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Lied der Lieder  Walvoord



Das Hohelied

Das Hohelied (Jack S. Deere )


EINLEITUNG


Auslegung und Absicht


Das Hohelied (das in manchen Bibelübersetzungen das Hohelied Salomos genannt wird) ist vielleicht das schwierigste und geheimnisvollste Buch der ganzen Bibel. Ein flüchtiger Blick auf die Geschichte der Auslegung des Hohenliedes zeigt die Vielzahl von Meinungen, die sich sonst bei der Untersuchung der anderen biblischen Bücher nicht finden. Das Hohelied wurde folgendermaßen verstanden: (a) als Allegorie, (b) als ausführlichen Typos, (c) als Drama, an dem entweder zwei oder drei Hauptcharaktere beteiligt sind, (d) als Sammlung syrischer Hochzeitslieder (diese Meinung vertraten E. Renan, J. Wetzstein, Umberto Cassuto und andere), wobei der Bräutigam die Rolle des Königs und die Braut die Rolle der Königin spielt, (e) als Sammlung von heidnischen Fruchtbarkeitskultliturgien (so vertreten von Theophile Meek) und (f) als eine Sammlung von nicht miteinander in Verbindung stehenden Liedern, die die Liebe zwischen Menschen rühmen.

Wenn man das Buch als Allegorie versteht, dann sind in den Einzelheiten des Buches geistliche Sinngehalte verborgen, und man kann dem üblichen Wortsinn nur wenig oder gar keine Bedeutung beimessen. Die jüdische Tradition (die Mischna, der Talmud und der Targum) hat dieses Buch als ein allegorisches Bild der Liebe Gottes zu Israel betrachtet. Bedeutende Führer der Kirche wie Hyppolytus, Origines, Jerome, Athanasius, Augustinus und Bernard von Clairvaux haben das Buch als Allegorie der Liebe Christi zu seiner Braut, also der Gemeinde, betrachtet. Origines hat beispielsweise geschrieben, daß die Tatsache, daß die Geliebte sich selbst als schwarz (oder dunkel) bezeichnet ( Hl 1,5-6 ), bedeutet, daß die Gemeinde von der Sünde beschmutzt ist, daß aber ihre Lieblichkeit ( Hl 1,5 ) sich auf ihre geistliche Schönheit nach der Bekehrung bezieht. Andere meinten, daß das Gurren der Turteltauben ( Hl 2,12 ) die Predigt der Apostel meint, und etliche haben angenommen, daß sich Hl 5,1 auf das Abendmahl bezieht. Diese Beispiele machen deutlich, daß die allegorische Auslegung subjektiv ist und keinerlei Möglichkeit bietet, festzustellen, ob eine dieser Auslegungen richtig ist oder nicht. Das Hohelied selbst vermittelt an keiner Stelle dem Ausleger den Eindruck, daß es als Allegorie aufgefaßt werden will.

Manche Ausleger betrachten das Buch als einen ausführlichen Typos, wobei Salomo ein Sinnbild Christi und die Geliebte das Sinnbild der Gemeinde ist. Diese Sicht weicht von der Annahme einer Allegorie insofern ab, als daß sie Salomo als historische Person betrachtet und nicht versucht, jede Einzelheit des Buches mit einer mystischen Bedeutung zu belegen. Aber die Bibel gibt kein Anzeichen dafür, daß die verschiedenen Aspekte von Salomos Leben ein von Gott gewolltes Sinnbild Christi sind.

Diejenigen, die das Buch als Drama auffassen (z. B. Franz Delitzsch, H. Ewald und S. R. Driver), beziehen in ihre Überlegung nicht die Tatsache mit ein, daß die literarische Gattung des vollständigen Dramas bei den Israeliten nicht bekannt war. Das Buch kann auch nicht wie ein Drama nach den einzelnen Akten und Szenen analysiert werden.

Die Ausleger weichen hinsichtlich der Struktur des Hohenliedes, seiner Einheitlichkeit oder Uneinheitlichkeit, der Art seiner bildhaften Vergleiche und dem Charakter der Liebe, die im Hohenlied gerühmt wird, stark voneinander ab. Kurz gesagt wurde fast jeder Vers Gegenstand einer lebhaften Debatte seitens der Ausleger des Hohenliedes. Möglicherweise ist über kein anderes Buch der Bibel so eine Fülle verschiedener Auslegungsmöglichkeiten erörtert worden.

Viele evangelikale Ausleger deuten das Hohelied als ein lyrisches Gedicht, das Einheitlichkeit und einen logisch fortschreitenden Aufbau besitzt. Die Hauptabschnitte des Hohenliedes behandeln das Werben ( Hl 1,2-3,5 ), die Hochzeit ( Hl 3,6-5,1 ) und die Reife in der Ehe ( Hl 5,2-8,4 ). Das Lied schließt mit einem Höhepunkt: Aussprüche über das Wesen der Liebe ( Hl 8,5-7 ) und einem Nachwort, das darlegt, wie die Liebe des Paares im Hohenlied seinen Anfang nahm ( Hl 8,8-14 ).

Manche Ausleger sind der Meinung, daß das Buch drei Charaktere darstellt, nicht zwei. Diese drei sind ihrer Meinung nach die Geliebte, ihr Hirtenliebhaber und Salomo, der sie von ihrem Hirten abwirbt. Es gibt in diesem Punkt allerdings keine Schwierigkeiten, wenn man berücksichtigt, daß Salomo auch ein Hirte war (die Sicht der zwei Charaktere), denn er besaß viele Herden ( Pred 2,7 ).

Die Absicht dieses Buches ist es, auf die Liebe zwischen Menschen und die Ehe ein Loblied zu singen. Das mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, aber beim genaueren Nachdenken kann es uns eigentlich nicht überraschen, daß Gott in den biblischen Kanon ein Buch eingefügt hat, das die Schönheit und Reinheit der ehelichen Liebe rühmt. Gott schuf Mann und Frau ( 1Mo 1,27; 2,20-23 ), und er schuf die Ehe als gute Einrichtung ( 1Mo 2,24 ). Weil die Welt die Sexualität in den Schmutz zieht und diese Gabe beständig pervertiert und ausbeutet und weil so viele Ehen aufgrund von mangelnder Liebe und Hingabe zerbrechen, ist es doch sehr gut, daß die Bibel ein Buch enthält, das davon spricht, daß Gott die eheliche Liebe als gut und rein betrachtet.

 

Verfasserfrage und Zeit der Entstehung


Hl 1,1 spricht die Autorschaft dieses Buches Salomo zu. Sechs weitere Verse im Buch nennen Salomo beim Namen ( Hl 1,5;3,7.9.11;8,11-12 ). Salomo wird auch der "König" genannt ( Hl 1,4.12;3,9.11;7,6 ). Daß ein König der Liebhaber ist, von dem das Buch spricht, wird durch die Verweise auf seine aufwendigen Tragsessel ( Hl 3,7-10 ) und seine königlichen Wagen ( Hl 1,9 ) deutlich. Salomo war seinem Wesen nach ein Liebhaber ( 1Kö 6,33 ), und die zahlreichen Verweise im Hohenlied auf die Tier- und Pflanzenwelt und andere Elemente der Natur stehen mit seiner Autorschaft im Einklang. Das Buch wurde also wahrscheinlich während der Zeit von Salomos Königsherrschaft, zwischen 971 und 931 v. Chr., verfaßt. Man hat sich verschiedentlich gefragt, wie Salomo der Autor dieses Buches sein konnte, das doch die Treue in der Ehe rühmt, während er selbst so untreu war und 700 Frauen und 300 Nebenfrauen hatte ( 1Kö 11,3 ). Vielleicht ist die Antwort die, daß die "Geliebte" im Hohenlied, die er heiratete, seine erste Frau war. Wenn das zutrifft, dann könnte das Buch bald nach seiner Heirat geschrieben worden sein, bevor er sich in die Sünde der Polygamie verstrickte.

Manche Ausleger haben die Ansicht vertreten, daß das Mädchen im Buch die Tochter des Pharao war ( 1Kö 3,1 ). Aber die Geliebte im Hohenlied wird nie als Königin bezeichnet. Sie stammte möglicherweise aus dem Libanon ( Hl 4,8 ), nicht aus Ägypten.



Die Einheitlichkeit


Manche Ausleger sind der Meinung, daß das Buch eine Anthologie, eine Sammlung von Liebesliedern, ist, die nicht miteinander verbunden sind und auch keine Lehre vermitteln wollen. Dennoch sprechen mehrere Gründe für die Einheitlichkeit des Buches: (1) Im gesamten Buch erscheinen dieselben Charaktere (die Geliebte, der Liebhaber und die Töchter Jerusalems). (2) Im gesamten Buch werden ähnliche Ausdrücke und Redewendungen gebraucht. Beispiele hierfür sind: Liebe ist köstlicher als Wein ( Hl 1,2;4,10 ), duftende Salben ( Hl 1,3.12;3,6;4,10 ), die Wangen des Geliebten ( Hl 1,10;5,13 ), ihre Augen, den Tauben gleich ( Hl 1,15;4,1 ), ihre Zähne wie Schafe ( Hl 4,2;6,6 ), die Tatsache, daß sie zu den Töchtern Jerusalems gezählt wird ( Hl 2,7;3,5;8,4 ), der Geliebte ist einer Gazelle gleich ( Hl 2,9.17;8,14 ), der Libanon ( Hl 3,9;4,8.11.15;7,4 ) und die zahlreichen Hinweise auf die Natur. (3) Die grammatischen Besonderheiten, die sich ausschließlich in diesem Buch finden, deuten auf einen einzigen Autor hin. (4) Das Fortschreiten der Handlung deutet auf ein einheitliches Werk, nicht aber auf eine Antholwogie hin. Wie bereits zuvor bemerkt worden ist, schreitet die Handlung des Buches logisch von der Werbung ( Hl 1,2-3,5 ) zu der Hochzeitsnacht ( Hl 3,6-5,1 ) und dann zu der Reife in der Ehe ( Hl 5,2-8,4 ) fort.



GLIEDERUNG


I. Die Überschrift ( 1,1 )

II. Die Werbung ( 1,2-3,5 )

     A. Einleitung:Sehnsucht, Ungewißtheit und Lobpreis ( 1,2-11 )
          1.Die Sehnsucht ( 1,2-4 )
          2.Die Ungewißtheit ( 1,5-8 )
          3.Der Lobpreis ( 1,9-11 )

     B. Das Wachsen der Liebe und ihre Intensität ( 1,12-3,5 )
          1.Gegenseitiges Rühmen ( 1,12-2,6 )
          2.Der Refrain ( 2,7 )
          3.Ein Ausflug in die Umgebung ( 2,8-17 )
          4.Die Angst der Geliebten, ihren Liebhaber zu verlieren ( 3,1-4 )
          5.Der Refrain ( 3,5 )

III. Die Hochzeit ( 3,6-5,1 )

     A. Die Hochzeitsprozession ( 3,6-11 )
     B. Die Hochzeitsnacht ( 4,1-5,1 )
          1.Die Schönheit der Geliebten ( 4,1-5,1 )
          2.Die Bitte des Königs ( 4,8 )
          3.Der König lobpreist die seiner Braut ( 4,9-11 )
          4.Der König lobpreist die Reinheit seiner Braut ( 4,12-15 )
          5.Der Vollzug der Ehe ( 4,16-5,1 )

IV. Die Ehe erfährt Reife ( 5,2-8,4 )

     A. Gleichgültigkeit und ihre Beseitigung ( 5,2-7,1 )
          1.Das Problem:Die Ehefrau ist gleichgültig,und der Ehemann ist abwesend ( 5,2-8 )
          2.Die Attraktivität des Liebhabers ( 5,9-16 )
          3.Der Liebhaber in seinem Garten ( 6,1-3 )
          4.Die Versöhnung:Der Liebhaber preist seine Geliebte ( 6,4-7,1 )

     B. Lobpreis der Geliebten und ihrer Liebe ( 7,2-11 )
          1.Die Anmut der Geliebten ( 7,2-7 )
          2.Das Verlangen des Liebhabers ( 7,8-10 )
          3.Der Refrain:Die Geliebte und der Liebhaber besitzen einander ( 7,11 )

     C. Eine Einladung der Geliebten ( 7,12-14 )
     D. Das Verlangen der Geliebten nach größerer Intimität ( 8,1-4 )

V. Schluß:Das Wesen und dieb Macht der Liebe ( 8,5-7 )

     A. Ein Bild für die Liebe ( 8,5 )
     B. Eine Erklärung der Liebe ( 8,6-7 )

VI. Nachwort:Wie die Liebe iren Anfang nahm ( 8,8-14 )



AUSLEGUNG


I. Die Überschrift
( 1,1 )


Hl 1,1


Dieser Vers identifiziert den Autor des Hohenliedes als Salomo. Als dritter König Israels regierte Salomo von 971 bis 931 v. Chr. Salomo war vielleicht auf literarischem Gebiet begabter als alle anderen Könige in Israel, denn er verfaßte 3000 Sprüche und 1005 Lieder ( 1Kö 5,12 ). Es ist durchaus angemessen, daß ein Thema, das so wunderbar wie die romantische Liebe ist, von einem befähigten menschlichen Autor in erhabener Sprache beschrieben wird, der natürlich unter der Leitung des Heiligen Geistes geschrieben hat. Interessanterweise wurde von den mehr als 1000 Liedern, die Salomo geschrieben hat, nur dieses Lied von Gott dazu bestimmt, in den biblischen Kanon aufgenommen zu werden. Salomos Name wird in sechs weiteren Versen erwähnt: Hl 1,5;3,7.9.11;8,11-12 .

