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Stephanus getötet

Apostelgeschichte

Apg 6,15

Alle, die im Rat saßen - d. h. alle 71 Mitglieder - blickten auf Stephanus und warteten auf seine Antwort. Sie sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht - offensichtlich wurde er verklärt (vgl. das Gesicht von Mose, 2Mo 34,29.35 ).
Apg 7,1
Der Hohepriester , der diesen Prozeß leitete, war wahrscheinlich Kaiphas - derselbe, der auch bei den Gerichtsverhandlungen gegen Jesus den Vorsitz gehabt hatte ( Mt 26,57; Mk 14,54; Lk 22,54; Joh 18,13.24; vgl. den Kommentar zu Apg 4,5-6 ).

2. Die Rede des Stephanus
( 7,2 - 53 )

Apg 7,2-53

Die Rede des Stephanus ist die längste Rede in der Apostelgeschichte - ein Beweis für die Bedeutung, die Lukas ihr beimaß. Durch sein Leben und seine Worte bereitete Stephanus, ein griechischer Jude, den Weg für die Verkündigung des Evangeliums außerhalb der Grenzen des Judentums.
Welche seiner Aussagen führte zu seinem Tod? Er streifte die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben worden waren, zwar kurz, hielt jedoch keine offizielle Verteidigungsrede für sich selbst. Statt dessen lieferte er ihnen eine Apologie des Christentums auf der Grundlage von Schriftbeweisen.

Drei rote Fäden ziehen sich durch seine Rede:

1. Zu Gottes Plan gehören Fortschritt und Veränderungen . Gott ist in seinem Umgang mit den Menschen, insbesondere mit Israel, kreativ und innovativ. Stephanus entwickelt diesen Gedanken in fünf Schritten:

(a) Die Verheißung an Abraham (V. 2 - 8 ). Aus allen Menschen erwählte der Herr nach seinem Willen Abraham , den Stammvater der Juden, führte ihn aus Mesopotamien in das gelobte Land und gab ihm zwölf Söhne, die die Ahnherren der zwölf Stämme Israels wurden.
(b) Josefs Aufenthalt in Ägypten (V. 9 - 16 ). Die Reise nach Ägypten war die Erfüllung der Verheißung Gottes, die in Vers 6 - 7 angesprochen ist. Sie bedeutete eine radikale Veränderung für die Nachkommen Jakobs.
(c) Die Befreiung durch Mose (V. 17 - 43 ). Der Hauptteil der Rede galt Mose und der Flucht aus Ägypten, einem weiteren entscheidenden Abschnitt in der Geschichte Israels.
(d) Der Bau der Stiftshütte (V. 44 - 46 ). Der Bau einer tragbaren Stiftshütte implizierte, daß diese Hütte nicht als dauerhafte Einrichtung dienen sollte. (Die Stiftshütte war ein Zeichen für die Gegenwart Gottes unter den Israeliten.)
(e) Der Bau des Tempels (V. 47 - 50 ). Auch der Tempel war nur ein Symbol für die Anwesenheit Gottes; Gott wohnte nicht wirklich darin.

In Gottes Handeln mit dem Volk Israel von Abraham bis Salomo gab es immer wieder Neuerungen und Veränderungen.
Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand:
Wenn Gott im Laufe der Geschichte Israels so viele Dinge änderte, warum sollten dann das Gesetz und der Tempel ewig sein?

2. Gottes Segnungen sind nicht auf das Land Israel und den Tempel beschränkt .
Manche der wichtigsten Privilegien Israels waren dem Volk außerhalb des Tempels und sogar außerhalb seines Landes verliehen worden.

Stephanus nannte vier Beispiele:


(a) Die Patriarchen und Führer Israels waren außerhalb des Landes gesegnet worden.
Abraham war in Mesopotamien berufen worden, und seine Verheißungen wurden ihm zuteil, noch ehe er in Haran wohnte (V. 2 - 5 ).
Josef fand in Ägypten Gnade vor dem Pharao, weil Gott mit ihm war (V. 9 - 10 ). Mose erhielt seinen Auftrag in Midian (Nordarabien) (V. 29 - 34 ).

Als Beweis dafür, daß Mose in Midian gesegnet wurde, wies Stephanus ausdrücklich darauf hin, daß ihm dort zwei Söhne geboren wurden.

