. Von Mk 8,31 an sind Jesus und seine Jünger "auf dem Weg" (vgl. Mk 9,33;10,32 ) von Cäsarea Philippi im Norden durch Galiläa nach Jerusalem im Süden. Der ganze übrige Bericht (immerhin sechsundreißig Prozent) ist den Ereignissen der Karwoche gewidmet - den acht Tagen von Jesu Einzug in Jerusalem ( Mk 11,1-11 ) bis zu seiner Auferstehung ( Mk 16,1-8 ).


Theologie


Im Mittelpunkt der Theologie des Markusevangeliums steht das Bild, das der Evangelist von Jesus zeichnet, und die Bedeutung dieses Bildes für die Nachfolge. Bereits im ersten, einleitenden Vers wird Jesus als der "Sohn Gottes" ( Mk 1,1 ) bezeichnet, ein Titel, der vom Vater bestätigt ( Mk 1,11;9,7 ) und von den Dämonen ( Mk 3,11;5,7 ), von Jesus selbst ( Mk 13,32;14,36.61-62 ) und von einem römischen Hauptmann bei Jesu Tod ( Mk 15,39 ) wieder aufgegriffen wird. Aber auch die Vollmacht, mit der er lehrt ( Mk 1,22.27 ), und seine souveräne Macht über Krankheiten und körperliche Gebrechen ( Mk 1,30-31.40-42; 2,3-12; 3,1-5; 5,25-34; 7,31-37; 8,22-26; 10,46-52 ), Dämonen ( Mk 1,23-27;5,1-20;7,24-30;9,17-27 ), die Naturgewalten ( Mk 4,37-39;6,35-44.47-52;8,1-9 ) und den Tod ( Mk 5,21-24.35-43 ) legitimieren diesen Anspruch. All das war der überzeugende Beweis, daß "das Gottesreich" - Gottes endgültige Herrschaft - den Menschen in Jesus, in seinen Worten und Werken (vgl. den Kommentar zu Mk 1,15 ) nahegekommen war.

Dabei hebt Markus paradoxerweise besonders Jesu Gebot hervor, daß die Dämonen schweigen sollen ( Mk 1,25.34;3,12 ) und die Kunde von seinen Wundertaten nicht weitergetragen werden soll ( Mk 1,44;5,43;7,36;8,26 ). Er betont, daß Jesus in Gleichnissen sprach, wenn er die Menge lehrte ( Mk 4,33-34 ), weil seine Herrschaft zu diesem Zeitpunkt noch verhüllt war - ein Geheimnis, das nur im Glauben verstanden werden konnte ( Mk 4,11-12 ). In diesem Zusammenhang zeigt der Evangelist auch die Begriffsstutzigkeit der Jünger, die Jesu Person immer wieder verständnislos gegenüberstanden, obwohl Jesus ihnen viele seiner Aussagen im persönlichen Umgang nochmals gesondert erklärte ( Mk 4,13.40;6,52;7,17-19;8,17-21 ). Auffallenderweise werden auch die Jünger nach dem Bekenntnis des Petrus zu Jesu Gottessohnschaft aufgefordert, Stillschweigen zu bewahren ( Mk 8,30 ). Das geschah offensichtlich wegen der irreführenden Ansichten, die die Juden mit der Person des Messias verknüpften, und die im Gegensatz zum eigentlichen Zweck seines irdischen Daseins standen. Jesus wollte nicht, daß seine Identität bekannt wurde, bevor er nicht seinen Anhängern das rechte Verständnis für den Messias und für das Wesen seines Auftrags vermittelt hatte.

Markus gibt Petrus' Bekenntnis, "du bist der Christus" ( Mk 8,29 ), in schlichter, unverbrämter Form wieder. Jesus akzeptierte den ihm darin zugewiesenen Titel weder, noch wies er ihn zurück, sondern er lenkte die Aufmerksamkeit der Jünger von der Frage nach seiner Identität weg auf die Frage nach seinem Wirken ( Mk 8,31.38 ). Er selbst gebrauchte bevorzugt die Bezeichnung "Menschensohn" und lehrte seine Jünger, daß er leiden und sterben müsse und wieder auferstehen werde. Der Titel "Menschensohn", der im Markusevangelium zwölfmal von Jesus selbst verwendet wird, während er nur ein einziges Mal von sich als dem "Christus" spricht ( Mk 9,41 ), bringt in besonderer Weise die ganze Tragweite seines messianischen Auftrags für die Gegenwart und die Zukunft zur Geltung (vgl. den Kommentar zu Mk 8,31.38;14,62 ). Er war der leidende Gottesknecht ( Jes 52,13-53,12 ), der sein Leben in Gehorsam gegen Gott für andere dahingab ( Mk 8,31 ). Er war der Menschensohn, der kommen wird in Herrlichkeit, um Gericht zu halten und sein Reich auf Erden zu errichten ( Mk 8,38-9,8;13,26;14,62 ). Doch vor dem herrlichen Triumph seiner messianischen Herrschaft mußte er zuerst den Fluch Gottes über die Sünde des Menschen tragen ( Mk 14,36;15,34 ), er mußte leiden und sterben zur Erlösung für viele ( Mk 10,45 ). Das aber hatte wichtige Konsequenzen für alle, die ihm nachfolgen wollten ( Mk 8,34-38 ).

Es war schwer für Jesu zwölf Jünger, das zu begreifen. Sie erwarteten als Messias einen Herrscher, nicht jemanden, der litt und starb. In den Kapitel über die Nachfolge ( Mk 8,31-10,52 ) zeigt Markus Jesus "auf dem Weg" nach Jerusalem, wie er seine Jünger lehrt, was es bedeutet, ihm anzuhängen. Es waren keine schönen Aussichten, die er ihnen eröffnete, doch dreien von ihnen gewährte er bei seiner Verklärung einen ermutigenden Vorgeschmack seines späteren Kommens in Macht und Herrlichkeit ( Mk 9,1-8 ). Bei diesem Anlaß bestätigte der Vater die Sohnschaft Jesu und wies die Jünger an, ihm zu gehorchen. Die Jünger "sahen" zwar, doch sie begriffen nicht (vgl. Mk 8,22-26 ). Wieder betont der Evangelist das Erstaunen, das Unverständnis, ja sogar die Furcht, mit der sie Jesu Worten begegneten ( Mk 9,32;10,32 ). Bei seiner Gefangennahme verließen sie ihn denn auch alle ( Mk 14,50 ). Mit wenigen, dürren Worten berichtet Markus dann über das Kreuzigungsgeschehen und die begleitenden Phänomene, die seine Bedeutung klar hervortreten lassen ( Mk 15,33-39 ).

Dagegen legt er viel Gewicht auf das leere Grab und die Botschaft des Engels, daß Jesus am Leben sei und seinen Jüngern voraus nach Galiläa, an den Ausgangspunkt ihres Wirkens ( 6,6 b. 7-13 ) gehe ( Mk 14,28;16,7 ). Der abrupte Schluß des Markusevangeliums macht auf eindrucksvolle Weise deutlich, daß Jesus lebt und seine Jünger leitet und für sie sorgt, wie er es früher getan hat. Sie sollten deshalb ihre "Reise" der Jüngerschaft im Lichte und im Bewußtsein von Jesu Tod und Auferstehung antreten ( Mk 9,9-10 ).



Anlaß und Zweck des Evangeliums


Auch dazu macht das Markusevangelium keine direkten Angaben, so daß wir diese Information ebenfalls aus seinem Inhalt und dem historischen Umfeld, soweit es bekannt ist, erschließen müssen. Derartige Einschätzungen fallen jedoch im allgemeinen verschieden aus, und so haben wir es auch hier mit einer Vielzahl unterschiedlicher Standpunkte zu tun.

Hier nun einige der Hypothesen, die im Zusammenhang mit dem Zweck des Evangeliums aufgestellt wurden: (a) es sollte ein biographisches Bild von Jesus als dem Gottesknecht vermitteln; (b) es sollte die Menschen zum Glauben an Jesus Christus bekehren; (c) es sollte neubekehrte Christen unterweisen und ihren Glauben angesichts der Verfolgung, der sie ausgesetzt sind, stärken; (d) es sollte als Material für Evangelisten und Lehrer dienen; und (e) es sollte falsche Vorstellungen über Jesus und seinen messianischen Auftrag zurechtrücken. Jede dieser Thesen ist zwar in gewisser Hinsicht hilfreich, übergeht dabei jedoch Teile des Evangeliums oder wird den von Markus besonders herausgestellten Tatbeständen nicht gerecht.

Markus' Anliegen ist in erster Linie seelsorgerlicher Natur. Die Christen in Rom hatten die gute Nachricht von Gottes rettender Macht bereits gehört und glaubten sie ( Röm 1,8 ), doch sie mußten sie nochmals, mit anderem Schwerpunkt, hören, um neu zu begreifen, was sie für ihr Leben in einer aus den Fugen geratenen und ihnen häufig feindlich gesonnenen Umwelt bedeutete. Sie mußten verstehen lernen, was es heißt, Jesu Jünger zu sein und ihm nachzufolgen - im Lichte dessen, was Jesus war, was er getan hatte und noch immer für sie tat.

Wie ein guter Hirte verkündet Markus deshalb "das Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes" ( Mk 1,1 ), und er verkündet es auf eine Art und Weise, die diesem Bedürfnis in der Gemeinde entgegenkam und tiefen Einfluß auf das Leben seiner Leser nahm. Es gelang ihm, Jesus und die zwölf Jünger so darzustellen, daß die Leser sich mit ihnen identifizieren konnten (vgl. den Kommentar zu "Theologie"). Er zeigt, daß Jesus Christus der Messias ist, weil er der Sohn Gottes ist, und daß sein Tod als der leidende Menschensohn zu Gottes Plan für die Erlösung der Menschen gehörte. Vor diesem Hintergrund zeichnet er Jesu Fürsorge für seine Jünger und das Bild der Nachfolge, das er angesichts seines Todes und seiner Auferstehung für sie entwarf - eine Fürsorge und Wegweisung, die alle, die Jesus folgen, nötig haben.



GLIEDERUNG


I. Der Titel ( 1,1 )

II. Einleitung: Die Vorbereitung auf Jesu öffenliches Wirken ( 1,2-13 )

     A. Jesu Vorläufer, Johannes den Täufer ( 1,2-8 )
     B. Jesu Taufe durch Johannes den Täufer ( 1,9-11 )
     C. Jesu Versuchung durch Satan ( 1,12-13 )

III. Jesu erstes Wirken in Galiläa ( 1,14-3,6 )

     A. Einführende Zusammen- fassung: Die Botschaft Jesu ( 1,14-15 )
     B. Jesu Berufung von vier Fischern ( 1,16-20 )
     C. Jesu Macht über Demonän und Krankheit ( 1,21-45 )
     D. Jesu Auseinandersetzungen mit den Schriftgelehrten und Pharisäern in Galiläa
     E. Schluß: Jesu Verwerfung ( 2,1-3,5 ) durch die Pharisäer( 3,6 )

IV. Jesu späteres Wirken in Galiläa ( 3,7-6,6 a)

     A. Einführende Zusammen- fassung: Jesu Wirken am See Genezareth ( 3,7-12 )
     B. Jesu Berufung der Zwölf ( 3,13-19 )
     C. Der Beelzebul-Vorwurf und Jesu wahre Familie ( 3,20-35 )
     D. Jesu Gleichnisse als Abbild des Gottesreiches ( 4,1-34 )
     E. Jesu Wunder als Zeichen seiner Macht ( 4,35-5,43 )
     F. Schluß: Jesu Verwerfung in Nazareth ( 6,1-6 a)

V. Jesu Wirken in und um Galiläa ( 6,6 b. 8,30 )

     A. Einführende Zusammen- fassung: Jesu Lehrreise durch Galiläa ( 6,6 b)
     B. Die Aussendung der Zwölf und der Tod Johannes' des Täufers ( 6,7-31 )
     C. Jesu Selbstoffenbarung gegenüber den Zwölfen in Wort und Tat ( 6,32-8,26 )
     D. Schluß: Das Bekenntnis des Petrus ( 8,27-30 )

VI. Jesu Reise nach Jerusalem ( 8,31-9,29 )

     A. Die erste Leidens- ankündigung ( 8,31-9,29 )
     B. Die zweite Leidens- ankündigung ( 9,30-10,31 )
     C. Die dritte Leidens- ankündigung ( 10,32-45 )
     D. Schluß: Der Glaube des blinden Bartimäus ( 10,46-52 )

VII. Jesu Wirken in und um Jerusalem ( 11,1-13,37 )

     A. Der Einzug in Jerusalem ( 11,1-11 )
     B. Die Prophezeiungen des Gerichtes über Israel ( 11,12-26 )
     C. Die Kontroversen mit den jüdischen Religionsführern im Tempelbezikt ( 11,27-12,44 )
     D. Die Endzeitrede an die Jünger auf dem Ölberg ( Kap. 13 )

VIII. Jesu Leiden und Tod in Jerusalem ( Kap. 14-15 )

     A. Der Verrat des Judas, das Passamahl und die Flucht der Jünger ( 14,1-52 )
     B. Jesu Gerichtsverhandlungen, seine Kreuzigung und sein Begräbnis ( 14,53-15,47 )

IX. Jesu Auferstehung von den Toten bei Jerusalem ( 16,1-8 )

     A. Die Ankunft der Frauen beim Grab ( 16,1-5 )
     B. Die Vekündigung des Engels ( 16,6-7 )
     C. Die Reaktion der Frauen auf die Nachricht von Jesu Auferstehung ( 16,8 )

X. Der umschrittene Epilog ( 16,9-20 )

     A. Die drei ersten Erscheinungen Jesu nach seiner Auferstehung ( 16,9-14 )
     B. Jesu Auftrag an seine Jünger ( 16,15-18 )
     C. Jesu Himmelfahrt und das weitere Wirken der Jünger ( 16,19-20 )


AUSLEGUNG


I. Der Titel
(
1,1 )


Mk 1,1


Der Eingangsvers des Markusevangeliums (ein Satz ohne Verb) enthält Titel und Thema des Buches. Die Bezeichnung Evangelium ( euangeliou , "gute Nachricht") bezieht sich dabei nicht auf Markus' Schrift, die unter dem Namen "Markusevangelium" bekannt wurde, sondern auf die "gute Nachricht" von Jesus Christus .

Dem mit dem Alten Testament vertrauten Leser war die Bedeutung des Wortes "Evangelium" durchaus bekannt (vgl. Jes 40,9;41,27;52,7;61,1-3 ), und "Nachricht" bedeutete nichts anderes, als daß etwas Wichtiges geschehen war. Als Markus das Wort benutzte, war es bereits zum Terminus technicus für die christliche Botschaft von Jesus Christus geworden: "Das Evangelium" ist die Verkündigung von Gottes Macht, durch Jesus Christus alle, die an ihn glauben, zu retten ( Röm 1,16 ). Für den theologischen Rahmen des Markustextes spielt der Begriff eine wichtige Rolle ( Mk 1,14-15;8,35;10,29;13,9-10;14,9 ).

Der Anfang des Evangeliums liegt für Markus in den historischen Begebenheiten des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu, denen dann die Verkündigung durch die Apostel folgte. Ihr Wirken begann dort ( Apg 2,36 ), wo Markus mit seinem Bericht endete.

Sein Evangelium handelt "von Jesus Christus", dem Sohn Gottes . Der ihm von Gott gegebene Name "Jesus" (vgl. Mt 1,21; Lk 1,31; Lk 2,21 ) ist das griechische Äquivalent für das hebräische Wort y+hNSVaZ ("Josua"), "Yahwe ist das Heil".

"Christus" wiederum ist die griechische Bezeichnung für den hebräischen Titel M ASIaH ("Messias, der Gesalbte") - ein Hoheitstitel des von den Juden ersehnten Erlösers, der als Gottes Werkzeug die alttestamentlichen Prophezeiungen erfüllen sollte (z. B. 1Mo 49,10; Ps 2;110; Jes 9,1-6;11,1-9; Sach 9,9-10 ). Dieser seit langem erwartete Messias war Jesus. Auch wenn der Titel "Christus" in der Frühzeit der Kirche bereits mit dem Namen Jesus verschmolzen war, so hat Markus, wie sein Sprachgebrauch zeigt, dabei doch stets die ganze Bedeutung dieses Titels (vgl. Mk 8,29;12,35;14,61;15,32 ) im Blick.

Der Titel "Sohn Gottes" weist auf die einzigartige Beziehung Jesu zu Gott hin. Er war Mensch (Jesus), und er war Gottes "Werkzeug" (der Messias), doch zugleich war er auch göttlichen Wesens. Als Sohn war er abhängig von Gott dem Vater und gehorchte ihm (vgl. Hebr 5,8 ).


II. Einleitung: Die Vorbereitung auf Jesu öffentliches Wirken
(
1,2 - 13 )


In einer kurzen Einführung beschreibt Markus drei Ereignisse, die für ein rechtes Verständnis der Mission, die Jesus zu erfüllen hatte, entscheidend sind: das Amt Johannes' des Täufers (V. 2 - 8 ), Jesu Taufe (V. 9 - 11 ) und Jesu Versuchung (V. 12 - 13 ). Zwei immer wiederkehrende Wörter ziehen sich wie ein roter Faden durch den ganzen Abschnitt und halten ihn zusammen: "die Wüste" ( erEmos ; V. 3 - 4; 12 - 13 ) und "der Geist" (V. 8.10.12 ).



A. Jesu Vorläufer, Johannes der Täufer
(
1,2 - 8 ) ( Mt 3,1-12; Lk 3,1-20; Joh 1,19-37 )


1. Johannes' Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiung
(
1,2 - 3 )


Mk 1,2-3


Gleich zu Anfang seines Berichtes rückt Markus das Gesagte in den größeren biblischen Kontext, in den es gehört. Dies ist, abgesehen von den alttestamentlichen Zitaten, die Jesus gebraucht, die einzige Stelle desMarkusevangeliums, an der auf das Alte Testament Bezug genommen wird.

Es handelt sich bei Vers 2 um ein Zitat aus 2Mo 23,20 (LXX) und Mal 3,1 (LXX), Vers 3 zitiert Jes 40,3 (LXX). Markus geht von einem traditionellen Verständnis dieser Verse aus, so daß er sie ohne weitere Erklärung einfach anführen kann. Ihm liegt vor allem an dem Wort "Weg" ( hodos , wörtlich: "Straße"), das zu einem Schlüsselwort für seine Auffassung von Nachfolge wird ( Mk 8,27;9,33;10,17.32.52;12,14 ).

Seinen Zitaten aus den drei alttestamentlichen Büchern stellt Markus die einleitende Wendung, b, voran, durchaus ein übliches Verfahren bei den neutestamentlichen Autoren, wenn sie mehrere Textstellen, die ein und dasselbe Thema behandelten, zitieren wollten. Im vorliegenden Fall geht es dabei um die "Wüsten"-Tradition in der Geschichte Israels. Da Markus vom Amt Johannes' des Täufers in der Wüste sprechen wollte, nannte er nur Jesaja als Quelle, weil bei ihm von einer "Stimme" in der Wüste die Rede ist.

Unter dem Einfluß des Heiligen Geistes gab Markus diesen alttestamentlichen Texten eine messianische Deutung: er änderte die Wendung "vor mir her den Weg" ( Mal 3,1 ) in deinen Weg , und machte aus "eine ebene Bahn unserm Gott" ( Jes 40,3; LXX) seine Steige eben . So wird der Sprecher, ich , zu Gott, der seinen Boten (Johannes) vor dir (Jesus) her senden will, damit er deinen (Jesu) Weg bereite . Johannes war eine Stimme , die das Volk Israel aufforderte, den Weg des Herrn (Jesus) zu bereiten (das Verb steht im Plural) und seine (Jesu) Steige eben zu machen. Die Bedeutung dieser Metaphern wird dann in Vers 4 - 5 am Amt Johannes' des Täufers aufgezeigt.



2. Johannes' Wirken als Prophet
(
1,4 - 5 )


Mk 1,4


In Erfüllung der obigen Prophezeiung war ( egeneto , "erschien") Johannes der letzte Prophet des Alten Testaments auf der Bühne der Geschichte (vgl. Lk 7,24-28;16,16 ) und markierte in seinem Wirken einen Wendepunkt in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Johannes war in der Wüste ( erEmO , "trockenes, unbewohntes Land") und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden . Das Wort "predigte" ( kEryssOn ) könnte man im Lichte der Vorhersage von Mk 1,2-3 mit "als Bote verkündigen" übersetzen.

Der Vorgang der Taufe war an sich nichts Neues für die Israeliten; schon immer hatten die Juden von den Heiden, die zum Judentum übertreten wollten, verlangt, sich durch Selbstuntertauchen taufen zu lassen. Neu und erstaunlich war nur die Tatsache, daß Johannes diese Taufe nun Gottes Bundesvolk, den Juden , zumutete und sie angesichts des kommenden Messias zur Buße aufrief (vgl. Mt 3,2 ).

Die Taufe des Johannes ist beschrieben als Inbegriff oder Ausdruck der Buße zur ( eis ) Vergebung der Sünden . Die griechische Präposition eis kann einen Bezug ("in bezug auf") oder auch einen Zweck ("um zu") ausdrücken, ist jedoch wahrscheinlich nicht kausal ("wegen") gedacht. Das Wort "Buße" ( metanoia ) steht im Markusevangelium nur an dieser einen Stelle. Es bedeutet "ein Umkehren, eine bewußte geistige Wende, die zu einer Richtungsänderung im Denken und Tun führt" (vgl. Mt 3,8; 1Thes 1,9 ).

"Vergebung" ( aphesin ) bedeutet "die Aufhebung oder Annullierung einer Verpflichtung oder Schuld". Sie bezieht sich auf Gottes Akt der Gnade, durch den die Schuld der "Sünden" mit Christi Opfertod getilgt wird (vgl. Mt 26,28 ). Diese Vergebung war nicht durch den äußeren Ritus der Taufe zu erlangen; die Taufe war vielmehr nur ein sichtbares Zeichen der Buße und des Empfangens der göttlichen Gnade der Sündenvergebung (vgl. Lk 3,3 ).



Mk 1,5


Mit dem rhetorischen Stilmittel der Hyperbel (Übertreibung; vgl. auch V. 32 - 33.37 ) verdeutlichte Markus die gewaltige Wirkung, die das Auftretendes Täufers in ganz Judäa und Jerusalem hatte. Alle Leute gingen zu ihm hinaus und ließen sich von ihm taufen im Jordan (vgl. V. 9 ) und bekannten ihre Sünden . Das Imperfekt der griechischen Verben läßt den nicht abreißenden Strom der Menschen, die zu Johannes hinauspilgerten, um seine Predigt zu hören und sich von ihm taufen zu lassen, wie einen Film an uns vorüberziehen.

Das Verb "taufen" ( baptizO , eine Steigerungsform von baptO , "eintauchen") bedeutet "eintauchen, untertauchen". Die Taufe durch Johannes im Jordan war bei einem Juden ein Zeichen seiner "Bekehrung" zu Gott. Sie wies ihn als bußfertigen Menschen aus, der sich auf das Kommen des Messias vorbereitete.

Zum Taufritus gehörte auch ein offenes Sündenbekenntnis der Betreffenden. Das Verb "bekennen" ( exomologoumenoi , "übereinstimmen mit, anerkennen, zugeben"; vgl. Apg 19,18; Phil 2,11 ) drückt sehr viel aus. Die Menschen erkannten damit öffentlich Gottes Urteil über ihre Sünden ( hamartias , "das Versagen, der Norm [d. h. dem Maßstab Gottes] zu genügen") an. Alle Juden, die mit der Geschichte Israels vertraut waren, wußten, daß sie Gottes Gebote nicht erfüllt hatten. Ihre Bereitschaft, sich von Johannes in der Wüste taufen zu lassen, war das Eingeständnis ihres Ungehorsams und ein Ausdruck ihrer Umkehr zu Gott.



3. Johannes' Leben als Prophet
(
1,6 )


Mk 1,6


Johannes' Kleidung und Nahrung kennzeichneten ihn als Mann der Wüste und Propheten Gottes (vgl. Sach 13,4 ). Er ähnelte darin dem Propheten Elia ( 2Kö 1,8 ), der in Mal 3,23 mit dem Boten ( Mal 3,1 ), von dem bereits die Rede war ( Mk 1,2;9,13; Lk 1,17 ), gleichgesetzt wird. Heuschrecken (getrocknete Insekten; in 3Mo 11,22 zu den "reinen" Lebensmitteln gerechnet) und wilder Honig waren in den Wüstenregionen durchaus gebräuchliche Nahrungsmittel.


4. Johannes' Botschaft als Prophet
(
1,7 - 8 )


Mk 1,7


Die Eingangsworte dieses Verses lauten wörtlich: "Und verkündete als Bote und sprach ..." (vgl. V. 4 ). Markus faßt hier die Botschaft des Täufers kurz zusammen und arbeitet dabei zugleich sein Hauptanliegen heraus: die Ankündigung eines Größeren, der nach ihm kommen und die Menschen mit dem Heiligen Geist taufen wird (V. 8 ).

Die Worte nach mir (zeitlich) kommt einer nehmen dabei die ähnlich lautenden Formulierungen aus Mal 3,1 und Mal 3,23 wieder auf. Die genaue Identität dessen, der da kommen sollte, blieb jedoch bis nach Jesu Taufe auch Johannes verborgen (vgl. Joh 1,29-34 ). Zweifellos vermied Markus den Titel "Messias" bewußt wegen der vielen Mißverständnisse, die allgemein mit ihm verknüpft waren. Vers 8 enthält dann die Erklärung, inwiefern der Kommende stärker sein wird als Johannes.

Johannes betonte die Bedeutung dieses Kommenden und machte seine eigene Bedeutungslosigkeit neben ihm deutlich (vgl. Joh 3,27-30 ), indem er sagte, er sei es nicht wert, sich vor ihm zu bücken (diese Formulierung findet sich nur bei Markus) und die Riemen (Lederbänder) seiner Schuhe zu lösen - ein Dienst, den nicht einmal ein hebräischer Sklave seinem Herrn leisten mußte!



Mk 1,8


Dieser Vers lebt von dem betonten Kontrast zwischen ich und er . Johannes vollzog das äußere Zeichen, die Taufe mit Wasser , der Kommende aber würde den lebenspendenden Geist schenken.

In Verbindung mit Wasser bedeutete das Wort "Taufe" gewöhnlich ein wirkliches Eintauchen (vgl. V. 9 - 10 ), im Zusammenhang mit dem Heiligen Geist ist es dagegen als Metapher für die Unterwerfung unter die lebenspendende Macht des Geistes zu verstehen. Die Wendung "ich taufe" steht im Urtext im Imperfekt: "ich taufte"; wahrscheinlich wandte Johannes sich hier an die, die er bereits getauft hatte. Die Wirkung seiner Taufe mit (oder "im") "Wasser" war begrenzt und vorläufig, doch wer sie empfing, gelobte damit, den Kommenden, der mit dem Heiligen Geist taufen würde, willkommen zu heißen (vgl. Apg 1,5;11,15-16 ). Die Gabe des Geistes galt als ein sicheres Merkmal für das Kommen des Messias ( Jes 44,3; Hes 36,26-27; Joe 3,1-2 ).



B. Jesu Taufe durch Johannes den Täufer
(
1,9 - 11 ) ( Mt 3,13-17; Lk 3,21-22 )


1. Jesu Taufe im Jordan
(
1,9 )


Mk 1,9


Völlig abrupt führt Markus dann Jesus als den kommenden Messias (V. 7 ) ein. Im Gegensatz zu "allen Leuten", die aus Judäa und Jerusalem kamen (V. 5 ), kam er aus Nazareth in Galiläa zu Johannes in die Wüste. Nazareth war ein obskures kleines Dorf, von dem weder im Alten Testament noch im Talmud oder in den Schriften des Josephus, des bekannten jüdischen Historikers des 1. Jahrhunderts, die Rede ist. Galiläa, etwa fünfundvierzig Kilometer breit und neunzig Kilometer lang, war die dicht besiedelte, nördlichste der drei Provinzen Palästinas: Judäa, Samaria und Galiläa.

Johannes taufte Jesus im ( eis ) Jordan (vgl. V. 5 ). Die griechischen Präpositionen eis ("in", V. 9 ) und ek ("aus", V. 10 ) legen die Vermutung nahe, daß es sich auch hier um eine Taufe durch ein völliges Eintauchen ins Wasser des Flusses handelte. Wahrscheinlich fand die Taufe in der Nähe von Jericho statt. Jesus war zu diesem Zeitpunkt etwa dreißig Jahre alt ( Lk 3,23 ).

Im Gegensatz zu allen anderen legte Jesus vor der Taufe kein Sündenbekenntnis ab (vgl. Mk 1,5 ), weil er ohne Sünde war (vgl. Joh 8,45-46; 2Kor 5,21; Hebr 4,15; 1Joh 3,5 ). Markus sagt nichts darüber, warum Jesus sich der Taufe des Johannes unterzog; drei Gründe dafür sind immerhin denkbar: 1. Es war ein Akt des Gehorsams, der zeigte, daß Jesus sich völlig dem Plan Gottes und der Rolle, die die Taufe des Johannes darin spielte, unterwarf (vgl. Mt 3,15 ). 2. Es war ein Akt der Identifikation mit dem Volk Israel, dessen Erbe und Sündenlast er damit auf sich nahm (vgl. Jes 53,12 ). 3. Es war ein Akt der Selbsthingabe an seinen messianischen Auftrag, ein Zeichen, daß er ihn von diesem Augenblick an offiziell anerkannte und auf sich nahm.



2. Gottes Antwort aus dem Himmel
(
1,10 - 11 )


Mk 1,10


An dieser Stelle verwendet Markus zum ersten Mal das insgesamt zweiundvierzigmal in seinem Evangelium vorkommende griechische Adverb euthys ("plötzlich, alsbald").

Drei Dinge zeichnen Jesus vor allen anderen, die getauft worden waren, aus. Erstens sah er, daß sich der Himmel auftat . Das ausdrucksvolle Verb "aufgetan werden" ( schizomenous , "gespalten") ist eine Metapher für Gottes jähes Einbrechen in das menschliche Erleben, sein gewaltiges Kommen, mit dem er sein Volk erlösen wird (vgl. Ps 18,9.16-19;144,5-8; Jes 64,1-5 ).

Zweitens: Er sah, daß der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn . Der Geist kam in der sichtbaren Form einer Taube, nicht in der Art und Weise einer Taube (vgl. Lk 3,22 ). Das Bild der Taube ist wahrscheinlich ein Ausdruck für das schöpferische Wirken des Geistes (vgl. 1Mo 1,2 ). Zur Zeit des Alten Testamentes kam der Geist über bestimmte Menschen, um ihnen für den Dienst an Gott Kraft zu geben (z. B. 2Mo 31,3; Ri 3,10;11,29; 1Sam 19,20.23 ). So wurde auch Jesus durch den Geist für seinen messianischen Auftrag (vgl. Apg 10,38 ) und sein Amt, andere mit dem Geist zu taufen, wie Johannes vorhergesagt hatte, ausgerüstet ( Mk 1,8 ).



Mk 1,11


Drittens: Jesus hörte eine Stimme vom Himmel (vgl. Mk 9,7 ). Die Worte des Vaters, die sein uneingeschränktes Ja zu Jesus und seinem Auftrag zum Ausdruck bringen, beziehen sich auf drei Verse im Alten Testament: 1Mo 22,2; Ps 2,7; Jes 42,1 .

In der ersten Aussage, "Du bist mein Sohn" , bestätigt Gott Jesu einzigartige Verwandtschaft mit dem Vater. Die Bedeutung dieser Worte erhellt sich aus Ps 2,7 ,wo Gott den gesalbten König als seinen Sohn ansprach. Mit seiner Taufe begann Jesu offizielle Rolle als der Gesalbte Gottes (vgl. 1Sam 7,12-16; Ps 89,27; Hebr 1,5 ).

Die Einfügung lieber (wörtlich "Geliebter"; ho agapEtos ) ist entweder ein Titel ("der Geliebte") oder ein beschreibendes Adjektiv ("lieber" Sohn). Als Titel ist es ein Ausdruck der Intensität der Liebe zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn, ohne dabei seine beschreibende Qualität zu verlieren. Als Adjektiv kann es im alttestamentlichen Sinn als "einziger" Sohn (vgl. 1Mo 22,2.12.16; Jer 6,26; Am 8,10; Sach 12,10 ) verstanden werden und ist damit ein Äquivalent des griechischen Adjektivs monogenEs ("einziger, eingeborener"; vgl. Joh 1,14.18; Hebr 11,17 ). Diese stärker interpretative Übersetzung enthält einen Hinweis auf die präexistente Sohnschaft Jesu.

Der Satz an dir habe ich Wohlgefallen verweist auf die Majestät des Sohnes, die Jesus bei seinem Auftrag auf Erden zukommen sollte. Das Verb eudokEsa steht dabei in der Vergangenheit ("Ich hatte Wohlgefallen"). Da die Aussage jedoch zeitlos ist, ist es im Deutschen im Präsens wiedergegeben, um anzuzeigen, daß Gott zu allen Zeiten Wohlgefallen an seinem Sohn hat. Gottes Freude an Jesus hat keinen Anfang und kein Ende.

Die Worte selbst stammen aus Jes 42,1 ,wo Gott seinen erwählten Knecht anspricht, den Einen, an dem er Wohlgefallen hat und auf den er seinen Geist herabgesandt hat. Mit dieser Stelle beginnt eine Reihe von vier Prophezeiungen über den wahren Gottesknecht, den Messias, im Gegensatz zum ungehorsamen Gottesknecht, dem Volk Israel (vgl. Jes 42,1-9;49,1-7;50,4-9;52,13-53,12 ). Der wahre Gottesknecht wird in der Erfüllung des göttlichen Willens leiden müssen. Er wird als "Schuldopfer" ( Jes 53,10 ) sterben und wird sich selbst als Opferlamm ( Jes 53,7; Joh 1,29-30 ) dahingeben. Mit der Taufe durch Johannes begann auch Jesu Rolle als leidender Gottesknecht, eine Seite seines messianischen Auftrags, die Markus stark in den Vordergrund rückt ( Mk 8,31;9,30-31;10,32-34.45;15,33-39 ).

Jesu Taufe veränderte jedoch nicht seinen göttlichen Status, er wurde nicht erst hier (oder gar erst bei seiner Verklärung; Mk 9,7 ) zum Sohn Gottes. Seine Taufe war vielmehr ein Zeichen der ungeheuerlichen Bedeutung, die seiner Annahme der Berufung als leidender Gottesknecht und Messias aus dem Geschlecht Davids zukam. Weil er der Sohn Gottes ist, der Eine, der dem Vater wohlgefällt, und unter der Vollmacht des Geistes steht, ist er der Messias (nicht umgekehrt!). Alle drei Personen der Trinität sind an diesem Geschehen beteiligt.



C. Jesu Versuchung durch Satan
(
1,12 - 13 ) ( Mt 4,1-11; Lk 4,1-13 )


Mk 1,12


Nach seiner Taufe wandelte Jesus in der Kraft des Heiligen Geistes, und alsbald ( euthys , "sofort") trieb ihn der Geist weiter hinaus in die Wüste . Das Wort "trieb" ist die Übersetzung des äußerst plastischen Verbs ekballO , "ausfahren, austreiben, fortschicken", das Markus auch im Zusammenhang mit der Austreibung von Dämonen verwendet (V. 34.39 ; Mk 3,15.22-23;6,13;7,26;9,18.28.38 ). Hier zeigt sich abermals Markus' höchst lebendiger und anschaulicher Stil (vgl. "führte" bei Mt 4,1; Lk 4,1 ); er verdeutlicht sehr schön den starken inneren Zwang, mit dem der Geist Jesus veranlaßte, die Offensive gegen die Versuchung und das Böse zu ergreifen, statt ihnen aus dem Weg zu gehen. Die Wüste ( erEmos ; vgl. Mk 1,4 ), das trockene, unbewohnte Land, galt den Juden von jeher als Heimstattder bösen Mächte (vgl. Mt 12,43; Lk 8,29;9,42 ). Der Ort, an dem Jesus der Überlieferung zufolge versucht wurde, liegt nordwestlich des Toten Meeres und westlich von Jericho.



Mk 1,13


Jesus war in der Wüste vierzig Tage . Diese Formulierung paßt zwar zu mehreren alttestamentlichen Stellen ( 2Mo 34,28; 5Mo 9,9.18; 1Kö 19,8 ), die engste Parallele ist jedoch die zum Sieg Davids über Goliat, der sich Israel vierzig Tage lang in den Weg gestellt hatte ( 1Sam 17,16 ).

Jesus wurde versucht von dem Satan . "Versucht" ist die Übersetzung des griechischen Verbs peirazO , "auf die Probe stellen, prüfen", um herauszubekommen, wes Geistes Kind eine Person ist. Es wird in positivem Sinn als göttliche Prüfung (z. B. 1Kor 10,13; Hebr 11,17 ) oder auch negativ im Sinne der Verführung zur Sünde durch den Satan und sein Gefolge gebraucht. An dieser Stelle schwingen beide Bedeutungen mit. Gott prüfte Jesus (der Heilige Geist veranlaßte ihn dazu), um zu beweisen, daß er für die ihm bevorstehende Aufgabe qualifiziert war. Satan seinerseits versuchte, Jesus von seinem göttlichen Auftrag abzubringen (vgl. Mt 4,1-11; Lk 4,1-13 ). Jesu Sündlosigkeit schließt also nicht aus, daß er in echte Versuchung geriet, ein Zeichen dafür, daß er ein wirklicher Mensch war (vgl. Röm 8,3; Hebr 2,18 ).

Der Versucher war Satan, der Feind, der Widersacher. Markus spricht nicht vom "Teufel" (Verleumder; Mt 4,1; Lk 4,2 ). Satan und seine Mächte befinden sich in ständiger, erbitterter Opposition zu Gott und Gottes Plänen, besonders gegen das, was Jesus verkörpert und was er tun soll. Der Böse versucht, die Menschen von Gottes Willen abzubringen, er verklagt sie vor Gott, wenn sie gefallen sind, und sucht ihr Verderben. Bevor Jesus den Auswirkungen der Aktivitäten Satans gegenübertrat, begegnete er dem Fürsten des Bösen selbst. Er stellte sich der Aufgabe, ihn zu besiegen und die Menschen aus seiner Gewalt zu befreien ( Hebr 2,14; 1Joh 3,8 ). Er kämpfte als Sohn Gottes in der Wüste gegen den Satan, und später erkannten ihn die Dämonen als Gottes Sohn an (vgl. Mk 1,24;3,11;5,7 ).

Der Verweis auf die wilden Tiere findet sich nur bei Markus. In der Vorstellungswelt des Altes Testaments war "die Wüste" ein von Gott verfluchter Ort - eine Stätte der Trostlosigkeit, Verlassenheit und Gefahr, die von schrecklichen, raubgierigen Tieren bevölkert war (vgl. Jes 13,20-22;34,8-15; Ps 22,12-22;91,11-13 ). Das Vorhandensein wilder Tiere soll also wohl den feindseligen Charakter der Wüste, der Domäne Satans, unterstreichen.

Im Gegensatz zu den gefährlichen wilden Tieren steht Gottes schützende Fürsorge durch die Engel , die Jesus in der Zeit der Versuchung dienten ( diEkonoun ; das Verb kann allerdings auch mit "begannen, ihm zu dienen" übersetzt werden, was bedeuten würde, daß die Engel erst nach der Versuchung erschienen). Sie brachten ihm Hilfe und versicherten ihn der Gegenwart Gottes. Markus spricht nicht davon, daß Jesus fastete (vgl. Mt 4,2; Lk 4,2 ), wahrscheinlich, weil sich das für ihn aus dem Aufenthalt in der Wüste von selbst versteht.

Verglichen mit den Parallelerzählungen bei Matthäus und Lukas ist der Bericht des Markusevangeliums über die Versuchung sehr kurz. Er sagt nichts über den Gegenstand der Versuchungen, ihre Steigerung am Schluß oder Jesu Sieg über den Satan. Für Markus war dies nur der Anfang eines fortdauernden Konflikts zwischen Jesus und Satan, der auch weiterhin versuchte, Jesus mit allen möglichen unredlichen Mitteln vom Gehorsam gegen Gott abzubringen (vgl. Mk 8,11.32-33;10,2;12,15 ). Aufgrund der Berufung, die er in der Taufe angenommen hatte, stellte sich Jesus der Konfrontation mit Satan und seinen Mächten. Das Markusevangelium ist nichts anderes als der Bericht dieses großen Kampfes, der seinen Höhepunkt am Kreuz erreichte. Schon gleich zu Beginn errang Jesus einen persönlichen Sieg über den Satan, auf den sich seine späteren Dämonensaustreibungen gründeten (vgl. Mk 3,22-30 ).



III. Jesu erstes Wirken in Galiläa
( Mk 1,14-3,6 )


Der erste größere Abschnitt des Markusevangeliums beginnt mit einer zusammenfassenden thematischen Aussage über Jesu Botschaft ( Mk 1,14-15 ). Es folgen die Berufung der ersten Jünger ( Mk 1,16-20;2,14 ), verschiedene Dämonenaustreibungen und Heilungen in und um Kapernaum ( Mk 1,21-45 ) und eine Reihe von Kontroversen mit jüdischen Theologen ( Mk 2,1-3,5 ). Die Passage schließt mit einem Mordkomplott der Pharisäer und der Anhänger des Herodes gegen Jesus ( Mk 3,6 ). In all diesen Geschehnissen manifestiert sich in Jesu Worten und Werken immer wieder seine Macht über alle Dinge.

A. Einführende Zusammenfassung: Die Botschaft Jesu
( Mk 1,14-15 ) ( Mt 4,12-17; Lk 4,14-21 )


Jesus begann in Galiläa zu predigen (vgl. Mk 1,9 ), nachdem Johannes der Täufer von Herodes Antipas I. gefangengesetzt worden war (vgl. die Tabelle zum Geschlecht des Herodes bei Lk 1,5 ). Der Grund für seine Gefangennahme wird in Mk 6,17-18 genannt. Bevor Jesus nach Galiläa ging, hielt er sich ungefähr ein Jahr lang in Judäa auf und wirkte dort (vgl. Joh 1,19-4,45 ). Daß Markus diese Einzelheit nicht erwähnt, zeigt, daß es ihm in seinem Evangelium nicht um einen vollständigen chronologischen Bericht über das Leben Jesu ging.



Mk 1,14


Die Worte gefangengesetzt war geben das griechische Verb paradothEnai , von paradidomi , "übergeben oder ausliefern", wieder, mit dem Markus auch Jesu Verrat durch Judas beschreibt ( Mk 3,19 ). Er sieht also offensichtlich eine Parallele zwischen den Erfahrungen von Johannes und Jesus (vgl. Mk 1,4.14 a). Die Verwendung des Passiv ohne erkennbares Subjekt macht deutlich, daß Johannes' Gefangennahme in Gottes Plan gehörte (vgl. die Parallele zu Jesus, Mk 9,31;14,18 ) und daß damit der Zeitpunkt für Jesu Wirken in Galiläa gekommen war (vgl. den Kommentar zu Mk 9,11-13 ).

Deshalb kam Jesus nach Galiläa und predigte ( kEryssOn ; vgl. Mk 1,4 ) das Evangelium ( euangelion ; vgl. V. 1 ) Gottes (von Gott). In manchen griechischen Handschriften steht an dieser Stelle vor "Gottes" noch die Einfügung "des Gottesreiches".



Mk 1,15


Jesus faßte seine Botschaft in zwei Aussagen und zwei Geboten zusammen. Die erste Aussage, die Zeit ist erfüllt , unterstrich den Beiklang des Endgültigen, der Jesu Verkündigung eigen war (vgl. Lk 4,16-21 ). Die von Gott festgesetzte Zeit der Vorbereitung und Erwartung, die Zeit des Alten Testaments, war nun, dem göttlichen Plan entsprechend, erfüllt (vgl. Gal 4,4 ; Hebr 1,2; 9,11-15 ).

Die zweite Aussage, das Reich Gottes ist herbeigekommen , war eine Schlüsselaussage in Jesu Botschaft. "Reich" ( basileia ) bedeutet soviel wie "Königtum" oder "königliche Herrschaft". Der Terminus steht für die souveräne Autorität eines Herrschers, die Tätigkeit des Herrschens selbst und den Herrschaftsbereich einschließlich seiner Vorzüge (vgl. Theological Dictionary of the New Testament [von nun an TDNT]; Grand Rapids: "basileia" , 1,579-80; und den Kommentar zu Mk 3,23-27 ). "Reich Gottes" ist also kein statischer, sondern ein dynamischer Begriff, der sich auf Gottes souveränes Handeln oder Herrschen über die Schöpfung bezieht.

Das Bild des Gottesreiches war den Juden zur Zeit Jesu durchaus vertraut. Angeregt durch die Prophezeiungen des Alten Testaments (vgl. 1Sam 7,8-17; Jes 11,1-10;24,23; Jer 23,4-6; Mi 4,6-7; Sach 9,9-10;14,9 ) erwarteten sie in der Zukunft ein messianisches davidisches Reich auf Erden (vgl. Mt 20,21; Mk 10,37;11,10;12,35-37;15,43; Lk 1,31-33;2,25.38; Apg 1,6 ). Jesus mußte also nicht erst Interesse für seine Botschaft wecken - seine Hörer bezogen seine Verweise auf das Gottesreich ganz selbstverständlich aufdas langerwartete Reich des Messias, das im Alten Testament vorhergesagt worden war.

Die Zeit der Entscheidung war nun gekommen; daher die doppelte Aufforderung Jesu an seine Hörer: "Tut Buße und glaubt an das Evangelium!" Buße und Glaube gehören zusammen; sie sind eins und folgen nicht zeitlich aufeinander. "Buße tun" ( metanoeO ; vgl. Mk 1,4 ) heißt, sich von einem existierenden, konkret erfahrbaren Gegenstand des eigenen Vertrauens (z. B. von sich selbst) abzuwenden. "Glauben" ( pisteuO , hier pisteuete en , diese Wendung kommt so nur einmal im Neuen Testament vor) heißt, sich von ganzem Herzen einem Gegenstand des Glaubens anzuvertrauen. An das Evangelium, die "gute Nachricht", zu glauben bedeutete daher, an Jesus selbst als den Messias, den Sohn Gottes, zu glauben. Er ist der "Inhalt" des Evangeliums (vgl. V. 1 ); nur wer an ihn glaubt, kann in das Reich Gottes kommen oder es - als ein Geschenk - empfangen (vgl. Mk 10,15 ).

Das Volk Israel lehnte diese Aufforderung jedoch ab (vgl. Mk 3,6;12,1-12;14,1-2.64-65;15,31-32 ), und Jesus lehrte deshalb, daß er seine davidische Herrschaft auf Erden nicht sofort antreten werde (vgl. Lk 19,11 ). Erst nachdem Gott seinen Plan, Juden und Heiden zu retten und seine Kirche zu bauen, vollendet haben wird (vgl. Röm 16,25-27; Eph 3,2-12 ), wird Jesus zurückkehren und sein Reich auf Erden errichten ( Mt 25,31.34; Apg 15,14-18; Offb 19,15;20,4-6 ). Dann wird das Volk Israel wiederhergestellt und erlöst werden ( Röm 11,25-29 ) und die Erfüllungen der Verheißungen des Gottesreiches erleben.



B. Jesu Berufung von vier Fischern
(
1,16 - 20 ) ( Mt 4,18-22; Lk 5,1-11 )


Unmittelbar an die Wiedergabe des Kernstücks von Jesu Botschaft schließt sich bei Markus die Berufung von vier Fischern - zwei Brüderpaaren - als Jünger an. Der Evangelist macht damit deutlich, daß "Buße tun und an das Evangelium glauben" ( Mk 1,5 ) auch beinhaltet, mit seinem bisherigen Leben zu brechen und Jesus nachzufolgen, d. h. auf den Ruf des Messias zu antworten und sich ihm zur Verfügung zu stellen. Die Berufung dieser vier Männer war ein Vorverweis auf die spätere Berufung und Aussendung der Zwölf ( Mk 3,13-19;6,7-13.30 ), mit ihr begann Jesu Wirken in Galiläa.



Mk 1,16


Das Galiläische Meer (die semitische Bezeichnung für den See Genezareth), ein ungefähr zehn Kilometer breiter und zwanzig Kilometer langer, etwa zweihundert Meter unter dem Meeresspiegel gelegener, warmer Süßwassersee, war der Standort eines blühenden Fischfang- und Fischverarbeitungsgewerbes. Er war das geographische Zentrum von Jesu Wirken in Galiläa.

Als er am Ufer des Sees entlangging, sah er Simon , mit dem Beinamen Petrus, und Andreas, Simons Bruder, wie sie ihre Netze (drei bis fünf Meter große, runde Wurfnetze) ins Meer warfen . Bedeutsam daran war, wie Markus erklärt ( gar , "denn" ), daß sie Fischer von Beruf waren.


Mk 1,17-18


Die Worte folgt mir nach lauten wörtlich "geht hinter mir her", ein Fachausdruck, der soviel bedeutet wie: "Folgt mir als meine Schüler." Im Gegensatz zu einem Rabbiner, den seine Schüler wählten und aufsuchten, ergriff Jesus selbst die Initiative und berief seine Jünger.

Seine Berufung beinhaltete ein Versprechen: "Ich will euch zu Menschenfischern machen." ( genesthai , vgl. 8, 27). Er hatte sie für sein Reich "an Land gezogen" und wollte sie nun zu seinen Mitarbeitern machen. Sie sollten Fischer werden ( genesthai beinhaltet die Vorbereitung auf ihr künftiges Amt), die "Menschen" (vgl. Mk 8,27 ) "fangen".

Die Metapher des Fischens lag schon wegen des Berufes der Brüder nahe, doch sie hat außerdem auch einen alttestamentlichen Hintergrund (vgl. Jer 16,16; Hes 29,4-5; Am 4,2; Hab 1,14-17 ). Für die Propheten war sie allerdings ein Bild des göttlichen Gerichts, doch Jesus setzte sie in positivem Sinn ein, als Zeichen für die Vermeidung des Gerichts. Angesichts der nahe bevorstehenden gerechten Herrschaft Gottes (vgl. Mk 1,15 ) berief Jesus diese Männer dazu, die Menschen aus dem "Meer" (ein alttestamentliches Bild für Sünde und Tod, z. B. Jes 57,20 ) herauszufischen.

Sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,12 ) verließen Simon und Andreas ihre Netze (ihren alten Beruf) und folgten ihm nach . In den Evangelien ist das Verb "nachfolgen" ( akoloutheO ), wenn es sich auf Einzelpersonen bezieht, ein Ausdruck der Berufung und der Annahme der Jüngerschaft. Das spätere Geschehen (vgl. V. 29-31 ) zeigt, daß die Jünger deshalb die Ihren nicht im Stich ließen (vgl. Mk 10,28 ); entscheidend war vielmehr, daß sie sich Jesus gegenüber als absolut treu erwiesen.



Mk 1,19-20


Bei der gleichen Gelegenheit sah Jesus Jakobus und Johannes , die Söhne des Zebedäus (vgl. Mk 10,35 ) und Geschäftspartner von Simon (vgl. Lk 5,10 ), wie sie im Boot die Netze flickten (von katartizO , "in Ordnung bringen, bereit machen") für den Fischzug der nächsten Nacht. Und alsbald ( euthys ) rief er sie , ihm zu folgen. Da ließen sie ihr altes Leben (das Fischerboot und die Netze) und ihre früheren Verpflichtungen ( ihren Vater Zebedäus und die Tagelöhner ) zurück und folgten ihm als Jünger nach (wörtlich: "gingen hinter ihm fort").

Markus erwähnt keine früheren Kontakte zwischen Jesus und diesen Fischern, doch Joh 1,35-42 deutet immerhin an, daß sie ihn bereits als den Messias Israels angenommen hatten. Später sammelte Jesus die Zwölf dann in einem Lehrer-Schüler-Verhältnis um sich ( Mk 3,14-19 ). Markus kürzt die historischen Geschehnisse, die dazu führten, ab ( Mk 1,14-20 ); ihm ging es vor allem darum, die Macht Jesu über die Menschen und den Gehorsam derer, die ihm nachfolgten, herauszustellen.

Das Thema der Nachfolge hat im Markusevangelium, wie bereits erwähnt, einen ganz entscheidenden Stellenwert. Die Schilderung der Berufung der Jünger würde bei Markus' Lesern zwei Fragen auslösen: "Wer ist der, der da ruft?" und "Was heißt es, ihm zu folgen?" Diese Fragen wollte Markus beantworten. Er ging davon aus, daß es im Grunde zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen den Jüngern (vgl. den Kommentar zu Mk 3,13;13,37 ) und seinen christlichen Lesern gab, so daß alles, was er über die ersteren schrieb, zur Unterweisung der letzteren dienen konnte. Schließlich ist die Nachfolge eine selbstverständliche Reaktion auf den Glauben an das Evangelium (vgl. Mk 1,15 ).



C. Jesu Macht über Dämonen und Krankheit
(
1,21-45 )


Die Vollmacht (V. 22 ) und Bedeutung (V. 38-39 ) der Worte Jesu, die die vier Fischer bereits gespürt hatten, fand eine weitere Bestätigung in seinen Taten. In Vers 21 - 34 werden Jesu Aktivitäten am Beispiel eines - vielleicht typischen - Sabbats in Kapernaum geschildert: seine Macht über Dämonen (V. 21 - 28 ), die Heilung der Schwiegermutter von Petrus (V. 29-31 ) und die Heilung weiterer Menschen nach Sonnenuntergang (V. 32 - 34 ). Die Verse 35 - 39 berichten von einem kurzen Rückzug zum Gebet und danach in geraffter Form von einer Predigtreise durch Galiläa. Ein wichtiges Ereignis auf dieser Reise war die Heilung eines Leprakranken (V. 40 - 45 ). Jesu machtvolle Worte und Taten lösten sowohl Erstaunen als auch Furcht bei den Menschen aus, und es war abzusehen, daß sie Anlaß zu Kontroversen geben würden ( Mk 2,1-3,5 ).

1. Die Heilung eines Besessenen
(
1,21-28 ) ( Lk 4,31-37 )


Mk 1,21-22


Die vier neugewonnenen Jünger begleiteten Jesus in ihre nahegelegene Heimatstadt Kapernaum (vgl. Mk 2,1;9,33 ) am nordwestlichen Ufer des Sees Genezareth. Kapernaum wurde zum Mittelpunkt des Wirkens Jesu in Galilaä (vgl. Lk 4,16-31 ). A lsbald ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ), am Sabbat (Samstag), besuchte Jesus den Gottesdienst in der Synagoge , dem jüdischen Versammlungs- und Gotteshaus (vgl. V. 23.29.39 ; Mk 3,1;6,2; 12,39; 13,9 ). Zweifellos auf Einladung des Synagogenvorstehers lehrte er dort (vgl. Apg 13,13-16 ). Markus bezieht sich immer wieder auf das Lehramt Jesu ( Mk 2,13;4,1-2;6,2.6.34;8,31;10,1;11,17;12,35;14,49 ), er geht jedoch nur ganz selten auf den Inhalt seiner Lehre ein.

Die Hörer in Kapernaum waren jedenfalls entsetzt ( exeplEssonto ; wörtlich: "erstaunt, verwirrt, überwältigt", auch in Mk 6,2;7,37;10,26;11,18 ) über die Art und Weise und über den Inhalt seiner Lehre (vgl. Mk 1,14-15 ). Jesus lehrte mit der Vollmacht Gottes und stellte die Menschen damit vor Entscheidungen - ganz im Gegensatz zu den Schriftgelehrten , die nur das Gesetz und seine mündliche Auslegung kannten. Ihr Wissen stammte lediglich aus der schriftlichen Überlieferung, sie zitierten also einfach ihre Vorgänger.



Mk 1,23-24


Die Anwesenheit Jesu und seine in der Vollmacht Gottes vorgetragene Lehre in der Synagoge bewirkte bei einem Menschen, der von einem unreinen Geist (die semitische Bezeichnung für "Dämon"; vgl. V. 34 ) besessen war, alsbald ( euthys vgl. V. 10 ) einen heftigen Anfall.

Der Dämon sprach aus dem Mann, der schrie: Was willst du von uns ...? Das ist die Übersetzung einer hebräischen Redewendung, die das Zerrissensein von unvereinbaren, einander widerstrebenden Kräften zum Ausdruck bringt (vgl. Mk 5,7; Jos 22,24; Ri 11,12; 1Sam 16,10; 19,23 ).

Die Frage des Dämons wird in der folgenden Erklärung, "Du bist (in die Welt) gekommen, uns zu vernichten" , sogleich von ihm selbst beantwortet und auf den Punkt gebracht. Das Pronomen "uns" in beiden Sätzen deutet darauf hin, daß er weiß, was die Gegenwart Jesu auf Erden für alle dämonischen Mächte bedeutet (vgl. Mk 1,15 ), nämlich die äußerste Bedrohung ihrer Macht und ihres Wirkens.

Im Gegensatz zu den meisten Menschen erkannte der Dämon Jesu wahres Wesen und seine wirkliche Identität als der Heilige Gottes (vgl. Mk 3,11;5,7 ), der ermächtigt war durch den Heiligen Geist. Daher wußte er auch, woher Jesu Macht kam.



Mk 1,25-26


Mit wenigen klaren Worten (nicht etwa mit Zaubersprüchen) bedrohte ( epetimEsen ; vgl. Mk 4,39 ) Jesus den bösen Geist und befahl ihm, aus dem Mann auszufahren. Verstumme ist die Übersetzung des ausdrucksvollen griechischen Verbs phimOthEti , "zum Schweigen oder Verstummen gebracht werden"; vgl. Mk 4,39 ). Der unreine Geist gehorchte der Autorität Jesu. Er verließ den Besessenen unter Krämpfen und fuhr mit lauten Schreien aus von ihm.

Jesus nahm also die abwehrende Äußerung des Dämons (V. 24 ) nicht hin, denn das wäre ein Ausweichen vor seiner Aufgabe, Satan und seinen Mächten gegenüberzutreten und sie zu besiegen, gewesen. Seine Macht über die bösen Geister war der Beweis, daß Gottes Herrschaft mit ihm angebrochen war (vgl. V. 15 ). Dieser erste Exorzismus war der Ausgangspunkt einer ständigen Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Dämonen, die eine wichtige Rolle im Markusevangelium spielt. (Vgl. die Liste von Jesu Wunder bei Joh 2,1-11 .)



Mk 1,27-28


Alle entsetzten sich ( ethambEthEsan , "überrascht, erstaunt"; vgl. Mk 10,24.32 ) angesichts dessen, was sie da erlebten. Ihre Frage was ist das? bezog sich sowohl auf Jesu Lehre als auch auf seine Austreibung eines Dämons allein durch sein befehlendes Wort. Seine Lehre war neu ( kainE ) in ihrer Art und wurde in einer Vollmacht ausgesprochen (vgl. Mk 1,22 ), die sogar die Dämonen zwang, ihm zu gehorchen (sich ihm zu unterwerfen; vgl. Mk 4,41 ). Markus berichtet denn auch knapp, daß die Kunde von ihm alsbald ( euthys ; vgl. V. 10 ) überall im ganzen galiläischen Land erscholl .


2. Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus
( Mk 1,29-31 ) ( Mt 8,14-15; Lk 4,38-39 )


Mk 1,29-31


Alsbald ( euthys ; vgl. V. 10 ), nachdem sie die Sabbatversammlung in der Synagoge verlassen hatten, begaben sich Jesus und die vier Jünger in das nahegelegene Haus des Simon (Petrus) und Andreas . Dieses Haus wurde so etwas wie ein Hauptquartier für Jesus, wenn er sich in Kapernaum aufhielt (vgl. Mk 2,1;3,20;9,33;10,10 ).

Dort wurde ihm gleich bei seinem Kommen ( euthys ; vgl. V. 10 ) berichtet, daß Simons Schwiegermutter mit Fieber zu Bett lag. Voller Mitleid trat Jesus zu ihr, nahm, ohne ein Wort zu sagen, ihre Hand und richtete sie auf. Das Fieber verließ sie vollständig, und ohne, wie es nach so hohem Fieber üblich ist, noch geschwächt zu sein, stand sie auf und begann, ihren Gästen zu dienen ( diEkonei , Imperfekt).



3. Die Heilung vieler Menschen bei Sonnenuntergang
(
1,32 - 34 ) ( Mt 8,16-17; Lk 4,40-41 )


Mk 1,32-34


Hier wird von der Aufregung berichtet, die nach den wunderbaren Vorkommnissen an diesem Sabbat in Kapernaum herrschte. Die doppelte Zeitangabe, am Abend aber, als die Sonne untergegangen war , will ganz deutlich machen, daß die Bewohner von Kapernaum, um das Gesetz (vgl. 2Mo 20,10 ) oder die rabbinischen Vorschriften, nach denen es verboten war, am Sabbat zu arbeiten, nicht zu verletzen (vgl. Mk 3,1-5 ), offensichtlich warteten, bis der Sabbat vorüber war (bei Sonnenuntergang), und erst dann die Kranken zu Jesus brachten.

Dann aber brachten (wörtlich: "trugen, schleppten", Imperfekt) sie alle physisch Kranken und Besessenen (nicht: "von Teufeln Besessenen", wie es manchmal heißt, denn es gibt nur einen Teufel) zu ihm. Wieder wird dabei ganz klar zwischen physischer Krankheit und dämonischer Besessenheit unterschieden (vgl. Mk 6,13 ). Es hat den Anschein, als habe sich an jenem Abend die ganze Stadt (Hyperbel; vgl. Mk 1,5 ) vor der Tür von Simons Haus versammelt . Jesus hatte Mitleid mit den Qualen der Menschen und half vielen Kranken (ein hebräisches Idiom, das bedeutet, er half "allen, die gebracht wurden"; vgl. V. 32 ; Mk 10,45; Mt 8,16 ), die mit den verschiedensten Gebrechen behaftet waren. Außerdem trieb er ( exebalen , von ekballO ; vgl. Mk 1,12.39 ) viele böse Geister aus , die er jedoch, wie zuvor bei dem besessenen Mann (V. 23 - 26 ), zum Schweigen brachte und nicht davon reden ließ, daß sie ihn erkannten, womit er bewies, daß sie gegen ihn machtlos waren.

Die Wunder, von denen Jesu Predigt begleitet war, steigerten seine Popularität. Er tat sie jedoch nicht, um die Menschen mit seiner Macht zu beeindrucken, sondern um die Echtheit seiner Botschaft zu beweisen (vgl. V. 15 ).



4. Der Rückzug zum Gebet und die Predigtreise durch Galiläa
(
1,35 - 39 ) ( Lk 4,42-44 )


Mk 1,35


Trotz der Anstrengung des vergangenen Tages (V. 21 - 34 ) stand Jesus am nächsten Morgen noch vor Tage auf (etwa um vier Uhr morgens) und ging hinaus an eine einsame ( erEmon , "unbewohnt, abgelegen") Stätte und betete dort . Er zog sich vor dem Ansturm der Menschen in Kapernaum in die Wüste zurück - den Ort, an dem er zum ersten Mal Satan begegnet war und seinen Versuchungen widerstanden hatte (vgl. V. 12 - 13 ).

Dreimal zeigt Markus Jesus im Gebet: zu Beginn seines Berichts (V. 35 ), in der Mitte ( Mk 6,46 ) und am Ende ( Mk 14,32-42 ). Jedesmal ist eine Atmosphäre von Dunkelheit und Einsamkeit um ihn. In allen drei Situationen stand Jesus vor der Versuchung, seinen messianischen Auftrag auf angenehmere, weniger mühselige Art und Weise zuerfüllen. Doch jedesmal gab das Gebet ihm Kraft, die übernommene Aufgabe weiterzuführen.



Mk 1,36-37


Als die Menge in der Annahme, Jesus dort vorzufinden, zu Simons Haus zurückkehrte, war er bereits fort. Simon aber und die bei ihm waren (vgl. V. 29 ), eilten ihm nach (wörtlich: "jagten ihm nach", von katadiOkO , das nur an dieser Stelle im Neuen Testament steht). In ihrem Ausruf, jedermann sucht dich , schwingt eine gewisse Verärgerung mit, denn sie waren der Meinung, Jesus lasse in Kapernaum einige ausgezeichnete Chancen ungenutzt verstreichen.



Mk 1,38-39


Jesu Antwort zeigt, daß auch die Jünger ihn und sein eigentliches Amt offensichtlich nicht verstanden. Sein Plan war, anderswohin zu gehen, in die nächsten Städte - Marktflecken, in denen es viele Menschen gab -, um auch dort zu predigen (vgl. Mk 4,14 ). Seine Erklärung denn dazu (um zu predigen) bin ich gekommen bezieht sich wahrscheinlich nicht auf den Weggang aus Kapernaum (er hatte die Stadt ja nur verlassen, um zu beten; V. 35 ), sondern auf seinen göttlichen Auftrag. Er wollte "das Evangelium Gottes" verkündigen (V. 14 ) und die Menschen auffordern, "Buße zu tun und zu glauben" (V. 15 ). Da die Bewohner von Kapernaum in ihm jedoch lediglich einen Wundertäter sahen, verließ er ihre Stadt, um anderswo zu predigen.

Vers 39 faßt seine Reise durch ganz Galiläa (vgl. V. 28 ), die wahrscheinlich mehrere Wochen dauerte, in einem Satz zusammen (vgl. Mt 4,23-25 ). Hauptsächlich predigte er (vgl. Mk 1,14-15 ) in den Synagogen und verlieh seiner Botschaft besondere Schlagkraft, indem er die bösen Geister austrieb ( ekballOn ; vgl. V. 34 ).



5. Die Heilung eines Leprakranken
(
1,40 - 45 ) ( Mt 8,1-4; Lk 5,12-16 )


Mk 1,40


Auf Jesu Reise durch Galiläa kam zu ihm ein Aussätziger - ein Schritt, der von einem Leprakranken sehr viel Mut verlangte. Als "Aussatz" wurden damals eine Vielzahl schwerer Hauterkrankungen bezeichnet, von der Ringelflechte bis hin zur echten Lepra (Hanson Bazillus), einer progressiv verlaufenden Krankheit. Der Mann, der da zu Jesus kam, führte ein elendes Dasein, nicht nur wegen der verheerenden physischen Auswirkungen seiner Krankheit, sondern auch wegen der rituellen Unreinheit (vgl. 3Mo 13-14 ) und dem Ausschluß aus der Gesellschaft. Die Lepra, ein alttestamentliches Bild für die Sünde, brachte den Betroffenen vielfältiges Leid: auf physischer, psychischer, sozialer und religiöser Ebene.

Die Rabbiner hielten Lepra für unheilbar. Nur in zwei Fällen berichtet das Alte Testament, daß Gott einen Aussätzigen heilte ( 4Mo 12,10-15; 2Kö 5,1-14 ). Trotzdem war dieser Mann überzeugt, daß Jesus ihm helfen konnte. Ohne Anmaßung ("willst du") und zugleich ohne jeden Zweifel an Jesu Fähigkeit, ihn zu heilen ( so kannst du mich reinigen ), kniete er demütig vor Jesus nieder und bat ihn, ihn gesund zu machen.


Mk 1,41-42


Jesus jammerte ( splanchnistheis , "tiefes Mitleid haben") der Mann - er berührte den Unberührbaren und heilte den Unheilbaren! Diese Berührung zeigte, daß die rabbinischen Reinheitsvorschriften für Jesus keine Gültigkeit hatten. Sowohl seine symbolische Berührung (vgl. Mk 7,33;8,22 ) als auch sein mit göttlicher Vollmacht gesprochener Satz - ich will's tun (Präsens), sei rein (Aorist passiv; der Kranke erfährt den neuen Zustand als etwas bereits Geschehenes) - bewirkten die Heilung. Der Mann wurde auf der Stelle ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) vollständig und vor aller Augen gesund.



Mk 1,43-44


Die hart klingenden Worte trieb ihn von sich ( exebalen ; vgl. V. 12 ) alsbald ( euthys ; vgl. V. 10 ) und drohte ihm (vgl. Mk 14,5 ) veranschaulichen den unbedingten Gehorsam, den Jesus für seine in Vers 44 gegebenen Anweisungen von dem Geheilten verlangte.

Zuerst warnte er ihn streng (dasselbe Verb wie in Mk 14,5 ): "Sieh zu, daß du niemandem etwas sagst" (über diese Heilung). Wahrscheinlich handelte es sich dabei um ein zeitlich beschränktes Gebot, das nur solange in Kraft war, bis die Reinheit des Mannes durch den Priester bestätigt worden war. Doch auch in anderen Fällen verlangte Jesus häufig Stillschweigen von den Menschen, die seine Wunder erlebten, und war darauf aus, daß möglichst wenig über seine wahre Identität und seine wunderbaren Kräfte geredet wurde (vgl. Mk 1,25.34;3,12;5,43;7,36;9,9 ). Warum tat er das? Manche Forscher vertreten die Ansicht, daß Markus und die anderen Evangelisten diese Schweigegebote später einfügten, um zu erklären, warum die Juden Jesus während seines Wirkens auf Erden nicht als Messias anerkannten. Diese Theorie vom sogenannten "Messiasgeheimnis" besagt, daß die Messianität Jesu verborgen blieb.

Eine befriedigendere Lösung scheint jedoch in der Annahme zu liegen, daß Jesus versuchte, Mißverständnisse zu vermeiden, die eventuell zu einer verfrühten und/oder von irrigen Vorstellungen geleiteten Reaktion des Volkes geführt hätten (vgl. den Kommentar zu Mk 11,28 ). Er wollte nicht, daß bekannt wurde, wer er war, bevor er den Charakter seiner Mission nicht ganz klargemacht hatte (vgl. den Kommentar zu Mk 8,30;9,9 ). Der Schleier, der über seiner Identität lag, lüftete sich also erst allmählich, bis Jesus sich dann am Ende öffentlich zu seiner Messianität bekannte ( Mk 14,62; vgl. Mk 12,12 ).

Zum anderen wies Jesus den geheilten Aussätzigen an, sich dem Priester zu zeigen , der ihn als einziger für rituell rein erklären konnte, und zu opfern, was Mose geboten hatte (vgl. 3Mo 14,2-31 .

Diese Forderung ist erläutert in der Wendung ihnen zum Zeugnis , die entweder in positivem Sinne ("als überzeugender Beweis") oder negativ ("als belastendes Indiz") für die Menschen im allgemeinen oder für die Priester im besonderen verstanden werden konnte. In diesem Zusammenhang ist, wie auch in den beiden anderen Fällen, in denen diese Wendung im Markusevangelium vorkommt ( Mk 6,11;13,9 ), der negativen Deutung der Vorzug zu geben. Ein solches "Zeugnis" wäre dann also ein Beweis, der als Beleg für die Anklage verwendet werden kann (vgl. TDNT; "martys"; 4,502-4), und "ihnen" bezieht sich auf die Priester.

Die Heilung des Aussätzigen war ein untrügliches Zeichen für die Gegenwart des Messias (vgl. Mt 11,5; Lk 7,22 ) und den Beginn eines neuen Abschnittes in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Wenn die Priester nun den Aussätzigen für rein erklärten, den, der ihn rein gemachte hatte, jedoch verwarfen, würde ihr Unglaube als Beweis ihrer Schuld gegen sie sprechen.

 

Mk 1,45


Statt aber Jesus zu gehorchen, ging der Mann fort und fing an, viel davon zu reden (wörtlich: "es viel zu verkündigen"; kEryssein ) und die Geschichte seiner Heilung weit und breit bekannt zu machen. Ob er Jesu zweitem Gebot, sich dem Priester zu zeigen, Folge leistete, wird nicht gesagt.

Als Folge dieser Handlungsweise konnte Jesus seine Predigttätigkeit in den Synagogen von Galiläa (vgl. V. 39 ) nicht fortsetzen. Er konnte nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen , ohne daß sich eine große Menge um ihn sammelte und ihn mit den verschiedensten Anliegen bedrängte. Selbst wenn er sich an einsame ( erEmois , "unbewohnt, abgelegen"; vgl. V. 35 ) Orte zurückzog, strömten die Menschen von allen Enden zu ihm.

Die Befreiung, die Jesus brachte, ging über das mosaische Gesetz und seine Regeln hinaus. Obwohl das Gesetz Vorschriften für die rituelle Reinigung eines Aussätzigen vorsah, war es doch nicht in der Lage, jemanden von dieser Krankheit zu heilen oder ihn innerlich, geistlich, zu erneuern.

 

D. Jesu Auseinandersetzungen mit den Schriftgelehrten und Pharisäern in Galiläa
(
2,1 - 3,5 )


Markus stellte die fünf Episoden, um die es hier geht, in einen Zusammenhang, weil sie alle denselben thematischen Schwerpunkt haben - den Konflikt zwischen Jesus und den jüdischen Religionsführern in Galiläa. Die chronologische Reihenfolge ist daher nicht genau eingehalten. An einer späteren Stelle ( Mk 11,27-12,37 ) findet sich nochmals eine ähnliche Sammlung von fünf ebenfalls kontrovers verlaufenden Begegnungen im Tempel in Jerusalem.

Im vorliegenden Fall entzündete sich der Streit an Jesu Macht über Sünde und Gesetz. Der Bericht über den ersten Zwischenfall wird von einem summarischen Verweis auf Jesu Predigttätigkeit eingeleitet ( Mk 2,1-2 ). Markus benutzt solche Bemerkungen häufig als literarisches Stilmittel, um Jesu eigentliches Amt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und seine Erzählung bis zum nächsten Ereignis, auf das näher einzugehen dann wieder in den Aufbau seines Evangeliums paßt, zu überbrücken (vgl. Mk 1,14-15.39;2,1-2.13;3,7-12.23;4,1.33-34;8,21-26.31;9,31;10,1;12,1 ).

1. Die Heilung eines Gelähmten und die Sündenvergebung
(
2,1-12 ) ( Mt 9,1-8; Lk 5,17-26 )


Mk 2,1-2


Als Jesus nach einigen Tagen nach Kapernaum zurückkehrte (vgl. Mk 1,21 ), sprach es sich herum, daß er im Hause (wahrscheinlich im Haus von Petrus; vgl. Mk 1,29 ) war. Nach jüdischem Brauch drängten viele Uneingeladene herzu, die bis vor die Tür standen und den Eingang versperrten. Jesus sagte (Imperfekt, elalei ) ihnen das Wort (vgl. Mk 1,14-15;4,14.33 ).



Mk 2,3-4


Da brachten sie auf einem Bett einen Gelähmten, von vieren getragen , in der Hoffnung, ihn zu Jesus bringen zu können. Doch sie konnten nicht ins Haus wegen der Menge . Wie viele Häuser in Palästina besaß auch dieses wahrscheinlich eine Außentreppe, die auf das flache Dach führte. Die Männer stiegen hinauf, deckten das Dach auf (die Dächer bestanden aus Gras, Lehm, Lehmziegeln und Latten), wo Jesus stand, machten ein Loch und ließen das Bett hinunter, auf dem der Gelähmte lag (wahrscheinlich mit Hilfe von herumliegenden Tauen).



Mk 2,5


Jesus sah diese entschlossenen Bemühungen der vier als sichtbares Zeichen ihres Glaubens an seine Macht, den Kranken zu heilen. Er tadelte sie nicht für die Unterbrechung seiner Predigt, sondern sagte - völlig überraschend - zu dem Gelähmten: Mein Sohn (eine liebevolle Anrede) , deine Sünden sind dir vergeben .