Der Titel Hoheslied , wörtlich "Lied der Lieder", gibt uns einen Schlüssel zur Auslegung des Werkes an die Hand. Es ist ein Lied von vielen Liedern. Der Leser soll das Werk daher nicht als Sammlung von Liedern auffassen, sondern als ein einheitliches Lied. Die Worte "Lied der Lieder" weisen auf den Superlativ hin, so wie bei "das Hochheilige" ( 2Mo 29,37 ), bzw. "das Allerheiligste", was wörtlich "das Heilige des Heiligen" bedeutet. Als Superlativ könnte der Titel bedeuten, daß dieses Lied das beste Lied von Salomos 1005 Liedern ist, oder, was wahrscheinlicher ist, daß dieses das beste aller Lieder ist. In jedem Falle entfaltet Salomo vor seinen Lesern ein Musterbeispiel für romantische Liebe in der Werbung und der Heirat.



II. Die Werbung
( 1,2-3,5 )


Dieser Abschnitt steht zu den anderen beiden großen Abschnitten ( Hl 3,5-5,1;5,2-8,4 ) in scharfem Kontrast. Dieser Abschnitt ( Hl 1,2-3,5 ) enthält zwar sehr viele Ausdrücke, die das sexuelle Verlangen beschreiben, aber der Liebhaber ist doch äußerst zurückhaltend. Nach der Hochzeitsprozession ( Hl 3,6-11 ) beobachtet man, daß der Liebhaber sich im Hohenlied keine sexuelle Zurückhaltung mehr auferlegt. Dieser Abschnitt macht also deutlich, daß bei der romantischen Werbung Zurückhaltung geübt werden sollte.

A. Einleitung: Sehnsucht, Ungewißheit und Lobpreis
( 1,2-11 )


1. Die Sehnsucht
( 1,2-4 )


Hl 1,2-4 a


Manche Übersetzungen gehen davon aus, daß der männliche Sprecher der "Liebhaber" ist und die weibliche Sprecherin die "Geliebte". Man hat dann in Hl 5,2.9;6,1.10;8,5.8-9 die weiteren Sprecher als "Freunde" ausgemacht. Es ist nicht immer ganz leicht zu bestimmen, wer der Sprecher an manchen Stellen ist, und man kann sich daher darüber streiten. Einige Meinungen über die Identität der Sprecher werden in der Übersicht "Sprecher im Hohenlied" zusammengefaßt.

Das Lied beginnt mit einem Monolog der Geliebten, in dem sie zuerst ihr heftiges Verlangen nach der körperlichen Zuwendung ihres Geliebten (Salomo) zum Ausdruck bringt ( Küsse , Hl 1,2 ). Der unvermittelte Wechsel von der dritten Person ( er , V. 2 a, und sein, V. 2 a. 3-4 b) zur zweiten Person ( dein und dich , V. 2 b. 3-4 a) verwirrt den modernen Leser, war aber in der Liebespoesie im Alten Orient durchaus üblich. Dieser stilistische Kunstgriff verlieh der Poesie einen stark emotionalen Anstrich. Wenn die Geliebte von der Liebe des Geliebten spricht (V. 2 b), hebt sie vor allem auf den körperlichen Ausdruck seiner Liebe ab (das hebr. Wort für "Liebe" steht im Plural und heißt dODIm . Der Begriff wird auch in Hl 4,10 gebraucht.). Die Aussage deine Liebe ist köstlicher als Wein bedeutet, daß die körperlichen Zärtlichkeiten des Liebhabers erheiternd, erfrischend und die Quelle großer Freude sind (vgl. Hl 1,4 ).

Die Wohlgerüche seiner Salben machten den Liebhaber noch anziehender. Die Erwähnung der Salben brachte sie dazu, seinen Namen mit einer Salbe zu vergleichen. Der Name eines Menschen stand für seinen Charakter oder seinen Ruf (vgl. 2Sam 7,9 ). Wenn also die Geliebte Salomos Namen mit einer Salbe verglich, dann bedeutete das, daß er ein angenehmes Wesen besaß und auf die Geliebte anziehend wirkte. Aus diesem Grund, so sagte die Geliebte, wurden viele von ihm angezogen.

 

Die Aussage der König (vgl. Hl 1,12;3,9.11;7,6 ) hat mich in seine Kammern gebracht kann auch als Aufforderung oder Bitte übersetzt werden: "Möge mich der König doch in seine Kammern bringen!" In diesem Sinne brachte die Geliebte ihr Verlangen nach einer intimen Beziehung und nach der Ehe mit dem Liebhaber zum Ausdruck. Das entspricht dem ersten Teil von Hl 1,4 : zieh mich dir nach . Zusammenfassend kann man sagen, daß dieser Monolog zu Beginn das körperliche Verlangen als Charakteristikum der romantischen Liebe darstellt und daß das in richtige Bahnen gelenkte Verlangen gut und nicht teuflisch ist. Ein Ehepartner soll von der Liebe zum anderen Ehepartner (vgl. Spr 5,18-19 ), statt von Wein, Drogen oder anderen Menschen "berauscht" sein. Die Wahl eines Ehepartners sollte allerdings von viel mehr als nur der rein körperlichen Anziehung bestimmt werden. Die Rede der Geliebten macht deutlich, daß das Wesen (der "Name") eines Menschen bei der Partnerwahl von entscheidender Bedeutung ist.

 

Hl 1,4 b


Die "Freunde" der Geliebten, die an anderer Stelle die "Töchter Jerusalems" (V. 5 ; Hl 3,10;5,8.16 ) und die "Töchter Zions" ( Hl 3,11 ) genannt werden, sprechen in Hl 1,4 b. Es wurden viele Vermutungen angestellt, wer diese "Töchter Jerusalems" nun eigentlich sind: weibliche Hochzeitsgäste, Hofdamen am Königshof oder Konkubinen des königlichen Harems. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, daß damit die weiblichen Einwohner Jerusalems gemeint sind. Diese Stadt wird häufig als die "Mutter" seiner Bewohner bezeichnet (vgl. Jes 51,18; 60,4; Hes 19,2.10 ).

Der Chorus ist ein literarisches Stilmittel im Hohenlied, wobei die Geliebte und der Liebhaber ihre Gefühle und Gedanken voll zum Ausdruck bringen. Wenn Salomo im Hl 1,4 gepriesen wurde (das du steht im mask. Sing.), dann scheinen die "Töchter" darin übereinzustimmen, daß das Paar eine schöne Liebesgeschichte erlebte. Im letzten Satz in Vers 4 könnte die Geliebte sprechen oder vielleicht sogar eher noch die Freunde.

 

2. Die Ungewißheit
( 1,5-8 )


Hl 1,5-6


Die sonnengebräunte Erscheinung der Geliebten ( schwarz bin ich ) machte offenbar, daß sie auf dem Feld arbeitete. Aufgrund dessen fühlte sie sich unter den Stadtbewohnern und insbesondere unter den Frauen Jerusalems unsicher ( schaut mich nicht an ). Sie verglich ihre dunkle Hautfarbe mit den Zelten Kedars , die aus schwarzem Ziegenhaar hergestellt wurden. Die Menschen von Kedar waren Nomaden im nördlichen Arabien und stammten von Ismael ab ( 1Mo 25,13 ). Sie waren wegen ihres Bogenschießens ( Jes 21,16-17 ) und ihrer Herden bekannt ( Jes 60,7; Jer 49,28-29; Hes 27,21; vgl. auch Ps 120,5; Jes 42,11; Jer 2,10 ). Offensichtlich waren die Zeltdecken Salomos ebenfalls schwarz.

Die Erklärungen der Geliebten für ihre schwarze Erscheinung waren schon fast eine Entschuldigung. Aufgrund harter Arbeit im Freien in den Weinbergen , die ihre Brüder von ihr verlangten, war sie gezwungen, die Pflege ihres eigenen Weinbergs, das heißt, sich selbst und ihre Erscheinung, zu vernachlässigen (vgl. Hl 8,12 ).



Hl 1,7


Das Gefühl der Unsicherheit bei der Geliebten trug mit dazu bei, daß in ihr das Verlangen nach der Gegenwart ihres Liebhabers entstand. Sie wandte sich an ihn, obwohl er ein Hirte war (das war ein üblicher Beiname für einen Mann in der Poesie des Alten Orients). Der Vers wird entweder als Monolog gesprochen (dann muß man annehmen, daß der Liebhaber abwesend ist) oder es ist, wenn er gegenwärtig war, eine Bitte um ein Treffen im späteren Verlauf des Tages. Wenn sie nicht bei ihm sein könne, so sagt sie, dann wolle sie wie eine verschleierte Frau sein. Dieser rätselhafte Ausdruck bedeutet entweder, daß man sie für eine Prostituierte halten könnte (vgl. 1Mo 38,14-15 ), oder, was wahrscheinlicher ist, daß sie ohne Salomo so traurig wäre wie eine Trauernde (vgl. Hes 24,17.22 ).



Hl 1,8


Die Antwort in diesem Vers wird normalerweise dem Liebhaber zugeschrieben, denn er wurde ja in der vorhergehenden Frage direkt angesprochen (V. 7 ). Wenn Salomo der Sprecher ist, dann ist der Vers möglicherweise eine scherzhafte oder neckische Antwort. Allerdings scheint der Vers vom Ton her für Salomo zu kühl und distanziert zu sein. Es könnte sich also hierbei um eine geringschätzige Antwort seitens der Freunde handeln: "Wenn du, unter allen Menschen, nicht weißt, wo er sich befindet, dann geh zu den anderen Hirten, wohin du ohnehin gehörst" ( laß deine Zicklein grasen ).



3. Der Lobpreis
( 1,9-11 )


Hl 1,9-11


Als Entgegnung darauf, daß die Geliebte sich unsicher fühlte (V. 5-6 ), pries sie der Liebhaber. Sehr häufig nannte er sie seine Freundin (V. 9.15 ; Hl 2,2.10.13;4,1.7;5,2;6,4 ). In der altarabischen Poesie wurden Frauen bisweilen mit Pferden als dem Gegenstand von Schönheit verglichen. Allerdings könnte die Aussage in Hl 1,9 auch spezieller gemeint sein. Die Worte eine Stute, angeschirrt an einem der Prachtwagen des Pharao heißen wörtlich "eine Stute unter den Prachtwagen des Pharao". Zuchthengste, nicht Stuten, wurden in der Antike zum Ziehen der Prachtwagen benutzt. Eine Stute unter den Prachtwagen könnte also zu einem wahren Durcheinander führen. Der Vergleichspunkt ist hier folgender: Salomo war der Meinung, daß das Mädchen so schön und begehrenswert war, wie wenn sie die einzige Frau in einer Männerwelt wäre. Wenn er fernerhin feststellte, daß sie mit ihrem Schmuck ( Ohrringe und Ketten , V. 10 ) schön war, dann waren die Töchter Jerusalems ( wir , V. 11 ) gezwungen, ihre hochmütige Haltung aufzugeben (V. 6 ) und der Meinung des Königs zuzustimmen. Sie waren sogar damit einverstanden, für seine Geliebte Ohrringe zu machen. Vers 10 spricht das erste von vielen Malen davon, daß sie eine Schönheit ist (vgl. V. 15 [zweimal]; Hl 2,10.13;4,1 [zweimal]. 7 ; Hl 6,4;7,2.7 ). Zusammengefaßt könnte man sagen: Weil sich die Geliebte hinsichtlich ihrer äußeren Erscheinung gehemmt fühlte, pries der Liebhaber ihre körperliche Schönheit, so daß ihre Verleumderinnen gezwungen waren, ihm recht zu geben.



B. Das Wachsen der Liebe und ihre Intensität
( 1,12-3,5 )


Dieser Abschnitt enthält eine ganze Reihe von Einheiten, in denen die Werbung des Liebhabers fortentwickelt wird. Das Verlangen nach dem anderen und das Rühmen des anderen nimmt zu und wird intensiver, und die Gefühle der Unsicherheit seitens der Geliebten sind verschwunden. Die erste Einheit ( Hl 1,12-2,6 ) berichtet von einer zunehmenden Intensität des Verlangens, des Rühmens und der Gewißheit. Der Refrain ( Hl 2,7 ) ist ein Aufruf zur Geduld, denn man kann die Liebe nicht erzwingen. Die zweite Einheit ( Hl 2,8-17 ) spricht von der Belohnung der Geduld und von zunehmender Intimität. Die dritte Einheit ( Hl 3,1-4 ) berichtet von der bisher intensivsten Sehnsucht, und nach einem passenden Refrain, der ein Aufruf zur Geduld ist ( Hl 3,5 ), folgt dieser Sehnsucht die Belohnung der Eheschließung ( Hl 3,6-5,1 ).



1. Gegenseitiges Rühmen
( 1,12-2,6 )


Hl 1,12-14


Die Geliebte pries den König für seine angenehmen, anziehenden Eigenschaften, die wie Salben waren (vgl. den Kommentar zu V. 3 ), die benutzt wurden, um einen anderen Menschen anzuziehen, anstatt ihn abzuweisen. Sie dachte ständig an ihren Liebhaber wie an den Geruch von Myrrhe (in ihrem Duftbeutel , den sie um ihren Hals trug), der ihr ständig in die Nase kam. Myrrhe war ein angenehmer Duftstoff, der von kleinen Bäumen auf der Arabischen Halbinsel abgesondert wurde. Myrrhe wird im Hohenlied häufig erwähnt (V. 13 ; Hl 3,6;4,6.14;5,1.5 [zweimal]. 5,13 ). Im Vergleich zu ihrem Liebhaber waren alle anderen Männer wie eine Wüste. Er war unter ihnen wie eine Blütentraube in einer Wüstenoase. Hennasträucher (vgl. Hl 4,13 ) waren weiß, und En-Gedi war eine Oase an der Westküste des Toten Meeres. David war einst nach En-Gedi gekommen, als er sich auf der Flucht vor Saul befand ( 1Sam 23,28; 24,1.2 ).

 

Hl 1,15


Der Liebhaber gab den Lobpreis zurück, indem er nicht nur ihre Schönheit lobte ( schön taucht in diesem Vers zweimal auf), sondern auch ihr friedliches Wesen. In der Antike war besonders die Reinlichkeit und die Friedfertigkeit der Tauben (vgl. Hl 2,12.14;4,1;5,2.12;6,9 ) Gegenstand der Aufmerksamkeit. "Nach rabbinischer Lehre besaß eine Braut, die schöne Augen hatte, auch ein angenehmes Wesen; sie sind ein Zeichen ihres Charakters" (S. M. Lehrman, "The Song of Songs" in The Five Megilloth , S. 4).



Hl 1,16-17


Beide Verse kann man so verstehen, daß die Geliebte sie gesprochen hat (anstatt anzunehmen, daß V. 16 die Geliebte und V. 17 der Liebhaber spricht). Obgleich die Geliebte seine äußerliche Schönheit nicht übersah ( lieblich ), war sie doch noch mehr von dem Liebreiz seines Wesens eingenommen ( O wie lieblich! ). Das Wort "lieblich" bedeutet "angenehm" oder "liebenswürdig", und das Vorhandensein beider Eigenschaften, von "lieblich" und "liebenswürdig", war damals genauso selten wie heutzutage. An dieser Stelle nennt die Geliebte ihren Liebhaber zum ersten von etwa zwei Dutzend Malen meinen Geliebten (oder meinen Freund ). Die Zedernbalken und die Dachsparren aus Tanne (oder Zypressen oder Wacholder) meinen vielleicht gar kein wirkliches Gebäude, sondern deuten möglicherweise bildhaft auf die ländliche Umgebung hin, in der sich die beiden zum ersten Mal getroffen haben. Das wird auch durch die Erwähnung eines grünen Lagers angedeutet. Das Feld, auf dem sie sich ineinander verliebt hatten und sich zueinander setzten, um miteinander zu sprechen, war grün.



Hl 2,1


Hier nannte die Geliebte sich selbst eine Blume von Scharon , der fruchtbaren Küstenregion Israels von Caesarea bis Joppe. Das hebr. Wort für Blume lautet HXBaQQeleT . Das Wort taucht sonst im AT nur noch in Jes 35,1 auf und wird dort mit "Narzisse" oder "Lilie" übersetzt, und diese Übersetzung kann auch an dieser Stelle richtig sein. Es handelte sich dabei um eine gewöhnliche Wiesenblume. Auch die Lilie war eine gewöhnliche Blume, die im Hohenlied mehrfach erwähnt wird ( Hl 2,1-2.16;4,5;5,13;6,2-3;7,3 ). In ihrer Demut verglich sich die Geliebte Salomos zwar mit den gewöhnlichen Blumen auf dem Feld, aber ihre Aussage ( Hl 2,1 ) spiegelt doch den starken Kontrast zu ihrer früheren Befangenheit wider ( Hl 1,5-6 ). Vielleicht war sie selbstbewußter geworden, weil ihr Liebhaber sie gerühmt hatte ( Hl 1,9-10.15 ).



Hl 2,2


Der Liebhaber gab den Ausdruck des neuen Wertgefühls seiner Geliebten wieder, indem er sie mit einer Lilie verglich und alle anderen Frauen mit Dornen . Er war auch der Meinung, daß sie eine Lilie war (V. 2 ), aber nicht irgendeine Lilie! Sie war so einzigartig unter allen anderen, wie eine einzelne Lilie unter vielen Dornen einzigartig wäre.



Hl 2,3-6


Das Loblied der Geliebten auf ihren Liebhaber (oder Freund ) wurde auch bildhaft ausgedrückt. So wie ein Apfelbaum eine angenehme Überraschung in einem Wald darstellt, so war Salomo ein angenehmer und seltener "Fund" unter allen anderen Männern. Er war einzigartig, lieblich, und er duftete.

Das Loblied der Geliebten auf ihren Liebhaber zeigt uns drei Gesichtspunkte der romantischen Liebe, Bild für Schutz, und zwar nicht nur in der Bibel, sondern auch in der Literatur des Alten Orients. Sie hatte in der Sonndie für Frauen von Bedeutung sind. Erstens fühlte sie sich bei ihm geborgen. Das Sitzen in seinem Schatten war eine gearbeitet ( Hl 1,6 ), aber nun genoß sie es, daß sie sich in seinem Schutz ausruhen konnte. Zweitens bauten sie miteinander eine Beziehung auf, die eine intime Kenntnis des anderen gestattete. Das Wort Gaumen drückt aus, daß ein Mensch einen anderen persönlich sehr gut kennt (vgl. Ps 34,9 : "Schmecket und sehet, daß der Herr gut ist"). Drittens genoß die Geliebte es, daß Salomo seine Zuneigung zu ihr vor anderen zum Ausdruck brachte. So wie ein Banner (eine Militärstandarte) von den Truppen mit Leichtigkeit gesehen werden konnte, wenn sie marschierten, so war auch Salomos Liebe zu seiner Geliebten von jedermann leicht zu erkennen, der ihre Beziehung beobachtete. Er schämte sich ihrer nicht; statt dessen erfreute er sich an ihr, und das bekamen andere mit. Er zeigte ihr das z. B. dadurch, daß er sie zu seinem Festsaal im Palast mitnahm.

Diese drei Dinge - Schutz durch ihren Liebhaber, die Nähe zu ihm und die offensichtlich gemachten Zeichen der Liebe von ihm - sind wichtige Dinge, die es einer Frau ermöglichen, sich sicher zu fühlen, Selbstwertgefühl zu entwickeln und sich auf diese Weise an einer beständigen Ehe zu erfreuen.

Die Geliebte begann, diese drei Dinge während der Zeit der Werbung bei Salomo zu erleben. Es ist daher kein Wunder, daß sie krank vor Liebe wurde ( Hl 2,5; vgl. Hl 5,8 ). Das Thema des "vor Liebe Krankseins" war in der Poesie des Alten Orients ein weitverbreitetes Thema. Damit brachte sie ihr Verlangen nach Stärkung und seiner Umarmung zum Ausdruck. Sie war körperlich geschwächt und brauchte neue Energie durch Nahrung wie Traubenkuchen und Äpfel. Traubenkuchen waren im Alten Orient eine Delikatesse ( 1Chr 12,41; Jes 16,7; Hos 3,1 ).

Da Hl 2,5 eine Bitte ist, sollte man Vers 6 vielleicht auch als Bitte bzw. Aufforderung ("Möge seine Linke unter meinem Kopfe liegen und möge seine Rechte mich umfassen ") und nicht als Aussage übersetzen.



2. Der Refrain
( 2,7 )


Hl 2,7


Dieser Refrain, der von der Geliebten zu den Töchtern (Bewohnern; vgl. den Kommentar zu Hl 1,4 b) Jerusalems gesprochen wird, taucht noch einmal in Hl 3,5 und ein Teil davon in Hl 8,4 auf. In diesen drei Versen dient der Refrain als Zeichen für das Ende des Abschnittes und als Überleitung bzw. Einleitung des folgenden Abschnittes. Die Bedeutung des Refrains ist folgende: Man soll die Liebe nicht erzwingen, sondern man muß in Geduld auf sie warten. Mit anderen Worten, die Geliebte erinnerte all jene daran, die sich auch so eine Beziehung wünschten, wie sie die Geliebte und Salomo genossen, daß sie geduldig auf Gott warten sollten, der ihnen diese Beziehung schenken konnte. Gazellen ( Hl 2,17;3,5;4,5;7,4;8,14 ) und Hirschkühe sind anmutige, flinke Tiere. Es war für die Geliebte Salomos nur natürlich, daß sie an Felder und Wälder dachte ( Hl 2,1.3 ), und bei den Tieren, die im Gebirge lebten, einen Eid zu leisten.



3. Ein Ausflug in die Umgebung
( 2,8-17 )


Die vorausgegangenen Abschnitte ( Hl 1,2-2,7 ) haben scheinbar einen Hintergrund, der auf einen Königshof hindeutet ( Hl 1,4;2,4 ), auch wenn Szenen im Freien eine Rolle spielen (z. B. Hl 1,14;2,1-3 ). Der Hintergrund für Hl 2,8-3,5 ist jedoch das offene Land in der Nähe des Heimes der Geliebten. Möglicherweise lebte sie im Libanon, nördlich von Israel (vgl. Hl 4,8.15 ). Es ist jedoch von noch größerer Bedeutung, daß die Sehnsucht des Paares nach dem anderen zunahm und ihre Vertrautheit miteinander wuchs.



Hl 2,8-9


Als sich Salomo dem Haus seiner Geliebten näherte, beschrieb sie voller Aufregung sein Kommen als das einer Gazelle oder eines jungen Hirsches (vgl. V. 17 ; Hl 8,14 ). Dadurch wurde seine anziehende Erscheinung hervorgehoben, seine Stärke und Behendigkeit (vgl. den Kommentar zu den Gazellen bei Hl 2,7 ). Er erreichte die Mauer, die das Haus ihrer Eltern umgab und spähte dann durch das Gitter . Er wollte sie unbedingt sehen.



Hl 2,10-13


Salomo, der Liebhaber, bat seine Freundin, mit ihm einen Spaziergang in die Umgegend zu unternehmen. Zu Beginn und am Ende seiner Einladung sagte er: Komm mit mir (V. 10.13 ; vgl. Hl 8,14 ). Die ausführliche Beschreibung des Frühlings sollte möglicherweise mehr sein als einfach eine Hervorhebung der Schönheit der Umgebung. Es ist wahrscheinlich, daß damit auch die Beziehung der beiden beschrieben werden sollte. In gewissem Sinne ähneln die Gefühle eines Menschen, der sich verliebt, dem Frühling, denn alles scheint frisch und neu zu sein. Man betrachtet die Welt aus einem anderen Blickwinkel. Das war auch Salomos Empfinden, wenn er mit seiner Geliebten zusammen war. Mehrere Aussagen sprechen von der Schönheit des Frühlings: (1) Der Winter ist vergangen . Der Begriff für Winter ( s+=Taw ; dieses Wort wird im AT nur an dieser Stelle gebraucht) bezieht sich auf die düstere Jahreszeit von März bis April, wenn der "Spät"regen fällt. (2) Die Blumen kommen im Frühling hervor. Sie geben der Landschaft schöne Farben und bringen die Menschen dazu, vor Freude zu singen. (3) Die Tauben gurren und kündigen so die Ankunft des Frühlings an. (4) Die Feigenbäume bringen ihre ersten Früchte hervor (vgl. Nah 3,12 ). Die ersten Feigen waren entweder die Früchte, die vom vergangenen Sommer her noch unreif am Baum geblieben waren und nun zu Beginn des Frühlings reiften, oder es handelte sich um kleine eßbare Knospen, die im März herauskamen. (5) Die Rebstöcke blühen und verbreiten ihren Duft , noch bevor die Trauben wachsen. Der Begriff Duft kommt vom hebr. s+mADar her, ein Wort, das nur an dieser Stelle und im Hl 2,13 auftaucht. Der Frühling spricht also die Augen, das Gehör, den Geschmacks- und den Geruchssinn an.