Im Alten Testament galten Krankheit und Tod als Folge des sündigen Zustands der Menschen, und die Heilung war ein Zeichen für Gottes Vergebung (z. B. 2Chr 7,14; Ps 41,4;103,3;147,3; Jes 19,22;38,16-17; Jer 3,22; Hos 14,5 ). Das heißt nicht, daß jede Krankheit durch eine ihr vorausgehende Sünde ausgelöst wird (vgl. Lk 13,1-5; Joh 9,1-3 ). Jesus wollte hier einfach sagen, daß die Krankheit dieses Mannes im Grunde eine geistliche Ursache hatte.



Mk 2,6-7


Die anwesenden Schriftgelehrten (wörtlich "Schreiber") fühlten sich von dieser rätselhaften Äußerung Jesu vor den Kopf gestoßen. Nur Gott kann Sünden vergeben (vgl. 2Mo 34,6-9; Ps 103,3;130,4; Jes 43,25;44,22; Dan 9,9 ). Im Alten Testament wurde die Fähigkeit zur Sündenvergebung nirgends mit dem Messias in Verbindung gebracht. Für die Schriftgelehrten war eine solche Rede von "dem da" deshalb ein anmaßender Affront gegen Gottes Macht und Autorität - er lästerte damit Gott , ein schweres Verbrechen, das mit Steinigung bestraft wurde ( 3Mo 24,15-16 ). Tatsächlich wurde Jesus später aufgrund des Vorwurfs der Gotteslästerung öffentlich verurteilt (vgl. Mk 14,61-64 ).



Mk 2,8-9


Jesus erkannte sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) in seinem Geist ihre feindseligen Gedanken und stellte ihnen einige pointierte Gegenfragen (ein rhetorisches Stilmittel in einem Streitgespräch zwischen Rabbinern; vgl. Mk 3,4;11,30;12,37 ).


Mk 2,10


Dieser Vers bereitet den Exegeten aufgrund der Adressatenänderung in der Mitte einige Schwierigkeiten. Jesus schien sich zunächst an die Schriftgelehrten zu wenden (V. 10 a), doch dann findet noch im selben Vers ein abrupter Bruch statt, nach dem er dann plötzlich zu dem Gelähmten sprach. Ein zweites Problem angesichts des "Messiasgeheimnisses" bei Markus ist die öffentliche Verwendung des Titels "Menschensohn" durch Jesus selbst, in Gegenwart ungläubiger Zuhörer und zu einem so frühen Zeitpunkt seines Wirkens (vgl. Mk 9,9;10,33 ). Außer an dieser Stelle und in Vers 28 fällt dieser Titel im Markusevangelium erst wieder im Zusammenhang mit dem Bekenntnis des Petrus ( Mk 8,29 ). Danach taucht er zwölfmal auf und spielt auch bei der Selbstoffenbarung Jesu vor seinen Jüngern eine wichtige Rolle (vgl. Mk 8,31.38;9,9.12.31;10,33.45;13,26;14,21 [zweimal] 41.62 ; vgl. auch den Kommentar zu Mk 8,31 ).

Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten könnte man Vers 10 a vielleicht als einen redaktionellen Einschub von Markus sehen (vgl. auch V. 15 c. 28 ; Mk 7,3-4.19;13,14 ). Er fügte ihn möglicherweise in seinen Bericht ein, um seinen Lesern die entscheidende Bedeutung dieses Ereignisses vor Augen zu führen: daß Jesus als der auferstandene Menschensohn die Vollmacht ( exousian , das Recht und die Macht) hat, Sünden zu vergeben auf Erden , etwas, was die Schriftgelehrten nicht wußten. Nur an dieser Stelle in den Evangelien wird dem Menschensohn dieses Recht zugeschrieben.

Diese Annahme spräche dann auch für die literarische Einheit des Textabschnitts: die Sündenvergebung wird ausgesprochen ( Mk 2,5 ), in Frage gestellt ( 6 - 9 ), bekräftigt ( 11 ) und für alle erkennbar ( 12 ). Die Eingangsworte von Vers 10 , damit ihr aber wißt , könnten also auch übersetzt werden: "ihr (die Leser des Markusevangeliums) solltet nun wissen, daß ...." Der Nachsatz bezeichnet dann das Ende der Randbemerkung des Evangelisten und die Rückkehr zum Geschehen selbst.



Mk 2,11-12


Jesus gebot dem Gelähmten: "Steh auf (eine Prüfung seines Glaubens) , nimm dein Bett und geh heim (die Forderung nach Gehorsam)." Sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) war der Mann in der Lage, dieser Aufforderung nachzukommen, vor aller Augen , auch der Kritiker Jesu. Durch diese Demonstration wurden sie praktisch gezwungen einzusehen, daß der Mann tatsächlich Gottes Vergebung empfangen hatte. Das Geschehene machte deutlich, wie die Rettung, die Jesus brachte, eigentlich aussah: es war ein Heil-Machen des ganzen Menschen. Alle (wahrscheinlich auch die Schriftgelehrten) entsetzten sich ( existasthai , wörtlich: "gerieten außer sich"; vgl. Mk 3,21;5,42;6,51 ) und priesen (gaben ihm die Ehre) Gott für diese Zurschaustellung übernatürlicher Macht.



2. Die Berufung des Levi und das Mahl mit den Zöllnern
(
2,13 - 17 ) ( Mt 9,9-13; Lk 5,27-32 )


Mk 2,13


Jesus ging wieder hinaus aus Kapernaum an den See (Genezareth; vgl. Mk 1,16 ). Markus bringt seine Tätigkeit erneut auf die Formel, daß er alles Volk lehrte, das weiterhin zu ihm strömte, um ihn zu hören. Der Rückzug Jesu aus der Stadt und ihrem Gedränge zieht sich wie ein Leitmotiv durch das ganze Markusevangelium (vgl. Mk 1,45;2,13;3,7.13;4,1;5,21; usw.) und läßt immer wieder das "Wüsten"-Thema vom Anfang anklingen (vgl. Mk 1,4.12-13.35.45 ).



Mk 2,14


Kapernaum war ein Zollknotenpunkt auf der Karawanenroute von Damaskus zum Mittelmeer. Unter den dortigen Zöllnern befand sich auch Levi - mit zweitem Namen Matthäus (vgl. Mk 3,18; Mt 9,9;10,3 ) -, ein jüdischer Steuereinnehmer im Dienste des Herodes Antipas, zu dessen Herrschaftsbereich Galiläa gehörte (vgl. die Tabelle zum Geschlecht des Herodes bei Lk 1,5 ). Diese Beamten, die häufig mit unlauteren Methoden arbeiteten und die Menschen übervorteilten, waren bei den Juden in höchstem Maße verhaßt. Trotzdem forderte Jesus Levi freundlich auf, ihm zu folgen und seinen alten Beruf aufzugeben (vgl. Mk 1,17-18 ). Mk 2,15-16 : Bald darauf gab Matthäus ein Festmahl für Jesus und seine Jünger . Dies ist die erste von insgesamt dreiundvierzig Stellen, an denen Markus die "Jünger" als besondere Gruppe erwähnt. Er fügt noch kommentierend hinzu, daß es viele (Jünger) waren, die ihm nachfolgten , nicht nur die fünf, die Jesus bis jetzt berufen hatte.

Viele Zöllner (Levis frühere Kollegen) und "Sünder" , eine Bezeichnung für die einfachen Leute, die nach Ansicht der Pharisäer das Gesetz nicht kannten und sich nicht an die strengen pharisäischen Regeln hielten, nahmen an diesem Mahl teil. Daß Jesus und seine Jünger mit solchen Menschen aßen (ein Ausdruck des Vertrauens und der Kameradschaft), stellte für die Schriftgelehrten unter den Pharisäern eine Beleidigung dar. Die Pharisäer, die einflußreichste religiöse Gruppierung in Palästina, orientierten sich ganz am mosaischen Gesetz. Sie richteten ihr Leben streng nach den von ihnen als bindend verstandenen Auslegungen der Gebote aus, die auf mündlichem Wege weitergegeben wurden. Besonderen Wert legten sie auf die rituelle Reinheit (vgl. Mk 7,1-5 ) - ein Grund, Jesus, der die fromme Unterscheidung zwischen "den Gerechten" (ihnen selbst) und "den Sündern" nicht beachtete und sich nicht von derartigen Elementen fernhielt, hier als Abtrünnigen anzugreifen.



Mk 2,17


Jesus beantwortete ihre Kritik mit einem bekannten Sprichwort (dessen Richtigkeit auch seine Widersacher nicht bezweifelten) und mit einem Hinweis auf seinen Auftrag, der sein Betragen rechtfertigte. Die Wendung die Gerechten ist hier ironisch gemeint und bezog sich auf diejenigen, die sich selbst für gerecht hielten: auf die Pharisäer (vgl. Lk 16,14-15 ), die nicht einsahen, warum sie Buße tun und glauben sollten (vgl. Mk 1,15 ). Doch Jesus wußte, daß jedermann, auch "der Gerechte", sündig ist. Er kam (in die Welt), um die Sünder in das Gottesreich zu rufen - diejenigen, die in Demut erkennen, was ihnen fehlt, und seine gnädige Vergebung empfangen. Deshalb aß Jesus mit den Sündern (vgl. Mk 2,5-11.19-20 ).



3. Die Frage des Fastens angesichts der mit Jesu Kommen gegebenen neuen Situation
(
2,18 - 22 ) ( Mt 9,14-17; Lk 5,33-39 )


Mk 2,18


Markus berichtet, daß die Jünger des Johannes (der verbliebene treue Rest der Anhänger Johannes des Täufers) und die Pharisäer (sowie ihre Jünger oder Anhänger) viel fasteten , während Jesus und seine Jünger es sich in Levis Haus wohlsein ließen. Das Alte Testament schrieb ein Fasten für alle Juden als einen Akt der Buße nur am Versöhnungstag vor ( 3Mo 16,29-31 ), doch die Pharisäer propagierten darüber hinaus ein freiwilliges Fasten an jedem Montag und Donnerstag als Akt der Frömmigkeit (vgl. Lk 18,12 ). Als Antwort auf die kritische Anfrage einiger Leute erklärte Jesus, wie widersinnig es für seine Jünger wäre, in ihrer Situation zu fasten ( Mk 2,19-22 ). Dabei lehnte er das Fasten nicht prinzipiell ab, sondern befürwortete es, wenn es auf die rechte Weise geschah (vgl. Mt 6,16-18 ).



Mk 2,19-20


Mit dem Vergleich, den Jesus in seiner Gegenfrage zog, stellte er eine verborgene Analogie zu sich selbst her. Wie es für Hochzeitsgäste (wörtlich: "Söhne des Brautgemachs", die Begleiter des Bräutigams) unangemessen wäre zu fasten (ein Ausdruck der Trauer), wenn der Bräutigam anwesend ist, so war es auch für Jesu Jünger unangebracht (in Trauer) zu fasten, solange er bei ihnen war .

Jesu Anwesenheit gab zu ebensogroßer Freude Anlaß wie ein Hochzeitsfest. Aber die Freude würde nicht von Dauer sein, denn es würde die Zeit (wörtlich: "die Tage") kommen, daß der Bräutigam (Jesus) von ihnen genommen ( aparthE ; das Verb impliziert eine gewalttätige Entfernung, Raub; vgl. Jes 53,8 ) würde. An jenem Tage (seiner Kreuzigung) würden die Jünger fasten, im metaphorischen Sinn vonTrauern statt Fröhlichsein. Diese Anspielung auf seinen bevorstehenden Tod ist der erste Hinweis auf das Kreuz im Markusevangelium.



Mk 2,21-22


Die beiden ersten Gleichnisse Jesu, die Markus erzählt, haben einen breiteren Bedeutungshorizont als nur das Thema "Fasten". Mit Jesu Anwesenheit bei seinem Volk brach eine neue Zeit (die Zeit der Erfüllung) an, sein Kommen war ein Zeichen, daß das Alte vergangen war.

Der Versuch, diese Neuheit des Evangeliums mit der alten Religion des Judentums zu verbinden, war ebenso nutzlos, wie einen Lappen von neuem Tuch auf ein altes ( palaion , "abgetragen") Kleid zu setzen. Wenn der neue (kainon, "qualitativ neu") Lappen ( plErOma , "Fülle") naß wird, wird er einlaufen und vom alten abreißen, und der Riß wird noch ärger werden.

Ebenso katastrophal wirkt es sich aus, wenn man neuen ( neon , "frisch"), noch nicht voll ausgegorenen Wein in alte ( palaious , "abgenutzt", ohne Elastizizität, brüchig) Schläuche füllt . Wenn der neue Wein gärt (sich ausdehnt), zerreißt er die Schläuche, und der Wein ist verloren und die Schläuche auch. Die Rettung, die Jesus brachte, hatte nichts mehr mit dem alten jüdischen System zu tun (vgl. Joh 1,17 ).



4. Das Ährenraufen und -essen am Sabbat
(
2,23 - 28 ) ( Mt 12,1-8; Lk 6,1-5 )


Mk 2,23-24


Als Jesus am Sabbat auf einem Fußweg durch ein Kornfeld ging, fingen seine Jünger an, Ähren auszuraufen und sie zu essen. Das war zwar vom Gesetz her erlaubt ( 5Mo 23,25 ), doch für die Pharisäer war es gleichbedeutend mit "ernten", also eine "Arbeit", die ja am Sabbat verboten war (vgl. 2Mo 34,21 ). Sie forderten daher eine Erklärung von Jesus.



Mk 2,25-26


Dieser berief sich in seiner Antwort auf die Schrift, und zwar auf einen Präzedenzfall, den David und die bei ihm waren geschaffen hatten, als sie in Not waren und hungerten ( 1Sam 21,2-7 ). Die Worte "die bei ihm waren" und "in Not" sind an diesem Vorfall entscheidend. David ging in das Haus Gottes, ließ sich die Schaubrote geben (vgl. 3Mo 24,5-9 ), die nach dem mosaischen Gesetz den Priestern vorbehalten waren (vgl. 3Mo 24,9 ), und gab sie auch denen, die bei ihm waren . Jesus benutzte diese Tat, die Gott nicht verurteilt hatte, um zu zeigen, daß die engstirnige Gesetzesauslegung der Pharisäer Gottes eigentliche Absicht entstellte. Die Bedürfnisse der Menschen hatten - auch von der innersten Bedeutung des Gesetzes her - Vorrang vor allen zeremoniellen Vorschriften.

Nach Markus fand Davids "Übergriff" zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters , statt, doch in Wirklichkeit war damals Abimelech, der Vater des Abjatar, Hohepriester ( 1Sam 21,2 ). Eine plausible Erklärung für diese Verwechslung ergibt sich, wenn man die einleitende Wendung mit "in der Passage über Abjatar, den Hohenpriester" (vgl. die Parallelstelle bei Mk 12,26 ) übersetzt. So pflegten die Juden jeweils einen bestimmten Abschnitt des Alten Testaments, auf den sie sich bezogen, anzugeben. Da Abjatar, der kurz nach Abimelech Hoherpriester wurde, wesentlich bekannter war als sein Vater, ist es durchaus gerechtfertigt, daß Markus an dieser Stelle seinen Namen nennt.



Mk 2,27-28


Mit den Worten und er sprach zu ihnen fügt der Evangelist dann zwei Schlußfolgerungen an, die sich aus dieser Geschichte ergeben:

1. Er zitiert Jesu Worte, daß der Sabbat (von Gott) um des Menschen willen und zu seiner Erholung gemacht ist, und nicht umgekehrt die Menschen um des Sabbats willen strenge Vorschriften einhalten müssen. 2. Er beschließt den Abschnitt (so - vor dem Hintergrund von V. 23 - 27 ) mit einer eigenen Anmerkung (vgl. V. 10 ) zur Bedeutung dieser Aussage Jesu für seine Leser. Der Menschensohn (vgl. Mk 8,31 ) ist ein Herr auch über den Sabbat , er hat souveräne Bestimmungsgewalt über das, was am Sabbat geschehen darf, wie auch der nächste Zwischenfall zeigt. 5. Die Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand am Sabbat ( Mk 3,1-5 ) ( Mt 12,9-13; Lk 6,6-10 )



Mk 3,1-2


Abermals an einem Sabbat sah Jesus in der Synagoge (wahrscheinlich in Kapernaum; vgl. Mk 1,21 ) einen Mann mit einer verdorrten Hand (es war seine Rechte; vgl. Lk 6,6 ). Sie (die Pharisäer; vgl. Mk 3,6 ) lauerten darauf , wie Jesus sich verhalten würde, und ob er ihnen vielleicht einen Grund liefern würde, damit sie ihn verklagen könnten . Denn das Heilen am Sabbat war nur bei Lebensgefahr erlaubt, die Krankheit dieses Mannes war jedoch nicht lebensbedrohlich und hätte auch bis zum nächsten Tag warten können. Wenn Jesus ihn aber dennoch heilte, konnten sie ihn als Sabbatschänder anklagen, ein Vergehen, auf das die Todesstrafe stand (vgl. 2Mo 31,14-17 ).


Mk 3,3-4


Jesus gebot dem Mann tritt hervor , so daß die ganze versammelte Menge seine verdorrte Hand sehen konnte. Dann stellte er den Pharisäern eine rhetorische Frage, welche von zwei unterschiedlichen Handlungsweisen dem Sinn des Sabbats im mosaischen Gesetz wirklich entspräche. Die Antwort lautete natürlich: Gutes tun und Leben ( psychEn , "Seele"; vgl. Mk 8,35-36 ) erhalten . Wenn man diesem Mann am Sabbat aber nicht half (vgl. Mk 2,27 ), so hieße das, Böses tun (seinen eigentlichen Zweck mißbrauchen) und, wie es dann schließlich auch aufgrund des hinterlistigen Komplotts der Pharisäer an diesem Sabbat (vgl. Mk 3,6 ) geschah, zu töten . Hier ging es um die moralische (nicht die gesetzliche) Seite des Vollbringens von Gutem am Sabbat, doch die Pharisäer weigerten sich, auch nur darüber zu diskutieren.



Mk 3,5


Jesus sah sie (die Pharisäer) ringsum (von periblepomai , ein alle einschließender, durchdringender Blick; vgl. V. 34 ; Mk 5,32;10,23;11,11 ) an mit Zorn . Das ist das einzige Mal im Neuen Testament, daß ausdrücklich berichtet wird, daß Jesus zornig wurde. Er fühlte gerechte Empörung und tiefen Schmerz (Kummer) über ihre halsstarrige Gefühllosigkeit ( pOrOsei , "Verhärtung"; vgl. Röm 11,25; Eph 4,18 ) gegenüber Gottes Gnade und menschlichem Elend.

Als der Mann auf Jesu Gebot hin seine Hand ausstreckte , wurde sie sofort und vollständig gesund. Jesus führte dabei keine Handlung durch, die als "Arbeit" am Sabbat hätte interpretiert werden können. Als Herr über den Sabbat ( Mk 2,28 ) hob Jesus die gesetzlichen Einschränkungen auf, die diesen Tag verkrusteten, und befreite den Mann gnädig von seinem Leiden.



E. Schluß: Jesu Verwerfung durch die Pharisäer
(
3,6 ) ( Mt 12,14; Lk 6,11 )


Mk 3,6


Dieser Vers ist der Höhepunkt des Abschnitts über Jesu Streitigkeiten mit dem religiösen Establishment in Galiläa ( Mk 2,1-3,5 ). Er enthält den ersten expliziten Hinweis auf Jesu Tod, der von nun an sein Wirken überschattete. Unmittelbar im Anschluß ( euthys ; vgl. V. 10 ) an die Auseinandersetzung über den wahren Sinn des Sabbats verschworen sich die Pharisäer in nie dagewesener Einigkeit mit den Anhängern des Herodes (vgl. Mk 12,13 ), einflußreichen politischen Parteigängern des Herodes Antipas, aus dem gemeinsamen Wunsch heraus, Jesus zu vernichten (vgl. Mk 15,31-32 ). Jesu Vollmacht kollidierte mit ihrer eigenen Autorität und bedrohte sie, daher mußte er beseitigt werden. Die Frage war nur, wie sich das bewerkstelligen ließ.



IV. Jesu späteres Wirken in Galiläa
(
3,7 - 6,6 a)


Der zweite größere Abschnitt des Markusevangeliums beginnt und schließt vom Aufbau her wie der erste (vgl. Mk 1,14-15 mit Mk 3,7-12;1,16-20 mit Mk 3,13-19;3,6 mit Mk 6,1-6 a). Er beschreibt das weitere Wirken Jesu trotz des Widerstandes und des Unglaubens um ihn herum.



A. Einführende Zusammenfassung: Jesu Wirken am See Genezareth
(
3,7-12 ) ( Mt 12,15-21 )


Mk 3,7-10


Die zusammenfassende Schilderung dieser vier Verse ähnelt in Inhalt und Stil der Aussage von Mk 2,13 .Als neues Element tritt allerdings hinzu, daß Jesus mit seinen Jüngern (im Griechischen zur Hervorhebung an erster Stelle genannt), die sowohl die Feindseligkeit bestimmter Gruppen als auch die Beliebtheit bei der Menge, die Jesus genoß, mit ihm gemeinsam erlebten, entwich .

Viele Leute aus Galiläa folgten (hier nicht im Sinne von Nachfolge gebraucht, sondern einfach: "gingen mit") ihm, und auch von außerhalb Galiläas - aus dem Süden, Judäa, Jerusalem und Idumäa , aus dem Osten, von jenseits des Jordan (Peräa), und aus dem Norden, den Küstenstädten Tyrus und Sidon (in Phönizien) kam eine große Menge , die von all seinen Taten (d. h. seinen Wunderheilungen) angezogen wurde. An all diesen Orten (außer in Idumäa; vgl. Mk 5,1;7,24.31;10,1;11,11 ) hielt sich Jesus eine Zeitlang auf. Der Ansturm auf seine Heilkraft und der Wunsch all derer, die geplagt waren ( mastigas , "gepeinigt"; vgl. Mk 5,29 ["Plage"]., 34 ), ihn anzurühren , war so groß, daß er zu seinen Jüngern sagte, sie sollten ihm ein kleines Boot bereithalten , damit er dem Andrang der Menge, wenn es nötig wurde, ausweichen konnte. Diese Einzelheit berichtet nur Markus, der sich hier wahrscheinlich auf einen Augenzeugen wie z. B. Petrus bezieht.



Mk 3,11-12


Unter den herbeiströmenden Menschenmassen waren auch Besessene, deren Reden und Verhalten von unreinen Geistern beherrscht war. Diese Geister erkannten stets sofort Jesu Status als Gottes Sohn und gerieten durch seine Anwesenheit in große Bedrängnis. Er ging jedoch auf ihre wiederholten (Imperfekt) Ausrufe des Erkennens nicht ein und befahl ihnen, ihn nicht offenbar zu machen ( Mk 1,24-25;4,39;8,30.32-33;9,25 ). Daß Jesus sich die verfrühten Bekenntnisse der Dämonen erneut verbat, zeigt wieder, daß er sich Gottes Plan, seine Identität und seinen Auftrag erst nach und nach zu enthüllen, unterwarf.



B. Jesu Berufung der Zwölf
(
3,13 - 19 ) ( Mt 10,1-4; Lk 6,12-16 )


Mk 3,13


Von der Ebene am See ging Jesus auf einen Berg (inmitten Galiläas; vgl. Mk 6,46 ). Er rief zu sich, welche er wollte , d. h. die Zwölf ( Mk 3,16-19 ), und die gingen aus der Menge hin zu ihm (vgl. Lk 6,13 ). Markus hatte bereits an einer früheren Stelle angedeutet, daß die Zahl der Jünger sich inzwischen vergrößert hatte (vgl. Mk 2,15 ).



Mk 3,14-15


Er setzte (d. h. "machte") zwölf ein: (a) daß sie bei ihm sein sollten (und er sie in enger Gemeinschaft unterweisen konnte) und (b) daß er sie aussendete zu predigen (vgl. Mk 1,4.14 ) und daß sie (von ihm) Vollmacht hätten, die bösen Geister auszutreiben ( ekballein ; vgl. Mk 1,34.39; ihr zukünftiges Amt; vgl. Mk 6,7-13 ). Für Markus war also die enge Verbundenheit der Jünger mit Jesus und die Tatsache, daß er sie auf ihren späteren Dienst vorbereitete, entscheidend.

In fast allen wichtigeren griechischen Handschriften und den meisten früheren Versionen fehlt der Einschub die er auch Apostel nannte . Das scheint korrekter. Daß die Wendung dennoch in einigen wenigen frühen Manuskripten auftaucht, ist wahrscheinlich auf den Einfluß von Lk 6,13 zurückzuführen. Außerdem gebraucht Markus selbst die Bezeichnung "Apostel" nur noch in Mk 6,30 ,und zwar nicht in irgendeinem spezifischen Sinn. Die Zahl zwölf entsprach den zwölf Stämmen Israels und war damit ein Ausdruck dafür, daß Jesu Kommen dem ganzen Volk galt. "Die Zwölf" wurde in der Folgezeit zur offiziellen Bezeichnung bzw. zum Titel für die von Jesus bei dieser Gelegenheit ernannten Jünger (vgl. Mk 4,10;6,7;9,35;10,32;11,11;14,10.17.20.43 ). Obwohl ihre Zahl einen bedeutsamen Hinweis auf Israel darstellt, werden sie doch an keiner Stelle als "neues" oder "geistliches" Israel bezeichnet. Sie waren vielmehr der Kern einer kommenden neuen Gemeinschaftsform, der Gemeinde (vgl. Mt 16,16-20; Apg 1,5-8 ).



Mk 3,16-19


Diese Verse enthalten eine traditionelle Liste der Namen der zwölf zu Jüngern ernannten Männer. An erster Stelle steht Simon (vgl. Mk 14,37 ). Jesus gab ihm den Beinamen Petrus (vgl. Joh 1,42 ), das griechische Wort für das aramäische Kephas , "Stein oder Fels". Das war jedoch wohl eher ein Ausdruck für seine führende Rolle während Jesu Wirken und in der Urkirche (vgl. Mt 16,16-20; Eph 2,20 ) als ein Hinweis auf seinen persönlichen Charakter. Jakobus und Johannes , die Söhne des Zebedäus, trugen den Beinamen Boanerges , ein hebräisches Wort, das Markus mit Donnersöhne wiedergibt (vgl. Mk 9,38;10,35-39; Lk 9,54 ), wenngleich Jesus damit wohl etwas Schmeichelhafteres meinte (das wir heute nicht mehr entschlüsseln können).

Bis auf Andreas ( Mk 1,16;13,3 ), Judas Iskariot ( Mk 14,10.43 ) und vielleicht noch Jakobus, den Sohn des Alphäus ("Jakobus der Kleine"; Mk 15,40 ), kommen die Namen, die hier noch genannt werden, nicht noch einmal bei Markus vor: Philippus ( Joh 1,43-46 ) Bartholomäus (Nathanael; Joh 1,45-51 ), Matthäus (Levi, vgl. Mk 2,14 ), Thomas ( Joh 11,16;14,5;20,24-28;21,2 ), Jakobus, Sohn des Alphäus (wahrscheinlich nicht Levis Bruder; vgl. Mk 2,14 ), Thaddäus (Judas, Sohn des Jakobus; Lk 6,16; Apg 1,13 ) und Simon Kananäus ( Lk 6,15; Apg 1,13 , Simon der Zelot, wobei "Zelot" wahrscheinlich ein Ausdruck seines Eifers für Gott war, und nicht seine Parteizugehörigkeit zu den Zeloten, einer extremen politischen/nationalistischen Gruppierung, bezeichnete). Judas Iskariot (ein "Mann aus Kerijot", der einzige Nicht-Galiläer; vgl. Joh 6,71;13,26 ) schließlich war er es, der Jesus dann an seine Feinde verriet ( Mk 14,10-11.43-46 ).


C. Der Beelzebul-Vorwurf und Jesu wahre Verwandte
(
3,20 - 35 )


Der folgende Abschnitt ist wie ein "Sandwich" aufgebaut: in die Geschichte über Jesu Familie (V. 20 - 21.31 - 35 ) ist der Vorfall, der zu der Beschuldigung führte, Jesus treibe die bösen Geister durch Beelzebul aus (V. 22 - 30 ), eingefügt. Markus setzt diesen literarischen Kunstgriff mehrmals bewußt ein, jedesmal aus anderen Gründen (vgl. Mk 5,21-43;6,7-31;11,12-26;14,1-11.27-52 ). An dieser Stelle arbeitet er damit die Parallele zwischen den Vorwürfen, die Jesus gemacht wurden, heraus (vgl. Mk 3,21.30 ) und unterscheidet gleichzeitig zwischen der allgemeinen Opposition gegen Jesus und der Schmähung der Werke, die der Heilige Geist durch ihn vollbrachte.

1. Die Besorgnis von Jesu Familie
(
3,20 - 21 )


Mk 3,20-21


Diese beiden Verse stehen nur bei Markus. Nachdem Jesus in ein Haus (in Kapernaum; vgl. Mk 2,1-2 ) gegangen war, kam abermals eine so große Menge zusammen, daß er und seine Jünger nicht einmal essen konnten (vgl. Mk 6,31 ). Als die Seinen (ein griechisches Idiom für Verwandte, nicht für Freunde) hörten , daß seine rastlose Tätigkeit ihn sogar davon abhielt, seine einfachsten Bedürfnisse zu befriedigen, machten sie sich auf (wahrscheinlich aus Nazareth) und wollten ihn festhalten ( kratEsei , ein Wort, das bei Gefangennahmen verwendet wird; vgl. Mk 6,17;12,12;14,1.44.46.51 ), denn (gar; vgl. "denn" in Mk 1,16 ) sie sagten, ersei von Sinnen , ein geisteskranker religiöser Fanatiker (vgl. Apg 26,24; 2Kor 5,13 ).



2. Die Rückweisung des "Beelzebul"-Vorwurfs
(
3,22 - 30 ) ( Mt 12,22-32; Lk 11,14-23;12,10 )


Mk 3,22


Mittlerweile war eine Abordnung Schriftgelehrter von Jerusalem herabgekommen , um Jesus zu verhören. Sie warfen ihm wiederholt vor, daß er (a) von Beelzebul (d. h. von Dämonen; vgl. V. 30 ) besessen sei und daß er (b) die bösen Geister durch Satan, ihren Obersten (Herrscher), mit dem er im Bunde sei, austreibe (vgl. V. 23 ).

Die Schreibweise "Beelzebul" ist gegenüber "Beelzebub" in den zuverlässigeren griechischen Quellen belegt. Das Wort kommt von dem hebräischen Wort "Baalzebul" (das im Alten Testament nicht vorkommt), was soviel wie "Herr der Höhe" (des Tempels), d. h. im Kontext des Neuen Testaments "Herr der bösen Geister" bedeutet (vgl. Mt 10,25; Lk 11,17-22 ). Weniger gesichert ist die Schreibweise der lateinischen Vulgata, "Beelezbub", von dem hebräischen Wort "Baalezbub", "Herr der Fliegen", der Name einer alten kanaanitischen Gottheit (vgl. 2Kö 1,2 ).



Mk 3,23-27


Jesus rief daraufhin seine Ankläger zusammen und wies ihre Beschuldigungen in Gleichnissen (kurzen epigrammatischen Aussprüchen, nicht etwa Geschichten) zurück. Er ging zunächst auf die zweite Anklage (V. 23 - 26 ) und die Absurdität des ihr zugrundeliegenden Gedankens - daß Satan gegen sich selbst vorgehe - ein. Anhand zweier Bilder erläuterte er die selbstverständliche Tatsache, daß ein Reich oder ein Haus , das in seinem Handeln und seinen Zielen mit sich selbst uneins wird, nicht bestehen kann . Dasselbe gilt für Satan, wenn er sich, wie der Vorwurf der Schriftgelehrten zu implizieren scheint, gegen sich selbst erhebt und mit sich selbst uneins wird. Das würde bedeuten, daß es mit ihm aus ist , d. h. mit seiner Macht - nicht mit seiner persönlichen Existenz. Dem ist jedoch eindeutig nicht so, Satan ist weiterhin stark (vgl. V. 27 ; 1Pet 5,8 ). Also war die Beschuldigung, daß Jesus mit Hilfe Satans Dämonen austreibe, falsch.

Mit einem weiteren Beispiel in Vers 3,27 widerlegte Jesus die erste Anklage der Schriftgelehrten (V. 22 ), indem er bewies, daß es sich in Wirklichkeit (wörtlich: "im Gegenteil") genau andersherum verhielt. Satan ist der Starke . Sein Haus ist der Bereich der Sünde, des Bösen, der Besessenheit und des Todes. Sein Hausrat sind Menschen, die von einem oder mehreren dieser Dinge versklavt sind, und sein Werkzeug sind Dämonen, die seine teuflischen Pläne ausführen. Niemand kann in sein Haus eindringen und seinen Hausrat rauben ( diarpasai , "plündern"), wenn er nicht zuvor den Starken fesselt (zeigt, daß er mächtiger ist). Erst dann kann er sein Haus berauben ( diarpasei , "plündern") und die Gefangenen befreien. Jesus aber hatte bei seiner Versuchung (vgl. Mk 1,12-13 ) und durch seine Teufelsaustreibungen bewiesen, daß er stärker war als der Starke und daß er den Heiligen Geist besaß (vgl. Mk 3,29 ). Sein Auftrag war es, sich Satan entgegenzustellen, ihn zu überwinden (nicht etwa mit ihm zusammenzuarbeiten) und seine Gefangenen zu befreien.



Mk 3,28-30


Auf dem Hintergrund der vorausgegangenen Anschuldigungen sprach Jesus nun eine strenge Warnung aus. Die Worte wahrlich (Amen), ich sage euch bilden eine wiederholt gebrauchte Formel feierlicher Bestätigung, die nur in den Evangelien vorkommt (bei Markus dreizehnmal) und nur von Jesus ausgesprochen wird.

Jesus sagte, daß alle Sünden, auch die Lästerungen (Schmähworte gegen Gott), den Menschenkindern vergeben werden können (vgl. Mk 1,4 ), mit einer Ausnahme: die Lästerungen gegen den Heiligen Geist . Hier ist von einer allgemeinen Haltung (nicht von einer einmaligen Handlung oder Äußerung) trotziger Feindseligkeit gegenüber Gottdie Rede, die Gottes rettende Kraft, wie sie in den Werken des Geistes und in der Person Jesu zum Ausdruck kommt, ablehnt, und der Dunkelheit den Vorzug gibt, trotzdem das Licht zu sehen ist (vgl. Joh 3,19 ). Eine solche eigensinnig verneinende Haltung des Unglaubens kann sich mit der Zeit zu einem Zustand verhärten, in dem Buße und Vergebung - beide bewirkt durch den heiligen Geist - unmöglich werden. Wer sich so verhält, macht sich ewiger Sünde (Singular, die äußerste Sünde, da sie für immer unvergeben bleibt; vgl. Mt 12,32 ) schuldig ( enochos , "verantwortlich für, in den Klauen von"). Judas Iskariot ( Mk 14,43-46; Mt 27,3-5 ) war ein lebendiges Beispiel für diese Worte.

Markus erklärt, daß Jesus sich zu dieser Äußerung genötigt sah, weil sie (die Schriftgelehrten; Mk 3,22 ) immer wieder behaupteten, er habe einen unreinen Geist (V. 30 ). Jesus sagte nicht, daß die Schriftgelehrten diese unverzeihliche Sünde (der Lästerung gegen den Geist) tatsächlich schon begangen hatten, doch er warnte sie, weil sie ihr gefährlich nahe gekommen waren, indem sie seine Dämonenaustreibungen, die er durch die Macht des Heiligen Geistes vollbrachte, der Macht des Satans zuschrieben. Sie waren nahe daran, den Heiligen Geist "Satan" zu nennen.



3. Jesu wahre Verwandte
(
3,31 - 35 ) ( Mt 12,46-50; Lk 8,19-21; 11,27-28 )


Mk 3,31-32


Die Ankunft der Mutter Jesu und seiner Brüder (vgl. Mk 6,3 ) nimmt die in Mk 3,21 unterbrochene Erzählung wieder auf. Von draußen schickten sie jemanden zu ihm, der sich durch das Volk, das um ihn saß, hindurcharbeitete und Jesus um eine private Unterredung bat, in der sie versuchen wollten, seinem Tun Einhalt zu gebieten.



Mk 3,33-35


Jesu rhetorische Frage (V. 33 ) war keine Leugnung seiner Familienbeziehungen (vgl. Mk 7,10-13 ), sondern ein Hinweis auf die viel tiefergehende Frage nach der Beziehung des einzelnen zu ihm. Es geht um die Qualität dieser Beziehung: Wer sind die Menschen, die meine Mutter und meine Brüder sind? Mit einem Blick ringsum ( periblepomai , vgl. Mk 3,5 ) auf die, die um ihn im Kreise saßen (seine Jünger, im Gegensatz zu denen, die draußen standen; V. 31 ) stellte Jesus fest, daß seine Verbundenheit mit ihnen weit über die natürliche Verwandtschaft innerhalb der Familie hinausging.

Danach dehnte er diesen neuen Verwandtschaftsbegriff über den Kreis der Anwesenden hinaus auf all jene aus, die Gott gehorchen. Wer Gottes Willen tut , gehört zur Familie Jesu. Die Worte Bruder und Schwester und Mutter , im Griechischen alle ohne Artikel (und daher abstrakt gemeint), sind ein Bild für Jesu geistliche Familie. Denn wer Gottes Willen tut (z. B. Mk 1,14-20 ), ist Jesus im Geiste verwandt.



D. Jesu Gleichnisse über das Gottesreich
(
4,1 - 34 )


Die Gruppe von Gleichnissen, um die es hier geht, bildet die erste von zwei längeren Einheiten im Markusevangelium, die sich mit Jesu Lehre befassen (vgl. auch Mk 13,3-37 ). Markus wählte diese Gleichnisse (wie sich aus Mk 4,2.10.13 und 33 entnehmen läßt) aus einer größeren Sammlung aus, um das Wesen des Gottesreiches zu beschreiben (vgl. Mk 4,11 mit Mk 1,15 ).

Sie wurden in einem Umfeld wachsender Feindseligkeit und Opposition gegen Jesus erzählt (vgl. Mk 2,3-3,6.22-30 ), während gleichzeitig der Ansturm der Masse unverändert anhielt (vgl. Mk 1,45;2,2.13.15;3,7-8 ). Beide Reaktionen zeigen, daß die Menschen Jesu wahres Wesen trotz allem nicht begriffen hatten.

"Gleichnis" ist das deutsche Wort für das griechische parabolE , "Vergleich" (erhalten in dem Fremdwort "Parabel"). Es kann eine Reihe verschiedener Formen der bildlichen Rede bezeichnen (z. B. Mk 2,19-22;3,23-35;4,3-9.26-32;7,15-17;13,28 ). Gewöhnlich ist ein Gleichnis jedoch ein kurzes Lehrstück, das mit Hilfe eines anschaulichen Vergleichs eine geistige Wahrheit vermittelt. Die Wahrheit, die einsichtig gemacht werden soll, wird dabei mit einem Gegenstand oder Geschehen aus der Natur oder aus der alltäglichen Erfahrung verglichen. In der Regel vermittelt ein Gleichnis nur eine einzige Erkenntnis, doch manchmal wird seine Bedeutung um einen zweiten, weniger wichtigen Gedanken erweitert (vgl. Mk 4,3-9.13-20;12,1-12 ). Die Hörer des Gleichnisses werden in die Situation hineingestellt und dazu gebracht, sie zu bewerten und die erkannte Wahrheit auf sich selbst anzuwenden. (Vgl. die Tabelle der fünfunddreißig überlieferten Gleichnisse Jesu bei Mt 7,24-27 .)

1. Einführende Zusammenfassung
(
4,1 - 2 ) ( Mt 13,1-3 a)


Mk 4,1-2


Wieder einmal (vgl. Mk 2,13;3,7 ) lehrte Jesus eine riesige Menge am See (Genezareth). Es waren so viele, daß er in ein Boot steigen mußte, das im Wasser lag , um von dort zu seinen Zuhörern, die das Ufer säumten, zu sprechen. Diesmal lehrte er sie vieles in Gleichnissen .



2. Das Gleichnis vom Sämann
(
4,3 - 20 )


a. Das Gleichnis wird erzählt
(
4,3 - 9 ) ( Mt 13,3-9; Lk 8,4-8 )


Sowohl zu Beginn als auch am Schluß des Gleichnisses forderte Jesus die Menschen auf, gut zuzuhören (vgl. Mk 4,3.9.23 ).



Mk 4,3-9


Als ein Sämann Saatgut auf seinem ungepflügten Feld aussäte, fiel einiges auf den harten, festgetretenen Weg, einiges auf felsigen Boden , wo es keinen Halt in der Erde fand, und einiges unter die Dornen (Boden, auf dem ausgerissene Dornbüsche lagen). Einiges fiel auch auf gutes Land .

Nicht alles Saatgut brachte Frucht hervor. Vögel fraßen das, was auf den Weg gefallen war ( Mk 4,4 ), die Sonne verdorrte die zarten Pflanzen, die in dem flachen felsigen Boden zwar alsbald ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) aufgeschossen waren, aber keine Wurzeln gebildet hatten ( Mk 4,6 ), die Dornen wuchsen empor und erstickten die anderen Pflanzen, die daraufhin keine Frucht trugen (V. 7 ).

Nur die Saat, die auf den guten Boden gefallen war, schlug Wurzeln, wuchs und brachte Frucht in überreichem Maß: Sie ergab das Dreißig-, Sechzig- und Hundertfache (V. 8 ), je nachdem, wie fruchtbar der Boden war. (Ein Ergebnis von 10:1 galt damals durchaus als gute Ernte.)



b. Der Zweck der Gleichnisse
(
4,10 - 12 ) ( Mt 13,10-17; Lk 8,9-10 )


Mk 4,10


Hier fällt zunächst vor allem der Szenenwechsel auf. Die in Vers 10-20 berichteten Ereignisse fanden offensichtlich später statt (vgl. 35 - 36 ; Mt 13,36 ), doch Markus fügt sie bereits hier ein, um das in Mk 4,11.33-34 ausgedrückte Prinzip zu veranschaulichen und dadurch auch die Bedeutung der Gleichnisse zu unterstreichen. Und als er allein war, fragten ihn, die um ihn waren (andere wahre Jünger; vgl. Mk 3,34 ), samt den Zwölfen, nach den Gleichnissen im allgemeinen und nach dem Gleichnis vom Sämann im besonderen (vgl. Mk 4,13 ).



Mk 4,11-12


Diese Verse müssen im Zusammenhang mit dem Unglauben und der Feindseligkeit (vgl. Mk 3,6.21-22.30 ), die Jesus entgegenschlugen, gesehen werden. Denen, die glaubten - euch (zur Hervorhebung steht auch im Griechischen das Pronomen an erster Stelle), den Jüngern - hatte Gott das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben (vgl. Mk 1,15 ), denen aber draußen (außerhalb des Kreises der Jünger, in der ungläubigen Menge) wurde alles, Jesu Botschaft und sein Auftrag, nur in Gleichnissen zuteil, wobei "Gleichnis" hier in dem speziellen Sinn von "rätselhafter" oder "dunkler" Rede gebraucht ist. Die Menge verstand Jesus also nicht wirklich.

Beide Gruppen wurden mit Jesus und seiner Botschaft konfrontiert (vgl. Mk 1,14-15 ). Doch nur die Jünger ließ Gott in Jesus das "Geheimnis" ( mystErion ) des Reiches sehen, ihnen wurde Gottes Plan mit dem Gottesreich für die jetzige Zeit, die eine Zeit der "Aussaat" sein sollte, enthüllt (vgl. Mk 4,13-20 ). Dieses Geheimnis war den Propheten früher verborgen, doch nun wurde es denen, die er erwählt hatte, offenbart (vgl. Röm 16,25-26 ).

Jesu "Geheimnis", von dem alle Gleichnisse über das Gottesreich sprechen, ist, daß in Jesus die Herrschaft Gottes auf Erden (das Gottesreich) in einer neuen geistlichen Form für die Menschen erfahrbar gemacht ist. Den Jüngern, die an Jesus geglaubt hatten, hatte Gott dieses "Geheimnis" schon jetzt gegeben ( dedotai , Perf. pass.), wenn sie auch nur wenig von seiner Tragweite begriffen hatten.

Andererseits sahen diejenigen, die durch ihren Unglauben geblendet waren, in Jesus nur eine Bedrohung ihrer Existenz. Sie lehnten ihn ab und nahmen sich damit selbst die Möglichkeit, das "Geheimnis" des Gottesreiches kennenzulernen. Jesu Gleichnisse dienten dazu, ihnen die Wahrheit zu verbergen.

Sie waren wie die Israeliten zur Zeit Jesajas ( Jes 6,9-10 ). Jesaja hatte gesagt, daß die geistliche Blindheit und Taubheit der Menschen das Gericht Gottes seien. Er bezog sich damit insbesondere auf das Volk Israel, das Gottes Offenbarung, wie sie in Jesus zum Ausdruck kam, verwarf. Sie sollten die Gleichnisse sehen und hören, ohne ihre eigentliche Bedeutung zu verstehen, damit sie sich nicht etwa ( mEpote ) bekehren (zu Gott) und ihnen vergeben werde .

Jesu Hörern wurde die Möglichkeit, an ihn zu glauben, nicht versagt. Doch nachdem sie sich beharrlich gegen seine Botschaft verschlossen hatten (vgl. Mk 1,15 ), wurden sie später durch die Mitteilungsform des Gleichnisses von einem tieferen Verständnis ausgeschlossen. Doch selbst die Gleichnisse, die ja die Wahrheit verhüllten, sollten die Menschen noch zum Nachdenken bringen und ihnen dadurch schließlich die Wahrheit offenbaren (vgl. Mk 12,12 ). Sie wahrten in einzigartiger Weise die Freiheit der Menschen zu glauben und zeigten doch gleichzeitig, daß Gott allein Glauben schenken kann (vgl. Mk 4,11 a).



c. Das Gleichnis vom Sämann wird gedeutet
(
4,13 - 20 ) ( Mt 13,18-23; Lk 8,11-15 )


Mk 4,13


Die doppelte Frage zeigt, wie wichtig das Gleichnis vom Sämann ist. Wenn die Jünger dieses Gleichnis nicht verstehen konnten ( oidate , "intuitiv begreifen), würden sie auch die andern alle nicht verstehen ( gnOsesthe , "aus der Erfahrung heraus verstehen").



Mk 4,14-20


Der Sämann wird zwar nicht näher bezeichnet, doch aus dem Zusammenhang kann man schließen, daß damit wahrscheinlich Jesus und alle anderen, die das Wort (die Botschaft) Gottes, d. h. die Saat (vgl. Mk 1,15.45;2,2;6,12 ), aussäen (verkünden), gemeint sind. In Mk 4,15-20 dagegen geht es um die Hörer dieses Wortes: die verschiedenen Bodenformen stehen für die verschiedenen Hörer, in deren Inneres das Samenkorn des Wortes fällt.

Viele Menschen zeigen eine der drei beschriebenen negativen Reaktionen: Manche hören das Wort verhärteten, gleichgültigen Herzens, und sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) kommt der Satan (wie die Vögel) und nimmt das Gehörte weg . Es kommt also gar nicht erst zu einer Reaktion.

Andere nehmen es sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) mit Freuden auf , doch ihre Begeisterung ist nur ein kurzes Strohfeuer und geht nicht tief. Sie sind wetterwendisch , weil das Wort keine Wurzel in ihnen schlägt. Wenn sich Bedrängnis (wörtlich: "Not") oder Verfolgung um des Wortes willen erhebt (wie die heiße Sonne), so fallen sie sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) ab ( skandalizontai , "werden abgestoßen"; vgl. den Kommentar zu Mk 14,27 ). Ihr Bekenntnis ist also nicht echt.

Andere hören das Wort , doch sie sind zu beschäftigt mit ihrem alltäglichen Leben und ihrer Jagd nach Reichtum. Drei miteinander konkurrierende Anliegen - die Sorgen der Welt (wörtlich: "dieses Zeitalters"), der betrügerische Reichtum (der trügerische Glanz des Reichtums) und die Begierden nach allem andern - überwuchern ihr Leben (wie wildwachsendes Dorngestrüpp). Diese Dinge ersticken das Wort, und es bleibt ohne Frucht (vgl. Mk 10,22 ), was beweist, daß sie keine wahren Gläubigen sind.

Im Gegensatz zu diesen Gruppen gibt es jedoch auch Menschen, die das Wort hören und annehmen ( paradechontai , "es für sich selbst willkommen heißen") und (geistliche) Frucht bringen . Dies sind die wahren Jünger. Bei der kommenden Ernte werden sie reiche Erträge in unterschiedlicher Höhe erbringen: dreißigfach, sechzigfach oder hundertfach (vgl. Mk 4,24-25 mit Mt 25,14-30; Lk 19,11-27 ).

Die Verkündigung der Nachricht vom Gottesreich gleicht dem Aussäen von Saatgut auf verschiedenen Böden. Bei Jesu erstem Kommen und im gegenwärtigen Zeitalter ist das Gottesreich angesichts der Opposition Satans und des Unglaubens der Menschen noch weitgehend verhüllt. Dennoch schlägt Gottes Herrschaft Wurzeln in denen, die Jesu Botschaft akzeptieren, und manifestiert sich in geistlichen Früchten. Doch erst bei der Wiederkunft Jesu wird das Gottesreich offen, in einer Herrlichkeit, die jetzt noch verhüllt ist, auf Erden errichtet werden (vgl. Mk 13,24-27 ). Dann wird die Ernte überreichlich sein. Das Gleichnis vom Sämann zeigt also das Gottesreich sowohl in seiner gegenwärtigen, verborgenen , als auch in seiner zukünftigen, herrlichen Form (vgl. Mk 1,14-15 ).



3. Das Gleichnis vom Licht und vom rechten Maß
(
4,21 - 25 ) ( Lk 8,16-18; Mt 5,15 und Lk 11,33; Mt 7,2 und Lk 6,38; Mt 10,26 und Lk 12,2; Mt 13,12;25,29 und Lk 19,26 )


Jesus kam bei verschiedenen Gelegenheiten auf die gleichnishaften Aussagen dieser Verse zurück (vgl. dazu die oben angeführten Belegstellen). Markus fügt sie an dieser Stelle ein, weil sie die Botschaft vom Gottesreich unterstreichen und die Notwendigkeit, richtig auf diese Botschaft zu reagieren, deutlich machen. Vers 23.24 a erinnern an die Aufforderung Jesu in Vers 3.9 - ein Beleg dafür, daß Markus diese Sätze den für alle Zuhörer bestimmten Gleichnissen zuordnete (vgl. V. 26.30 ) und nicht als Fortsetzung der nur an die Jünger gerichteten Erklärungen verstand.



Mk 4,21-23


Jesus ging in seinem Gleichnis von der selbstverständlichen Tatsache aus, daß man ein Licht , einen brennenden Docht in einer flachen, mit Öl gefüllten Tonschale, nicht anzündet, um es dann unter einem Scheffel (wie es beim Zubettgehen geschah) oder unter einer Bank zu verbergen (wie es nachts geschah). Es wurde vielmehr auf den Leuchter gesetzt, damit es leuchte. Dann erklärte ( gar , denn ) Jesus, daß alles, was (in der Nacht) verborgen oder geheim sei, offenbar und an den Tag gebracht werden solle. Diese Geschichte über einen kleinen, alltäglichen Vorgang veranschaulicht eine geistliche Wahrheit, aus der jeder, der bereit dazu ist, lernen kann.



Mk 4,24-25


Wenn jemand Jesu Botschaft annimmt (vgl. Mk 1,15 ), wird Gott ihn bereits jetzt an seinem Reich teilhaben lassen und ihm in seinem zukünftigen Reich noch dazugeben (vgl. Mk 4,21-23 ). Wer jedoch sein Wort ablehnt, wird alles verlieren, denn eines Tages wird man ihm auch die Möglichkeit, in das Reich einzugehen, die er jetzt noch hat, nehmen .



4. Das Gleichnis vom Wachsen der Saat
( Mk 4,26-29 )


Dies ist das einzige Gleichnis, das nur bei Markus steht. Wie das Gleichnis vom Sämann ist es ein allumfassendes Bild vom Kommen des Gottesreiches, dessen Botschaft ausgesät wird (V. 26 ), wächst (V. 27 - 28 ) und geerntet wird (V. 29 ), wobei die Betonung hier auf dem Wachsen liegt. Nur eine Person, der Sämann (der nicht identifiziert wird), tritt in allen drei Phasen auf.



Mk 4,26


Die Anfangsworte des Gleichnisses könnten übersetzt werden: Mit dem Reich Gottes ist es folgendermaßen: Es ist wie... Zuerst wirft der Sämann Samen aufs Land .



Mk 4,27-28


In der zweiten Phase ist der Sämann zwar auch anwesend, jedoch nicht aktiv. Nachdem er den Samen ausgesät hat, überläßt er ihn sich selbst und geht Nacht und Tag seinen anderen Pflichten nach, ohne dabei die ganze Zeit ängstlich an die Saat zu denken. Inzwischen keimt der Same, geht auf und wächst - er weiß nicht wie .

Die Erde bringt Frucht, die von selbst ( automatE ; vgl. das Fremdwort "automatisch") heranreift. Dieses griechische Schlüsselwort (es steht in hervorgehobener Position) könnte mit "ohne sichtbare Ursache", also "ohne menschliches Zutun", wiedergegeben werden und bezieht sich auf den Teil der Arbeit, der von Gott getan wird (vgl. die ähnlichen Situationen in Jos 6,5; Hi 24,24; Apg 12,10 ). Gott wirkt in dem Samen, der das Leben in sich trägt und, wenn er in gute Erde gepflanzt ist, von selbst, ohne menschliches Zutun, wächst und Frucht trägt.



Mk 4,29


Die Aufmerksamkeit des Sämanns gilt dann erst wieder der dritten Phase, der Ernte. Wenn (Futur) sie aber Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) die Sichel hin (eine Redefigur für das "Aussenden der Schnitter"), denn die Ernte ist da ( parestEken , "steht bereit").

Manche Exegeten halten dieses Gleichnis für ein Bild der Evangelisierung. Für andere symbolisiert es das geistliche Wachstum des Gläubigen. Wieder andere halten es für eine Metapher des Kommens des Gottesreiches durch das geheimnisvolle, souveräne Wirken Gottes. Das Hauptgewicht liegt dabei auf der Phase des Wachstums der Saat unter Gottes Aufsicht, in der Zeit zwischen der Verkündigung Jesu (des demütigen Sämanns) und seiner Jünger und der endgültigen Manifestation des Gottesreiches durch Jesus (den mächtigen Schnitter). Auf dem Hintergrund von Mk 4,26 a und vom Gesamtkontext der Gleichnisse über das Gottesreich her ist wohl dieser dritten These der Vorzug zu geben.

Markus

5. Das Gleichnis vom Senfkorn
(
4,30 - 32 ) ( Mt 13,31-32; Lk 13,18-19 )


Mk 4,30-32


Das Gleichnis beginnt mit einer Doppelfrage, die im wesentlichen besagt, daß das Kommen des Gottesreiches einem Senfkorn (der gewöhnliche schwarze Senf, sinapis nigra ) vergleichbar ist, das aufs Land gesät wird. Die Winzigkeit des Senfsamens, des kleinsten unter allen Samenkörnern , war im jüdischen Denken sprichwörtlich. 725 - 760 Senfkörner wogen nur ein Gramm! Der Senfstrauch ist eine einjährige Pflanze, die aus dem winzigen Samenkorn zu einer Staude heranwächst, die größer ist als alle Kräuter ( ta lachana , "große, schnellwüchsige einjährige Sträucher") in Palästina und in wenigen Wochen drei bis vier Meter hoch wird. Die Vögel unter dem Himmel (undomestizierte Tiere) werden von seinem Samen und von dem Schatten seiner großen Zweige (vgl. TDNT, "sinapi" , 7,287-91) angelockt. Das Kernstück des Gleichnisses ist der Kontrast zwischen diesem kleinsten aller Saatkörner und der Größe der Staude, zu der es heranwächst - ein Bild für den unbedeutenden, verborgenen Beginn des Gottesreiches, verkörpert in der Gestalt Jesu, und der Größe, die es haben wird, wenn es bei seinem zweiten Kommen endgültig errichtet und alle irdischen Königreiche an Macht und Herrlichkeit überragen wird. Der Verweis auf die Vögel ist vielleicht ganz einfach ein Bild für die überraschende Größe, die der Strauch am Ende erreicht. Möglich ist jedoch auch, daß sie böse Kräfte verkörpern (vgl. V. 4 ), was allerdings bedeuten würde, daß das Gottesreich sich anders entwickelt als erwartet. Wahrscheinlich sind sie eher ein Symbol für die Einbeziehung auch der Heiden in das Gottesreich (vgl. Hes 17,22-24;31,6 ). Was Gott im Alten Testament verheißen hatte ( Hes 17 ), begann er nun in der Person Jesu zu verwirklichen. (Das Gottesreich ist dabei jedoch nicht mit der Kirche gleichzusetzen; vgl. den Kommentar zu Mk 1,15 .)



6. Schluß: Zusammenfassung
(
4,33 - 34 )


Mk 4,33-34


Die beiden abschließenden Verse bringen nochmals den Sinn und die Absicht, die Jesus mit seiner Lehre in Gleichnissen verfolgte, zum Ausdruck (vgl. V. 11 - 12 ). Er sagte ihnen - der Menge und den Jüngern - das Wort (vgl. Mk 1,15 ) in Gleichnissen, die er ihrem Auffassungsvermögen anpaßte.

Wegen der irrtümlichen Vorstellungen, die die Menschen sich vom Gottesreich machten, redete er nicht ohne Gleichnisse (in bildlicher Rede) zu ihnen. Doch seinen Jüngern legte er, wenn sie allein ( kat?idian ; vgl. Mk 6,31-32;9,2.28;13,3 ) waren, alles , was mit seinem Auftrag und seiner Beziehung zum Gottesreich zu tun hatte, aus (wörtlich: "fuhr er fort, auszulegen"). Dieses zweifache Vorgehen, das hier in Kapitel 4 beschrieben wird, wird im folgenden weiterhin vorausgesetzt.


E. Jesu Wunder als Zeichen seiner Macht
(
4,35 - 5,43 )


Der Auswahl von Gleichnissen folgt eine Reihe von Wundern, die das, was Jesus sagte (seine Worte), durch das, was er tat (seine Werke), bestätigten. Beide Teile beziehen sich dabei auf die Gegenwart der Gottesherrschaft (des Gottesreiches) in Jesus.

Bis auf drei Ausnahmen finden sich alle Wunderberichte des Markusevangeliums vor Kapitel 8,27 . (Vgl. die Liste "Die Wunder Jesu" bei Joh 2,1-11 .) Der Evangelist will dadurch besonders deutlich machen, daß Jesus seinen Jüngern erst dann von seinem bevorstehenden Tod und seiner Auferstehung erzählte, als sie ihn offen als den Messias Gottes anerkannt hatten.

In diesem Abschnitt werden vier Wunder beschrieben, die Jesu Macht über ganz verschiedene feindliche Kräfte zeigen: einen Sturm auf dem See ( Mk 4,35-41 ), Besessenheit ( Mk 5,1-20 ), unheilbare Krankheiten ( Mk 5,25-34 ) und den Tod ( Mk 5,21-24.35-43 ).

1. Die Stillung des Sturmes
(
4,35 - 41 ) ( Mt 8,23-27; Lk 8,22-25 )


Mk 4,35-37


Die anschaulichen Einzelheiten dieser Begebenheit, die Markus schildert, zeigen, daß er sich hier auf einen Augenzeugenbericht - wahrscheinlich von Petrus - stützt. Am Abend desselben Tages , an dem er am See gelehrt hatte (vgl. V. 1 ), entschloß sich Jesus, mit seinen zwölf Jüngern auf die andere (östliche) Seite des Sees Genezareth hinüberzufahren . Der Grund dafür wird zwar nicht genannt, doch wahrscheinlich wollte er sich vom Ansturm der Menge erholen und ausruhen. Vielleicht suchte er auch ein neues Gebiet für seine Predigttätigkeit (vgl. Mk 1,38 ). Trotzdem begleiteten ihn auch jetzt noch andere Boote mit denen, die mit ihm zusammenbleiben wollten.

Seine Jünger - mehrere von ihnen erfahrene Fischer - übernahmen die Leitung der Überfahrt. Die Worte wie er im Boote war beziehen sich zurück auf Mk 4,1 und verknüpfen seine Lehren vom Boot aus mit dem Wunder, das er nun ebenfalls in einem Boot auf dem See vollbrachte (vgl. die Anrede der Jünger: "Meister", V. 38 ).

Die Fahrt wurde von einem plötzlich aufkommenden großen Windwirbel gestört, wie sie auf diesem von hohen Hügeln und engen Tälern, die wie Windkanäle wirkten, umgebenen See üblich waren. Am Abend war ein solcher Sturm besonders gefährlich, und diesmal schlugen die Wellen in das Boot, so daß das Boot schon voll wurde .



Mk 4,38-39


Erschöpft von der Anstrengung des Tages, schlief Jesus hinten im Boot auf einem der ledernen Ruderkissen einer der Seeleute. In panischer Angst weckten ihn die Jünger, voller Vorwurf (vgl Mk 5,31;6,37;8,4.32 ) über seine scheinbare Gleichgültigkeit gegen die Gefahr, in der sie sich befanden. Auch wenn sie ihn Meister nannten (die griechische Bezeichnung für das hebräische Wort "Rabbi" ), hatten sie seine Lehre noch immer nicht verstanden.

Jesus bedrohte (wörtlich: "befahl"; vgl. Mk 1,25 ) den Wind und sprach zu dem Meer: "Schweig und verstumme!" (Im Griechischen Perfekt, pephimOso .) Das Verb, "verstumme", war eine Art Terminus technicus für einen Exorzismus (vgl. Mk 1,25 ), daher liegt die Annahme nahe, daß Jesus hinter dem "Sturm" das Wirken dämonischer Kräfte sah. Doch auf seinen Befehl legte sich der Wind, und es entstand eine große Stille auf dem See.



Mk 4,40-41


Jesus tadelte seine Jünger, weil sie in dieser Krise so furchtsam ( deiloi , "feige") reagiert hatten. Trotz seiner Lehre (V. 11.34 ) hatten sie noch immer nicht im entferntesten begriffen, daß Gottes Macht und Autorität in Jesus anwesend war. Das meinte er mit seiner zweiten Frage: "Habt ihr noch keinen Glauben?" (vgl. Mk 7,18;8,17-21.33;9,19 ).

Mit der Stillung des Sturmes bewies Jesus, daß er eine Macht besaß, die im Alten Testament nur Gott hatte (vgl. Ps 89,9-10;104,2-10;106,8-9;107,23-32 ). Deshalb fürchteten die Jünger sich sehr (wörtlich: "fürchteten eine große Furcht"), als sie sahen, daß ihm sogar die Naturgewalten gehorsam waren. Das Verb "fürchteten sich" ( phobeomai , "Ehrfurcht haben"; vgl. deilos, "Furcht", in Mk 4,40 ) ist ein Ausdruck für das ehrfürchtige Staunen, das Menschen in der Gegenwart einer übernatürlichen Macht befällt (vgl. Mk 16,8 ). Die Frage, die sie sich untereinander stellten - wer ist der? -, zeigt jedoch, daß sie die ganze Tragweite dieses Geschehens nicht völlig begriffen.



2. Die Heilung des besessenen Geraseners
(
5,1-20 ) ( Mt 8,28-34; Lk 8,26-39 )


a. Die Beschreibung des Besessenen
(
5,1-5 )


Mk 5,1


Jesus und seine Jünger kamen an die Ostseite des Sees (Genezareth) in die Gegend der Gerasener . Die Ortsangaben der griechischen Handschriften schwanken hier, es werden drei Orte genannt: Gadara ( Mt 8,28 ), Gergesa (bei Origenes) und Gerasa (vgl. den Kommentar zu Lk 8,26 ). Die Bezeichnung "Gerasener", die sich wahrscheinlich auf die kleine Stadt Gersa (das heutige Khersa) am Ostufer des Sees Genezareth bezog, ist jedoch am sichersten bezeugt. Die meisten Einwohner dort waren Heiden.



Mk 5,2-5


Die Detailliertheit der Schilderung läßt sowohl den Bericht eines Augenzeugen als auch die Erzählungen der Leute aus der Stadt, die den Besessenen schon lange kannten, durchschimmern. Als Jesus aus dem Boot trat, lief ihm alsbald ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) von den Gräbern (ek, "aus") her ein Mensch mit einem unreinen Geist entgegen (vgl. Mk 5,8.13 mit Mk 1,23 ). Bei diesen Gräbern handelte es sich wahrscheinlich um höhlenähnliche Grüfte, die in den Fels der nahegelegenen Hügel gehauen waren und manchmal Geisteskranken als Zufluchtsort dienten. Matthäus spricht in diesem Zusammenhang von mehreren Besessenen, während Markus und Lukas nur einen, wahrscheinlich den schlimmsten Fall, erwähnen.

In Vers 3-5 wird der pathologische Zustand des Mannes ganz genau beschrieben. Er hatte seine Wohnung in den Grabhöhlen (ein Ausgestoßener) und war nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen, denn niemand konnte ihn mehr binden (von damazO , "ein wildesTier zähmen"), nicht einmal mit Fußfesseln oder Ketten an den Handgelenken. Er wanderte Tag und Nacht herum, stieß wilde Schreie aus und schlug sich - vielleicht in einem dämonischen Ritual - mit scharfkantigen Steinen.

Ein solches Verhalten zeigt, daß es sich bei dämonischer Besessenheit nicht um eine gewöhnliche Krankheit oder Geisteskrankheit handelt, sondern um den verzweifelten Versuch des Satans, die Gottebenbildlichkeit des Menschen zu entstellen und zu zerstören (vgl. TDNT, " daimOn ", Mk 2,18-19 ).



b. Der Befehl an den Dämon
(
5,6-10 )


Mk 5,6-7


Die kurze Mitteilung, daß Jesus einem Besessenen begegnete (V. 2 ), wird nun näher ausgeführt. Drei Dinge zeigen, daß der Dämon, der von dem Mann Besitz ergriffen hatte, Jesu göttliche Identität und seine überlegene Macht genau kannte: er fiel vor ihm nieder (als Zeichen der Anerkennung, nicht der Anbetung); er benutzte Jesu göttlichen Namen in dem Versuch, Macht über ihn zu gewinnen (vgl. Mk 1,24 ); und er bat Jesus dreist, ihn nicht zu bestrafen. Die Wendung Gott, der Allerhöchste kommt im Alten Testament vor. Sie wird häufig von Heiden benutzt, um die Überlegenheit des wahren Gottes Israels über alle von Menschen gemachten Götter deutlich zu machen (vgl. 1Mo 14,18-24; 4Mo 24,16; Jes 14,14; Dan 3,26; 3,32; vgl. den Kommentar zu Mk 1,23-24 ).

Die Bitte, ich beschwöre dich bei Gott , war eine exorzistische Formel. Der Dämon bat Jesus, ihn nicht zu quälen , indem er ihn seiner endgültigen Strafe überantwortete (vgl. Mk 1,24; Mt 8,29; Lk 8,31 ).



Mk 5,8


Dieser Vers enthält einen kurzen erläuternden Einschub ( gar , "denn") von Markus (vgl. Mk 6,52 ). Jesus hatte ihm , dem Dämon, befohlen, den Menschen zu verlassen. Von nun an ist ständig abwechselnd von dem Mann und dem Dämon, der von ihm Besitz ergriffen hatte, die Rede bzw. kommen diese beiden abwechselnd zu Wort - was zunächst etwas irritierend wirkt.


Mk 5,9-10


Hier wird das Gespräch von Vers 7 wiederaufgenommen. Der Dämon sprach durch den Mann: "Legion heiße ich; denn wir sind viele." Viele böse Mächte hatten diesen Mann also in der Gewalt und unterdrückten ihn in grausamster Weise. Sie peinigten ihn offensichtlich mit vereinten Kräften unter der Leitung des einen Dämons, ihres Sprechers; daher auch der Wechsel zwischen Singular und Plural der Pronomen ("ich" und "wir"). Wiederholt bat der oberste Dämon Jesus inständig, daß er sie nicht aus der Gegend in ein einsames Exil vertreibe (vgl. V. 1 ), wo sie die Menschen nicht mehr quälen konnten.

Das lateinische Wort "Legion" war in Palästina durchaus bekannt; es bezeichnete eine römische Heereseinheit von sechstausend Soldaten oder in vielen Fällen einfach eine große Anzahl (vgl. V. 15 ). Für die Menschen damals, die unter römischer Besatzung leben mußten, drückte sich in diesem Begriff sicherlich große Stärke und erbarmungslose Unterdrückung aus.



c. Der Verlust der Schweineherde
(
5,11 - 13 )


Mk 5,11


Für die Juden waren Schweine "unreine" Tiere (vgl. 3Mo 11,7 ). Doch die Bauern an der Ostseite des Sees Genezareth, wo die Bevölkerung vorwiegend aus Heiden bestand, hielten Schweine für die Fleischmärkte in der Dekapolis, den "Zehn Städten" dieser Region (vgl. Mk 5,20 ).



Mk 5,12-13


Die unreinen Geister baten Jesus schließlich ganz konkret, sie in ( eis drückt hier eine Bewegung hin zu etwas aus) die Säue fahren zu lassen , um von ihnen Besitz zu ergreifen. Sie wußten, daß sie Jesus gehorchen mußten und flehten ihn in dem verzweifelten Versuch, bis zum endgültigen Gericht dem körperlosen Zustand zu entgehen, an, ihnen dieses Zugeständnis zu machen.

Jesus erlaubte es ihnen. Doch als die Dämonen den Mann verließen und indie Säue fuhren, stürmte die ganze Herde den Abhang hinunter in den See, etwa zweitausend, und sie ersoffen im See (wörtlich: "eines nach dem andern ertränkten sie sich selbst"). Der "See" symbolisiert hier möglicherweise den Bereich Satans.

Markus

d. Die Bitte der Stadtbevölkerung
(
5,14 - 17 )


Mk 5,14-15


Die Sauhirten flohen voller Angst und verkündeten das befremdliche und erschreckende Ereignis in der Stadt (wahrscheinlich Gersa; vgl. V. 1 ) und auf dem umliegenden Land . Ihr Bericht klang so unglaublich, daß viele Leute hinausgingen , um sich selbst von dem zu überzeugen, was da geschehen sein sollte. Sie sahen den ehemaligen Besessenen, wie er dasaß, bekleidet (vgl. Lk 8,27 ) und vernünftig . Er war ganz offensichtlich wieder bei Verstand und völlig Herr seiner selbst (im Gegensatz zu Mk 5,3-5 ). Die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, war so groß, daß die Leute aus der Stadt sich fürchteten (Ehrfurcht hatten; vgl. Mk 4,41 ).



Mk 5,16-17


Die Hirten (und vielleicht auch die Jünger) berichteten, was mit dem Besessenen geschehen war, und das von den Säuen . Markus hebt dieses Detail besonders hervor, um zu zeigen, daß die Hauptsorge der Leute der ökonomischen Einbuße durch den Verlust der Schweineherde (und nicht dem Geheilten) galt. Aus diesem Grund fingen die Leute aus der Stadt an, Jesus zu drängen fortzugehen . Anscheinend befürchteten sie weitere Verluste, wenn er blieb. Es wird denn auch an keiner Stelle berichtet, daß er jemals in ihre Gegend zurückkehrte.



e. Die Bitte des geheilten Mannes
(
5,18 - 20 )


Mk 5,18-20


Im Gegensatz zu den Leuten aus der Stadt (vgl. V. 17 ) bat ( parekalei , dasselbe Wort wie es der Dämon verwendete; V. 10 ) der frühere Besessene Jesus, daß er bei ihm bleiben dürfe . Jesu Wunder hatten immer wieder dieselbe Wirkung: die einen stießen sie ab (V. 15 - 17 ), und andere zogen sie an (V. 18 - 20 ).

Die Worte "daß er bei ihm bleiben dürfe" erinnern an den ganz ähnlich lautenden Satz in Kapitel 3 , Vers 14 , in dem einer der Gründe angegeben wird, warum Jesus die zwölf Jünger berufen hatte. In demselben Sinn lehnte er hier die Bitte dieses Mannes ab.

Er sagte ihm, er solle in sein Haus (zu seiner Familie) zu den Seinen (seinen Leuten) gehen, die ihn ausgestoßen hatten, und ihnen alles, was der Herr, der höchste Gott (vgl. Mk 5,7; Lk 8,39 ), für ihn getan hatte und wie er sich seiner erbarmt hatte, erzählen. Der Mann gehorchte und fing an, in den Zehn Städten (einem Zusammenschluß von zehn griechischen Städten, die - bis auf eine - östlich des Jordan lagen) die wunderbaren Dinge, die Jesus ihm getan hatte , zu verkündigen (vgl. Mk 1,4.14 ). Jeder, der ihn hörte, verwunderte sich ( ethaumazon , vgl. "erstaunt"; Mk 6,6 a; 12,17; 15,5.44 ).

Da der Mann Heide war und seine Verkündigung sich auf ein heidnisches Gebiet beschränkte, in dem Jesus nicht willkommen war, gebot Jesus ihm nicht, wie sonst, zu schweigen (vgl. Mk 1,44;5,43;7,36 ).



3. Die Auferweckung der Tochter des Jarus und die Heilung der blutflüssigen Frau
(
5,21 - 43 ) ( Mt 9,18-26; Lk 8,40-56 )


Dieser Abschnitt ist, ähnlich wie Mk 3,20-35 , in drei Schichten aufgebaut. Der Bericht von der Auferweckung der Tochter des Jarus von den Toten ( Mk 5,21-24.35-43 ) wird durch den Zwischenfall mit der blutflüssigen Frau ( Mk 5,25-34 ) unterbrochen. Was zunächst wie eine verhängnisvolle Verzögerung für Jarus' Tochter erscheint, erweist sich am Ende nur als Bekräftigung der heilenden Macht Jesu. Es war eine Prüfung, um Jarus' Glauben zu stärken.



a. Jaïrus' Bitte
( Mk 5,21-24 ) ( Mt 9,18-19; Lk 8,40-42 )


Mk 5,21-24


Jesus und seine Jünger kehrten auf die andere (westliche) Seite des Sees Genezareth, wahrscheinlich nach Kapernaum, zurück. Dort versammelte sich erneut eine große Menge bei ihm, solange er noch am See war.

Da kam Jaïrus zu ihm. Als einer der Vorsteher der Synagoge war er ein "Laienbeamter", der für die Wartung des Synagogengebäudes und für den technischen Ablauf des Gottesdienstes verantwortlich war, eine in der Gemeinde sehr angesehene Aufgabe. Nicht alle Leute in führenden religiösen Positionen standen Jesus also feindlich gegenüber.

Jaïrus' kleine Tochter (seine einzige Tochter; Lk 8,42 ) lag in den letzten Zügen . Matthäus, der sehr viel kürzer über dieses Ereignis berichtet (seine Schilderung umfaßt nur einhundertfünfunddreißig Wörter im Griechischen, bei Markus sind es dreihundertvierundsiebzig), schreibt gleich zu Anfang, daß das Mädchen bereits gestorben war ( Mt 9,18 ). Jarus fiel Jesus in demütiger Haltung zu Füßen und bat ihn sehr (vgl. Mk 5,10 ), zu kommen und ihr die Hände aufzulegen, damit sie gesund (wörtlich: "gerettet" und vom physischen Tod erlöst) werde und lebe . Die Praxis der "Handauflegung" beim Heilen symbolisierte die Übertragung von Lebenskräften vom Heiler auf den Kranken; sie wurde allgemein mit Jesu Heilungen assoziiert (vgl. Mk 6,5;7,32;8,23.25 ). Wahrscheinlich hatte Jarus bereits von Jesu Macht gehört (vgl. Mk 1,21-28 ) und war deshalb zuversichtlich, daß dieser das Leben seiner Tochter retten könnte.