Hl 2,14


Ein weiteres Kennzeichen für echte Liebe ist der Wunsch, mit dem anderen allein zu sein. Dieses Verlangen scheint während der Zeit der Werbung häufig erfüllt zu werden, aber unseligerweise ist das in der Ehe häufig dann nicht mehr der Fall. Wenn aber die Liebe wachsen soll, dann muß ein Paar auch Zeit finden, um miteinander allein zu sein. Die Tauben (vgl. V. 12 und den Kommentar zu Hl 1,15 ) verbergen sich in Felsspalten, die sie nur ungerne wieder verlassen. Der Liebhaber verglich seine Geliebte mit solch einer Taube, die noch zögerte, mit ihm auf dem Land zusammenzusein. So drängte er sie noch einmal (vgl. Hl 2,10.13 ), ihr Heim zu verlassen und sich ihm anzuschließen, damit er sich an ihrer süßen Stimme und ihrem lieblichen Gesicht erfreuen konnte.

 

Hl 2,15


Hier spricht wohl eher die Geliebte als der Liebhaber. Sie sprach wohl eher poetisch über ihre Beziehung, als daß sie von tatsächlichen Füchsen und Weinbergen redete. Füchse waren für die Zerstörung bekannt, die sie in den Erntefeldern anrichteten. Daher möchte die Geliebte wohl dadurch, daß sie von diesen Tieren spricht, bildhaft auf manche Schwierigkeiten in ihrer Beziehung hinweisen. Die Geliebte bat ihren Liebhaber darum, doch die Initiative bei der Lösung der Probleme zu ergreifen, die ihrer Beziehung möglicherweise gefährlich werden konnten. "Die Füchse stehen für so viele Hindernisse und Versuchungen, wie sie Liebende die Jahrhunderte hindurch erlebt haben. Vielleicht ist es der Fuchs des hemmungslosen Verlangens, der zwischen ein Paar den Keil der Schuld treibt. Vielleicht ist es der Fuchs des Mißtrauens und der Eifersucht, der die Bande der Liebe zerreißt. Es könnte aber auch der Fuchs des Egoismus und des Stolzes sein, der nicht zuläßt, daß einer vor dem anderen seine Fehler zugibt. Oder aber es ist der Geist der Unversöhnlichkeit, der die Entschuldigung des anderen nicht akzeptiert. Diese Füchse haben seit vielen Jahren Weinberge zerstört, und das Ende ihres Wirkens ist nicht in Sicht" (S. Craig Glickman, A Song for Lovers , S. 49 - 50). Auch wenn die Zeit der Werbung und die Ehe wunderbar sind, stoßen die meisten Paare doch auf Schwierigkeiten, die ihre Beziehung möglicherweise zerstören können. Ihr Wille, diese Probleme zusammen zu lösen, ist der Beweis für ihre Reife.



Hl 2,16-17


Obwohl die beiden manche Schwierigkeiten in ihrer Beziehung hatten (vgl. den Kommentar zu V. 15 ), wußte die Geliebte, daß ihr Liebhaber ihr gehörte und sie ihm gehörte. Sie waren nun füreinander da. Sie konnte sich trotz der Schwierigkeiten, die ihnen begegneten, ausruhen, denn sie wußte, daß er sie beschützte. Sie sagte: er weidet (wörtl.: "er weidet" seine Herde) unter den Lilien (vgl. Hl 6,3 ). Die Geliebte sprach in Hl 2,16 zu sich selbst (sie gebrauchte die Personalpronomen mein, sein und er ), und es ist sehr wahrscheinlich, daß auch Vers 17 ein Monolog ist. Ihre Gedanken über das Zueinandergehören riefen in ihr den Wunsch nach körperlicher Nähe hervor. So lud sie ihn in ihren Gedanken ein, sich mit der Stärke und der Gewandtheit einer Gazelle oder eines jungen Hirsches (vgl. V. 9 ; Hl 8,14 ) zu ihr zu wenden. Der Ausdruck zerklüftete Berge ( hArL BATer ) heißt wörtlich "Berge oder Hügel der Trennung oder Spaltung". Manche Ausleger sind der Meinung, daß sich das auf tatsächlich vorhandene Berge bezieht, obwohl dann im Dunkeln bleibt, wo sie lagen. In diesem Falle trennten die Berge das Paar voneinander. Allerdings ist das wohl unwahrscheinlich, denn er befand sich bereits an ihrer Mauer und dem Gitter ( Hl 2,9 ). Es ist wohl vorzuziehen, diese Aussage als versteckten Hinweis auf ihre Brüste zu verstehen (vgl. Hl 4,6 ), also als innere Sehnsucht nach dem gemeinsamen Vollzug der Ehe. Wenn diese Bedeutung zutrifft, dann wollte die Geliebte die Nähe spüren, die die Nacht überdauerte, bis der Tag beim Morgenrot anbricht (wörtl. "Atem schöpft") und die Schatten der Nacht verschwinden. Als sie die Ehe vollzogen hatten, geschah genau das (vgl. Hl 4,5-6 ). Wie bereits festgestellt wurde, hielten sich die Geliebte und ihr Freund zurück, wenn sie in der Zeit ihrer Werbung ihre Liebe zueinander ausdrückten. Aber aufgrund ihrer tiefen Liebe und der gegenseitigen Hingabe sehnten sie ihren Hochzeitstag herbei.



4. Die Angst der Geliebten, ihren Liebhaber zu verlieren
( 3,1-4 )


Hl 3,1-4


Der König kehrte nach Jerusalem zurück und ließ seine Geliebte in ihrem Heim auf dem Land zurück. Der Satz die ganze Nacht auf meinem Lager weist darauf hin, daß sich die Erfahrung, die sie hier beschrieb, in einem Traum zutrug. Wenn ein Mensch einen anderen Menschen von ganzem Herzen liebt, dann ist es ganz natürlich, daß er davor Angst hat, ihn zu verlieren. In ihrem Traum verlor die Geliebte ihren Freund und ging ihn suchen. Der wiederholte Ausdruck den, den meine Seele liebt (der in jedem dieser vier Verse vorkommt) machte die Tiefe ihrer Liebe zu Salomo offenbar.

In ihrem Traum kam sie zu einer Stadt (das war wohl entweder eine Stadt, die nahe bei ihrem Zuhause lag, oder es handelte sich um Jerusalem), um ihn zu suchen, hatte aber keinen Erfolg. Sie fragte sogar die Wächter, also die Männer, die die Stadt in der Nacht bewachten, ob sie ihn gesehen hatten. Offensichtlich hatten sie ihn nicht gesehen. Als sie ihn in ihrem Traum gefunden hatte, nahm sie ihn mit sich zu dem Haus ihrer Mutter , dem sichersten Ort, den sie kannte.

 

5. Der Refrain
( 3,5 )


Hl 3,5


Dieser Refrain bezeichnet das Ende des Abschnittes über die Werbung ( Hl 1,2-3,5 ) und den Beginn des Abschnittes über die Eheschließung ( Hl 3,6-5,1 ). Vielleicht wurde die Eheschließung als Belohnung für die Geduld der Geliebten betrachtet. (Zur Bedeutung von Hl 3,5 vgl. den Kommentar zu Hl 2,7 .)



III. Die Hochzeit
( 3,6-5,1 )


A. Die Hochzeitsprozession
( 3,6-11 )


Eine Hochzeit wurde im Alten Orient üblicherweise durch einen zivilrechtlichen Vertrag rechtskräftig gemacht und nur in zweiter Linie durch eine religiöse Zeremonie bestätigt. Wenn man von Spr 2,17 und Mal 2,14 einmal absieht, wird im AT kein Ehebündnis und kein Heiratsvertrag erwähnt. Dennoch sind Beispiele für jüdische Eheverträge mit zivilem Charakter in den Überresten der jüdischen Kolonie in Elephantine in Ägypten gefunden worden, die auf das fünfte Jahrhundert v. Chr. zurückgehen. Die Heirat von Rut und Boas vor der Versammlung von Ältesten anstatt vor Priestern (vgl. Rt 4,10-11 ) veranschaulicht auch den mehr "zivilen" als religiösen Charakter der Hochzeitszeremonien. Die Tatsache, daß Hochzeiten nicht im Tempel (oder später in der Synagoge), sondern in den Häusern des Paares gefeiert wurden, kann uns daher nicht überraschen.

Ein wichtiger Punkt bei einer Hochzeitszeremonie war die Prozession zum Haus der Braut, die vom Bräutigam angeführt wurde, der sie dann zu ihrer neuen Wohnung brachte. Dann wurde eine Hochzeitsfeier abgehalten, die bis zu einer Woche oder sogar noch länger dauerte. Während das Fest sich hinzog, vollzog das Paar die Ehe in der ersten Nacht. Das Hohelied macht nicht die Hochzeitsfeier zum Thema, aber sowohl die Hochzeitsprozession ( Hl 3,6-11 ) als auch die Hochzeitsnacht ( Hl 4,1-5,1 ) werden recht detailliert beschrieben. Hl 3,11 bezieht sich auf die "Hochzeit" und auf "Salomo", der selbstverständlich der Bräutigam war.



Hl 3,6


Der Autor schlüpfte in diesem Vers in die Rolle des Erzählers, als wenn er ein Beobachter wäre, der die sich nähernde Hochzeitsprozession beobachtete, die in sich recht kompliziert war. Was zuerst aus der Entfernung wie eine große Rauchsäule aussah, war in Wirklichkeit Weihrauch (vgl. den Kommentar zu Hl 4,6 ), der vor dem Zug abgebrannt wurde. Die Tatsache, daß der Weihrauch aus allerlei Gewürzen des Händlers gemacht war, unterstreicht, wie kostbar dieses Gemisch war. Die Myrrhe (vgl. den Kommentar zu Hl 1,13 ) war ein weiterer Wohlgeruch bei der Prozession.

Der Pomp und die Schönheit dieser Prozession waren angesichts der Bedeutung des Ereignisses voll und ganz angemessen. Die Bibel lehrt, daß die Eheschließung eines der wichtigsten Ereignisse im Leben eines Menschen darstellt. Deshalb ist es durchaus passend, wenn die Vereinigung eines Paares in besonderer Weise gefeiert wird. Es ist heute üblich, daß Paare zusammenleben, ohne verheiratet zu sein, und diese Tatsache macht deutlich, wie unmodern es in der heutigen Gesellschaft geworden ist, sich einem Menschen aufrichtig hinzugeben. Damit wird die Heiligkeit der Ehe verletzt. Man steht damit im Widerspruch zu Gottes Maßstäben, sein Leben in Reinheit zu führen.



Hl 3,7-8


Die 60 Kämpfer, die Salomos Sänfte begleiteten (vgl. V. 9 ), waren Freunde des Bräutigams. Es war üblich, daß die Freunde des Bräutigams mit dem Bräutigam in der Hochzeitsprozession mitzogen. Sie waren jedoch gleichzeitig die Helden Israels, die Starken, die Soldaten, vielleicht sogar Salomos königliche Leibwache. David hatte eine Leibwache ( 2Sam 23,23 ), und vielleicht hatte Salomo ebenfalls eine. Weil der Zug möglicherweise eine größere Entfernung zurücklegen mußte (vgl. das "Heraufkommen aus der Wüste", Hl 3,6 ,und die Erwähnung des Libanon in Hl 4,8.15 ), wollte der König hinsichtlich der Sicherheit seiner Braut kein Risiko eingehen. Wenn in der Nacht etwa Räuber erscheinen und die Braut erschrecken sollten, dann waren die Soldaten bereit. Das ist heute für einen zukünftigen Ehemann eine wichtige Lektion. Er sollte gut darüber nachdenken, wie er seine Braut schützen kann. Eine Form des Schutzes ist die, daß der Bräutigam ihr wirtschaftliche Sicherheit bietet.


Hl 3,9-11


Salomos Sänfte war aus dem besten Material hergestellt, d. h. aus Holz vom Libanon (das war möglicherweise die Heimat der Braut; vgl. Hl 4,8.15 ). Die Sänfte war mit den kostbarsten Materialien verziert: mit Silber, mit Gold und Purpur (Purpur stand für den König). Salomo bot seiner Braut das Beste dar, was er hatte. Und seine Liebe zu ihr brachte das Beste in ihm hervor. Viele andere freuten sich mit dem Paar und halfen ihnen bei der Vorbereitung des Zuges ( die Töchter Jerusalems - weibliche Bewohner - hatten geholfen, das Innere der Sänfte herzurichten, und sie taten es mit Freude), und sie betrachteten sie ( seht den König Salomo ). Bei der Prozession trug Salomo eine Krone. Dabei handelte es sich nicht um seine Königskrone, sondern um eine Krone, die ihm seine Mutter (Batseba, 1Kö 2,13 ) gegeben hatte; unter Umständen sollte damit mehr die Freude zum Ausdruck gebracht als das Königtum repräsentiert werden.