Als Jesus mit Jaïrus ging, folgte ihnen eine große Menge, und sie umdrängten (von synthlibO , vgl. V. 31 ) ihn .



b. Die Heilung der blutflüssigen Frau
(
5,25-34 ) ( Mt 9,20-22; Lk 8,43-48 )


Mk 5,25-27


Unter der Menge befand sich auch eine nicht namentlich genannte Frau mit einer unheilbaren Krankheit. Sie hatte (wörtlich: "war in") seit zwölf Jahren den Blutfluß (vgl. V. 42 ). Es kann sich dabei um eine chronische menstruelle Störung oder um eine Gebärmutterblutung gehandelt haben. Auf jeden Fall machte dieser Zustand sie rituell unrein (vgl. 3Mo 15,25-27 ) und schloß sie somit vom normalen gesellschaftlichen Leben aus, da jeder, der mit ihr in Berührung kam, ebenfalls "unrein" wurde.

Sie hatte die verschiedensten Behandlungen von vielen Ärzten ausprobiert und dabei viel durchgemacht. All ihr Gut hatte sie dafür aufgewandt, in dem verzweifelten Versuch, wieder gesund zu werden; doch nichts half. Im Gegenteil, es war noch schlimmer mit ihr geworden .

Als sie jedoch von Jesu heilenden Kräften hörte, erwachte ihr Glaube. Trotz ihrer Unreinheit kam sie in der Menge von hinten heran und berührte sein Gewand (das Oberkleid). Sie wollte sich möglichst nicht der Peinlichkeit einer öffentlichen Enthüllung ihrer Krankheit aussetzen.

 

Mk 5,28


Sie sagte sich, daß sie, wenn sie nur seine Kleider berühren könnte, gesund würde und sich dann unbemerkt zurückziehen könnte. In ihren Glauben mischte sich vielleicht die im Volk verbreitete Vorstellung, daß die Kraft eines Heilers schon durch seine Kleidung wirke, oder sie kannte jemanden, der auf diese Weise geheilt worden war (vgl. Mk 3,10;6,56 ).



Mk 5,29


Als die Frau Jesu Gewand berührte, versiegte sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) die Quelle ihres Blutes. Sie spürte (wörtlich: "wußte", von ginOskO , "aus Erfahrung wissen"; vgl. Mk 5,30 ) es am Leibe, daß sie von ihrer Plage geheilt war . Die Heilung geschah also ohne sichtbares Zutun Jesu.



Mk 5,30


Und Jesus spürte sogleich ( euthys ) an sich (von epiginOskO , "genau wissen"; vgl. V. 29 ), daß eine Kraft von ihm ausgegangen war .

Diese ungewöhnliche Formulierung ist auf zweifache Weise verstanden worden. Die eine These lautet, daß Gott der Vater die Frau heilte und Jesus erst im nachhinein spürte, was geschehen war. Die zweite Auffassung geht davon aus, daß Jesus seine Heilkraft an der Frau erwies, um ihren Glauben zu belohnen. Diese letztere These paßt besser zu den anderen Heilungen Jesu. Seine Kraft ging nicht ohne sein Wissen und seinen Willen von ihm aus, doch er wandte sie nur auf Geheiß des Vaters an (vgl. Mk 13,32 ). Die Berührung des Gewandes jedoch hatte keine magische Wirkung.

Da Jesus wußte, wie das Wunder stattgefunden hatte, wandte er sich um und sprach: Wer hat meine Kleider berührt? Er wollte eine persönliche Beziehung zu der geheilten Person herstellen, um irrigen Vorstellungen einer quasi-magischen Wirkung zuvorzukommen.



Mk 5,31-32


Seinen Jüngern (den Zwölfen; vgl. Lk 8,45 ) schien diese Frage absurd, da die Menge ihn von allen Seiten umdrängte (von synthlibO ; vgl. Mk 5,24 ) und er ständig von irgend jemandem berührt wurde. Jesus konnte jedoch die Berührung eines Menschen, der im Glauben die Rettung von ihm erhoffte, sehr wohl von der versehentlichen Berührung eines Menschen aus der Menge unterscheiden. Zwischen beidem war - und ist - ein großer Unterschied. Daher sah er sich um ( perieblepeto ; "sah sich scharf um"; vgl. Mk 3,5.34 ) und musterte die Menge, die ihn umgab, um herauszufinden, wer ihn auf diese Weise berührt hatte.



Mk 5,33-34


Da fiel die Frau, die seine Frage als einzige verstanden hatte, vor ihm nieder und fürchtete sich und zitterte (von phobeomai , "ehrfürchtige Scheu haben", vgl. Mk 4,41 ), in dem Bewußtsein, was an ihr geschehen war, und sagte ihm mutig und dankbar die ganze Wahrheit .

Die zärtliche Anrede Tochter (die Jesus nur an dieser Stelle benutzte) war ein Ausdruck ihrer neuen Beziehung zu ihm (vgl. Mk 3,33-35 ). Jesus schrieb ihre Heilung ihrem Glauben zu, nicht der Berührung seines Gewandes. Ihr Glaube hatte sie gesund gemacht (wörtlich: "hat dich gerettet" bzw. "befreit"; vgl. Mk 5,28;10,52 ), weil er sie bei Jesus Heilung suchen ließ. Die Wirksamkeit des Glaubens, des zuversichtlichen Vertrauens, kommt nicht von dem, der diesem Glauben Ausdruck gibt, sondern von dem, dem er gilt (vgl. Mk 10,52;11,22 ).

Jesus sagte: "Geh hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage!" (vgl. Mk 5,29 ). Das war die Bestätigung für sie, daß ihre Heilung vollständig und von Dauer war. In ihrer Not - unheilbar krank und gesellschaftlich und religiös isoliert - war sie zwölf Jahre lang eine "lebende Tote" gewesen. Ihre Wiederherstellung und Rückführung ins Leben war gleichsam eine Vorwegnahme der dramatischen Heilung von Jarus' Tochter, die im Alter von zwölf Jahren wirklich gestorben war.



c. Die Auferweckung der Tochter des Jarus
(
5,35-43 ) ( Mt 9,23-26; Lk 8,49-56 )


Mk 5,35-36


Die Verzögerung (vgl. V. 22-24 ), die durch die Heilung der blutflüssigen Frau entstand (V. 25-34 ), stellte Jairus' Glauben auf eine harte Probe. Seine Befürchtung, daß seine kleine Tochter sterben könnte, bevor er mit Jesus zu Hause anlangte, wurde durch den Bericht einiger Männer (nicht mit Namen genannte Freunde und Verwandte) aus seinem Haus, die ihm die Nachricht überbrachten, daß sie inzwischen tatsächlich gestorben war, bestätigt. Ihrer Ansicht nach machte der Tod des Kindes alle Hoffnung zunichte, daß Jesus ihr noch helfen könnte, und sie meinten daher, daß es sinnlos sei, den Meister (vgl. Mk 4,38 ) weiter zu bemühen (wörtlich: "belästigen").

Jesus hörte diese Botschaft mit an, doch er weigerte sich, die Konsequenzen, die sich daraus ergaben, zu akzeptieren. So jedenfalls läßt sich das hier verwendete Verb deuten, das auch mit "überhören" ( parakousas , "sich weigern, zuzuhören") übersetzt werden kann (vgl. Mt 18,17 ). Statt dessen ermutigte er Jairus und forderte ihn auf: "Hör auf, dich zu fürchten (im Unglauben), glaube nur weiter!" Mit seinem Kommen hatte Jarus bereits bewiesen, daß er an Jesus glaubte, und in der Heilung der blutflüssigen Frau war er Zeuge des Verhältnisses zwischen Glauben und Jesu Macht geworden ( Mk 5,25-34 ); jetzt sollte er glauben , daß Jesus sogar imstande war, seiner Tochter das Leben wiederzugeben.



Mk 5,37-40 a


Außer Jarus ließ Jesus nur drei seiner Jünger - Petrus, Jakobus und Johannes - mit in das Haus (vgl. 5Mo 17,6 ). Diese drei Jünger fungierten, wie auch bei Jesu Verklärung ( Mk 9,2 ) und in Gethsemane ( Mk 14,33 ), als Zeugen, in diesem Fall als Zeugen der Vorwegnahme der Auferstehung Jesu.

Vor und im Haus hatte bereits das Zeremoniell der jüdischen Totenklage begonnen. Zu diesem Getümmel ( thorybon , "Aufruhr") gehörten unter anderem auch bezahlte Klageweiber (vgl. Jer 9,16; Am 5,16 ), die abwechselnd weinten und heulten .

Jesus ging hinein und tadelte die Trauernden, weil, wie er sagte, das Kind nicht gestorben sei, sondern schlafe . Wollte er damit sagen, daß es nur im Koma lag? Die Freunde und Verwandten (vgl. Mk 5,35 ) und die Klageweiber, die seine Worte höhnisch verlachten, wußten jedoch offensichtlich mit Sicherheit, daß das Mädchen tot war (vgl. Lk 8,53 ). Beschrieb Jesus also einfach den Tod als "Schlaf" und setzte zwischen Tod und Auferstehung eine Art "Schlaf" als Übergangszustand voraus? Diese These wird allerdings an keiner anderen Stelle im Neuen Testament erhärtet (vgl. Lk 23,42-43; 2Kor 5,6-8; Phil 1,23-25 ). Wahrscheinlicher ist, daß er sagte, der Tod sei in diesem Fall wie ein Schlaf. Für die Trauernden würde der Tod des Mädchens wie ein "Schlaf" wirken, aus dem sie geweckt würde. Ihr Zustand war also nicht endgültig und unwiderruflich (vgl. Lk 8,55; Joh 11,11-14 ).



Mk 5,40-42 (Mk 5,40b-42)


Nachdem er die gesamte Trauergemeinde hinausgetrieben hatte, nahm Jesus die Eltern des Kindes und die bei ihm waren (vgl. V. 37 ) mit sich in das Zimmer, in dem das Mädchen lag. Dann e rgriff er das Kind bei der Hand und sprach die aramäischen Worte: "Talita kum!" Das war ein Gebot, kein Zauberspruch. Markus übersetzte es für seine griechisch sprechenden Leser: "Mädchen, steh auf!" und fügte, um die Macht Jesu über den Tod besonders deutlich herauszustellen, die Wendung: "Ich sage dir!" ein. Da die Galiläer zweisprachig waren, benutzte Jesus sowohl das Aramäische, seine Muttersprache - ein semitischer Dialekt, der dem Hebräischen verwandt ist - als auch das Griechische, die Lingua franca der gräco-romanischen Welt. Wahrscheinlich sprach er außerdem auch Hebräisch.

Auf Jesu Gebot stand das Mädchen sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) auf und begann umherzugehen , denn ( gar ), so schreibt Markus erklärend, es war zwölf Jahre alt. Die Eltern und die drei Jünger entsetzten sich über die Maßen (von existEmi , wörtlich: "waren außer sich vor großem Staunen"; vgl. Mk 2,12;6,51 ) über dieses Wunder.



Mk 5,43


Jesus gab den Anwesenden zwei Anweisungen. Zunächst verbot er ihnen streng , jemandem zu erzählen, was hier geschehen war, denn er wollte nicht, daß die Menschen um des Wunders willen, also aus den falschen Gründen, zu ihm kamen (vgl. den Kommentar zu Mk 1,43-45 ).

Die zweite Anweisung, dem Mädchen zu essen zu geben, zeigt sein Gefühl für die Bedürfnisse anderer und ist außerdem ein Indiz dafür, daß es wieder vollkommen gesund war. Jarus' Tochter war zum Leben erweckt, dem natürlichen Leben wiedergegeben und damit auch immer noch dem natürlichen Tod unterworfen, und mußte daher essen. Das ist der Unterschied zu einem auferstandenen Körper (vgl. 1Kor 15,35-57 ).



F. Schluß: Jesu Verwerfung in Nazareth
(
6,1 - 6 a) ( Mt 13,53-58; Lk 4,16-30 )


Mk 6,1


Aus Kapernaum ging Jesus in seine Vaterstadt Nazareth (vgl. Mk 1,9.24 ), etwa 30 Kilometer südwestlich, in der er früher gelebt und gewirkt hatte (vgl. Lk 4,16-30 ). Seine Jünger folgten ihm nach , er kehrte also als Meister (Rabbi), umgeben von seinen Schülern, zurück. Er erfüllte damit seinen Auftrag und bereitete gleichzeitig seine Jünger durch sein Beispiel auf ihre eigene spätere Aufgabe vor (vgl. Mk 6,7-13 ).



Mk 6,2-3


Am Sabbat lehrte er in der Synagoge (vgl. Mk 1,21 ), wahrscheinlich legte er das Gesetz und die Propheten aus. Viele verwunderten sich ( exeplEssonto , "waren erstaunt, überrascht, überwältigt"; vgl. Mk 1,22;7,37;10,26;11,18 ) über seine Lehren.

Doch viele fragten auch geringschätzig, woher er das alles habe: (a) seine Lehre, (b) die Weisheit, die ihm gegeben ist (wörtlich: "dem da") und (c) seine Macht, mächtige Taten , Wunder, zu tun (vgl. Mk 6,5 ). Nur zwei Antworten waren möglich: entweder hatte er diese Macht von Gott oder vom Satan (vgl. Mk 3,22 ).

Trotz seiner beeindruckenden Worte und Taten machte Jesus keinen Eindruck auf die Nazarener; sie kannten ihn einfach zu gut. In ihrer abschätzigen Frage "ist er nicht der Zimmermann?" schwang die Feststellung mit: "Er ist ein ganz gewöhnlicher Arbeiter wie wir auch." Seine Familienangehörigen - Mutter, Brüder und Schwestern - waren in der Stadt bekannt, und man wußte, daß sie ganz normale Leute waren. Auch die Wendung Marias Sohn war verächtlich gemeint, denn normalerweise wurde ein Mann bei den Juden nicht als seiner Mutter Sohn bezeichnet, auch dann nicht, wenn sie eine Witwe war, es sei denn, man wollte ihn beleidigen (vgl. Ri 11,1-2; Joh 8,41; 9,29 ). In ihren gezielten Schmähreden steckte aber auch eine Anspielung auf Jesu Geburt, mit der nach Ansicht der Leute etwas nicht stimmte.

Seine Brüder und Schwestern (vgl. Mk 3,31-35 ) waren wahrscheinlich Kinder von Josef und Maria, die nach Jesus zur Welt gekommen waren, und nicht Josefs Kinder aus einer früheren Ehe oder Jesu Cousins. Jakobus wurde später einer der führenden Männer der Kirche in Jerusalem (vgl. Apg 15,13-21 ) und verfaßte auch den Jakobusbrief ( Jak 1,1 ). Judas war wahrscheinlich der Autor des Judasbriefs ( Jud 1,1 ). Von Joses und Simon und den Schwestern ist sonst nichts bekannt. Über Josef, seinen Vater, wird vielleicht nichts gesagt, weil er bereits gestorben war.

Da sich die Nazarener also keinen Reim auf Jesus machen konnten, ärgerten sie sich an ihm (von skandalizomai , "zum Stolpern gebracht werden, abgestoßen sein"; vgl. den Kommentar zu Mk 14,27 ). Sie sahen keinen Grund zu glauben, daß er der Gesalbte Gottes war.



Mk 6,4


Jesus beantwortete ihre Ablehnung mit dem Sprichwort, daß ein Prophet in seinem Hause nicht geschätzt wird. Er verglich sich mit den Propheten des Alten Testaments (vgl. V. 15 ; Mk 8,28 ), deren Worte häufig Ablehnung hervorriefen und die meist von denen, die sie am besten kannten, am wenigsten geschätzt wurden (vgl. Mk 6,17-29 ).



Mk 6,5-6 a


Wegen des hartnäckigen Unglaubens der Leute aus Nazareth konnte Jesus dort nicht eine einzige Tat tun, außer daß er wenigen Kranken die Hände auflegte (vgl. Mk 5,23 ) und sie heilte . Das heißt nicht, daß er hier keine Macht hatte, doch er wollte Wunder nur da tun, wo Glauben war. In dieser Stadt hatten nur wenige genug Glauben, um zu ihm zu kommen und ihn um Heilung zu bitten.

Selbst Jesus wunderte sich ( ethaumasen ; vgl. Mk 5,20;12,17;15,5.44 ) über ihren Unglauben , ihre mangelnde Bereitschaft zu akzeptieren, daß seine Weisheit und seine Macht von Gott kamen. Soweit wir wissen, kehrte er nach dieser Episode nie mehr nach Nazareth zurück.

Die Leute aus Nazareth waren ein Symbol für Israels Blindheit. Ihre Weigerung, an Jesus zu glauben, war ein Bild für das, was die Jünger bald erfahren (vgl. Mk 6,7-13 ) und was auch Markus' Leser (damals und heute) bei der Ausbreitung des Evangeliums zu spüren bekommen sollten.



V. Jesu Wirken in und um Galiläa
( Mk 6,6 b - 6,7-8,30 )


Der dritte größere Abschnitt des Markusevangeliums beginnt, was den Aufbau betrifft, wie die beiden ersten (vgl. Mk 6,6 b mit Mk 1,14-15 und Mk 3,7-12;6,7-34 mit Mk 1,16-20 und Mk 3,13-19 ), doch er schließt statt mit einer Aussage der Verwerfung (vgl. Mk 3,6;6,1-6 a) mit dem Bekenntnis des Petrus, daß Jesus der Messias sei ( Mk 8,27-30 ). In dieser Phase seines Wirkens schenkte Jesus den Jüngern besondere Aufmerksamkeit. Angesichts des Widerstands, dem er allenthalben begegnete, offenbarte er ihnen durch seine Worte und Taten, wer er war und ist. Die meiste Zeit verbrachten sie dabei außerhalb Galiläas.

A. Einführende Zusammenfassung: Jesu Lehrreise durch Galiläa
(
6,6 b) ( Mt 9,35-38 )


Mk 6,6 b


In diesem Vers wird Jesu dritte Reise durch Galiläa knapp rekapituliert (zur ersten vgl. Mk 1,35-39; von der zweiten ist im Markusevangelium nicht die Rede; vgl. Lk 8,1-3 ). Trotz der erfahrenen Ablehnung in Nazareth ging Jesus rings umher in die umliegenden Dörfer und lehrte (vgl. Mk 1,21 ). Er bereitete damit den Boden für den Missionsauftrag der Zwölf.



B. Jesu Aussenden der Zwölf und der Tod Johannes' des Täufers
(
6,7 - 31 )


Dieser Abschnitt hat wieder die klassische "Sandwich"-Struktur mit einem Hauptteil, der durch einen Einschub unterbrochen ist (vgl. Mk 3,20-35;5,21-43 ): In den Bericht über die Aussendung der Zwölf ( Mk 6,7-13.30-31 ) ist die Nachricht vom Tode Johannes' des Täufers eingewoben ( Mk 6,14-29 ). Dadurch wird deutlich, daß der Tod des Boten Johannes nicht auch seine Botschaft zum Verstummen brachte. Der Tod des Wegbereiters war zugleich eine Vorankündigung des Todes Jesu. Auch Jesu Botschaft würde nach seinem Tod von seinen Jüngern weiter gepredigt werden.



1. Der Auftrag der Zwölf
(
6,7-13 ) ( Mt 10,1.5-15; Lk 9,1-6 )


Mk 6,7


Um sein Wirken auf dieser Reise durch Galiläa auf eine breitere Basis zu stellen, fing Jesus an, die Zwölf auszusenden (von apoStellO ; vgl. Mk 3,14;6,30 ), je zwei und zwei , eine Praxis, die damals aus praktischen und rechtlichen Gründen allgemein üblich war (vgl. Mk 11,1; 14,13; Joh 8,17; 5Mo 17,6; 9,15 ).

Die Zwölf waren Jesu bevollmächtigte Vertreter, gemäß der jüdischen Vorstellung des S+lUHIm , nach der der Stellvertreter ( SClIaH ) eines Mannes ebensoviel gilt wie der Mann selbst (vgl. Mt 10,40 und TDNT, "apostolos" , 1,413-27). Die Jünger sollten einen Sonderauftrag erfüllen und dann zurückkehren und Jesus Bericht erstatten (vgl. Mk 6,30 ); daher galten Jesu ungewöhnliche Anweisungen (V. 8 - 11 ) auch nur für diesen besonderen Auftrag.

Er gab ihnen Macht ( exousian ; das "Recht" und die "Macht"; vgl. Mk 2,10;3,15 ) über die unreinen Geister . Diese Fähigkeit, Dämonen auszutreiben (vgl. Mk 1,26 ), sollte ihre Predigt bestätigen (vgl. Mk 6,13;1,15 ).



Mk 6,8-9


Die Dringlichkeit ihres Auftrags erforderte es, daß sie mit leichtem Gepäck reisten. Daher durften sie nur einen Stab ( rhabdon , "Wanderstock") und Schuhe (gewöhnliches Schuhwerk) tragen, sollten jedoch kein Brot (keine Nahrung), keine Tasche (wahrscheinlich ist eine Provianttasche, kein Bettelsack, gemeint), kein Geld im Gürtel (kleine Kupfermünzen konnten leicht in die Gürtel gesteckt werden) und keine zwei Hemden (zusätzliche Unterkleidung, die in der Nacht als Decke diente) mitnehmen. Sie sollten, was Nahrung und Schutz anging, also allein auf Gottes Hilfe und die jüdische Gastfreundschaft angewiesen sein. Das Mitnehmen des Stabes und der Sandalen wird den Jüngern nur bei Markus zugestanden. Bei Matthäus sind auch diese beiden Reiseutensilien verboten ( Mt 10,9-10 ), während bei Lukas nur die Schuhe erlaubt sind ( Lk 9,3 ). Matthäus benutzt allerdings das Verb ktaomai ("beschaffen, erwerben") statt airO ("nehmen"): Die Jünger sollten also keine zusätzlichen Stäbe oder Schuhe kaufen, sondern die verwenden, die sie bereits besaßen. Markus und Lukas schreiben beide airO , "nehmen oder mitnehmen". Doch während es bei Lukas heißt: "Ihr sollt nichts mit auf den Weg nehmen, keinen Stab ( rhabdon )", womit vermutlich gemeint ist, daß sie keinen zusätzlichen Stab mitnehmen dürfen, lautet die Anweisung bei Markus, "nichts mitzunehmen auf den Weg als allein einen Stab" ( rhabdon ; vgl. Mk 6,8 ) - aller Wahrscheinlichkeit nach den Stab, den jeder in Gebrauch hatte. Jeder Evangelist betont also einen anderen Aspekt der Anweisungen Jesu.



Mk 6,10-11


Wann immer die Jünger in ein Haus eingeladen wurden, sollten sie dort bleiben und von dort aus arbeiten, bis sie die Stadt wieder verließen. Sie sollten sich also nicht bei mehreren Leuten einquartieren oder bessere Angebote annehmen, nachdem sie sich einmal an einem Ort niedergelassen hatten.

Und sie sollten sich auf Ablehnung gefaßt machen. Wenn sie irgendwo (in einem Haus, einer Synagoge oder in einem Dorf) nicht aufgenommen würden und man ihre Botschaft nicht hören wollte, sollten sie den Ort verlassen und den Staub von ihren Füßen schütteln . Das taten fromme Juden, wenn sie heidnische (fremde) Gebiete verließen, um zu zeigen, daß sie sich von diesem Ort distanzierten - die Geste würde den jüdischen Zuhörern also zeigen, daß sie sich wie Heiden verhielten, wenn sie die Botschaft der Jünger ablehnten.

Gleichzeitig war das Abschütteln des Staubes ein Zeugnis (vgl. Mk 1,44;13,9 ) gegen die Bürger der betreffenden Stadt, eine Warnung, daß die Jünger ihre Pflicht ihnen gegenüber erfüllt hatten und daß diejenigen, die in ihrer Ablehnung verharrten, sich nun allein vor Gott zu verantworten hatten (vgl. Apg 13,51;18,6 ). Zweifellos führte dieses Vorgehen bei manchen doch noch zu ernsthaftem Nachdenken und zu wirklicher Reue.



Mk 6,12-13


Gehorsam predigten die Zwölf, man solle Buße tun (vgl. Mk 1,4.14-15 ), trieben viele böse Geister aus (vgl. Mk 1,32-34.39 ) und machten viele Kranke gesund (vgl. Mk 3,10 ). Als Stellvertreter Jesu (vgl. Mk 6,7;9,37 ) machten sie die Erfahrung, daß seine Macht über seine persönliche Gegenwart hinaus wirksam war. Ihr Auftrag war ein Zeichen für das Kommen des Gottesreiches (vgl. Mk 1,15 ).

Vom Salben der Kranken mit Öl (Olivenöl) ist nur bei Markus die Rede. Es geschah aus zwei Gründen: erstens wegen seiner heilenden Eigenschaften (vgl. Lk 10,34; Jak 5,14 ) und zweitens wegen seines Symbolcharakters: als Zeichen dafür, daß die Jünger in Jesu Vollmacht und nicht aus eigener Kraft handelten.



2. Die Enthauptung Johannes des Täufers
(
6,14 - 29 ) ( Mt 14,1-2; Lk 3,19-20;9,7-9 )


a. Die Ansichten des Volkes über Jesu Identität
(
6,14 - 16 )


Mk 6,14-16


Die Wunder, die Jesus und die Zwölf in ganz Galiläa taten, erregten schließlich auch die Aufmerksamkeit von Herodes Antipas I., dem Sohn Herodes' des Großen (vgl. die Tabelle zum Geschlecht des Herodes bei Lk 1,5 ). Herodes Antipas war Tetrarch (Herrscher über ein Viertel des Reiches seines Vaters) von Galiläa und Peräa, ein Vasallenkönig Roms, von 4 v. Chr. bis 39 n. Chr. (vgl. Mt 14,1; Lk 3,19;9,7 ). Er war zwar offiziell nicht König, wurde jedoch wahrscheinlich wegen seiner ehrgeizigen Projekte in seinem Umfeld so genannt, was die Verwendung des Titels bei Markus erklären würde. Mk 6,14 b- 15 zählt drei Gerüchte auf, die über Jesu Identität und seine Taten im Umlauf waren. Demnach war er (a) Johannes der Täufer (vgl. Mk 1,4-9 ), der von den Toten auferstanden war, (b) Elia (vgl. Mal 3,1;3,23-24 ) oder (c) ein Prophet , der die unterbrochene Linie der Propheten Israels fortsetzte.

Trotz anderslautender Meinungen war der von Gewissensbissen geplagte Herodes fest überzeugt, daß Jesus der Mann sei, den er enthauptet hatte. Er glaubte, daß Johannes der Täufer von den Toten auferstanden sei und nun Wunderkräfte besäße. Mk 6,17-29 erklärt in einem Rückblick die Hintergründe von Vers 16 , die Herodes zu seiner Einschätzung veranlaßten.



b. Rückblick: Die Hinrichtung Johannes' des Täufers
(
6,17 - 29 )


Markus fügt diesen Abschnitt nicht nur ein, um die Information von der Gefangennahme des Täufers in Kapitel 1,14 zu ergänzen und das im vorangehenden Vers ( Mk 6,16 ) Gesagte näher zu erklären. Es geht ihm auch um die Parallele zwischen der "Leidensgeschichte" des Vorläufers Jesu und seinem eigenen Leiden und Sterben. Er konzentriert sich dabei vor allem auf das, was Herodes und Herodias Johannes angetan hatten. Sein Bericht ist möglicherweise auch deshalb so detailliert, weil er einen Bogen zu dem Konflikt zwischen Elia und Isebel schlagen möchte. Immerhin identifizierte Jesus Johannes später mit Elia ( Mk 9,11-13 ).



Mk 6,17-18


Der Evangelist erläutert ( gar , denn ), daß Herodes selbst befohlen hatte, Johannes zu ergreifen und ins Gefängnis zu werfen. Nach Josephus lag das Gefängnis, in dem sich Johannes befand, bei dem Festungspalast von Machärus an der Nordostküste des Toten Meeres (Ant. 18.5.2). Herodes hatte Johannes gefangengesetzt, um ihn vor seiner ehrgeizigen zweiten Frau Herodias zu schützen. Er war zunächst mit der Tochter eines arabischen Königs, Aretas IV., verheiratet gewesen und hatte sich dann in seine Halb-Nichte Herodias (die Tochter seines Halbbruders Aristobulus) verliebt, die ihrerseits mit seinem anderen Halbbruder ( Bruder bedeutet hier Halbbruder) Philippus verheiratet war (nicht der Philippus, von dem in Lk 3,1 die Rede ist, sondern ihr Halbonkel; vgl. Josephus, Ant. 18.5.1 - 2) und mit ihm eine Tochter, Salome, hatte. Herodes und Herodias hatten sich beide von ihren Ehepartnern scheiden lassen, um einander zu heiraten. Diese Ehe hatte Johannes wiederholt als ungesetzlich bezeichnet (vgl. 3Mo 18,16; 3Mo 20,21 ).



Mk 6,19-20


Johannes' kühner Tadel erzürnte Herodias, die seitdem einen Groll gegen ihn hegte (wörtlich: "etwas gegen ihn hatte"). Nicht zufrieden mit seiner Gefangennahme, wollte sie ihn töten . Doch ihre Pläne wurden durchkreuzt, denn Herodes fürchtete Johannes , den er als frommen und heiligen Mann kannte (er hatte eine abergläubische Furcht vor ihm). So beschützte er Johannes vor Herodias' mörderischen Plänen, indem er ihn in Gewahrsam nehmen ließ - ein geschickter Kompromiß.

Trotz seines unmoralischen Lebenswandels war Herodes von Johannes fasziniert. Er hörte ihn gern predigen, obwohl er danach jedesmal sehr unruhig war. Die Worte "sehr unruhig" ( polla Eporei ) sind in den Handschriften gut bezeugt und auch vom Kontext her der Lesart "er tat viele Dinge" ( polla epoiei ) vorzuziehen, einer Variante, die wahrscheinlich auf einen Fehler der Kopisten zurückgeht, die den Text nach Diktat aufschrieben. Herodes' Konflikt zwischen seiner Leidenschaft für Herodias und seiner Achtung vor Johannes zeugen für seine schwankende moralische Haltung und seine Labilität.



Mk 6,21-23


Schließlich fand Herodias jedoch eine Gelegenheit, ihr Ziel doch noch zu erreichen. Herodes gab an seinem Geburtstag ein Festmahl , eine luxuriöse Feier für seine Großen (die Zivilbeamten) und die Obersten des Heeres und die Vornehmsten (vornehmeBürger) von Galiläa . Bei diesem Anlaß sandte Herodias mit Vorbedacht (darauf deuten die Verse 24-25 hin) ihre Tochter Salome in den Festsaal, die durch ihren Tanz die Gunst des Königs erringen sollte.

Salome war eine junge Frau im heiratsfähigen Alter ( korasion , "Mädchen"; vgl. Est 2,2.9; Mk 5,41-42 ), wahrscheinlich etwa 15 Jahre alt. Ihr geschmeidiger, aufreizender Tanz gefiel Herodes und denen, die mit ihm am Tisch saßen und veranlaßte ihn zu einem prahlerischen, übereilten Versprechen: Er wollte ihr alles, was sie begehrte, geben - bis zur Hälfte seines Königreiches (vgl. Est 5,6; Est 7,2 ) - und schwur einen Eid darauf. In Wirklichkeit hatte Herodes allerdings gar kein "Königreich" (Reich) zu verschenken (vgl. den Kommentar zu Mk 6,14 ); es war nur eine gebräuchliche Übertreibung, die seine Großzügigkeit ausdrücken sollte und, wie Salome sehr wohl wußte, keinesfalls wörtlich zu nehmen war (vgl. 1Kö 13,8 ).



Mk 6,24-25


Als Salome ihre Mutter fragte, um was sie bitten solle, antwortete Herodias mit einer Schnelligkeit, die darauf schließen läßt, daß sie sich die Antwort bereits zurechtgelegt hatte: "Das Haupt Johannes' des Täufers." Sie wollte den Beweis, daß er wirklich tot war. Sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) ging Salome eilig hinein zum König und äußerte ihre makabre Bitte. Sie verlangte, daß die Hinrichtung jetzt gleich ( exautEs , "sofort") vollzogen würde, bevor Herodes einen Weg finden konnte, ihre Bitte zu umgehen. Dem festlichen Anlaß entsprechend sollte der Kopf auf einer Schale gebracht werden.



Mk 6,26-28


Salomes Bitte betrübte den König sehr (vgl. Mk 14,34 ). Doch wegen des Eides (den er für unwiderruflich hielt), und um vor seinen Gästen nicht das Gesicht zu verlieren (vgl. Mk 6,21 ), hatte er nicht den Mut, ihre Forderung abzulehnen. So befahl er sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ), daß die Bitte erfüllt werde.

Ein Henker ( spekoulatora , ein lateinisches Lehnwort, wahrscheinlich eine Art Leibwächter) enthauptete Johannes im Festungsgefängnis und trug sein Haupt herbei auf einer Schale und gab sie Salome, die sie wiederum Herodias überreichte (vgl. Mk 9,12-13 ). Johannes war nun zwar zum Schweigen gebracht, doch was er zu Herodes gesagt hatte, galt nach wie vor.



Mk 6,29


Als die Jünger des Johannes (vgl. Mt 11,2-6 ) von seinem Tod hörten, kamen sie und nahmen seinen Leichnam und legten ihn in ein Grab .

 

3. Die Rückkehr der Zwölf
(
6,30 - 31 ) ( Lk 9,10 a)


Mk 6,30-31


Die Apostel ( apostoloi , "Abgesandte, Boten") kehrten zu Jesus zurück, wahrscheinlich, wie es zuvor ausgemacht worden war, nach Kapernaum, und verkündeten ihm alles, was sie in Erfüllung ihres Auftrags getan (in "Werken") und gelehrt (in "Worten") hatten (vgl. V. 7-13 ). Die Bezeichnung "Apostel" für die Zwölf taucht nur zweimal im Markusevangelium auf (vgl. Mk 3,14 ). Sie wird jedoch nur ganz allgemein zur Umschreibung ihrer Missionstätigkeit gebraucht und nicht als offizieller Titel (vgl. Eph 2,19-20 ).

Jesus war der Ansicht, daß die Jünger nun eine wohlverdiente Ruhepause nötig hätten, und da der Zustrom der Menschen so stark war und so viele kamen und gingen, daß sie nicht Zeit genug zum Essen hatten (vgl. Mk 3,20 ), schlug er vor, sich allein ( kat? idian ; vgl. Mk 4,34 ) an eine einsame ( erEmon ; "abgelegen"; vgl. Mk 1,35.45 ) Stätte zurückzuziehen (vgl. Mk 6,32 ).



C. Jesu Selbstoffenbarung gegenüber den Zwölfen in Wort und Tat
(
6,32 - 8,26 )


In der Periode seines Wirkens, um die es im folgenden geht, verließ Jesus Galiläa mehrmals, um an anderen Orten zu predigen (vgl. Mk 6,31;7,24.31;8,22 ). Er offenbarte in dieser Zeit den Zwölfen - und auch den späteren Lesern des Markusevangeliums - wie er für die Seinen sorgt.



1. Die Speisung der Fünftausend
(
6,32 - 44 ) ( Mt 14,13-21; Lk 9,10 b. 11-17 ; Joh 6,1-14 )


Mk 6,32-34


Hier wird der Bogen von der erfolgreichen Mission der Zwölf zu der sich daraus ergebenden Anwesenheit einer großen Menge an einem einsamen Ort geschlagen. Die Wendungen für sich allein ( kat? idian , ein griechisches Idiom, das "privat" bedeutet), ein Ausdruck, der bei Markus für die persönliche Unterweisung einzelner durch Jesus steht, und an eine einsame ( erEmon ; "abgelegen") Stätte (vgl. Mk 1,3-4.12-13.35.45;6,31-32.35 ) greifen dabei Jesu Anweisung von Vers 31 wieder auf. Der Ort, an den sie segelten, wird nicht näher bezeichnet, doch wir wissen, daß er in der Nähe von Betsaida Julias, einer Stadt jenseits des Jordan, an der Nordostseite des Sees Genezareth, lag (vgl. Lk 9,10 ).

Viele Leute aus der Menge, der sie eigentlich hatten entfliehen wollen, merkten, wo sie hinfuhren und kamen ihnen zuvor , indem sie zu Fuß dorthin gingen. Durch die vielen Menschen, die in Not waren, kamen die Jünger also nicht zu ihrer wohlverdienten Ruhe.

Als Jesus die große Menge sah , wurde er keineswegs ärgerlich, sondern sie jammerte ihn . Aus diesem Gefühl heraus konnte er nicht anders, als ihnen zu helfen (vgl. z. B. Mk 6,39-44 ). Er sah sie als Schafe, die keinen Hirten haben , verloren und hilflos, ohne Führung, Nahrung und Schutz. In vielen Passagen des Alten Testaments ( 4Mo 27,17; 1Kö 22,17; Hes 34,5.23-25 ) ist das Bild vom Hirten und den Schafen mit der "Wüste" ( erEmos ; vgl. Mk 6,31-32 ) assoziiert. Die ratlose Menge, das Sinnbild des Volkes Israel, wurde des Erbarmens von Jesus, dem guten Hirten (vgl. Joh 10,1-16 ), teilhaftig und wurde von ihm lange über das Gottesreich belehrt (vgl. Lk 9,11 ) und liebevoll versorgt ( Mk 6,35-44 ).



Mk 6,35-38


Nachdem Jesus fast den ganzen Tag zu den Menschen gesprochen hatte, entspann sich ein wichtiger Dialog zwischen ihm und den Zwölfen. Da es schon spät war (nach drei Uhr nachmittags) und sie sich an einem öden ( erEmos ; vgl. V. 31 - 32 ) Ort befanden, baten die Jünger Jesus, die Leute gehen zu lassen, damit sie in die Höfe und Dörfer ringsum gehen und sich Brot kaufen könnten, bevor die Sonne unterging.

Jesus wies sie jedoch statt dessen überraschenderweise an, der Menge selbst zu essen zu geben, wobei er das Pronomen ihr ( hymeis ) besonders betonte. Die sarkastische Antwort der Jünger machte deutlich, wie unmöglich es war, diese Bitte mit ihren beschränkten finanziellen Mitteln zu erfüllen. Eine solche Menschenmenge satt zu bekommen, hätte ihrer Berechnung nach zweihundert Denare, Silbergroschen, gekostet. Ein Denar, die wichtigste römische Silbermünze, die in Palästina in Umlauf war, war der durchschnittliche Tageslohn eines Landarbeiters. Zweihundert Denare entsprachen also etwa acht Monatslöhnen, eine Summe, die die Mittel der Jünger bei weitem überstieg.

Jesus dagegen wollte wissen, wieviele Brote sie insgesamt zur Verfügung hätten (wahrscheinlich im Boot und in der wartenden Menge). Die Jünger kehrten mit der Antwort zurück: fünf ganze Laibe Brot und zwei Fische (gesalzen und getrocknet oder geröstet).



Mk 6,39-44


Die Unmittelbarkeit, mit der Markus das folgende Wunder beschreibt, läßt, wie zuvor an anderen Stellen, auf den Bericht eines Augenzeugen - wahrscheinlich Petrus - schließen.

Um eine gerechte Verteilung der Nahrungsmittel zu gewährleisten, befahl Jesus den Jüngern, dafür zu sorgen, daß die Menschen s ich lagerten, tischweise, auf das grüne Gras (es war also wohl Frühling). Die Wendung "tischweise" in Vers 39 gibt das griechische symposia symposia , "Eß- oder Trinkgelage", wieder, während in Vers 40 eine Anordnung prasiai prasiai (wörtlich: "Beet an Beet") gemeint ist, ein Bild für wohlgeordnete, vielleicht bunt gekleidete Menschengruppen, die zu hundert und fünfzig im Gras saßen. Jesu Gebot war eine Herausforderung für den Glauben der Menge wie für den der Jünger.

Dann sprach Jesus als Gastgeber die üblichen jüdischen Segensworte über die fünf Brote (runde Weizen- oder Gerstenlaibe) und zwei Fische (vgl. 3Mo 19,24; 5Mo 8,10 ). Die Verbform dankte kommt von eulogeO (wörtlich: "preisen, loben" (Gott) oder "segnen"; vgl. Mk 14,22 ). Der Gegenstand des Segens in einem solchen Gebet war nicht die Speise, sondern Gott, der sie gab. Jesus sah auf zum Himmel , wo nach dem Glauben der Menschen Gott ist (vgl. Mt 23,22 ), und zeigte damit, daß eigentlich Gott der Vater das Speisungswunder tat.

Danach brach er die Brote in einzelne Brocken, teilte die zwei Fische in Stücke und gab sie (wörtlich: reichte sie ihnen immer weiter zu) den Jüngern, damit sie unter ihnen austeilten . Wie das Wunder selbst vor sich ging, wird nicht berichtet, doch die Imperfektform des Verbs "gab" deutet darauf hin, daß das Brot sich in den Händen Jesu vermehrte (vgl. Mk 8,6 ).

Diese Nahrungsbeschaffung vollzog sich auf wunderbare Weise und sorgte zudem für Speise im Überfluß. Markus betont ausdrücklich, daß alle aßen und satt wurden . Das wird bestätigt durch die Tatsache, daß die Jünger danach zwölf Körbe ( kophinoi , kleine Weidenkörbe; vgl. dagegen Mk 8,8.20 ) voll übriggebliebene Brocken aufsammelten, also wohl jeder Jünger einen Korb. Bei den Fünftausend ( andres , "Männer"), die bei dieser Gelegenheit von Jesus versorgt wurden, einer sehr großen Zahl für die damaligen Verhältnisse, zumal an diesem Ort, sind Frauen und Kinder, die wahrscheinlich nach jüdischem Brauch gesondert saßen und ihre Mahlzeit einnahmen, nicht mitgerechnet (vgl. Mt 14,21 ).

In diesem Zusammenhang ist nicht wie sonst am Ende einer Wundergeschichte vom Erstaunen der Beteiligten die Rede. Das deutet, gemeinsam mit den kommentierenden Bemerkungen zu diesem Ereignis in Vers 52 und in Kapitel 8,14 - 21 , darauf hin, daß Markus diese Episode in erster Linie als eine für die Jünger bestimmte Selbstoffenbarung Jesu betrachtete. Doch diese verstanden ihre Bedeutung nicht (vgl. Mk 6,52 ).



2. Jesus geht auf dem Wasser
(
6,45-52 ) ( Mt 14,22-33; Joh 6,15-21 )


Mk 6,45-46


Alsbald ( euthys , vgl. V. 10 ) nach der Speisung der Fünftausend trieb Jesus seine Jünger, wieder in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren nach Betsaida (dem "Haus des Fischens"). Das Verb "trieb" deutet auf eine unerklärliche Eile beim Aufbruch hin, über die dann Johannes ( Mk 6,14-15 ) näheren Aufschluß gibt. Offensichtlich erkannten die Menschen in Jesus den verheißenen Propheten (vgl. Mk 6,14-15 ) und waren entschlossen, ihn zum König zu machen, notfalls auch mit Gewalt. Jesus spürte die potentielle Gefahr dieser "messianischen Begeisterung" und ihrer Auswirkung auf die Jünger, daher trieb er sie an, sich bereits einzuschiffen, bis er das Volk gehen ließe .

Über die geographische Lage des Ortes "Betsaida" sind die Forscher sich nicht ganz einig (vgl. Mk 6,32; Lk 9,10; Joh 12,21 ). Die einfachste Lösung scheint zu sein, daß Betsaida Julias (östlich des Jordan gelegen) sich bis auf die westliche Seite des Jordan ausbreitete und dort "Betsaida in Galiläa" genannt wurde (vgl. Joh 1,44;12,21; Mk 1,21.29 ), eine Vorstadt von Kapernaum, in der in der Hauptsache Fischer lebten (vgl. Joh 6,17 ). Die Jünger segelten vom Nordostufer des Sees Genezareth nach dieser Stadt, wurden jedoch in südlicher Richtung vom Kurs abgetrieben und landeten schließlich am Westufer des Sees in Genezareth (vgl. Mk 6,53 ). Jesus selbst stieg, als er die aufgeheizte Menge fortgeschickt hatte , auf einen nahegelegenen Berg, um zu beten (vgl. den Kommentar zu Mk 1,35 ).



Mk 6,47


Am Abend (zwischen Sonnenuntergang und Einbruch der Dunkelheit) befand sich das Boot mit den Jüngern mitten auf dem See (hier ist nicht die geographische Mitte gemeint), und Jesus war auf dem Land allein . Wenn ihr Meister nicht bei ihnen war (oder es zumindest so aussah), gerieten die Jünger häufig in schwierige Situationen, in denen immer wieder ihr mangelnder Glaube zutage trat (vgl. Mk 4,35-41;9,14-32 ).



Mk 6,48


Jesus betete bis nach Mitternacht. In der Zwischenzeit waren die Jünger kaum vorwärtsgekommen, denn der Wind (ein starker Nordwind) stand ihnen entgegen . Im trüben Licht der frühen Morgendämmerung, um die vierte Nachtwache (nach römischer Rechnung von drei bis sechs Uhr morgens; vgl. Mk 13,35 ), sah Jesus, wie sie sich abplagten beim Rudern und kam zu ihnen und ging über die aufgepeitschte Wasserfläche. Die Worte und wollte an ihnen vorübergehen bedeuten nicht, daß er sich nicht um sie kümmern wollte, sondern bezeichnen ein "Vorübergehen" im Sinne einer Theophanie, wie sie das Alte Testament kennt (vgl. 2Mo 33,19.22; 1Kö 19,11; Mk 6,50 b), um ihnen ihre Angst zu nehmen.



Mk 6,49-50 a


Die Jünger schrien jedoch auf (vgl. Mk 1,23 ) vor Entsetzen, als sie Jesus auf dem Wasser sahen. Sie meinten, es wäre ein Gespenst ( phantasma , ein Phantom). Markus erklärt ihre Reaktion damit, daß sie ihn alle sahen (und nicht nur ein oder zwei an eine Halluzination glaubten) und deshalb so sehr erschraken .



Mk 6,50-52 (Mk 6,50b-52)


Doch Jesus beruhigte sie sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) und sprach zu ihnen: Seid getrost ( tharseite ); fürchtet euch nicht (wörtlich: "hört auf, euch zu fürchten")! Vertraute Wendungen, die schon im Alten Testament Menschen in Angst und Not Mut zusprachen (vgl. die LXX: Jes 41,10.13-14; Jes 43,1; Jes 44,2 ). Jenes tröstende "Fürchtet euch nicht" kehrt insgesamt siebenmal im Neuen Testament wieder und stammt mit einer Ausnahme ( Mk 10,49 ) immer aus dem Munde Jesu (vgl. Mt 9,2.22;14,27; Mk 6,50; Joh 16,33; Apg 23,11 ). Die Worte ich bin's (wörtlich: "ich bin", egO eimi) mögen einerseits nur ein Erkennungszeichen sein ("ich bin's, Jesus"), doch wahrscheinlich soll in ihnen an dieser Stelle auch die alttestamentliche Formel der göttlichen Selbstoffenbarung anklingen: "Ich bin der ich bin" ( 2Mo 3,14; Jes 41,4;43,10-11;51,12;52,6 ).

Als Jesus zu den Jüngern ins Boot trat, legte sich der Wind ( ekopasen , "hörte auf, ruhte"; vgl. Mk 4,39 ), ein weiteres Zeichen seiner Macht über die Natur (vgl. Mk 4,35-41 ).

Die Jünger entsetzten sich über die Maßen ( existanto , wörtlich: "außer sich"; vgl. Mk 2,12;5,42 ) untereinander über diese Demonstration der Gegenwart und Kraft Jesu. Nur das Markusevangelium fügt hier noch erklärend ( gar , "denn") an, daß sie offensichtlich durch das Wunder der Brote um nichts verständiger geworden waren (vgl. Mk 6,35-44 ). Sie begriffen dieses Ereignis nicht als einen Hinweis auf die wahre Identität Jesu, deshalb erkannten sie ihn auch nicht, als er auf dem Wasser ging. Sie waren geistlich blind (vgl. Mk 3,5 ).



3. Zusammenfassung: Jesu Heilungen in Genezareth
(
6,53 - 56 ) ( Mt 14,34-36 )


In diesen knappen Sätzen ist der Höhepunkt von Jesu Wirken in Galiläa zusammengefaßt, unmittelbar vor seiner Abreise in die Küstenregion um Tyrus und Sidon (vgl. Mk 7,24 ).



Mk 6,53


Jesus und seine Jünger waren von Nordosten nach Westen über den See Genezareth hinübergefahren (vgl. V. 45 ) und legten in Genezareth , einer fruchtbaren, dicht besiedelten Ebene (drei Kilometer breit und sechs Kilometer lang) am nordwestlichen Ufer des Sees, südlich von Kapernaum, an. Die Rabbiner nannten diese Ebene "den Garten Gottes" und "ein Paradies". Auch eine kleine Stadt dort trug den Namen "Genezareth".



Mk 6,54-56


Die Leute erkannten Jesus sofort (euthys; vgl. Mk 1,10 ) und fingen an, die Kranken auf Bahren zu ihm zu bringen, während er durch das Land zog. In allen Orten, in die er kam, legten sie die Kranken auf den Markt (offene Plätze). Aufgrund seiner vielen Heilquellen war dieser Landstrich ohnehin Anziehungspunkt für viele Leidende.

Die Menschen baten Jesus immer wieder ( parekaloun ; vgl. Mk 5,10.23 ), daß sie auch nur den Saum seines Gewandes berühren dürften, wenn er vorbeiging. Dieser "Saum" oder die "Einfassung" des Kleides bestand aus einer Reihe blauer Quasten, die ein frommer Jude an seinem Obergewand trug (vgl. 4Mo 15,37-41; 5Mo 22,12 ).

Alle, die ihn berührten, wurden gesund (wörtlich: "wurden gerettet"; vgl. Mk 5,28 ). Hier spielt Markus erneut auf die persönliche Glaubensbeziehung zwischen Jesus und der kranken Person an (vgl. Mk 3,7-10;5,25-34 ). Die Heilung erfolgte auch hier nicht durch die Berührung, sondern durch das gnädige Handeln Jesu, der den in ihrer Bitte sich äußernden Glauben der Menschen an ihn auf diese Weise belohnte.



4. Der Streit mit den Religionsführern über die Unreinheit
(
7,1 - 23 ) ( Mt 15,1-20 )


In diesem Abschnitt tritt erneut der Konflikt zwischen Jesus und den religiösen Führern (vgl. Mk 2,1-3,6 ) und die Ablehnung, die Jesus trotz seiner Beliebtheit beim Volk (vgl. Mk 6,53-56 ) in Israel erfuhr (vgl. Mk 3,6.19-30;6,1-6 a), in den Vordergrund. Er bildet damit eine Überleitung zu Jesu Wirken bei den Heiden ( Mk 7,24-8,10 ). Die Worte "unrein" ( Mk 7,2.5.15.18.20.23 ) und "Satzungen" (V. 3.5.8.9.13 ), die sich wie ein roter Faden durch den Text ziehen, machen den Abschnitt zu einer Einheit.



a. Der Vorwurf der religiösen Führer
(
7,1 - 5 ) ( Mt 15,1-2 )


Mk 7,1-2


Die Pharisäer (vgl. Mk 2,16;3,6 ) und einige von den Schriftgelehrten (vgl. Mk 1,22 ) aus Jerusalem trafen erneut mit Jesus zusammen, wahrscheinlich in Kapernaum (vgl. Mk 7,17 ), um ihn und seine Jünger zu befragen.

Sie hatten einige seiner Jünger beobachtet, wie sie mit unreinen Händen aßen. "Unrein" ( koinais , im Sinne von "gewöhnlich, gemein") bedeutete, wie Markus seinen heidnischen Lesern erklärt, ungewaschen , d. h. ohne die Durchführung der vorgeschriebenen rituellen Waschungen. Mit diesem Terminus technicus wurde bei den Juden alles bezeichnet, was nach ihren strengen religiösen Vorschriften verunreinigt war und daher nicht in die Kategorie des Heiligen und Gottgefälligen fiel.



Mk 7,3-4


Vers 3 und 4 bilden einen Einschub, in dem Markus seinen heidnischen Lesern, die außerhalb Palästinas lebten, die bei den Juden übliche Praxis der zeremoniellen Waschungen erläutert ( gar , "denn").

Die Pharisäer und alle Juden (eine Verallgemeinerung, die veranschaulichen soll, daß es sich hier um einen festen Brauch handelte) befolgten streng die rituellen Waschvorschriften und hielten so die Satzungen der Ältesten aufs genaueste ein. Diese Satzungen, Auslegungen des Gesetzes, die das jüdische Leben bis ins kleinste regelten, galten als ebenso bindend wie das geschriebene Gesetz und wurden von frommen Schriftgelehrten von Generation zu Generation weitergegeben. Später, im 3. Jh. v. Chr., wurde die mündliche Tradition in der Mischna gesammelt und kodifiziert, die ihrerseits als Grundlage für den Talmud und seinen Aufbau diente.

Das häufigste Reinigungsritual war das Waschen der Hände mit einer Handvoll Wasser, eine formale Handlung, die vor dem Essen vollzogen werden mußte (vgl. TDNT, "katharos" , 3,418-24). Dies war besonders wichtig, wenn man auf dem Markt gewesen war, wo man leicht mit einem "unreinen" Heiden oder mit Dingen wie Geld oder "unreinen" Gerätschaften in Berührung kommen konnte.

Die Aussage, daß die Juden noch viele andre Dinge , von denen Markus dann einige aufzählt, hielten, d. h. noch viele andere Vorschriften befolgten, deutet darauf hin, daß es in der hier geführten Diskussion im Grunde um den gesamten, äußerst komplexen Bereich der vorgeschriebenen rituellen Reinigung ging. Für einen frommen Juden war die Nichtbeachtung dieser Vorschriften eine Sünde; sie zu befolgen, war dagegen gleichbedeutend mit Rechtschaffenheit und Gehorsam gegenüber Gott.



Mk 7,5


Die religiösen Führer richteten ihre kritische Anfrage an Jesus, der als Lehrer der Jünger die Verantwortung für ihr Verhalten trug (vgl. Mk 2,18.24 ). Sie waren der Ansicht, daß die Nichtbeachtung der rituellen Reinigungsvorschriften durch die Jünger auf ein tieferliegendes Problem hindeutete: Ihre eigentliche Sorge war, daß die Jünger, und auch Jesus, nicht nach den Satzungen der Ältesten lebten (vgl. Mk 7,3 ).



b. Jesu Antwort und Gegenfrage an seine Kritiker
(
7,6 - 13 ) ( Mt 15,3-9 )


Jesus bezog sich in seiner Antwort zunächst nicht direkt auf das Verhalten der Jünger, sondern sprach die beiden Probleme an, die der Frage zugrunde lagen: (a) die eigentliche Quelle religiöser Autorität - die Tradition oder die Schrift ( Mk 7,6-13 ) - und (b) den eigentlichen Grund der Verunreinigung - rituelle und moralische Vergehen (V. 14 - 23 ).



Mk 7,6-8


Jesus zitierte Jes 29,13 (fast wörtlich aus der LXX) und wandte Jesajas Charakterisierung seiner Zeitgenossen auf die Fragesteller an, die er Heuchler nannte (als solche werden die religiösen Führer bei Markus nur einmal, an dieser Stelle, bezeichnet).

Sie waren "Heuchler", weil sie die Gottesverehrung zu einer rein äußerlichen Angelegenheit machten, ihm jedoch in ihren Herzen , dem Mittelpunkt ihres Denkens und ihrer Entscheidungen, fern waren (vgl. Mk 7,21;12,30 ). Ihr Gottesdienst (ihr frommes Tun) war vergeblich ( matEn ), weil sie wie die Juden aus Jesajas Tagen Menschengebote als Gebote Gottes ausgaben.

Jesus warf ihnen also vor, Gottes Gebot , sein Gesetz, aufzuheben, und statt dessen die Satzungen der Menschen zu halten. Er wies nach, daß ihre mündliche Überlieferung (vgl. Mk 7,3.5 ) letztlich menschlichen Ursprungs war (vgl. V. Mk 9,13 ) und sprach dieser Tradition mit Entschiedenheit jegliche Autorität ab.



Mk 7,9


Er wiederholte seine Anschuldigung, daß die religiösen Führer geschickt Gottes Gebote umgingen, um ihre eigenen Satzungen aufzurichten (vgl. V. 8 ), und untermauerte sie mit einem Beispiel (V. 10 - 12 ), das in plastischer Weise verdeutlichte, wie aus ihrer Verdrehung des göttlichen Gebotes Sünde wurde.



Mk 7,10


Mose hatte in unzweideutiger Form das Gebot ausgesprochen (vgl. V. 13 ), daß man Vater und Mutter ehren solle. Er formulierte die Pflichten der Kinder gegenüber ihren Eltern sowohl positiv ( 2Mo 20,12 ,LXX, das fünfte Gebot; vgl. 5Mo 5,16 ) als auch negativ ( 2Mo 21,17 ,LXX; vgl. 3Mo 20,9 ). Zu ihnen gehörte auch die angemessene finanzielle Unterstützung und praktische Versorgung der Eltern, wenn sie alt waren (vgl. 1Tim 5,4.8 ). Wer sich vor dieser Verantwortung drückte und seine Eltern gar verächtlich behandelte, sollte mit dem Tod bestraft werden.



Mk 7,11-12


Im Anschluß daran zitierte Jesus eine Satzung der Schriftgelehrten, die dieses Gebot Gottes klar umging. Die Worte, ihr aber lehrt sind hervorgehoben, um den Gegensatz zu Moses Worten (V. 10 ) ganz deutlich zu machen. Laut "Überlieferung" der Schriftgelehrten war es nämlich möglich, daß man seinen gesamten Besitz als Korban erklärte und sich dadurch von der Erfüllung des fünften Gebots entband.

"Korban" ist die griechische Übertragung eines hebräischen Begriffes, mit dem eine Opfergabe für Gott bezeichnet wurde. Es war eine Weiheformel, die über Geld und andere Besitztümer gesprochen wurde, die damit durch ein unauflösliches Gelübde dem Tempel vermacht wurden. Derartige Gaben durften nur noch für religiöse Zwecke verwendet werden.

Wenn ein Sohn also erklärte, daß die Mittel, die eigentlich zur Versorgung seiner alternden Eltern aufgewandt werden mußten, "Korban" seien, dann war er nach der Satzung der Schriftgelehrten von dem Gebot Gottes, für die Eltern zu sorgen, befreit, und es konnten keine gesetzlichen Ansprüche mehr an ihn gestellt werden. Die Schriftgelehrten hoben eigens hervor, daß ein solches Gelübde unaufhebbar war (vgl. 4Mo 30 ) und Priorität vor der Verantwortung für die Familie hatte, ließen ihn also nichts mehr für seinen Vater oder seine Mutter tun.



Mk 7,13


Durch derartige Satzungen hoben sie letztlich Gottes Wort auf . "Aufheben" ist die Übersetzung des griechischen Wortes akyrountes , von akyroO , das in den Handschriften die Annullierung von Verträgen bezeichnet. Die Billigung religiöser Schenkungen auf Kosten des göttlichen Gebotes über die Pflichten gegenüber den Eltern hieß nichts anderes, als menschliche Satzungen über Gottes Wort zu stellen.

Das "Korban"-Gelübde war nur ein Beispiel von vielen ähnlichen Fällen (z. B. Sabbatvorschriften; vgl. Mk 2,23-3,5 ), in denen das Alte Testament durch die Zusätze der Schriftgelehrten entstellt und verdunkelt wurde.



c. Jesu Definition der wahren Unreinheit
(
7,14 - 23 ) ( Mt 15,10-20 )


An dieser Stelle ging Jesus doch noch konkreter auf die Frage nach der Unreinheit ein (vgl. Mk 7,5 ). Er wandte sich dabei zunächst an die Menge (V. 14 - 15 ) und teilte seinen Zuhörern eine allgemein anwendbare, grundsätzliche Definition von Unreinheit mit. Später erklärte er seinen Jüngern dieses Grundprinzip dann noch genauer (V. 17 - 23 ).

Mk 7,14-16


Nach einem feierlichen Aufruf an alle, aufmerksam zuzuhören und das Gehörte zu überdenken (vgl. Mk 4,3 ), enthüllte Jesus dem Volk die wahre Ursache der Unreinheit. Es gibt nichts, was von außen in den Menschen hineingeht, das ihn unrein machen könnte (vgl. Mk 7,2 ). Jesus sprach hier in moralischem, nicht in medizinischem Sinn. Von dem, was man ißt, wird man nicht moralisch unrein, auch dann nicht, wenn man sich nicht vorher in vorgeschriebener Weise die Hände gewaschen hat.

Was aus dem Menschen herauskommt (vgl. V. 21 - 23 ), das ist's, was den Menschen unrein macht . Moralisch unrein wird man von dem, was man im Herzen denkt, auch dann, wenn man die äußerlichen Reinheitsvorschriften peinlich genau einhält. Jesus widersprach also der rabbinischen Auffassung, indem er sagte, daß die Sünde aus dem Innern des Menschen und nicht von außen kommt (vgl. Jer 17,9-10 ). Damit machte er auch klar, worum es bei den Speisevorschriften im mosaischen Gesetz (vgl. 3Mo 11; 5Mo 14,1-21 ) eigentlich ging: Ein Jude, der "Unreines" aß, wurde nicht durch das Nahrungsmittel unrein, sondern dadurch, daß er Gottes Gebot nicht gehorchte.



Mk 7,17


Und als er von dem Volk ins Haus kam (wahrscheinlich in Kapernaum; vgl. Mk 2,1;3,20 ), fragten ihn seine Jünger nach diesem Gleichnis (V. 15 ). Die Unfähigkeit der Jünger, Jesu Worte und Werke in ihrer wahren Bedeutung zu begreifen, wird in diesem ganzen Abschnitt von Mk 6,32-8,26 immer wieder hervorgehoben und auf ihre verhärteten Herzen zurückgeführt (vgl. Mk 6,52;8,14-21 ).



Mk 7,18-19


Jesu Frage: "Seid ihr denn auch so unverständig?" zeigt, daß sie seine Lehren trotz all der Erklärungen, die er ihnen bereits gegeben hatte, ebensowenig verstanden.

Jesus wiederholte ihnen nochmals in erweiterter Form die negativ formulierte Wahrheit, daß alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht unrein machen kann (vgl. V. 15 a), denn die Nahrung (und alles andere) geht nicht in sein Herz , das Zentrum der menschlichen Persönlichkeit, und hat daher auch keinen Einfluß auf seine moralische Integrität, sondern sie geht nur in den Bauch (der mit der Moral nichts zu tun hat).

Der Schlußsatz von Vers 19 ist eine redaktionelle Anmerkung des Evangelisten (vgl. Mk 2,10.28;3,30;13,14 ). Er will damit offensichtlich die Bedeutung der Aussage Jesu für seine christlichen Leser in Rom herausarbeiten, von denen manche möglicherweise durch die jüdischen Speisevorschriften verunsichert waren (vgl. Röm 14,14; Gal 2,11-17; Kol 2,20-22 ). Markus sagt ihnen deshalb ganz klar, daß Jesus für die Christen alle Speisen für rein erklärte . Es dauerte lange, bis sich diese Wahrheit in der frühen Kirche durchsetzte (vgl. Apg 10,1-16; Apg 15,7-29 ).



Mk 7,20-23


Danach ging Jesus erläuternd auf den positiven Satz ein, daß alles, was aus dem Menschen herauskommt (vgl. V. 15 b), also von innen, aus dem Herzen der Menschen , moralisch unrein macht (vgl. V. 19 ).

Der allgemeine Begriff, der im Deutschen mit böse Gedanken übersetzt ist, geht im griechischen Text dem Verb voran, um anzuzeigen, daß hier die Wurzel anderer Übel liegt, die daraus folgen. Im Herzen entstandene schlimme Gedanken vereinen sich mit dem Willen des Menschen und führen so zu bösen Worten und Taten.

Der Katalog der Vergehen, die Jesus dann auflistet, erinnert stark an das Alte Testament. Er besteht aus zwölf Punkten. Zuerst kommen sechs Substantive (sie stehen im Griechischen im Plural), die böse Taten widerspiegeln: Unzucht (porneiai, "unerlaubte sexuelle Handlungen aller Art"), Diebstahl ( klopai ), Mord ( phonoi ), Ehebruch ( moicheiai , "verbotene sexuelle Beziehungen einer verheirateten Person"), Habgier ( pleonexiai , "Begierde"), das unstillbare Verlangen nach dem, was anderen gehört, und schließlich Bosheit ( ponEriai , "Schlechtigkeit"), die vielfältigen Äußerungsformen böser Gedanken.

Dann folgen sechs Substantive, die im Singular stehen und böse Haltungen oder Veranlagungen zum Ausdruck bringen: Arglist ( dolos ), Täuschungsmanöver, mit denen man andere um des eigenen Vorteils willen hinters Licht führt; Ausschweifung ( aselgeia ; vgl. Röm 13,13; Gal 5,19; Eph 4,19; 2Pet 2,2.7 ), maß- und schamloses unmoralisches Verhalten; Mißgunst ( ophthalmos ponEros , wörtlich: "böser Blick", ein hebräischer Ausdruck für Geiz; vgl. Spr 23,6 ), Neid und Eifersucht auf den Besitz anderer; Lästerung ( blasphEmia ), schmähende oder verleumderische Äußerungen gegenüber Gott oder anderen Menschen; Hochmut ( hyperEphania ; das Wort steht nur an dieser Stelle im Neuen Testament), das prahlende Herausstellen seiner selbst gegenüber anderen, die mit verächtlicher Herablassung betrachtet werden; und Unvernunft ( aphrosynE ), geistliche und moralische Stumpfheit.

Alle diese bösen Dinge verunreinigen den Menschen, und sie kommen von innen heraus , aus dem Herzen. Jesus lenkte also die Aufmerksamkeit weg von den äußeren Ritualen und betonte statt dessen, wie sehr die Menschen Gott brauchen, damit er ihre Herzen rein mache (vgl. Ps 51 ).



5. Die Heilung der Tochter der syrophönizischen Frau
(
7,24-30 ) ( Mt 15,21-28 )


Dies ist die erste von drei Episoden im Zusammenhang mit der dritten Reise Jesu über die Grenzen Galiläas hinaus, von denen Markus berichtet (zu diesen drei Reisen vgl. Mk 4,35;5,20;6,32-52;7,24-8,10 ). Auf dieser Reise verließ er, wahrscheinlich das ersteund einzige Mal, Palästina. Seine Erlebnisse auf heidnischem Boden fügen sich nahtlos an das in den Versen 1-23 Gesagte und weisen voraus auf die Verkündigung des Evangeliums in der heidnischen Welt (vgl. Mk 13,10;14,9 ).



Mk 7,24


Jesus ging von dort (wahrscheinlich Kapernaum) in das Gebiet von Tyrus , einer Hafenstadt am Mittelmeer, in Phönizien (dem heutigen Libanon), etwa sechzig Kilometer nordwestlich von Kapernaum. An dieser Stelle sollten die Worte "und Sidon" ergänzt werden (vgl. V. 31 ), die von äußerst zuverlässigen frühen griechischen Handschriften bezeugt sind.

Jesus zog nicht dorthin, um auch hier öffentlich zu predigen, sondern um endlich einmal allein zu sein, was ihm bisher nirgends gelungen war (vgl. Mk 6,32-34.53-56 ), und um sich ungestört seinen Jüngern widmen zu können. Deshalb wollte er es niemanden wissen lassen , daß er dort war. Doch er konnte seine Anwesenheit nicht geheimhalten , denn die Nachricht über seine Heilungen war ihm vorausgeeilt (vgl. Mk 3,8 ).


Mk 7,25-26


Eine nicht mit Namen genannte Frau, deren Töchterlein einen unreinen Geist hatte (vgl. Mk 1,23;5,2 ), kam alsbald ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) und fiel nieder zu seinen Füßen , eine Geste, die ihre Ehrerbietung, aber auch ihren tiefen Kummer über den Zustand ihrer Tochter zum Ausdruck brachte (vgl. Mk 9,17-18.20-22.26 ). Sie bat Jesus eindringlich, daß er den bösen Geist von ihrer Tochter austreibe .

Markus hebt ausdrücklich hervor, daß die Frau keine Jüdin war; sie war eine Griechin, stammte jedoch nicht aus Griechenland, sondern aus einer heidnischen Kultur und Religion - aus Syrophönizien , einem Teil der Provinz Syrien. Matthäus bezeichnet sie als "kanaanitische Frau" ( Mt 15,22 ).



Mk 7,27


Jesu Entgegnung spiegelte den eigentlichen Grund seines Aufenthalts in dieser Gegend wider, in der er hoffen konnte, unbehelligt zu bleiben (vgl. V. 24 ). Sie war dem Auffassungsvermögen der Frau angepaßt und in bildhafte Formulierungen gekleidet: Die Kinder waren seine Jünger (vgl. Mk 9,35-37 ), das Brot der Kinder sein Wirken an ihnen, und die Hunde (wörtlich: "kleine Hunde", Haustiere, im Gegensatz zu den in freier Wildbahn lebenden Tieren, die sich von Aas ernährten) waren die Heiden (an dieser Stelle nicht im anbetenden Sinne).

Jesus teilte der Frau also mit, daß er in erster Linie hier sei, um seine Jünger zu lehren. Wie es unpassend wäre, eine Mahlzeit in der Familie zu unterbrechen, um die Hunde mit dem Essen vom Tisch zu füttern, so wäre es auch nicht richtig, die Unterweisung der Jünger zu unterbrechen, um ihr, einer Heidin, zu helfen. Doch diese Weigerung ließ den Glauben der Frau nur noch wachsen.

Andere Exegeten sehen in den Worten Jesu eine weitreichendere theologische Aussage: Die Kinder (das ungläubige Israel) mußten gespeist werden (Jesu Auftrag); ihr Brot (besondere Privilegien, darunter auch das Vorrecht, als erste Jesu Wirken zu erfahren) durfte nicht vor die Hunde (die Heiden) geworfen werden, weil deren "Fütterungszeit" (die weltweite Verkündigung des Evangeliums) noch nicht gekommen war. Obwohl diese Überlegungen theologisch richtig sind, gehen sie hier doch sicherlich über das, was Markus sagen wollte, hinaus.



Mk 7,28


Die Frau akzeptierte Jesu Antwort mit den Worten: "Ja, Herr" (eine respektvolle Anrede). Sie war sich im klaren darüber, daß er das Recht hatte, ihre Bitte abzuschlagen, doch ohne eine Beleidigung in dem Vergleich zu sehen, den er gerade benutzt hatte, trieb sie diesen sogar noch einen Schritt weiter und gab ihm zu bedenken: "Aber doch fressen die Hunde unter dem Tisch von den Brosamen der Kinder."

Ihr Einwand lief darauf hinaus, daß die Hunde zur gleichen Zeit wie die Kinder Essen bekommen, also nicht einfach warten müssen. Sie verlangte ja gar nicht, daß er seine Arbeit mit den Jüngern unterbrach; alles, worum sie ihn demütig bat, war ein Brosamen, ein kleiner Beweis seiner Gnade für ihre verzweifelte Not.


Mk 7,29-30


Aufgrund dieses Wortes , an dem sich ihre Demut und ihr Glaube zeigten, sagte Jesus zu ihr, sie solle nach Hause gehen (vgl. Mk 2,11;5,34;10,52 ), und versicherte ihr, daß der böse Geist von ihrer Tochter ausgefahren sei. Die Verbform ist ausgefahren (Perfekt) deutet an, daß die Heilung bereits vollzogen war.

Als sie in ihr Haus zurückkehrte, fand sie das Kind tatsächlich ruhig auf dem Bett liegen, und der böse Geist war ausgefahren . Das ist das einzige Wunder im Markusevangelium, das Jesus aus der Ferne vollbrachte, ohne irgendeine befehlende Formel auszusprechen.



6. Die Heilung des Taubstummen
(
7,31 - 37 )


Von diesem Wunder berichtet nur Markus. Es bildet den Abschluß eines Erzählzyklus ( Mk 6,32-7,37 ) und mündet in ein Bekenntnis des Volkes über Jesus ( Mk 7,37 ). In dem, was hier geschieht, spiegelt sich bereits das Öffnen der "Ohren" der Jünger (vgl. Mk 8,18.27-30 ). Mit Kapitel 8,1 beginnt dann ein zweiter Erzählzyklus, der im Bekenntnis der Jünger gipfelt ( Mk 8,27-30 ).



Mk 7,31-32


Jesus verließ das Gebiet von Tyrus (vgl. V. 24 ) wieder und wandte sich nach Norden, wobei er nach etwa dreißig Kilometern durch Sidon , eine Küstenstadt, kam. Dann zog er, unter Vermeidung Galiläas, nach Südosten, an die Ostküste des Galiläischen Meeres, mitten in das Gebiet der Zehn Städte (vgl. Mk 5,20 ).

Dort baten ihn einige Leute, einem Mann die Hand aufzulegen (vgl. Mk 5,23 ), der taub war und kaum sprechen konnte ( mogilalon , "nur unter Schwierigkeiten sprechend"). Dieses seltene Wort taucht nur an dieser einen Stelle und einmal in der Septuaginta, bei Jes 35,6 ,auf, einem Abschnitt, der vom Kommen der Gottesherrschaft auf Erden spricht. Die verheißenen Wunder, von denen dabei die Rede war, wurden in Jesu Amt bereits Wirklichkeit (vgl. Mk 7,37;1,15 ).



Mk 7,33-35


Jesus setzte bei der Heilung des Mannes Zeichensprache und verschiedene symbolische Handlungen (die Markus nicht näher erklärt) ein, die in einzigartiger Weise auf die Bedürfnisse des Taubstummen abgestimmt waren und Glauben in ihm weckten. Er nahm ihn beiseite (vgl. Mk 6,32 ), um sich ihm ganz persönlich, ungestört von der Menge, zu widmen. Durch das Berühren der Ohren und der Zunge und sein Aufblicken zum Himmel (zu Gott; vgl. Mk 6,41 ) vermittelte er dem anderen ein klares Bild dessen, was er tat. Sein tiefer Seufzer war möglicherweise Ausdruck seines Mitleids, eher jedoch wohl eine Äußerung der starken Emotionen im Kampf gegen die satanischen Mächte, die den Leidenden in ihrer Gewalt hatten.

Schließlich gab Jesus ihm den aramäischen Befehl: "Hefata!, das heißt: Tu dich auf!" (wörtlich: "sei völlig geöffnet"). Ein Tauber konnte dieses Wort leicht von den Lippen lesen; daß Jesus es auf aramäisch sagte, deutet vielleicht darauf hin, daß der Mann kein Heide war.

Sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig . Sprachstörungen sind häufig auf Hörstörungen zurückzuführen - sowohl im körperlichen als auch im seelischen und geistlichen Bereich.



Mk 7,36


Je mehr Jesus, der im Gebiet der Zehn Städte predigen wollte, ohne sich gleichzeitig als "Wundertäter" einzuführen, den Leuten verbot , über diese Heilung zu sprechen, desto mehr breiteten sie es aus (vgl. Mk 1,44-45;5,20.43 ).



Mk 7,37


Gerade auch über dieses Werk Jesu wunderten sich ( exeplEssonto ; "überwältigt"; vgl. Mk 1,22;6,2;10,26 ) die Menschen über die Maßen ( hyperperissOs , ein verstärkendes Adverb, das im Neuen Testament nur an dieser Stelle steht).

Das Bekenntnis, in dem ihr Erstaunen gipfelte, ist eine allgemeine Aussage darüber, wen diese Leute nach allem, was sie schon zuvor über ihn gehört hatten (vgl. Mk 3,8;5,20 ), in Jesus sahen. Die Worte die Tauben und die Sprachlosen stehen dabei im Plural und beziehen sich auf zwei verschiedene Kategorien von Menschen. Markus kam es wahrscheinlich darauf an, die Anspielung auf Jes 35,3-6 im Bekenntnis der Menge herauszuarbeiten.



7. Die Speisung der Viertausend
(
8,1 - 10 ) ( Mt 15,32-39 )


In Kapitel 8,1-30 schildert Markus eine Reihe von Ereignissen, die eine Parallele zu den Geschehnissen in Mk 6,32-7,37 bilden. Trotz der wiederholten Erfahrung der Wunder Jesu und dem ständigen Umgang mit seiner Lehre taten sich die Jünger noch immer schwer damit, "zu sehen und zu hören", d. h. wirklich zu begreifen, wer Jesus war (vgl. Mk 8,18 ). In beiden Erzählzyklen spielt die Speisung einer großen Menge Volks eine wichtige Rolle (vgl. Mk 6,52;8,14-21 ).



Mk 8,1-3


Während Jesu Wirken im Gebiet der Dekapolis (vgl. Mk 7,31 ) versammelte sich wieder eine große Menge um ihn, wahrscheinlich sowohl Juden als auch Heiden.

Nachdem die Menschen Jesus drei Tage lang zugehört hatten, hatten sie nichts mehr zu essen. Sie waren so schwach vor Hunger, daß sie, wenn Jesus sie hätte hungrig heimgehen lassen, auf dem Wege verschmachtet wären; denn einige von ihnen waren von ferne gekommen.

Jesus jammerte ihre physische Not (vgl. Mk 6,34 ), und er sprach die Jünger darauf an (vgl. dazu Mk 6,35-36 ,wo die Jünger umgekehrt ihn darauf aufmerksam machten). Er ergriff also selbst die Initiative, um die Menge, die auf Speise verzichtet hatte, um sich an seinem Wort sattzuhören, mit leiblicher Nahrung zu versorgen.



Mk 8,4-5


Die Frage der Jünger bewies erneut, wie schwer es ihnen fiel zu verstehen, was es bedeutete, daß Jesus in dieser neuen schwierigen Lage bei ihnen war. Ihre Entgegnung zeigte aber auch, daß sie sich nicht dazu imstande fühlten, etwas gegen den Hunger der wartenden Menge zu unternehmen. Damit gaben sie indirekt das Problem, das sie nicht bewältigen konnten, an Jesus zurück (vgl. dazu Mk 6,37 ,wo auch das anders war).

Jesu Frage, wieviel Brote sie noch hätten, ließ seine Absicht erkennen und war eine Aufforderung an die Jünger, sich der Mittel, die ihnen zu Gebote standen - sieben Brote und "einige Fische" (vgl. Mk 8,7; Mt 15,34 ) - zu bedienen.



Mk 8,6-7


Die Speisung der Menge verlief ganz ähnlich wie die der Fünftausend (vgl. Mk 6,39-42 ). Die griechischen Partizipien, die im Deutschen mit den Imperfektformen nahm und dankte ( eucharistEsas ; vgl. Mk 14,23 ) wiedergegeben sind, und das Wort brach stehen im Urtext im Aorist, bezeichnen also abgeschlossene Handlungen, wohingegen die Verbform gab auch im Griechischen Imperfekt ist, wodurch angezeigt wird, daß Jesus den Jüngern immer wieder Brot zum Austeilen zureichte (vgl. Mk 6,41 ). Dasselbe tat er mit einigen Fischen .



Mk 8,8-9 a


Ganz knapp berichtet Markus dann noch, daß durch das Wunder alle genug zu essen bekamen ( sie aßen aber und wurden satt ), daß noch überreichliche Reste blieben (sieben Körbe voll) und auch hier wieder sehr viele Menschen gespeist worden waren ( viertausend , dazu noch Frauen und Kinder; vgl. Mt 15,38 ).

Allerdings wurden diesmal zum Aufsammeln der übriggebliebenen Brocken andere Körbe ( spyridas ) verwendet als bei der Speisung der Fünftausend ( kophinoi ; Mk 6,43; vgl. Mk 8,19-20 ). Es handelte sich dabei um Sisal- oder Bastkörbe, die manchmal so groß waren, daß ein Mann darin transportiert werden konnte (vgl. Apg 9,25 ). Die "sieben Körbe voll" (vielleicht für jeden Laib Brot einer) faßten also wahrscheinlich mehr als die zwölf Körbe, von denen in Mk 6,43 die Rede ist.



Mk 8,9-10 (Mk 8,9b-10)


Als er die Menge entlassen hatte, stieg Jesus alsbald ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) mit seinen Jüngern in ein Boot und setzte in die Gegend von Dalmanuta , eine Stadt in der Nähe von Tiberias, an der Westseite des Sees Genezareth (vgl. Mk 8,13.22; auch Magadan genannt; vgl. Mt 15,39 ), über.



8. Die Forderung der Pharisäer nach einem Zeichen
(
8,11 - 13 ) ( Mt 16,1-4 )


Mk 8,11


Die Führer der religiösen Partei, die Pharisäer (vgl. Mk 3,22-30; 7,1-5 ), kamen heraus und fingen an, mit ihm zu streiten ( syzEtein , "disputieren, debattieren"). Sie wollten ihn versuchen (von peirazO ; vgl. Mk 1,13;10,2;12,15 ), um ihn dazu zu bringen, die Quelle seiner Macht preiszugeben (vgl. Mk 3,22-30;11,30; 5Mo 13,2-5;18,18-22 ). Aus diesem Grund forderten sie (von zEteO ; vgl. Mk 11,18;12,12;14,1.11.55 ) von ihm ein Zeichen vom Himmel , an dem seine göttliche Vollmacht sichtbar werden sollte. Im Alten Testament war ein "Zeichen" nicht so sehr eine Demonstration der Macht als vielmehr ein Beleg dafür, daß eine Äußerung oder Handlung echt und glaubwürdig war (vgl. TDNT, " sEmeion ", 7,210-6;234-6). Die Pharisäer baten also nicht um ein spektakuläres Wunder, sondern um den unumstößlichen Beweis, daß er und sein Auftrag von Gott kamen, denn sie glaubten ja ganz das Gegenteil (vgl. Mk 3,22 ).

 

Mk 8,12


Jesus seufzte in seinem Geist (vgl. Mk 7,34 ) und stellte ihnen eine rhetorische Frage, die seinen Unmut über ihren verbohrten Unglauben deutlich machte. Die Worte dieses Geschlecht stehen dabei für das ganze Volk Israel, wie es in seinen Repräsentanten, den religiösen Führern, vor ihm stand (vgl. Mk 8,38;9,19;13,30 ). Immer wieder hatte das Volk die Gnade, die Gott ihm erweisen wollte, zurückgestoßen (vgl. 5Mo 32,5-20; Ps 95,10 ).

Mit einer feierlichen Einleitungsformel ( wahrlich, ich sage euch ; vgl. Mk 3,28 ) und einer hebräischen Wendung, die starke Ablehnung ausdrückt (vgl. Ps 95,11; Hebr 3,11;4,3.5 ), wies Jesus ihre Forderung zurück: "Es wird diesem Geschlecht kein Zeichen gegeben werden!" Matthäus spricht in diesem Zusammenhang noch von einer einzigen Ausnahme, "dem Zeichen des Jona" ( Mt 16,4 ), d. h. Jesu Auferstehung (vgl. Mt 12,39-40 ).

Im Markusevangelium wird vom Wortschatz her klar zwischen einem Wunder ( dynamis ) und einem Zeichen ( sEmeion ) unterschieden. Das erstere war eine Bestätigung für Gottes Gegenwart und Macht in Jesus. Die Forderung nach einem Wunder kann daher ein legitimer Ausdruck des Glaubens eines Menschen sein (z. B. Mk 5,23;7,26.32 ), sie wird jedoch illegitim, wenn sie, wie es bei den Pharisäern der Fall war, dem Unglauben entspringt.



Mk 8,13


Wie empört Jesus über den Vorfall war, sehen wir an seinem raschen Aufbruch. Er fuhr wieder über den See Genezareth, hinüber an die Nordostküste. Sein öffentliches Wirken in Galiläa war damit beendet.



9. Die Jünger verstehen Jesu Worte und Werke nicht
(
8,14 - 21 ) ( Mt 16,5-12 )


Mk 8,14


Ihre überstürzte Abreise (V. 13 ) war wahrscheinlich der Grund dafür, daß die Jünger vergessen hatten, Brot mitzunehmen . Sie besaßen nur noch ein Brot - was ja aber durchaus ausreichte, wenn Jesus sich an Bord befand (vgl. Mk 6,35-44 ).



Mk 8,15


Jesus, der noch an die Begegnung bei Tiberias (V. 11 - 13 ; der Ort, an dem auch der Palast des Herodes lag) denken mußte, warnte seine Jünger (wörtlich: gab ihnen weiterhin Anordnungen; vgl. Mk 7,36 ) vor dem Sauerteig der Pharisäer und vor dem Sauerteig des Herodes Antipas .

Schon eine kleine Menge Sauerteig kann in einer großen Menge Brotteig viel bewirken. "Sauerteig" war daher bei den Juden eine gebräuchliche Metapher für eine unsichtbare, aber sehr wirksame Kraft. Häufig versinnbildlichte der Begriff, wie hier, einen verderblichen Einfluß. An dieser Stelle ist damit das allmähliche Wachsen des Unglaubens gemeint. Das stand hinter der Bitte der Pharisäer, die ein Zeichen sehen wollten, obwohl sie sich bereits ein abschließendes Urteil gebildet hatten (vgl. Mk 6,14-16; Lk 13,31-33;23,8-9 ). Wie Jesu Ausruf ( Mk 8,12 ) deutlich machte, hatte diese Haltung bereits auf das ganze Volk Israel übergegriffen, und er wollte nun seine Jünger davor warnen, indem er sie zum Glauben und Verstehen ohne Zeichen aufrief (vgl. V. 17 - 21 ).



Mk 8,16


Die Jünger überhörten seinen Hinweis auf die Pharisäer und Herodes jedoch völlig. Sie verstanden nur das Wort "Sauerteig" und dachten, Jesus habe von ihrem Brotmangel gesprochen.



Mk 8,17-18


Mit leidenschaftlichen, eindringlichen Fragen versuchte Jesus, ihnen ihr fehlendes geistliches Verständnis klarzumachen (vgl. Mk 4,13.40;6,52 ). Da er merkte, was sie besprachen (vgl. Mk 8,16 ), tadelte er sie zunächst nicht, weil sie seine Warnung nicht begiffen hatten (V. 15 ), sondern dafür, daß sie es offensichtlich einfach nicht fertigbrachten, sich auf seine Gegenwart zu verlassen. Ihre Herzen waren verhärtet (vgl. Mk 6,52 ). Sie hatten Augen und sahen nicht und Ohren und hörten nicht (vgl. Jer 5,21; Hes 12,2 ). So waren sie im Grunde nicht besser als die "draußen" (vgl. Mk 4,11-12 ) und hatten ein ebenso kurzes Gedächtnis wie die Menge.



Mk 8,19-20


Die Fragen über die beiden wunderbaren Speisungen (vgl. Mk 6,35-44;8,1-9 ) machen überdeutlich, daß die Jünger weder die Bedeutung dessen, was sie gesehen hatten, verstanden, noch die wahre Identität Jesu erkannten.



Mk 8,21


Jesu Frage: "Begreift ihr denn noch nicht?" war eher ein Appell als ein Verweis. Das Gewicht, das Jesus dem Begreifen der Jünger beilegte (V. 17-18.21 ), zeigt, worum es ihm in seinen Worten und Werken ging, und wieweit er noch von seinem Ziel entfernt war. 10. Die Heilung des Blinden in Betsaida ( Mk 8,22-26 )

Dieses Heilungswunder und sein Gegenstück in Kapitel 7,31 - 37 , das vom Aufbau her gleich ist, sind die beiden einzigen Wundergeschichten, die ausschließlich im Markusevangelium berichtet werden. Es ist außerdem das einzige Wunder, das Jesus in zwei Schritten vollbrachte. "Sehen" war zugleich eine weitverbreitete Metapher für "Verstehen", so daß das Geschehen auch als ein Sinnbild für das zwar richtige, aber noch unvollständige Begreifen der Jünger aufgefaßt werden kann.


Mk 8,22


Als Jesus und die Jünger in Betsaida Julias ankamen (vgl. V. 13 ; Mk 6,32 ), brachten sie einen Blinden zu ihm und baten ihn, daß er ihn anrühre und heile (vgl. Mk 5,23;7,32 ).



Mk 8,23-24


Jesus führte den Blinden hinaus vor das Dorf , wahrscheinlich, um wie immer einen persönlichen Kontakt zu ihm herzustellen (vgl. Mk 7,33 ) und um die Öffentlichkeit auszuschließen ( Mk 8,26 ). Normalerweise waren Jesu Wunder öffentliche Ereignisse (vgl. Mk 1,23-28.32-34; 3,1-12; 6,53-56; 9,14-27; 10,46-52 ), doch bei Markus gibt es drei Ausnahmen ( Mk 5,35-43;7,31-37;8,22-26 ). Die beiden letzteren Vorfälle sollten wahrscheinlich zum Ausdruck bringen, daß das rechte Verstehen nur durch eine persönliche Beziehung zu Jesus, unbeeinflußt von der Meinung der Menge, möglich ist.

Die Berührung des Mannes mit Speichel und das Handauflegen (vgl. Mk 7,33 ) zeigte dem Blinden Jesu Absicht und weckte seinen Glauben. Doch zuerst kam es nur zu einer teilweisen Wiederherstellung seiner Sehkraft. Er sah auf (vgl. Mk 8,25 ) und nahm die Menschen (vielleicht die Zwölf) nur als verschwommene, sich bewegende Objekte wahr, als sähe er Bäume umhergehen . Jesu ungewöhnliche Frage: "Siehst du etwas?" zeigte, daß dieses Ergebnis in seiner Absicht gelegen hatte, daß das unvollständige Gelingen des Wunders also nicht etwa auf den schwachen Glauben des Mannes zurückzuführen war. Es war vielmehr eine bildhafte Fortsetzung des Tadels, den er den Jüngern zuvor erteilt hatte (V. 17 - 21 ). Der Mann war zwar nun nicht mehr stockblind, doch er sah vorerst nur wenig. Wie sehr ähnelten ihm darin die Jünger!



Mk 8,25


Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich (von diablepO ; in V. 24 steht eine Form von anablepO ) und wurde wieder zurechtgebracht, so daß er alles scharf sehen (von emblepO ) konnte . Jetzt konnte der vormals Blinde wieder sehen, ein Ereignis, auf das auch die Jünger, trotz ihrer langsamen Fortschritte, hoffen durften.



Mk 8,26


Offensichtlich lebte der Mann nicht in Betsaida, da Jesus ihn mit der Ermahnung heimschickte: "Geh nicht hinein in das Dorf!" (d. h. "geh nicht zuerst dorthin"). Wahrscheinlich wurde auch ihm Schweigen auferlegt, damit Jesus sein Werk in Ruhe fortführen konnte (vgl. Mk 1,44-45;5,43;7,36 ).



D. Schluß: Petrus' Bekenntnis, daß Jesus der Christus ist
(
8,27 - 30 ) ( Mt 16,13-20; Lk 9,18-21 )


In den Mittelpunkt seines Evangeliums stellte Markus das Bekenntnis des Petrus, daß Jesus der Messias sei. Bis zu diesem Moment stand immer die Frage im Hintergrund: "Wer ist dieser Mann eigentlich?". Nach Petrus' Erklärung im Namen aller zwölf Jünger verlagert sich dann die Intention des Evangeliums ganz auf das Kreuz und die Auferstehung. Von jetzt an lautet die allem zugrundeliegende doppelte Frage: "Worin besteht seine Aufgabe als Messias, und was heißt es, ihm zu folgen?" Die folgende wichtige Passage ist also der entscheidende Wendepunkt, zu dem die erste Hälfte des Buches hinführt und von dem aus sich die zweite Hälfte weiterentwickelt.



Mk 8,27


Jesus zog mit seinen Jüngern in die etwa vierzig Kilometer nördlich von Betsaida (vgl. V. 22 ) gelegenen Dörfer bei Cäsarea Philippi , einer Stadt an der Jordanquelle, vor den südlichen Ausläufern des Hermongebirges. Sie lag in der Tetrarchie des Herodes Philippus, der ihr seinen Namen gab, um sie von dem anderen Cäsarea am Mittelmeer zu unterscheiden.

Auf dem Wege ( en tE hodO ; vgl. Mk 1,2;9,33-34;10,17.32.52 ) fragte er seine Jünger , was die Leute von ihm sagten. Jesu Fragen bildeten häufig den Ausgangspunkt für eine neue Aussage seiner Lehre (vgl. Mk 8,29;9,33;12,24-25 ).



Mk 8,28


Die Antwort der Jünger entsprach den in Kapitel 6,14 - 16 festgehaltenen Äußerungen. Johannes der Täufer, Elia, einer der Propheten . Alle diese Hypothesen waren falsch und zeigten, daß Jesu wahre Identität und sein Auftrag den Menschen nach wie vor verborgen blieben.



Mk 8,29


Dann fragte Jesus die Jünger ganz persönlich: "Ihr aber, wer sagt ihr, daß ich sei?" Die Betonung liegt auf dem "ihr", auf denjenigen, die er selbst auserwählt und ausgebildet hatte. Petrus machte sich wie schon häufig zum Sprecher der Zwölf (vgl. Mk 3,16;9,5;10,28;11,21 ) und erklärte: "Du bist der Christus , der Messias, der Gesalbte Gottes" (vgl. Mk 1,1 ).

Dieses freie Bekenntnis der Jünger war - gerade zu diesem Zeitpunkt (vgl. Joh 1,41.51 ) - deshalb so entscheidend, weil die Menschen im allgemeinen Jesu wahre Identität verkannten und die religiösen Führer ihn sogar aufs heftigste bekämpften, während er selbst im Begriff stand, den Jüngern Dinge über sich zu offenbaren, die für sie nicht ohne schwerwiegende Folgen bleiben sollten. Es war also ungemein wichtig, daß die Frage nach seiner Identität hier ein für alle Mal geklärt wurde und feststand. Das Glaubensbekenntnis der Jünger war, ungeachtet ihres zeitweiligen Versagens und ihrer Fehler und Schwächen, der Dreh- und Angelpunkt für ihre Nachfolge (vgl. Mk 14,50.66-72 ).

Markus gibt das Bekenntnis des Petrus in seiner einfachsten, knappsten Form wieder (vgl. Mt 16,16-19 ) und stellt damit die Aussagen Jesu über das Wesen seines messianischen Auftrags in den Mittelpunkt (vgl. Mk 8,31;9,30-32;10,32-34.45 ).



Mk 8,30


Jesus gebot ihnen streng (wörtlich: "befahl"; vgl. Mk 1,25;3,12 ), daß sie niemandem sagen sollten , daß er der Messias war. Die Menschen hatten sich viele falsche Vorstellungen über den "Messias" zurechtgelegt. Den verheißenen davidischen Messias (vgl. 1Sam 7,14-16; Jes 55,3-5; Jer 23,5 ) dachte man sich als eine politische Gestalt, die sich an die Spitze einer nationalistischen Bewegung setzen und die Juden von der römischen Herrschaft befreien würde (vgl. Mk 11,9-10 ). Jesu messianischer Auftrag sah dagegen völlig anders aus und war weit umfassender, daher zögerte er auch, diesen Titel zu benutzen (vgl. Mk 12,35-37;14,61-62 ). Außerdem waren die Jünger noch nicht dazu in der Lage, die wahre Bedeutung des Messiasamtes Jesu zu verkünden.

Jesus wußte, daß er Gottes Gesalbter war (vgl. Mk 9,41;14,62 ), deshalb ließ er Petrus' Erklärung als korrekte Feststellung stehen. Dennoch gebot er den Jüngern, die allzuleicht Mißverständnissen über seine Person erlagen ( Mk 8,32-33 ), Stillschweigen, bis er ihnen erklären konnte, daß er als Messias leiden und sterben mußte, um Gottes Willen zu tun ( Mk 8,31 ).



VI. Jesu Reise nach Jerusalem
(
8,31 - 10,52 )


Den Rahmen für den vierten größeren Abschnitt des Markusevangeliums bildet die Reise Jesu von Cäsarea Philippi im Norden, wo die Jünger ihn als Messias bekannten, nach Jerusalem im Süden, wo er seinen messianischen Auftrag zu Ende führte ( Mk 8,27;9,30.31;10,1.17.32;11,1; vgl. auch Mk 14,28; Mk 16,7 ).

Jesus legte hier das Wesen seiner Berufung als Messias dar und machte deutlich, was das für all jene, die ihm nachfolgen wollten, bedeutete. Dabei besteht eine ausgewogene Spannung zwischen der Verborgenheit und Verhülltheit seines Leidens und seinem zukünftigen Offenbarwerden in Herrlichkeit. Der Text gruppiert sich um drei Leidensankündigungen: Mk 8,31-9,29;9,30-10,31;10,32-52 .Jede der drei Einheiten enthält eine Vorhersage ( Mk 8,31;9,30-31;10,32-34 ), die jeweilige Reaktion der Jünger ( Mk 8,32-33; 9,32; 10,35-41 ) und eine oder mehrere Aussagen über die Nachfolge ( Mk 8,34-9,29;9,33-10,31;10,42-52 ).

A. Die erste Leidensankündigung
(
8,31 - 9,29 )


1. Jesu erste Ankündigung seines Todes und seiner Auferstehung
(
8,31 ) ( Mt 16,21; Lk 9,22 )


Mk 8,31


Nachdem Petrus erklärt hatte, daß Jesus der Messias sei (V. 29 ), fing Jesus an, sie zu lehren , was dieser Satz bedeutete. Seine Lehre wandte sich damit einem neuen Inhalt zu.

Im Gegensatz zu den weitverbreiteten Erwartungen an den Messias war Jesus nicht gekommen, um bereits jetzt ein messianisches Reich auf Erden zu errichten. Statt dessen erklärte er, daß der Menschensohn viel leiden (vgl. Jes 53,4.11 ) und von den jüdischen Obersten verworfen werden müsse, ja daß er schließlich getötet und nach drei Tagen ("am dritten Tage"; vgl. Mt 16,21; Lk 9,22 ) auferstehen ( Jes 52,13;53,10-12 ) werde. Für die Jünger gewann das verheißene Gottesreich damit eine völlig neue Dimension, auf die sie nicht gefaßt waren (vgl. Mk 8,32 ). Das Hilfsverb muß ( dei , "es ist nötig") deutet auf einen Zwang hin, in diesem Fall auf den Zwang, unter dem Jesus stand - den Willen Gottes, den göttlichen Plan für seinen messianischen Auftrag (vgl. Mk 1,11 ), zu erfüllen. Seine Leidensankündigung war der Beweis, daß er sich diesem Willen unterwerfen würde (vgl. Mk 14,35-36 ).

Drei Gruppen - die Ältesten (einflußreiche Laien), die Hohenpriester (die Sadduzäer, vgl. Mk 12,18 ,Angehörige vornehmer Priestergeschlechter und ehemalige Hohepriester) und die Schriftgelehrten (zum größten Teil Pharisäer) bildeten zusammen den Hohen Rat (Sanhedrin), den höchsten jüdischenGerichtshof, der in Jerusalem tagte (vgl. Mk 11,27;14,53.55 ).

Obwohl Petrus ihn als "den Christus" bezeichnet hatte ( Mk 8,29 ), ging Jesus nicht näher auf diesen Titel oder das Problem seiner Identität ein, sondern stellte seinen Auftrag in den Vordergrund und verwendete statt dessen den Titel "Menschensohn". Dieser Ausdruck kam bisher nur zweimal im Markusevangelium vor (vgl. Mk 2,10.28 ). Beide Male wollte Markus damit auf die Bedeutung eines bestimmten Ereignisses für seine christlichen Leser hinweisen. Von nun an kehrt der Titel häufiger wieder, doch nur Jesus selbst gebraucht ihn für sich (vgl. Mk 8,31.38;9,9.12.31;10,33.45;13,26;14,21 [zweimal] 41.62 ).

Er umschrieb besonders all das, was Jesus wirklich war und was er eigentlich wollte. Da er keinerlei politische Konnotationen hatte, weckte er auch keine falschen Erwartungen. Dennoch war er mehrdeutig genug (wie ein Gleichnis), um das Gleichgewicht zwischen Verhüllung und Offenbarung, das Jesu ganzes Leben und Wirken bestimmte, zu wahren (vgl. Mk 4,11-12 ). Er verband, besser als jede andere Bezeichnung es vermocht hätte, die Elemente des Leidens und der Herrlichkeit und war so die angemessenste Definition der einzigartigen Rolle Jesu als Messias.



2. Petrus' Unmut und Jesu Tadel dieses Unmuts
(
8,32 - 33 ) ( Mt 16,22-23 )


Mk 8,32-33


Im Gegensatz zu seinen früheren, verhüllten Anspielungen (vgl. Mk 2,20 ) sprach Jesus nun frei und offen , in unzweideutigen Ausdrücken, über die Notwendigkeit seines Todes und seiner Auferstehung.

Petrus begriff seine Worte zwar sehr wohl ( Mk 8,31 ), doch er konnte sein "Messiasverständnis" (V. 29 b) nicht mit dem Leiden und dem Tod, von dem Jesus sprach, in Einklang bringen. Daher fing er an, ihm zu wehren .

Diese Reaktion, die sich wahrscheinlich mit der der übrigen Jünger deckte, war - ähnlich wie die Versuchung in der Wüste (vgl. Mk 1,12-13 ) - ein Versuch des Teufels, Jesus vom Kreuz abzubringen. Jesus bedrohte Petrus ( Mk 8,33 ) deshalb zum Nutzen aller Menschen. Es war kein persönlicher Angriff. Das gebietende Geh weg von mir, Satan lautet wörtlich: "Geh fort, hinter mich", und ist wohl kaum als ein Befehl an Petrus zu verstehen, seinen Platz als Jünger einzunehmen (vgl. dagegen Mk 1,17;8,34 ); vielmehr sprach Jesus wohl Satan als den Urheber von Petrus' Gedanken an.

Petrus wurde hier ohne sein Wissen und Wollen zum Sprecher Satans; er meinte nicht ( phroneO bedeutet "eine geistige Haltung haben zu"; vgl. Kol 3,2 ), was göttlich war, d. h. ihm lag nicht an den Wegen und Absichten Gottes, sondern an dem, was menschlich ist , also an menschlichen Werten und Gesichtspunkten. Gottes Wille war jedoch der Weg des Kreuzes, und Jesus weigerte sich, von diesem Weg abzuweichen.



3. Jesu Lehre von der Nachfolge
(
8,34 - 9,1 ) ( Mt 16,24-28; Lk 9,23-27 )


Ein leidender Messias brachte auch eine völlig neue Dimension in den Gedanken der Nachfolge. Der folgende Abschnitt enthält daher eine Reihe kurzer Aussagen über die persönliche Bindung an Jesus in der Nachfolge (vgl. Mk 9,43-50;10,24-31 ). Der wichtigsten Aussage (V. 34 ) folgen im Griechischen vier mit gar ("denn") eingeleitete Erklärungen (V. 35 - 38 ) und eine abschließende Feststellung ( Mk 9,1 ). Das hier Gesagte war Teil der Vorbereitung der Jünger auf ihr künftiges Amt und zugleich eine Ermutigung für die Leser des Markusevangeliums, die in Rom Verfolgungen ausgesetzt waren.



Mk 8,34


Jesus forderte das Volk, interessierte Zuschauer (vgl. Mk 4,1.10-12;7,14-15 ), samt seinen Jüngern auf, ihm zuzuhören. Die Worte wer (es sind also nicht nur die Jünger angesprochen) mir nachfolgen will (vgl. Mk 1,17 ) belegen, daß er von ihrer Nachfolge als Jünger sprach (vgl. Mk 1,16-20 ). Er nannte zwei Bedingungen für diese Nachfolge, die, wie Buße und Glauben (vgl. Mk 1,15 ), zusammengehörten.

Zum einen sollten die Jünger etwas aufgeben: sie sollten sich selbst verleugnen ("verleugnen" ist Aorist Imperativ) und selbstsüchtigen Interessen und irdischen Sicherheiten entsagen. Selbstverleugnung heißt dabei nicht, die eigene Persönlicheit zu verleugnen, als Märtyrer zu sterben oder allen "materiellen Dingen" zu entsagen (wie in der Askese). Es bedeutet vielmehr die Verleugnung des "Selbst", die Abwendung vom Götzendienst der Ichzentriertheit und von dem Bestreben, sein Leben ganz für sich selbst, nur nach dem Diktat des Eigennutzes, zu leben (vgl. TDNT, "arneomai" , 1,469-71). Selbstverleugnung ist aber in jedem Fall nur das "Negativ" des Bildes, das Jesus hier skizzierte, nicht etwas, das um seiner selbst willen praktiziert werden muß oder "an sich" gut ist.

Zum anderen wurde von den Jüngern Jesu verlangt, etwas zu tun: sie sollten ihr Kreuz auf sich nehmen (auch "nehmen auf sich" ist Aorist Imperativ) und "Ja" zu Gottes Willen und Weg sagen. Die Metapher des Kreuzes war den Juden zwar nicht von Hause aus vertraut, doch im von den Römern besetzten Palästina wahrscheinlich wohlbekannt. Man dachte dabei an einen Verurteilten, der gezwungen wurde, seine Unterwerfung unter den Urteilsspruch der römischen Oberherren dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß er einen Teil seines Kreuzes durch die Stadt an seinen Hinrichtungsort schleppte. "Sein Kreuz auf sich nehmen" war also ein öffentliches Zeichen der Unterwerfung bzw. des Gehorsams gegenüber einer Autorität, gegen die man sich zuvor aufgelehnt hatte.

Jesu Unterwerfung unter den Willen Gottes war die richtige Antwort auf den Anspruch Gottes, dem er Vorrang vor den Ansprüchen des Selbst einräumte. Für ihn bedeutete das den Tod am Kreuz. Die, die ihm folgen, müssen ihr (nicht sein) Kreuz auf sich nehmen - was auch immer Gott ihnen als Nachfolger Jesu auferlegen wird. Das bedeutet nicht zwangsläufig, daß man leiden muß, wie er es tat, oder gekreuzigt werden wird, noch ist damit einfach gemeint, daß man den Mühseligkeiten des Lebens mit stoischem Gleichmut begegnen soll. Nachfolge äußert sich vielmehr im Gehorsam gegenüber Gottes Willen, wie er in seinem Wort offenbart ist, und als vorbehaltloses Akzeptieren der Folgen dieses Gehorsams um Jesu und des Evangeliums willen (vgl. Mk 8,35 ). Für manche bedeutet das, wie die Geschichte gezeigt hat, allerdings auch körperliches Leiden und sogar den Tod (vgl. Mk 10,38-39 ).

In Jesu Worten folge mir nach steckt ein Imperativ Präsens: "(So) laßt ihn mir immer weiter nachfolgen" (vgl. Mk 1,17-18;2,14;10,21.52 b; vgl. "täglich" bei Lk 9,23 ). "Nein" zum Selbst und "Ja" zu Gott sagen heißt, alles unter dem Aspekt der Nachfolge Jesu zu tun (vgl. Röm 13,14; Phil 3,7-11 ).



Mk 8,35


Die Verse 35 - 38 beginnen alle mit dem erklärenden griechischen Wörtchen gar ( denn ). Sie erläutern die Bedingungen, von denen Jesus in Vers 34 sprach, und kreisen um den Eintritt in die Nachfolge, das Aufgeben der alten Bindungen an das Leben (die Masse) und die neue Verpflichtung als Jünger Jesu.

Paradoxerweise wird ein Mensch, der sein Leben ( psychEn ; "Seele, Leben") erhalten (von zOzO , "bewahren") will, es verlieren - er wird nicht in das ewige Leben eingehen. Wer jedoch sein Leben um Jesu und um des Evangeliums willen verliert (wörtlich: "verlieren wird"; vgl. Mk 1,1 ), d er wird's erhalten ; er wird das ewige Leben besitzen (vgl. den Kommentar zu Mk 10,26-27;13,13 ).

Hier handelt es sich um ein Wortspiel mit den Begriffen "Verlieren" und "Leben" ( psychE ). Das griechische Wort psychE bezeichnet einerseits das natürliche Leben des Menschen, zugleich aber auch das wahre Selbst, den Kern der Person, der die irdische Existenz transzendiert (vgl. Mk 8,36; Mt 10,28; TDNT, " psychE ", 9,642-4). Wer also in dieser Welt ein ganz auf sich selbst konzentriertes Leben führen will und Jesu Bedingungen ablehnt ( Mk 8,35 ), wird sein ewiges Leben verlieren. Umgekehrt wird ein Mensch, der in der Treue zu Jesus und zum Evangelium (vgl. Mk 10,29 ) sein Leben "verliert" (es Jesus übergibt, "sich selbst verleugnet"; gegebenenfalls bis hin zum physischen Tod), weil er seine Bedingungen akzeptiert ( Mk 8,34 ), es für ewig bewahren. Als Nachfolger Jesu ist er ein Erbe des ewigen Lebens bei Gott (vgl. Mk 10,29-30; Röm 8,16-17 ).



Mk 8,36-37


Um das Paradoxon von Vers 35 noch plastischer hervorzuheben und die überrragende Bedeutung des ewigen Lebens begreiflich zu machen, konfrontierte Jesus seine Zuhörer mit eindringlichen rhetorischen Fragen und bediente sich einer dem Wirtschaftsleben entlehnten Sprache.

Denn ( gar , vgl. V. 35 ) was hülfe (wörtlich: "nützte") es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne - alle irdischen Annehmlichkeiten und Besitztümer, wenn das möglich wäre - und nähme an seiner Seele ( psychEn ) Schaden (wörtlich: "erlitte den Verlust seiner Seele"), d. h. verlöre das ewige Leben? Die Antwort konnte hier nur lauten: "Es würde ihm überhaupt nichts nützen!" (vgl. Ps 49 ,bes. V. 16 - 20 ).

Denn ( gar ; vgl. Mk 8,36 ) was kann der Mensch geben, womit er seine Seele ( psychEs ) auslöse zum ewigen Leben mit Gott? Antwort: "Nichts", denn weil er "die Welt gewonnen hat", wird er am Ende das ewige Leben mit Gott unwiderruflich verloren haben und nichts besitzen, was ihn dafür entschädigen könnte.



Mk 8,38


Vom Aufbau her gleichen und ergänzen diese Verse Vers 35 , indem sie den Gedanken, der dort ausgesprochen ist, zu Ende denken.

Denn ( gar ; vgl. V. 35 ) wer sich Jesu und seiner Worte (vgl. Mk 13,31 ) schämt (sie verleugnet) unter diesem abtrünnigen (ungläubigen) und sündigen Geschlecht ( genea ; vgl. Mk 8,12; Mt 12,39; Jes 1,4; Hos 1,2 ), dessen wird sich auch der Menschensohn (vgl. den Kommentar zu Mk 8,31 ) schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters (sichtbar ausgestattet mit Gottes Glanz) mit den heiligen Engeln (vgl. Mk 13,26-27 ).

Ganz eindeutig sind Jesus (vgl. "ich, mein") und der Menschensohn hier ein und dieselbe Person (vgl. Mk 14,41 b. 42.62 ). Der verhüllte Hinweis auf Jesu zukünftige Rolle als Richter war an die Adresse des zuhörenden Volkes gerichtet.

Sich Jesu zu "schämen" bedeutete, ihn zu verwerfen (vgl. Mk 8,34-35 a) und aus Unglauben und Angst vor der Verachtung der Welt "diesem Geschlecht" verhaftet zu bleiben. Wenn Jesus jedoch als ehrfurchtgebietender Richter in Herrlichkeit zurückkommen wird, wird er sich weigern, die, die sich seiner geschämt haben, als sein Eigentum anzuerkennen (vgl. Mt 7,20-23; Lk 13,22-30 ), und sie werden zuschanden werden (vgl. Jes 28,16;45,20-25; Röm 9,33; 10,11; 1Pet 2,6.8 ).



Mk 9,1


Dieser Vers gibt Auskunft über jene anderen, die nicht zuschanden werden ( Mk 8,38; vgl. Mt 10,32-33; Lk 12,8-9 ), und schließt den Abschnitt über die Nachfolge ( Mk 8,34-9,1 ) mit einer Zusicherung Jesu.

Die Worte und er sprach zu ihnen (vgl. Mk 2,27 ) leiten eine Aussage Jesu in der Vollmacht des Geistes ein. Er sagte voraus, daß einige , die hier mit ihm standen und ihm zuhörten, den Tod nicht (wörtlich: "unter keinen Umständen", ou mE ) schmecken würden, bis sie das Reich Gottes in seiner ganzen Herrlichkeit sehen würden. "Den Tod schmecken" ist eine hebräische Redewendung für das Erleben des physischen Todes, der auftritt wie ein tödliches Gift, das früher oder später jeder einnehmen muß (vgl. Hebr 2,9 ).

Für die Worte sehen das Reich Gottes kommen mit Kraft wurden verschiedene Deutungen vorgeschlagen. Gemeint sein könnte: (a) Jesu Verklärung, (b) Jesu Auferstehung und Himmelfahrt, (c) die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten ( Apg 2,1-4 ) und die Ausbreitung des Christentums in der frühen Kirche, (d) die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. oder (e) die Wiederkunft Christi.

Aus dem Kontext heraus scheint die erste Erklärung am plausibelsten. Die genaue Zeitangabe in dem nachfolgenden Bericht über die Verklärung Jesu ( Mk 9,2 a) deutet darauf hin, daß Markus einen ausdrücklichen Zusammenhang zwischen der Verheißung Jesu (V. 1 ) und diesem Ereignis sah. Jesu Verklärung war ein überwältigender Vorblick und eine feste Garantie für seine Wiederkunft in Herrlichkeit (vgl. 2Pet 1,16-19 ).



4. Jesu Verklärung
(
9,2 - 13 ) ( Mt 17,1-13; Lk 9,28-36 )


a. Die Offenbarung seiner Herrlichkeit
(
9,2 - 8 )


Das Geschehen bei der Verklärung Jesu bestätigte das Bekenntnis des Petrus ( Mk 8,29 ) und erfüllte die Verheißung Jesu von Vers 1 . Es war zugleich der Auftakt der Leidensgeschichte Jesu ( Mk 14-15 ). Trotz seines unmittelbar bevorstehenden Todes ( Mk 8,31 ) versicherte Jesus seinen Jüngern auf diese Weise, daß seine Rückkehr in Herrlicheit ( Mk 8,38 b) sicher und ihr Vertrauen in ihn wohlbegründet sei ( Mk 8,34-37 ). Dem gegenwärtigen Leiden würde - für ihn und für sie - künftige Herrlichkeit folgen.



Mk 9,2-4


Die Worte nach sechs Tagen stellen eine Verbindung zwischen Jesu Verklärung und seiner Vorhersage in Vers 1 her. Das Ereignis geschah also am siebten Tag nach der Vorhersage - ein Tag, der in besonderer Weise an die Erfüllung von Verheißungen und an eine bestimmte Offenbarung erinnerte (vgl. 2Mo 24,15-16 ).

Bei Matthäus ist die zeitliche Abfolge dieselbe, während es bei Lukas heißt, daß die Verklärung "nach acht Tagen" stattfand ( Lk 9,28 ). Er geht wohl von einer anderen Zählung aus, bei der der Teil eines Tages als ganzer Tag gerechnet wurde (vgl. den Kommentar zu Lk 9,28 ).

Jesus wählte Petrus, Jakobus und Johannes aus (vgl. Mk 5,37;14,33 ) und führte sie auf einen hohen Berg, nur sie allein ( kat? idian ; vgl. Mk 4,34 ). Bei diesem Ort, der nicht näher genannt wird, handelte es sich wahrscheinlich um einen südlichen Gipfel des Hermongebirges (etwa 2800 Meter hoch), ungefähr 20 Kilometer nordöstlich von Cäsarea Philippi (vgl. Mk 8,27;9,30.33 ), und wohl nicht um den Tabor im Süden Galiläas. Auf einem solchen "hohen Berg", nämlich auf dem Sinai (Horeb, vgl. 2Mo 24,12-18; 1Kö 19,8-18 ), hatte sich Gott einst Mose und Elia offenbart; ein "hoher Berg" war also ein Ort, an dem sich Gott den Menschen gezeigt hatte.

Hier nun wurde Jesus vor den Augen dreier seiner Jünger verklärt (vgl. 2Pet 1,16 ). "Verklärt" ( metemorphOthE ; vgl. "Metamorphose") heißt, "in eine andere Gestalt verwandelt", nicht nur eine Veränderung der äußeren Erscheinung (vgl. Röm 12,2; 2Kor 3,18 ). Für kurze Zeit war Jesu menschlicher Körper verwandelt (verherrlicht), und die Jünger sahen ihn, wie er sein wird, wenn er, für alle sichtbar, in Macht und Herrlichkeit zurückkehren wird, um sein Reich auf Erden zu errichten (vgl. Apg 15,14-18; 1Kor 15,20-28; Offb 1,14-16;19,15-16; Offb 20,4-6 ). Das zeigte sich sehr anschaulich in dem überirdisch leuchtenden Weiß seiner Kleider - ein Detail, das nur von Markus erwähnt wird und wahrscheinlich auf den Augenzeugenbericht des Petrus zurückgeht.

Zwei bedeutende Männer aus dem Alten Testament, Elia und Mose , erschienen auf wunderbare Weise und redeten mit Jesus (vgl. Lk 9,30 ). Daß Markus Elia zuerst erwähnt, liegt wahrscheinlich daran, daß er für seinen Kontext besonders wichtig ist (vgl. Mk 8,28;9,11-13 ). Mose, in der Rolle des Befreiers und Gesetzgebers des Volkes Israel, repräsentierte das Gesetz. Elia, der Verteidiger des rechten Gottesdienstes und der zukünftige Wiederhersteller aller Dinge ( Mal 3,23-24 ), repräsentierte die Propheten. Beide waren wichtige Mittler zwischen Gott und seinem Volk (vgl. 2Mo 3,6;4,16;7,1; 5Mo 18,15-18; 1Kö 19,13; Apg 7,35 ), und ihre Anwesenheit war eine Bestätigung der Messianität Jesu.



Mk 9,5-6


Die impulsive Reaktion von Petrus, der im ersten Eifer den hebräischen Titel Rabbi (vgl. Mk 11,21;14,45; vgl. auch "Meister" in Mk 4,38;9,17;10,35; Mk 13,1 ) benutzte, zeigt, daß er wieder einmal das Geschehen nicht verstand. Er meinte, hier sei für sie alle gut sein - vielleicht weil er das wunderbare Erlebnis verlängern wollte. Darauf deutet jedenfalls seine Idee, an dieser Stelle drei Hütten (Zelte für Zusammenkünfte, Bretterhütten; vgl. 3Mo 23,33-43 ) zu zimmern, eine für Jesus, eine für Mose und eine für Elia. Anscheinend hielt er alle drei für gleich hochgestellt. Da Petrus offensichtlich dachte, das Gottesreich sei bereits angebrochen, fand er es angebracht, Hütten für das Laubhüttenfest zu bauen ( Sach 14,16 ). Bewußt oder unbewußt widersetzte er sich damit erneut (vgl. 8,32 ) dem Leiden, das nach Jesu Worten der Herrlichkeit voranging.

Markus merkt daher erklärend ( gar , "denn") an, daß Petrus, der Sprecher der Jünger, nur deshalb so unangemessen reagierte, weil ( gar ) sie von dieser verwirrenden Zurschaustellung übernatürlicher Herrlichkeit ganz verstört waren ( ekphoboi , "entsetzt", ein sehr ausdrucksstarkes Adjektiv, das nur hier und in Hebr 12,21 steht, wo es mit "erschrocken" übersetzt ist; vgl. das Verb phobeomai , "sich fürchten", in Mk 4,41;16,8 ).


Mk 9,7-8


Die Antwort Gottes auf Petrus' Vorschlag offenbarte dagegen die eigentliche Bedeutung der Verklärung Jesu. Die Wolke , die sie (Jesus, Elia und Mose) überschattete , zeigte, daß Gott selbst zugegen war (vgl. 2Mo 16,10;19,9 ), und plötzlich geschah eine Stimme aus ihr . Abermals, wie bereits bei der Taufe Jesu, bekannte der Vater sich uneingeschränkt zu seinem geliebten Sohn (vgl. den Kommentar zu Mk 1,11 ). Jesu Stellung als Sohn erhebt ihn über alle Menschen, auch über Mose und Elia.

Den sollt ihr hören (Imperativ Präsens) heißt eigentlich: "Ihm sollt ihr gehorchen", und spielt damit auf die Verheißung in 5Mo 18,15 (vgl. auch 5Mo 18,19.22 ) an. Hier dient es zur Identifizierung Jesu als des neuen und endgültigen Mittlers der Herrschaft Gottes in ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Form (vgl. Ps 2,4-7; 2Pet 1,16-19 ). Er war der Nachfolger von Mose und Elia, die plötzlich wieder verschwanden, so daß nur Jesus allein zurückblieb. Ihre Aufgabe war erfüllt, und ein anderer war an ihre Stelle getreten. Jesus, nicht Mose oder Elia, war jetzt Gottes bevollmächtigter Herrscher und Sprecher.



b. Sein Gebot zu schweigen
(
9,9 - 10 )


Mk 9,9


Während des Abstiegs vom Berg gebot Jesus den drei Jüngern, über das, was sie gesehen hatten , bis nach seiner Auferstehung Stillschweigen zu bewahren. Auch zu diesem Zeitpunkt hatten sie seinen messianischen Auftrag noch nicht begriffen ( Mk 8,29-33; vgl. Mk 9,5-6.10; und den Kommentar zu Mk 8,30 ). Dies war das letzte Mal im Markusevangelium, daß Jesus von seinen Begleitern Schweigen verlangte, und das einzige, bei dem er sein Gebot zeitlich begrenzte. Damit war klar, daß dieser Zeit des Schweigens eine Zeit der Verkündigung folgen würde ( Mk 13,10;14,9 ). Erst von der Auferstehung her würden die Jünger das Ereignis der Verklärung richtig verstehen und in der Lage sein, seine Bedeutung richtig zu verkündigen.



Mk 9,10


Jesu Gebot hatte die drei Jünger völlig verwirrt. Sie befragten sich untereinander: Was ist das, auferstehen von den Toten? Sie glaubten zwar an eine Auferstehung in der Zukunft, waren jedoch verstört über die unerwartete Ankündigung von Jesu offensichtlich nahe bevorstehendem Tod und seiner dann kurz darauf erfolgenden Auferstehung.



c. Die Erklärung Jesu zur Person des Elia
( Mk 9,11-13 )


Mk 9,11


Elias Anwesenheit bei der Verklärung (V. 4 ), die eindeutige Bestätigung Jesu als Messias ( Mk 8,29;9,7 ) und seine Anspielung auf die Auferstehung (V. 9 ) brachten die Jünger auf den Gedanken, daß das Ende aller Dinge nahe war. Doch wenn dem tatsächlich so war, wo war dann Elia , der doch zuvor kommen mußte, um das Volk auf das Kommen des Messias vorzubereiten (vgl. Mal 3,1-4.23-24 )? Vielleicht dachten die Jünger, daß Elias Werk der Erneuerung bewirken würde, daß der Messias nicht leiden mußte.



Mk 9,12-13


Daraufhin stellte Jesus zwei Dinge klar. Er gab ihnen darin recht, daß Elia tatsächlich zuvor (vor dem Messias) kommen (wörtlich: "kommt") und alles durch eine geistliche Erneuerung wieder zurechtbringen soll ( Mal 3,23-24 ). Doch das hob nicht die Notwendigkeit auf, daß der Menschensohn viel leiden und verachtet werden mußte (vgl. Ps 22; Jes 53 ,bes. V. 3 ).

Aber (im Griechischen ein sehr starker Gegensatz) Jesus erklärte ihnen auch, daß Elia bereits gekommen war . In verhüllter Form deutet Markus hier an, daß Jesus Johannes den Täufer als denjenigen identifizierte, der bei seinem ersten Kommen die Aufgabe, die in der Endzeit Elia haben wird, erfüllte (vgl. Mk 1,2-8; Mt 17,13; Lk 1,17 ). Damit erkannte Jesus Johannes eine Bedeutung zu, die nicht einmal diesem selbst ganz klar gewesen war (vgl. Joh 1,21; Kommentar zu Mt 11,14 ).

Die Formulierung sie haben ihm angetan, was sie wollten ist ein Ausdruck für das erbarmungslose und willkürliche Verhalten von Herodes Antipas und Herodias, das Johannes zu erdulden hatte und das schließlich zu seiner Ermordung führte (vgl. Mk 6,14-29 ). In ganz ähnlicher Weise war Elia von Ahab und Isebel verfolgt worden (vgl. 1Kö 19,1-3.10 ). Was Elia und Johannes zugestoßen war, würden Gott feindlich gesonnene Menschen nun auch Jesus antun.

In Johannes dem Täufer erfüllte sich die Elia-Prophezeiung ( Mal 3,23-24 ) bei Christi erstem Kommen. Vor seinem zweiten Kommen aber wird nach der Prophezeiung Maleachis ( Mal 3,23-24 ) Elia selbst erscheinen (vgl. Offb 11 ).



5. Die Heilung eines besessenen Knaben
(
9,14 - 29 ) ( Mt 17,14-21; Lk 9,37-43 )


Diese Episode tiefsten menschlichen Leides, in dem die Jünger versagten, steht in schroffem Gegensatz zu der vorausgegangenen Herrlichkeit der Verklärung. In ihr zeigt sich mit voller Härte die Realität des Lebens, wie es sein würde, wenn Jesus nicht mehr da war.

Die Jünger, von denen die Menschen eigentlich Hilfe erwarten durften (vgl. Mk 6,7 ), erwiesen sich als machtlos. Den Schlüssel zum Verständnis des Vorfalls liefert Mk 9,28-29 : In Jesu Abwesenheit sind die Jünger wie alle Menschen darauf angewiesen, aus dem Glauben an Gott heraus, wie er im Gebet zum Ausdruck kommt, zu leben und zu arbeiten. Die Ausführlichkeit des Markustextes an dieser Stelle (im Gegensatz zu Matthäus und Lukas) und die Lebendigkeit des ganzen Berichtes deuten wieder einmal darauf hin, daß hier der Augenzeuge Petrus zu Wort kommt.



Mk 9,14-15


Als Jesus und die drei Jünger (vgl. V. 2 ) zu den übrigen neun zurückkehrten, sahen sie eine große Menge um sie herum und Schriftgelehrte, die mit ihnen stritten . Worum es in diesem Streit ging, wird nicht berichtet.

Sobald ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) die Menge jedoch Jesus sah, war sie höchst überrascht ( exethambEthEsan , "erschrocken"; vgl. Mk 14,33;16,5-6 ), und alle liefen herbei und grüßten ihn . Ihr Erstaunen war nicht etwa auf einen "Nachglanz" der Verklärung an der Person Jesu zurückzuführen (vgl. Mk 9,3 ), sondern einzig und allein auf sein unerwartetes, wenn auch höchst willkommenes Auftauchen in ihrer Mitte.



Mk 9,16-18


Jesus fragte die neun Jünger, um was sie stritten , woraufhin einer aus der Menge, der Vater eines von einem Dämon besessenen Jungen, ihm die Situation erklärte. Er sprach Jesus voller Respekt mit Meister (vgl. V. 5 ) an und erzählte ihm, daß er seinen Sohn hergebracht habe, um ihn von Jesus heilen zu lassen. Der Junge war von einem Geist besessen (vgl. den Kommentar zu Mk 1,23-24 ), der ihn sprachlos machte (und taub; vgl. Mk 9,25 ). Außerdem plagte er ihn häufig mit heftigen, epilepsieartigen Krampfanfällen. An den verschiedenen Versuchen des Dämons, den Jungen zu zerstören (vgl. V. 18.21-22.26 ), wird erneut deutlich, worauf eine solche dämonische Besessenheit abzielt (vgl. den Kommentar zu Mk 5,1-5 ).

Es war völlig berechtigt, daß der leidgeprüfte Vater sich, da Jesus nicht da war, an die Jünger wandte und sie bat, den Dämon auszutreiben, denn Jesus hatte ihnen die Vollmacht über böse Geister gegeben (vgl. Mk 6,7 ).



Mk 9,19


Tief betroffen über ihr Unvermögen wandte sich Jesus an die Menge, besonders jedoch an die Jünger (vgl. Mk 3,5;8,12 ). Sein Ausruf o du ungläubiges Geschlecht wirft ein Licht auf die grundlegende Ursache alles geistlichen Versagens - den mangelnden Glauben an Gott (vgl. Mk 9,23;10,27 ). In den anschließenden rhetorischen Fragen spiegelt sich dann Jesu ganzer Unmut über die spirituelle Stumpfheit der Jünger (vgl. Mk 4,40;6,50-52;8,17-21 ). Doch er wollte seine Macht zeigen, wo sie versagt hatten, und befahl: "Bringt den Jungen her zu mir!"



Mk 9,20-24


Als der Geist Jesus sah, erlitt der Junge sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) einen so heftigen Anfall, daß er vollkommen hilflos war (vgl. Mk 9,18 ).

Auf Jesu mitleidige Frage berichtete der Vater, daß sein Sohn bereits von Kind auf unter den schweren Krämpfen litt, die ihn mehr als einmal in Lebensgefahr gebracht hatten. Er befand sich also bereits seit langer Zeit in diesem schlimmen Zustand. Die Worte wenn du aber etwas kannst zeigen, daß die Unfähigkeit der Jünger, den Dämon auszutreiben (V. 18 ), auch den Glauben des Vaters an Jesus erschüttert hatte.

Jesus nahm seine zweifelnden Worte wenn du kannst auf, um deutlich zu machen, daß es hier nicht um seine Fähigkeit, den Jungen zu heilen, ging, sondern um die Fähigkeit des Vaters, auf Gott zu vertrauen, der tun kann, was den Menschen unmöglich ist (vgl. Mk 10,27 ). Er forderte den Vater des Jungen auf, nicht zu zweifeln: alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt (vgl. Mk 9,29 ). Der Glaube setzt Gottes Macht keine Grenzen und unterwirft sich seinem Willen (vgl. Mk 14,35-36; 1Joh 5,4-15 ).

Die Antwort des Vaters kam sogleich ( euthys ). Er beteuerte seinen Glauben ( ich glaube ), doch er bekannte auch seine Schwäche: Hilf meinem Unglauben! Hier wird ein wesentliches Merkmal des christlichen Glaubens deutlich: er ist nur möglich mit der Hilfe dessen, auf den er sich richtet.



Mk 9,25-27


Als nun Jesus sah, daß das neugierige Volk herbeilief (anscheinend hatte die Menge sich kurz zurückgezogen), bedrohte er den unreinen (vgl. Mk 1,23.34 ) Geist und sprach zu ihm: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein!

Mit einem letzten Ausbruch der Gewalt gegenüber seinem Opfer und einem Wutschrei (vgl. Mk 1,26 ) entfloh der Dämon. Der Knabe lag in äußerster Erschöpfung wie tot da, so daß die Menge sagte: Er ist tot. Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf . Daß Markus hier die gleichen Worte gebraucht wie bei der Auferweckung der Tochter des Jarus (vgl. Mk 5,39-42 ) legt die Annahme nahe, daß das Entkommen aus der Macht des Satans wie der Übergang vom Tod zum Leben ist. Um das ein für allemal und unwiderruflich festzuhalten, war es nötig, daß Jesus selbst starb und auferstand.

 

Mk 9,28-29


Diese Verse beschließen den Zwischenfall und erklären, warum es den Jüngern nicht gelungen war, den Dämon auszutreiben. Als Jesus heimkam (wörtlich: "ins Haus", vgl. Mk 7,17; der Ort wird nicht näher genannt), fragten ihn seine Jünger für sich allein ( kat? idian ; vgl. Mk 4,34 ), warum sie den Dämon nicht hatten austreiben können.

Jesus antwortete ihnen, diese Art - womit er wohl eher böse Geister im allgemeinen und nicht einen besonderen Typus von Dämon meinte - kann durch nichts ausfahren als durch Beten. Die Jünger hatten versagt, weil sie sich nicht vertrauensvoll im Gebet an die Macht Gottes gewandt hatten. Offensichtlich hatten sie sich auf ihre früheren Erfolge verlassen (vgl. Mk 6,7.13 ) und waren deshalb gescheitert.

In nahezu allen wichtigeren griechischen Handschriften steht am Ende dieses Verses "Beten und Fasten ". Vielleicht wurden diese Worte der schriftlichen Überlieferung schon früh von den Schriftgelehrten hinzugefügt, die einer asketischen Auffassung des Christentums das Wort reden wollten. Wenn sie jedoch authentisch sind, beziehen sie sich auf die Praxis, die Aufmerksamkeit, wenn man etwas Bestimmtes erreichen will, für eine begrenzte Zeit ausschließlicher als sonst auf Gott zu richten.



B. Die zweite Leidensankündigung
(
9,30 - 10,31 )


1. Jesu zweite Vorhersage seines Todes und seiner Auferstehung
(
9,30 - 31 ) ( Mt 17,22-23 a; Lk 9,43 b- 44 )


Mk 9,30-31


Jesus und seine Jünger gingen von dort weg (vgl. V. 14.28 , vermutlich von einem Ort in der Nähe von Cäsarea Philippi) und zogen durch das nordöstliche Galiläa (vgl. Mk 1,9 ) nach Kapernaum ( Mk 9,33 ). Es war die erste Etappe ihrer letzten Reise nach Süden, nach Jerusalem. Jesus wollte nicht, daß jemand von ihrer Route wissen sollte, denn sein öffentliches Wirken in Galiläa war nun beendet, und er wollte sich jetzt ganz seinen Jüngern widmen und sie auf ihre zukünftige Aufgabe vorbereiten.

Sein Hauptthema auf dieser Reise war sein bevorstehender Tod. Er erklärte den Jüngern, daß er, der Menschensohn (vgl. Mk 8,31 ), in die Hände der Juden und der Heiden überantwortet werden würde. "Überantwortet" ( paradidotai ) bedeutet "ausgeliefert" oder "übergeben". Der Begriff wird im Zusammenhang mit dem Verrat des Judas an Jesus ( Mk 3,19;14,41; Lk 24,7 ) und auch für die Auslieferung Jesu an den Tod durch Gott zur Erlösung der Sünder ( Jes 53,6.12; Apg 2,23; Röm 8,32 ) benutzt. Hier steht wahrscheinlich die letztere Vorstellung im Vordergrund, vorausgesetzt, daß das implizite Subjekt des passivischen Verbs Gott, und nicht Judas, ist.

 

2. Das mangelnde Verständnis der Jünger
(
9,32 ) ( Mt 17,23 b; Lk 9,45 )


Mk 9,32


Die Jünger verstanden das Wort nicht (vgl. V. 10 ) und fürchteten sich , ihn weiter zu fragen. Vielleicht erinnerten sie sich an Jesu Verweis gegenüber Petrus ( Mk 8,33 ) oder, was wahrscheinlicher ist, sie befürchteten, weitere Erklärungen würden all ihre Hoffnungen, daß der Messias die Herrschaft antreten werde, zunichte machen.



3. Die Bedeutung der Nachfolge
(
9,33 - 10,31 )


Dieser Abschnitt spielt an zwei verschiedenen Orten. Zunächst wird von der Unterweisung der Jünger in einem Haus in Kapernaum in Galiläa berichtet ( Mk 9,33-50 ). Dann treffen wir Jesus sowohl öffentlich als auch im kleinen Kreis lehrend in Judäa und Peräa ( Mk 10,1-31 ).



a. Die wahre Grösse
(
9,33 - 37 ) ( Mt 18,1-5; Lk 9,46-48 )


Mk 9,33-34


Jesus und seine Jünger kamen, zum letzten Mal, nachdem sie mehrere Monate fortgewesen waren,nach Kapernaum (vgl. Mk 8,13.22.27 ). Als sie daheim (vgl. Mk 2,1-2;3,20;7,17 ) waren, fragte Jesus sie, worüber sie auf dem Weg ( en tE hodO ; vgl. den Kommentar zu Mk 1,2 ) gesprochen hätten. Wieder bildete eine Frage von ihm die Einleitung für eine bestimmte Aussage (vgl. Mk 8,27.29 ).

Die Jünger schämten sich zuzugeben, daß sie miteinander darüber verhandelt hatten, wer der Größte unter ihnen sei . Derartige Fragen nach dem Rang des einzelnen waren für die Juden sehr wichtig (vgl. Lk 14,7-10 ), daher war es ganz natürlich, daß auch die Jünger darüber nachdachten, welche Stellung sie in dem kommenden messianischen Reich einnehmen würden. Die Vorrechte, die Petrus, Jakobus und Johannes eingeräumt worden waren (vgl. Mk 5,37;9,2 ), hatten die Diskussion vielleicht etwas angeheizt; doch was auch immer der Anlaß war, der Streit der Jünger zeigte, daß die Zwölf die Bedeutung der Leidensankündigung Jesu (V. 31 ) für sie selbst weder verstanden noch akzeptiert hatten.



Mk 9,35


Nachdem Jesus sich gesetzt hatte - die traditionelle Pose eines jüdischen Lehrers (vgl. Mt 5,1; Mk 13,1 ) -, rief er die Zwölf zu sich. Er lehrte sie das Wesen wahrer Größe: Wenn jemand will (vgl. Mk 8,34 ) der Erste sein , also die höchste Stellung unter den "Großen" im Gottesreich innehaben will, der soll (aus freiem Willen und Entschluß) der Letzte sein von allen und aller Diener . Der Begriff "Diener" ( diakonos ) versinnbildlicht hier eine Person, die die Nöte und Bedürfnisse anderer freiwillig lindert und nicht, weil sie in einer dienenden Position ( doulos , Sklave) ist. Jesus verurteilte damit nicht den Wunsch, eine bessere Stellung im Leben zu erringen, machte aber deutlich, daß Größe in seinem Reich nicht eine Frage des Status, sondern des Dienens ist (vgl. Mk 10,43-45 ).



Mk 9,36-37


Um anschaulich zu machen, was mit diesem Dienen gemeint war, nahm Jesus ein Kind aus dem Haus (vgl. V. 33 , vielleicht ein Kind von Petrus) und stellte es mitten unter sie . Ein "Knecht aller zu sein" hieß auch, einem Kind, dem geringsten (vgl. "der Letzte", V. 35 ) Mitglied eines Haushalts in der jüdischen und auch in der griechisch-römischen Gesellschaft, in der erst das reife Erwachsenenalter geschätzt wurde (vgl. TDNT, pais , 5,639-52), seine Aufmerksamkeit zu schenken.

Jesus herzte das Kind (vgl. Mk 10,13-16 ). Ein solches Kind , das den geringsten der Jünger darstellte (vgl. Mk 9,42 ), in Jesu Namen (um seinetwillen) aufzunehmen - das heißt, ihm zu dienen oder Freundlichkeit zu zeigen - ist genauso, als nähme man Jesus selbst auf (vgl. Mt 25,40 und den Kommentar zu Mk 6,7 ), und nicht nur ihn, sondern in ihm auch seinen himmlischen Vater, der ihn auf die Erde gesandt hat (vgl. Joh 3,17;8,42 ). Damit verlieh Jesus der Aufgabe des Dienstes füreinander eine große Würde.



b. Die Ablehnung des Sektierertums
(
9,38 - 42 ) ( Lk 9,49-50 )


Mk 9,38


Jesu Worte (V. 37 ) veranlaßten Johannes (vgl. Mk 3,17;5,37;9,2 ), der ihn mit Meister (vgl. Mk 4,38;9,5 ) anredete, ihm von einem Versuch der Jünger zu berichten, einen anonymen Exorzisten davon abzuhalten, in Jesu Namen böse Geister auszutreiben (vgl. den Kommentar zu Mk 1,23-28;5,7 ). Sie hatten das getan, weil er keiner der ihren war und ihnen nicht nachfolgte . Er war zwar ein Jünger, doch er gehörte nicht zu den Zwölfen, die von Jesus den Auftrag, Dämonen auszutreiben, erhalten hatten (vgl. Mk 6,7.13 ). Nicht, daß der Mann Jesu Namen mißbrauchte, ärgerte sie (wie in Apg 19,13-16 ), sondern sie nahmen Anstoß daran, daß er Jesu Namen ohne "offizielle" Erlaubnis benutzte. Darüber hinaus war er (im Gegensatz zu den Neunen; Mk 9,14-18 ) auch noch erfolgreich, was sie ihm zusätzlich übelnahmen. Dieser Zwischenfall war ein Beispiel für den engherzigen Ausschließlichkeitsanspruch der Zwölf.

 

Mk 9,39-40


Jesus dagegen verbot ihnen, den Exorzisten weiterhin in seiner Arbeit zu behindern, denn niemand, der in seinem Namen ein Wunder ( dynamin ; eine mächtige "Tat") tut , dreht sich anschließend um und redet schlecht über Jesus.

Er bekräftigte seine tolerante Haltung gegenüber dem Mann mit dem Satz: "Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns." (Vgl. die Umkehrung dieses Wortes bei Mt 12,30 .) Die Formulierungen "gegen uns" und "für uns" lassen keinen Raum für Neutralität. Wenn jemand für Jesus, d. h. in seinem Namen (vgl. Mk 9,38 ), arbeitet, kann er nicht gleichzeitig gegen ihn arbeiten. Obwohl dieser Mann Jesus nicht auf dieselbe Weise nachfolgte wie die Jünger, war seine Nachfolge doch wahrhaftig und gegen den Satan gerichtet.



Mk 9,41


Mit einer feierlichen Versicherung ( wahrlich, ich sage euch ; vgl. Mk 3,28 ) dehnte Jesus die Bedeutung des Gesagten ( Mk 9,39-40 ) auch auf andere Bereiche aus. Wer auch nur die kleinste Geste der Gastfreundschaft in Jesu Namen erweist (vgl. V. 37 ), wie jemandem einen Becher Wasser zu reichen, weil er Christus angehört , dem wird es auf keinen Fall ( ou mE , eine betonte Verneinung) unvergolten bleiben . Er wird am Ende dafür entschädigt werden und in das Gottesreich eingehen (vgl. V. 47 ; Mk 10,29-30 ), nicht aufgrund seiner Verdienste, sondern weil Gott denen, die an ihn glauben, gnädig ist (vgl. Lk 12,31-32 ). Jesus gebrauchte hier ausnahmsweise den Titel "Christus" statt "Menschensohn", der in den synoptischen Evangelien sonst sehr selten vorkommt.



Mk 9,42


Dieser Vers schließt den in Vers 35 - 41 behandelten Gedankengang ab und bildet die Überleitung zu den Versen 43 - 50 . Jesus warnte streng davor, einen Menschen absichtlich vom Glauben an ihn abzubringen. Die Strafe für jemanden, der einen dieser Kleinen ("geringe" Jünger, auch Kinder, die noch unreif im Glauben sind; vgl. V. 37 ), die an Jesus glauben, zum Abfall verführt , würde so schwer sein, daß es besser für ihn wäre, wenn ihm zuvor ein Mühlstein an den Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde .

Das Verb "zum Abfall verführen" ( skandalisE ; vgl. V. 43 ) muß vom Blickpunkt des zukünftigen Gerichts her verstanden werden (vgl. V. 43 - 48 ). Es umschreibt hier den Tatbestand, daß ein Jünger dem Glauben abspenstig gemacht oder zum Abfall verleitet wird und dadurch ernsthaften geistlichen Schaden nimmt. Der naive Glaube jenes Exorzisten (V. 38 ) oder irgendeines anderen, der in Jesu Namen handelt (V. 41 ), sollte Ermutigung erfahren und nicht durch rücksichtslose Kritik oder voreingenommenes Sektierertum zerstört werden.

Bei dem großen Mühlstein ( mylos onikos , wörtlich: "Esel-Mühlstein") handelte es sich um einen schweren, flachen, von einem Esel gedrehten Stein, mit dem Korn gemahlen wurde; daneben gab es einen kleinen Handmühlstein, den die Frauen benutzten ( mylos ; Mt 24,41 ). Die Strafe des Ertränkens mit einem Mühlstein um den Hals war den Jüngern zweifellos vertraut (vgl. Josephus, Ant. 14. 15. 10).



c. Der Fallstrick der Sünde und die radikalen Bedingungen der Nachfolge
(
9,43 - 50 ) ( Mt 18,7-9 )


Mk 9,43-48


Die harten Worte dieser Passage sind eine strenge Mahnung an die Jünger, sich nicht selbst vom rechten Weg abbringen zu lassen. Jesus unterstrich die harten Anforderungen der Nachfolge (vgl. Mk 8,34-38;10,24-31 ) durch übersteigerte Bilder (vgl. TDNT, "melos" , 4,559-61).

Wenn ( ean , "wann immer"; ein Ausdruck für eine reale Möglichkeit) dich aber deine Hand (das Werkzeug der inneren Neigungen; vgl. Mk 7,20-23 ) zum Abfall verführt ( skandalisE ; vgl. Mk 9,42 ), so haue sie ab! Damit wollte Jesus sagen, daß ein Jünger rasch und entschlossen gegen alles vorgehen sollte, was ihn eventuell dazu verführen konnte, seine Treue zu Jesus zu vergessen. Dasselbe gilt für den Fuß und das Auge , denn die Versuchung hat viele Gesichter. Was auch immer einen Jünger dazu bringt, sich an das Leben dieser Welt zu klammern, muß radikal entfernt werden, wie ein Chirurg ein brandig gewordenes Glied amputiert.

Es ist besser, verkrüppelt zum ewigen Leben (vgl. Mk 10,17.30 ) und in das Gottesreich ( Mk 9,47 ) einzugehen (also auf irdische Besitztümer zu verzichten), als ein Ungläubiger zu sein. Ein Ungläubiger bleibt der Welt verhaftet. Er lehnt das ewige Leben mit Gott zu Gottes Bedingungen ab und wird deshalb in die Hölle ( geennan ; V. 45.47 ) geworfen .

Das griechische Wort geenna ("Gehenna", "Hölle") ist eine Zusammensetzung aus zwei hebräischen Worten, die "Hinnom Tal" bedeuten und einen Ort südlich von Jerusalem bezeichnen, wo einst dem heidnischen Gott Baal zu Ehren Kinder geopfert wurden (vgl. 2Chr 28,3; 2Chr 33,6; Jer 7,31;19,5-6;32,35 ). Später, nach den Reformen Josias ( 2Kö 23,10 ), wurde dort ein ständiges Feuer unterhalten, um die regelmäßig anfallenden Müllberge, in denen Ungeziefer - der Wurm - nistete, zu verbrennen. In der jüdischen Vorstellung war das Bild des Feuers und des Wurmes eine sehr anschauliche Metapher für den Ort der zukünftigen ewigen Bestrafung der Bösen (vgl. das apokryphe Buch Judit 16,21 und Pred 7,17 ). Das Wort geenna kommt insgesamt zwölfmal im Neuen Testament vor und wird bis auf eine Ausnahme - Jak 3,6 - nur von Jesus verwendet.

Die Wendung in das Feuer, das nie verlöscht ist wahrscheinlich eine Umschreibung der Gehenna für die römischen Leser des Evangeliums. Der Wurm (innere Qual) und das ewige Feuer (äußere Qual; zitiert nach der LXX; Jes 66,24 ) versinnbildlichen die nie endende, die Sünder bei vollem Bewußtsein treffende Strafe, die all jene erwartet, die Gottes Erlösung ablehnen. Das Wesen der Hölle ist unaufhörliche Qual und ewiges Verstoßensein von Gott.



Mk 9,49


Dieser rätselhafte Satz, der nur bei Markus steht, ist schwer zu deuten. Über fünfzehn Erklärungsmöglichkeiten sind dazu vorgelegt worden.

Ein erklärendes "denn" ( gar ) und das Wort "Feuer" verbinden den Vers mit den Versen 43 - 48 . Jeder kann sich auf drei Dinge beziehen: 1. Auf jeden Ungläubigen, der in die Hölle eingeht. Sie werden mit Feuer gesalzen werden spielt in diesem Fall darauf an, daß Nahrung durch Salz konserviert werden kann, so wie die Sünder, von glühendem Feuer konserviert, auf ewig ihre Strafe erleiden werden. 2. Auf jeden Jünger, der in dieser feindlichen Welt lebt. Sie werden "mit Feuer gesalzen" ist dann eine Anspielung auf die alttestamentlichen Opfer, die mit Salz gewürzt wurden ( 3Mo 2,13; Hes 43,24 ). So werden die Jünger, als lebende Opfer (vgl. Röm 12,1 ), durch reinigende schwere Prüfungen (vgl. Spr 27,21; Jes 48,10; 1Pet 1,7;4,12 ) geläutert werden. Diese Prüfungen werden alles, was in ihnen nicht Gottes Willen entspricht, austilgen und das Gute bewahren. 3. Alle Menschen, die je nach ihrer Beziehung zu Jesus "mit Feuer gesalzen" werden - die Ungläubigen mit dem nie verlöschenden Feuer der ewigen Verdammnis, die Jünger mit dem läuternden Feuer der gegenwärtigen Prüfungen und Leiden. Diese letztere Erklärung scheint am plausibelsten.

 

Mk 9,50


Das Wort "Salz" verbindet diesen Vers mit Vers 49 . Das Salz ist gut , nützlich. In der alten Welt war Salz wichtig als Gewürz und Konservierungsmittel; es war lebensnotwendig und hatte daher auch wirtschaftlichen Wert.

Die Hauptquelle für Salz in Palästina war das Gebiet südwestlich des Toten Meers (Salzmeers). Das grobe, unreine Salz aus den dortigen Salinen war sehr anfällig für Verschmutzungen und verwandelte sich dann in geschmacklose, salzähnliche Kristalle. Wenn ( ean ; "wann immer"; vgl. V. 43 ) es nicht mehr salzt , also seine Würzkraft verloren hat, kann es diese Eigenschaft auch nicht mehr wiedererlangen, ist als Salz also nutzlos.

Der Ausspruch habt Salz bei euch (Imperativ Präsens) weist darauf hin,daß die Jünger ständig "gutes" Salz in sich haben müssen. Hier ist "Salz" ein Bild für das, was die Jünger von den Nicht-Jüngern unterscheidet ( Mt 5,13; Lk 14,34 ). Ein Jünger muß Jesus unter allen Umständen treu bleiben und sich stets von verderblichen Einflüssen reinhalten (vgl. Mk 9,43-48 ).

Die zweite Anweisung habt Frieden untereinander (ebenfalls Imperativ Präsens) baut auf der ersten auf und schließt den Kreis der Diskussion, die die Jünger durch ihren Streit (V. 33 - 34 ) in Gang gesetzt hatten. Jesus meinte damit: "Bleibt fest im Glauben an mich, dann werdet ihr auch in der Lage sein, untereinander Frieden zu halten, statt über euren Rang zu streiten" (vgl. Röm 12,16 a; Röm 14,19 ).



d. Von der Ehescheidung
(
10,1 - 12 ) ( Mt 19,1-12; Lk 16,18 )


Mk 10,1


Auf seiner letzten Reise nach Jerusalem verließ Jesus Kapernaum in Galiläa (vgl. Mk 9,33 ) und kam von dort in das Gebiet von Judäa , westlich des Jordan, und jenseits (östlich) des Jordan nach Peräa.