B. Die Hochzeitsnacht
( 4,1-5,1 )


1. Die Schönheit der Geliebten
( 4,1-7 )


Hl 4,1


Der erste, der in der Hochzeitsnacht sprach, war Salomo, und seine Worte priesen die Schönheit seiner Braut. Dreimal sagte er ihr in der Hochzeitsnacht, daß sie schön sei (V. 1 [zweimal]. 7 ; vgl. den Kommentar zu Hl 1,10 ). Die Frauen im Alten Orient trugen normalerweise keinen Schleier, ausgenommen zur Zeit ihrer Hochzeit, der dann im Hochzeitsgemach abgelegt wurde. (Das ist der Grund dafür, daß Rebekka sich sofort verschleierte, als sie erfuhr, daß Isaak ihr zukünftiger Ehemann war, 1Mo 24,65 .Es wird ebenfalls deutlich, warum Laban Jakob mit Lea in ihrer Hochzeitsnacht betrügen konnte, 1Mo 29,19-25 .) So sagte nun also Salomo, der die Augen seiner Geliebten hinter ihrem Schleier (vgl. Hl 4,3 ) sah, daß sie (wie) Taubenaugen waren. Tauben waren in der Alten Welt für ihre Ruhe und Gelassenheit bekannt, und weil die Augen eines Menschen wie die Fenster seiner Seele sind und seinen Charakter widerspiegeln, lobte Salomo die Ruhe und die Unschuld seiner Braut (vgl. Hl 1,15 ).

Wenn Salomo sagt, daß ihr Haar wie eine Herde Ziegen ist, die vom Gebirge Gilead herabkommen (vgl. Hl 6,5 ), so klingt das zwar kaum wie ein Kompliment, war aber dennoch eines. Aus der Entfernung sah das dunkle Haar der Ziegen Palästinas beim Untergang der Sonne wunderschön aus, wenn die Herde von den Bergen herabkam. Die Haare der Geliebten sahen ebenso schön aus. Das Gebirge Gilead war ein Gebirgszug östlich des Jordans in Gilead, der für seine saftigen Weiden und vielen Herden bekannt war (vgl. Mi 7,14 ).



Hl 4,2-3


Ihre Zähne waren weiß ( wie eine Herde frischgeschorener Schafe ) und vollkommen angeordnet ( jeder hat seinen Zwilling ). Ihre roten und schmalen Lippen waren wie eine scharlachfarbene Schnur . "Schnur" heißt wörtlich "Faden" oder "Strich", womit die vollkommene Form ihrer Lippen angedeutet wird. Ihre Zähne und ihre Lippen machten ihren Mund schön. Die Schläfen der Geliebten, worunter möglicherweise auch ihre Wangen fallen, waren rötlich und süß wie Granatäpfel.



Hl 4,4


Der Turm Davids könnte vielleicht der Turm (vgl. Neh 3,25 ) des königlichen Palastes gewesen sein. Dieser Turm könnte von David gebaut oder von ihm für militärische Zwecke gebraucht worden sein. Möglicherweise hatte ihn auch Salomo gebaut und ihm den Namen Davids gegeben. Die Sitte, Schilder an den Turm zu hängen, war ein Symbol für die Treue des Untertanen und für die Tapferkeit eines bestimmten Königs oder Landes (vgl. Hes 27,10-11 ). Die Helden meinen vielleicht eine besondere Elitetruppe Davids ( 2Sam 23,8-39 ). Wenn Salomo den Hals seiner Geliebten mit einem Turm verglich, dann betonte er damit nicht so sehr die Symmetrie oder die Schönheit ihres Halses, sondern machte vielmehr eine Aussage über ihre Person. Sie hatte eine Haltung wie eine Königin, und ihre Erscheinung war so respekteinflößend und majestätisch wie der Turm von König David.



Hl 4,5


Wenn der Bräutigam davon sprach, daß die Brüste seiner Braut wie zwei Kitze waren, dann war der Punkt seines Vergleiches hier ihre Weichheit und nicht etwa ihre Farbe oder ihre Form. Wer die weiche Decke eines kleinen Kitzes sieht, der möchte es streicheln. Salomo wollte seiner Braut mitteilen, daß ihre weiche und sanfte Schönheit sein Verlangen nach ihr entzündet hatte und daß er diesem Verlangen mit Zärtlichkeiten Ausdruck verleihen wollte.

 

Hl 4,6


An diesem Punkt wurde Salomo von dem Verlangen nach seiner Braut überwältigt und entschloß sich, ihre stille Bitte zu erfüllen (vgl. den Kommentar zu Hl 2,17 ). Die Ausdrücke die Myrrhenberge und der Weihrauchhügel beziehen sich auf die Brüste der Geliebten. Der Vergleich lag in erster Linie nicht auf der visuellen Ebene, sondern auf der Ebene ihres Handelns und ihres Wertes. Myrrhe und Weihrauch wurden zur Parfümierung des Körpers sowie auch zur Parfümierung des Schlafgemaches gebraucht, um einen Menschen und die Umgebung anziehender zu machen (vgl. Hl 3,6 ). Sie wollten sich gegenseitig bis zum Morgen ihre Liebe schenken. Myrrhe (vgl. den Kommentar zu Hl 1,13 ) und Weihrauch (ein balsamischer Gummi, der aus dem Holz von Büschen und Bäumen der Art Boswellia gewonnen wird) kamen in Palästina vor. Beides waren Luxusartikel, die zu beachtlichen Preisen eingeführt werden mußten. Ein Myrrheberg oder ein Weihrauchhügel waren also von großem Wert. So waren also für Salomo die Brüste seiner Braut anziehend und von großem Wert.

 

Hl 4,7


Salomo faßte sein Loblied auf seine Braut zusammen, indem er von ihrer vollkommenen Schönheit sprach. Sie hatte keinen Makel und kein körperliches Gebrechen. Ihre Erscheinung war vollkommen. (Später nannte er sie "meine Vollkommene", Hl 5,2 .) Salomo hatte acht Körperteile seiner Braut gepriesen: ihre Augen, ihr Haar, ihre Zähne, ihre Lippen, ihren Mund, ihre Schläfen, ihren Hals und ihre Brüste.

Wenn man dieses überschwengliche Lob der Schönheit der Geliebten betrachtet, dann mögen sich manche Ehefrauen hinsichtlich ihrer eigenen Erscheinung unbehaglich fühlen. Man muß jedoch bedenken, daß zu Beginn die Töchter Jerusalems die Geliebte nicht als schöne Frau betrachtet hatten. Im Gegensatz zu den übrigen königlichen Frauen hatte sie keinen hellen Teint, der in der Alten Welt ein hervorragendes Zeichen von Schönheit war (vgl. den Kommentar zu Hl 1,5-6 ). In den Augen ihres Liebhabers war sie jedoch schön, auch wenn sie nicht den objektiven Maßstäben für Schönheit in ihrer Gesellschaft gerecht wurde. Mit anderen Worten: Nur wenige Menschen entsprechen in jedem Zeitalter den jeweiligen Maßstäben für Schönheit in ihrer Kultur. Eine Frau ist jedoch einfach deshalb in den Augen ihres Liebhabers eine Schönheit, weil er sie liebt. Jeder Ehemann, der seine Frau wirklich liebt, kann sagen: "Für mich bist du eine Schönheit, und es ist kein Makel an dir."

Zwei weitere Punkte in Hl 4,1-7 sollten kommentiert werden. Erstens enthalten diese Verse einen Verweis auf die erste Person ("ich" in V. 6 ). Die gesamte Aufmerksamkeit des Geliebten konzentrierte sich auf seine Braut und ihre Schönheit. Der Schluß, den man daraus ziehen kann, ist folgender: Die Sexualität lenkt die Aufmerksamkeit eines Menschen von der eigenen Person weg auf den Partner hin, auf seine oder ihre Bedürfnisse und Freuden, wenn man sie in den richtigen Bahnen innerhalb der Ehe genießt. Zweitens stammten die Metaphern und Bilder, die Salomo zum Lobpreis seiner Geliebten verwendete, aus einem ländlichen Umfeld: Tauben, Ziegen, Schafe, Granatäpfel, Kitze, Gazellen, Gebirge und Hügel. Salomos Braut, die auf dem Land aufgewachsen war, verstand und schätzte diese Bilder. Der Lobpreis, der aus diesem bekannten Bereich entstammte, brachte in der Braut in der unruhigen Nacht ein Gefühl von Frieden und Sicherheit hervor, in der ihr neues Leben in einem neuen Umfeld begann. Später ( Hl 7,1-9 ), als sie sich an das Leben als Königin gewöhnt hatte, gebrauchte Salomo Bilder aus diesem Bereich (und auch weitere Bilder aus dem ländlichen Bereich), wenn er ihre Schönheit pries.



2. Die Bitte des Königs
( 4,8 )


Hl 4,8


Die Geliebte hat vielleicht im Libanon in der Nähe der in diesem Vers erwähnten Berge gewohnt. Der Amana ist der östliche Teil der Anti-Libanongebirgskette gegenüber von Damaskus, und Senir und Hermon sind zwei Gipfel im Hermongebirgszug (allerdings spricht 5Mo 3,9 von Senir als einem Synonym für Hermon). Es ist dennoch unwahrscheinlich, daß die Geliebte bei den Höhlen der Löwen oder dem Schlupfwinkel der Leoparden gewohnt hat. Die Löwen und die Leoparden können für gefährliche Orte oder Umstände stehen. Mit anderen Worten bat Salomo seine Braut, ihre Gedanken an zu Hause hinter sich zu lassen und ihre Ängste loszulassen, um sich ganz und gar auf ihn zu konzentrieren, so wie er es seinerseits getan hatte. Die Tatsache, daß Salomo sie fünfmal meine Braut nannte (V. 8-12 ), bestätigt ebenfalls, daß Kapitel 4 die Hochzeitsnacht der beiden beschreibt.



3. Der König lobpreist die Liebe seiner Braut
( 4,9-11 )


Offensichtlich kam die Braut Salomos Bitte (V. 8 ) nach und wandte ihm ihre ganze Aufmerksamkeit zu, denn in diesem Abschnitt lobpries Salomo den körperlichen Ausdruck ihrer Liebe und seine Wirkung auf ihn.



Hl 4,9


Die Worte mein Herz geraubt bedeuten, daß entweder einem Menschen der Wille oder seine Fähigkeit, klar nachzudenken, geraubt wurde. Die Wirkung der Liebe seiner Geliebten war so stark, daß ein bloßer Blick aus ihren schönen Augen (vgl.V. 1 ; Hl 1,15 ) oder der Anblick eines Schmuckstückes oder eines Kleidungsstückes, das mit ihr in Zusammenhang stand, Salomo entzückte. Fünfmal nannte Salomo sie seine Schwester ( Hl 4,9-10.12;5,1-2 ), weil im Alten Orient "Schwester" ein Kosewort für Ehefrau war.


Hl 4,10


Das Wort, das hier mit Liebe wiedergegeben wird ( dODIm ; vgl. Hl 1,2 ), wurde gebraucht, wenn es um den körperlichen Ausdruck romantischer Liebe ging. Der Vers könnte vielleicht treffender übersetzt werden: "Wie köstlich sind deine Küsse. Wieviel besser sind deine Zärtlichkeiten als Wein." Der körperliche Ausdruck der Liebe seitens der Geliebten hatte auf Salomo eine erfrischendere und berauschendere Wirkung als Wein, so wie sein Ausdruck körperlicher Zuwendung zuvor sie bewegt hatte (vgl. Hl 1,2 ). Sogar ihre Salben erhöhten den Genuß ihrer Liebe. Der Seh-, der Tast-, der Geruchssinn und das Gehör waren bei ihrer Liebe beteiligt.



Hl 4,11


Die Geliebte gab sich freiwillig und mit Freude hin. Sie war bei der Liebe in keiner Weise passiv. Ihre Küsse waren so begehrenswert wie Milch und so süß wie Honig. Milch und Honig werden hier möglicherweise miteinander genannt, um auf die Tatsache anzuspielen, daß Kanaan ein Land von Milch und Honig war (vgl. den Kommentar zu 2Mo 3,8 ). So wie das Land reiche Früchte hervorbrachte und eine Quelle des Segens und der Freude für das Volk war, so waren die Küsse der Geliebten eine Quelle der Freude für Salomo. Die Geliebte benutzte die Salben nicht nur selbst, sie betupfte auch ihre Kleidung damit. Der Libanon war wegen seiner Zedern ( 1Kö 5,13; Ps 29,5;92,13;104,16; Jes 2,13; 14,8; Hos 14,8 ) und für seine Wohlgerüche bekannt ( Hos 14,6-7 ).



4. Der König lobpreist die Reinheit seiner Braut
( 4,12-15 )


Hl 4,12


Der verschlossene Garten , die versiegelte Quelle und der verschlossene Born sprechen von der "Unzugänglichkeit". Der König lobpries offensichtlich die Jungfräulichkeit seiner Braut. Um Gärten wurden Mauern gezogen, um Eindringlinge abzuwehren (vgl. Jes 5,5; vgl. "Mauer" in Hl 2,9 ). Quellen wurden bisweilen zugedeckt und Borne mit Lehm versiegelt, um klarzumachen, daß es sich hierbei um Privatbesitz handelte. In gleicher Weise hatte sich die Braut ihr "Siegel" und damit ihre Reinheit für ihren Ehemann bewahrt.