Weil er in diesen Gebieten allgemein sehr bekannt und beliebt war (vgl. Mk 3,8 ), lief das Volk abermals in Scharen bei ihm zusammen, und wie es seine Gewohnheit war, lehrte er sie abermals (vgl. Mk 1,21-22; 2,13; 4,1-2;6,2.6 b. 34; 11,17; 12,35 ). Das zweite "abermals" soll die Bedeutung des Gesagten hervorheben: Jesus nahm also sein öffentliches Wirken wieder auf (vgl. Mk 9,30-31 ).

Obwohl Jesus wohl etwa sechs Monate in Judäa und Peräa blieb und predigte, geht Markus nur auf einige der Ereignisse am Ende dieser Periode ein, die wahrscheinlich in Peräa stattfanden (vgl. Mk 10 mit Lk 18,15-19,27 ).



Mk 10,2


Eine Gruppe von Pharisäern stellte Jesus Fragen über die Ehescheidung , um ihn zu versuchen (von peirazO ; vgl. Lk 8,11;12,15 b). Sie wollten ihn zu einer Antwort veranlassen, durch die er sich selbst belastete und damit öffentlich in Mißkredit brachte. Vielleicht würde er sich in Widersprüche zu 5Mo 24,1 (vgl. Mk 10,4 ) verwickeln. Alle Pharisäer stimmten darin überein, daß dieser Abschnitt des Alten Testaments die Scheidung erlaubte, daß sie nur vom Ehemann ausgehen konnte und das Recht beinhaltete, sich wieder zu verheiraten. Über die Gründe für eine Scheidung waren sie jedoch uneins. Die strenge Haltung des Rabbi Shammai erlaubte sie nur, wenn die Frau sich unmoralisch verhalten hatte; der großzügigere Rabbi Hillel dagegen gestattete es einem Mann, sich aus nahezu jedem Grund von seiner Frau scheiden zu lassen (vgl. Mischna Gittin 9. 10). Die Pharisäer hofften nun, daß Jesus in diesem Streit Partei ergreifen und damit die Reihen seiner Anhänger spalten oder daß er Herodes Antipas beleidigen würde, wie es Johannes der Täufer getan hatte (vgl. Mk 6,17-19; Herodes hatte trotz der Vorschriften in 3Mo 18 seine Halb-Nichte Herodias geheiratet). In diesem Fall hätten sie ihn, da er sich in Peräa, einem Gebiet, das unter der Rechtsprechung des Herodes stand, aufhielt, gefangennehmen können.



Mk 10,3-4


Doch Jesu Gegenfrage schob die spitzfindige Kasuistik der rabbinischen Interpretation beiseite und führte die Pharisäer auf das Alte Testament zurück (vgl. Mk 7,9.13 ). Die Verbform geboten deutet darauf hin, daß er sie seinerseits befragte, was das mosaische Gesetz zur Ehescheidung sagte.

Ihre Entgegnung war eine knappe Rekapitulation von 5Mo 24,1-4 ,dem Grundlagentext für die Ehescheidung. Sie glaubten, daß Mose einem Mann erlaubte, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, wenn er sie vor dem Vorwurf des Ehebruchs schützte, indem er ihr vor Zeugen einen Scheidebrief ausstellte, ihn unterzeichnete und ihr aushändigte (vgl. Mischna Gittin 1. 1 - 3; 7. 2). Im alten Israel stand auf Ehebruch die Todesstrafe (vgl. 3Mo 20,10; 5Mo 22,22-25 ), wenn die Schuld ganz klar erwiesen war (vgl. 4Mo 5,11-31 ). Zur Zeit Jesu (etwa im Jahr 30 n. Chr.) war die Todesstrafe zwar bereits aufgehoben (vgl. Mt 1,19-20; TDNT, " moicheuO ", 4,730-5), doch das rabbinische Gesetz zwang einen Mann noch immer, sich von seiner ehebrecherischen Frau scheiden zu lassen (vgl. Mischna Sotah 1. 4 - 5; Gittin 4. 7).



Mk 10,5


Jesus hält dagegen, daß Mose dieses Gebot ( 5Mo 24,1-4 ) lediglich angesichts der Hartherzigkeit der Menschen und ihrer eigensinnigen Weigerung, sich Gottes Sicht der Ehe zu eigen zu machen, geschrieben habe. Mose erkannte damit zwar an, daß es in Israel die Scheidung gab, doch er führte sie weder ein noch billigte er sie.



Mk 10,6-8


Dann stellte Jesus der Auffassung der Pharisäer von der Ehe Gottes Auffassung von Beginn der Schöpfung an (Jesus zitierte sowohl 1Mo 1,27 als auch 1Mo 2,24 ) gegenüber. Gott hat sie, das erste Paar, Adam und Eva, geschaffen als Mann und Frau , einander in ihrer Verschiedenheit vollkommen ergänzend. Ein Mann soll seine Eltern verlassen und an seiner Frau hängen, und die zwei - Mann und Frau - werden ein Fleisch sein . Als "ein Fleisch" bilden sie eine neue Einheit, ein geschlechtlich vereinigtes, allumfassendes Paar, das in Gottes gegenwärtiger Schöpfungsordnung ebenso unauflöslich ist wie die Blutsverwandtschaft zwischen Eltern und Kindern.

So ( hOste , "daher, demnach") sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch . Die Ehe ist kein zeitlich begrenzter Vertrag, der nach Belieben wieder gelöst werden kann; sie ist ein Bund gegenseitiger Treue, eine lebenslängliche Einheit, die vor Gott geschlossen wird (vgl. Spr 2,16-17; Mal 2,13-16 ).



Mk 10,9


Daran schloß Jesus ein Verbot an. "Was nun Gott als ein Fleisch zusammengefügt hat (vgl. V. 6 - 8 ), soll der Mensch nicht scheiden" ( chOrizetO , Präsens; vgl. dasselbe griechische Verb in 1Kor 7,10.15 ). Der "Mensch" ( anthrOpos ; gemeint ist hier wahrscheinlich der Ehemann) muß deshalb aufhören, die ehelichen Bande durch die Scheidung zu zerreißen. Die Ehe ist eine monogame, heterosexuelle, dauernde Beziehung eines Fleisches. Damit bestätigte Jesus indirekt Johannes' des Täufers mutige Verkündigung (vgl. Mk 6,18 ) und widersprach den laschen Ansichten der Pharisäer.

 

Mk 10,10-12


Später, als die Jünger ihn daheim (vgl. Mk 7,17 ) nochmals über dieses Thema befragten, fügte er hinzu: "Wer sich scheidet ( apolysE ; "befreit"; dasselbe Wort steht auch in Mk 15,6.9.15 ) von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht ihr , der ersten Frau (vgl. 2Mo 20,14.17 ), gegenüber die Ehe." Vers 12 , ein Satz, der so nur bei Markus steht, dehnt diese Aussage auch auf eine Frau aus, die sich scheidet von ihrem Mann und einen anderen heiratet . Das war wichtig für die römischen Leser des Markusevangeliums, da nach römischem Gesetz auch eine Frau die Scheidung beantragen konnte. Obwohl die Frauen nach jüdischem Gesetz dieses Recht nicht besaßen, kam auch in Palästina manchmal eine Scheidung auf Wunsch der Frau vor (vgl. Herodias, Mk 6,17-18 ).

Die Scheidung verletzt Gottes Schöpfungsordnung, doch sie setzt sie nicht außer Kraft. Auch Jesus ließ die Möglichkeit der Scheidung im Fall von ehelicher Untreue offen, wie es das jüdische Gesetz zur Zeit des Neuen Testaments verlangte ( Mk 10,4 ). Doch er verbot eindeutig die Wiederverheiratung, die nach rabbinischem Gesetz erlaubt war (vgl. TDNT, gameO , gamos , 1,648-51; moicheuO , 4,733-5). (Viele Exegeten sind der Ansicht, daß Jesus hiervon eine Ausnahme machte. Vgl. den Kommentar zu Mt 5,32;19,1-12 .) Gottes Wunsch im Falle einer "gebrochenen" Ehe ist die Vergebung und Wiedervereinigung der beiden Partner (vgl. Hos 1-3; 1Kor 7,10-11 ).



e. Das Empfangen des Gottesreiches in kindlichem Vertrauen
(
10,13-16 ) ( Mt 19,13-15; Lk 18,15-17 )


Die Episode, von der hier die Rede ist, bildete eine Ergänzung zu Jesu Aussagen über die Ehe. Sie ereignete sich wahrscheinlich ebenfalls "daheim" (V. 10 ) und wurde in der späteren Kirchengeschichte mit der Kindertaufe in Zusammenhang gebracht, ohne daß hier allerdings ein klarer Hinweis darauf zu finden ist.



Mk 10,13


Die Leute - Mütter, Väter, ältere Kinder und andere - brachten Kinder zu ihm ( paidia , Kinder vom Säuglingsalter bis zum Alter von 10 - 12 Jahren; vgl. dasselbe Wort in Mk 5,39; in Lk 18,15 steht ein anderes Wort, brephE , das Kleinkinder und kleine Kinder bedeutet), damit er sie anrühre - eine sichtbare Geste der Segnung für ihr weiteres Leben (vgl. Mk 10,16 ). Die Jünger aber fuhren sie an (vgl. Mk 8,30.32-33 ) und versuchten, sie von Jesus fernzuhalten. Sie hielten Kinder wahrscheinlich für zu unbedeutend (vgl. Mk 9,36-37 ) und wollten nicht, daß Jesus mit ihnen seine Zeit vertue - ein weiteres Beispiel dafür, daß sie nur von ihren engen menschlichen, kulturell geprägten Kategorien her dachten (vgl. Mk 8,32-33; 9,33-38 ).



Mk 10,14


Jesus aber wurde unwillig (vgl. V. 41 ) über die Einmischung der Jünger (vgl. Mk 9,38 ). Dieses Verb, das eine starke emotionale Reaktion ausdrückt, steht nur bei Markus, der stärker als die Verfasser der anderen Evangelien auf die Gefühle Jesu eingeht (vgl. Mk 1,25.41.43;3,5;7,34;8,12;9,19 ). Jesu scharf formulierte, zweiteilige Anweisung - laßt (wörtlich: "fangt an zu erlauben") die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht (wörtlich: "hört auf, sie daran zu hindern") - war ein Verweis für die Jünger (die zuvor ihrerseits die Menschen angefahren hatten).

Jesus nahm die Kinder freundlich auf, weil das Reich Gottes , Gottes gegenwärtige geistliche Herrschaft im Leben der Menschen (vgl. den Kommentar zu Mk 1,14-15 ), solchen gehört . Alle - auch Kinder - die in kindlichem Vertrauen und kindlicher Abhängigkeit zu Jesus kommen, dürfen sich ihm nähern.



Mk 10,15


Wiederum nach einer feierlichen Einleitung (wahrlich, ich sage euch; vgl. Mk 3,28 ) entfaltete Jesus dann die in Vers 14 ausgesprochene Wahrheit: Wer das Reich Gottes nicht in der vertrauensvollen Haltung eines Kindes empfängt, der wird nicht (betonte Verneinung, ou mE ; "unter keinen Umständen") hineinkommen . Er wird von den zukünftigen Segnungen, insbesondere vom ewigen Leben, ausgeschlossen sein (vgl. V. 17.23 - 26 ). Das Gottesreich erwirbt man nicht durch Leistung oder Verdienst. Es muß in schlichtem Glauben und in dem Bewußtsein der eigenen Unfähigkeit, es zu erlangen, empfangen werden (vgl. den Kommentar zu Mk 1,15 ).



Mk 10,16


Das liebevolle Verhalten Jesu gegenüber den Kindern (vgl. Mk 9,36 ) macht in lebendiger Weise deutlich, daß er seinen Segen denen reichlich gibt, die ihn vertrauensvoll annehmen. Das ausdrucksvolle zusammengesetzte Verb kateulogei ("segnete"; Imperfekt; es steht nur an dieser Stelle im Neuen Testament) betont die warme Zuneigung, mit der Jesus jedem Kind, das zu ihm kam, seinen Segen spendete.



f. Die Gefahr des Reichtums
(
10,17 - 27 ) ( Mt 19,16-26 ); Lk 18,18-27 )


Zu diesem Zwischenfall kam es wahrscheinlich, als Jesus das Haus in Peräa, in dem er sich aufgehalten hatte, verließ (vgl. Mk 10,10 ). Der reiche Jüngling ist ein Beispiel für all jene, die nicht erkennen, daß man sich das ewige Leben nicht verdienen kann, und es auch nicht als Geschenk von Gott annehmen können (vgl. V. 13 - 16 ).



Mk 10,17


Als Jesus sich auf den Weg (vgl. den Kommentar zu Mk 8,27 ) nach Jerusalem machte ( Mk 10,32 ), kam ein einflußreicher und wohlhabender junger (vgl. Mt 19,20.22; Lk 18,18 ) Mann zu ihm. Die Art, wie er sich Jesus näherte ( er lief herbei ), die knieende Haltung, die achtungsvolle Anrede ( guter Meister , ein bei den Juden nicht üblicher Titel für einen Rabbi) und seine von echtem Bemühen zeugende Frage offenbarten seinen Ernst und seinen Respekt vor Jesus als religiösem Führer. Seine Frage zeigt, daß er das ewige Leben als etwas sah, das man durch gute Werke erringen könne (im Gegensatz zu Mk 10,15; vgl. Mt 19,16 ), und daß er sich über sein zukünftiges Schicksal in Zweifel befand. Die Hinweise auf das ewige Leben (bei Mk. nur in Mk 10,17.30 ), "das Hineinkommen in das Gottesreich" (V. 23 - 25 ) und das "Selig-Werden" (V. 26 ) konzentrieren sich alle auf den künftigen Besitz des Lebens gemeinsam mit Gott, doch der Mensch geht bereits jetzt darin ein, wenn er sich in seinem irdischen Leben Gottes Herrschaft unterwirft. Vor allem das Johannesevangelium hebt hervor, daß wir das ewige Leben schon jetzt besitzen.



Mk 10,18


Jesus wandte sich zunächst gegen die irrige Auffassung des Jünglings von "Gut-Sein" als einer Eigenschaft, die an menschlichen Leistungen gemessen werden kann. Niemand ist gut , d. h. vollkommen, als Gott allein , die wahre Quelle und der Maßstab alles Guten. Der Jüngling sollte sich selbst im Licht der Vollkommenheit Gottes sehen. Jesus verleugnete damit nicht seine eigene Gottheit, sondern wies vielmehr versteckt auf sie hin. Statt ihn ohne klare Einsicht "gut" zu nennen, sollte der junge Mann eine Ahnung von Jesu wahrer Identität vermittelt bekommen. (Er ließ das Beiwort "gut" allerdings im weiteren Verlauf des Gespräches fallen; V. 20 .)



Mk 10,19-20


Als direkte Antwort auf die Frage des jungen Mannes zitierte Jesus dann fünf Gebote der sogenannten "zweiten Tafel" des Dekalogs (vgl. 2Mo 20,12-16; 5Mo 5,16-20 ), doch in anderer Reihenfolge als sie dort aufgeführt sind. Die Befolgung dieser Gebote, die sich mit den zwischenmenschlichen Beziehungen auseinandersetzen, sind leichter an der Lebensführung eines Menschen abzulesen als der Gehorsam gegen die der ersten Tafel ( 2Mo 20,3-8 ). Das Gebot du sollst niemanden berauben steht nicht im Dekalog und taucht im Neuen Testament nur bei Markus auf; möglicherweise soll es das zehnte Gebot ( 2Mo 20,17 ) ersetzen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß es sich dabei um eine Zusammenfassung des achten und neunten Gebots ( 2Mo 20,15-16 ), bezogen auf die Situation eines begüterten Mannes (vgl. 3Mo 5,20-24; Mal 3,5 ), handelt.

Die Antwort des Mannes zeigt, daß er überzeugt war, alle diese Gebote vollständig gehalten zu haben (vgl. Phil 3,6 ) - von Jugend auf , d. h. seit seinem zwölften Lebensjahr, als er die persönliche Verantwortung übernommen hatte, das Gesetz als ein "Sohn des Gesetzes" zu halten (Bar Mizwa ; vgl. Lk 2,42-47 ). Vielleicht hatte er erwartet, daß Jesus ihm irgend etwas auferlegen würde, was er ableisten mußte, um etwaige Verfehlungen wiedergutzumachen.



Mk 10,21-22


Jesus schaute bis in die Seele des reichen Jünglings (von emblepO ; vgl. Mk 3,5 ), er sah die eigentliche Not hinter seiner Frömmigkeit und gewann ihn lieb - eine Regung, die nur bei Markus erwähnt wird (vgl. den Kommentar zu Mk 10,14 ). Das einzige, was dem jungen Mann noch fehlte , war die bedingungslose Hingabe an Gott, denn bis jetzt war noch sein Reichtum sein Gott (V. 22 ). Er liebte seinen Besitz mehr als den wahren Gott und brach damit das erste Gebot ( 2Mo 20,3 ).

Jesus befahl ihm daher zwei Dinge: 1. Er sollte hingehen , alle seine Besitztümer verkaufen und den Erlös den Armen geben , um damit das, was ihn noch vom ewigen Leben trennte - seine Selbstgerechtigkeit und seine Liebe zum Geld - abzulegen. 2. Er sollte Jesus nach Jerusalem und bis ans Kreuz folgen (Imperativ Präsens). Der Weg zum ewigen Leben führt über die Abkehr von allem Selbstvertrauen und Vertrauen in irdische Sicherheiten hin zum bedingungslosen Vertrauen auf Jesus (vgl. Mk 10,14-15 ).

Der Jüngling ging, traurig über Jesu Anweisungen, davon . Die besondere Form der Selbstverleugnung, die Jesus von ihm verlangt hatte - alles, was er hatte, zu verkaufen -, war zwar in seiner Situation angebracht, ist jedoch keine universell gültige Vorbedingung für die Nachfolge.



Mk 10,23-25


Als Jesus den Jüngern sagte, daß es schwer sei für die Reichen, in das Reich Gottes zu kommen , waren sie entsetzt ( ethambounto , "überrascht"; vgl. Mk 1,27;10,32 ), denn im Judentum war Reichtum ein Zeichen dafür, daß jemand die Gunst Gottes genoß und damit einen Vorteil besaß und nicht etwa ein Hindernis für den Eingang in das Reich Gottes. Dies ist die einzige Stelle in den synoptischen Evangelien, an der Jesus seine Jünger als Kinder (vgl. Joh 13,33 ) anredete - ein Hinweis auf ihre geistliche Unreife.

Angesichts ihrer Überraschung wiederholte und erklärte Jesus seine Aussage nochmals. Der Zusatz "für die Reichen" fehlt in Vers 24 (ein Vers, der in diesem Wortlaut nur im Markusevangelium vorkommt). Damit bezieht er sich möglicherweise auf alle, die mit den Forderungen des Gottesreiches konfrontiert sind. Wenn man sich diesen Zusatz jedoch hinzudenkt, so erläutern die Worte einfach die schwierige Situation des reichen Jünglings und verweisen auf die Gefahr, die das Vertrauen in den eigenen Reichtum mit sich bringt.

Der humorvolle Vergleich in Vers 25 spielt auf ein jüdisches Sprichwort, das ein Ausdruck für das total Unmögliche war, an. Vergleichsweise sollte es für ein Kamel , damals das größte Tier in Palästina, leichter sein, durch ein gewöhnliches Nadelöhr (die kleinste Öffnung) zu gehen, als für einen Reichen , der sich auf seinen Reichtum verläßt, in das Reich Gottes zu kommen .



Mk 10,26-27


Diese Äußerung Jesu (V. 25 ) entsetzte ( exeplEssonto , "erstaunte, überwältigte, brachte außer sich"; vgl. Mk 1,22;6,2;7,37;11,18 ) die Jünger noch viel mehr . Sie zogen die logische Folgerung daraus: Wenn es für einen Reichen unmöglich ist, in das Reich Gottes zu kommen, wer kann dann selig werden? (gerettet werden für das ewige Leben; vgl. Mk 10,17.30 ).

Jesus beruhigte sie jedoch mit der Erklärung, daß die Rettung zwar bei den Menschen unmöglich sei - außerhalb ihrer menschlichen Verdienste und Leistungen liege - nicht jedoch bei Gott. In seiner Macht steht es, sie zu retten: denn bei Gott sind alle Dinge , die nötig sind, um die Menschen - arme und auch reiche - zu retten, möglich (vgl Hi 42,2 ). Was Menschen nicht bewirken können, kann und wird Gott durch seine Gnade tun (vgl. Eph 2,8-10 ).



g. Der Lohn der Nachfolge
(
10,28 - 31 ) ( Mt 19,27-30; Lk 18,28-30 )


Mk 10,28


Als Sprecher der Zwölf (vgl. Mk 8,29 ) erinnerte Petrus Jesus in ziemlich anmaßender Weise daran, daß sie (das wir ist im Griechischen betont, um den Kontrast stärker hervorzuheben), die Jünger, im Gegensatz zu dem reichen Jüngling, alles verlassen hatten, um ihm nachzufolgen (vgl. Mk 1,16-20;2,14;10,21-22 ). In dieser Feststellung schwang die Frage mit: "Wie werden wir dafür entschädigt werden?" (vgl. Mt 19,27 ) - ein weiteres Beispiel dafür, daß die Jünger sich offensichtlich im Gottesreich bestimmte äußere Ehrungen erhofften (vgl. Mk 9,33-34;10,35-37; Mt 19,28-29 ).



Mk 10,29-30


Mit einer erneuten feierlichen Bestätigung ( wahrlich, ich sage euch ; vgl. V. 15 ; Mk 3,28 ) erkannte Jesus an, daß ihre Treue zu ihm und zum Evangelium (vgl. Mk 1,1;8,35 ) ihnen den Verlust alter Bindungen gebracht hatte - sie mußten, je nach ihrer persönlichen Situation, ihr Haus , die, die sie liebten und ihren Besitz ( Äcker ) verlassen (vgl. Mk 13,11-13; Lk 9,59-62 ). Doch jedem, der diesen Bruch vollzog, versprach Jesus, daß er es hundertfach durch seine neuen Gefährten zurückerhalten werde (vgl. Mk 3,31-35; Apg 2,41-47; 1Tim 5,1-2 ), jetzt in dieser Zeit , der Zeit zwischen Jesu erstem und zweitem Kommen, und in der zukünftigen Welt , der Zeit nach Jesu Rückkehr (vom Standpunkt des Neuen Testaments aus), wo jeder die endgültige Belohnung - das ewige Leben - erhalten wird (vgl. Mk 10,17 ). In Vers 30 taucht das Wort "Vater" (vgl. V. 29 ) nicht auf, weil Gott der Vater dieser neuen, geistlichen Familie sein wird (vgl. Mk 11,25 ). Nur Markus weist realistischerweise außer auf die Belohnungen auch auf die Verfolgungen hin, die die Jünger erleiden werden. Wie Jesus später sagte ( Mk 10,43-45 ), gehört zur Nachfolge das Dienen, und zum Dienen gehört häufig auch das Leiden. Das war wichtig für die römischen Leser, an die sich Markus richtete und die unter Verfolgungen litten; es bewahrte sie vor der Versuchung, die Nachfolge Jesu einfach mit Belohnungen gleichzusetzen (vgl. V. 31 ).



Mk 10,31


Dieses "geflügelte Wort" (vgl. dieselben Worte in anderen Zusammenhängen: Mt 20,16; Lk 13,30 ) könnte Verschiedenes bedeuten: (a) eine Warnung angesichts der Überheblichkeit, die Petrus an den Tag legte ( Mk 10,28 ), (b) eine Bestätigung von Jesu Verheißungen (V. 29 - 30 ), oder, was am wahrscheinlichsten ist, (c) eine Zusammenfassung der Lehre Jesu über den dienenden Charakter der Nachfolge (vgl. Mk 9,35;10,43-45 ). Die Belohnungen im Gottesreich haben nichts mit irdischen Maßstäben wie Rang, Priorität, Dienstalter, persönlichen Verdiensten oder Opfern zu tun (vgl. Mt 20,1-16 ), sondern basieren auf der Treue zu Jesus und gläubiger Nachfolge.



C. Die dritte Leidensankündigung Jesu
(
10,32 - 45 )


1. Die dritte Ankündigung von Jesu Leiden und Auferstehung
(
10,32 - 34 ) ( Mt 20,17-19; Lk 18,31-34 )


Mk 10,32 a


Jesus und seine Jünger setzten ihren Weg hinauf durch das Jordantal (vgl. V. 1 ) n ach Jerusalem fort. An dieser Stelle erwähnt Markus zum ersten Mal ihr Reiseziel. Jesus ging ihnen , wie es sich für einen Rabbi geziemte, voran . Dieses Detail, das nur bei Markus steht, zeigt, daß Jesus die Seinen sowohl im Leid als auch im Jubel führt (dasselbe Wort ist in Mk 14,28 und Mk 16,7 mit "vor euch hingehen" übersetzt).

Seine unerschütterliche Entschlossenheit angesichts der drohenden Gefahr entsetzte ( ethambounto ; "überraschte"; vgl. Mk 10,24;1,27 ) die Jünger, und die ihm nachfolgten, fürchteten sich ( ephobounto ; vgl. Mk 4,40-41;6,50;11,18;16,8 ). Markus hatte an dieser Stelle wahrscheinlich nur eine einzige Gruppe - die Zwölf - im Blick. In Vers 46 dagegen erwähnt er auch noch die Anwesenheit einer weiteren Gruppe von Menschen.



Mk 10,32-34 (Mk 10,32b-34)


Abermals nahm Jesus die Zwölf (vgl. Mk 3,13-15 ) zu sich und fing an, ihnen zu sagen, was ihm widerfahren werde . Diese dritte Vorhersage ist die genaueste und umfassendste der drei Leidensankündigungen bei Markus (vgl. den Kommentar zu Mk 8,31;9,30-31; vgl. auch Mk 9,12 ). Dank seiner tiefen Kenntnis des Alten Testaments (vgl. Ps 22,6-8; Jes 50,6;52,13-53,12; Lk 18,31 ), und weil er das momentane religiös-politische Klima sehr wohl einschätzen konnte (vgl. Mk 8,15 ), war Jesus in der Lage, das Kommende klar vorauszusehen.

Als er die bevorstehenden Ereignisse beschrieb, gebrauchte er achtmal Verben im Futur - ein Hinweis darauf, daß das Geschilderte mit aller Bestimmtheit eintreffen würde. Neu war in diesem Zusammenhang, daß der Menschensohn (vgl. den Kommentar zu Mk 8,31 ) den Händen der jüdischen politischen und religiösen Führer, dem Hohen Rat, überantwortet werden sollte (vgl. Mk 8,31 ). Sie würden ihn zum Tode verurteilen (vgl. Mk 14,64 ) und den Heiden (den Römern) überantworten , da es dem Hohen Rat nicht erlaubt war, die Todesstrafe zu vollstrecken (vgl. Mk 15,1.9-10 ). Bevor sie ihn hinrichteten ( Mk 15,24-25 ), sollten ihn die Römer verspotten (vgl. Mk 15,18.20 ), anspeien (vgl. Mk 15,19 ) und geißeln (vgl. Mk 15,15 ) - alles Hinweise darauf, daß er die Kreuzigung erleiden würde (vgl. Mt 20,19 ). Doch die Verheißung der Auferstehung versprach Hoffnung für die Zukunft.



2. Das Wesen der Nachfolge
(
10,35 - 45 ) ( Mt 20,20-28 )


Mk 10,35-37


Jakobus und Johannes (vgl. Mk 1,19;5,37;9,2 ) traten in einer stillen Stunde zu Jesus und baten ihn, indem sie ihn als Meister (vgl. Mk 4,38;9,5 ) anredeten, um Ehrenplätze in seiner Herrlichkeit , dem messianischen Königreich, das er ihrer Meinung nach in Kürze öffentlich errichten würde (vgl. Mk 8,38;9,1-2;13,26 ). Der eine von ihnen wollte gerne zu seiner Rechten , an der höchstmöglichen Position, und der andere zu seiner Linken , an der zweithöchsten Stelle am Königshof, sitzen (Josephus, Ant. 6. 11. 9).

Im Matthäusevangelium wird berichtet, daß ihre Mutter mit ihnen kam und diese Vergünstigung für sie erbat ( Mt 20,20-21 ). Sie hieß Salome und war wahrscheinlich eine Schwester von Jesu Mutter (vgl. Mt 27,56; Mk 15,40; Joh 19,25 ). Wenn das stimmt, waren Jakobus und Johannes Cousins ersten Grades von Jesus. Vielleicht dachten sie, ihre Verwandtschaftsbeziehungen würde ihnen helfen, ihre Bitte durchzusetzen.



Mk 10,38-39


Jesus entgegnete ihnen jedoch, daß sie sich offensichtlich nicht darüber im klaren seien, was ihre ehrgeizige Bitte bedeutete. Wer einen Ehrenplatz in seiner Herrlichkeit haben wollte, würde seine Leiden teilen müssen, da das eine die Voraussetzung für das andere ist.

Jesu Frage verlangte eigentlich eine verneinende Antwort, denn die ihm bevorstehenden Leiden und sein Tod waren ganz allein an die Erfüllung seines messianischen Auftrags gebunden. Der Kelch war eine bei den Juden gebräuchliche Metapher für Freude (vgl. Ps 23,5;116,13 ) oder, wie hier, für das göttliche Gericht über die Sünde (vgl. Ps 75,7-8; Jes 51,17-23; Jer 25,15-28;49,12;51,7; Hes 23,31-34; Hab 2,16; Sach 12,2 ). Jesus wandte dieses Bild auf sich selbst an, denn er sollte den Zorn des göttlichen Gerichtes über die Sünde anstelle der Sünder tragen (vgl. Mk 10,45;14,36;15,34 ). Er würde den "Kelch" freiwillig trinken .

Das Bild der Taufe drückt etwas ganz Ähnliches aus. Vom Wasser überspült zu werden, bedeutete in der alttestamentlichen Vorstellungswelt soviel wie vom Unglück überwältigt zu werden (vgl. Hi 22,11; Ps 69,2.15; Jes 43,2 ). Das "Unglück", das Jesus bevorstand, war das Ertragen der Last des göttlichen Gerichtes über die Sünde, das unaussprechliches Leiden und schließlich den Tod über ihn bringen würde (vgl. Lk 12,50 ). Er würde von Gott getauft werden , der ihm alle diese Leiden auferlegte ( Jes 53,4 b, 11 b). Jakobus und Johannes dagegen interpretierten Jesu Antwort wohl als Beschreibung der Schlacht des Messias bei der Errichtung seines Reiches, daher ihre selbstsichere Antwort, ja, das können wir . Sie zeugte von ihrer Bereitschaft, an Jesu Seite zu kämpfen, bewies zugleich aber auch, wie wenig sie seine Worte verstanden hatten. Jesus übertrug die Bilder des Kelchs und der Taufe auf die beiden, wenn auch in einem anderen Sinn. Sie sollten seine Leiden in der Nachfolge teilen (vgl. 1Pet 4,13 ) und sogar in den Tod gehen, aber ihr Tod bedeutete nicht dasselbe wie Jesu Tod. Die Prophezeiung, die Jesus hier aussprach, bewahrheitete sich: Jakobus war der erste Apostel, der das Martyrium erlitt ( Apg 12,2 ), während Johannes viele Jahre lang verfolgt wurde, ins Exil fliehen mußte und schließlich als letzter Apostel starb (vgl. Joh 21,20-23; Offb 1,9 ).


Mk 10,40


Jesus verweigerte den beiden Jüngern ihre Bitte um Ehrenplätze in seinem künftigen Reich. Es stand nicht in seiner Macht, sie zu vergeben. Er versicherte Jakobus und Johannes jedoch, daß Gott der Vater (vgl. Mt 20,23 ) diese Plätze denen geben würde, für die sie bestimmt sind .

 

Mk 10,41-44


Als die übrigen zehn Jünger dahinterkamen, daß Jakobus und Johannes versucht hatten, sich heimlich einen bevorzugten Status zu erschleichen, w urden sie unwillig (vgl. V. 14 ) über sie . Diese eifersüchtige Reaktion zeigt, daß sie offensichtlich ähnliche ehrgeizige Gedanken hegten. Um Streitigkeiten unter den Zwölfen zu vermeiden und ihnen das Wesen wahrer Größe nochmals eindringlich vor Augen zu führen (vgl. Mk 9,33-37 ), stellte Jesus den Begriff der Größe in den Königreichen dieser Welt der Größe im Gottesreich gegenüber. Der Gegensatz besteht nicht in zwei unterschiedlichen Herrschaftsformen, sondern zwischen Herrschen (sei es nun gut oder böse) und Dienen.

Heidnische Herrscher halten ihre Völker nieder , unterdrücken ihre Untergebenen, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an und beuten sie aus. So soll es jedoch unter denen, die Jesus folgen und unter der Herrschaft Gottes stehen, nicht sein. Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein ( diakonos ); er soll also anderen freiwillig dienen. Und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht ( doulos , "Sklave") sein ; er soll also seine eigenen Rechte zugunsten aller aufgeben (vgl. den Kommentar zu Mk 9,35-37 ). Ein Jünger soll den Interessen anderer, nicht seinen eigenen dienen, und er soll es freiwillig tun und als Opfer ansehen.



Mk 10,45


Jesus selbst war das beste Beispiel für wahre Größe (im Gegensatz zu V. 42 ). Der Menschensohn (vgl. den Kommentar zu Mk 8,31 ) verbarg freiwillig seine Herrlichkeit (vgl. Mk 8,38;13,26 ) und kam als Gottes Knecht (vgl. Jes 52,13-53,12; Phil 2,6-8 ), nicht, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene (vgl. Mk 2,17;10,46-52; Lk 22,27 ). Der Höhepunkt seines Dienens war sein Tod als ein Lösegeld für viele. Er starb freiwillig, als Opfer, stellvertretend und gehorsam (vgl. den Kommentar zu Mk 15,34 ).

"Lösegeld" ( lytron ) steht außer an dieser Stelle im Neuen Testament nur noch in Mt 20,28 . Der Begriff, der soviel wie "Freikaufsumme" bedeutet, meint eine Zahlung für die Freilassung von Sklaven oder Kriegsgefangenen. Dazu gehört auch der Gedanke der Stellvertretung (vgl. TDNT, " lyo ", 4,328-35). Die Menschen sind Gefangene der Sünde und des Todes (vgl. Röm 5,12; Röm 6,20 ), aus deren Macht sie sich nicht aus eigener Kraft befreien können. Jesu stellvertretender Tod war der Preis, der sie erlöst hat (vgl. Röm 6,22; Hebr 2,14-15 ). (Vgl. die Tabelle "Neutestamentliche Worte für Erlösung".)

Die Präposition "für" ( anti ), die Markus nur an dieser Stelle benutzt, unterstreicht den stellvertretenden Charakter des Leidens Jesu. Sie bedeutet "statt, anstelle von" (vgl. Mt 2,22; Lk 11,11; 1Pet 3,9 ). Jesus gab sein Leben ( psychEn ) anstelle von vielen (vgl. Mk 14,24 ,wo hyper , "für", steht).

"Viele" ist hier in der umfassenden Bedeutung von "alle" gebraucht (vgl. Mk 1,32-34; Jes 53,11-12 ). Das Wort dient dazu, plastisch herauszuarbeiten, daß eine große Zahl von Menschen durch das eine Opfer des Erlösers gerettet wird (vgl. Röm 5,15.18-19 ). Jesu Sühnetod gilt nicht nur für sein Volk, sondern für alle Menschen (vgl. 1Tim 2,5-6 ).



D. Schluß: Der Glaube des blinden Bartimäus
(
10,46 - 52 ) ( Mt 20,29-34; Lk 18,35-43 )


Dies ist die letzte Heilungsgeschichte im Markusevangelium. Sie beschließt den wichtigen Abschnitt über die Nachfolge ( Mk 8,31-10,52 ) und ist zugleich eine ausgezeichnete Illustration für die Bedeutung des zuvor Gesagten. Sie läßt erkennen, daß die Jünger, trotz aller Mißverständnisse von ihrer Seite (vgl. Mk 8,32-33;9,32;10,35-41 ), schließlich doch noch zu voller Einsicht (d. h. zu vollem Verständnis) gelangen würden, da Jesus ihnen die Augen für all das, was aus seinem messianischen Auftrag für sie und ihn erwuchs, öffnen würde.

Die Anschaulichkeit der Darstellung (z. B. V. 50 ) legt die Annahme nahe, daß auch hier wieder die lebendige Erinnerung eines Augenzeugen wie Petrus federführend war. Die Berichte der drei synoptischen Evangelien über dieses Ereignis weichen etwas voneinander ab. Matthäus spricht von zwei blinden Männern ( Mt 20,30 ), und Lukas verlegt den Zeitpunkt des Zwischenfalls auf Jesu Ankunft in Jericho statt auf seine Abreise ( Lk 18,35 ). Vielleicht gab es tatsächlich zwei Blinde, und Markus und Lukas konzentrierten sich nur auf die Geschichte des einen, weil er sich besser artikulieren konnte oder bekannter war. Auf jeden Fall gab es zwei Jerichos - eine alte und eine neue Stadt. Die Heilungen könnten also stattgefunden haben, als die Menge das alte, israelitische Jericho verließ ( Mt 20,29; Mk 10,46 ) und in das neue, herodianische Jericho ( Lk 18,35 ) einzog. Allerdings kann man von den Belegen her nicht mit Sicherheit sagen, ob das alte Jericho zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch bewohnt war.



Jesus und seine Jünger verließen Peräa (vgl. V. 1 ), überquerten den Jordan und kamen nach Jericho in Judäa. Das Jericho der neutestamentlichen Zeit, das von Herodes dem Großen als Winterresidenz erbaut worden war, lag etwa acht Kilometer westlich des Jordan, anderthalb Kilometer südlich der alttestamentlichen Stadt ( Jos 6; 2Kö 2,4-5.15-18 ) und etwa 29 Kilometer nordöstlich von Jerusalem.

Als sie zusammen mit einer großen Menge, wahrscheinlich Pilgern, die zum Passafest nach Jerusalem unterwegs waren (vgl. Ps 42,4; Mk 14,1-2 ), wieder aus Jericho , wahrscheinlich aus der alten Stadt, weggingen, sahen sie einen blinden Bettler , Bartimäus - ein aramäischer Name, der "Sohn des Timäus" bedeutet. Nur Markus erwähnt seinen Namen, was darauf hindeutet, daß Bartimäus vielleicht in der frühen Kirche bekannt war. Er saß am Wege und bettelte, ein vertrauter Anblick in der reichen Stadt Jericho.


Mk 10,47-48


Als Bartimäus hörte, daß Jesus von Nazareth (vgl. Mk 1,24 ) an ihm vorbeiging, schrie er laut, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken,und bat Jesus immer wieder, Erbarmen mit ihm zu haben (vgl. Ps 4,2;6,3 ). Zweifellos hatte er von Jesu Heilungen gehört. Als viele ihn anfuhren (vgl. Mk 10,13 ), um ihn zum Schweigen zu bringen, schrie er nur noch viel mehr . Die Menschen betrachteten ihn wahrscheinlich einfach als lästiges Ärgernis und hatten keine Lust, den Zug von ihm aufhalten zu lassen. Oder sie hatten etwas gegen das, was er schrie.

Sohn Davids , ein Titel, der hier zum ersten Mal im Markusevangelium auftaucht, bezeichnete den Messias als Nachkommen Davids ( 1Sam 7,8-16 ) und wurde zu einem anerkannten Titel des Messias-Königs (vgl. den Kommentar zu Mk 12,35-37; vgl. auch Jes 11,1-5; Jer 23,5-6; Hes 34,23-25; Mt 1,1;9,27;12,23;15,22; Röm 1,3 ). Daß Bartimäus ihn benutzte, spricht dafür, daß er, ganz im Gegensatz zu dem blinden Unglauben der meisten Juden, ungeachtet seiner Blindheit glaubte, daß Jesus von Nazareth der Messias Israels war. Später sprach er Jesus persönlicher an (Rabbuni; Mk 10,51 ) und folgte ihm nach (vgl. V. 52 b). Da Jesus ihm nicht Schweigen gebot, darf man annehmen, daß er den Titel gelten ließ.



Mk 10,49-52 a


Jesus ignorierte Bartimäus nicht, sondern ließ ihn zu sich kommen - ein Verweis für die (zu denen vielleicht auch die Jünger gehörten), die versucht hatten, ihn am Rufen zu hindern (vgl. V. 14 ). Auch auf dem ihm vorgezeichneten Weg nach Jerusalem fand Jesus immer noch Zeit, einem Menschen, der in Not war, zu helfen (vgl. V. 43 - 45 ).

Die Menge ermutigte den Bettler: Sei getrost ( tharsei , "fasse Mut"; vgl. Mk 6,50 ), steh auf (wörtlich: "erhebe dich") ! Er ruft dich! Daraufhin warf Bartimäus seinen Mantel von sich, den er vor sich ausgebreitet hatte, um die Almosen einzusammeln, sprang auf und kam zu Jesus .

Die Frage, die Jesus dem Blinden stellte, diente nicht zu seiner Information, sondern sollte Bartimäus Mut machen, seine Bitte auszusprechen und so seinem Glauben Ausdruck zu verleihen. Bartimäus' schlichte Antwort, Rabbuni, daß ich sehend werde , zeigt denn auch sein vorbehaltloses Vertrauen in Jesu Macht. Rabbuni ist eine betonte, persönliche Anrede, die bedeutet: "Mein Herr, mein Meister" (vgl. Joh 20,16 ).

Jesus erkannte seinen Glauben: Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen ( sOken , "gerettet"). Der Glaube war das notwendige Mittel, nicht die Ursache dieser Heilung (vgl. den Kommentar zu Mk 5,34 ). Die körperliche "Rettung" des Blinden (d. h. die Erlösung von der Dunkelheit [Blindheit] zum Licht [Sehen]) war ein äußerliches Bild für seine geistliche Rettung (vgl. Ps 91,14-16; Lk 3,4-6 ).



Mk 10,52 b


Sogleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10; im Gegensatz zu Mk 8,22-26 ) wurde er sehend und folgte ihm nach auf dem Wege ( en tE hodO ; vgl. den Kommentar zu Mk 1,2 ). Obgleich Bartimäus Jesus zuerst wohl hauptsächlich nach Jerusalem begleitete, um ein Dankopfer im Tempel darzubringen, wurde er doch auch ein "Nachfolger" Jesu im Sinne eines treuen Jüngers (vgl. Mk 8,34 ). Er war ein eindrucksvolles Beispiel für die Nachfolge: Er erkannte sein eigenes Unvermögen, vertraute Jesus als dem einen, der ihm Gottes Gnade schenken konnte, und folgte ihm, sobald er klar "sehen" konnte, als Jünger nach.



VII. Jesu Wirken in und um Jerusalem
(
11,1 - 13,37 )


Der fünfte Hauptteil des Markusevangeliums stellt Jesu Wirken in und um Jerusalem dar. Er verurteilte die jüdischen Religionsführer für die Ablehnung, die sie Gottes Boten, besonders dem letzten, seinem Sohn, entgegengebracht hatten. Er warnte sie vor Gottes drohendem Gericht über Jerusalem und über das Volk.

Die Passage behandelt einen Zeitraum von insgesamt nur drei oder vier Tagen ( Mk 11,1-11 ,Sonntag; Mk 11,12-19 , Montag; Mk 11,20-13,37 ,Dienstag und wahrscheinlich Mittwoch). Zwischen 11,20 und Mk 13,37 fehlt eine genaue Zeitangabe, was darauf hindeutet, daßMarkus das Geschehen hier thematisch und nicht chronologisch angeordnet hat (vgl. Mk 2,1-3,6 ). Er wollte in diesem Fall einen zusammenfassenden Überblick über das Wirken Jesu am Dienstag und am Mittwoch der Karwoche geben (vgl. Mk 14,49 ). Die Leidensgeschichte beginnt dann in Kapitel 14,1 mit einem neuen chronologischen Ausgangspunkt. Der gesamte zeitliche Rahmen für Mk 11,1-16,8 erstreckt sich über eine Woche, von Palmsonntag bis Ostersonntag.



A. Jesu Einzug in Jerusalem
(
11,1 - 11 ) ( Mt 21,1-11; Lk 19,28-44; Joh 12,12-19 )


Der Bericht des Markusevangeliums über dieses Ereignis enthält zwar viele anschauliche Details, sagt jedoch relativ wenig über die Proklamation Jesu als Messias aus (vgl. den Kommentar zu Mk 1,43-44;8,30-31 ). Erst später (wahrscheinlich nach der Auferstehung) verstanden die Jünger das Geschehene ganz.



Mk 11,1 a


Knapp anderthalb Kilometer südöstlich von Jerusalem lag das Dorf Betfage (wörtlich: "Haus der unreifen Feigen") und etwa drei Kilometer davon entfernt, auf der östlichen Seite des Ölbergs , eines hohen, etwa drei Kilometer langen Bergkamms, der für seine Olivenbäume bekannt war, Betanien (wörtlich: "Haus der Datteln oder Feigen"). In Betanien, dem letzten Zwischenhalt auf der einsamen und gefährlichen Straße von Jerusalem nach Jericho (vgl. Mk 10,46 ), stand das Haus von Maria, Marta und Lazarus ( Joh 11,1 ), in dem Jesus gewöhnlich übernachtete, wenn er sich in Judäa aufhielt (vgl. Mk 11,11 ). Auch Simon der Aussätzige ( Mk 14,3-9 ) wohnte in Betanien.



Mk 11,1-3 (Mk 11,1b-3)


Jesus sandte zwei seiner Jünger (vgl. Mk 14,13 ) in das Dorf vor ( katenanti , "gegenüber", vielleicht auf der anderen Seite des Ölbergs) ihnen, wahrscheinlich Betfage, wo sie gleich am Dorfrand ein noch nicht zugerittenes Eselfüllen finden sollten. Das sollten sie losbinden und herführen . Matthäus ergänzt in diesem Zusammenhang, daß die Mutter des Füllens bei ihm stand (vgl. den Kommentar zu Mt 21,2 ).

Wenn jemand sie daraufhin ansprechen sollte, so sollten sie sagen: Der Herr bedarf seiner, und er sendet es alsbald ( euthys , "ohne Verzögerung"; vgl. Mk 1,10 ) wieder her (zurück ins Dorf). Es wird allgemein angenommen, daß Jesus mit dem Wort "Herr" ( kyrios ; vgl. Mk 5,19 ) sich selbst meinte und nicht den Eigentümer des Esels.



Mk 11,4-6


Markus berichtet, wie die Jünger Jesu Anweisungen ausführten (vgl. V. 2 - 3 ), und zeigt die bis ins einzelne gehende Genauigkeit der Vorhersage. Auch das Losbinden des Füllens, in dem Jesus vielleicht ein messianisches Zeichen sah (vgl. 1Mo 49,8-12 ), gehörte dazu.

Hatte Jesus mit dem Eigentümer des Füllens bereits vorher alles abgesprochen, oder war dieses Ereignis ein Beweis für sein übernatürliches Wissen? Eine ähnliche Begebenheit, die sich später zutrug ( Mk 14,13-16 ), läßt die erstere These an Wahrscheinlichkeit gewinnen, doch die vielen Einzelheiten, die Markus im Zusammenhang mit der ganzen Transaktion anführt ( Mk 11,2-6 ), sprechen stark für die zweite Annahme. Aber auch in diesem Fall wäre es noch denkbar, daß der Eigentümer des Füllens zuvor mit Jesus zusammengetroffen war.

Die Genauigkeit der Schilderung läßt wieder auf den Bericht eines Augenzeugen schließen - möglicherweise war Petrus einer der beiden Jünger, die das Füllen holen sollten (vgl. die Einführung ).



Mk 11,7-8


Die Jünger legten ihre Kleider als Sattel auf das Tier, und Jesus bestieg das noch ungerittene Füllen und ritt in Jerusalem ein. Viele Menschen waren von diesem großen Augenblick bewegt und bezeigten ihm spontan ihre Ehrfurcht, indem sie ihre Kleider vor ihm auf den staubigen Weg breiteten (vgl. 2Kö 9,12-13 ). Andere streuten grüne Zweige aus ( stibadas ; "Blätter oder Zweige mit Blättern"), die sie auf den umliegenden Feldern abgehauen hatten (in Joh 12,13 ist von Palmzweigen die Rede).



Mk 11,9-10


Der chiastische Aufbau dieser Verse (a-b-b'-a') deutet darauf hin, daß sie von zwei Gruppen im Wechselgesang gerufen wurden - von denen, die vorangingen und von denen, die nachfolgten . Sie sangen Ps 118,26 .Bei dem jährlich stattfindenden Passafest (vgl. Mk 14,1 ) sangen die Juden stets die sechs Psalmen des Lobgesangs ( Ps 113-118 ) und gaben damit ihrem Dank, ihrem Lob und ihren Bitten vor Gott Ausdruck.

Hosianna, eine Transkription des gleichlautenden griechischen Wortes, das seinerseits eine Transkription des hebräischen hNSI ZCh nA? ist, war ursprünglich eine Gebetsformel, die besagte: "O rette uns jetzt" (vgl. Ps 118,25 a). Später wurde es zu einem preisenden Ausruf (wie "Halleluja!"), dann zu einem begeisterten Willkommensgruß für Pilger oder einen berühmten Rabbi. Hosianna in der Höhe heißt wahrscheinlich so viel wie: "Rette uns, o höchster Gott, der im Himmel lebt!" In dem Zusammenhang, in dem der Ruf hier benutzt wird, fließen wohl alle seine verschiedenen Bedeutungselemente zusammen.

Die Anrufung gelobt sei! galt Gottes gnädiger Macht, die sich dem Menschen zuwendet und Dinge bewirkt, während die Wendung der da kommt im Namen des Herrn (als Stellvertreter und Bevollmächtigter Gottes) sich ursprünglich auf Pilger bezog, die zum Passafest kamen. Es handelt sich also nicht um einen Messias-Titel im eigentlichen Sinn, wenn der Messiasgedanke auch sicherlich mitspielte, als die Pilger ihn auf Jesus anwandten (vgl. 1Mo 49,10; Mt 3,11 ). Trotzdem erkannten sie ihn nicht als den Messias.

Das Reich, das da kommt (vgl. den Kommentar zu Mk 1,15 ), war in Verbindung mit der Person Davids ein Ausdruck der messianischen Hoffnung der Menschen auf die Wiederherstellung des davidischen Königreichs (vgl. 1Sam 7,16; Am 9,11-12 ). Doch ihre Begeisterung galt einem herrschenden Messias und einem politischen Königreich - die Tatsache, daß der, der da friedlich auf einem Eselfüllen einherritt, der ersehnte Messias war (vgl. Sach 9,9 ), der leidende Messias, dessen Reich schon begonnen hatte, weil er zu ihnen gekommen war, konnten sie weder begreifen noch akzeptieren. Für die meisten Menschen damals gehörte dieser Moment des Jubels ohnehin einfach nur zu den Feierlichkeiten des traditionellen Passafestes. Er brachte weder die römischen Autoritäten auf den Plan noch führte er zur Verhaftung Jesu durch die jüdischen Machthaber.



Mk 11,11


Und Jesus ging hinein nach Jerusalem in den Tempel ( hieron , "die Vorhöfe des Tempels", nicht in das zentrale Heiligtum [ naos ; vgl. Mk 14,58;15,29.38 ]). Er sah sich gründlich im Tempelbezirk um, um festzustellen, ob er auch den Zwecken diente, die er nach Gottes Willen hatte. So kam es dann auch zu seiner Reinigungsaktion am nächsten Tag (vgl. Mk 11,15-17 ). Da kurz vor Sonnenuntergang die Stadttore geschlossen wurden, ging Jesus mit den Zwölfen hinaus nach Betanien , um dort zu übernachten (vgl. V. 1 a).



B. Die Prophezeiungen des Gerichtes über Israel
(
11,12 - 26 )


Dieser Abschnitt ist wieder in der schon mehrmals verwendeten "Sandwich"-Struktur aufgebaut (vgl. Mk 3,20-35;5,21-43;6,7-31 ). Die Erzählung von der Verfluchung des Feigenbaums ( Mk 11,12-14.20-26 ) wird durch den Bericht über die Säuberung der Tempelvorhallen unterbrochen (V. 15 - 19 ). Diese Abfolge deutet darauf hin, daß die beiden Episoden einander gegenseitig erklären. Wie bei dem Feigenbaum sproßten in Israel nur die "Blätter", der zeremonielle Bereich des religiösen Lebens, doch es fehlten die "Früchte" der Gerechtigkeit, die Gott forderte. Beide Geschichten verweisen auf Gottes drohendes Gericht über Israel wegen der religiösen Heuchelei des Volkes (vgl. den Kommentar zu Mk 7,6 ). Matthäus berichtet diese Vorgänge in zwei getrennten, aufeinanderfolgenden Abschnitten, ohne wie Markus die präzisen zeitlichen Zwischenräume anzugeben ( Mt 21,12-17.18-22 ).



1. Das Urteil über den unfruchtbaren Feigenbaum
(
11,12 - 14 ) ( Mt 21,18-19 )


Mk 11,12-13


Am nächsten Tag, am Montagmorgen, als sie von Betanien nach Jerusalem gingen (vgl. V. 1 a), hungerte ihn (wörtlich: "er wurde hungrig"). Und er sah einen Feigenbaum von ferne, der Blätter hatte; da ging er hin, ob er etwas darauf fände , doch er hatte nichts als Blätter . Markus fügt noch hinzu, daß es nicht die Zeit für Feigen war.

Es war die Zeit des Passafestes (vgl. Mk 14,1 ), die Mitte des Monats Nisan (April). In Palästina tragen die Feigenbäume im März bereits kleine eßbare Knospen, denen Anfang April große grüne Blätter folgen. Diese frühen grünen "Früchte" (Knospen) waren bei den ortsansässigen Bauern ein beliebtes Nahrungsmittel. (Das Fehlen der Knospen trotz bereits vorhandener Blätter zeigte an, daß der Baum dieses Jahr keine Früchte tragen würde.) Die Knospen fielen schließlich ab, wenn Ende Mai und im Juni, in der eigentlichen Feigensaison, die richtigen Früchte reiften. Jesus konnte also mit Recht davon ausgehen, bereits jetzt, kurz vor dem Passafest (Mitte April), etwas Eßbares an dem Baum vorzufinden, obwohl die Zeit für Feigen noch nicht gekommen war.



Mk 11,14


Jesu strenge Verurteilung des Feigenbaums, die Petrus als Fluch bezeichnete (V. 21 ), war eine dramatische prophetische Ankündigung des drohenden göttlichen Gerichtes über Israel, nicht etwa eine ärgerliche Reaktion, weil er hungrig war und keine Nahrung fand.

Der vielversprechende, aber unfruchtbare Feigenbaum war ein Symbol für die geistliche Unfruchtbarkeit Israels, das trotz aller erfahrenen göttlichen Gnade und trotz des beeindruckenden Bildes, das seine Religion nach außen vermittelte, keine Früchte aufwies (vgl. Jer 8,13; Hos 9,10.16; Mi 7,1 ). Mk 11,27-12,40 ist eine einzige Demonstration dieses belastenden Tatbestandes.



2. Das Urteil über den Mißbrauch des Tempels
(
11,15 - 19 ) ( Mt 21,12-17; Lk 19,45-46 )


Über dieses Ereignis wird in allen drei synoptischen Evangelien übereinstimmend berichtet. Johannes hat die Vertreibung der Händler aus dem Tempel an den Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu verlegt (vgl. den Kommentar zu Joh 2,13-22 ).

Mk 11,15-16


Als Jesus in Jerusalem anlangte, begab er sich zum Tempel ( hieron ; vgl. V. 11 ), in den weiten äußeren Hof der Heiden, der die heiligen inneren Bezirke des Tempels selbst umgab (siehe den Tempelgrundriß). Nichtjuden durften nur diesen äußeren Vorhof betreten. Hier hatte sich mit Genehmigung des Hohenpriesters Kaiphas (vielleicht als erst seit kurzem bestehendewirtschaftliche Neuerung) an zahlreichen Ständen ein schwunghafter Handel mit rituell "reinen" Gegenständen, die für den Tempelgottesdienst benötigt wurden, wie Wein, Öl, Salz, heilige Opfertiere und -vögel, entwickelt.

In Palästina kursierte zur Zeit des Neuen Testaments Geld aus drei verschiedenen Quellen: kaiserliches (römisches) Geld, (griechisches) Geld aus den Provinzen und (jüdisches) Geld aus Palästina selbst. Geldwechsler hielten daher an ihren Tischen die erforderliche (jüdische) Währung, die von Tyrus aus in Umlauf gebracht wurde, für die jährliche, einen halben Schekel betragende Tempelsteuer bereit ( 2Mo 30,12-16 ), die jeder männliche Jude ab dem zwanzigsten Lebensjahr entrichten mußte. Sie wechselten sie gegen die griechischen und römischen Münzen ein, die Portraits von Menschen trugen und daher als götzendienerisch galten. Ein geringer Zuschlag für derartige Transaktionen war zwar erlaubt, doch es gab durchaus auch Wucher und Betrug. Außerdem gingen ständig Lastträger die Abkürzung durch den Tempelbereich (vgl. Mk 11,16 ) und machten ihn so zu einem vielbenutzten städtischen Durchgangsweg.

Jesus war empört über die Verunglimpfung dieses den Nichtjuden vorbehaltenen Tempelbereichs. Er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und ließ nicht zu, daß jemand etwas durch den Tempel trage . Es gab in der Stadt genügend Märkte, auf denen Geschäfte getätigt werden konnten.



Mk 11,17


Der Vorgang erregte Aufmerksamkeit bei den Umstehenden, und er lehrte (wörtlich "begann zu lehren") sie, wofür der Tempel nach Gottes Willen eigentlich bestimmt war. Mit einer Frage, die nur bejahend beantwortet werden konnte, berief er sich für sein Tun auf die Autorität des Alten Testamentes (und zitierte Jes 56,7 b nach dem Wortlaut der LXX).

Nur Markus erweitert das Jesajazitat um die Worte für alle Völker . Gott wünschte, daß sowohl Heiden als auch Juden den Tempel als Ort des Gottesdienstes und der religiösen Verehrung benutzten (vgl. Joh 12,20 ). Dieser Gedanke war für die Leser des Markusevangeliums in Rom besonders wichtig.

Doch statt dessen habt ihr (im Griechischen betont), die uneinsichtigen Juden, aus dem Hof der Heiden eine Räuberhöhle gemacht , einen Zufluchtsort für betrügerische jüdische und heidnische Händler (vgl. Jer 7,11 ) statt eines Bethauses (vgl. 1Kö 8,28-30; Jes 60,7 b).

Mit seiner Tat beanspruchte Jesus als Messias größere Vollmacht im Tempel als der Hohepriester (vgl. Hos 9,15; Mal 3,1-5 ).



Mk 11,18-19


Als die religiösen Führer (vgl. den Kommentar zu Mk 8,31;11,27;14,1.43.53 ) davon hörten, trachteten sie danach (vgl. Mk 12,12;14,1.11 ), wie sie ihn umbrächten , ohne einen größeren Aufruhr zu verursachen. Markus fügt als einziger Synoptiker erklärend an ( gar , "nämlich"), daß sie sich vor ihm fürchteten , weil er beim Volk so beliebt war und Autorität besaß. Alles Volk, die Pilger, die aus allen Teilen der Alten Welt zum Passafest nach Jerusalem gekommen waren, verwunderte sich ( exeplEsseto ; "erstaunt, außer sich, überwältigt"; vgl. Mk 1,22;6,2;7,37;10,26 ) über seine Lehre (vgl. Mk 1,27 ). Seine Popularität hielt die jüdischen Machthaber davon ab, ihn auf der Stelle verhaften zu lassen. Abends (Montagabend) verließen Jesus und die Zwölf Jerusalem und gingen wahrscheinlich wieder nach Betanien (vgl. Mk 11,11 ).

 

3. Der verdorrte Feigenbaum und eine Lektion in Glauben und Gebet
(
11,20 - 26 ) ( Mt 21,20-22 )


Mk 11,20-21


Diese Verse beschreiben die auf Mk 11,12-14 folgenden Ereignisse. Am nächsten Morgen, Dienstag, als Jesus und seine Jünger nach Jerusalem zurückkehrten, sahen sie, daß der Feigenbaum , an dem sie am Vortag vorbeigekommen waren (V. 13 ) v erdorrt war bis zur Wurzel , völlig vertrocknet - Jesu Worte hatten sich also erfüllt (V. 14 ).

Petrus wandte sich an Jesus, sprach ihn als Rabbi an und wies ihn überrascht auf den Zustand des Baumes hin, dessen Zerstörung sehr viel schlimmer war, als Jesu Worte am vorigen Tag ( Mk 11,14 ) hatten vermuten lassen. Jesus erklärte das Geschehene nicht, doch nach Ansicht vieler Exegeten war der Vorfall ein Bild für das drohende Gericht Gottes über Israel (vgl. den Kommentar zu V. 12 - 14 ).


Mk 11,22-24


Statt das Bild zu deuten, ermahnte Jesus die Jünger: "Habt Glauben an Gott!" Glaube, der in Gott ruht, bedeutet unerschütterliches Vertrauen in seine Allmacht und unwandelbare Güte (vgl. Mk 5,34 ).

Nach einer feierlichen Einleitung ( wahrlich, ich sage euch ; vgl. Mk 3,28 ) sagte Jesus in einer bewußten Übersteigerung, daß, wer zu diesem Berg - dem Ölberg, der ein unverrückbares Hindernis darstellte - spräche: Heb (wörtlich: "entwurzelt werden" und "geworfen werden") dich und wirf dich ins Meer (das Tote Meer, das man vom Ölberg aus sehen konnte), so wird's ihm geschehen . Die einzige Bedingung dafür ist, daß der Bittende nicht zweifelt, sondern glaubt und unerschütterliches Vertrauen in Gott setzt, daß dieser die Bitte erfüllen wird. Ein solcher Glaube war in der Tat ein schroffer Kontrast zu dem mangelnden Glauben Israels.

Darum, weil ein gläubiges Gebet Gottes Macht, das dem Menschen Unmögliche zu tun, in Bewegung setzen kann ( Mk 10,27 ), ermahnte Jesus seine Jünger, zu glauben , daß sie bereits empfangen haben, worum sie im Gebet bitten . Der Glaube geht davon aus, daß seine Bitte bereits erfüllt ist, auch wenn die tatsächliche Antwort noch in der Zukunft liegt.

Diese Verheißung für das Gebet galt natürlich nur unter der Voraussetzung, daß die vorgetragene Bitte auch in Einklang mit Gottes Willen stand (vgl. Mk 14,36; Mt 6,9-10; Joh 14,13-14; 15,7; 16,23-24; 1Joh 5,14-15 ). Nur dann ist der Glaube in der Lage, die Antworten, die Gott gibt, zu vernehmen. Gott ist stets bereit, auf die Gebete eines gehorsamen Gläubigen zu antworten, der in dem Bewußtsein zu ihm kommen kann, daß ihm kein Problem und keine Situation zu schwierig ist.



Mk 11,25-26


Ebenso wichtig für ein wirksames Gebet wie der Glaube an Gott ist die innere Bereitschaft, anderen zu vergeben. Wenn ein Gläubiger aufsteht, um zu beten - die bei den Juden übliche Gebetshaltung (vgl. 1Sam 1,26; Lk 18,11.13 ) - und dabei etwas gegen jemanden hat , sei es nun ein Gläubiger oder ein Ungläubiger, etwa wegen einer früheren Beleidigung einen Groll gegen einen anderen hegt, soll er ihm vergeben.

Das muß er tun, damit sein Vater im Himmel (das einzige Mal, daß Markus diese Wendung gebraucht, im Gegensatz zu Matthäus, der sie häufig verwendet) auch ( kai im Griechischen) ihm seine Übertretungen ( paraptOmata ; auch dieser Ausdruck kommt nur an dieser einen Stelle bei Markus vor), all die Gedanken oder Handlungen, in denen er von Gottes Wahrheit abgewichen ist, vergebe.

Die Vergebung Gottes gegenüber dem Gläubigen und die Vergebung des Gläubigen gegenüber anderen sind untrennbar miteinander verbunden, denn zwischen dem göttlichen Vergeber und dem Glaubenden, dem vergeben wurde, besteht eine enge Beziehung (vgl. Mt 18,21-35 ). Wer Gottes Vergebung angenommen hat, von dem wird erwartet, daß er anderen vergibt, wie Gott ihm vergeben hat ( Eph 4,32 ). Wenn er es nicht tut, verwirkt er Gottes Vergebung in seinem täglichen Leben.



C. Der Streit mit den jüdischen Religionsführern im Tempel
(
11,27 - 12,44 )


Markus bündelt in Mk 11,27-12,37 wahrscheinlich bewußt fünf Episoden rund um den Konflikt zwischen Jesus und mehreren einflußreichen religiösen Gruppierungen (vgl. auch Mk 2,1-3,5 ). Eine Gegenüberstellung ihrer selbstgerechten Religiosität und der wahren Frömmigkeit beschließt diesen Abschnitt ( Mk 12,38-44 ). Der Tempelbereich war der Mittelpunkt des Wirkens Jesu in seiner letzten Lebenswoche (vgl. Mk 11,11.15-17.27;12,35.41;13,1-3;14,49 ). Die Kontroversen mit den Schriftgelehrten lassen nochmals ein zusammenfassendes Bild seiner Lehre von Dienstag und Mittwoch erstehen. Sie machen aber auch die wachsende Feindseligkeit der religiösen Führer deutlich.



1. Die Frage nach der Vollmacht Jesu
(
11,27 - 12,12 )


Verschiedene Vertreter des Hohen Rates stellten die Vollmacht Jesu in Frage, gerieten durch seine Entgegnung jedoch in große Verlegenheit ( Mk 11,27-33 ). Anhand des Gleichnisses von den bösen Weingärtnern ( Mk 12,1-12 ) führte ihnen Jesus ihre Ablehnung der Boten Gottes vor Augen.

a. Jesu Frage zur Taufe des Johannes


Mk 11,27-28


Am Dienstagmorgen (vgl. V. 20 ) kamen Jesus und seine Jünger wieder nach Jerusalem (vgl. V. 11 - 12. 15 ). Im Tempel ( heirO , vgl. V. 11. 15 ) sprachen die Hohenpriester und Schriftgelehrten und Ältesten , Abgeordnete des Hohen Rates (vgl. den Kommentar zu Mk 8,31;14,43.53;15,1 ), Jesus an. Als Wächter über das religiöse Leben Israels stellten sie ihm zwei Fragen: 1. Aus welcher Vollmacht tust du das? (vgl. Mk 1,22.27 ) 2. Wer hat dir diese Vollmacht gegeben, daß du das tust? "Das" (wörtlich: diese Dinge) bezog sich auf die Reinigung des Tempels am vorigen Tag (vgl. Mk 11,15-17 ), wahrscheinlich aber auch ganz allgemein auf seine Worte und Taten, die überall große Aufmerksamkeit erregten (vgl. V. 18 ; Mk 12,12.37 ). Die Fragen der Vertreter des Sanhedrin zeigen, daß Jesus offensichtlich nicht klar gesagt hatte, daß er der Messias sei; ein Punkt, der wieder auf das Motiv des Messiasgeheimnisses verweist, das bei Markus eine wichtige Rolle spielt (vgl. den Kommentar zu Mk 1,43-45;12,1.12 ).



Mk 11,29-30


In einer Gegenfrage - einer in den Streitgesprächen der Rabbiner üblichen rhetorischen Figur (vgl. Mk 10,2-3 ) - machte Jesus seine Antwort auf ihre Fragen von ihrer Antwort auf die seine abhängig. Sie zielte auf die Taufe des Johannes und das ganze Amt des Täufers (vgl. Mk 1,4-8;6,14-16.20 ). Kam sie vom Himmel (war also göttlichen Ursprungs; vgl. Mk 8,11 ) oder von den Menschen (war also menschlichen Ursprungs)? Jesus ging hier davon aus, daß seine eigene Vollmacht denselben Ursprung hatte wie die des Johannes, was erneut deutlich macht, daß keine Rivalität zwischen ihnen bestand. Das Urteil der religiösen Führer über Johannes würde damit zeigen, wie sie ihn selbst einschätzten.

 

Mk 11,31-32


Diese Frage brachte die religiösen Führer in eine Zwickmühle. Wenn sie antworteten: vom Himmel , würden sie damit sich selbst beschuldigen, weil sie ihm nicht geglaubt und ihn nicht unterstützt hatten (vgl. Joh 1,19-27 ). Sie würden sich selbst das Zeugnis ausstellen, Gottes Boten verworfen zu haben, und sie wären andererseits gezwungen anzuerkennen, daß auch Jesu Vollmacht von Gott kam (vgl. Mk 9,37 b). Diese Antwort war also, wenngleich richtig, für sie unakzeptabel, weil sie keinen Glauben hatten.

Wenn sie jedoch antworteten: von Menschen , lagen die Konsequenzen auf der Hand: Damit würden sie bestreiten, daß Johannes seinen Auftrag von Gott erhalten hatte, und sich beim Volk unbeliebt machen. Markus fügt ergänzend an, daß sie sich vor dem Volk fürchteten (vgl. Mk 12,12 ), denn alle hielten Johannes wirklich für einen Propheten , ein Sprachrohr Gottes (vgl. Josephus, Ant. 18. 5. 2). Die letztere Antwort hätten sie also zwar, obgleich sie falsch war, lieber gegeben, doch sie trauten sich nicht aus Angst vor der Menge. Mk 11,33 : Da also keine der beiden Möglichkeiten für sie akzeptabel war, schützten sie Unwissenheit vor, um ihr Gesicht zu wahren. Daher war auch Jesus nicht verpflichtet, ihnen zu antworten. Seine Frage (vgl. V. 30 ) implizierte allerdings, daß seine Vollmacht , wie die des Johannes, von Gott kam.

Durch ihren Rückzieher machten die Vertreter des Hohen Rates ihre Ablehnung gegen Johannes und Jesus, die Boten Gottes, umso deutlicher. In der Geschichte Israels war es immer wieder so gewesen, daß die Führer und Machthaber Israels Gottes Boten zurückstießen. Das zeigte Jesus an dem folgenden Gleichnis.



b. Das Gleichnis von den bösen Weingärtnern
(
12,1 - 12 ) ( Mt 21,33-46; Lk 20,9-19 )


Dieses Gleichnis spiegelt die soziale Situation im Palästina des ersten Jahrhunderts, vor allem in Galiläa wider. Wohlhabende ausländische Landeigentümer besaßen große Ländereien, die sie verpachteten. Die Pächter verpflichteten sich, das Land in der Abwesenheit der Besitzer zu bebauen und die Weinberge zu pflegen. Außerdem hatten sie einen vertraglich festgelegten Anteil des Ertrags als Pacht zu zahlen. Zur Erntezeit schickten die Eigentümer Bevollmächtigte, die die Pacht einzogen. Unausweichlich kam es bei diesem System zu Spannungen zwischen den abwesenden Eigentümern und den Pächtern des Landes.



Mk 12,1 a


Eine knappe Feststellung (vgl. die Einführung zu Mk 2,1-2 ) bildet die Überleitung zum einzigen Gleichnis (vgl. die Einführung zu Mk 4,1-2 ), das Markus in diesem Zusammenhang erzählt. Jesus wandte sich mit seinen Ausführungen offensichtlich an die Abgeordneten des Hohen Rats, die ihn befragt hatten und nun ein Komplott gegen ihn schmieden wollten (vgl. Mk 11,27;12,12 ). Das Gleichnis, das er ihnen erzählte, entlarvte ihre feindseligen Pläne und warnte sie vor den Folgen ihres Handelns.

 

Mk 12,1 b


Die Einzelheiten zur Bepflanzung des Weinberges stammen aus Jes 5,1-2 (und gehören zu einer Prophezeiung des göttlichen Gerichtes über Israel). Der Weinberg war ein den Juden vertrautes Symbol für das Volk Israel (vgl. Ps 80,8-19 ).

Ein Mensch , ein Landeigentümer (vgl. Mk 12,9 ), pflanzte einen Weinberg - eine Parallele zu der Beziehung Gottes zu Israel. Die Errichtung eines Schutzzaunes, einer Kelter , um den Saft aus den Trauben aufzufangen, und eines Wachtturmes zum Schutz und als Lagerraum zeigen, daß der Eigentümer aus diesem Stück Land etwas ganz Besonderes machen wollte. Dann verpachtete er ihn an Weingärtner - Israels religiöse Führer - und ging außer Landes . Sein Wohnsitz lag möglicherweise im Ausland, in jedem Fall gehörte er zur Gruppe der weit entfernt lebenden Landbesitzer.



Mk 12,2-5


Zur Erntezeit ( als die Zeit kam , "zur rechten Zeit"; d. h. zur Lese im fünften Jahr; vgl. 3Mo 19,23-25 ) sandte der Eigentümer drei Knechte - Bevollmächtigte, die Gottes an Israel gesandte Knechte (die Propheten) darstellten - zu den Weingärtnern, um seinen Anteil an den Früchten zu holen . Doch die Pächter mißhandelten sie in übelster Weise. Sie nahmen den ersten Knecht, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort . Den zweiten verletzten sie ernsthaft und schmähten ihn, den dritten töteten sie.

Der langmütige Eigentümer schickte noch viele andere; die einen schlugen sie, die anderen töteten sie . Wieder und wieder hatte Gott den Israeliten Propheten geschickt, um die Früchte der Reue und Rechtschaffenheit (vgl. Lk 3,8 ) einzusammeln, doch sie alle wurden mißhandelt, verwundet und getötet (vgl. Jer 7,25-26;25,4-7; Mt 23,36-39 ).



Mk 12,6-8


Am Schluß hatte der Eigentümer noch einen zu senden, seinen geliebten Sohn (eine Bezeichnung für Gottes Sohn, Jesus; vgl. Mk 1,11;9,7 ). Als letzten , eine Wendung, die nur bei Markus steht, sandte er seinen Sohn . Er nahm an, daß die Pächter ihm dieEhre erweisen würden, die sie seinen Knechten verweigert hatten.

Die Ankunft des Sohnes brachte die Pächter möglicherweise auf den Gedanken, daß der Eigentümer gestorben und dieser Sohn sein einziger Erbe sei. In Palästina konnte damals jeder ein Stück "herrenloses" Land rechtmäßig in Besitz nehmen, wenn er es als erster für sich beanspruchte und wenn sich innerhalb einer bestimmten Frist kein Erbe meldete (vgl. Mischna Baba Bathra 3.3). Die Pächter dachten sich also wohl, daß sie den Weinberg für sich behalten könnten, wenn sie den Sohn töteten.

So schmiedeten sie ein Komplott, töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg . Manche Forscher sehen darin einen Vorverweis auf das, was mit Jesus geschehen sollte: Er sollte außerhalb Jerusalems gekreuzigt werden, ausgestoßen aus Israel in einer äußersten Steigerung der Verwerfung durch die religiösen Führer. Meines Erachtens mißt eine solche Interpretation des Gleichnisses diesem einen Detail jedoch zu viel Gewicht bei. Die Tatsache, daß sie die Leiche des Sohnes ohne Begräbnis einfach über den Zaun warfen, muß wohl eher als die letzte und zugleich schrecklichste ihrer Schandtaten gesehen werden. Außerdem spielten sich nach der Darstellung des Evangelisten die Szenen der Ablehnung des Sohnes und seine Ermordung im Weinberg, also innerhalb Israels, ab.



Mk 12,9


Mit seiner rhetorischen Frage forderte Jesus seine Hörer auf, mitzuentscheiden, was der Herr des Weinbergs gegen die Pächter unternehmen sollte. Er bekräftigte ihre Antwort (vgl, Mt 21,41 ), indem er sie erneut auf Jes 5,1-7 hinwies. Darin steckte eine eindringliche Aufforderung an alle, die sich gegen ihn verschworen hatten, die ernsten Folgen ihres Handelns zu bedenken, da er sich selbst offensichtlich als den "einzigen Sohn", den Gott gesandt hatte, sah ( Joh 3,16 ).

Was mit dem Sohn des Eigentümers geschah, richtete sich im Grunde gegen den Eigentümer selbst, der in seiner ganzen Macht kommen, die mörderischen Weingärtner umbringen und den Weinberg anderen geben wird . In genau der gleichen Weise war auch die Verwerfung Johannes' des Täufers und Jesu, des letzten Boten Gottes, durch die jüdischen Religionsführer letztlich eine Absage an Gott selbst. Damit würde unausweichlich sein Gericht über Israel hereinbrechen und die Privilegien des jüdischen Volkes eine Zeitlang anderen übertragen werden (vgl. Röm 11,25.31 ).


Mk 12,10-11


Jesus arbeitete die Anwendung des Gleichnisses auf sich selbst als Sohn noch schärfer heraus und zitierte in diesem Zusammenhang Ps 118,22-23 : ( Ps 117 in der LXX), eine vertraute Passage, die auch an anderer Stelle mit dem Messias in Verbindung gebracht wird ( Apg 4,11; 1Pet 2,4-8 ). Das Bild wechselt damit vom Sohn und den Pächtern zum Gleichnis vom Stein und den Bauleuten im Psalm. In diesem Vergleich schwingt auch ein Verweis auf Jesu Auferstehung und Erhöhung mit, der zuvor nicht möglich war. Ein ermordeter Sohn kann nicht wieder lebendig werden, doch ein verworfener Stein kann wiedergefunden und beim Bau eines Hauses verwendet werden.

Der Psalm schließt unmittelbar an das Gleichnis von den bösen Weingärtnern an. Der Stein (Jesus, der Sohn), den die Bauleute (die jüdischen Religionsführer, die Pächter des Weinbergs) verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden . Dieser Eckstein war der wichtigste Stein eines Bauwerks. Die dramatische Umkehrung der Entscheidung der Bauleute und die Erhöhung des verworfenen Steins war allein Gottes Werk. Er ist Herr über alle rebellischen Versuche der Menschen, seine Absichten zu unterlaufen.

 

Mk 12,12


Sie, die Vertreter des Hohen Rates ( Mk 11,27 ), trachteten danach (vgl. Mk 11,18 ), ihn zu ergreifen , denn sie hatten gemerkt, daß er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Doch sie fürchteten sich vor dem Volk , der aufgeregten Menge, die sich zum Passafest versammelt hatte, daher ließen sie ihn und gingen davon . Die Tatsache, daß Jesu Widersacher das Gleichnis verstanden, deutet auf eine neue Entwicklung hin (vgl. Mk 4,11-12 ), die die Vermutung nahelegt, daß er das "Geheimnis" seiner wahren Identität bald offenlegen wollte (vgl. den Kommentar zu Mk 1,43-45;14,62 ).

 

2. Die Frage nach der Steuer
(
12,13 - 17 ) ( Mt 22,15-22; Lk 20,20-26 )


Mk 12,13


Trotzdem Jesus seine Gegner aus dem Hohen Rat im vorhergehenden Gleichnis gewarnt hatte, blieben sie bei ihrem Vorsatz, ihn auszuschalten, und sandten zu ihm einige von den Pharisäern (vgl. Mk 2,16 ) und von den Anhängern des Herodes (vgl. Mk 3,6 ) , daß sie ihn fingen in Worten (wörtlich: "durch ein Wort", d. h. durch eine unbedachte Bemerkung, die sie gegen ihn verwenden konnten; vgl. Mk 10,2 ). Das Verb, das hier mit "fingen" ( argeusOsin ; es steht nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament) übersetzt ist, war ein Ausdruck für das Fangen wilder Tiere in einer Falle.


Mk 12,14


Sie begrüßten Jesus als Meister (vgl. Mk 4,38;9,5 ) und verbargen ihre wahren Motive hinter vorsichtig gewählten Bemerkungen, damit er sich ihrer Frage nicht entziehen konnte. Zunächst schmeichelten sie ihm, daß er ehrlich, unvoreingenommen und unabhängig sei, denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen (wörtlich: "Du schaust nicht in das Gesicht der Menschen", eine hebräische Redewendung; vgl. 1Sam 16,7 ). Dann stellten sie ihm folgende Frage: "Ist's recht , d. h. nach dem Gesetz Gottes erlaubt (vgl. 5Mo 17,14-15 ) , daß man dem Kaiser , dem römischen Imperator, Steuern zahlt oder nicht? Sollen wir sie zahlen ( ; "sollen wir geben") oder nicht zahlen?"

"Steuern" ( kEnson ) war vom lateinischen "census" ("Schätzung, Steuern") abgeleitet. Der Begriff bezog sich auf die jährliche Steuer (Kopfsteuer), die der römische Kaiser seit dem Jahr 6 n. Chr., in dem Judäa römische Provinz geworden war, von jedem Juden erhob (Josephus, Ant. 5. 1. 21). Das Geld ging direkt an den Kaiser. Die Steuer war allgemein verhaßt, weil sie ein Symbol für die Unterwerfung der Juden durch Rom war (vgl. Apg 5,37 ).

Die Pharisäer waren ebenfalls gegen die Steuer, verteidigten ihre Zahlung jedoch aus Zweckmäßigkeitserwägungen heraus. Ihnen ging es vor allem um die religiösen Implikationen ihrer Frage. Die Herodianer dagegen unterstützten die Fremdherrschaft der Dynastie des Herodes und waren für die Steuer; ihnen ging es hier um die politischen Implikationen der Frage. Jesus sollte also offensichtlich in einen Zwiespalt zwischen religiösem und politischem Recht hineinmanövriert werden. Wenn er die Frage bejahte, beschwor er damit den Unmut des Volkes herauf und wurde außerdem als Bote Gottes unglaubwürdig. Wer den Anspruch erhob, der Messias zu sein, konnte nicht der willigen Unterwerfung unter heidnische Herrscher das Wort reden. Eine verneinende Anwort hätte andererseits Rom herausgefordert.



Mk 12,15-16


Jesus merkte ihre Heuchelei , die boshafte Absicht, die hinter ihrer angeblich so aufrichtigen Frage lag, sofort. Er entlarvte sie mit der rhetorischen Frage: "Was versucht ( peirazete , "prüfen"; vgl. Mk 10,2 ) ihr mich?" Dann gebot er ihnen: "Bringt mir einen Silbergroschen (einen Denar; vgl. Mk 6,37 ) , daß ich ihn sehe!" Der römische Denar, eine kleine Silbermünze, war das einzige Geldstück, das für die kaiserliche Steuer akzeptiert wurde.

Als Jesus sie aufforderte, ihm zu sagen, wessen Bild und Aufschrift sich auf dem Silberstück befänden, antworteten sie: "Des Kaisers." Bei dem Bild ( eikOn ) handelte es sich wahrscheinlich um das des Tiberius (er regierte von 14 - 37 n. Chr.; vgl. die Tabelle der römischen Kaiser bei Lk 3,1 ). Die lateinische Aufschrift lautete: "Tiberius Cäsar Augustus, Sohn des göttlichen Augustus", und auf der Rückseite: "Hoherpriester". Diese Inschrift hatte ihren Ursprung im römischen Kaiserkult und brachte den Anspruch des Kaisers auf Göttlichkeit zum Ausdruck - was besonders für die Juden unerträglich war.



Mk 12,17


Die Münzen als Zahlungsmittel des Cäsar zu gebrauchen, hieß zugleich, seine Herrscherautorität und die positiven Aspekte der römischen Verwaltung, die diese Autorität repräsentierte, und damit auch die Verpflichtung zur Zahlung von Steuern anzuerkennen. Deshalb erklärte Jesus: "Gebt ( apodote , "gebt zurück"; vgl. V. 14 ) dem Kaiser, was des Kaisers ist" (wörtlich: "die Dinge, die dem Kaiser gehören"). Diese Steuer war etwas, was die Israeliten dem Kaiser schuldeten, weil sie sein Geld und die übrigen Vorteile, die seine Herrschaft ihnen brachte, in Anspruch nahmen.

Jesus fügte dieser Aussage jedoch bedeutsamerweise hinzu: "Und gebt Gott zurück, was Gottes ist" (wörtlich: "die Dinge, die Gott gehören"). Das kann sich auf das "Zahlen" der Tempelsteuer beziehen (vgl. Mt 17,24-27 ), wahrscheinlicher ist jedoch, daß Jesus es als Protest gegen den Anspruch des Kaisers auf Göttlichkeit meinte. Der Kaiser mußte bekommen, was ihm zustand, doch nicht mehr. Göttliche Verehrung stand ihm nicht zu; sie gebührt nur Gott. Die Menschen selbst sind gleichsam "Münzen Gottes", weil sie sein Ebenbild tragen (vgl. 1Mo 1,27 ). Sie schulden ihm, was ihm gehört - ihre Treue. Dieser Gesichtspunkt, und nicht die Steuerfrage, war für Jesus entscheidend. Seine Fragesteller wunderten sich ( exethaumazon ; Imperfekt; dieses zusammengesetzte Verb steht nur an dieser Stelle im Neuen Testament) über ihn . Der Zwischenfall war wieder besonders für die römischen Leser des Evangeliums relevant, denn er zeigte ihnen, daß Christen sich auch dem Staat gegenüber durchaus loyal verhalten durften.



3. Die Frage nach der Auferstehung
(
12,18 - 27 ) ( Mt 22,23-33; Lk 20,27-40 )


Mk 12,18


Da traten , in einem weiteren Versuch, Jesus zu diskreditieren (vgl. Mk 11,27;12,13 ), die Sadduzäer zu ihm . Die Sadduzäer galten allgemein als eine aristokratische jüdische Gruppierung, deren Mitglieder zum größten Teil aus der Oberschicht und aus alten Priestergeschlechtern kamen. Sie waren zwar weniger zahlreich und auch weniger bekannt als die Pharisäer, doch sie hatten großen Einfluß im Hohen Rat (Sanhedrin), dem obersten Gerichtshof der Juden, und waren im allgemeinen römerfreundlich. Die Sadduzäer glaubten nicht an die Auferstehung , das Jüngste Gericht und die Existenz von Engeln und Geistern (vgl. Apg 23,6-8 ). Für sie waren allein die fünf Bücher Mose (der Pentateuch) maßgeblich; die mündlichen Überlieferungen - für die Pharisäer ebenso bindend wie "das Gesetz" - lehnten sie ab. Das Markusevangelium erwähnt die Partei der Sadduzäer nur an dieser einen Stelle.



Mk 12,19-23


Nachdem sie Jesus höflich als Meister (vgl. V. 14 ) begrüßt hatten, trugen sie ihm in verkürzter Form eine Version des mosaischen Gesetzes über die leviratische (aus dem Lateinischen, levir, "Bruder des Ehemanns") Ehe (vgl. 5Mo 25,5-10 ) vor. Wenn ein Mann ohne männlichen Erben starb, mußte sein (unverheirateter) Bruder (oder, wenn er keinen besaß, sein nächster männlicher Verwandter) die Witwe zur Frau nehmen. Der erste Sohn aus dieser Verbindung erhielt dann den Namen des toten Bruders und galt als sein Kind. So wurde einerseits verhindert, daß ein Familienzweig ausstarb, und zugleich das Erbe der Familie zusammengehalten.

Die Sadduzäer erzählten Jesus eine hypothetische Geschichte von sieben Brüdern , die nacheinander ihre Pflicht erfüllten und die Frau ihres ersten Bruders heirateten, aber alle sieben kinderlos starben . Als letzte starb auch die Frau . Nun fragten sie Jesus: "In der Auferstehung: wessen Frau wird sie sein?" Sie machten sich also ganz offensichtlich über die Auferstehung lustig.



Mk 12,24


In Form einer zweiteiligen Gegenfrage, deren Formulierung im griechischen Text eine zustimmende Antwort erfordert, machte Jesus ihnenklar, inwiefern sie irrten ( planasthe , "ihr täuscht euch selbst"; vgl. V. 27 ): (a) Sie kannten die Schrift nicht in ihrer wahren Bedeutung, sondern nur ihren Wortlaut; und (b) sie kannten die lebenspendende Kraft Gottes und seine Macht über den Tod nicht. Dann führte er beide Argumente näher aus, wobei er mit dem zweiten (V. 25 ) begann.



Mk 12,25


Die Sadduzäer gingen fälschlicherweise davon aus, daß es auch nach der Auferstehung so etwas wie die Ehe geben würde. Doch im Leben nach dem Tod werden die Menschen weder heiraten (eine Ehe schließen) noch sich heiraten lassen (von ihren Eltern eine Ehe arrangieren lassen). Sie werden sein wie die Engel im Himmel und unsterblich in Gottes Gegenwart leben.

Die Ehe ist in der gegenwärtigen Weltordnung, in der der Tod herrscht, nötig und angebracht, damit die Menschen nicht aussterben. Die Engel jedoch, deren Existenz die Sadduzäer leugneten (vgl. Apg 23,8 ), sind unsterblich und leben in einer anderen Ordnung, in der eheliche Beziehungen und Fortpflanzung überflüssig sind. Ihr Leben ist ganz der Gemeinschaft mit Gott gewidmet. So werden auch die Menschen, die in einem richtigen Verhältnis zu Gott stehen, im ewigen Leben sein.

Die Sadduzäer hatten nicht begriffen, daß Gott im Leben nach dem Tode eine ganz neue Ordnung errichten wird, in der Schwierigkeiten in der Art, wie sie sie Jesus vortrugen, nicht mehr existieren, und daß ihre Frage deshalb letztlich irrelevant war.



Markus

Mk 12,26-27


Auch mit ihrer Behauptung, daß im Pentateuch von der Auferstehung nicht die Rede sei, waren die Sadduzäer im Irrtum. In seiner zweiten Frage, die ebenfalls nur zu bejahen war, berief sich Jesus im Gegenteil auf das Buch des Mose , und zwar auf das Wunder mit dem brennenden Dornbusch ( 2Mo 3,1-6 ).

Damals hatte Gott selbst sich Mose zu erkennen gegeben und ihm bestätigt, daß er der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs sei ( 2Mo 3,6 ). Damit gab er ihm zu verstehen, daß die Patriarchen noch am Leben waren und er als ihr Gott, der seinen Bund mit ihnen hielt, noch immer in Verbindung mit ihnen stand, auch wenn sie schon vor langer Zeit gestorben waren. Das beweist, so schloß Jesus, daß Gott nicht ein Gott der Toten ist, in dem Sinn, wie die Sadduzäer den Tod verstanden, nämlich als ein Auslöschen, sondern ein Gott der Lebenden . Er war noch immer der Gott der Väter Israels, was er nicht sein könnte, wenn sie mit dem Tod aufgehört hätten zu existieren, d. h. wenn mit dem Tod alles enden würde. Seine Bundestreue war letztlich die Garantie für ihre leibliche Auferstehung.

Jesu Antwort war ein klares Ja zu einem Leben nach dem Tod. Dabei ging er offensichtlich davon aus, daß damit auch die Auferstehung des Leibes bewiesen war. Im hebräischen Denken ist der Mensch die Einheit aus Materie (des Körpers) und Geist (bzw. Seele). Das eine ist ohne das andere unvollkommen (vgl. 2Kor 5,1-8 ). Daher setzt eine echte menschliche Existenz in der ewigen Ordnung des Lebens die Einheit von Geist/Seele und Körper voraus (vgl. Phil 3,21 ). Doch die leibliche Auferstehung wie auch das Leben nach dem Tod sind letztlich allein abhängig von der Treue des "Gottes der Lebenden".

Die abschließende Bemerkung Jesu, die bei Markus steht, unterstrich nochmals, wie gründlich die Sadduzäer irrten ( planasthe ; "ihr täuscht euch"; vgl. Mk 12,24 ), wenn sie die Auferstehung und das Leben nach dem Tod leugneten.



Markus

4. Die Frage nach dem höchsten Gebot
(
12,28 - 34 ) ( Mt 22,34-40; Lk 10,25-28 )


Mk 12,28


Einer von den Schriftgelehrten (vgl. Mk 1,22 ), wahrscheinlich ein Pharisäer, hatte die Diskussion zwischen Jesus und den Sadduzäern ( Mk 12,18-27 ) mitangehört und war beeindruckt, wie gut Jesus ihnen geantwortet hatte . Er trat - offensichtlich ohne alle Feindseligkeit oder Hintergedanken - zu Jesus, um ihn zu seiner geistesgegenwärtigen Antwort auf eine der meistdiskutiertesten Fragen in den Kreisen der Schriftgelehrten zu beglückwünschen und um ihm seinerseits eine Frage über das Gesetz zu stellen. Die Schriftgelehrten gingen im allgemeinen von 613 Einzelvorschriften - 365 Verboten und 248 Geboten - im mosaischen Gesetz aus. Sie hielten zwar alle für bindend, machten jedoch Unterschiede in der Gewichtigkeit der einzelnen Vorschriften, und immer wieder versuchten sie auch, das ganze Gesetz in einem einzigen Gebot zusammenzufassen.

Angesichts dieser Debatte fragte der Schriftgelehrte Jesus nun: "Welches ( poia ) ist das höchste ( prOtE , "erste") Gebot von allen?"



Markus

Mk 12,29-31


Daraufhin nannte ihm Jesus, ohne sich in irgendwelche Spitzfindigkeiten zu verlieren, das höchste Gebot und, untrennbar davon, ein zweites, die zusammen das ganze Gesetz enthalten.

Er begann mit den Einleitungsworten des Shema (aus dem Hebräischen, "Höre!"; S+maZ , das erste Wort von 5Mo 6,4 ). Dieses Glaubensbekenntnis ( 4Mo 15,37-41; 5Mo 6,4-9; 5Mo 11,13-21 ) wurde von frommen Juden zweimal täglich - morgens und abends - gebetet. Es war die Grundlage des jüdischen Glaubens: Der Herr (hebräisch: Yahwe ), unser Gott , der Bundesgott Israels, ist der Herr allein , d. h. ist der einzige Gott (vgl. Mk 12,32 ).

Das Gebot, du sollst den Herrn, deinen Gott ( 5Mo 6,5 ), lieben , zielt auf die auf persönlicher Entscheidung beruhende, aus ganzem Herzen kommende Treue zu Gott. Die wiederholte Präposition von ( ex , "aus": gibt den Ursprungsort an), das Adjektiv ganz ( holEs ; "das Ganze") und die verschiedenen Umschreibungen für die menschliche Persönlichkeit - Herz (Kontrollzentrum; vgl. Mk 7,19 ), Seele (Bewußtsein; vgl. Mk 8,36-37 ), Gemüt (hier im Sinne von Verstand) und Kräfte (körperliche Kräfte), unterstreichen diese Forderung. Im hebräischen Text fehlt der Begriff "Gemüt" und in der Septuaginta das Wort "Herz"; doch Jesus nannte alle beide und hob damit den ganzheitlichen Aspekt des höchsten Gebots hervor (vgl. Mk 12,33; Mt 22,37; Lk 10,27 ).

Eine ähnliche Verpflichtung sah Jesus dem Nächsten gegenüber, indem er ein anderes , vom ersten untrennbares (vgl. 1Joh 4,19-21 ) und es ergänzendes Gebot zitierte: "Du sollst deinen Nächsten ( plEsion , "den, der neben dir ist", der Begriff für "Mitmensch") lieben wie dich selbst" ( 3Mo 19,18 ). Die ganz natürliche Selbstliebe des Menschen soll nicht zur Selbstsucht führen - eine Gefahr, die immer besteht -, sondern sollte auch auf andere ausstrahlen.

Es ist kein anderes Gebot größer als diese beiden. Gott und den Nächsten aus ganzem Herzen lieben ist die Summe und das Wesen des Gesetzes und der Propheten (vgl. Mt 22,40 ). Wer diese Gebote erfüllt, erfüllt damit alle anderen.



Markus

Mk 12,32-34 a


Diese Verse, die nur bei Markus stehen, sind offensichtlich genau auf die Leser des Markusevangeliums zugeschnitten, die als Heidenchristen Schwierigkeiten mit dem Verhältnis zwischen geistlicher Realität und zeremoniellem Ritual hatten (vgl. den Kommentar zu Mk 7,19 ).

Der Schriftgelehrte (vgl. Mk 12,28 ) erkannte die Wahrheit dessen, was Jesus gesagt hatte, und ehrte ihn daraufhin mit der Anrede Meister (vgl. V. 14.19 ). Er wiederholte Jesu Antwort, wobei er es jedoch sorgfältig vermied, das Wort "Gott" auszusprechen - entsprechend dem jüdischen Brauch, den Namen Gottes aus Ehrfurcht nicht unnötig zu nennen. Die Formulierung es ist kein anderer außer ihm stammt aus 5Mo 4,35 .

Ja, der Schriftgelehrte ging sogar soweit, das Doppelgebot der Liebe über ( mehr als ) alle Brandopfer (ganz Gott dargebrachte Opfer) und Schlachtopfer (Opfer, die zum Teil zu Ehren Gottes verbrannt und zum Teil von den Gottesdienstteilnehmern gegessen wurden) zu stellen (vgl. 1Sam 15,22; Spr 21,3; Jer 7,21-23; Hos 6,6; Mi 6,6-8 ).

Er hatte verständig reagiert, und wahrscheinlich wurde er von Jesu Hinweis du bist nicht fern (fern ist im Griechischen betont) vom Reich Gottes (vgl. Mk 1,15;4,11;10,15.23 ) zu weiterem Nachdenken angeregt. Dieser Mann besaß ein religiöses Verständnis (vgl. Mk 10,15 ) und eine Offenheit Jesus gegenüber, die ihn in die Nähe des Gottesreiches - der geistlichen Herrschaft Gottes über jene, die an ihn glauben - brachten. Ob es ihm gelang, später tatsächlich noch in eine echte Glaubensbeziehung zu Gott zu kommen, erfahren wir nicht.



Markus

Mk 12,34 b


Alle Versuche der Gegner Jesu, ihn unglaubwürdig zu machen, waren damit gescheitert. Dabei hatte Jesus die Hintergedanken und Irrtümer seiner Widersacher so geschickt entlarvt, daß niemand mehr wagte, ihn noch etwas zu fragen .



Markus

5. Jesu Frage nach dem Davidssohn
(
12,35 - 37 ) ( Mt 22,41-46; Lk 20,41-44 )


Mk 12,35


Später, als Jesus wieder einmal im Tempel ( tO hierO ; vgl. Mk 11,11 ) lehrte, fragte er die Versammelten, was die Schriftgelehrten ihrer Ansicht nach meinten, wenn sie sagten, daß der Christus , der erwartete Messias, Davids Sohn (Nachkomme) sei, der in Herrlichkeit kommen und sie erlösen würde (vgl. Mk 10,47 ). Die Juden glaubten fest an die Davidssohnschaft des Messias (vgl. Joh 7,41-42 ) - eine Überzeugung, die sich auf zahlreiche Aussagen im Alten Testament gründete (vgl. 1Sam 7,8-16; Ps 89,4-5; Jes 9,1-6;11,1-12; Jer 23,5-6;30,9;33,15-17.22; Hes 34,23-24;37,24; Hos 3,5; Am 9,11 ). Nun lehrte Jesus sie, daß der Messias zugleich auch der Herr Davids war. Die Schriftgelehrten hatten zwar recht, doch ihre Lehre war unvollständig (vgl. Mk 9,11-13 ). Die Schrift ging weit über ihre engen nationalistischen Hoffnungen hinaus.



Markus

Mk 12,36-37 a


Um zu beweisen, daß der Messias nicht nur der Sohn, sondern gleichzeitig auch der Herr Davids war, zitierte Jesus, was David selbst durch den (unter dem Einfluß des) heiligen Geist in Ps 110,1 gesagt hatte . Was dort steht, spricht sowohl für eine Verfasserschaft Davids als auch dafür, daß er die Worte unter göttlichem Einfluß niederschrieb. David sagte: Der HERR (hebräisch "Yahwe" , Gott der Vater; vgl. Mk 12,29 ) sprach zu meinem (Davids) Herrn (hebräisch ?!DOnAy , der Messias): Setze dich zu meiner (des Vaters) Rechten , dem höchsten Ehrenplatz, bis (oder "während"; vgl. Mk 9,1;14,32 ) ich (der Vater) deine (des Messias) Feinde unter deine (des Messias) Füße lege , d. h. sie dir unterwerfe (vgl. Jos 10,24; Hebr 10,12-14 ).

Ohne jeden Zweifel nannte David den Messias an dieser Stelle Herr . Das warf ein Problem auf: Woher (oder "in welchem Sinne") ist ( estin ) er (der Messias, Davids Herr) dann sein (Davids) Sohn? Diese rhetorische Frage Jesu ließ nur einen einzigen Schluß zu: Der Messias war Davids Sohn und zugleich Davids Herr, d. h. er war sowohl Gott (der Herr Davids) als auch Mensch (der Sohn Davids; vgl. Röm 1,3-4; 2Tim 2,8 ). Seine Aufgabe war es, das zukünftige davidische Reich auf Erden wiederherzustellen ( 1Sam 7,16; Am 9,11-12; Mt 19,28; Lk 1,31-33 ).

Es ist anzunehmen, daß Jesus diese Frage mit Absicht aufgebracht hatte, um seine Zuhörer dazu anzuregen, hier einen Zusammenhang zu ihm herzustellen. Sie enthielt einen kühnen, doch verschleierten Hinweis auf seine wahre Identität, den die jüdischen Hörer zwar wahrscheinlich begriffen, aber nicht akzeptierten (vgl. den Kommentar zu Mk 12,12;14,61-62 ). (Interessanterweise finden sich im Neuen Testament mehr Verweise und Anspielungen auf Ps 110 als auf jede andere Textstelle des Alten Testaments; vgl. z. B. Apg 2,29-35; Hebr 1,5-13;5,6;7,17.21 .)



Markus

Mk 12,37 b


Im Gegensatz zu den jüdischen Religionsführern, die permanent versucht hatten, Jesus mit subtilen Fragen in eine Falle zu locken (vgl. V. 13 ), hörte alles Volk , die ganze große Gemeinde des Passafestes, ihn gern , wenn auch sicherlich nicht unbedingt mit großem Verständnis.



Markus

6. Schluß: Verurteilung der Heuchelei und Betonung der wahren Frömmigkeit
(
12,38 - 44 )


Der Bericht des Markusevangeliums über Jesu Wirken in der Öffentlichkeit schließt mit einer Warnung vor den Schriftgelehrten (V. 38 - 40 ). Diese Warnung bezeichnet gleichzeitig Jesu endgültigen Bruch mit den jüdischen Autoritäten und steht in schroffem Gegensatz zu der Anerkennung, die er der wahren Frömmigkeit einer Witwe zollt (V. 41 - 44 ). Die kleine Episode mit dem Scherflein der armen Witwe greift erneut das Thema der Unterweisung der Jünger auf und bildet zugleich den Übergang zu der prophetischen Rede in Kapitel 13 .



a. Jesu Verurteilung der Heuchelei
(
12,38 - 40 ) ( Mt 23,1-39; Lk 20,45-47 )


Mk 12,38-39


Jesus warnte die Menschen immer wieder: Seht euch vor (vgl. Mk 8,15 ) vor den (das Griechische impliziert hier: vor "denjenigen") Schriftgelehrten , die das Lob der Menschen suchen und ihre Privilegien mißbrauchen. Dieser Vorwurf traf auf viele, wenn auch nicht auf alle Schriftgelehrten zu (vgl. Mk 12,28-34 ).

Sie liebten es, (a) in langen Gewändern umherzugehen - langen weißen Leinengewändern mit Fransen, wie sie die Priester, Schriftgelehrten und Leviten trugen; (b) sich auf dem Markt von den einfachen Leuten, für die sie Respektspersonen waren, mit ihren Titeln - Rabbi (Lehrer), Meister, Vater - grüßen zu lassen (vgl. Mt 23,7; Lk 20,46 ); (c) in den Synagogen obenan zu sitzen , auf den Ehrenplätzen für die Würdenträger vor dem Kasten mit den heiligen Schriftrollen, mit dem Gesicht zur übrigen Gemeinde; und (d) obenan zu sitzen am Tisch beim Mahle - z. B. bei besonderen Gesellschaften, bei denen sie neben dem Gastgeber saßen und bevorzugt behandelt wurden.



Markus

Mk 12,40


Da die Schriftgelehrten im

1. Jahrhundert keine Bezahlung erhielten (Mischna Aboth 1. 13; Bekhoroth 4. 6), waren sie abhängig von der Gastfreundschaft frommer Juden, eine Praxis, die leider häufig auch Gelegenheit zu Mißbrauch gab. Der Vorwurf sie fressen die Häuser der Witwen vermittelt einen anschaulichen Eindruck von der Unverschämtheit, mit der dabei teilweise die Großzügigkeit weniger begüterter Leute, insbesondere der Witwen, ausgenutzt wurde. Außerdem verrichteten sie lange Gebete , um das Volk mit ihrer Frömmigkeit zu beeindrucken und das Vertrauen der Menschen zu gewinnen.

Jesus verurteilte das ostentative Gehabe, die Habgier und die Heuchelei der Pharisäer. Statt die Aufmerksamkeit der Menschen auf Gott zu lenken, wie es eigentlich ihr Amt gewesen wäre, nahmen sie sie, unter dem Deckmantel der Frömmigkeit, für sich selbst in Anspruch. Lehrer, die so versagen, werden in Gottes Endgericht ein um so härteres Urteil empfangen (vgl. Jak 3,1 ).



Markus

b. Jesu Lob für die Frömmigkeit einer Witwe
(
12,41 - 44 ) ( Lk 21,1-4 )


Mk 12,41-42


Vom Vorhof der Heiden (vgl. Mk 11,15 ) aus, wo er die Menschen gelehrt hatte, betrat Jesus den Frauenhof. An einer Mauer dieses Hofes standen dreizehn trompetenförmige Kollektenbehälter, die die freiwilligen Opfer und Gaben der Gläubigen aufnahmen (Mischna Shekalim 6. 5).

Von einem günstigen Punkt direkt gegenüber von einem dieser Gotteskästen ( katenanti ; vgl. den Kommentar zu Mk 11,2 ) sah Jesus zu, wie ( pOs , "auf welche Weise") die Festgemeinde des Passa Geld einlegte .

Im Gegensatz zu vielen Reichen , die große Summen gaben (wörtlich: "vieleMünzen" aller Art - Gold, Silber, Kupfer und Bronze), spendete eine nicht mit Namen genannte arme Witwe nur zwei Lepta ( Scherflein ). Ein Lepton war die kleinste jüdische Bronzemünze, die in Palästina kursierte. Der Wert zweier Lepta betrug ein Vierundsechzigstel eines römischen Denars, des Tageslohnes eines Arbeiters (vgl. Mk 6,37 ). Für seine römischen Leser gab Markus den Wert der Münzen noch in römischer Währung an: einen Pfennig .



Markus

Mk 12,43-44


Mit der feierlichen Einleitungsformel ( wahrlich, ich sage euch ; vgl. Mk 3,28 ) machte Jesus seine Jünger darauf aufmerksam, daß diese Frau mehr in den Gotteskasten gelegt hatte als alle. Denn ( gar ) während die anderen alle etwas aus ihrem Überfluß gespendet hatten, was ihnen wenig ausmachte, hatte die Witwe von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt . Proportional gesehen hatte sie am meisten gegeben - nämlich alles, was sie zum Leben hatte . Mit dieser Opfergabe für Gott vertraute sie sich ganz und gar seiner gnädigen Fürsorge an.

Dabei hätte sie durchaus eine Münze für sich zurückbehalten können, denn die rabbinische Vorschrift, daß ein Opfer von weniger als zwei Lepta nicht akzeptabel war, bezog sich auf Gaben für die Armen und hatte hier keine Gültigkeit. Am Beispiel dieser Witwe versuchte Jesus seinen Jüngern deutlich zu machen, welchen Wert Gott auf ein wirklich von Herzen kommendes Vertrauen legt, denn die Treue der Jünger Jesus gegenüber sollte bald auf eine ernste Probe gestellt werden (vgl. Mk 14,27-31 ). Zugleich war dieser Zwischenfall ein Bild für Jesu vollkommene Selbstaufgabe im Tod.



Markus

D. Die Endzeitreden an die Jünger auf dem Ölberg
( Mk 13 ) ( Mt 24; Lk 17,23-37; 21,5-36 )


Dieses Kapitel, bekannt als die Endzeitrede auf dem Ölberg, enthält die längste zusammenhängende Passage von Lehraussagen Jesu im ganzen Markusevangelium (vgl. Mk 4,1-34 ).

In ihr sagte Jesus die Zerstörung des Tempels in Jerusalem ( Mk 13,2 ) voraus, was die erschrockenen Jünger sogleich zur Frage nach dem genauen Zeitpunkt, an dem "das" geschehen sollte (V. 4 ), veranlaßte. Offenbar brachten sie die Zerstörung des Tempels mit dem Ende des gegenwärtigen Zeitalters in Verbindung (vgl. Mt 24,3 ). In seiner Antwort verwob Jesus eine von zwei unterschiedlichen Perspektiven ausgehende Prophezeiung geschickt zu einer einheitlichen Lehre: (a) das Nahereignis, die Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.) und (b) das in der Zukunft liegende Kommen des Menschensohnes in den Wolken mit Macht und Herrlichkeit. Das erstere, auf einen bestimmten Ort beschränkte Ereignis war dabei ein Vorgeschmack des späteren universalen Geschehens. Jesus folgte damit dem Beispiel der alttestamentlichen Propheten und kündigte ein in ferner Zukunft liegendes Geschehen in Gestalt einer nahe bevorstehenden Katastrophe an, deren Eintreffen zumindest einige seiner Zuhörer noch miterleben sollten (vgl. Mk 9,1.12-13 ).

Daß er sich dieses Stilmittels bediente, deutet darauf hin, daß er wußte, daß zwischen seiner Auferstehung und seinem zweiten Kommen eine Zeit der historischen Entwicklung liegen würde (vgl. Mk 13,10;14,9 ). In der Tat sind nun seit dem Untergang Jerusalems nahezu zweitausend Jahre vergangen, und das Ende ist noch immer nicht gekommen. Jesus verband seine Prophezeiung (a) mit der Warnung vor Irreführung und (b) mit der Ermahnung zu wachsamem Gehorsam in der "Zwischenzeit", der Zeit der Mission, der Verfolgung und der sozialen und politischen Unruhen. So finden sich in Kapitel 13,5 - 37 im Griechischen insgesamt 19 Imperative, wobei jeweils aus einem Hinweis Jesu auf die Zukunft (das Verb steht in der dritten Person Indikativ: u. a. V. 7 b. 9 a. 11 ) eine Ermahnung abgeleitet wird (das Verb steht in der zweiten Person: u. a. V. 5 b. 7 a. 9 a). Viermal taucht an wichtigen Stellen der Rede (V. 5.9.23.33 ) die Verbform seht zu bzw. seht euch vor ( blepete ) auf. Sie soll dieGläubigen ermutigen, ihren Glauben an Gott in der gegenwärtigen Zeit standhaft und gehorsam zu bewahren.

Die Rede auf dem Ölberg bildet gleichsam eine Brücke zwischen der Auseinandersetzung mit den religiösen Autoritäten ( Mk 11,27-12,44 ) und der Leidensgeschichte ( Mk 14,1-15,47 ), die in Jesu Gefangennahme und seinem Tod ihren Höhepunkt fand. Hier auf dem Ölberg offenbarte er seinen Jüngern, daß das "religiöse Establishment", das ihm entgegenarbeitete und ihn schließlich zum Tode verurteilen würde, selbst dem Gericht Gottes verfallen war.

1. Einleitung: Die Vorhersage der Zerstörung des Tempels
(
13,1 - 4 ) ( Mt 24,1-3; Lk 21,5-7 )


Mk 13,1


Als Jesus - wahrscheinlich am Mittwochabend der Passionswoche (vgl. die Einführung zu Mk 11,1-13,37 ) - den Tempel ( hierou ; vgl Mk 1,11 ) verließ, lenkte einer seiner Jünger seine Aufmerksamkeit mit den ehrfürchtigen und bewundernden Worten: Meister (vgl. Mk 4,38;9,5 ), siehe, was für Steine und was für Bauten! auf die massiven, großartigen Bauten des Tempelbezirks mit ihren Höfen, Vorbauten, Kolonnaden und Säulenhallen.

Der Jerusalemer Tempel (der erst im Jahr 64 n. Chr. vollendet wurde) war von der Dynastie des Herodes erbaut worden. Mit ihm wollte sich das Königsgeschlecht der Herodianer ein bleibendes Denkmal errichten und gleichzeitig die Gunst des jüdischen Volkes gewinnen. Er galt als ein architektonisches Wunder der Alten Welt. Aus riesigen, glänzenden weißen Steinen errichtet und großzügig mit goldenen Verzierungen geschmückt (Josephus, Ant. 15. 11. 3 - 7), bedeckte er über ein Sechstel des Stadtgebietes des alten Jerusalem. Für die Juden kam denn auch nichts der Pracht und Großartigkeit ihres Tempels gleich.



Markus

Mk 13,2


Nun antwortete Jesus auf den bewundernden Ausruf des Jüngers mit der erschreckenden Vorhersage der völligen Zerstörung dieser ganzen Herrlichkeit. Alle diese großen Bauten sollten vollständig dem Erdboden gleichgemacht werden - wörtlich: nicht ( ou mE ) ein Stein wird auf dem andern bleiben, der nicht ( ou mE ) zerbrochen werde . Der Gebrauch der doppelten Verneinung unterstrich noch die schreckliche Gewißheit der Prophezeiung.

Diese dunkle Weissagung schloß sich unmittelbar an die Verurteilung an, die Jesus angesichts des Mißbrauchs des Tempelgeländes ausgesprochen hatte (vgl. Mk 11,15-17; Jer 7,11-14 ). Wie in den Tagen Jeremias sollte auch diesmal Gottes Gericht in Form der Zerstörung des Tempels durch eine ausländische Macht über das sich widersetzende Israel hereinbrechen.

Die Vorhersage erfüllte sich tatsächlich bereits innerhalb einer Generation. Im Jahr 70 n. Chr., nachdem der Tempel gegen seinen ausdrücklichen Befehl niedergebrannt worden war, befahl Titus seinen Soldaten, die Stadt Jerusalem niederzureißen und ihre Häuser dem Erdboden gleichzumachen (Josephus; Jüd. Krieg 7. 1. 1).



Markus

Mk 13,3-4


Jesus wanderte mit seinen Jüngern durch das Kidrontal zum Ölberg (vgl. Mk 11,1 a) und ließ sich dort mit ihnen gegenüber dem Tempel nieder. Der Ölberg erhebt sich mehr als 800 Meter über den Meeresspiegel, liegt damit jedoch nur etwa 30 Meter höher als Jerusalem. Der Tempel und die Stadt befanden sich westlich des Berges.

Die vier Jünger, die Jesus als erste berufen hatte (vgl. Mk 1,16-20 ), fragten ihn, als sie allein waren ( kat? idian ; vgl. Mk 6,32 ), was seine Vorhersage zu bedeuten habe. Ihre Namen erwähnt nur Markus. Wie so oft im Markusevangelium bildete auch hier eine Frage der Jünger die Einleitung zu einem längeren Diskurs Jesu (vgl. Mk 4,10-32;7,17-23;9,11-13.28-29;10,10-12 ).

Die Frage der Jünger, die möglicherweise von Petrus vorgetragen wurde (vgl. Mk 8,29 ), richtete sich auf zwei Punkte: (a) Wann wird das - die Zerstörung des Tempels ( Mk 13,2 ) und die anderen,zukünftigen Dinge (man beachte den Plural!) - geschehen , und (b) was wird das Zeichen sein, wenn das alles (wörtlich "diese Dinge") vollendet werden soll? Das Verb "vollendet sein" ( synteleisthai ) bezeichnet die endgültige Erfüllung, das Ende des gegenwärtigen Zeitalters (vgl. V. 7 ; Mt 24,3 ).

Da die Jünger nur aus dem Blickwinkel der alttestamentlichen Prophetie heraus denken konnten (z. B. Sach 14 ), lagen für sie die Zerstörung des Tempels und die Ereignisse der Endzeit, die schließlich im Kommen des Menschensohnes gipfeln würden, nahe beieinander. Sie gingen davon aus, daß die Zerstörung Jerusalems und des Tempels zu den Geschehnissen am Ende der Zeiten gehörte und daß damit das messianische Königreich beginnen würde. Deshalb wollten sie wissen, wann das geschehen und welches sichtbare Zeichen der Zerstörung vorangehen würde, damit sie erkennen konnten, wenn die Erfüllung gekommen war.



Markus

2. Die Prophezeiungen über die Endzeit
(
13,5 - 32 )


Die äußeren Umstände, die mit dem drohenden Fall Jerusalems assoziiert wurden, waren Vorboten der Ereignisse, die am Ende der Welt eintreten werden. Die Worte Jesu an seine ersten Jünger gelten deshalb für alle Menschen, die ihm jemals nachfolgten und heute noch nachfolgen und die in ihrem Zeitalter mit ähnlichen Zuständen konfrontiert werden.

Zunächst ging er auf den zweiten Teil der Frage der Jünger ein, auf das "Zeichen" (V. 4 b), das sie sich erhofften, indem er sie einerseits vor den falschen Zeichen der Endzeit warnte (V. 5-13 ) und ihnen andererseits die wirklichen Geschehnisse, die der Zeit der Trübsal vorhergehen sollten, beschrieb und ihnen die Umstände seines zweiten Kommens schilderte (V. 14-27 ). Erst dann beantwortete er ihre erste Frage zum Zeitpunkt (V. 4 a) dieses Geschehens in Form eines Gleichnisses (V. 28-32 ).

a. Jesu Warnung vor Irrlehrern
(
13,5 - 8 ) ( Mt 24,4-8; Lk 21,8-11 )


Mk 13,5-6


Seht zu ( blepete , "seid auf der Hut") war ein Aufruf zur Wachsamkeit, der wie ein Leitmotiv im folgenden Diskurs immer wieder anklingt (vgl. V. 9,23.33; V. 35 hat ein anderes Verb). Jesus warnte seine Jünger eindringlich, sich vor Irrlehrern in acht zu nehmen. In den kommenden Krisenzeiten werden viele falsche "Messiasse" unter seinem Namen und seiner Vollmacht (vgl. V. 22 ) kommen und sagen: Ich bin's (wörtlich: egO eimi, "ich bin"). In dieser Wendung, einer Selbstoffenbarungsformel Gottes, steckt der Anspruch auf Göttlichkeit (vgl. Mk 6,50; 2Mo 3,14; Joh 8,58 ). Diese falschen Propheten werden viele verführen (vgl. Apg 8,9-11 ).



Markus

Mk 13,7-8


Zweitens warnte Jesus seine Jünger davor, in ihrer Zeit stattfindende Ereignisse wie Kriege und Naturkatastrophen als Zeichen, daß das Ende gekommen sei, mißzuverstehen. Sie sollten sich nicht fürchten und von ihrer Arbeit ablenken lassen, wenn sie von Krieg (den Schlachtlärm vor ihrer Tür) und Kriegsgeschrei (Gerüchte von Kriegen) hören . Diese Dinge müssen ( dei , durch göttlichen Ratschluß; vgl. Mk 8,31;13,10 ) geschehen . Sie gehören zu Gottes Plan, der den Krieg als Folge der menschlichen Auflehnung und Sünde zuläßt. Aber das Ende des gegenwärtigen Zeitalters und die Errichtung der Herrschaft Gottes auf Erden ist damit noch nicht da .

Diese Aussage wird im folgenden noch bestätigt ( gar , denn ) und erweitert: Es wird sich ein Volk gegen das andere erheben (wörtlich: soll aufgehetzt werden; d. h. von Gott; vgl. Jes 19,2 ). Es werden Erdbeben und Hungersnöte sein . Doch das (wörtlich: "diese Dinge") ist erst der (wörtlich: "ein") Anfang der Wehen . Die "Wehen", die starken Schmerzen, die einer Geburt vorausgehen, sind schon im Alten Testament ein Bild für das göttliche Gericht (vgl. Jes 13,6-8; 26,16-18 ; Jer 22,20-23; Hos 13,9-13; Mi 4,9-10 ). Sie beziehen sich auf die Zeit der großen Trübsal, die der Geburt des neuen Zeitalters, der messianischen Herrschaft, vorausgeht.

Der wiederholte Hinweis auf die Verzögerung des Endes - "aber das Ende ist noch nicht da" ( Mk 13,7 d) und "das ist der Anfang der Wehen" (V. 8 c) - legt die Annahme nahe, daß vor dem "Ende" noch eine längere Zeit vergehen wird. Jede Generation wird ihre eigenen Kriege und Naturkatastrophen haben, die alle zu Gottes Plan gehören. Die ganze menschliche Geschichte ist auf die Geburt des messianischen Zeitalters hin angelegt.



Markus

b. Warnung vor den Gefahren der Verfolgung
(
13,9 - 13 ) ( Mt 24,9-14; Lk 21,12-19 )


Diese Aussagen Jesu (vgl. ihre Verwendung in anderen Zusammenhängen: Mt 10,17-22; Lk 12,11-12 ) sind durch das immer wiederkehrende Verb paradidOmi ("überantworten"; Mk 13,9.11.12 ) miteinander verbunden. Jesus sprach diese Sätze wahrscheinlich bei mehreren Anlässen, nicht nur hier auf dem Ölberg. Er wollte damit die Jünger auf das Leid vorbereiten, das ihnen ihre Treue zu ihm bringen sollte.



Mk 13,9


Mit der Ermahnung: seht euch vor ( blepete ; vgl. V. 5 ), wies Jesus die Jünger an, sich auf ungerechte Behandlung in der Verfolgung gefaßt zu machen. Sie sollten den Gerichten (wörtlich: dem Rat), den jüdischen Gerichtshöfen in den Synagogen, überantwortet und in den Synagogen öffentlich als Häretiker (vgl. Mischna Makkoth 3. 10 - 14) gegeißelt , d. h. mit 39 Hieben ausgepeitscht werden. Ihre Treue zu Christus würde sie vor Statthalter und Könige , d. h. vor die obersten Verwaltungsbehörden der Provinzen, bringen (vgl. Apg 12,1;23,24;24,27 ), ihnen zum Zeugnis (vgl. den Kommentar zu Mk 1,44;6,11 ). Das Zeugnis, das sie in ihren Rechtfertigungsreden für das Evangelium ablegten, würde in Gottes endgültigem Gericht zur Anklage gegen ihre Verfolger werden.



Markus

Mk 13,10


Das Evangelium muß (dei; "aus göttlichem Ratschluß"; vgl. V. 7 ; Mk 8,31 ) zuvor gepredigt ("verkündigt") werden unter allen Völkern (dieses Wort ist im Griechischen durch seine Satzstellung hervorgehoben) der ganzen Welt (vgl. Mk 11,17;14,9 ).

Jesus sagte den Jüngern, daß sie bei der Verkündigung des Evangeliums mit Verfolgungen rechnen müßten, doch er ermutigte sie auch, nicht zu verzweifeln und die Hoffnung nicht aufzugeben. Denn trotz aller Widerstände hat die Verkündigung des Evangeliums nach dem Willen Gottes für dieses Zeitalter Vorrang und wird sich deshalb auch durchsetzen. Allerdings muß jede Generation die Verantwortung für die Verkündigung immer wieder neu übernehmen (vgl. Röm 1,5.8; Röm 15,18-24; Kol 1,6.23 ). Dennoch ist die weltweite Predigt des Evangeliums nicht die Voraussetzung und auch keine Garantie dafür, daß am Ende dieses Zeitalters tatsächlich alle Menschen das Evangelium angenommen haben (vgl. Mt 25,31-46 ).



Markus

Mk 13,11


Wenn die Jünger nun dafür, daß sie das Evangelium verkündigt haben, hingeführt und überantwortet werden (von paradidOmi ; vgl. V. 9 ), sollten sie sich nicht vorher sorgen, was sie zu ihrer Verteidigung reden sollten . Sie sollten sagen, was Gott ihnen in jener Stunde eingeben würde (vgl. 2Mo 4,12; Jer 1,9 ). Der heilige Geist wird aus ihnen reden ; er wird sie in die Lage versetzen, zum richtigen Zeitpunkt trotz ihrer Angst mutig das Richtige zu sagen. Diese Hilfe wird jedoch nicht automatisch zu ihrer Freilassung führen.



Markus

Mk 13,12-13


Die Jünger erfuhren, daß sowohl offizielle Stellen (V. 9.11 ) als auch ihre nächsten Verwandten und Freunde sich dem Evangelium widersetzen würden. Ja, so ingrimmig sollte der Widerstand sein, daß sogar Familienmitglieder - der Bruder gegen den Bruder, der Vater gegen seine Kinder und die Kinder gegen ihre Eltern - einander den feindlichen Autoritäten preisgeben (von von paradidOmi ; vgl. V. 9.11 ) und so helfen werden , Christen zu töten. Aufgrund ihrer Treue zu Jesus (wörtlich: um meines Namens willen ; vgl. V. 9 ) werden seine Jünger bei jedermann verhaßt sein, d. h. bei allen Menschen, nicht nur bei ihnen feindlich gesonnenen Autoritäten oder Verwandten (vgl. Phil 1,29;3,10; Kol 1,24; 1Pet 4,16 ). Wer aber beharrt (wörtlich: "wer ausgehalten hat" bis zum Tod), wer Jesus Christus und dem Evangelium (vgl. Mk 8,35 ) treu geblieben ist bis an das Ende (eis telos, ein Adverb mit der idiomatischen Bedeutung: "völlig, bis an die Grenze"; vgl. Joh 13,1; 1Thes 2,16 ) seines irdischen Lebens, der wird selig (vgl. Mk 9,35;10,26-27 ), d. h. gerettet und schließlich verherrlicht werden (vgl. im Gegensatz dazu Mk 13,20; vgl. auch Hebr 9,27-28 ). Ein solches Ausharren im Glauben ist eine Folge und ein äußeres Zeichen, nicht aber Voraussetzung wirklicher Frömmigkeit (vgl. Röm 8,29-30; 1Joh 2,19 ). Ein Mensch, der in Wahrheit durch den Glauben, den Gottes Gnade ihm schenkt, gerettet ist (vgl. Eph 2,8-10 ), hält bis ans Ende aus und wird selig werden.

Diese mahnenden Worte waren für die Leser des Markusevangeliums, die wegen ihres Glaubens ständig unter der Drohung des Verfolgtwerdens lebten, außerordentlich ermutigend. Ihr Leid wurde erträglicher, wenn sie es im Kontext des Planes Gottes sehen konnten, der wollte, daß die ganze Welt an der Gnade des Evangeliums teilhaben sollte (vgl. den Kommentar zu Mt 24,13 ).



Markus

c. Die Zeit der Trübsal
(
13,14 - 23 ) ( Mt 24,15-28; Lk 21,20-24 )


Nach diesen vorwarnenden Sätzen beantwortete Jesus die Frage der Jünger nach einem "Zeichen" für den Anbruch der Endzeit ( Mk 13,4 b) nun auch noch inhaltlich, indem er ihnen genau schilderte, was dieser Zeit vorangehen würde (V. 14-23 ).

Manche Exegeten beziehen die Ereignisse, die in diesem Abschnitt vorhergesagt werden, auf die politischen Wirren vor der Zerstörung Jerusalems (66 - 70 n. Chr.). Andere sehen sie ausschließlich im Zusammenhang mit der Zeit der Trübsal vor Jesu Rückkehr. Die Analyse des Textes legt jedoch die Annahme nahe, daß hier beides gemeint war (vgl. Mt 24,15-16.29-31; Lk 21,20-28 ). Die Eroberung Jerusalems steht in theologischer (nicht in chronologischer) Hinsicht mit den Ereignissen der Endzeit (vgl. Dan 9,26-27; Lk 21,24 ) in Verbindung, wobei der Ausdruck "das Greuelbild der Verwüstung" als Bindeglied zwischen der historischen und der eschatologischen Perspektive fungiert (vgl. Dan 11,31 mit Dan 9,27;12,11 ). Die "nahe bevorstehende" Bedrängnis wird dabei zum Vorzeichen und Sinnbild für die "ferne" Zeit der Trübsal am Ende dieses Zeitalters.



Mk 13,14


Das Zeichen, daß all "das" nahe bevorsteht (vgl. V. 4 ), soll die Erscheinung des Greuelbilds der Verwüstung (vgl. Dan 9,27;11,31;12,11; Mt 24,15 ) sein, das stehen wird, wo es nicht soll - ein versteckter Hinweis auf das Allerheiligste. Eine genauere Angabe hätte die Leser des Evangeliums möglicherweise in Gefahr gebracht. Daher die Ermahnung des Evangelisten: "Wer es liest, der merke auf!" ; sie sollte die Leser dazu anregen, das hier Gesagte auf dem Hintergrund des Alten Testaments zu entschlüsseln (vgl. z. B. Dan 9,25-27 ).

Das "Greuelbild" war ein Synonym für den heidnischen Götzendienst und dessen widerwärtige Praktiken ( 5Mo 29,16-18; 2Kö 16,3-4;23,12-14; Hes 8,9-18 ). Der Ausdruck "Greuelbild der Verwüstung" bezog sich auf die Anwesenheit eines Götzendieners oder eines Gegenstands heidnischer Gottesverehrung im Tempel, ein Anblick, der so verabscheuungswürdig war, daß der Tempel von seinen Gläubigen verlassen wurde und wüst und leer zurückblieb.

Historisch gesehen erfüllte sich diese Prophezeiung Daniels ( Dan 11,31-32 )zum ersten Mal bei der Entweihung des Tempels im Jahr 167 v. Chr. durch den syrischen Herrscher Antiochus Epiphanes. Er hatte dem heidnischen Gott Zeus einen Altar über dem Brandopferaltar errichtet und ihm darauf ein Schwein geopfert (vgl. 1. Makk 1,41 - 64; 1. Makk 6,7; und Josephus, Ant. 12. 5. 4).

Doch Jesus dachte hier offensichtlich an ein zweites derartiges Ereignis - an die Entweihung des Tempels und seine Zerstörung im Jahr 70 n. Chr. Wenn (wörtlich: "wann immer") seine - gegenwärtigen und zukünftigen - Jünger sehen sollten, daß es zu einer solchen Entweihung kommt, soll es ein Zeichen für die Menschen in Judäa sein, auf die Berge , über den Jordan nach Peräa, zu fliehen .

Josephus berichtet in seiner Chronik von der Besetzung und Entweihung des Tempels im Jahr 67 - 68 n. Chr. durch jüdische Zeloten, die einen Usurpator, Phanni, als Hohenpriester einsetzten ( Jüd. Krieg 4. 3. 7 - 10; 4. 6. 3). Die Judenchristen flohen damals nach Pella, einer Stadt in den Bergen jenseits des Jordan (Eusebius, Kirchengeschichte 3. 5. 3).

Die Tempelschändungen der Jahre 167 v. und 70 n. Chr. sind Vorboten einer letzten, endgültigen Erfüllung dieser Worte Jesu unmittelbar vor seiner Wiederkunft (vgl. Mk 13,24-27 ). Markus benutzt das männliche Partizip des Verbs ï ( hestEkota , Part. Perf. mask.), um das Neutrum-Substantiv "Greuelbild" ( bdelygma ; V. 14 ) näher zu bezeichnen. Das deutet eher darauf hin, daß es sich bei dem "Greuelbild" um eine Person handeln wird, die "steht, wo sie nicht stehen soll".

Diese Person wird der Antichrist der Endzeit sein ( Dan 7,23-26;9,25-27; 2Thes 2,3-4.8-9; Offb 13,1-10.14-15 ). Er wird zu Beginn der sieben Jahre, die dem zweiten Kommen Christi vorausgehen, einen Bund mit dem jüdischen Volk schließen ( Dan 9,27 ). Der Tempel wird wiedererbaut und der Gottesdienst wiedereingeführt werden ( Offb 11,1 ). In der Mitte dieser Zeit (also nach dreieinhalb Jahren) wird der Antichrist den Bund jedoch brechen, die Opferungen einstellen, den Tempel entweihen (vgl. Dan 9,27 ) und sich selbst als Gott ausrufen ( Mt 24,15; 2Thes 2,3-4; Offb 11,2 ). Diese Lästerung wird dann die schrecklichen Ereignisse der Endzeit, der Zeit der großen Trübsal, auslösen ( Offb 6;8-9;16 ). Wer sich weigert, dem Antichrist nachzufolgen, wird schweren Verfolgungen ausgesetzt sein und fliehen müssen ( Offb 12,6.13-17 ). Viele Menschen - sowohl Juden als auch Heiden - werden in dieser Zeit gerettet werden ( Offb 7 ), doch viele werden auch den Märtyrertod sterben ( Offb 6,9-11 ).



Markus

Mk 13,15-18


In dieser Krisenzeit darf einer, der auf dem Dach ist (vgl. Mk 2,2-4 ), sich nicht die Zeit nehmen, hinunterzusteigen und hineinzugehen , um etwas von seiner Habe zu retten. Und wer auf dem Feld ist, der wende sich nicht um, seinen Mantel zu holen , um sich vor der kalten Nachtluft zu schützen.

Am schlimmsten werden die Schrecken der Endzeit nach Jesu Worten die Schwangeren und Stillenden treffen, die unter solch schwierigen Bedingungen fliehen müssen. Jesus empfahl seinen Jüngern deshalb (vgl. Mk 13,14 ) zu bitten, daß es (vgl. V. 29 ) - das Unheil, das sie zur Flucht zwingen wird - wenigstens nicht im Winter geschehe , in der Regenzeit, wenn die Flüsse Hochwasser führen und schwer zu überqueren sind.



Markus

Mk 13,19


Der Grund für ihre eilige Flucht, die hoffentlich ohne diese zusätzlichen Erschwernisse vor sich gehen würde, ist, daß i n diesen Tagen eine solche Bedrängnis ( thlipsis ; vgl. V. 24 ) sein wird, wie sie nie ( ou mE ; vgl. V. 2 ) gewesen ist bis jetzt vom Anfang der Schöpfung, die Gott geschaffen hat, und auch nicht wieder werden wird . Zu keiner Zeit in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft gab es eine solche schreckliche Zeit oder wird es sie je wieder geben.

Auch die bevorstehende Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. stellte zwar eine solche Bedrängnis dar, doch das Geschehen, das Jesus schilderte,war nicht auf dieses eine historische Ereignis beschränkt (vgl. Josephus, Vorwort zum Jüd. Krieg 1. 1. 4; 5. 10. 5). Sein Blick ging über die nahe Zukunft hinaus in die Endzeit, die Zeit der großen Trübsal ( thlipsis ; vgl. Offb 7,14 ) vor seinem zweiten Kommen. Diese Annahme wird auch durch die folgenden Tatsachen gestützt: 1. Mk 13,19 nimmt Dan 12,1 auf, eine Endzeit-Prophezeiung 2. Die Worte "wie sie nie gewesen ist und auch nicht wieder werden wird" implizieren, daß es danach nie mehr eine Krise wie diese geben wird. 3. Die Wendung "in diesen (bzw. "jenen") Tagen" verbindet die "nahe" mit der "fernen" Zukunft (vgl. Mk 13,17.19-20.24; Jer 3,16-18;33,14-16; Joe 3,1 ). 4. Laut Vers 20 werden "diese Tage" ein Ende haben.



Markus

Mk 13,20


Wenn der HERR ( Yahwe , Gott; vgl. Mk 12,29 ) nicht bereits beschlossen hätte, diese Tage (wörtlich: "die Tage"; vgl. Mk 13,19 ) zu verkürzen (ihnen ein Ende zu setzen, nicht, die Zahl der Tage zu vermindern), würde kein Mensch selig ( esOthE ; "würde gerettet"; vgl. Mk 15,30-31 ), d. h. vor dem physischen Tod errettet werden; diese Aussage steht in Widerspruch zu Vers 13 . Aber Gott wird die Tage der Trübsal beenden, um der Auserwählten willen, die er auserwählt hat für sich selbst und die in "diesen Tagen" erlöst werden (vgl. Apg 13,48 ). All das bewahrheitete sich indirekt zwar bereits im Jahr 70 n. Chr., doch die Sprache des Verses deutet auf ein direktes Eingreifen Gottes im Gericht hin und weist damit unmißverständlich voraus auf die Trübsal in der Endzeit (vgl. Offb 16,1 ).



Markus

Mk 13,21-22


Wenn dann ( tote ; vgl. V. 26 - 27 ), in der Mitte "dieser Tage" (vgl. V. 19 ) schwerer Bedrängnis und Flucht, jemand auftritt und behauptet: Siehe, hier ist der Christus! Siehe, da ist er! , so sollten die Jünger es nicht glauben (die betrügerische Behauptung oder vielleicht auch "ihm", der Person, die sie aufstellt) und sich nicht fälschlich in Sicherheit wiegen. Jesus erklärte ihnen im Gegenteil, daß viele falsche Christusse (vgl. V. 6 ) und falsche Propheten sich erheben und Zeichen und Wunder tun würden, die ihren Anspruch sogar berechtigt erscheinen lassen würden. Ihr Ziel wird sein, die Auserwählten , die an den wahren Messias glauben, zu verführen (vgl. V. 20 ). Der Satz wenn es möglich wäre zeigt jedoch, daß sie damit keinen Erfolg haben werden.



Markus

Mk 13,23


Noch einmal ermahnte Jesus seine Jünger seht euch vor ( blepete ; vgl. V. 5.9 ) vor trügerischen Fallen in dieser schweren Zeit.



Markus

d. Die Wiederkunft Jesu in Herrlichkeit
(
13,24 - 27 ) ( Mt 24,29-31; Lk 21,25-28 )


Mk 13,24-25


Das Wort aber ( alla ) macht den schroffen Gegensatz zwischen dem Erscheinen der "falschen Christusse", die wunderbare Zeichen vollbringen werden (V. 22 ), und dem dramatischen Kommen des wahren Messias zu jener Zeit (vgl. V. 19-20 ; Joe 3,1-5 ), nach dieser Bedrängnis ( thlipsin , "Trübsal"; vgl. Mk 13,19 ), deutlich. Daß diese Wendungen auch hier wieder aufgegriffen werden, zeigt den engen Zusammenhang dieser Passage mit den vorangehenden Versen ( 14-23 ). Wenn sie sich ausschließlich auf die Ereignisse im Jahr 70 n. Chr. bezogen hätten, hätte Jesus Christus kurz nach der Zerstörung Jerusalems wiederkehren müssen. Daß er damals nicht kam, spricht dafür, daß in Vers 14-23 sowohl von dem konkreten historischen Ereignis als auch von der zukünftigen Zeit der großen Trübsal vor der Wiederkunft Christi die Rede ist.

Verschiedene kosmische Katastrophen, die die Sonne , den Mond und die Sterne betreffen, werden dem zweiten Kommen des Messias unmittelbar vorangehen. Jesu Beschreibung orientierte sich hier an Jes 13,10 und Jes 34,4 ,ohne eine dieser Passagen direkt zu zitieren. Die Erscheinungen, die er schilderte, erinnern lebhaft an tatsächlich am Himmel beobachtbare Veränderungen des Universums.

Die letzte Aussage - die Kräfte der Himmel (wörtlich: "die Kräfte, die amHimmel sind") werden ins Wanken kommen - kann sich entweder auf physikalische Kräfte beziehen, die normalerweise die Bewegungen der plötzlich aus ihrer Bahn geratenen Himmelskörper kontrollieren, oder auf negative spirituelle Kräfte, d. h. auf Satan und seine Kohorten, die durch das Geschehen in die Enge getrieben werden. Die erste These scheint allerdings plausibler.



Markus

Mk 13,26


Und dann ( tote , dieses griechische Wort steht auch in V. 21 und 27 ), wenn die kosmischen Ereignisse, von denen zuvor die Rede war, stattgefunden haben, werden sie (die Menschen auf der Erde) sehen den Menschensohn (vgl. Mk 8,31.38 ) kommen in den Wolken oder "mit" Wolken. Die "Wolken des Himmels" sind schon im Alten Testament ein Zeichen für die Gegenwart Gottes (vgl. Mk 9,7; 2Mo 19,9; Ps 97,1-2; Dan 7,13; Mt 24,30 b). Nun werden seine große Kraft und himmlische Herrlichkeit sichtbar werden (vgl. Sach 14,1-7 ). Gemeint ist hier Jesu persönliche, sichtbare, körperliche Rückkehr auf die Erde als verherrlichter Menschensohn (vgl. Apg 1,11; Offb 1,7;19,11-16 ). Jesus beschrieb sie in der seinen Hörern vertrauten, für unser Verständnis schwer faßbaren Sprache von Dan 7,13-14 . Seine triumphale Rückkehr wird der Verborgenheit des Gottesreiches in seiner gegenwärtigen Form ein Ende machen (vgl. den Kommentar zu Mk 1,15;4,13-22 ).



Markus

Mk 13,27


Zu jener Zeit ( tote , "dann"; vgl. V. 21.26.27 ) wird der Menschensohn die Engel (vgl. Mk 8,38; Mt 25,31 ) senden (vgl. Mk 4,29 ) und seine Auserwählten (vgl. Mk 13,20.22 ) versammeln von den vier Winden . Die "vier Winde" sind ein Bild für die Menschen, die aus allen vier Himmelsrichtungen, aus allen Teilen der Welt, zusammenströmen werden. Das Weltumspannende dieser Sammlung wird durch die beiden folgenden Wendungen (V. 27 ) noch unterstrichen. Keiner der Auserwählten wird vergessen werden. Ohne daß davon ausdrücklich die Rede ist, scheint damit auch die Auferstehung der alttestamentlichen Heiligen und der Märtyrer, die in der Zeit der großen Trübsal für ihren Glauben starben, gemeint zu sein (vgl. Dan 12,2; Offb 6,9-11;20,4 ). Über die, die nicht zu den Auserwählten gehören, wird an dieser Stelle nichts ausgesagt (vgl. 2Thes 1,6-10; Offb 20,11-15 ).

Das Alte Testament spricht häufig davon, daß Gott die zerstreuten Kinder Israel aus den entferntesten Teilen der Erde sammeln und zu nationaler und religiöser Einheit in Palästina führen wird ( 5Mo 30,3-6; Jes 11,12; Jer 31,7-9; Hes 11,16-17;20,33-35.41 ). Zur Zeit des zweiten Kommens Christi in seiner Herrlichkeit wird Israel um den Menschensohn gesammelt und von ihm gerichtet werden; danach wird es als Volk wiederhergestellt und erlöst ( Jes 59,20-21; Hes 20,33-44; Sach 13,8-9; Röm 11,25-27 ). Auch alle Heiden werden vor ihm gesammelt werden ( Joe 4,2 ), und der Messias wird wie ein Hirte die "Schafe" (die Auserwählten) von den "Böcken" trennen ( Mt 25,31-46 ). Die erlösten Juden und Heiden werden in das Tausendjährige Reich eingehen und als sterbliche Menschen auf Erden leben ( Jes 2,2-4; Dan 7,13-14; Mi 4,1-5; Sach 14,8-11.16-21 ).

Daß in diesem Zusammenhang sowohl Heiden als auch Juden, die während der Zeit der Trübsal zum Glauben an Jesus gefunden haben, als "Auserwählte" bezeichnet werden (vgl. Offb 7,3-4.9-10 ), könnte bedeuten, daß die Kirche, der Leib Christi (vgl. 1Kor 15,51-53; 1Thes 4,13-18 ), noch vor dieser Zeit entrückt wird: Da die Kirche von Gottes endgültigem Gericht über die Erde verschont werden wird (vgl. 1Thes 1,10;5,9-11; Offb 3,9-10 ), ist sie auch von der Zeit der Trübsal ausgenommen. Das wiederum bedeutet für die Gläubigen der Gegenwart, daß sie jederzeit mit der Entrückung rechnen müssen, und verleiht der Ermahnung Jesu - wachet (vgl. Mk 13,35-37 ) - besonderen Nachdruck. Da die Jünger jedoch noch keine klare Vorstellung von der künftigen Kirche hatten (vgl. Mt 16,18; Apg 1,4-8 ), ging Jesus nicht näher auf diese Vorphase der Endzeit ein. Manche Exegeten vertreten allerdings auch die These, daß die Entrückung erst nach der Trübsal stattfinden wird. Sie identifizieren die "Auserwählten", von denen in diesen Versen die Rede ist, mit den Erlösten aller Zeiten - aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dazu gehört auch die Auferstehung der gerechten Toten am Ende der Zeit der Trübsal, die gemeinsam mit allen Lebenden emporgehoben (entrückt) werden, um dem wiederkehrenden Menschensohn entgegenzugehen, der zu jener Zeit auf die Erde herabkommen wird. In diesem Fall würde die Kirche, der Leib Christi, während der Zeit der Trübsal auf Erden bleiben und von einer übernatürlichen Macht vor dem Untergang bewahrt werden. Am Ende dieser Zeit würde sie entrückt, um dann sofort auf die Erde zurückzukehren und am Tausendjährigen Reich teilzuhaben. Auf dem Hintergrund von Mk 13,17.32 (vgl. den Kommentar zu beiden Stellen) scheint die These der Entrückung vor dem Gericht jedoch plausibler.



Markus

e. Das Gleichnis vom Feigenbaum
(
13,28 - 32 ) ( Mt 24,32-36; Lk 21,29-33 )


Mk 13,28


Die erste Frage der Jünger nach der Prophezeiung Jesu (V. 4 a) war gewesen: "Sage uns, wann wird das geschehen?" Jesus lehrte sie nun: "Lernt ein Gleichnis (vgl. die Einführung zu Mk 4,1-2 ) an dem Feigenbaum." Der Feigenbaum, sonst häufig ein Bild für Israel (vgl. Mk 11,14 ), steht hier für die Mahnung zur Wachsamkeit (bei Lk 21,29 sind noch die Worte "und alle Bäume" angefügt). Im Gegensatz zu den meisten anderen Bäumen in Palästina werfen die Feigenbäume im Winter ihre Blätter ab und blühen erst spät im Frühjahr wieder. Wenn also die harten, trockenen Winterzweige saftig werden und Blätter treiben , weiß der aufmerksame Beobachter sofort, daß der Winter vorüber und der Sommer nahe ist .



Markus

Mk 13,29


In diesem Vers wird das Bild von Vers 28 auf die Jünger angewandt. Wenn ihr (das "ihr" ist im Griechischen durch die Satzstellung hervorgehoben), die Jünger im Gegensatz zu den anderen Menschen, seht, daß dies geschieht (vgl. V. 4.23.30 ) - die Ereignisse, die in Vers 14-23 beschrieben sind -, so wißt, daß die drohende Krise (vgl. V. 14 ) nahe vor der Tür ist , ein vertrautes und beliebtes Bild für ein unmittelbar bevorstehendes Ereignis. Wenn die Jünger also auf solche Zeichen, wie sie ihnen Jesus beschrieben hatte, sorgfältig achteten, sollten sie eigentlich in der Lage sein, sie richtig zu deuten.

Das nicht genannte Subjekt der griechischen Wendung "ist nahe vor der Tür" könnte der Menschensohn ("er"), oder, was wahrscheinlicher ist, das "Greuelbild der Verwüstung" ("es"; vgl. V. 14 ) sein.



Markus

Mk 13,30-31


Dann erklärte Jesus feierlich ( wahrlich, ich sage euch ; vgl. Mk 3,28 ), daß dieses Geschlecht nicht ( ou mE , betonte, doppelte Verneinung; vgl. Mk 13,2 ) vergehen wird, bis (wörtlich: "bis zu der Zeit") dies alles (vgl. V. 4.29 ) geschieht . Der Begriff "Geschlecht" (genea) kann sich auf die "Zeitgenossen", also auf alle, die zu einer bestimmten Zeit leben (vgl. Mk 8,12.38;9,19 ), oder auf eine Gruppe von Menschen, die von einem gemeinsamen Stammvater abstammt (vgl. Mt 23,36 ), beziehen. Da er sowohl in engerem als auch in weiterem Sinn gebraucht werden kann, ist es in diesem Kontext (vgl. Mk 13,14 ) naheliegend, beide Konnotationen zugleich herauszuhören. "Dieses Geschlecht" bezeichnet dann in diesem Zusammenhang: (a) die Juden zur Zeit Jesu, die später die Zerstörung Jerusalems miterlebten, und (b) die Juden, die in der Zeit der Trübsal leben und die Endzeit mit all ihren Schrecken sehen werden. Das ist jedenfalls die beste Erklärung für die Wendung "dies alles" (vgl. V. 4 b. 14-23 ).

Jesu Versicherung (V. 31 ) war zugleich auch eine Garantie für die Erfüllung seiner Vorhersage (V. 30 ). Das gegenwärtige Universum wird ein schreckliches Ende nehmen (vgl. 2Pet 3,7.10-13 ), aber Jesu Worte - einschließlich dieser Prophezeiung - werden nicht ( ou mE ; vgl. Mk 13,2.30 ) vergehen ; sie besitzen ewige Gültigkeit. Was für Gottes Wort gilt (vgl. Jes 40,6-8;55,11 ), gilt gleichermaßen für Jesu Wort, denn er ist Gott.



Markus

Mk 13,32


Wenngleich manche Menschen vielleicht erraten können, daß das Ende nahe bevorsteht (V. 28-29 ), so weiß doch niemand den genauen Zeitpunkt, den Tag oder die Stunde (vgl. V. 33 ) - nicht einmal die Engel im Himmel (vgl. 1Pet 1,12 ) und auch der Sohn nicht -, sondern allein der Vater . Daß Jesus hier offen zugibt, daß auch sein Wissen begrenzt ist, unterstreicht und bestätigt seine Menschlichkeit. In der Inkarnation nahm Jesus die Grenzen, die dem Menschen gesetzt sind - auch diese (vgl. Apg 1,7 ) -, freiwillig auf sich und unterwarf sich damit dem Willen des Vaters (vgl. Joh 4,34 ). Auf der anderen Seite beweist die Verwendung des Titels "Sohn" (nur an dieser einen Stelle im Markusevangelium, statt des gebräuchlicheren "Menschensohns"), daß er sich seiner Gottheit und Sohnschaft durchaus bewußt war (vgl. Mk 8,38 ); doch er machte von seinem göttlichen Wesen nur auf Geheiß des Vates Gebrauch (vgl. Mk 5,30; Joh 8,28-29 ).

Die Worte von dem Tag und der Stunde werden normalerweise mit dem zweiten Kommen des Menschensohnes in Zusammenhang gebracht ( Mk 13,26 ). Das wird jedoch nur der Höhepunkt einer ganzen Reihe vorangehender Ereignisse sein. Vom Kontext dieser Passage (V. 14.29-30 ) her und auf dem Hintergrund der Verwendung dieser Formulierung im Alten Testament ist es wahrscheinlicher, daß mit "dem Tag" der "Tag des Herrn" gemeint ist.

Der "Tag des Herrn" umfaßt die Zeit der Trübsal, das zweite Kommen Christi und das Tausendjährige Reich (vgl. Jes 2,12-22; Jer 30,7-9; Joe 3,1-5; Am 9,11; Zeph 3,11-20; Sach 12-14 ). Er wird ganz plötzlich und unerwartet hereinbrechen (vgl. 1Thes 5,2 ), und niemand - allein der Vater - wird wissen, wann er kommt.