Hl 4,13-14


Salomo dehnte den bildhaften Vergleich vom Garten aus (den er in V. 12 begonnen hatte) und teilte seiner Geliebten mit, wie sehr er ihre Reinheit schätzte. Sie war einem reichen exotischen Garten gleich, in dem seltene, wertvolle Pflanzen wuchsen. Solch ein Garten war deswegen wertvoll, anziehend und begehrenswert. Es gab darin Früchte, Blumen, Pflanzen, Bäume und Gewürze. Granatäpfel (vgl. V. 3 ) waren in biblischen Zeiten eine Delikatesse. Henna (vgl. den Kommentar zu Hl 1,14 ) ist eine Pflanze mit weißen Blüten. Narde ist eine Salbe, die aus einer in Indien beheimateten Pflanze gewonnen wird (vgl. Mk 14,3; Joh 12,3 ), und Safran ist ein Puder aus dem Stempel einer Pflanze aus der Familie der Krokusse (vgl. den Kommentar zu "Rose" in Hl 2,1 ). Bei Kalmus (wird ferner erwähnt in Jes 43,24; Jer 6,20; Hes 27,19 ) handelt es sich möglicherweise um Zuckerrohr. Weitere Salben waren Zimt aus der Rinde eines hohen Baumes, Myrrhe (vgl. den Kommentar zu Hl 1,13 ) und Aloe , eine Pflanze, die auf einer Insel des Roten (Schilf-)Meeres beheimatet war und aus dessen teilweise verfaultem Holz eine Salbe hergestellt wurde. Diese Dinge ergaben einen ungewöhnlichen Garten, der wegen seines angenehmen Geschmacks, wegen des schönen Anblickes und wegen seiner Wohlgerüche wertvoll war. In gleicher Weise maß Salomo seiner Braut um ihrer anziehenden Erscheinung willen hohen Wert bei.



Hl 4,15


Dieser Teil des bildhaften Vergleichs steht im Gegensatz zum Bild der Unzugänglichkeit der Geliebten als ein Garten und als Wasser in Vers 12 . Das Wasser ist rein und bekömmlich so wie das fließende Wasser vom Libanon herab (vgl. "Libanon" in V. 8.11 ) und ist nun Salomo zugänglich. Wenn die Braut ihre Jungfräulichkeit an ihren Ehemann verlor, war sie um dieses Tuns willen nicht weniger rein. Das Fortschreiten von einer Gartenquelle über einen Brunnen zu einem "herabfließenden Wasser" macht deutlich, daß Salomos Geliebte Salomos Verlangen nach ihr mehr als nur stillte und ihn ganz und gar befriedigte. Wie die vom Berg herabkommenden Wasser erfrischen, so erfrischte sie ihn.



5. Der Vollzug der Ehe
( 4,16-5,1 )


Hl 4,16


Die Bitte der Geliebten, daß der Wind in ihren Garten (d. h., sie selbst, vgl. V. 12.15 ) hereinwehen möge, war eine wunderschöne, poetische Einladung an ihren Geliebten, sie ganz und gar zu besitzen ( er komme hinein ). Sie hatte den Wunsch, ihm zu gehören mit all ihrem Liebreiz, der wie eine Frucht eines Baumes war (vgl. V. 13 ).


Hl 5,1


Voller Freude erklärte Salomo, daß ihre Heirat perfekt war. Er hatte sich ganz und gar an seinem Garten (vgl. V. 12.15-16 ), d. h. an seiner Braut, erfreut. Wenn er sie besaß, dann war das köstlicher, als wenn er Myrrhe in einem Garten pflückte; es war so süß, als wenn er Honig aß, so köstlich, als wenn er den besten Wein und Milch trank (vgl. Hl 4,11 ).

Manche Übersetzungen schreiben den letzten Teil des Verses eßt, Freunde, und trinkt; werdet trunken, ihr Liebhaber den "Freunden" des Paares zu. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß Freunde, Hochzeitsgäste oder irgend jemand anders beim Vollzug der Ehe im Schlafgemach des Paares anwesend waren. Eine plausiblere Annahme ist die, daß der Sprecher hier Gott selbst war. Nur ihr Schöpfer allein konnte bei diesem Geschehen zugegen sein. Weil ihre Liebe von Gott kam, war es nur angemessen, daß er sie billigte. Er lud sie ein, sich an der Sexualität in der Ehe zu erfreuen, als wenn es sich um ein Festessen handelte ("eßt ... und trinkt"). Daraus wird deutlich, daß Gott die Ehe gutheißt, die er im Garten Eden für den Menschen erdacht hatte (vgl. 1Mo 2,24 ).



IV. Die Ehe erfährt Reife
( 5,2-8,4 )


Dieser Abschnitt des Hohenliedes behandelt die Entwicklung der Ehe dieses Paares. Die Intimität, die Freude und das körperliche Verlangen ihrer Hochzeitsnacht schwand nicht dahin, so wie es in vielen Ehen geschieht. Sie pflegten ihr Leben gemeinsam, so daß die Freude, die sie in ihrer Ehe empfanden, zu- und nicht abnahm. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß sie keine Schwierigkeiten erlebten, die ihrer Beziehung hätten gefährlich werden können. Dieser Abschnitt beginnt mit dem Problem der Gleichgültigkeit und gibt ein Beispiel für eine erfolgreiche Lösung dieses ernsthaften Eheproblems.



A. Gleichgültigkeit und ihre Beseitigung
( 5,2-7,1 )


Die Gleichgültigkeit der Braut wird durch ihre Träume ( Hl 5,2-7 ) angekündigt. Dieses Problem war die Ursache für die zeitweilige Abwesenheit ihres Ehemannes und Geliebten. Sie bat die Töchter Jerusalems, ihr behilflich zu sein, ihn wiederzufinden ( Hl 5,8 ), und sie beschrieb, wie anziehend er war. Die Unterhaltung zwischen der Geliebten und den Töchtern legte die Grundlage für die Versöhnung zwischen Ehemann und Ehefrau ( Hl 6,4-7,1 ).



1. Das Problem: Die Ehefrau ist gleichgültig, und der Ehemann ist abwesend
( 5,2-8 )


Hl 5,2


In einem Traum ( Ich schlief, aber mein Herz war wach ; vgl. einen weiteren Traum, Hl 3,1-4 ) näherte sich der Ehemann seiner Frau und sagte: öffne mir (vgl. Hl 5,6 ). Die Tatsache, daß der Liebhaber sie nicht länger als "meine Braut" ansprach, macht deutlich, daß zwischen Vers 1 (die Hochzeitsnacht) und Vers 2 einige Zeit vergangen ist. Man sollte das Paar nicht länger als frischverheiratet betrachten. Er sprach seine Frau jedoch mit anderen zärtlichen Namen an: meine Schwester (vgl. den Kommentar zu Hl 4,9 ), meine Freundin (vgl. Hl 1,9.15;2,2.10.13;4,1.7;6,4 ), meine Taube und meine Vollkommene (vgl. Hl 4,7 ). An dieser Stelle gebraucht Salomo zum ersten Mal alle diese Kosenamen. Sein Kopf und sein Haar waren mit Tau bedeckt, denn er hatte sich im Freien aufgehalten. In Israel gab es häufig sehr viel Tau.


Hl 5,3-4


Sie sagte in ihrem Traum, daß sie sich bereits für das Bett fertiggemacht hätte. Aber diese banale Entschuldigung dafür, daß sie nicht die Tür öffnete, offenbarte ihre Gleichgültigkeit oder Apathie ihrem Ehemann gegenüber. Sie war auf irgendeine Weise gegen sein Entgegenkommen kühl geworden. Er aber akzeptierte ihre Entschuldigung nicht. Er versuchte, die Tür zu öffnen. Es gelang ihm jedoch nicht, und er ging fort. Daraufhin kam ihr Mitleid hoch, und sie entschied sich dafür, die Tür zu öffnen. Der hebräische Ausdruck, der mit mein Herz begann für ihn zu schlagen übersetzt wird, wird auch an anderer Stelle gebraucht, um Mitleid oder Mitgefühl auszudrücken (z. B. Jes 16,11; Jer 31,20 ). Es ist kein Ausdruck, der das aufkommende sexuelle Verlangen beschreibt, wie einige Ausleger behauptet haben.

 

Hl 5,5-7


Als die Geliebte in ihrem Traum zur Tür ging, um sie für ihren Mann ( meinen Geliebten ; dieser Ausdruck wird in den V. 2.4-6.8 sechsmal gebraucht) zu öffnen, fand sie Myrrhe auf den Türklinken vor und bekam etwas davon an die Hände. Myrrhe wurde bisweilen mit der körperlichen Liebe in Zusammenhang gebracht ( Spr 7,17; Hl 4,6;5,13 ). Vielleicht hatte ihr Geliebter als ein Zeichen seiner Zuneigung zu seiner Geliebten flüssige Myrrhe auf die Türklinken geschmiert. Er hatte mehr gesucht als nur Befreiung von dem durch die Nachtluft ausgelösten Unbehagen.

Aber die Geliebte hatte zu spät geantwortet (V. 6-7 ). Als sie aufstand, um nach ihm zu sehen, fanden sie die Wächter der Stadt und schlugen sie. In ihrem ersten Traum hatte ihr der Wächter bei der Suche nach ihrem Geliebten geholfen ( Hl 3,3 ), aber dieses Mal hielt er sie fälschlicherweise für einen Verbrecher. In ihrem Traum könnte dieses Vergehen der Wächter ein Anzeichen dafür sein, daß sie für die Trennung von ihrem Geliebten zu verurteilen war. Wichtiger als das ist jedoch, daß der Traum ein Symbol für den Trennungsschmerz war, der durch ihren Egoismus herbeigeführt worden war. Der Traum stellte in dramatischer Weise dar, wie sehr sie für ihr Wohlbefinden und ihren Schutz ihren Geliebten nötig hatte.


Hl 5,8


Die Geliebte bat die Töchter (vgl. den Kommentar zu Hl 1,5 ), ihr bei der Suche ihres Geliebten zu helfen. Die Botschaft, die sie ihm übermitteln sollten, lautete: Ich bin krank vor Liebe . Damit meinte sie, daß sie sich nun eine Umarmung wünschte (vgl. Hl 2,5-6 ). Sie hatte sich ihm gegenüber zwar gleichgültig verhalten ( Hl 5,2-3 ), aber ihre Haltung hatte sich gewandelt, so daß sie sich nun um ihn Sorgen machte.

 

2. Die Attraktivität des Liebhabers
( 5,9-16 )


Hl 5,9


Die Töchter (V. 8 ) fragten die Geliebte, was denn an ihrem Liebhaber so Besonderes sei, daß sie ihr bei der Suche nach ihm helfen sollten. Diese Frage gab ihr die Gelegenheit, ihren Ehemann zu preisen, was dazu beitrug, daß ihre frühere Liebe zu ihm wieder entflammte.



Hl 5,10-16


Die Haut des Geliebten war rötlich, und sein Charakter war hervorragend. Die bildhaften Vergleiche in den Versen 11-15 sollte man zum größten Teil nicht als visuelle Vergleiche verstehen. Sie bezeichnen den Wert und die Anziehungskraft des Ehemannes. So hatte zum Beispiel sein Haupt nicht die Farbe des Goldes (V. 11 ), sondern war so wertvoll wie Gold. ( Sein Haar war gewellt und dunke l; vgl. seine Beschreibung ihres Haares in Hl 4,1 .) Seine Augen hatten nicht die Gestalt von Tauben ( Hl 5,12 ), sondern sie waren so friedlich und so sanft wie Tauben (vgl. seine ganz ähnliche Beschreibung ihrer Augen in Hl 1,15;4,1 ). Graue oder schwarze Tauben, in Milch gebadet , geben das Bild für die dunklen Pupillen seiner Augen ab, durch die das Weiß seiner Augen hervorgehoben wird. Seine Wangen waren wunderbar und begehrenswert wie Gewürze oder Salben. Seine Lippen waren weich und schön wie die Lilien, von denen Myrrhe zur Erzeugung zusätzlichen Wohlgeruches herabfloß ( Hl 5,13; vgl. V. 5 ). Seine Arme (wörtl. "seine Hände") waren so anziehend und so wertvoll wie Gold (wie sein Haupt, V. 11 , und seine Beine, V. 15 ). Sein Leib (wörtl. "sein Bauch") war so edel wie Elfenbein und Saphire (V. 14 ). Die Erwähnung des Elfenbeins kann sich auch auf die harte Muskulatur seines Bauches beziehen. Seine Beine waren stark, edel und wertvoll wie Marmor und Gold (vgl. V. 11.14 ). Seine gesamte Erscheinung war atemberaubend; er war so groß wie die beeindruckenden Zedern des Libanon (V. 15 ; vgl. Am 2,9 ). Sein Mund (Rede und Küsse) war im höchsten Maße begehrenswert. Er war in jeder Beziehung schön ( Hl 5,16 ).