Die These von der Entrückung der Gläubigen vor der Zeit der Trübsal (vgl. den Kommentar zu Mk 13,27 ) impliziert auch, daß der Herr vor der siebzigsten Woche Daniels zu den Seinen kommen wird (die Entrückung). Die Entrückung ist nicht von irgendwelchen vorhergehenden Ereignissen abhängig, daher muß jede Generation aufs neue mit ihr rechnen. Das ist auch die Aussage des Gleichnisses vom abwesenden Hausherrn (V. 34-37 ), das im Matthäusevangelium eine etwas anderslautende, aber in ganz ähnlichem Sinne gebrauchte Parallele hat (vgl. Mt 24,42-44 ). Sie kommt allen müßigen Spekulationen über das mögliche Datum des Kommens des Herrn zuvor und macht deutlich, wieviel wichtiger es ist, bis zu seiner Wiederkehr wachsam zu bleiben und getreulich seine Pflicht zu erfüllen, wie Jesus es befahl.



Markus

3. Jesu Ermahnung zur Wachsamkeit
(
13,33-37 ) ( Mt 24,42-44; Lk 21,34-36 )


Mk 13,33


Da niemand weiß, wann (vgl. V. 4 a) die Zeit des Eingreifens Gottes ("der Tag", V. 32 ) kommen wird, wiederholte Jesus seine Ermahnung seht euch vor ( blepete ; vgl. V. 5.9.23 ), und fügte verstärkend hinzu, wachet ( agrypneite , "seid immer wachsam").



Markus

Mk 13,34-37


Das Gleichnis vom abwesenden Hausherrn, das in dieser Form nur bei Markus steht, unterstreicht die Forderung nach ständiger Wachsamkeit der Christen und definiert sie als gläubige Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben (vgl. Mt 25,14-30; Lk 19,11-27 ).

Bevor er auf Reisen ging, gab der Hausherr seinen Knechten (allen gemeinsam) Vollmacht über die laufenden Arbeiten in seinem Haus. Jeder erhielt seine eigene Aufgabe, und dem Türhüter , der den Zugang zum Haus beaufsichtigte, gebot er, zu wachen ( grEgoreite , Präsens; vgl. Mk 13,33 ). Jesus wandte das Gleichnis auf seine Jünger an (V. 35-37 ), ohne allerdings die Unterscheidung zwischen dem Türhüter und den anderen Knechten beizubehalten. Sie alle sollten wachen und sich vor geistlichen Gefährdungen und Fallstricken hüten (vgl. V. 5-13 ), denn niemand weiß, wann (vgl. V. 33 ) der Herr ( kyrios ) des Hauses - Jesus selbst - kommt . Die "Nacht" war ein Bild für die Zeit der Abwesenheit des Eigentümers (Jesus; vgl. Röm 13,11-14 ), der jedoch jeden Augenblick zurückkehren kann. Deshalb sollten sie wachen, damit, wenn (wörtlich: "dann, wenn") der Eigentümer, Jesus, plötzlich kommt, er sie nicht schlafend (geistlich unachtsam) findet . Diese Wachsamkeit wurde nicht nur den Zwölfen (vgl. Mk 13,3 ) aufgetragen; sie wird von allen Gläubigen zu allen Zeiten gefordert. Die Glaubenden sollen in der Gewißheit wachen und arbeiten (vgl. V. 34 ), daß ihr Herr wiederkommen wird, auch wenn nur der Vater die genaue Zeit der Rückkehr kennt.

Die vier Zeitangaben entsprechen den vier Nachtwachen der römischen Zeitrechnung. Abend war es von 18 bis 21 Uhr, Mitternacht von 21 bis 24 Uhr, der Hahnenschrei bezeichnete die dritte Nachtwache (von 24 bis 3 Uhr) und die Morgenwache dauerte von 3 bis 6 Uhr. Die Bezeichnungen der einzelnen Vigilien leiteten sich also von ihren Endpunkten ab. Nach dem jüdischen Zeitsystem war die Nacht nur in drei Wachen eingeteilt. Markus verwendete jedoch das römische Zeitmaß, weil er für römische Leser schrieb (vgl. 6,48 ).



Markus

VIII. Jesu Leiden und Tod in Jerusalem
( Mk 14-15 )


Der sechste große Hauptteil des Markusevangeliums, die Leidensgeschichte, handelt von dem Verrat an Jesu, seiner Gefangennahme, Gerichtsverhandlung und seinem Kreuzestod. Er bildet den notwendigen historischen und theologischen Rahmen für verschiedene Themen, die bereits in früheren Teilstücken anklangen: (a) Jesus als der Christus, der Sohn Gottes ( Mk 1,1;8,29 ); (b) der Konflikt zwischen Jesus und den religiösen Autoritäten ( Mk 3,6;11,18;12,12 ); (c) Jesu Verwerfung, der Verrat an ihm und die Treulosigkeit derer, die ihm nahestanden ( Mk 3,19;6,1-6 ); (d) die Unfähigkeit der Jünger, Jesu messianischen Auftrag wirklich zu verstehen ( Mk 8,31-10,52 ); und (e) Jesus als der Menschensohn, der gekommen ist, um sein Leben als Lösegeld für viele zu geben ( Mk 10,45 ).

Die Erzählung zeigt auch, wie die frühen Christen versuchten, mit Hilfe des Alten Testaments (vor allem Ps 22;69; Jes 53 ) die Bedeutung des Leidens und Todes Jesu zu verstehen und ihren jüdischen und heidnischen Zeitgenossen die schmachvollen Umstände beim Ende ihres Herrn zu erklären (vgl. 1Kor 1,22-24 ).

A. Der Verrat des Judas, das Passamahl und die Flucht der Jünger
(
14,1-52 )


Dieser Abschnitt besteht aus drei Erzählzyklen (V. 1-11.12-26.27-52 ).

1. Die Verschwörung gegen Jesus und die Salbung in Betanien
(
14,1 - 11 )


Wie viele andere Passagen im Markusevangelium ist auch der erste Erzählzyklus in diesem Abschnitt wieder dreiteilig aufgebaut (vgl. Mk 3,20-35;5,21-43;6,7-31;11,12-26 ). Der Bericht über die Verschwörung der religiösen Führer und den Verrat des Judas (V. 1-2.10-11 ) wird von der Schilderung der Salbung Jesu in Betanien (V. 3 - 9 ) unterbrochen. Auf diese Weise arbeitet Markus den auffallenden Kontrast zwischen der Feindseligkeit derer, die seinen Tod planten, und der liebenden Frömmigkeit einer Frau, die ihn als den leidenden Messias erkannte, heraus.

a. Der Plan der Führer, Jesus gefangenzunehmen und zu töten
( Mk 14,1-2 ) ( Mt 26,1-5; Lk 22,1-2 )


Mk 14,1 a


Die Leidensgeschichte setzt mit einer neuen Zeitangabe ein (vgl. die Einführung zu Mk 11,1-11 ). Solche Zeitangaben verbinden die folgenden Ereignisse miteinander und gliedern das Geschehen. Die Chronologie der Ereignisse der Passionswoche wird dadurch etwas kompliziert, daß damals zwei Systeme der Zeitrechnung in Gebrauch waren, das römische (das sich bis in unsere Zeit erhalten hat), bei dem der neue Tag um Mitternacht beginnt, und das jüdische, bei dem der Sonnenaufgang den neuen Tag einleitet (vgl. Mk 13,35 ).

Das Passafest , das nur in Jerusalem gefeiert wurde (vgl. 5Mo 16,5-6 ), war ein alljährlich am 14. und 15. Nisan (März/April; wahrscheinlich am Donnerstag und Freitag der Karwoche) stattfindendes jüdisches Fest (vgl. 2Mo 12,1-4 ). Zu den Vorbereitungen für das Passamahl (vgl. Mk 14,12-16 ) - den Höhepunkt des Festes - gehörte das Schlachten des Passalammes, das nach jüdischer Zeitrechnung am Ende des 14. Nisan getötet werden mußte, also am Donnerstagnachmittag. Das Mahl selbst wurde dann zu Beginn des 15. Nisan eingenommen, d. h. zwischen Sonnenuntergang und Mitternacht des Donnerstagabend. Unmittelbar darauf, vom 15. bis 21. Nisan (einschließlich), folgte das Fest der U ngesäuerten Brote , das an den Exodus aus Ägypten erinnern sollte (vgl. 2Mo 12,15-20 ).

Diese beiden jüdischen Feste hingen eng zusammen und wurden im Volksmund häufig als "das jüdische Passafest" bezeichnet (ein achttägiges Fest, vom 14. bis 21. Nisan [einschließlich]; vgl. Mk 14,2; Joh 2,13.23;6,4;11,55 ). So wurde der 14. Nisan, der Tag der Vorbereitungen, gewöhnlich der "erste Tag des Festes der Ungesäuerten Brote" genannt (vgl. Mk 14,12; Josephus, Ant. 2. 15. 1). Die Wendung noch zwei Tage bis lautet wörtlich: "nach zwei Tagen". In der Zeitrechnung der Juden bedeutete "nach zwei Tagen" "übermorgen". Vom 15. Nisan (Freitag) zwei Tage zurückgerechnet wäre also der 13. Nisan (Mittwoch), und "nach zwei Tagen" hieße dann "nach Mittwoch und Donnerstag".



Markus

Mk 14,1 - 2 (Mk 14,1b - 2)


Die jüdische Obrigkeit, die Mitglieder des Hohen Rates (vgl. Mk 8,31;11,27; Mt 26,3 ), hatte bereits beschlossen, daß Jesus getötet werden mußte (vgl. Joh 11,47-53 ). Ihre Furcht vor einem Volksaufstand hielt sie jedoch davon ab, ihn in der Öffentlichkeit gefangennehmen zu lassen. So suchten ( ezEtoun , Imperfekt; vgl. Mk 11,18;12,12 ) sie, wie sie ihn mit List , durch einen Hinterhalt, ergreifen könnten . Denn angesichts der Volksmenge, die sich zum Passafest versammelt hatte und Jesus möglicherweise unterstützen würde - vor allem die Galiläer galten als äußerst hitzköpfig -, schien es nicht ratsam, einen Aufstand zu riskieren. Daher beschlossen sie, ihn nicht bei dem Fest , also nicht während der acht Tage vom 14. bis 21. Nisan (einschließlich; vgl. Mk 14,1 a), zu verhaften. Sie wollten also wohl mit seiner Gefangennahme warten, bis die Pilger die Stadt wieder verlassen hatten. Doch das unerwartete Angebot des Judas (vgl. V. 10 - 11 ) beschleunigte ihr Vorhaben. Auf diese Weise wurde Gottes Zeitplan eingehalten.



Markus

b. Jesu Salbung in Betanien
(
14,3 - 9 ) ( Mt 26,6-13; Joh 12,1-8 )


Diese Episode darf nicht mit einer anderen Salbung in Galiläa zu einem früheren Zeitpunkt verwechselt werden ( Lk 7,36-50 ). Sie deckt sich allerdings mit der gleichlautenden Erzählung im Johannesevangelium ( Joh 12,1-8 ), wenn die beiden Berichte auch in einigen Punkten voneinander abweichen. Einer der Unterschiede betrifft die Zeitangabe. Bei Johannes spielte sich der Vorfall "sechs Tage vor dem Passafest" ab, d. h. vor dem Beginndes Passafestes, dem 14. Nisan (Donnerstag); das wäre also der Freitag vor der Passawoche gewesen. Der Kontext des Markusevangeliums scheint dagegen die Annahme nahezulegen, daß die Salbung am Mittwoch der Passionswoche vorgenommen wurde (vgl. Mk 14,1 a). Dennoch spricht mehr dafür, der Chronologie des Johannesevangeliums zu folgen und die Angaben von Markus darauf zurückzuführen, daß er das Ereignis aus thematischen Gründen (vgl. die Einführung zu Mk 2,1-12;11,1-11 ) an dieser Stelle einordnete, um die Handlungsweise der Frau und des verräterischen Jüngers einander gegenüberzustellen. Die Zeitangabe in Mk 14,1 würde sich demnach auf die Verschwörung der Religionsführer und nicht auf die Salbung Jesu beziehen.



Mk 14,3


Als er sich in Betanien (vgl. den Kommentar zu Mk 11,1 a) aufhielt, wurde Jesus im Hause Simons des Aussätzigen , eines Mannes, den er anscheinend früher einmal geheilt hatte (vgl. Mk 1,40 ) und den die Jünger gut kannten, mit einem Festmahl geehrt. Bei der hier nicht mit Namen genannten Frau handelte es sich um Maria, die Schwester der Martha und des Lazarus (vgl. Joh 12,3 ). Sie kam mit einem Glas , einer kleinen Flasche mit langem, dünnem Hals, das unverfälschtes, kostbares Nardenöl , ein aromatisches Öl aus der Wurzel einer seltenen, in Indien beheimateten Pflanze, enthielt.

Maria brach den dünnen Hals der Flasche ab und goß das Öl auf Jesu Haupt . Johannes schrieb, daß sie es über seine Füße goß und sie mit ihrem Haar trocknete (vgl. Joh 12,3 ). Beides ist möglich, da Jesus wahrscheinlich auf einer der bei Gastmählern verwendeten ottomanenartigen Liegen oder Polstern lag (vgl. Mk 14,18 ). Einem Gast das Haupt zu salben war ein häufig geübter Brauch bei jüdischen Festmählern (vgl. Ps 23,5; Lk 7,46 ), doch Marias Handlung hatte eine sehr viel weitreichendere Bedeutung (vgl. Mk 14,8-9 ).



Markus

Mk 14,4-5


Einige der Jünger, allen voran Judas (vgl. Joh 12,4 ), wurden unwillig (vgl. Mk 10,14 ) über diese offensichtliche Verschwendung. Sie war ihrer Ansicht nach unangebracht, da man dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen (etwa der Jahreslohn eines Arbeiters; vgl. den Kommentar zu Mk 6,37 ) hätte verkaufen und das Geld den Armen geben können . Das war zwar ein berechtigtes Anliegen (vgl. Joh 13,29 ), doch hier offenbarte sich die Gefühllosigkeit der Jünger und die Geldgier des Judas (vgl. Joh 12,6 ). Die Jünger fuhren Maria an (dasselbe Verb wie in Mk 1,43 ), eine Bemerkung, die nur bei Markus steht.



Markus

Mk 14,6-8


Doch Jesus wies sie zurecht und verteidigte Maria; er sagte, sie habe ein gutes ( kalon ) Werk getan. Anders als die Jünger sah er ihre Handlung als einen Ausdruck ihrer Liebe und Hingabe angesichts seines bevorstehenden Todes und als eine Anerkennung seiner Messianität.

In Vers 7 geht es also nicht um einen Gegensatz zwischen Jesus und den Armen, sondern um den Gegensatz zwischen den Worten allezeit und nicht allezeit . Gelegenheit, den Armen zu helfen, würden die Jünger immer haben - und sie hoffentlich auch wahrnehmen. Doch Jesus würde nicht mehr lange bei ihnen sein, die Möglichkeit, ihm zuliebe noch etwas zu tun, war also zeitlich begrenzt. In gewissem Sinn hatte Maria seinen Leib im voraus für sein Begräbnis gesalbt .



Markus

Mk 14,9


Wieder unter Anwendung der feierlichen Einleitungsformel ( wahrlich, ich sage euch ; vgl. Mk 3,28 ) versprach Jesus Maria, daß, wo das Evangelium (vgl. Mk 1,1 ) gepredigt wird in aller Welt (vgl. Mk 13,10 ), man auch von ihrem Liebeswerk sagen wird zu ihrem Gedächtnis . Diese einzigartige Verheißung wies über seinen Tod, sein Begräbnis und seine Auferstehung hinaus in das gegenwärtige Zeitalter, in dem das Evangelium verkündet wird.



Markus

c. Der Verrat des Judas
(
14,10 - 11 ) ( Mt 26,14-16 ; Lk 22,3-6 )


Mk 14,10-11


In diesen Versen folgt die Fortsetzung von Vers 1 - 2 , wodurchder Kontrast zu Vers 3 - 9 noch deutlicher wird. Judas Iskariot (vgl. Mk 3,19 ), einer von den Zwölfen (vgl. Mk 3,14 ), ging hin zu den einflußreichen Hohenpriestern (vgl. Mk 14,1 ) und bot ihnen an, Jesus an sie zu verraten ( paradoi ; vgl. V. 11 ; Mk 9,31 ). Er schlug vor, es "ohne Aufsehen" zu tun ( Lk 22,6 ), um einen öffentlichen Aufruhr, den die Priesterschaft auf jeden Fall vermeiden wollte, zu verhindern (vgl. Mk 14,2 ). Dieses unerwartete Angebot, auf das sie nie zu hoffen gewagt hätten, kam den Pharisäern sehr gelegen. Sie versprachen, ihm Geld zu geben (dreißig Silberstücke, wie er verlangt hatte; vgl. Mt 26,15 ). Judas suchte ( ezEtei ; vgl. Mk 14,1 ) nun nach einer guten Gelegenheit , Jesus zu verraten ( paradoi ; vgl. V. 10 ; Mk 9,31 ) und ihn, ohne daß die Menge es merkte, in Gewahrsam nehmen zu lassen.

Was veranlaßte Judas zu seiner Tat? Darüber wurden die verschiedensten Theorien vorgelegt, die wohl alle ein Quentchen Wahrheit enthalten: 1. Judas, der einzige Nicht-Galiläer unter den Zwölfen, reagierte möglicherweise nur auf den offiziellen amtlichen Aufruf, Jesus auszuliefern (vgl. Joh 11,57 ). 2. Er war enttäuscht, weil Jesus kein politisches Königreich errichtet hatte und auch seine Hoffnungen auf materiellen Gewinn gescheitert schienen. 3. Seine Geldgier trieb ihn. Er geriet dadurch unter die Macht des Satans (vgl. Lk 22,3; Joh 13,2.27 ). Im Schicksal des Judas zeigt sich eine verblüffende Mischung aus göttlicher Souveränität und menschlicher Verantwortung. Nach Gottes Plan mußte Jesus leiden und sterben ( Offb 13,8 ); dennoch war Judas, der ja nicht dazu gezwungen wurde, zum Verräter zu werden, selbst dafür verantwortlich, daß der Teufel Macht über ihn gewinnen konnte (vgl. Mk 14,21; Joh 13,27 ).



Markus

2. Das Passamahl als letztes Abendmahl
(
14,12 - 26 )


Auch der zweite Erzählzyklus in diesem Kapitel besteht aus drei Teilen (V. 12-16.17-21.22-26 ).



a. Die Vorbereitung des Passamahles
(
14,12 - 16 ) ( Mt 26,17-19; Lk 22,7-13 )


Mk 14,12


Beim "ersten Tag der Ungesäuerten Brote" handelte es sich genau genommen um den 15. Nisan (Freitag). Der ergänzende Nachsatz mit seinen inhaltlichen Angaben zu dem betreffenden Tag (ein Stilmittel, das Markus häufig im Zusammenhang mit seinen Zeitangaben einsetzt; vgl. Mk 1,32.35;4,35;13,24;14,30;15,42;16,2 ) - es ist offensichtlich der Tag, an dem die Passalämmer geschlachtet werden - deutet jedoch darauf hin, daß der 14. Nisan (Donnerstag) gemeint war (vgl. den Kommentar zu Mk 14,1 a).

Da das Passamahl dem Brauch gemäß innerhalb der Stadtmauern Jerusalems eingenommen werden mußte, fragten die Jünger Jesus, wo sie hingehen und das Passalamm vorbereiten sollten (vgl. V. 16 ). Sie gingen davon aus, daß er dieses "Familienfest" mit ihnen zusammen feiern würde (vgl. V. 15 ).



Markus

Mk 14,13-15


Die folgende Episode ist vom Aufbau her identisch mit Mk 11,1 b.2-7. Sie ist wohl ein weiteres Beispiel für Jesu übernatürliches Wissen. Doch dessen ungeachtet deuten auch hier die Notwendigkeit, einen sicheren Ort zu finden (vgl. Mk 14,10-11 ), die Frage der Jünger (V. 12 ) und Jesu Anweisungen gleichzeitig darauf, daß er bereits zuvor einen Ort ausgewählt hatte, wo sie ungestört miteinander das Passamahl essen konnten.

Wahrscheinlich wohnte Jesus mit seinen Jüngern noch in Betanien (vgl. 11, 1 a.11). Am Donnerstagmorgen sandte er zwei von ihnen - Petrus und Johannes (vgl. Lk 22,8 ) - mit genauen Anweisungen, wo sie den von ihm bestimmten Ort finden würden, nach Jerusalem. Aus Sicherheitsgründen (vgl. Mk 14,11; Joh 11,57 ) blieben alle Beteiligten anonym, und auch der Ort der Zusammenkunft wurde geheimgehalten.

In der Nähe des östlichen Tores sollte ihnen ein Mensch begegnen, der einen Krug Wasser trägt . Daß ein Mann einen Wasserkrug trug, war sehr ungewöhnlich und deutete darauf hin, daß es sich hier um ein verabredetes Zeichen handelte, denn normalerweise trugen nur Frauen Wasserkrüge (Männer trugen Weinschläuche). Die Jünger sollten dem Mann, offenbar ein Knecht, folgen, und er würde sie zu einem Haus führen. Dort sollten sie dann den Hausherrn fragen: Der Meister (vgl. Mk 4,38 ) läßt dir sagen: Wo ist der Raum ... ? Die knappe Angabe zur Person, "der Meister", zeigt, daß Jesus dem Hauseigentümer offensichtlich wohlbekannt war, und die bestimmte Form der Frage deutet auf eine bereits zuvor getroffene Absprache.

Er ( autos , der Hausherr "selbst") wird ihnen dann einen großen Saal zeigen , der auf dem flachen Dach erbaut war und mit Polster n und einem Eßtisch versehen und so für ein Festmahl vorbereitet war. Wahrscheinlich hatte der Hausherr auch bereits für das Essen, einschließlich des Passalamms, gesorgt. Dort, in diesem Raum, sollten die Jünger für Jesus und die anderen das Essen vorbereiten (vgl. Mk 14,12 ). Aus der Überlieferung wissen wir, daß es sich dabei möglicherweise um das Geburtshaus von Markus handelte (vgl. den Kommentar zu Apg 1,13;12,12 ) und der Hausherr sein Vater war.



Markus

Mk 14,16


Zur Vorbereitung des Passamahles gehörte wahrscheinlich das Braten des Lammes, die Zubereitung des Ungesäuerten Brotes, das Bereitstellen von Wein und die Herstellung einer Sauce aus getrockneten Früchten, Weinessig, Wein und Gewürzen, die dann mit Brot und bitteren Kräutern gegessen wurde.

Diese Passavorbereitungen, die am 14. Nisan (Donnerstag) stattfanden, beweisen, daß es sich bei Jesu letzter Mahlzeit mit seinen Jüngern um das reguläre Passamahl handelte, das normalerweise am Abend dieses Tages (nach Sonnenuntergang) gefeiert wurde, und daß Jesus am 15. Nisan, also am Freitag, gekreuzigt wurde. So bezeugen es jedenfalls übereinstimmend die synoptischen Evangelien (vgl. Mt 26,2.17-19; Mk 14,1.12-14; Lk 22,1.7-8.11-15 ). Das Johannesevangelium dagegen berichtet, daß Jesus bereits "am Tag der Vorbereitung" gekreuzigt wurde ( Joh 19,14 ), also am Tag des eigentlichen Passafests, dem Tag der Vorbereitung für das siebentägige Fest der Ungesäuerten Brote, das manchmal auch Passawoche (vgl. Lk 22,1.7; Apg 12,3-4; vgl. auch den Kommentar zu Lk 22,7-38 ) genannt wurde.



Markus

b. Jesu Ankündigung des Verrats
(
14,17 - 21 ) ( Mt 26,20-25; Lk 22,21-23; Joh 13,21-30 )


Mk 14,17


Und am Abend (Donnerstag), dem Beginn des 15. Nisan (vgl. V. 1 a), kam er mit den Zwölfen nach Jerusalem, um das Passamahl zu essen, das nach Sonnenuntergang begann und um Mitternacht beendet sein mußte. Markus geht nicht weiter auf die Mahlzeit ein (vgl. Lk 22,14-16.24-30; Joh 13,1-20 ), sondern kommt sogleich auf die beiden wichtigsten Vorfälle bei der Feier zu sprechen: (a) Jesu Ankündigung, daß er verraten würde, während sie zusammen Brot und bittere Kräuter in eine Schüssel mit Fruchtsoße tunkten ( Mk 14,18-21 ), und (b) die neue Deutung, die er unmittelbar nach dem Mahl den Elementen Brot und Wein gab (V. 22-25 ).



Markus

Mk 14,18-20


Es war üblich, daß man sich während eines Festmahls auf einer Art Ruhebett zurücklehnte (vgl. Mk 14,3; Joh 13,23-25 ) - ein Brauch, den im 1. Jahrhundert sogar die Ärmsten befolgten (vgl. Mischna Pesachim 10. 1). Als sie aßen und vor der Hauptmahlzeit das Brot in die Schüssel stippten (vgl. Mk 14,20 ), verkündigte Jesus, auch hier wieder unter Verwendung der feierlichen Einleitungsformel wahrlich, ich sage euch (vgl. Mk 3,28 ), daß einer der Zwölf ihn verraten werde (vgl. Mk 14,10-11 ).

Der Zusatz einer unter euch, der mit mir ißt , der nur bei Markus steht, ist eine Anspielung auf Ps 41,10 ,wo David klagt, daß sich sein vertrauter Freund Ahitofel (vgl. 2Sam 16,15-17.23; 1Chr 27,33 ), der mit ihm zu Tisch saß, gegen ihn gewandt hat. Jemanden zu verraten, mit dem man zusammen gegessen hatte, war die schlimmste Form von Verrat.

Die Verse 19.20 unterstreichen diesen Gedanken. Die Jünger waren schockiert und tief betrübt. Einer nach dem andern (auch Judas; vgl. Mt 26,25 ) versuchten sie, sich selbst von diesem Verdacht zu reinigen. Der Form ihrer Frage nach (im Griechischen: "Ich bin es doch nicht, nicht wahr?") erwarteten sie eine tröstende verneinende Versicherung von Jesus. Doch er weigerte sich, ihnen den Namen des Verräters zu nennen. (Die leise gesprochenen Worte aus Mt 26,25 waren zweifellos nur für Judas bestimmt.)

Er wiederholte nur noch einmal, daß einer von den Zwölfen, der mit ihm den Bissen in die Schüssel tauchte , der Verräter sein würde. Er stellte dadurch die ganze Schändlichkeit des Verrats heraus und gab dem Verräter so noch eine letzte Möglichkeit zur Reue.



Markus

Mk 14,21


Der Menschensohn (vgl. Mk 8,31 ) geht zwar ( men ) hin , d. h. er muß sterben, um die Schrift (z. B. Ps 22; Jes 53 ) zu erfüllen. Sein Tod war von Gott gewollt, er war nicht einfach eine Folge des Verrats durch einen Menschen. Doch ( de ) weh (eine Klage, die von tiefem Mitleid zeugt) dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird . Er hatte sich zum Werkzeug Satans machen lassen (vgl. Lk 22,3; Joh 13,2.27 ), und ihn erwartete ein so entsetzliches Schicksal, daß es für ihn besser gewesen wäre, wenn er nie geboren wäre. Obwohl Judas nach Gottes Plan handelte, blieb er doch moralisch für seine Tat verantwortlich (vgl. Mk 14,10-11 ). Dieses "Weh" steht in schroffem Gegensatz zu Jesu Verheißung in Vers 9 .



Markus

c. Die Stiftung des Herrenmahls
(
14,22 - 26 ) ( Mt 26,26-30; Lk 22,19-20 )


Unmittelbar im Anschluß an die Ankündigung des Verrats folgt das zweite Schlüsselereignis, das Markus von den Geschehnissen des Passamahles für berichtenswert hielt (vgl. den Kommentar zu Mk 14,17 ). Bevor man anfing zu essen, war es in jüdischen Häusern üblich, daß der Haushaltsvorstand erklärte, was es mit diesem Mahl im Zusammenhang mit der Befreiung des jüdischen Volkes aus der Sklaverei in Ägypten für eine Bewandtnis hatte. Wahrscheinlich oblag diese Aufgabe hier Jesus als dem Gastgeber. Er legte den Jüngern in seiner Rede die neue Bedeutung von Brot und Wein dar.



Mk 14,22


Und als sie aßen (vgl. V. 18 ) - offensichtlich noch vor dem Hauptgang, doch bereits nachdem Judas die Gemeinschaft verlassen hatte ( Joh 13,30 ) -, nahm Jesus das Brot ( arton , ein ungesäuerter Fladen), dankte ( eulogEsas ; vgl. Mk 6,41 ) und brach's , um es zu zerteilen, und gab's ihnen und sprach: Nehmet ("und esset" ist impliziert); das ist mein Leib .

Jesus sprach hier von ganz konkreten Dingen - Brot, Wein, seinem physischen Körper ( sOma ) und seinem Blut -, doch er stellte eine metaphorische Beziehung zwischen ihnen her (vgl. Joh 7,34;8,12;10,7.9 ). Das Verb "ist" hat die Bedeutung von "stellt dar". Jesus war körperlich anwesend, als er diese Worte sprach, also konnten die Jünger seinen Leib nicht wirklich essen oder sein Blut trinken - was für Juden ohnehin etwas Verabscheuungswürdiges gewesen wäre (vgl. 3Mo 3,17;7,26-27;17,10-14 ). Das spricht gegen die Auffassung der römisch-katholischen Kirche von der Eucharistie, daß Brot und Wein sich tatsächlich in Christi Leib und Blut verwandeln (Transsubstantiation).



Markus

Mk 14,23


In gleicher Weise nahm Jesus nach dem Mahl (vgl. 1Kor 11,25 ) den Kelch , der den mit Wasser vermischten roten Wein enthielt, dankte ( eucharistEsas ; vgl. Mk 8,6-7; daher das Wort "Eucharistie") und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus . Wenn man davon ausgeht, daß Jesus hier dem traditionellen Passaritus folgte, war dies der dritte von vier vorgeschriebenen Weinkelchen ("der Kelch des Dankes";vgl. 1Kor 10,16 ), der den Hauptgang des Mahles beschloß. Den vierten Kelch, den Kelch der Erfüllung, trank er vermutlich nicht mehr. Seine Bedeutung liegt in der Zukunft, wenn Jesus und seine Jünger im Gottesreich beisammensein werden ( Lk 22,29-30; vgl. auch den Kommentar zu Mk 14,25 ).



Markus

Mk 14,24


Dann erklärte Jesus den Jüngern die Bedeutung des Kelchs: Das (der Wein) ist (stellt dar) mein Blut (d. h. die feierliche Einführung) des Bundes, das (das Blut) für ( hyper ; "wegen, statt") viele vergossen wird - ein Hinweis auf seinen stellvertretenden Opfertod für die Menschheit (vgl. Mk 10,45 ). Ebenso wie das Opferblut den alten (mosaischen) Bund am Sinai besiegelte (vgl. 2Mo 24,6-8 ), so beschloß Jesu auf Golgatha vergossenes Blut den Neuen Bund ( Jer 31,31-34 ). Er verheißt Vergebung der Sünden und Gemeinschaft mit Gott durch den Heiligen Geist, der in allen Menschen wohnt, die durch den Glauben an Jesus zu Gott kommen.

Der Begriff diathEkE (Bund) bezeichnet kein Übereinkommen zwischen zwei gleichen Partnern (das hieße synthEkE ), sondern ein Arrangement, das von einer Partei, in diesem Falle von Gott, getroffen wurde. Die andere Partei - die Menschen - hat keinen Einfluß darauf; sie kann nur akzeptieren oder ablehnen. Der neue Bund ist Gottes neue Ordnung im Umgang mit den Menschen, deren Grundlage der Tod Christi ist (vgl. Hebr 8,6-13 ). Die geistlichen Segnungen, die Israel in den letzten Tagen von Gott erwartete, sind nun durch Christi Tod allen Glaubenden zugänglich. Die konkreten Wohltaten, die Israel verheißen wurden, haben sich dagegen bis jetzt noch nicht erfüllt. Sie werden erst dann Wirklichkeit werden, wenn Christus zurückkehrt und sein tausendjähriges Reich errichtet, in dem Israel sein Land zurückerhalten wird.



Markus

Mk 14,25


Jesus sprach nur selten von seinem Tod, ohne zugleich auch über ihn hinaus in die Zukunft zu sehen. Auch hier benutzte er wieder die feierlichen Einleitungsworte wahrlich, ich sage euch (vgl. Mk 3,28 ) und gelobte, daß er nicht mehr (ouketi ou me, "mit Sicherheit nicht mehr"; vgl. Mk 13,2 ) trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag (vgl. Mk 13,24-27.32 ) in der Zukunft, an dem er aufs neue davon trinken wird. Dann wird er wieder mit seinen Jüngern zu Tisch sitzen, im Reich Gottes (vgl. den Kommentar zu Mk 1,15 ), dem Tausendjährigen Reich auf Erden, das bei seiner Wiederkehr errichtet wird (vgl. Offb 20,4-6 ) und das eine völlig neue ( kainon ) Qualität haben wird (vgl. Jes 2,1-4;4,2-6;11,1-9;65,17-25 ).



Markus

Mk 14,26


Die sogenannten Hallel-(Lob-)Psalmen wurden in einer Art Wechselgesang während des Passafestes gesungen oder gesprochen - die beiden ersten ( Ps 113-114 ) vor dem Mahl, die übrigen vier ( Ps 115-118 ) danach, als Abschluß des Abendgebets. Gerade solche Verse wie die aus Ps 118 ( 6 - 7.17 - 18.22 - 24 ) gewinnen, unmittelbar vor Jesu Leiden und Sterben, aus seinem Munde eine ganz neue Aussagekraft.

Da Jesus nach dem Essen noch zu den Jüngern sprach und mit ihnen betete ( Joh 13,31-17,26 ), war es wahrscheinlich beinahe Mitternacht, als er mit den Elfen (ohne Judas) schließlich aus dem Versammlungsraum kam und die Stadt verließ. Sie gingen durch das Kidrontal (vgl. Joh 18,1 ) wieder hinaus an die westlichen Ausläufer des Ölbergs (vgl. Mk 11,1 a), wo Gethsemane lag ( Mk 14,32 ).



Markus

3. Jesu Gebet vor seiner Gefangennahme und die Treulosigkeit der Jünger
(
14,27 - 52 )


Auch der dritte Erzählzyklus in diesem Abschnitt ist wieder, wie viele andere Passagen im Markusevangelium (vgl. Mk 3,20-35 ), dreiteilig aufgebaut. Jesu Vorhersage, daß seine Jünger ihn verlassen würden ( Mk 14,27-31 ), und die Erfüllung dieser Prophezeiung bei seiner Gefangennahme (V. 43-52 ) wirdunterbrochen durch sein Gebet in Gethsemane (V. 32-42 ). Auf diese Weise macht Markus eindrucksvoll deutlich, daß Jesus seiner letzten Prüfung ohne jeden menschlichen Beistand, allein mit seinem Vater, gegenüberstand.



a. Die Vorhersage der Treulosigkeit der Jünger und der Verleugnung des Petrus
(
14,27 - 31 ) ( Mt 26,31-35; Lk 22,31-34; Joh 13,36-38 )


Ob diese Prophezeiung noch im Saal (wie Lukas und Johannes anzunehmen scheinen) oder erst auf dem Weg nach Gethsemane (wie Markus und Matthäus schreiben) ausgesprochen wurde, ist schwer zu sagen. Bei Markus hat sie offensichtlich wieder in erster Linie inhaltlichen Stellenwert, ohne zeitlich explizit mit den folgenden Ereignissen, die der Evangelist erhellen wollte, verbunden zu sein (z. B. Mk 14,50-52.66-72 ). Matthäus dagegen stellt im griechischen Urtext einen zeitlichen Zusammenhang her ( Mt 26,31 , tote , "dann"). Vielleicht äußerte Jesus die Worte zunächst beim gemeinsamen Mahl nur Petrus gegenüber (wie es bei Lukas und Johannes der Fall ist) und wiederholte sie dann auf dem Weg nach Gethsemane (vgl. Matthäus) vor dem ganzen Kreis, allerdings auch hier wieder hauptsächlich an die Adresse von Petrus gerichtet.



Mk 14,27


Das mit Ärgernis nehmen ( skandalisthEsesthe ) übersetzte Verb bedeutet, an jemandem oder etwas Anstoß zu nehmen und dabei vom rechten Weg abzukommen und zu sündigen (vgl. Mk 4,17;6,3;9,42-47 ). Jesus sagte voraus, daß alle elf Jünger an seinem Leiden und seinem Tod "Ärgernis" nehmen würden. Um nicht dasselbe Schicksal wie er zu erleiden, würden sie jegliche Verbindung zu ihm ableugnen (vgl. Mk 14,30 ) und ihn verlassen (vgl. V. 50 ), ihm also - zumindest für eine bestimmte Zeit - die Treue brechen.

Jesus brachte diese Situation in Zusammenhang mit Sach 13,7 : Ich (Gott Vater) w erde den Hirten (Jesus) schlagen (töten), und die Schafe (die Jünger) werden sich zerstreuen . Die Abänderung des Imperativs "schlage" ( Sach 13,7 ) in den Indikativ "ich werde schlagen" deutet darauf hin, daß Jesus sich mit dem leidenden Gottesknecht identifizierte (vgl. Jes 53 ,besonders V. 4 - 6 ).



Markus

Mk 14,28


Der Vorhersage des Abfalls der Jünger stellte er jedoch sofort die Verheißung ihrer Wiedervereinigung nach seiner Auferstehung gegenüber (vgl. Mk 16,7; Mt 28,16-17 ). Als der auferstandene Hirte wollte er seiner Herde nach Galiläa , wo die Jünger gelebt und gearbeitet hatten und von Jesus berufen und beauftragt worden waren ( Mk 1,16-20;3,13-15;6,7.12-13 ), vorangehen. Sie aber sollten dem auferstandenen Herrn, der sie auch in ihren zukünftigen Aufgaben leiten würde, folgen (vgl. Mk 13,10;14,9 ).



Markus

Mk 14,29-31


Wie schon einmal (vgl. Mk 8,31-32 ) konzentrierte sich Petrus auch hier nur auf den ersten Teil der Vorhersage ( Mk 14,27 ) und ignorierte den zweiten (V. 28 ) völlig. Er behauptete steif und fest, daß er Jesus nicht verlassen würde - und wenn sie alle Ärgernis nehmen (V. 27 ), wie Jesus gesagt hatte, so doch er (wörtlich: ich , durch die Satzstellung betont) nicht. Er nahm für sich in Anspruch, Jesus treuer ergeben zu sein als alle anderen (vgl. "hast du mich lieber, als mich diese haben"; Joh 21,15 ).

In feierlicher Form ( wahrlich, ich sage dir ; vgl. Mk 3,28 ) entgegnete ihm Jesus, daß er sich, trotz seiner guten Absichten, sogar noch wesentlich treuloser verhalten werde als die anderen. In dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht , also noch vor Sonnenaufgang, würde er Jesus nicht nur im Stich lassen, sondern ihn obendrein dreimal verleugnen ( aparnEsE ; vgl. Mk 8,34 ). Der "Hahnenschrei" war ein sprichwörtlicher Ausdruck für den frühen Morgen vor Sonnenaufgang (vgl. Mk 13,35 ). Markus schreibt als einziger der Synoptiker, daß der Hahn zweimal krähte, eine Einzelheit, die er möglicherweise ebenfalls von Petrus erfuhr, der sich sicherlich gerade an dieses Ereignis besonders gut erinnern konnte. Die Belege der wichtigeren griechischen Handschriften sind in diesem Punkt nicht einheitlich. In einigen erscheint das Wort "zweimal", in anderen nicht. Die besser belegten Worte "zum zweiten Mal" in Vers 72 legen jedoch nahe, daß Markus auch an dieser Stelle "zweimal" schrieb.

Jesu pointierte Antwort brachte Petrus dazu, nur noch heftiger ( weiter ; ein Adverb, das nur an dieser Stelle im Neuen Testament steht) zu protestieren und zu beteuern, daß er ihn nicht ( ou mE , betonte Verneinung) verleugnen würde, auch wenn er mit ihm sterben müßte ( deE ; vgl. Mk 8,31 ). Auch die anderen Jünger versicherten, daß sie Jesus treu bleiben würden. Sie vertrauten darauf, daß seine Vorhersage falsch war, doch wenige Stunden später bewiesen sie mit ihrem Verhalten, daß er recht gehabt hatte ( Mk 14,50.72 ).



Markus

b. Jesu Gebet in Gethsemane
(
14,32 - 42 ) ( Mt 26,36-47; Lk 22,39-46 )


Zum dritten Mal stellt Markus Jesus hier im Gebet dar (vgl. Mk 1,35;6,46 ). Bei all diesen Gelegenheiten bekräftigte Jesus seine Entschlossenheit, sich dem Willen Gottes ganz zu unterwerfen. Auch wenn an dieser Stelle nicht ausdrücklich von Satan die Rede ist, so war er doch zweifellos anwesend und verlieh der Szene den Charakter einer Versuchung (vgl. Mk 1,12-13 ). Die synoptischen Evangelien geben die Worte, die Jesus im Gebet sprach, in fünf Fassungen wieder, die sich - bis auf kleinere Abweichungen - alle gleichen. Wahrscheinlich wiederholte Jesus jeweils in etwas anderer Formulierung (vgl. Mk 14,37.39 ) - mehrmals dieselbe Bitte.



Mk 14,32-34


Jesus und die elf Jünger kamen zu einem Garten mit Namen Gethsemane (wörtlich: "Ölpresse"; eine Vorrichtung, mit der aus Oliven Öl gewonnen wird). Es war ein gartenähnliches, umzäuntes Gelände innerhalb einer Olivenplantage am Fuß des Ölbergs (vgl. V. 26 ; Joh 18,1 ). Dieser abgeschlossene Ort, der auch Judas bekannt war, war einer ihrer bevorzugten Treffpunkte (vgl. Lk 22,39; Joh 18,2 ).

Jesus sprach zu seinen Jüngern - wie er es wohl schon oft getan hatte: Setzt euch hierher, bis ich gebetet habe. Dann nahm er Petrus und Jakobus und Johannes (vgl. Mk 5,37;9,2 ) mit sich .

Als die vier den "Garten" betraten, fing Jesus an zu zittern (von ekthambeO , "geängstigt sein"; vgl. Mk 9,15;16,5-6 ) und zu zagen (von adEmoneO , "in größter Angst sein"; Phil 2,26 ). Er sagte den dreien, daß seine Seele (psyche; das Innerste, der Kern der Persönlichkeit) betrübt ( perilypos , "tief betrübt"; vgl. Mk 6,26 ) bis an den Tod sei und bat sie deshalb, bei ihm zu bleiben und mit ihm zu wachen ( grEgoreite ; vgl. Mk 14,38 ). Das volle Bewußtsein seines bevorstehenden Todes und der geistlich-seelischen Konsequenzen dieses Todes hatte von ihm Besitz ergriffen und ließ ihn fast zusammenbrechen. Es war vor allem die Aussicht, dem Vater entfremdet zu werden, die ihn so entsetzte.



Markus

Mk 14,35-36


Er entfernte sich ein Stück von den Dreien, warf sich auf die Erde (vgl. Mt 26,39; Lk 22,41 ) und betete ( prosEucheto ) laut und inständig ( Hebr 5,7 ) mindestens eine Stunde lang (vgl. Mk 14,37 ). Markus gibt allerdings nur eine kurze Zusammenfassung des Gebetes wieder, zuerst in erzählender Form (V. 35 b), dann in direkter Rede (V. 36 ).

Jesu Bitte lief darauf hinaus, daß, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm vorüberginge . Die Worte "wenn möglich" (im Griechischen ein Konditionalsatz) waren nicht etwa ein Ausdruck des Zweifels an Gottes Allmacht, sondern einer konkreten Überzeugung, auf die er seine Bitte gründete. Jesus ging davon aus, daß der Vater ihm gewähren konnte, worum er bat, die Frage war nur, ob es auch Gottes Wille war, die Bitte zu erfüllen (vgl. Lk 22,42 ). Die Stunde war eine Metapher für den Zeitpunkt, den Gott für Jesu Leiden und Tod festgesetzt hatte (vgl. Mk 14,41 b; Joh 12,23.27 ). Auch die zweite Metapher, dieser Kelch , bezog sich auf dieses Geschehen. Der "Kelch" war dabei entweder ein Bild für Jesu Leiden und Sterben als Mensch oder, was wahrscheinlicher ist, für Gottes Zorn über die Sünde, der, wenn er sich ergießt, nicht nur körperliches, sondern auch geistliches Leid und geistlichen Tod bringt (vgl. Mk 10,38-39;14,33 b - 34). Indem er Gottes Gericht auf sich nahm, mußte Jesus, der doch ohne Sünde war, den Todeskampf erleiden und "zur Sünde" gemacht werden (vgl. Mk 15,34; 2Kor 5,21 ).

Der doppelte Titel Abba (aramäisch: "mein Vater"), mein Vater (griechisch: patEr ), kommt außer hier nur noch an zwei anderen Stellen im Neuen Testament vor ( Röm 8,15; Gal 4,6 ). "Abba" war die übliche Anrede jüdischer Kinder für ihren Vater, es war ein Ausdruck familiärer Zusammengehörigkeit und enger Vertrautheit. Niemals hätten die Juden jedoch Gott auf diese Weise angesprochen - das wäre in ihren Augen äußerst ungehörig gewesen. Daß Jesus Gott "Abba" nannte, war also etwas Neues und Einzigartiges. Wahrscheinlich nannte er ihn in seinen Gebeten häufig so und drückte damit seine enge Beziehung zu Gott, der ja sein Vater war, aus. In diesem besonderen Fall schwang in der vertrauten Anrede "Abba" möglicherweise aber auch die Befürchtung mit, daß mit dem Trinken des Kelches, des göttlichen Gerichtes über die Sünde, diese Nähe zu Gott notwendigerweise zerstört werden würde (vgl. Jesu Anrede in Mk 15,34 ).

Was meinte Jesus nun aber, als er darum bat, daß die Stunde an ihm vorübergehen und der Vater diesen Kelch von ihm nehmen möge? Die traditionelle Antwort lautet, daß er hoffte, "die Stunde" gar nicht erst erleiden - also nicht sterben - zu müssen; mit anderen Worten, daß, wenn möglich, der Kelch von ihm genommen würde, bevor er ihn trinken mußte. Nach dieser These brachte Jesus mit dem Gebet in Gethsemane seine Unterwerfung unter den Willen Gottes zum Ausdruck und nahm den Weg des Kreuzes an. Manche Exegeten sind jedoch auch der Ansicht, daß Jesus eigentlich darum bat, nachdem "die Stunde" vorüber war, in seiner Beziehung zu Gott wiederhergestellt zu werden, also der Hoffnung Ausdruck gab, daß die Konsequenz "dieser Stunde", wenn möglich, an ihm vorübergehe; mit anderen Worten, daß der Kelch von ihm genommen würde, nachdem er ihn getrunken hatte. In diesem Fall hätte Jesus diese Worte in dem festen Glauben gebetet, daß der Vater ihn in seinem göttlichen Zorn nicht auf ewig dem Tod überlassen ( Hebr 5,7-8 ), sondern sich ihm gnädig erweisen und ihn auferwecken würde.

Wenngleich auch sie nicht ganz unproblematisch ist (vgl. z. B. Joh 12,27 ), so ist doch auf dem Hintergrund des soeben erörterten Kontextes und anderer Passagen im Neuen Testament ( Mt 26,39.42; Lk 22,42 ) und schließlich auch wegen Jesu letztem Satz in Mk 14,36 : Doch (wörtlich: "aber") nicht, was ich (betont) will, sondern was du (betont) willst , der traditionellen Deutung an dieser Stelle der Vorzug zu geben. Jesus hatte als Mensch zwar seinen eigenen, vom Vater unabhängigen Willen, doch niemals hätte er sich dem Willen des Vaters entgegengestellt (vgl. Joh 5,30;6,38 ). Selbst in dieser Situation betete er, daß die Antwort auf seine Bitte nicht seinem Wunsch, sondern dem Willen des Vaters entsprechen möge. Gottes Wille aber war, daß Jesus am Kreuz den Opfertod sterbe (vgl. Mk 8,31 ), und Jesus nahm diesen Willen auf sich. Seine Todesangst wich zwar von ihm, doch "die Stunde" ging nicht an ihm vorüber (vgl. Mk 14,41 b).



Markus

Mk 14,37-41 a


Vom Gebet Jesu kehrt Markus zurück zum Vehalten der drei Jünger, denen es nicht gelang, wach zu bleiben, wie Jesus ihnen aufgetragen hatte (vgl. V. 33 - 34 ). Dreimal unterbrach er sein Beten und kam zurück und fand sie schlafend . Das erste Mal sprach er Petrus mit Simon, seinem alten Namen (vgl. Mk 3,16 ), an und tadelte ihn, daß er nicht einmal eine Stunde zu wachen vermochte . Abermals forderte er alle drei auf: Wachet , d. h. seid wachsam gegenüber geistlichen Gefahren, und betet - erkennt eure Abhängigkeit von Gott -, daß ihr nicht in Versuchung fallt (wörtlich: "kommt"), denn er sah die Prüfungen, die ihnen bei seiner Verhaftung und seiner Gerichtsverhandlung (vgl. Mk 14,50.66-72 ) bevorstanden, voraus. Doch Jesus wußte auch, daß der Geist (die inneren Wünsche und guten Absichten) des Menschen zwar ( men ) willig (oder bereit; z. B. Petrus in V. 29.31 ) ist, aber ( de ) das Fleisch (der Mensch in seiner ganzen Unvollkommenheit) schwach und daß es, wenn es darauf ankommt, oft versagt (z. B. Petrus V. 37 ).

Nachdem er zurückgegangen war und dieselben Worte nochmals gebetet hatte (vgl. V. 36 ), kam er wieder und fand sie abermals schlafend ; und als er sie weckte und ihre Trägheit rügte, wußten sie nicht, was sie ihm antworten sollten (vgl. Mk 9,6 ).

Auch als Jesus zum dritten Mal . vom Gebet zurückkehrte, schliefen die Jünger. Seine Worte ( Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? ) könnten im Ton einer anklagenden Frage, einer mitleidig-ironischen Aufforderung oder eines überraschten Vorwurfs gesprochen worden sein. Im Lichte von Vers 37 - 40 scheint allerdings die erste Möglichkeit die wahrscheinlichste. Dreimal gelang es Petrus nicht, wachzubleiben und zu beten; dreimal erlag er auch der Versuchung, Jesus zu verleugnen. Sein Beispiel gilt allen Gläubigen als Warnung, denn alle Menschen sind immer wieder dem geistlichen Versagen und der Versuchung, der Petrus hier nachgab, ausgeliefert (vg. Mk 13,37 ).



Markus

Mk 14,41.42 (Mk 14,41b.42)


Zwischen Vers 41 a - den Worten, mit denen Jesus die Jünger weckte ( es ist genug , d. h. des Schlafens) - und 41 b lag wahrscheinlich nur ein Augenblick. Dann sagte er: Die Stunde (vgl. V. 35 ) ist gekommen. Siehe, der Menschensohn (vgl. Mk 8,31 ) wird überantwortet (vgl. Mk 9,31 ) in die Hände (in die Kontrolle) der Sünder , womit hier in erster Linie die ihm feindlich gesonnenen Mitglieder des Hohen Rats gemeint waren. Der Verräter, Judas, war gekommen. Statt zu fliehen, gingen Jesus und die Jünger (die übrigen acht waren inzwischen dazugekommen) Judas entgegen. Die Bitte, um deren Erfüllung Jesus gebetet hatte, hatte sich erledigt (vgl. Mk 14,35-36 ).



Markus

c. Jesu Verrat und Gefangennahme und die Treulosigkeit der Jünger
(
14,43 - 52 ) ( Mt 26,47-56; Lk 22,47-53; Joh 18,2-12 )


Mk 14,43


Und alsbald ( euthys , vgl. Mk 1,10 ), während er noch mit den Jüngern redete, kam herzu Judas und mit ihm eine Schar römischer Soldaten (vgl. Joh 18,12 ), die mit kurzen Handschwertern bewaffnet waren, sowie die mit Stangen ausgerüstete Tempelwache (vgl. Lk 22,52 ). Judas hatte sie in der Nacht nach Gethsemane (vgl. Joh 18,2 ) und zu Jesus (vgl. Apg 1,16 ) geführt, damit sie ihn dort ohne Aufruhr verhaften konnten (vgl. Mk 14,1-2 ). Der Hohe Rat (Sanhedrin; vgl. den Kommentar zu Mk 8,31 ) hatte den Befehl zu seiner Gefangennahme gegeben und dazu wahrscheinlich die Hilfe der römischen Truppen angefordert.



Markus

Mk 14,44-47


Judas hatte mit den Bewaffneten ein Zeichen (einen Kuß) ausgemacht, an dem sie den, den sie verhaften sollten, erkennen konnten. Dann sollten sie ihn unter Bewachung abführen, um jede Fluchtgefahr auszuschließen. Als Judas den "Garten" betrat, kam er alsbald ( euthys ; vg. Mk 1,10 ) zu Jesus, begrüßte ihn als Rabbi (vgl. Mk 4,38;9,5 ) und küßte ihn inbrünstig (ein zusammengesetztes Verb). Ein Kuß auf die Wange (oder die Hand) von seiten seiner Schüler war in Israel ein allgemein übliches Zeichen der Zuneigung und Ehrfurcht einem Rabbi gegenüber. Bei Judas war er das Zeichen für den Verrat.

Da Jesus keinen Widerstand leistete, legten sie Hand an ihn und ergriffen ihn . Markus berichtet von keinerlei Anklagen, die erhoben wurden, doch nach jüdischem Recht war die Gefangennahme wahrscheinlich schon allein deswegen legal, weil sie vom Hohen Rat angeordnet war. Durch seine scheinbare Schutzlosigkeit blieb Jesu wahre Identität weiterhin vor der Öffentlichkeit verborgen.

Markus erzählt nur von einem einzigen Versuch bewaffneten Widerstands durch einen nicht mit Namen genannten Zuschauer (Petrus; vgl. Joh 18,10 ). Die griechische Formulierung impliziert, daß Markus wußte, wer es war. Als einer der beiden Jünger, die ein Schwert trugen (vgl. Lk 22,38 ), zog Petrus die Klinge und schlug nach Malchus, dem Knecht des Hohenpriesters Kaiphas, hieb ihm dabei jedoch nur das rechte Ohr ab (vgl. Joh 18,10.13 ). Nur Lukas berichtet dann noch, daß Jesus Malchus wieder heilte (vgl. Lk 22,51 ). Petrus' Versuch, Jesus zu verteidigen, war die falsche Tat im falschen Augenblick.



Markus

Mk 14,48-50


Wenn er auch keinen Widerstand leistete, so protestierte Jesus doch gegen die religiösen Führer wegen der übermäßigen Zurschaustellung bewaffneter Soldaten, die gegen ihn ausgezogen waren wie gegen einen Räuber . Er war jedoch kein Revolutionär, der im Dunklen agierte, sondern ein anerkannter religiöser Lehrer. Täglich , die ganze Woche lang, hatte er öffentlich im Tempel ( hierO ; vgl. Mk 11,11 ) in Jerusalem gelehrt (vgl. Mk 11,17 ), doch sie hatten ihn nicht ergriffen (vgl. Mk 12,12;14,1-2 ). Daß sie ihn jetzt wie einen Verbrecher in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gefangennahmen, zeigte ihre Feigheit. Doch es geschah so, damit die Schrift erfüllt werde (vgl. Jes 53,7-9.12 ).

Als die Jünger an Jesu Antwort merkten, daß er sich nicht gegen seine Gefangennahme wehren würde, brachen ihre Treue und Vertrauen in ihn als den Messias zusammen. Sie verließen ihn alle (durch die Satzstellung betont) und flohen (vgl. Mk 14,27 ). Keiner blieb bei Jesus, um sein Leiden mit ihm zu teilen - nicht einmal Petrus (vgl. V. 29 ).



Markus

Mk 14,51-52


Diese ungewöhnliche kleine Episode, die nur im Markusevangelium steht, ist im Grunde eine Ergänzung zu Vers 50 und hebt die Tatsache hervor, daß wirklich alle flohen und Jesus ganz allein blieb. Die meisten Exegeten sind der Ansicht, daß es sich bei dem j ungen Mann ( neaniskos , ein Mensch in der Blüte des Lebens, zwischen 24 und 40 Jahren alt) um Markus selbst handelte. Wenn das stimmt, und wenn er auch der Sohn des Hauseigentümers war (V. 14 - 15 ; vgl. Apg 12,12 ), war vielleicht folgendes geschehen: Nachdem Jesus und seine Jünger das Haus von Markus' Vater nach dem Passafest verlassen hatten, legte Markus sein Übergewand (vgl. Mk 13,16 ) ab und ging, in ein Leinengewand (wörtlich: "Tuch") - ein Nachthemd - gekleidet, zu Bett. Kurz darauf wurde er dann von einem Diener geweckt, der ihm mitteilte, daß Judas Jesus verraten hatte und mit Soldaten gekommen war, um ihn gefangenzunehmen. Ohne sich anzukleiden eilte Markus nach Gethsemane, um Jesus zu warnen, doch als er dort angelangte, war bereits alles vorbei. Nachdem alle Jünger geflohen waren, folgte Markus Jesus und seinen Häschern in die Stadt nach, floh jedoch ebenfalls, als einige der Soldaten, die ihn vielleicht als Zeugen festnehmen wollten, nach ihm griffen . Dabei ließ er das Gewand fahren , das in der Hand eines der Soldaten zurückblieb, und floh nackt . So war Jesus wirklich von allen verlassen, auch von dem mutigen jungen Mann, der ihm zunächst hatte folgen wollen.



Markus

B. Jesu Gerichtsverhandlungen, seine Kreuzigung und sein Begräbnis
(
14,53 - 15,47 ) ( Mt 26,57-27,66; Lk 22,54-23,56; Joh 18,13-19,42 )


Auch dieser Abschnitt besteht wieder aus drei Erzählzyklen: den Berichten über Jesu Gerichtsverhandlungen ( Mk 14,53-15,20 ), seine Kreuzigung( Mk 15,21-41 ) und sein Begräbnis ( Mk 15,42-47 ).



1. Jesus vor dem Hohen Rat und vor Pilatus
(
14,53 - 15,20 )


Jesus wurde zunächst von den religiösen und danach von den politischen Machthabern vernommen. Das letztere war notwendig, weil der Hohe Rat nicht die Macht hatte, die Todesstrafe vollstrecken zu lassen ( Joh 18,31 ). Jede der beiden Verhandlungen bestand aus drei Anhörungen. (Vgl. die Tabelle "Jesu sechs Gerichtsverhandlungen" bei Mt 26,57-58 .)



a. Jesu Verhandlung vor dem Hohen Rat und seine dreifache Verleugnung durch Petrus
(
14,53 - 15,1 a)


Zu Jesu Verhandlung vor der religiösen Obrigkeit gehörten eine erste Anhörung vor Hannas ( Joh 18,12-14.19-24 ), die Vernehmung durch Kaiphas, den Hohenpriester und den Hohen Rat und, noch in derselben Nacht, die Verhandlung vor dem Hohen Rat ( Mt 26,57-68; Mk 14,53-65 ), die schließlich mit dem Schuldspruch kurz nach Morgengrauen endete (vgl. Mt 27,1; Mk 15,1 a; Lk 22,66-71 ).

(1) Jesus im Palast des Hohenpriesters und Petrus im Palasthof ( Mk 14,53-54; Mt 26,57-58; Lk 22,54; Joh 18,15-16.18.25 ).



Mk 14,53


Jesu Häscher führten ihn unter Bewachung von Gethsemane zurück nach Jerusalem, zur Residenz des Hohenpriesters Joseph Kaiphas (vgl. Mt 26,57 ), der dieses Amt von 18 bis 36 n. Chr. innehatte (vgl. die Tabelle zur Familie des Hannas bei Apg 4,5-6 ).

Die einundsiebzig Mitglieder des Hohen Rates (vgl. den Kommentar zu Mk 8,31 ), einschließlich des amtierenden Hohenpriesters, hatten sich hastig in einem der oberen Räume (vgl. 14,66 ) zu einer nächtlichen Plenarsitzung versammelt. Es handelte sich zunächst um eine "informelle" Verhandlung, die noch einer offiziellen Ratifizierung am nächsten Tag bedurfte (vgl. Mk 15,1 ), um der strengen jüdischen Rechtsprozedur, die Gerichtsverhandlungen nur bei Tage erlaubte, Genüge zu tun. Das Quorum (die zur Beschlußfassung erforderliche Zahl anwesender Mitglieder) bestand aus dreiundzwanzig Mitgliedern (Mischna Sanhedrin 1. 6), doch bei dieser Gelegenheit war wahrscheinlich sogar die Mehrheit anwesend, auch wenn es drei Uhr morgens am 15. Nisan (Freitag), einem Festtag, war.

Die übereilt anberaumte Nachtsitzung wurde aus drei Gründen für notwendig erachtet: Erstens, weil das jüdische Strafrecht vorschrieb, daß Gefangene sofort nach ihrer Verhaftung zu einer Anhörung vorzuführen seien. Zweitens, weil die römischen Gerichtsverhandlungen gewöhnlich kurz nach Sonnenaufgang stattfanden (vgl. Mk 15,1 ), so daß der Hohe Rat bis Tagesanbruch bereits ein abschließendes Urteil gefällt haben mußte, um den Fall sogleich vor Pilatus bringen zu können. Und drittens, weil die Pharisäer nun, da sie Jesus endlich in ihrer Gewalt hatten, keinerlei Verzögerung des Verfahrens riskieren wollten, die zu Widerspruch gegen seine Festnahme hätte führen können. Denn natürlich waren sie bereits entschlossen, ihn zum Tode zu verurteilen (vgl. Mk 14,1-2 ); sie mußten nur noch die Beweise beschaffen, um ihr Urteil zu rechtfertigen (vgl. V. 55 ). Vielleicht hatten sie auch die Absicht, die Verantwortung für Jesu Kreuzigung auf die Römer abzuwälzen, um zu vermeiden, daß das Volk dem Hohen Rat die Schuld an seinem Tod geben würde.

Gelegentlich wurde in der Forschung die Frage aufgeworfen, ob eine solche Verhandlung an einem Festtag nach den rabbinischen Gesetzesvorschriften überhaupt legal war. Prozesse und Hinrichtungen von Schwerverbrechern waren jedoch auch während eines größeren Festes gestattet. Auf diese Art, so hieß es, würde "alles Volk aufhorchen und sich fürchten" ( 5Mo 17,13; vgl. 5Mo 21,21; vgl. TDNT "pascha" , 5,899-900). Normalerweise durfte bei Schwerverbrechen das endgültige Urteil jedoch erst am folgenden Tag gefällt werden.



Markus

Mk 14,54


Petrus (vgl. V. 29.31.50 ) war dann doch so mutig gewesen, Jesus von ferne in den Palast des Hohenpriesters zu folgen . Es war ihm gelungen, in den Innenhof der Residenz, einen viereckigen freien Raum, um den herum der Palast erbaut war (vgl. Joh 18,15-18 ), hineinzukommen. Dort saß er bei den Knechten , der Tempelwache, und wärmte sich am Feuer (wörtlich: "gegenüber dem Licht" des Feuers, so daß sein Gesicht beleuchtet war; vgl. Mk 14,67 ), denn die Nachtluft war kalt. Er wollte in Erfahrung bringen, was mit Jesus geschehen würde (vgl. Mt 26,58 ).



Markus

Mk 14,55-56


(2) Jesu Verhandlung vor dem Hohen Rat ( Mk 14,55-65; Mt 26,59-68; Lk 22,63-71 ).

Der Hohe Rat begann seine Beratungen mit der Suche nach Zeugnissen gegen Jesus , die ein Todesurteil rechtfertigten, doch sie fanden niemand, der etwas Konkretes gegen ihn vorbringen konnte. Es mangelte ihnen zwar nicht an Zeugen, da viele falsches Zeugnis ablegten, doch ihre Aussagen waren ungültig, weil sie inhaltlich nicht übereinstimmten . Viele unwahre Behauptungen wurden vorgetragen, die sich jedoch alle widersprachen. Vielleicht hatte man diese Zeugen bereits vor Jesu Gefangennahme bestochen, es jedoch versäumt, ihre Geschichten aufeinander abzustimmen. In jüdischen Gerichtsverhandlungen waren die Zeugen stets Zeugen der Anklage und wurden einzeln verhört. Um jemanden eines Verbrechens zu überführen, verlangte das mosaische Gesetz die genaue Übereinstimmung der Aussagen mindestens zweier Zeugen ( 4Mo 35,30; 5Mo 17,6; 5Mo 19,15 ).



Markus

Mk 14,57-59


Endlich fanden sich dann doch einige , ("zwei"; vgl. Mt 26,60 ), die erklärten, daß sie gehört hätten, wie Jesus sagte: Ich ( egO , betont) will diesen Tempel ( naon , das "Allerheiligste"; vgl. Mk 11,11 ), der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in drei Tagen einen andern ( allon ; von einer anderen Art) bauen, der nicht mit Händen gemacht ist . Aber auch in diesem Zeugnis gab es offensichtlich noch Diskrepanzen, so daß auch sie laut Markus nicht übereinstimmten .

Es gibt zwar in der Tat eine geheimnisvolle Äußerung Jesu, die dieser Zeugenaussage ähnelt ( Joh 2,19 ), doch er hatte dabei vom "Tempel" seines Leibes gesprochen (vgl. Joh 2,20-22 ). Die Zeugen vor dem Hohen Rat, und wohl auch die anderen, die sie damals gehört hatten, interpretierten seine Worte jedoch fälschlicherweise als Prophezeiung über den Tempel in Jerusalem. Die Zerstörung eines Ortes, der dem Gottesdienst geweiht war, aber war in der Alten Welt ein Schwerverbrechen (Josephus, Ant. 10. 6. 2). Obwohl auch dieses letzte Zeugnis im Grunde ungültig war, ermöglichte es doch den Hohenpriestern, Jesus nun nach seiner Identität zu befragen ( Mk 14,61 ), und führte damit zu der Verspottung Jesu, von der in Kapitel 15 (V. 29 ) die Rede ist.



Markus

Mk 14,60-61 a


Der Hohepriester Kaiphas stellte Jesus eine zweiteilige Frage, um ihn endlich einer Schuld überführen zu können. Im Griechischen verlangte der erste Teil der Frage antwortest du nichts? eine bejahende Antwort, und der zweite Teil eine Erklärung auf das, was diese gegen dich bezeugen? Doch Jesus schwieg still und rechtfertigte sich mit keinem Wort (vgl. Jes 53,7 ). Diese Haltung irritierte den Gerichtshof und brachte den Prozeß kurzzeitig zum Stillstand.



Markus

Mk 14,61-62 (Mk 14,61b-62)


Danach änderte der Hohepriester seine Taktik und fragte Jesus ganz direkt: "Bist du (betont) der Christus (der Messias; vgl. Mk 1,1;8,29 ) , der Sohn des Hochgelobten?" Der Titel "der Hochgelobte", der in diesem Sinn nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vorkommt, ist ein jüdischer Ersatzbegriff für "Gott" (vgl. Mischna Berachoth 7. 3), dessen Name nach Möglichkeit nicht ausgesprochen wurde. Beide Titel, die der Hohepriester gebrauchte, bezogen sich auf Jesu Anspruch, der Messias zu sein.

Darauf antwortete Jesus ganz eindeutig: "Ich bin's" , d. h. "ich bin der Messias, der Sohn Gottes". Das ist das erste Mal im Markusevangelium, daß Jesus öffentlich erklärte, daß er der Messias sei (vgl. den Kommentar zu Mk 1,43-44; Mk 8,29-30; Mk 9,9; Mk 11,28-33; Mk 12,12 ). Zum Beweis seiner Aussage fügte er, wie es die Juden von ihrem wahren Messias erwarteten, noch eine überraschende Prophezeiung hinzu. Er wandte Ps 110,1 und Dan 7,13 auf sich selbst an und sagte: Und ihr (seine menschlichen Richter) werdet sehen den Menschensohn (vgl. Mk 8,31.38 ) sitzen zur Rechten (erhöht auf den Platz der höchsten Ehre und Vollmacht; vgl. Mk 12,36 ) der Kraft (ebenfalls ein jüdisches Wort für "Gott"; vgl. Mk 14,61 ) und kommen mit den Wolken des Himmels , um zu richten (vgl. Mk 8,38 ). Die Tatsache, daß sie das "sehen" sollten, bedeutete jedoch nicht, daß Jesus noch zu ihren Lebzeiten zurückkehren würde, sondern bezog sich auf ihre leibliche Auferstehung im Gericht vor dem erhöhten Menschensohn, der eines Tages die, die hier über ihn zu Gericht saßen, richten wird. Dann wird jeder mit letzter Sicherheit wissen, daß Jesus wahrhaftig der Gesalbte Gottes, der Messias, ist.



Markus

Mk 14,63-64


Durch das Zerreißen seiner Kleider , wahrscheinlich der Unterkleidung, nicht der offiziellen Robe, zeigte der Hohepriester, daß er Jesu kühne Behauptung für Gotteslästerung hielt. Für einen frommen Juden waren die Worte Jesu eine Entehrung Gottes, weil Jesus damit Rechte und Vollmachten für sich in Anspruch nahm, die nach jüdischer Ansicht nur Gott zustanden (vgl. Mk 2,7 ). Die symbolische Geste des Abscheus und der Empörung, die Kaiphas hier vornahm, wurde grundsätzlich vom Hohenpriester erwartet, wenn er mit irgendeiner Gotteslästerung konfrontiert wurde. In diesem Fall steckte in dieser Reaktion jedoch sicherlich auch eine gewisse Erleichterung darüber, daß Jesus sich mit seiner Antwort nun gleichsam selbst beschuldigt hatte und damit keine weiteren Zeugen mehr nötig waren.

Nach dem mosaischen Gesetz stand auf Gotteslästerung die Todesstrafe durch Steinigung ( 3Mo 24,15-16 ). Ohne noch irgendwelche weiteren Nachforschungen anzustellen, verlangte der Hohepriester, daß der Hohe Rat ein Urteil fälle. Da es keine Einwände mehr gab, verurteilten ihn alle (vgl. Mk 10,33 ), daß er des Todes schuldig ( enochon ; vgl. Mk 3,29 ) sei .



Markus

Mk 14,65


Einige Mitglieder des Hohen Rats machten ihrem Haß in höhnischen Bemerkungen und körperlichen Mißhandlungen Luft. Jemandem ins Gesicht zu speien war ein Ausdruck tiefster Verachtung und eine der schlimmsten persönlichen Beleidigungen überhaupt (vgl. 4Mo 12,14; 5Mo 25,9; Hi 30,10; Jes 50,6 ). Weil er gesagt hatte, daß er der Messias sei, verdeckten sie sein Angesicht, schlugen ihn mit den Fäusten und verlangten, daß er ihnen weissage, wer ihn geschlagen hatte. Darin steckt eine Anspielung auf eine traditionelle Prüfung des Messias, die auf einer rabbinischen Auslegung von Jes 11,2-4 beruhte. Der wahre Messias konnte auch ohne seine Augen sehen (vgl. den babylonischen Talmud Sanhedrin 93 b). Doch Jesus weigerte sich, auf den Test einzugehen und blieb still (vgl. Jes 53,7; 1Pet 2,23 ). Als er zu den Tempelwachen zurückgebracht wurde (vgl. Mk 14,54 ), folgten diese dem Beispiel ihrer Oberen und schlugen ihm mit der offenen Hand ins Gesicht (vgl. Lk 22,63-65 ).



Markus

Mk 14,66-68


(3) Die dreimalige Verleugnung Jesu durch Petrus ( Mk 14,66-72; Mt 26,69-75; Lk 22,55-62; Joh 18,15-18.25-27 )

: Eine von den Mägden des Hohenpriesters , wahrscheinlich die Türhüterin des Innenhofs (vgl. Joh 18,16 ), trat zu Petrus, der sich an dem Feuer wärmte, das im Hof (vgl. Mk 14,54; Mk 15,16 ) - anscheinend unterhalb des Raumes, in dem Jesus vernommen wurde - brannte. Nachdem sie ihn genau angeschaut hatte (von emblepO ; vgl. Mk 10,21 ), platzte sie auf einmal verächtlich heraus: "Und du (betont) warst auch (Johannes war bei Petrus; vgl. Joh 18,15 ) mit (vgl. Mk 3,14 ) dem Jesus von Nazareth" (vgl. Mk 1,24; Mk 10,47 ).

Ihr Ausruf identifizierte Petrus ganz richtig als einen Jünger Jesu, doch er leugnete ( ErnEsato ; vgl. Mk 8,34; 14,30 ), d. h. er weigerte sich, seine Beziehung zu Jesus zuzugeben, weil er um sein Leben fürchtete. Er kleidete seine Leugnung in die übliche jüdische Formel ich weiß nicht und verstehe nicht, was du (betont) sagst . Um zu vermeiden, daß ihn noch jemand erkannte, ging er hinaus in den Vorhof , die überdachte Passage, die auf die Straße führte.

Fast alle wichtigeren griechischen Handschriften fügen nach Vers 68 ein: "Und der Hahn krähte." Dies, sowie die relativ gut bezeugte Wendung zum zweiten Mal . in Vers 72 , spricht sehr dafür, daß dieser Satz tatsächlich im Urtext stand. Da jedoch in den Parallelstellen der anderen Evangelien nur von einem einmaligen Krähen die Rede ist (vgl. Mt 26,74; Lk 22,60; Joh 18,27 ), ließen manche Kopisten diese Worte wohl um der Einheitlichkeit willen schon sehr früh auch aus dem Markusevangelium fort. Man sollte jedoch davon ausgehen, daß der Bericht von Markus hier einfach genauer ist als die Darstellungen der anderen Evangelien, weil er sich sehr wahrscheinlich auf die lebendige Erinnerung des Petrus stützte: Anscheinend hatte der erste Hahnenschrei für Petrus damals zuerst noch keinerlei Bedeutung, da es sich dabei um ein ganz gewöhnliches, mit dem Morgen verbundenes Geräusch handelte (vgl. Mk 13,35 b; Mk 14,72 ).



Markus

Mk 14,69-71


Dieselbe Magd sah Petrus dann jedoch nochmals im Vorhof, wo sie zusammen mit anderen (vgl. Mt 26,71; Lk 22,58 ) stand, und identifizierte ihn abermals vor den Umstehenden als einen von Jesu Jüngern. Und er leugnete (wörtlich: "fuhr fort zu leugnen"; Imperfekt) abermals .

Etwa eine Stunde später (vgl. Lk 22,59 ) erhoben die Leute, die bei Petrus standen, erneut ( abermals ) denselben Vorwurf gegen ihn: "Wahrhaftig (wörtlich: "in der Tat", trotz seiner Leugnungen) , du bist einer von denen (einer der Jünger), denn ("weil") du bist auch ein Galiläer." In Galiläa sprach man einen aramäischen Dialekt, der sich vor allem in der Aussprache sehr von dem in Jerusalem unterschied (vgl. Mt 26,73 ). Daraus schlossen sie, daß Petrus ein Anhänger dieses häretischen Galiläers Jesus sein mußte.

Die Tatsache, daß Petrus nun begann, sich zu verfluchen und zu schwören , daß er Jesus nicht kenne, bedeutet nicht, daß er Gotteslästerungen ausstieß. Er rief vielmehr den Fluch Gottes auf sich herab, wenn er sie belügen sollte, und schwor einen Eid (wie vor einem Gerichtshof), um sie von seiner Unschuld zu überzeugen. Er leugnete also mit allem Nachdruck - wobei er es vorsichtigerweise vermied, Jesu Namen zu gebrauchen - diesen Menschen, von dem sie redeten , zu kennen.