 

3. Der Liebhaber in seinem Garten
( 6,1-3 )


Hl 6,1-3


Der Anlaß für die Trennung des Ehepaares (die Gleichgültigkeit der Geliebten) war nun vorüber, wie aus ihrem Lobpreis ihres Liebhabers ( Hl 5,10-16 ) deutlich wird. Sie waren aber zu diesem Zeitpunkt trotzdem noch getrennt. So berührte die Frage der Töchter ( Hl 5,8 ) hinsichtlich seines Aufenthaltsortes ( Hl 6,1 ) das Problem ihres Getrenntseins. Die Töchter hatten von seiner schönen Erscheinung gehört und waren nun darauf bedacht, bei der Suche nach ihm behilflich zu sein. Wohin ist er gegangen? Das wollten sie wissen.

Sie antwortete, daß er sich in seinem Garten befand, wo Gewürze und Lilien wuchsen ( Hl 6,2 ). Daraus wird deutlich, daß ihr Getrenntsein sich mehr auf den seelischen als auf den räumlichen Bereich erstreckte, denn die Geliebte hatte offensichtlich immer gewußt, wo sich ihr Liebhaber aufgehalten hatte. Ihre Aussage über das gegenseitige Besitzen ( ich gehöre meinem Geliebten, und mein Geliebter gehört mir , V. ( 3 ) ist die Umkehrung ihrer früheren leidenschaftlichen Erklärung ( Hl 2,16 a; vgl. Hl 7,11 ). Daraus wird deutlich, daß die gefühlsmäßige Distanz von ihrer Seite her überwunden war und daß sie darauf vertraute, daß sie auch von seiner Seite her überwunden war. Das einzige, das noch zu einer vollständigen Versöhnung fehlte, war eine Entschuldigung oder die Annahme der Entschuldigung seitens des Liebhabers. Er weidet seine Herde (vgl. Hl 2,16 b).



4. Die Versöhnung: Der Liebhaber preist seine Geliebte
( 6,4-7,1 )


Hl 6,4-10


Bei ihrer Versöhnung waren die ersten Worte des Liebhabers an die Geliebte Worte des Lobpreises. Sie war so schön wie Tirza, eine schöne Stadt, die später die Hauptstadt der vier Könige des nördlichen Königreiches wurde: Bascha, Ela, Simri und Omri ( 1Kö 15,21.33;16,8.15.23 ). Die Geliebte war auch so schön wie Jerusalem, eine Stadt, die "die Vollendung der Schönheit" genannt wurde ( Kl 2,15 ). Die Schönheit der Geliebten war so furchteinflößend, daß er den Mut verlor, als wenn er sich einer Armee mit Fahnen gegenübersähe. Ihre Augen waren so betäubend schön (vgl. Hl 1,15;4,1 ), daß er davon überwältigt wurde. Er wiederholte einen Teil des Lobpreises, den er in ihrer Hochzeitsnacht ( Hl 4,1-3 ) ausgesprochen hatte, und sagte ihr damit auf indirektem Wege, daß seine Liebe zu ihr seit dieser ersten Nacht nicht geringer geworden war. (Zur Bedeutung der bildhaften Vergleiche ihres Haares, ihrer Zähne und ihrer Schläfen in Hl 6,5-7 vgl. den Kommentar zu Hl 4,1-3 .) Tatsächlich hatten seine Liebe und seine Wertschätzung für seine Frau seit jener Zeit zugenommen. Er versicherte ihr, daß sie absolut einzigartig war ( Hl 6,8-9 a) wie seine Taube (vgl. Hl 5,2 ), eine Meinung, die auch ihre Mutter teilte ( Hl 6,9 b) und auch die Töchter, Königinnen und Nebenfrauen (V. ( 9 c). Die Frauen sahen, daß die Ehefrau und der Ehemann wieder miteinander versöhnt waren und staunten über ihre Schönheit. Sie priesen sie (V. ( 9 ), so sagte er, indem sie feststellten, daß sie so schön war wie die Morgenröte, der Mond, die Sonne und die Sterne.



Hl 6,11-7,1


Diese Verse erzählen von der Versöhnung des Paares aus der Sicht der Geliebten. Sie wußte, daß er "in seinen Garten hinabgegangen war" (V. ( 2 ). So ging sie also auch dorthin, um zu sehen, ob ihre Liebe noch blühte (V. ( 11 ). So wie ein Mensch im Frühling nach den neuen Trieben Ausschau hielt, nach Knospen am Weinstock und nach Granatapfelblüten, so hielt sie nach neuen Anzeichen ihrer Liebe Ausschau. Als sie ihn fand, waren seine ersten Worte Worte des Lobpreises (V. ( 4-10 ), woraus hervorging, daß ihre Liebe tatsächlich am Blühen war.

Was die Auslegung betrifft, so ist einer der schwierigsten Verse in der Bibel der Vers ( 12 . Das Hebräische kann auf verschiedene Weisen übersetzt werden. Eine Übersetzung, die sich empfiehlt, ist die folgende: "Ich war entzückt, denn du setztest mich auf die Wagen der Leute des Fürsten."

Weil die ersten Worte ihres Ehemannes ein Loblied auf seine Frau waren, geriet sie in "Entzücken"; sie war außer sich vor Freude. Dann setzte er sie an die Spitze seiner Begleiter auf seinen eigenen Wagen. Als sie abfuhren, baten die Bewohner sie, doch noch zu bleiben ( komm zurück - das wird in V. ( 13 viermal gesagt), und der Liebhaber bemerkte, wie sehr sie sich wünschten, einen Blick auf Sulamith zu erhaschen. Das hebr. Wort, das hier mit "Sulamith" wiedergegeben wird, ist eigentlich die weibliche Form des Namens Salomo. Es bedeutet also die "Salomonin". Sie und ihre Schönheit wurden bestaunt, so sagte Salomo, als ob die Menschen sich einen Reigen anschauten. Die Stadt Mahanajim steht hier mit dem Tanz in Beziehung, obwohl der Bezugspunkt nicht ganz deutlich wird. Mahanajim lag östlich des Jordan und war der Ort, an dem David vor Absalom floh ( 2Sam 17,24 ).



B. Lobpreis der Geliebten und ihrer Liebe
( 7,2-11 )


Dieser Abschnitt beschreibt, wie die Ehe des Paares reift. Dieses Wachsen ihrer Liebe wird auf zwei verschiedene Weisen offenbar. Erstens sind die Bilder in diesen Versen viel kühner und enthüllen eine größere Intimität als die Bilder, die der Geliebte in der Hochzeitsnacht gebrauchte ( Hl 4,1-11 ). Solch zunehmende sexuelle Freiheit ist ein normaler Bestandteil einer gesunden, reifenden Ehe. Zweitens spricht auch der Refrain als ein gewisser Höhepunkt in Hl 7,11 von dieser Reife.



1. Die Anmut der Geliebten
( 7,2-7 )


Hl 7,2


Die Füße der Geliebten waren schön, sagte ihr Liebhaber, und die Form ihrer Hüften erinnerten Salomo an das kostbare Werk eines Künstlers.



Hl 7,3


Der Vergleich des Nabels der Geliebten mit einem gerundeten Weinkelch wäre grotesk, wenn man diesen Vergleich wörtlich nähme. Der Liebhaber meinte damit, daß ihr Körper so begehrenswert und so berauschend war wie Wein (vgl. Hl 4,10 ). In gleicher Weise wäre der Vergleich ihres Leibes mit einem Weizenhaufen absurd, wenn man diesen Vers wörtlich auslegte. Weizen war im damaligen Palästina ein Hauptbestandteil der Nahrung ( 5Mo 32,14; 2Sam 4,6; 17,28 ). So war ihm seine Frau also sowohl seine "Nahrung" (Weizen) als auch sein "Getränk" (Wein) in dem Sinne, daß der körperliche Ausdruck ihrer Liebe ihn nährte und sättigte.



Hl 7,4-5


Zum Vergleich ihrer Brüste mit Kitzen vgl. den Kommentar zu Hl 4,5 .Ihr Hals war schön und kostbar wie ein Elfenbeinturm (vgl. Hl 4,4 ). Ihre Augen waren schön, und ihre Wirkung auf ihn war so erfrischend wie die Teiche von Heschbon, einer moabitischen Stadt ( 4Mo 21,25 ), die für ihre Fruchtbarkeit und ihre Wasservorräte bekannt war. "Der weiche Glanz ihrer Augen spiegelt den Frieden und die Schönheit der Teiche von Heschbon wider" (Lehrman, "The Song of Songs", S. 26). Diese Teiche befanden sich in der Nähe der Stadttore von Bat-Rabbim . Wo Bat-Rabbim lag, wissen wir nicht. Möglicherweise war Bat-Rabbim der Name des Tores. Die wohlgeformte Nase der Geliebten war wie der Turm auf dem Libanon nach Damaskus hin . Dieser mächtige Turm diente der Verteidigung von Damaskus, und in gleicher Weise spiegelte ihr Äußeres ihren Charakter wider.



Hl 7,6


Salomo verglich ihr Haupt mit dem Berg Karmel und meinte damit, daß sie eine majestätische, ehrfurchtgebietende Haltung besaß. (Über die Majestät des Karmel vgl. Jes 35,2; Jer 46,18 .) Das Haar (vgl. Hl 4,1;6,5 ) der Geliebten war so schön, daß der mächtige Salomo von seiner Schönheit ganz gefangengenommen war.



Hl 7,7


Der Liebhaber schloß den Lobpreis der Anmut seiner Geliebten und gab eine zusammenfassende Erklärung über ihre vollkommene Schönheit ab, indem er sie Liebe nannte.



2. Das Verlangen des Liebhabers
( 7,8-10 )


Hl 7,8-10 a


Mit dem Rest seiner Rede verglich der Liebhaber die Gestalt seiner Frau mit der stattlichen Palme und ihre Brüste mit ihren Dattelrispen. Er sprach auch von seinem Verlangen nach ihren Brüsten , die er mit den köstlichen und wohlschmeckenden Trauben verglich. Er wollte die süße, berauschende Frucht ihrer Liebe genießen. Sogar ihr Atem war süß wie Apfelduft, und die Küsse ihres Mundes waren süß wie Wein (vgl. Hl 4,10 ).



Hl 7,10 b


Die Geliebte gebrauchte wiederum dasselbe Bild vom Wein (vgl. V. 10 a), um ihrem Wunsch Ausdruck zu verleihen, das Verlangen ihres Mannes nach ihr zu sättigen. Der rasche Wechsel der Sprecher (die Geliebte wird nicht erst eingeführt wie der Sprecher in V. 10 b) spiegelte ihre Gefühlsregung wider, die sie beim Küssen und Geküßtwerden und bei den Liebkosungen empfand.



3. Der Refrain: Die Geliebte und der Liebhaber besitzen einander
( 7,11 )


Hl 7,11


Der Refrain, der davon spricht, daß die Geliebte und der Liebhaber einander gehören, ist uns bereits aus Hl 2,16 und Hl 6,3 bekannt. An dieser Stelle wird allerdings der Satz mein Geliebter "ist mein" durch den Satz sein Verlangen ist nach mir ersetzt. Damit wird noch mehr betont, daß die beiden einander gehören. Sie hatte sich in dem sicheren Bereich seiner Liebe so entfaltet, daß sie nun sagen konnte, daß sein einziges Verlangen nach ihr war. Sie war von seiner Liebe zu ihr so eingenommen, daß sie an dieser Stelle noch nicht einmal erwähnte, daß er ja auch ihr gehörte.


C. Eine Einladung der Geliebten
( 7,12-14 )


Hl 7,12-14


In der vorhergehenden Einheit (V. 2-11 ) hatte der Ehemann die Initiative bei der Liebe ergriffen; in dieser Einheit (V. 12-14 ) ergriff die Ehefrau die Initiative. Dies ist das erste Mal im Hohenlied, daß die Geliebte so direkt und unzweideutig ihren Wunsch nach körperlicher Liebe zum Ausdruck brachte. Zuvor hatte sie ihr Verlangen in der dritten Person ausgedrückt (z. B. Hl 1,2 a; Hl 2,6 ). Nun war sie in der Liebe ihres Ehemannes sicherer geworden und nahm sich die Freiheit, ihn zur Liebe aufzufordern. So bat sie ihn, auf das Feld hinauszugehen, wo sie die Nacht miteinander verbringen konnten.

Der Frühling ist ein Symbol für die Liebe. Die Geliebte gebrauchte das Bild des Frühlings, um die Frage zu stellen, ob ihre Beziehung noch immer so lebendig war wie zu Beginn (vgl. Hl 2,10-13 ). Die Antwort, die sie selbst gab, bejahte ihre Frage. Die Zeichen des Frühlings waren knospende Weinstöcke , blühende Granatapfelbäume und duftende Alraunen (Liebesäpfel). Alraunen sind Pflanzen, die etwa dieselbe Größe wie Äpfel haben. Sie sind rot und wurden für ein Aphrodisiakum gehalten (vgl. 1Mo 30,14-16 ).