Markus

Mk 14,72


Auf Petrus' dritte Verleugnung in weniger als zwei Stunden folgte alsbald ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) der zweite Hahnenschrei (vgl. Mk 14,68 ). Plötzlich fiel ihm ein, daß Jesus ihm in derselben Nacht prophezeit hatte, daß er ihn verleugnen werde (V. 29 - 31 ). Gleichzeitig bemerkte er, daß Jesus auf ihn niedersah ( Lk 22,61 ), und er brach zusammen und fing an zu weinen .

Diese tiefe Reue öffnete Petrus im Gegensatz zu Judas ( Mt 27,3-5 ) den Weg zu wahrer Buße und zu einer neuen Bekräftigung seines Treueverhältnisses zu Jesus als dem auferstandenenHerrn (vgl. Mk 16,7; Joh 21,15-19 ). Petrus konnte wieder zum Glauben an Jesus finden, Judas war endgültig verloren.



Markus

Mk 15,1


(4) Das Urteil des Hohen Rates im Morgengrauen ( Mk 15,1 a; Mt 27,1; Lk 22,66-71 )

a: Gleich ( euthys ; vgl. Mk 1,10 ) nach Sonnenaufgang - zwischen fünf und sechs Uhr morgens, wahrscheinlich am Freitag, den 3. April des Jahres 33 n. Chr. - kam der ganze Hohe Rat (vgl. Mk 14,53 ) unter der Leitung der Hohenpriester überein, Jesus offiziell zum Tode zu verurteilen, und überantwortete ihn dem römischen Statthalter, um eine Bestätigung des Schuldspruchs zu erreichen.

Der Hohe Rat konnte zwar ein Todesurteil aussprechen, doch er durfte die Todesstrafe nicht vollstrecken lassen. Daher mußte ein verurteilter Gefangener zur Vollstreckung der Strafe der römischen Verwaltungshoheit überstellt werden (vgl. Joh 18,31; TDNT, "synedrion" , 1,865-6). Der römische Statthalter konnte dann das Todesurteil des Hohen Rats bestätigen oder aufheben (vgl. Joh 19,10 ). Wenn es aufgehoben wurde, mußte eine neue Verhandlung vor einem römischen Gerichtshof stattfinden, in der der Hohe Rat beweisen mußte, daß der Angeklagte auch nach römischen Recht ein Kapitalverbrechen begangen hatte. Da jedoch der Vorwurf der Gotteslästerung (vgl. Mk 14,64 ) nach römischem Recht nicht strafbar war, beschuldigte der Hohe Rat Jesus in der folgenden Verhandlung des Hochverrats, indem er sein Eingeständnis, daß er der Messias sei, in den politischen Anspruch, daß er der "König der Juden" sei, umwandelte (vgl. Mk 15,2; Lk 23,2 ). Eine solche Anklage konnte ein römisches Gericht nicht ignorieren.



Markus

b. Jesu Gerichtsverhandlung vor Pilatus und die Misshandlungen der römischen Soldaten
(
15,1 b - 20 )


Auch die Verhandlung vor den politischen Autoritäten des römischen Staates bestand aus drei Anhörungen: (a) einer ersten Befragung durch Pilatus (vgl. Mt 27,2.11-14; Mk 15,1 b 5; Lk 23,1-5; Joh 18,28-38 ), (b) einer Befragung durch Herodes Antipas (vgl. Lk 23,6-12 ) und (c) der letzten Vernehmung durch Pilatus, der Begnadigung des Barabbas und der Urteilsverkündung (vgl. Mt 27,15-26; Mk 15,6-20; Lk 23,13-25; Joh 18,39-19,16 ).

Vom Hohen Rat war Jesus nach jüdischem Recht wegen Gotteslästerung verurteilt worden, während es in dieser zweiten Anhörung um den Verdacht des Hochverrats ging. In beiden Fällen wurde er zum Tode verurteilt, wie es dem Willen Gottes entsprach (vgl. Mk 10,33-34 ).

(1) Die Befragung des Pilatus und Jesu Schweigen ( Mk 15,1 b. 2-5 ; Mt 27,2.11-14; Lk 23,1-5; Joh 18,28-38 )



Mk 15,1 b


Der Hohe Rat hatte Jesus gebunden und wahrscheinlich vom Palast des Kaiphas (vgl. Mk 14,53 ) durch die Stadt zum Palast des Herodes geführt, wo er Pilatus überantwortet wurde, der das Todesurteil vollstrecken sollte.

Pontius Pilatus, der fünfte römische Präfekt (ein Titel, der später in "Procurator", d. h. kaiserlicher Magistrat, umgeändert wurde) von Judäa, amtierte von 26 - 36 n. Chr. Er war ein strenger Statthalter, der die Juden zutiefst verachtete (vgl. Lk 13,1-2 ). Normalerweise residierte er in Cäsarea am Mittelmeer, doch zu besonderen Gelegenheiten, wie z. B. zum Passafest, hielt er sich in Jerusalem auf, um für die Wahrung von Recht und Ordnung zu sorgen. Er wohnte vermutlich im Palast des Herodes, wie es die Provinzstatthalter gewöhnlich taten, und nicht in der Festung Antonia in der Nähe des Tempels. Falls das stimmt, fand dort auch der Prozeß gegen Jesus statt.



Markus

Mk 15,2


Pilatus trug die alleinige Verantwortung für die Entscheidungen der römischen Gerichtsbarkeit. Ein römisches Gerichtsverfahren, das in der Regel öffentlich war, wurde mit der Anklage der Klägerpartei eröffnet, der dann die Befragung durch den Magistrat sowie die Vernehmung des Angeklagten und weitere Zeugenvernehmungen folgten. Wenn alle Beweise und Zeugenaussagen vorlagen, konsultierte der Magistrat gewöhnlich seine juristischen Berater und fällte dann das Urteil, das sofort vollstreckt werden mußte.

Statt das Todesurteil des Hohen Rates einfach zu bestätigen (vgl. Joh 18,29-32 ), bestand Pilatus darauf, den Fall erneut aufzurollen. Vor allem eine der drei Anklagen, die gegen Jesus erhoben wurden (vgl. Lk 23,2 ), erregte seine Aufmerksamkeit: daß Jesus behauptet hatte, ein "König" zu sein. Er fragte ihn deshalb: "Bist du (betont) der König der Juden?" Für Pilatus war eine solche Behauptung gleichbedeutend mit Hochverrat gegen den Prinzipat, ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe stand.

Jesus gab ihm jedoch eine rätselhafte Antwort: Du (betont) sagst es , d. h., "diese Bezeichnung hast du gewählt". Sie ist wohl am ehesten als eine mit Vorbehalt versehene Zustimmung zu verstehen. Als Messias war Jesus der Juden König, doch seine Vorstellung von Königtum unterschied sich radikal von der, die Pilatus bei seiner Frage im Sinn hatte (vgl. Joh 18,33-38 ).



Markus

Mk 15,3-5


Da die erste Antwort Jesu nach römischem Recht nicht als Grundlage für die Todesstrafe ausreichte, bat Pilatus die Kläger um genauere Information. Die Hohenpriester (vgl. V. 1 a) ergriffen die Gelegenheit, ihre Klage zu untermauern, und brachten eine Vielzahl von Beschuldigungen gegen Jesus vor.

Abermals versuchte Pilatus, Jesus zu einer Entgegnung zu bewegen und ihn dazu zu bringen, sich gegen die Anschuldigungen, die gegen ihn erhoben worden waren, zu verteidigen. Aber zu seiner äußersten Verwunderung sprach Jesus kein Wort mehr (vgl. Jes 53,7 ) wörtlich: er antwortete nichts mehr ( ouketi ouden , betonte Verneinung). Das kam in den römischen Gerichtsverhandlungen selten vor und schien Pilatus' ersten Eindruck, daß Jesus unschuldig war, zu bestätigen.

Markus erwähnt nur zwei kurze Bemerkungen Jesu während der ganzen Verhandlungen - eine gegenüber Kaiphas ( Mk 14,62 ) und eine gegenüber Pilatus ( Mk 15,2 ). Sein Schweigen unterstreicht die Tatsache, daß er, der Menschensohn, nach Gottes Willen leiden und sterben mußte (vgl. den Kommentar zu Mk 8,31 ).

Als Pilatus erfuhr, daß Jesus Galiläer war, ließ er ihn in der Hoffnung, ihn nicht selbst verurteilen zu müssen, vor Herodes Antipas, den Statthalter von Galilaä (vgl. Mk 6,14 ), bringen, der sich ebenfalls gerade in Jerusalem aufhielt. Doch Herodes schickte Jesus schon sehr bald zu Pilatus zurück. Vom Inhalt der Verhandlung vor Herodes berichtet nur Lukas (vgl. Lk 23,6-12 ).



Markus

Mk 15,6


(2) Der vergebliche Versuch des Pilatus, für Jesus einen Freispruch zu erreichen ( Mk 15,6-15; Mt 27,15-26; Lk 23,13-25; Joh 18,39-40;19,1.13-16 )

Jedes Jahr zum Passafest pflegte der römische Statthalter den Juden als Zeichen seines guten Willens einen Gefangenen loszugeben , den das Volk selbst auswählen durfte (vgl. V. 8 ). Wenngleich dieser Brauch außerhalb des Neuen Testamentes nirgendwo ausdrücklich erwähnt wird, so ist er doch durchaus mit dem großzügigen Verhalten der römischen Eroberer in Lokalangelegenheiten gegenüber den von ihnen unterworfenen Völkern vereinbar. Statt Jesus freizusprechen, beschloß Pilatus also, ihn bei der Passa-Amnestie freizugeben (vgl. V. 9 ). Er war sich ganz sicher, daß das Volk ihn um Jesus und nicht etwa um den anderen Gefangenen bitten würde.



Markus

Mk 15,7


Bei der Niederschlagung eines Aufruhrs in Jerusalem hatten die Römer zusammen mit anderen Aufrührern auch Barabbas (von Bar Abba , "Sohn des Vaters"), einen berüchtigten Freiheitskämpfer, Räuber ( Joh 18,40 ) und Mörder verhaftet. Er war wahrscheinlich ein Anhänger der Zeloten, einer nationalistischen jüdischen Gruppierung, und hatte sich an der Organisation eines Aufstands gegen Rom beteiligt, wofür er jetzt hingerichtet werden sollte.



Markus

Mk 15,8-11


Während der Verhandlungen hatte sich eine beträchtliche Menschenmenge im Forum des Palastes versammelt (vgl. V. 16 ). Jetzt näherte sich das Volk, viele von ihnen wahrscheinlich Parteigänger von Barabbas, dem erhöhten Sitz des Pilatus und verlangte nach der jährlichen Passabegnadigung (vgl. V. 6 ).

Für Pilatus war das eine Gelegenheit, den Juden, insbesondere ihren Führern, seine Verachtung zu zeigen. Er bot ihnen an, den "König der Juden" loszugeben (vgl. V. 2 ), denn ihm war klar, daß die Hohenpriester ihm Jesus nicht aus Loyalität gegenüber Rom überantwortet hatten , sondern aus Neid und Haß. Er hoffte zuversichtlich, die Freilassung Jesu zu erreichen und damit das Urteil der religiösen Führer zu unterlaufen.

Aber sein Plan schlug fehl. Die Hohenpriester hatten die erregte Menge angestiftet, um die Freilassung des Barabbas statt um die Jesu zu bitten. Anscheinend wußte das Volk, daß der Hohe Rat Jesus bereits verurteilt hatte (vgl. Mk 14,64 ). Die Rechnung des Pilatus, daß die Juden mit ihm, dem Römer, gemeinsam Front gegen ihre eigenen Führer (vgl. Joh 19,6-7 ) machen würden, ging deshalb, wie eigentlich zu erwarten gewesen war, nicht auf.



Markus

Mk 15,12-14


Als die Menge Pilatus' Angebot zurückgewiesen und die Freilassung von Barabbas gefordert hatte, fragte er sie wiederum: "Was wollt ihr denn, daß ich tue mit dem, den ihr den König der Juden nennt?" Pilatus selbst akzeptierte diesen Titel selbstverständlich nicht, doch seine Frage zeigte, daß er bereit war, auch Jesus freizulassen, wenn sie wollten. Doch ohne Zögern schrien sie: "Kreuzige ihn!" Die Strafe, die eigentlich Barabbas erwartete, sollte nun Jesus ereilen.

Noch ein drittes Mal machte Pilatus einen Vorstoß und forderte die Menge auf, ihm zu sagen, was Jesus d enn Böses getan habe, daß er die Todesstrafe verdiene. Aber sie schrien noch viel mehr: Kreuzige ihn! In den Augen des Provinzstatthalters war dieses Geschrei des Volkes eine Akklamation, die juristisch gesehen eine eindeutige Entscheidung des Volkswillens darstellte. Das zwang ihn, Jesus des Hochverrats für schuldig zu befinden, ein Kapitalverbrechen, das in den römischen Provinzen in der Regel mit der Kreuzigung bestraft wurde.



Markus

Mk 15,15


Obwohl er Jesus nach wie vor für unschuldig hielt (vgl. V. 14 ), tat Pilatus in diesem Moment doch lieber das, was ihm politisch geraten schien, statt sich für die Gerechtigkeit zu entscheiden. Er wollte dem Volk zu Willen sein , bevor es sich beim Kaiser Tiberius beklagte und dadurch ihn selbst in Gefahr brachte (vgl. Joh 19,12 ). Daher gab er ihnen Barabbas los und ließ Jesus geißeln und verurteilte ihn zum Kreuzestod.

Die römische Geißelung war ein grausames Verfahren, das bei männlichen Verbrechern stets der Vollstreckung der Todesstrafe vorausging, aber auch für sich genommen als Strafe verhängt werden konnte (vgl. TDNT," mastigoO ",4,517-9). Der Gefangene wurde dazu entkleidet, an einen Pfosten gebunden und von mehreren Wachen mit kurzen Lederpeitschen, die vorne mit scharfen Knochen- oder Metallstücken versehen waren, auf den Rücken geschlagen. Der Zahl der Schläge war keine Grenze gesetzt; häufig endete diese Bestrafung tödlich.

Pilatus ließ Jesus geißeln in der Hoffnung, daß das Volk Mitleid mit ihm hätte und endlich zufriedengestellt wäre. Doch er irrte sich abermals; die Juden bestanden weiterhin darauf, daß er gekreuzigt würde (vgl. Joh 19,1-7 ).



Markus

Mk 15,16


(3) Die Verspottung Jesu durch die römischen Soldaten ( Mk 15,16-20; Mt 27,27-31; Joh 19,2-3 )

Nach der Geißelung, die wahrscheinlich auf einem öffentlichen Platz stattfand, führten die römischen Soldaten Jesus, der geschunden war und blutete, hinein ( esO ) in den Palast (wörtlich: den "Hof"; dasselbe Wort wie in Mk 14,54 und 66). Die Übersetzung des griechischen Wortes für Hof mit "Palast" wird durch Markus' Erklärung das ist ins Prätorium , die beide Orte gleichsetzt, gerechtfertigt. Mit dem lateinischen Lehnwort Praetorium wurde die offizielle Residenz des Statthaltersbezeichnet (vgl. Mt 27,27; Joh 18,28.33; 19,9; Apg 23,35 ).

Im Hof riefen die Soldaten sodann die ganze Abteilung ( speiran ; das griechische Wort für die lateinische "Kohorte") zusammen . Eine Kohorte bestand normalerweise aus sechshundert Mann, einem Zehntel einer sechstausend Soldaten zählenden Legion. Doch in diesem Fall handelte es sich wahrscheinlich nur um ein Hilfsbataillon von zwei- bis dreihundert Soldaten, die Pilatus aus Cäsarea nach Jerusalem begleitet hatten.



Markus

Mk 15,17-19


In einer verhöhnenden Nachahmung der Robe eines Vasallenkönigs und seiner goldenen Krone kleideten die Soldaten Jesus in einen Purpurmantel - einen ausgeblichenen Soldatenmantel - und drückten ihm eine Dornenkrone , vielleicht aus stacheligen Palmzweigen, aufs Haupt. In dieser Krone bildeten sie unwissentlich den Fluch Gottes über die sündige Menschheit ab, der Jesus getroffen hatte (vgl. 1Mo 3,17-18 ). Matthäus berichtet außerdem noch, daß sie ihm "ein Rohr" als "Zepter" in die Hand gaben ( Mt 27,29 ).

Dann machten sie sich mit Hohn- und Schmähreden, in denen sie spöttisch die Ehrenbezeugungen für einen König nachahmten, über Jesus lustig. Der höhnische Ruf: gegrüßet seist du, der Juden König! entsprach dem formalen römischen Gruß "Ave Cäsar". Sie schlugen ihn mit einem Rohr , wahrscheinlich seinem "Zepter", auf das dornengekrönte Haupt, spien ihn an (vgl Mk 14,65 ) und fielen auf die Knie und huldigten ihm . All das war jedoch nicht so sehr ein Ausdruck persönlicher Verachtung als vielmehr der Ausdruck ihrer Verachtung gegenüber der von ihnen unterworfenen Nation, die sich so lange einen eigenen König gewünscht hatte.



Markus

Mk 15,20


Dann zogen sie ihm den Purpurmantel wieder aus und seine eigenen Kleider an und führten ihn mit einem aus vier Soldaten bestehenden Exekutionskommando (vgl. Joh 19,23 ) unter dem Befehl eines Hauptmanns hinaus vor die Stadt, daß sie ihn kreuzigten .

Die Leiden, die Jesus von den römischen Machthabern ertragen mußte, führten den Lesern des Markusevangeliums vor Augen, was sie selbst von der heidnischen Obrigkeit zu gewärtigen hatten (vgl. den Kommentar zu Mk 13,9-13 ).



Markus

2. Jesu Kreuzigung und Tod
(
15,21 - 41 )


Der Kreuzestod war eine der grausamsten Todesstrafen, die je ersonnen wurden. Markus' Bericht über Jesu körperliche Leiden ist zwar sehr anschaulich, doch auch sehr kurz, denn angesichts seiner seelischen Qualen waren sie nur von zweitrangiger Bedeutung (vgl. Mk 14,36; Mk 15,34 ). (Zum Ablauf der Ereignisse vgl. die Tabelle "Die Darstellung des Kreuzigungsgeschehens in den verschiedenen Evangelienberichten" bei Mt 27,32-38 .)



a. Jesu Kreuzigung und der Spott des Volkes
(
15,21 - 32 ) ( Mt 27,32-44; Lk 23,26-43; Joh 19,17-27 )


Mk 15,21-22


Es war üblich, daß ein Verurteilter das patibulum , das fast fünfzig Kilo schwere Querholz des Kreuzes, selbst durch die Straßen der Stadt zum Ort seiner Kreuzigung trug. Jesus war jedoch so schwach von der Geißelung, daß er kurz vor dem Stadttor zusammenbrach (vgl. Joh 19,17 ). Daraufhin zwangen die Soldaten einen, der zufällig vorüberging, mit Namen Simon , das Kreuz für den Rest des Weges zu tragen.

Simon stammte aus Kyrene , einer bedeutenden Küstenstadt in Nordafrika, die eine große jüdische Gemeinde hatte ( Apg 2,10 ). Er war entweder ein Einwanderer, der in der Nähe von Jerusalem lebte, oder, was wahrscheinlicher ist, ein Pilger, der zum Passafest nach Jerusalem gekommen war und auf dem Feld schlafen mußte, weil es in der Stadt keine Unterkünfte mehr gab. Nur Markus erwähnt außerdem nochSimons Söhne, Alexander und Rufus , was darauf hindeutet, daß sie Jünger waren, die der Gemeinde in Rom bekannt waren (vgl. Röm 16,13 ).

Die Soldaten brachten Jesus zu einer Stätte außerhalb der Stadt, doch nahe bei der Stadtmauer (vgl. Joh 19,20 ), namens Golgatha - eine griechische Transkription eines aramäischen Wortes, das Schädelstätte bedeutet. Die Bezeichnung "Kalvarienberg" stammt aus der lateinischen Vulgata, von Calvaria (vgl. calva , "Schädel"). Golgatha war eine runde, felsige Bergkuppe (kein Hügel oder Berg), die in ihrer Form entfernt an einen menschlichen Schädel erinnerte. Die genaue Lage dieser Hinrichtungsstätte ist unsicher. Sie befand sich entweder bei der heutigen Grabeskirche, ein Ort, der aus dem 4. Jahrhundert überliefert ist, oder, laut einer neueren These, auf "Gordons Kalvarienberg". Die traditionelle Ortsbestimmung scheint jedoch plausibler.



Markus

Mk 15,23-24


Nach der rabbinischen Überlieferung bereiteten bestimmte Frauen in Jerusalem sedative Tränke für die, die gekreuzigt werden sollten, um ihnen die Qual etwas zu erleichtern (vgl. Spr 31,6-7 ). Bei der Ankunft auf Golgatha boten (wörtlich: "versuchten zu geben") sie - wahrscheinlich die römischen Soldaten - auch Jesus ein solches Getränk an, Myrrhe in Wein - ein Pflanzensaft mit anästhesierender Wirkung. Doch als er bemerkte, was es war (vgl. Mt 27,34 ), lehnte er es ab, weil er dem Leiden und dem Tod bei vollem Bewußtsein gegenübertreten wollte.

Mit nicht zu überbietender Schlichtheit notiert Markus dann den lapidaren Satz: "Und sie kreuzigten ihn." Seine Leser in Rom brauchten keine weiteren Erläuterungen, und er gab auch keine. Normalerweise wurde ein zum Kreuzestod Verurteilter entkleidet (nackt; manchmal behielt er auch das Lendentuch an) und auf die Erde gelegt, und seine ausgestreckten Arme wurden auf das Querholz genagelt. Der Balken wurde dann aufgerichtet und an einem vertikalen Pfosten, der bereits in die Erde gerammt war, befestigt. An diesem Pfosten wurden auch die Füße des Opfers festgenagelt. Eine hölzerne Sprosse etwa in halber Höhe des Holzes, auf der das Opfer quasi "saß", gab dem Körper einen gewissen Halt. Der Tod war langsam und qualvoll. Gewöhnlich trat er, aufgrund größter Erschöpfung und quälenden Durstes, erst nach zwei bis drei Tagen ein. Manchmal wurde das Sterben auch beschleunigt, indem man dem Opfer zusätzlich die Beine brach (vgl. Joh 19,31-33 ).

Die persönlichen Habseligkeiten des Gekreuzigten fielen dem Exekutionskommando zu. Im Falle Jesu warfen die vier Mann (vgl. Joh 19,23 ) das Los - wahrscheinlich Würfel - um seine Kleider , ein Unter- und ein Obergewand, einen Gürtel, Sandalen und vielleicht eine Kopfbedeckung, um zu sehen, wer was bekommen sollte. Damit erfüllten sie, ohne es zu wissen, die Worte von Ps 22,19 ,einen weiteren Aspekt von Jesu Erniedrigung.



Markus

Mk 15,25


Nur Markus berichtet, daß Jesus um die dritte Stunde , d. h. um neun Uhr vormittags, gekreuzigt wurde. Er orientierte sich dabei offenbar an der jüdischen Zeitrechnung, die die Stunden von Sonnenaufgang (und Sonnenuntergang) zählte. Seine Zeitangabe scheint deshalb der des Johannesevangeliums, in dem von der "sechsten Stunde" die Rede ist ( Joh 19,14 ) zu widersprechen. Doch Johannes benutzte wahrscheinlich die römische (moderne) Zeitrechnung, in der die Stunden ab Mitternacht (und Mittag) gezählt werden; daher fand Jesu Verhandlung vor Pilatus laut Johannesevangelium "um die sechste Stunde", also etwa um sechs Uhr morgens, statt. In der Zeit zwischen sechs und neun Uhr wurde Jesus von den Soldaten gedemütigt (vgl. Mk 15,16-20 ), die beiden Räuber von Pilatus verurteilt (vgl. Mk 15,27 ), und die Vorbereitungen für die Kreuzigungen getroffen.



Markus

Mk 15,26


Gewöhnlich schrieben die Römer den Namen des Verurteilten und das Vergehen, für das er verurteilt worden war, auf eine Tafel, die oben am Kreuz befestigt wurde ( Joh 19,19 ). Alle vier Evangelien berichten denn auch von einer solchen Inschrift am Kreuz Jesu. Die geringfügigen Abweichungen im Wortlaut der Inschrift sind wohl einfach auf die Tatsache zurückzuführen, daß sie in drei Sprachen geschrieben wurde ( Joh 19,20 ). Im Markusevangelium erfahren wir nur von der offiziellen Schuld, die man Jesus gab, nämlich: Der König der Juden (vgl. Mk 15,2.12 ). Diese Formulierung, die Pilatus sich ausgedacht hatte, sollte eine Verhöhnung der jüdischen Unabhängigkeitsbestrebungen sein (vgl. Joh 19,21-22 ).



Markus

Mk 15,27-28


Pilatus hatte Jesus zwischen zwei Räubern kreuzigen lassen, die möglicherweise, wie Barabbas, wegen aufrührerischer Umtriebe angeklagt waren (vgl. V. 7 ; Joh 18,40 ). Ihr Hochverratsprozeß könnte gleichzeitig mit der Verhandlung gegen Jesus stattgefunden haben, denn sie waren mit seinem Fall vertraut ( Lk 23,41 ).

Indem er Jesus zwischen den "Übeltätern" kreuzigen ließ, erfüllte Pilatus unwissentlich (und unwillentlich) die Prophezeiung aus Jes 53,12 ,die in Mk 15,28 zitiert ist (vgl. Lk 22,37 ).



Markus

Mk 15,29-30


Und wieder war Jesus Schmähungen (vgl. Mk 14,65; Mk 15,17-19 ) ausgesetzt. Vorübergehende lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe . (Kopfschütteln war eine damals übliche Geste des Spottes; vgl. Ps 22,7;109,25; Jer 18,16; Kl 2,15 .) Sie verhöhnten ihn für seine Behauptung, er werde den Tempel (vgl. Mk 14,58 ) in drei Tagen wiederaufbauen (eine nicht zu bewältigende Aufgabe). Wenn er das konnte, so sagten sie, dann könnte er sich doch auch jetzt selbst helfen (von sozo, "befreien" oder "retten"; vgl. Mk 5,23.28.34 ) und sich vom Tod retten, indem er vom Kreuz herabstieg (was viel einfacher war).



Markus

Mk 15,31-32


Auf ähnliche Weise machten sich auch die Pharisäer und Schriftgelehrten in ihren Gesprächen untereinander über Jesus lustig. Ihr langgehegter Wunsch, ihn umzubringen, war endlich in Erfüllung gegangen (vgl. Mk 3,6;11,18;12,12;14,1.64;15,1.11-13 ). Sie spotteten über ihn, weil er anderen geholfen hat (von sozo) - womit sie seine Wunder, die sie nicht leugnen konnten (vgl. Mk 5,34;6,56;10,52 ), meinten -, doch sich selbst anscheinend nicht helfen (von sOzO ; vgl. Mk 15,30 ) konnte. Die Ironie dabei war, daß sie damit in geistlicher Hinsicht zutiefst recht hatten: Wenn Jesus anderen helfen und sie aus der Macht der Sünde befreien wollte, dann konnte er nicht auch gleichzeitig sich selbst helfen (sich dem Leiden und dem Tod, die ihm Gott bestimmt hatte, entziehen; vgl. Mk 8,31 ).

Sie lachten auch über seinen Anspruch, der Messias zu sein (vgl. den Kommentar zu Mk 14,61-62 ), wobei sie die Worte des Pilatus, "König der Juden" (vgl. Mk 15,26 ), durch König von Israel ersetzten, und forderten ihn auf, seine Messianität unter Beweis zu stellen, indem er durch ein Wunder vom Kreuz herabstieg . Wenn sie einen solchen unwiderlegbaren Beweis zu sehen bekämen, so wollten sie auch glauben , daß er wirklich der Messias Gottes sei. Was ihnen fehlte, waren jedoch nicht Beweise, sondern schlicht und einfach der Glaube.

Auch die beiden Männer, die mit Jesus gekreuzigt wurden , stimmten in den allgemeinen Hohn ein. Einer von ihnen hörte jedoch schon bald damit auf und bat Jesus, in seinem Reich an ihn zu denken ( Lk 23,39-43 ).



Markus

b. Jesu Tod und seine Begleiterscheinungen
(
15,33 - 41 ) ( Mt 27,45-56; Lk 23,44-49; Joh 19,28-30 )


Markus berichtet in einer sich steigernden Abfolge von fünf Phänomenen, die das Sterben Jesu begleiteten: (1) Dunkelheit ( Mk 15,33 ); (2) Jesu Schrei, "Mein Gott ..." (V. 34 ); (3) Jesu lauter Schrei (V. 37 ); (4) das Zerreißen des Tempelvorhangs von oben nach unten (V. 38 ) und (5) das Bekenntnis des römischen Hauptmanns (V. 39 ).



Mk 15,33


Drei Stunden lang hing Jesus bei Tageslicht am Kreuz (von neun Uhr morgens bis mittags), doch zur sechsten Stunde (mittags) kam eine Finsternis über das ganze Land (Palästina und Umgebung) bis zur neunten Stunde (drei Uhr nachmittags; vgl. den Kommentar zu V. 25 ). Diese Dunkelheit, ob sie nun durch einen plötzlich aufkommenden Staubsturm, dichte Wolken oder, was wahrscheinlicher ist, durch eine auf übernatürliche Weise gerade an diesem Tag stattfindende Sonnenfinsternis verursacht wurde, war wohl ein kosmisches Zeichen für das Gericht Gottes über die Sünde der Menschen (vgl. Jes 5,25-30; Am 8,9-10; Mi 3,5-7; Zeph 1,14-15 ), die Jesus trug (vgl. Jes 53,5-6; 2Kor 5,21 ). Ganz besonders war sie jedoch ein Zeichen für Gottes Gericht über Israel, das seinen Messias, der die Sünde auf sich nahm (vgl. Joh 1,29 ), verworfen hatte. Die Dunkelheit war das sichtbare Abbild dessen, was Jesus mit seinem Schrei zum Ausdruck gebracht hatte ( Mk 15,34 ).



Markus

Mk 15,34


Markus (und auch Matthäus) berichten nur dieses eine der insgesamt sieben "Worte Jesu am Kreuz". Zu der neunten Stunde (drei Uhr nachmittags) rief Jesus laut: Eli, Eli (aramäisch; ? E lI , ? E lI ), lama asabtani? (aramäisch, vgl. Ps 22,1 ). Markus übersetzte diese Äußerung für seine Leser ins Griechische, zu deutsch lautet sie: "Mein Gott, mein Gott, warum (wörtlich: "aus welchem Grund") hast du mich verlassen (wörtlich: mich aufgegeben")?"

Das war mehr als der Schrei eines leidenden Gerechten, der seinem Glauben Ausdruck gab, daß Gott ihn am Ende siegen lassen würde (vgl. dazu Ps 22,2 im Gegensatz zu Ps 22,28 ). Jesus fühlte sich nicht nur verlassen. In diesem Schrei verbanden sich (a) das Verstoßensein von Gott Vater in einem rechtlichen, nicht in einem ihre Verbundenheit auflösenden Sinn, und (b) eine Bestätigung der Beziehung Jesu zu Gott. Weil er den Fluch der Sünde und Gottes Gericht über die Sünde auf sich genommen hatte (vgl. 5Mo 21,22-23; 2Kor 5,21; Gal 3,13 ), erlitt er nun auch die grenzenlose Angst der Trennung von Gott, der die Sünde nicht ansehen kann (vgl. Hab 1,13 ). Das war die Antwort auf Jesu Frage warum ?. Der Tod, den er für die Sünder starb ( Mk 10,45; Röm 5,8; 1Pet 2,24; 1Pet 3,18 ), trennte ihn von Gott.

Doch in den Worten "mein Gott, mein Gott" spiegelte sich auch ein unerschütterliches Vertrauen. Dies ist das einzige Mal in allen Gebeten Jesu, von denen Markus berichtet, daß er Gott nicht mit "Abba" anredete (vgl. Mk 14,36 ). Weit entfernt, ihn zu verleugnen, schrie Jesus nach Gott, seinem Vater. Er starb von Gott verlassen, damit sein Volk weiterhin nach diesem Gott rufen durfte und nie von ihm verlassen würde (vgl. Hebr 13,5 ).



Markus

Mk 15,35-36


Einige Juden, die dabeistanden, schienen ihn jedoch mißzuverstehen, oder deuteten seinen Ausruf mit Absicht falsch und behaupteten, er rufe nach Elia . Nach dem jüdischen Volksglauben kam der Prophet Elia den leidenden Gerechten in ihrer Not zu Hilfe.

Wahrscheinlich als Reaktion auf Jesu Worte mich dürstet ( Joh 19,28-29 ), füllte ein Zuschauer, wohl ein römischer Soldat, einen Schwamm mit Essig , der mit einer Mixtur aus Eiern und Wasser verdünnt war - ein übliches, billiges Getränk, steckte ihn auf ein Rohr und hielt ihn Jesus hin, um ihm etwas Erleichterung zu verschaffen (vgl. Ps 69,22 ). Jesu Kreuz war wahrscheinlich größer als die anderen, so daß er sechzig bis neunzig Zentimeter über dem Erdboden hing. Wenn es ihnen gelang, mit diesem Trank sein Leben noch etwas zu verlängern, so konnten die Zuschauer vielleicht sehen, ob Elia tatsächlich kommen und ihn herabnehmen würde .

Im Markusevangelium werden die Worte halt, laßt sehen von dem Soldaten zu den Zuschauern gesprochen, unmittelbar, bevor er Jesus zu trinken gibt. Das Verb steht im Plural. In Mt 27,49 sagen die Zuschauer diese Worte zu dem Soldaten, während er Jesus den Schwamm mit der Flüssigkeit reicht. Hier steht das Verb im Singular. Beide Male sind sie ein Ausdruck des Spottes, daß Jesus - wie sie dachten - hoffte, daß Elia kommen und ihm helfen würde.



Markus

Mk 15,37


Jesu lauter Schrei ( Lk 23,46 ), bevor er verschied , war ein Zeichen, daß er nicht den gewöhnlichen Tod der Gekreuzigten starb (vgl. Mk 15,39 ). Normalerweise hingen sie zwei oder drei Tage am Kreuz und fielen dann vor Erschöpfung in ein Koma, bevor sie starben. Jesus jedoch war bis zum Ende bei vollem Bewußtsein; sein Tod trat ganz plötzlich ein - zu einem Zeitpunkt, den er selbst bestimmte. Das erklärt auch Pilatus' Überraschung (vgl. V. 44 ).



Markus

Mk 15,38


Gleichzeitig mit Jesu Tod zerriß der Vorhang im Tempel ( naou , "das Allerheiligste"; vgl. Mk 11,11 ) in zwei Stücke von oben an bis unten aus . Das intransitive Verb und die Richtung, in die der Riß verlief, zeigen an, daß Gott selbst am Werk war. Zweifellos waren die Priester, die zu diesem Zeitpunkt gerade den jüdischen Abendgottesdienst hielten, Zeugen dieses Ereignisses (vgl. Apg 6,7 ) und berichteten auch darüber. Bei dem Vorhang kann es sich um den äußeren Vorhang, der zwischen dem Heiligtum selbst und dem Vorhof hing ( 2Mo 26,36-37 ), oder auch um den inneren, der das Heilige vom Allerheiligsten trennte ( 2Mo 26,31-35 ), gehandelt haben. Wenn es der äußere Vorhang war, war das Zerreißen eine offenkundige Bestätigung der Gerichtsdrohung Jesu über den Tempel, die sich im Jahr 70 n. Chr. (vgl. Mk 13,2 ) erfüllte. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß der innere Vorhang zerriß zum Zeichen, daß Jesu Tod die Notwendigkeit, weiterhin Opfer für begangene Sünden darzubringen, aufgehoben und den Weg zu einem neuen, lebendigen und direkten Zugang zu Gott freigemacht hatte ( Hebr 6,19-20;9,6-14;10,19-22 ).



Markus

Mk 15,39


Der Hauptmann, der Jesus gegenüber dabeistand und diese ungewöhnlichen Vorkommnisse beobachtete (vgl. V. 33-37 ), war der heidnische römische Offizier, der die Hinrichtung leitete (vgl. V. 20 ) und Pilatus Bericht erstattete (vgl. V. 44 ). Nur Markus benutzt das griechische Wort kentyriOn , eine Transkription der lateinischen Bezeichnung ( centurio ) für den Anführer einer Hundertschaft von Soldaten (vgl. auch V. 44 - 45 ). In allen übrigen neutestamentlichen Texten steht das gleichbedeutende griechische Wort hekatontarchos , das ebenfalls mit "Hauptmann" übersetzt wird (z. B. Mt 27,54 ). Das ist ein weiterer Beleg dafür, daß Markus offensichtlich für eine römische Leserschaft schrieb (vgl. die Einführung ).

Die Art, wie Jesus starb, insbesondere sein letzter, lauter Schrei (vgl. Mk 15,37 ), veranlaßten den Hauptmann zu dem Ausruf: "Wahrlich (trotz aller gegenteiligen Schmähungen; vgl. Mt 27,40; Joh 19,7 ) , dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!"

Der römische Offizier verwendete den Titel "Gottes Sohn" wahrscheinlich nicht in seiner spezifisch christlichen Bedeutung, als Ausdruck der Gottheit Jesu (vgl. Lk 23,47 ). Von seinem heidnischen religiösen Hintergrund her sah er in Jesus wohl nur einen außergewöhnlichen, "göttlichen Menschen", in einem ähnlichen Sinn wie etwa den römischen Kaiser, der ebenfalls "Sohn Gottes" genannt wurde (vgl. den Kommentar zu Mk 12,16 ). Aus diesem Grund steht in manchen Übersetzungen an dieser Stelle konsequenterweise der unbestimmte Artikel, "ein Sohn Gottes". Markus faßte die Äußerung des Hauptmanns jedoch vom christlichen Standpunkt aus auf. In seinen Augen sagte der Hauptmann unwissentlich mehr, als er wissen konnte.

Das Bekenntnis des Hauptmanns ist der Höhepunkt der Enthüllung des Messiasgeheimnisses im Markusevangelium (vgl. den Kommentar zu Mk 1,1;8,29-30 ). Dieses Bekenntnis eines heidnischen römischen Offiziers steht in schroffem Gegensatz zum Spott all derer, von denen in Kapitel 15,29 - 32 und 35 - 36 die Rede war. Als Bekenntnis eines Heiden versinnbildlicht es zugleich auch die Wahrheit dessen, was der zerrissene Tempelvorhang andeutet.



Markus

Mk 15,40-41


Außer der spottenden Menge und den römischen Soldaten waren auch fromme Frauen da, die von fernezuschauten , was geschah. Sie waren schon vorher - wahrscheinlich schon vor der sechsten Stunde (mittags, vgl. V. 33 ) - "bei dem Kreuz" ( Joh 19,25-27 ) gestanden.

Maria von Magdalas Zuname besagte, daß sie aus Magdala, einem Dorf am Westufer des Sees Genezareth, stammte. Jesus hatte sie von einem Dämon befreit ( Lk 8,2; sie war nicht die Sünderin aus Lk 7,36-50 ). Die "andere" ( Mt 27,61 ) Maria wird durch die Namen ihrer Söhne, Jakobus des Kleinen (nach Statur oder Alter) und Joses, die in der frühen Kirche anscheinend wohlbekannt waren, von der ersten unterschieden. Salome , deren Name nur im Markusevangelium auftaucht ( Mk 15,40;16,1 ), war die Mutter der Söhne des Zebedäus, der Jünger Jakobus und Johannes ( Mt 20,20;27,56 ), und wahrscheinlich die Schwester der Mutter Jesu, die Markus in diesem Zusammenhang nicht erwähnt ( Joh 19,25 ).

Als Jesus in Galiläa war, waren ihm diese drei Frauen von Ort zu Ort gefolgt (Imperfekt) und hatten ihm gedient (Imperfekt; vgl. Lk 8,1-3 ). Außer ihnen waren noch v iele andere Frauen , die ihn nicht immer begleitet hatten, anwesend. Sie waren nach Jerusalem gekommen, um mit Jesus das Passafest zu feiern, vielleicht in der Hoffnung, daß er jetzt sein messianisches Reich errichten werde (vgl. Mk 10,35-40 ).

Markus führt diese Frauen als Augenzeugen der Kreuzigung an und weist damit bereits auf ihre Rolle als Augenzeugen bei Jesu Begräbnis ( Mk 15,47 ) und seiner Auferstehung ( Mk 16,1-8 ) hin. Ihre Frömmigkeit war größer als die der elf Jünger, die Jesus verlassen hatten ( 14, 50 ). Vielleicht wollte Markus den Frauen in der Gemeinde in Rom durch das Vorbild dieser Frauen Mut machen zu gläubiger Nachfolge.



Markus

3. Jesu Begräbnis
(
15,42-47 ) ( Mt 27,57-61; Lk 23,50-56; Joh 19,38-42 )


Mk 15,42-43


Jesu Begräbnis war die offizielle Bestätigung seines Todes, ein wichtiger Punkt in der frühchristlichen Verkündigung (vgl. 1Kor 15,3-4 ). Die Bezeichnung Rüsttag ist hier ein Terminus technicus für den Freitag, den Tag vor dem Sabbat (Samstag), wie Markus seinen nichtjüdischen Lesern erklärte. Da am Sabbat keinerlei Arbeit erlaubt war, mußte schon am Freitag alles vorbereitet werden. Das ist auch ein Beleg dafür, daß Jesus tatsächlich am Freitag, dem 15. Nisan (vgl. den Kommentar zu Mk 14,1 a. 12.16 ), gekreuzigt wurde. "Abend" bezog sich auf die Stunden zwischen der Mitte des Nachmittags (drei Uhr) und Sonnenuntergang, mit dem der Freitag endete und der Sabbat begann.

Nach römischem Gesetz durfte die Leiche eines Gekreuzigten erst dann vom Kreuz abgenommen werden, wenn der kaiserliche Magistrat es erlaubt hatte. Gewöhnlich wurde der Bitte der Angehörigen des Opfers stattgegeben, doch manchmal blieb die Leiche auch am Kreuz hängen, bis sie verweste oder von wilden Tieren und Vögeln gefressen wurde; was vom Körper dann noch übrig war, wurde in ein Gemeinschaftsgrab geworfen. Das jüdische Gesetz dagegen schrieb für alle Leichen - auch für die hingerichteten Verbrecher (vgl. Mischna Sanhedrin 6. 5) - ein ordentliches Begräbnis vor und verlangte außerdem, daß die Gehenkten abgenommen und noch vor Sonnenuntergang begraben wurden (vgl. 5Mo 21,23 ).

Daher ging Josef von Arimathäa, als es schon Abend wurde (wörtlich: "als der Abend bereits gekommen war"; d. h. wahrscheinlich um vier Uhr nachmittags), zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu , um ihn zu begraben. Daß es schon so spät war, verlieh seiner Bitte zusätzliche Dringlichkeit.

Dieser Josef lebte zwar wahrscheinlich in Jerusalem, stammte jedoch aus Arimathäa, einem Dorf etwa dreißig Kilometer nordwestlich der Stadt. Er war ein wohlhabender ( Mt 27,57 ) und angesehener Ratsherr ( bouleutEs ), eine nichtjüdische Bezeichnung für ein Mitglied des Hohen Rats. Josef hatte die Entscheidung des Gerichtes, Jesus zutöten ( Lk 23,51 ), mißbilligt. Auch er wartete auf das Reich Gottes (vgl. Mk 1,15 ) - ein Hinweis, daß er ein frommer Pharisäer war. Er hielt Jesus für den Messias und rechnete sich im geheimen sogar zu seinen Jüngern ( Joh 19,38 ).

Josef nun wagte es und ging zu Pilatus hinein. Seine Handlungsweise war kühn (was nur das Markusevangelium herausstellt), (a) weil er nicht mit Jesus verwandt war; (b) weil er um eine Gunst bat, die ihm höchstwahrscheinlich aus Prinzip verweigert werden würde, denn Jesus war wegen Hochverrats hingerichtet worden; (c) weil er mit der Berührung einer Leiche eine zeremonielle Verunreinigung riskierte; und (d) weil seine Bitte auf ein offenes Bekenntnis persönlicher Treue zum gekreuzigten Jesus hinauslief und ihm zweifellos die Feindschaft seiner Amtskollegen einbrachte. Jetzt war es kein Geheimnis mehr, daß er ein Jünger war - wie Markus seinen Lesern eindrücklich klarmachte.



Markus

Mk 15,44-45


Pilatus wunderte sich ( ethaumasen , "erstaunt"; vgl. Mk 5,20 ), daß Jesus schon tot war (vgl. den Kommentar zu Mk 15,37 ). Er rief den Hauptmann , der die Kreuzigung geleitet hatte (V. 39 ), um von ihm, dem er vertraute, zu erfahren, ob es stimmte, was Josef ihm berichtete. Als er sicher sein konnte, daß Jesus tot war, gab (wörtlich: "schenkte", d. h. er verlangte nichts dafür) Pilatus Josef den Leichnam ( to ptOma ). Das war außergewöhnlich; vielleicht tat er es, weil er Jesus für unschuldig gehalten hatte (vgl. V. 14 - 15 ). Nur Markus erwähnt, daß Pilatus den Hauptmann befragte. Er teilt seinen römischen Lesern auf diese Weise mit, daß Jesu Tod auch von einem römischen Offizier bestätigt wurde.



Markus

Mk 15,46-47


Zweifellos hatte Josef Knechte, die ihm halfen, das Begräbnis noch vor Sonnenuntergang auszurichten, denn es blieben ihnen nur noch etwa zwei Stunden. Auch Nikodemus, ebenfalls ein Mitglied des Hohen Rats, half ihm vermutlich bei den Vorbereitungen ( Joh 19,39-40 ).

Nachdem Jesu Leiche vom Kreuz abgenommen worden war, wurde sie wohl gewaschen (vgl. Apg 9,37 ) und danach fest mit Streifen aus Leinentuch umwickelt, zwischen die aromatische Kräuter gelegt wurden, wie es den jüdischen Begräbnisriten entsprach ( Joh 19,39-40 ).

Dann wurde der Leichnam zu einem nahegelegenen Garten gebracht und in ein Grab, das in einen Felsen gehauen war, gelegt . Bei diesem Felsengrab handelte es sich um Josefs eigenes, unbenutztes Grab (vgl. Mt 27,60; Joh 19,41-42 ). Es wurde mit einem runden, flachen Stein verschlossen, der in einer nach unten verlaufenden Rinne vor den Eingang gewälzt wurde, bis er sicher davorlag und jedes Eindringen unmöglich machte. Nur mehrere Männer gemeinsam hätten diesen Stein wieder zurückrollen können.

Zwei der Frauen, die Jesu Tod beobachtet hatten (vgl. Mk 15,40 ), sahen (wörtlich: "beobachteten"; Imperfekt), wo er hingelegt wurde . Die anderen waren anscheinend nach Hause gegangen, um Vorbereitungen für den Sabbat, den Ruhetag, zu treffen ( Lk 23,56 ).



Markus

IX. Jesu Auferstehung von den Toten bei Jerusalem
(
16,1 - 8 ) ( Mt 28,1-8; Lk 24,1-12; Joh 20,1-10 )


Die Berichte von der Auferstehung in den vier Evangelien unterscheiden sich etwas voneinander (z. B. hinsichtlich der Zahl und der Namen der Frauen, die zum Grab kamen, der Anzahl der Engel, die erschienen und der Reaktion der Frauen auf die Verkündigung der Auferstehung). In keiner Schilderung sind alle Einzelheiten enthalten. Die Evangelisten nahmen sich innerhalb gewisser Grenzen durchaus die Freiheit, unterschiedliche Aspekte desselben Ereignisses herauszugreifen, zu betonen und andere fortzulassen. Die Verschiedenheit der Berichte spiegelt die Wirkung dieses einzigartigen Ereignisses auf unterschiedliche Augenzeugen und ist damit eine zusätzliche Bestätigung seiner Historizität. (Vgl. die Tabelle "Vierzig Tage - von der Auferstehung zur Himmelfahrt" bei Mt 28,1-4 .)



A. Die Ankunft der Frauen beim Grab
(
16,1 - 5 )


Mk 16,1


Bei Sonnenuntergang ging der Sabbat, der Samstag (16. Nisan), zu Ende, und der neue jüdische Tag, der Sonntag (17. Nisan), begann. An diesem Abend kauften die Frauen, die Jesu Tod und Begräbnis miterlebt hatten (vgl. Mk 15,40.47 ), wohlriechende Öle, um am nächsten Morgen seinen Leichnam zu salben . Sie rechneten also nicht damit, daß er auferstehen würde (vgl. Mk 8,31;9,31;10,34 ).

Ein Leichnam wurde gesalbt, damit der Duft der Öle den Geruch der Verwesung überdeckte; darüber hinaus war die Salbung ein Liebeswerk. Das regelrechte Einbalsamieren war bei den Juden nicht üblich.



Markus

Mk 16,2-3


Am ersten Tag der Woche (Sonntag, den 17. Nisan), sehr früh, als die Sonne aufging, kamen die Frauen zum Grab . Sie gingen von zuhause fort, als es noch dunkel war (vgl. Joh 20,1 ), und kamen kurz nach Sonnenaufgang beim Grab an.

Zwei von ihnen hatten gesehen, daß ein großer Stein vor das Grab gewälzt worden war (vgl. Mk 15,47 ). Markus berichtet als einziger der Evangelisten, daß sie sich über das praktische Problem, wie sie den Eingang freibekommen sollten, den Kopf zerbrachen. Offensichtlich wußten sie nichts von dem offiziellen Versiegeln des Grabes und dem Postieren einer Wache vor dem Eingang (vgl. Mt 27,62-66 ).



Markus

Mk 16,4-5


Als die Frauen beim Grab ankamen, sahen sie hin und bemerkten sofort, daß der Stein weggewälzt war, denn ( gar ; vgl. Mk 1,16 ) er war sehr groß und daher nicht zu übersehen.

Und sie gingen hinein in das Grab , d. h. in den Vorraum, der in die eigentliche Grabkammer führte, und sahen einen Jüngling ( neaniskon ; vgl. Mk 14,51 ) zur rechten Hand , also wohl vor der Grabkammer, sitzen . Die einzigartigen Umstände, unter denen sie ihn erblickten, sein Aussehen und die Botschaft, die er den Frauen verkündete ( Mk 16,6-7 ), zeigen, daß Markus ihn für einen Engel Gottes hielt, wenn er ihn auch als "Jüngling" bezeichnete, weil er den Frauen als solcher erschien. Das weiße Gewand war ein Bild für seine himmlische Herkunft und den Glanz, der ihn umgab (vgl. Mk 9,3 ).

Lukas ( Lk 24,4 ) und Johannes ( Joh 20,12 ) sprechen von zwei Engeln am Grab, der Zahl, die notwendig war, damit ein Zeugnis juristisch anerkannt wurde (vgl. 5Mo 17,6 ). Matthäus ( Mt 28,5 ) und Markus hingegen erwähnen nur einen, möglicherweise den Sprecher.

Die Frauen waren entsetzt ( exethambEthEsan ; vgl. Mk 9,15;14,33 ), als sie so plötzlich einem Boten Gottes gegenüberstanden. Dieses sehr ausdrucksstarke Verb (das im Neuen Testament nur im Markusevangelium vorkommt) bezeichnet das überwältigende Empfinden angesichts etwas völlig Ungewöhnlichem (vgl. Mk 16,8 ).



Markus

B. Die Verkündigung des Engels
(
16,6 - 7 )


Mk 16,6


Als der Engel die Angst der Frauen bemerkte, gebot er ihnen: entsetzt euch nicht (vgl. dasselbe Verb in V. 5 ). Sie suchten ( zEteite ) nach dem Leichnam von Jesus, dem Mann aus Nazareth, der gekreuzigt worden war, um ihn zu salben (vgl. V. 1 ). Doch der Engel verkündete ihnen: Er ist auferstanden ("er wurde auferweckt"; EgerthE , Passiv), und wies sie darauf hin, daß seine Auferstehung ein Werk Gottes war, eine Tatsache, die das Neue Testament immer wieder betont (vgl. Apg 3,15;4,10; Röm 4,24; Röm 6,11; Röm 10,9; 1Kor 6,14;15,15; 2Kor 4,14; 1Pet 1,21 ). Jesus war nicht da, wie die Frauen unschwer feststellen konnten. Das Grab war leer!

Die Botschaft des Engels identifizierte den Auferstandenen ganz eindeutig als den Gekreuzigten - als ein und dieselbe historische Person - und erklärte die Bedeutung des leeren Grabes. Die Gewißheit der Auferstehung beruht auf dieser Botschaft, die zu glauben die Menschen damals und heute aufgerufen sind. Sie wird durch die historische Tatsache des leeren Grabes bestätigt.



Markus

Mk 16,7


Die Frauen erhielten den Auftrag, hinzugehen und den Jüngern zu sagen, daß Jesus sich in Galiläa mit ihnen treffen wollte. Der Zusatz und Petrus , der nur im Markusevangelium steht, ist deshalb so wichtig, weil Markus viel von dem, was er berichtet, höchstwahrscheinlich von diesem Jünger erfuhr. Daß Petrus an dieser Stelle eigens erwähnt wurde, hängt nicht mit seiner Sonderstellung unter den Jüngern zusammen, sondern damit, daß ihm offensichtlich vergeben worden war und er trotz seiner dreifachen Verleugnung noch immer zum Kreis der Jünger gehörte (vgl. Mk 14,66-72 ).

Die Botschaft, daß Jesus vor (von proagO ) ihnen her nach Galiläa gehen würde, erinnert an die Wiedervereinigung, die er ihnen einst verheißen hatte (vgl. dasselbe Verb in Mk 14,28 ). Seine Jünger sollten ihn dort sehen - der Auferstandene würde ihnen also sichtbar erscheinen (vgl. 1Kor 15,5 ). Damit war allerdings nicht, wie manche glauben, sein zweites Kommen gemeint, sondern etwas ganz anderes: Das Motiv des "Unterwegsseins", das das ganze Markusevangelium durchzieht (vgl. die Einführung zu Mk 8,31; und auch Mk 10,32 a), endete nicht mit Jesu Tod; der Auferstandene geht seinen Jüngern weiterhin voran.

Diese Frauen waren die ersten, die die Neuigkeit von Jesu Auferstehung hörten, doch ihre Erzählungen wurden nicht geglaubt, da Frauen nach jüdischem Gesetz nicht als vollgültige Zeugen angesehen wurden. Die Jünger machten sich also nicht sofort nach Galiläa auf. Jesus mußte ihnen selbst erscheinen, um sie davon zu überzeugen, daß er wirklich auferstanden war (vgl. Joh 20,19-29 ).



Markus

C. Die Reaktion der Frauen auf die Nachricht von Jesu Auferstehung
(
16,8 )


Mk 16,8


Die Frauen flohen von dem Grab, denn Zittern ( tromos , ein Substantiv) und Entsetzen (Außer-Sich-Geraten, ekstasis ; vgl. Mk 5,42 ) hatte sie ergriffen . Zuerst sagten sie niemandem etwas (im Griechischen eine doppelte Verneinung, die so nur bei Markus steht; vgl. Mt 28,8 ), denn ( gar ) sie fürchteten sich ( ephobounto ; vgl. Mk 4,41;5,15.33.36;6,50-52;9,32;10,32 ).

Sie reagierten also ganz ähnlich wie Petrus bei der Verklärung Jesu (vgl. Mk 9,6 ). Der Gegenstand ihrer Furcht war die ehrfurchtgebietende Offenbarung der göttlichen Gegenwart und Macht, die sich in der Auferweckung Jesu von den Toten manifestierte. Sie waren verstummt, überwältigt von ehrfürchtigem Staunen.

Manche Exegeten sind der Ansicht, daß das Markusevangelium an dieser Stelle endet. Der abrupte Schluß entspricht an und für sich dem knappen Stil des Evangelisten und unterstreicht ein letztes Mal das Motiv des Staunens und der Furcht, das immer wieder in seinem Bericht hervortritt. Der Leser wird dem ehrfürchtigen Nachdenken über die Bedeutung des leeren Grabes im Lichte der erlösenden Botschaft des Engels überlassen (vgl. den folgenden Kommentar zu Mk 16,9-20 ).



Markus

X. Der umstrittene Epilog
(
16,9 - 20 )


Die letzten zwölf Verse des Markusevangeliums ( Mk 16,9-20 ) sind als "Anhang des Markusevangeliums" bekannt und stellen eines der schwierigsten und umstrittensten Textprobleme des Neuen Testaments dar. Hat der ursprüngliche Markustext diese Verse enthalten oder nicht? Die meisten modernen Übersetzungen widmen dieser Frage eine erklärende Fußnote oder heben den letzten Abschnitt in anderer Weise von Vers 8 ab.

Äußere Belege: 1. In den beiden frühesten (aus dem 4. Jahrhundert stammenden) Unzialhandschriften (Sinaiticus und Vaticanus) fehlen die Verse 9-20 . Die Kopisten des Textes ließen allerdings nach Vers 8 einen Leerraum stehen, der darauf hindeutet, daß sie möglicherweise von einem längeren Endabschnitt wußten, ihn jedoch nicht vorliegen hatten. 2. Die meisten anderen Handschriften (seit dem 5. Jahrhundert) und auch einige frühere Versionen unterstützen Vers 9 - 20 . 3. Verschiedene spätere Handschriften (seit dem 7. Jahrhundert) und Versionen enthalten eine "kürzere Schlußversion" nach Vers 8 , die allerdings mit Sicherheit nicht authentisch ist, fügen danach jedoch alle mit einer Ausnahme noch die Verse 9 - 20 an. 4. Die Schriften der frühen Kirchenväter - z. B. Justinus der Märtyrer ( Apologie 1. 45, um 148 n. Chr.), Tatian ( Diatessaron , um 170 n. Chr.) und Irenäus, der Vers 19 zitierte ( Adversus Häreses 3. 10. 6) - sprechen ebenfalls für die Authentizität dieser Verse. Eusebius ( Quaestiones ad Marinum 1., um 325 n. Chr.) und Hieronymus ( Briefe 120. 3; ad Hedibiam ; um 407) schreiben jedoch, daß die Verse 9 - 20 in den ihnen bekannten griechischen Handschriften fehlten. 5. Eine armenische Handschrift aus dem 10. Jahrhundert schrieb Vers 9 - 20 "dem Presbyter Ariston" zu, wahrscheinlich Aristion, einem Zeitgenossen des Papias (60 - 130 n. Chr.), der angeblich ein Schüler des Apostels Johannes war. 6. Wenn das Markusevangelium tatsächlich so abrupt mit Vers 8 endete, ist es verständlich, daß manche Kopisten ihm aus anderen anerkannten Quellen einen "angemessenen" Schluß geben wollten. Wenn die Verse 9-20 jedoch bereits im Original vorhanden waren, ist es schwer einzusehen, aus welchem Grund die frühen Kopisten sie weggelassen haben sollten.

Interne Belege: 1. Der Übergang von Vers 8 zu Vers 9 stellt einen etwas abrupten inhaltlichen Sprung von den Frauen zu Jesus dar, wobei dessen Name im griechischen Text in Vers 9 überhaupt nicht genannt wird. 2. Maria von Magdala wird in Vers 9 erneut so ausführlich eingeführt, als ob von ihr nicht bereits in Mk 15,40.47 und Mk 16,1 die Rede gewesen wäre. 3. Etwa ein Drittel der wichtigen griechischen Worte in Vers 9 - 20 erscheinen sonst nirgendwo im Markusevangelium oder werden dort in anderem Sinn benutzt. 4. Im griechischen Text fehlen die anschaulichen, lebensechten Details, die für Markus' Stil so charakteristisch sind. 5. Der Schluß des Markusevangeliums (bis V. 8 ) läßt eigentlich erwarten, daß der auferstandene Jesus den Jüngern in Galiläa erscheinen würde ( Mk 14,28;16,7 ), die Erscheinungen in Vers 9 - 20 finden jedoch alle in und um Jerusalem statt. 6. Matthäus und Lukas folgen dem Text des Markusevangeliums bis Vers 8 und weichen dann beträchtlich von ihm ab, was stark dafür spricht, daß diese Verse im ursprünglichen Markusevangelium fehlten.

Gleichermaßen scharfsinnige und gewissenhafte Forscher kommen zu völlig unterschiedlichen Auslegungen des Materials und nehmen zum Teil geradezu konträre Positionen ein. Wer angesichts des Übergewichtes und der weiten Verbreitung der frühen äußeren Belege dazu tendiert, die Verse 9-20 für authentisch zu halten, dem bleibt doch immer noch die Aufgabe, die internen Belege, nach denen diese Verse nicht zum Rest des Evangeliums zu passen scheinen, zufriedenstellend zu erklären. Wer der Ansicht ist, daß die Verse 9 - 20 nicht authentisch sind, muß umgekehrt eine vernünftige Erklärung für die vielfältigen äußeren Belege und den auffallend abrupten Schluß des Markusevangeliums bei Vers 8 finden. Vier mögliche Lösungen wurden vorgeschlagen: 1. Markus schrieb selbst einen ausführlicheren Schluß seines Evangeliums, der jedoch auf irgendeine, nicht mehr nachvollziehbare Weise verlorenging oder zerstört wurde, bevor er abgeschrieben werden konnte. 2. Markus beendete das Evangelium, doch der ursprüngliche Schluß wurde aus einem uns unbekannten Grund mit Absicht unterdrückt oder entfernt. 3. Markus war aus einem uns unbekannten Grund nicht in der Lage, sein Evangelium zu beenden - vielleicht starb er plötzlich. 4. Markus beendete sein Evangelium ganz bewußt mit Vers 8 .

Von diesen Möglichkeiten sind 1. und 2. unwahrscheinlich, wenn auch die These, daß der ursprüngliche Schluß zufällig verlorenging, weithin akzeptiert wird. Wenn das Markusevangelium eine Schriftrolle war und nicht ein Kodex (ein aus Blättern bestehendes Buch), hätte sich der Schluß normalerweise im Innern der Rolle befunden. In diesem Fall wäre es sehr viel weniger wahrscheinlich, daß er verlorenging oder beschädigt wurde, als am Anfang der Rolle, wo das gelegentlich vorkam. Wenn man davon ausgeht, daß das Markusevangelium unvollständig ist, so ist die dritte Möglichkeit am wahrscheinlichsten, sie aber kann - ihrer Natur gemäß - nicht bestätigt werden. Angesichts der zentralen Rolle, die die "Furcht" der Jünger (vgl. V. 8 ) im ganzen Markusevangelium spielt, neigen viele moderne Exegeten auch zur Annahme der vierten Hypothese.

Auf der Basis dessen, was wir zur Zeit über das Markusevangelium wissen, kann wohl kein endgültiges Urteil über das Problem des Markusschlusses gefällt werden. Eine These, die die wichtigeren Belege miteinzubeziehen scheint und gegen die am wenigsten Einwände gemacht werden können, lautet, daß (a) Markus sein Evangelium mit Absicht mit Vers 8 enden ließ, und (b) daß Vers 9 - 20 von einem anonymen christlichen Autor geschrieben oder zusammengetragen wurden, jedoch historisch authentisch sind und zum neutestamentlichen Kanon gehören (vgl. auch das letzte Kapitel des

5. Buch Mose). Nach dieser These wurden die Verse 9-20 bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Überlieferung des Markusevangeliums (vielleicht kurz nach 100 n. Chr.) an Vers 8 angefügt, ohne daß dabei der Versuch gemacht wurde, sie dem Vokabular oder dem Stil von Markus anzugleichen. Vielleicht waren es kurze Auszüge aus den Erscheinungsgeschichten der drei anderen Evangelien, die nach der mündlichen Überlieferung der damaligen Zeit die Billigung des Apostels Johannes fanden, der ja erst gegen Ende des 1. Jahrhunderts starb. Auf diese Weise fanden sie so früh Eingang in den Prozeß der Überlieferung, daß sie von der Kirche als Teil des kanonischen Schriftgutes anerkannt wurden. Auf jeden Fall stimmen sie mit den anderen biblischen Schriften überein. Auch der Inhalt der Verse 9-20 kreist ja um die Entwicklung des Themas von Glauben und Unglauben.



A. Die drei ersten Erscheinungen Jesu nach seiner Auferstehung
(
16,9 - 14 )


In diesem Abschnitt werden drei Erscheinungen Jesu zwischen seiner Auferstehung und der Himmelfahrt beschrieben (vgl. die Tabelle "Vierzig Tage - von der Auferstehung zur Himmelfahrt" bei Mt 28,1-4 ).



1. Die Erscheinung vor Maria von Magdala und der Unglaube der Jünger
(
16,9 - 11 ) ( Joh 20,14-18 )


Mk 16,9-11


Diese Verse setzen abrupt mit der Rückkehr Maria Magdalenas zum Grab, noch früh (vgl. "sehr früh", V. 2 ) am selben Morgen, ein. Sie wurde bereits dreimal im Markusevangelium erwähnt (vgl. Mk 15,40.47;16,1 ), doch hier wird sie zum ersten Mal als die Maria bezeichnet, von der Jesus sieben böse Geister ausgetrieben hatte (vgl. Lk 8,2 ). Jesus erschien zuerst ihr und gab sich ihr auch zu erkennen - ein Hinweis, daß die Menschen Jesus in seinem auferstandenen Zustand nicht erkennen konnten, wenn er sich ihnen nicht offenbarte (vgl. Lk 24,16.31 ).

Maria ging hin und verkündete denen, die mit ihm gewesen waren (eine Wendung, die bis dahin weder bei Markus noch in einem der anderen Evangelien für die Jünger verwendet wurde; vgl. jedoch Mk 3,14 ), daß sie Jesus gesehen habe. Wahrscheinlich waren damit alle Jünger Jesu gemeint (vgl. Mk 16,12 ), nicht nur die Elf (vgl. Apg 1,21 ). Sie alle trugen Leid und weinten um Jesus, eine weitere Formulierung, die nur in diesen Versen vorkommt.

Als sie hörten, daß Jesus lebe und Maria erschienen ( etheathE , nur an dieser Stelle im Markusevangelium) sei, glaubten ( EpistEsan , ebenfalls nur an dieser Stelle im Markusevangelium) sie es nicht (vgl. Lk 24,11 ). Offenbar erschien Jesus kurze Zeit darauf auch den beiden anderen Frauen, bestätigte die Botschaft des Engels und forderte sie auf, es den Jüngern zu sagen (vgl. Mt 28,1.9-10 ).



Markus

2. Sein Erscheinen vor zweien der Jünger und der Unglaube der übrigen
(
16,12 - 13 )


Mk 16,12-13


Diese Verse geben in zusammengefaßter Form die Geschichte der beiden Jünger, die nach Emmaus unterwegs waren, wieder ( Lk 24,13-35 ). Die Worte zweien von ihnen deuten darauf hin, daß sie zu der Gruppe gehörten, die dem Bericht Marias nicht geglaubt hatten (vgl. Mk 16,10-11 ). Als sie von Jerusalem aus übers Land gingen, offenbarte er sich (vgl. V. 9 ) ihnen in anderer Gestalt ( hetera morphE , "einer Gestalt anderer Art"). Das kann bedeuten, daß Jesus hier eine andere Gestalt annahm als bei der Erscheinung vor Maria von Magdala, oder, was wahrscheinlicher ist, daß er ihnen in einer anderen Gestalt erschien, als sie ihn früher gekannt hatten. Als sie nach Jerusalem zurückkehrten und es den anderen verkündeten, glaubten diese auch ihnen nicht (vgl. V 11 ). Anscheinend hielten die Jünger trotz der Bestätigungen (vgl. Lk 24,34 ), die sie immer wieder erhielten, das Erscheinen Jesu nach seiner Auferstehung anfänglich für eine Gespenstererscheinung ( Lk 24,37 ).



Markus

3. Sein Erscheinen vor den Elfen und sein Tadel angesichts ihres Unglaubens
(
16,14 ) ( Lk 24,36-49; Joh 20,19-25 )


Mk 16,14


Zuletzt ( hysteron , Komparativ eines Adverbs, das Markus sonst nirgends verwendet), am Abend desselben Tages (vgl. V. 9 ), als die Elf zu Tisch saßen (bei Lk 24,41-43 ist impliziert, daß sie sich zum Abendessen versammelt hatten), offenbarte er sich ihnen. Er schalt ( Oneidisen , ein Verb, das sonst an keiner Stelle im Zusammenhang mit Jesus benutzt wird) ihren Unglauben und ihres Herzens Härte ( sklErokardiam ; vgl. Mk 10,5 ), daß sie nicht geglaubt hatten denen, die ihn gesehen hatten als Auferstandenen . Daß sie zuerst nur von Jesu Auferstehung hörten (noch ohne ihn zu sehen), war ihnen eine Lehre, wie schwer es ist, einem Augenzeugenbericht einfach Glauben zu schenken. Genau das aber würde später von all jenen, denen sie im Laufe ihres missionarischen Dienstes das Evangelium verkündeten, gefordert werden.



Markus

B. Jesu Auftrag an seine Jünger
(
16,15 - 18 ) ( Mt 28,16-20 )


Mk 16,15


Dann gab Jesus seinen Jüngern den großen Missionsbefehl: Gehet hin in alle ( hapanta ; "die ganze", betont) Welt und predigt ( kEryxate , "verkündet", vgl. Mk 1,4.14 ) das Evangelium ( euangelion ; vgl. Mk 1,1 ) aller Kreatur , d. h. allen Menschen.



Markus

Mk 16,16


Wer , als Antwort auf die Predigt des Evangeliums, glaubt und getauft wird , also ein getaufter Gläubiger (wörtlich: "einer, der glaubte und getauft wurde") ist, der wird selig werden ( sOthEsetai ; vgl. den Kommentar zu Mk 13,13 ), d. h. von Gott vom geistlichen Tod, der Strafe für die Sünde, errettet werden. Vor den beiden substantivisch gebrauchten Partizipien ("der Gläubige und Getaufte") steht im Griechischen nur ein Artikel. Das bringt dieenge Verbindung zwischen der echten, inneren Aufnahme des Evangeliums durch den Glauben und dem äußeren Zeichen dieses Glaubens in der Wassertaufe zum Ausdruck.

Obwohl die Verfasser des Neuen Testaments im allgemeinen davon ausgehen, daß unter normalen Umständen jeder Gläubige getauft wird, bedeutet Vers 16 nicht, daß die Taufe für die Erlösung eines Menschen unverzichtbar ist. Die zweite Hälfte des Verses macht anhand des Gegensatzes deutlich, daß der, der nicht an das Evangelium glaubt , von Gott am Tag des Jüngsten Gerichts verdammt (vgl. Mk 9,43-48 ) werden wird. Die Grundlage für die Verdammung ist also der Unglaube , nicht etwa die Mißachtung irgendeines Rituals . Die einzige Bedingung dafür, persönlich von Gott gerettet zu werden, ist der Glaube an ihn (vgl. Röm 3,21-28; Eph 2,8-10 ).



Markus

Mk 16,17-18


Diese Verse nennen fünf Zeichen (semeia; vgl. den Kommentar zu Mk 8,11 ), die folgen werden denen, die da glauben . "Zeichen" sind übernatürliche Ereignisse, die den göttlichen Ursprung der apostolischen Botschaft bestätigen (vgl. Mk 16,20 ). Diese Zeichen waren ein Beweis für die Wahrheit des Glaubens, den die ersten Gläubigen verkündeten, nicht für das Ausmaß ihres persönlichen Glaubens. Auf diesem Hintergrund und angesichts der historischen Belege ist davon auszugehen, daß diese Zeichen vor allem in der apostolischen Ära von Bedeutung waren (vgl. 2Kor 12,12; Hebr 2,3-4 ).

In der Erfüllung ihres Auftrags (vgl. Mk 16,15 ) sollten die Gläubigen in der Lage sein, in Jesu Namen Wunder zu tun (vgl. den Kommentar zu Mk 6,7.13;9,38-40 ). Sie sollten böse Geister austreiben und damit Jesu Sieg über Satan demonstrieren. Die Zwölf (vgl. Mk 6,13 ) und auch die Siebzig hatten bereits zuvor Dämonen ausgetrieben, und diese Fähigkeit blieb auch in der apostolischen Kirche erhalten (vgl. Apg 8,7;16,18;19,15-16 ). Schließlich sollten sie in neuen Zungen reden - wahrscheinlich ein Hinweis darauf, daß sie sich in fremden Sprachen verständlich machen konnten, die sie zuvor nicht kannten. Diese Vorhersage bewahrheitete sich an Pfingsten (vgl. Apg 2,4-11 ) und auch später in der Urkirche (vgl. Apg 10,46;19,6; 1Kor 12,10;14,1-28 ).

Im Griechischen könnte man die beiden ersten Sätze von Mk 16,18 als Konditionalsätze verstehen, während der dritte Satz die Schlußfolgerung bildet. Eine deutende Übersetzung lautete dann: "Und wenn sie genötigt werden, Schlangen mit den Händen hochzuheben , und gezwungen werden, etwas Tödliches zu trinken , soll es ihnen unter keinen Umständen ( ou mE ; betonte Verneinung; vgl. Mk 13,2 ) schaden. " Dieses Versprechen der Unverletzbarkeit durch göttlichen Schutz galt allerdings nur für die Situationen, in denen etwaige Verfolger die Gläubigen zu solchen Dingen zwangen, nicht jedoch für das absichtliche Aufheben von Schlangen oder das freiwillige Trinken von Gift - Praktiken, die in der frühen Kirche nirgends bezeugt sind. Da Paulus' Unfall mit der Schlange auf Malta als Unglücksfall anzusehen ist (vgl. Apg 28,3-5 ), berichtet das Neue Testament denn auch von keinem einzigen derartigen Ereignis.

Als letztes Zeichen der Echtheit der Verkündigung der Jünger sollten Kranke, denen sie die Hände auflegten , gesund werden. Von solchen Heilungen ist in Apg 28,8 die Rede, und sie sind auch aus der Frühzeit der Kirche bekannt (vgl. 1Kor 12,30 ).



Markus

C. Jesu Himmelfahrt und das weitere Wirken der Jünger
(
16,19 - 20 ) ( Lk 24,50-53; Apg 1,9-11 )


Mk 16,19-20


Diese beiden Verse bestehen aus zwei eng miteinander zusammenhängenden Teilen. Auf der einen Seite (gr. men ) steht die Himmelfahrt Jesu: Der Herr Jesus (ein zusammengesetzter Titel, der sich sonst nur noch in Lk 24,3 findet) wurde, nachdem er sich nach seiner Auferstehung noch vierzig Tage lang auf der Erde aufgehalten und gewirkt hatte (vgl. Apg 1,3 ), gen Himmel aufgehoben (durch Gott den Vater). Dort setzte er sich zur Rechten Gottes , an den Platz der Ehre und Macht (vgl. den Kommentar zu Mk 12,36-37 a). Die Wahrheit dieser Behauptung wurde für die frühen Gläubigen durch die Vision des Stephanus bestätigt (vgl. Apg 7,56 ). In gewissem Sinn war Jesu Werk auf Erden damit vollendet.

Auf der anderen Seite (gr. de) steht der missonarische Dienst der Jünger, die von Jerusalem auszogen und an allen Orten das Evangelium predigten ( ekEryxan , "verkündeten", vgl. Mk 1,4.14;16,15 ) und damit sein Werk auf Erden fortführten. Der auferstandene Herr aber war bei ihnen und gab ihnen die Kraft, ihre Aufgabe zu erfüllen. Dabei wurde das Wort , die Botschaft des Evangeliums, durch die mitfolgenden Zeichen , die die Wahrheit der Botschaft der Apostel bezeugten (vgl. Hebr 2,3-4 ), bekräftigt (vgl. Mk 16,17-18 ). Der Auftrag, das Evangelium zu verkünden, wird noch heute von Jüngern Jesu, die der Auferstandene dazu ermächtigt hat, erfüllt.



Markus

BIBLIOGRAPHIE


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