D. Das Verlangen der Geliebten nach größerer Intimität
( 8,1-4 )


In diesen Versen offenbarte die Geliebte den stärker werdenden Wunsch nach größerer Intimität mit ihrem Ehemann und Geliebten und erfreute sich an ihrer Beziehung, die so viele verschiedene Aspekte aufwies.



Hl 8,1


Im Alten Orient wurden öffentlich ausgetauschte Zärtlichkeiten mit Mißbilligung betrachtet, es sei denn, es handelte sich um bestimmte Familienmitglieder. Daher wünschte sich die Geliebte, daß ihr Mann ihr wie ein Bruder war , so daß sie zu jeder Zeit ihre Zuneigung zu ihm öffentlich zeigen konnte.


Hl 8,2-4


Die Geliebte schlüpfte zum Spaß in die Rolle einer älteren Schwester ( ich wollte dich führen - das Verb nAhag wird stets dann gebraucht, wenn ein Höherstehender einen unter ihm Stehenden führt) und sogar in die Rolle der Mutter. Die Frau des Hauses würde den Gästen ganz besonders guten Wein anbieten. So sprach die Geliebte hier von den Handlungsweisen einer Schwester, einer älteren Schwester und einer Mutter in Beziehung zu ihrem Ehemann. Das Hohelied beschreibt die Liebenden auch als Freunde (vgl. Hl 5,1.16 ). So erfreuten sich die Liebenden an ihrer Beziehung, die so viele verschiedene Aspekte aufwies.

Als seine Frau wünschte sich die Geliebte von ihrem Mann Zärtlichkeiten. Der hebr. Wortlaut in Hl 8,3 könnte übersetzt werden mit "Möge sein linker Arm unter meinem Haupte sein, und möge sein rechter Arm mich umfassen " (vgl. Hl 2,6 ). Aber noch einmal ermahnte sie die Töchter Jerusalems (vgl. den Kommentar zu Hl 3,5 ), die Liebe nicht aufzuwecken, bevor es ihr gefällt (vgl. Hl 2,7;3,5 ).



V. Schluß: Das Wesen und die Macht der Liebe
( 8,5-7 )


Dieser Abschnitt faßt die Botschaft des Hohenliedes mit einem doppeldeutigen Bild von der Liebe (V. 5 ) und einer darauffolgenden Erklärung (V. 6-7 ) zusammen.



A. Ein Bild für die Liebe
( 8,5 )


Hl 8,5


Auf die Frage Wer kommt aus der Wüste herauf und lehnt sich an ihren Geliebten? wird keine Antwort gegeben, denn das ist nicht erforderlich. (In 3,6 wurde die Frage vom Bräutigam gestellt: "Wer kommt aus der Wüste herauf?") Es wird hier ein abschließendes Bild des Paares im Hohenlied gezeichnet. Die Wildnis der Wüste war im AT mit zwei symbolischen Assoziationen verbunden. Erstens brachte man die Wildnis mit den 40 Jahren der Wanderung und Prüfung des Volkes Israel in Verbindung. In ihrer Liebe hatte das Paar Prüfungen bestanden, die ihre Beziehung bedroht hatten (z. B. die Unsicherheit der Geliebten, Hl 1,5-6; die Füchse, Hl 2,15 ,und die Gleichgültigkeit der Geliebten 5,2-7 ). Zweitens wurde die Wüste oder die Öde als Bild für Gottes Fluch gebraucht (vgl. Jer 22,6; Joe 2,3 ). Wenn nun das Paar aus der Wüste heraufkam, so bedeutete das in gewissem Sinne, daß es den Fluch der Zwietracht, der über Adam und Eva ausgesprochen worden war, überwunden hatte ( 1Mo 3,16 b; vgl. den Kommentar an dieser Stelle).

Das Bild der Wüste in Hl 8,5 a leitet über zu dem Bild des Apfelbaumes in Vers 5 b, von dem die Geliebte spricht. Der Apfelbaum galt in der Alten Welt bisweilen auch als Symbol für Liebe und Romantik. Das Bild erinnert an dieser Stelle an den Beginn ihrer Liebe. Die Geliebte weckte ihren Liebhaber für die Liebe auf. Dieses "Aufwecken" ist eine Metapher für neues Leben oder für einen neuen Weg, Leben zu bekommen, den ihre Liebe ihm eröffnet hatte. Der Liebhaber war das Ergebnis der Liebe seiner Eltern und war durch seine Geburt auf die Welt gekommen, aber nun hatte er durch die Liebe seiner Geliebten noch eine zweite "Geburt" oder ein "Aufwecken" erlebt.



B. Eine Erklärung der Liebe
( 8,6-7 )


Diese Verse kann man in drei Teile zerlegen: eine Bitte der Geliebten (V. 6 a), eine Erklärung über die Macht der Liebe (V. 6 b. 7 a) und eine abschließende praktische Anwendung (V. 7 b).



Hl 8,6 a


Zur Zeit des AT wurden Siegel gebraucht, um Besitzverhältnisse, insbesondere bei Wertgegenständen, eindeutig zu klären. Nun bat die Geliebte darum, der wertvollste Besitz des Liebhabers sein zu dürfen, ein Besitz, der seine Gedanken ( auf dein Herz ) und sein Handeln ( auf deinen Arm ) beeinflußte. Solch eine Bitte erforderte eine Erklärung, die die Geliebte in Vers 6 b. 7 a abgab.



Hl 8,6.7 (Hl 8,6b.7a)


Diese Verse fassen das Wesen und die Macht der Liebe zusammen, die im Hohenlied dargestellt wird. Sie ist so umfassend, und man kann ihr so wenig widerstehen wie dem Tod, so ausschließlich und besitzergreifend (man ist aufrichtig um den bemüht, den man liebt) wie das Grab , leidenschaftlich (wie Feuergluten ) und unbesiegbar und beharrlich wie viele Wasser und Flüsse. Ja, das ist wahr, denn der Schöpfer, der alle Macht in Händen hält, schenkt die Liebe. Die Worte wie eine mächtige Flamme heißen wörtlich "wie die Feuerflamme des Herrn". So wird also der Herr als die Quelle der mächtigen Liebe dargestellt.



Hl 8,7 b


Die abschließende Feststellung über die Liebe, die im Hohenlied beschrieben wird, ist folgende: sie ist von unschätzbarem Wert. Der ganze Besitz eines Menschen würde zu dieser Liebe keinen Gegenwert darstellen. Tatsächlich würde dieses Geld verschmäht werden, denn Liebe kann man nicht kaufen. Jeder Versuch, die Liebe zu "kaufen", entpersönlicht sie.

Wenn die Liebe von unschätzbarem Wert ist, wie kann man sie dann erlangen? Die Antwort lautet: Liebe muß man geschenkt bekommen. Und letztendlich ist Liebe eine Gabe Gottes. Das Nachwort macht deutlich, wie die Geliebte diese unbezahlbare Gabe der Liebe erhalten hatte.

 

VI. Nachwort: Wie die Liebe ihren Anfang nahm
( 8,8-14 )


Verse 8-12 blenden noch einmal zurück und geben eine Erklärung ab über (a) den Schutz der Geliebten durch ihre älteren Brüder, als sie noch jung war, und (b) ihre anfänglichen Treffen mit Salomo. Das Hohelied schließt mit den Versen 13-14 mit Aussagen, aus denen klar hervorgeht, daß die Liebe des Paares nichts von ihrer Intensität eingebüßt hatte.



Hl 8,8-9


Die Geliebte war in einem Haus aufgewachsen, in dem ihre älteren Brüder sich manche Gedanken über die Vorbereitung ihrer Schwester auf die Ehe gemacht hatten. Wenn sie einen guten Charakter hatte und der Versuchung widerstand ( wenn sie eine Mauer ist ), dann wollten sie ihr ein großes Maß an Freiheit zubilligen und sie belohnen. Den Ausdruck silberne Zinnen könnte man übersetzen mit "ein Türmchen aus Silber", womit entweder ein schöner, wertvoller Kopfschmuck gemeint ist, oder aber es wird hier in einem Bild gesprochen, nach dem die Menschen die Geliebte bewundern, wie man Verteidigungstürme aus Silber bewundert. Wenn sie jedoch leichtsinnig war und sich unmoralisch verhielt (wenn sie jedoch offen ist wie eine Tür), dann wollten sie ihre Freiheit beschneiden (bildhaft gesprochen, wollten sie mit Zedernbalken verschließen, so wie man eine Tür mit Bohlen verbarrikadiert).



Hl 8,10


Das Zeugnis der Geliebten über sich selbst ist folgendes: sie war rein ( ich bin eine Mauer ). Deshalb brauchte man ihr nicht die Einschränkungen aufzuerlegen, die ihre Brüder genannt hatten. Sie war erwachsen geworden und hatte ihre körperliche Reife erlangt. Sie hatte sich für ihren Ehemann rein erhalten, und das hatte ihm (Salomo) Zufriedenheit oder Frieden verschafft. Das hebräische Wort für Zufriedenheit ( SAlNm ) ist ein Wortspiel, denn es klingt ganz ähnlich wie Salomo ( S+lOmOh ).

 

Hl 8,11-12


Offensichtlich hatten sich die beiden zuerst in einem Weinberg getroffen, den Salomo den Brüdern der Geliebten verpachtet hatte. (Wir wissen nicht, wo genau sich Baal-Hamon befand.) Jeder Pächter sollte so viele Trauben ziehen, daß er daraus 1000 Schekel (etwa 11 kg) Silber für den Besitzer des Landes gewinnen konnte. Und jeder Pächter erhielt 200 Schekel (etwa 2,5 kg) Silber als Lohn. Wie zu Beginn des Buches erwähnt wurde ( Hl 1,6 ), arbeitete die Geliebte im Weinberg und unterstand ihren Brüdern. Dort traf sie Salomo, und er verliebte sich in sie. Der Ausdruck mein eigener Weinberg ist eine Metapher für die Geliebte (vgl. Hl 1,6 ). Nur sie konnte sich einem anderen schenken (sie sagte, daß nur sie ihren eigenen Weinberg weggeben konnte), und sie hatte sich dafür entschieden, sich Salomo zu schenken. Sogar ihr Besitz (einschließlich ihres Einkommens von 1000 Schekeln Silber) gehörte nun ihm.



Hl 8,13-14


Diese Worte der beiden Liebenden erinnern an die früheren leidenschaftlichen Bitten aus den Tagen ihrer Werbung, woraus deutlich wird, daß ihre Liebe nichts von ihrer Intensität eingebüßt hatte. Er sagte zu ihr: laß mich deine Stimme hören (vgl. Hl 2,14 ), und sie bat darum, daß er (den sie wiederum meinen Geliebten nannte) wie eine Gazelle oder wie ein junger Hirsch sein möge (vgl. Hl 2,17; vgl. auch Hl 2,9 ). Während der Zeit der Werbung hatte sie sich danach gesehnt, daß er sie als Braut nahm (vgl. den Kommentar zu Hl 2,17 ). Nun sehnte sie sich in ihrer Ehe mit derselben Intensität nach seiner Stärke und Lebenskraft. Wie die "Hügel" in Hl 2,17 ,so mögen sich die Berge in Hl 8,14 auch auf ihre Brüste beziehen. Der Ausdruck Balsamberg deutet an, daß von beiden ein Wohlgeruch ausging (vgl. den Kommentar zu einigen der in Hl 4,13-14 erwähnten Gewürze und Wohlgerüche).

Das Hohelied ist ein wunderschönes Bild dafür, daß Gott zu der körperlichen Liebe zwischen Ehemann und Ehefrau ganz ja sagt. Die Ehe soll eine auf einen Partner beschränkte, beständige, hingebungsvolle Einheit sein, in der ein Partner sich dem anderen hingeben und sich für ihn opfern und sich am anderen erfreuen sollte. "Deshalb wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und die beiden werden ein Fleisch sein" ( 1Mo 2,24 ).

Das Hohelied macht deutlich, daß Sexualität innerhalb einer Ehe nichts "Schmutziges" ist. Die körperliche Anziehungskraft eines Mannes und einer Frau auf den Partner und die Erfüllung der Sehnsüchte in der Ehe sind natürlich und ehrenhaft. Aber das Buch möchte mehr aussagen, als nur die körperliche Anziehung zwischen den Geschlechtern herausstellen. Es hebt auch die guten Eigenschaften in der Persönlichkeit der Liebenden positiv heraus. Auch die sittliche Reinheit vor der Ehe wird gelobt (z. B. Hl 4,12 ). Für Sexualität vor der Ehe ist in Gottes Plan kein Raum ( Hl 2,7; 3,5 ). Treue vor und nach der Eheschließung wird von beiden erwartet und wird gelobt ( Hl 6,3;7,11;8,12 ). Diese Treue in der ehelichen Liebe ist ein wunderschönes Bild für Gottes Liebe zu den Menschen und seiner Hingabe für sie.



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