(b) Selbst das 
Gesetz erhielten die Israeliten außerhalb ihres gelobten Landes: Mose traf die Väter in der Wüste (V. 38 ).
(c) Auch die Stiftshütte wurde in der Wüste gebaut und war bei ihnen in der Wüste (V. 44 ). Die Juden brachten sie mit Josua in das Land , das sie eroberten (V. 45 ).
(d) Ja sogar der Symbolgehalt des Tempels war, obwohl er sich im Land befand, nicht auf die Region Palästinas beschränkt. Wie konnte er das Haus Gottes sein, wenn doch die Schrift sagt: "Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße" (V. 49 ; Jes 66,1 )?

3. Israel zeigte in der Vergangenheit stets Widerstand gegen die Pläne und die Männer Gottes .
Mit dieser Aussage erreicht die Aussage des Stephanus gewissermaßen ihren Höhepunkt ( Apg 7,51-53 ): "Ihr seid wie eure Väter, ihr widerstrebt allezeit dem Heiligen Geist!" Davon war schon in der ganzen Predigt die Rede:

(a) Statt direkt von Mesopotamien in das gelobte Land zu gehen, blieb Abraham zunächst in Haran (V. 2 - 4 ).

(b) Josef wurde von seinen Brüdern in die Sklaverei nach Ägypten verkauft (V. 9 ).
(c) Die Israeliten lehnten Mose ab (V. 23 - 29 ). Daß sowohl Josef als auch Mose erst bei ihrem zweiten Auftreten akzeptiert wurden, ist höchst bedeutsam (V. 13.35-36 ). Die Parallele zu Christus kann Stephanus' Zuhörern nicht entgangen sein.
(d) Israel kehrte sich vom rechten Gottesdienst ab und wandte sich Götzen zu (V. 39 - 43 ). Im Götzendienst, der bei den Juden des apostolischen Zeitalters den größten Abscheu erregte, zeigte sich der Ungehorsam des Volkes am stärksten. Gott richtete das Volk denn auch, indem er es ins Exil nach Babylon sandte (V. 43 ).
(e) Israel hatte die Bedeutung des Tempels falsch verstanden (V. 48 - 50 ).

Stephanus' eindeutige und klare Aussage (V. 48 ) impliziert, daß die Juden den Tempel für den Wohnort Gottes auf Erden hielten, das jüdische Gegenstück des Olymps der griechischen Götter.
In Wirklichkeit aber sollte er zwar ein Ort des Gottesdienstes und des Gebets sein, nicht aber Gottes Haus (vgl.1Kö 8,23-53 ).
In den drei Beispielen, auf die sich die Rede stützt, wird folgender Gedankengang entwickelt:

Da Gottes Plan Fortschritte beinhaltet und seine Segnungen nicht auf den Tempel beschränkt sind, sollte Israel sich hüten, seinen Werken "zu widerstreben" (V. 51 ),
wie es das in der Vergangenheit getan hatte.

Wenn die Juden es ablehnten, Gottes Werk in den christlichen Gemeinden und seine Segnungen außerhalb der Grenzen Israels zu sehen, so bedeutete das, daß sie sich dem Plan Gottes widersetzten.
Das bezog sich ganz konkret auf die Anschuldigungen, die gegen Stephanus erhoben worden waren ( Apg 6,11-14 ).
Ein chronologisches Problem wirft Stephanus' Aussage, daß Israel vierhundert Jahre lang geknechtet und mißhandelt wurde ( Apg 7,6 ), auf. Nach Paulus ( Gal 3,17 ) betrug die Zeit von der Verheißung an Abraham ( 1Mo 15,13-16 ) bis zu den Ereignissen am Sinai 430 Jahre.

Die dreißig Jahre Differenz können jedoch leicht erklärt werden, wenn man davon ausgeht, daß Stephanus einfach runde Zahlen gebrauchte.

Möglich ist auch, daß die 400 Jahre nur die Zeit der tatsächlichen Gefangenschaft in Ägypten bezeichnen, wohingegen die 430 Jahre von der Bestätigung des Bundes in1Mo 35,9-15 bis zum Exodus gerechnet sind, der im Jahr 1446 v. Chr. stattfand. Das Hauptproblem ist jedoch die Zeit, die Israel in ägyptischer Knechtschaft verbrachte. Wenn Gal 3,17 sagt, daß von der Verheißung an Abraham ( 1Mo 15 ) bis zum Exodus 430 Jahre verstrichen, hätte die Zeit der Gefangenschaft in Ägypten 215 Jahre betragen. Demgegenüber spricht die Apostelgeschichte von 400 Jahren. Am plausibelsten ist vielleicht die Annahme, daß Paulus an Zeiträume dachte. Die Verheißungen ergingen an alle drei Patriarchen Israels, Abraham, Isaak und Jakob. In 1Mo 46,1-4 wurden sie Jakob auf dem Weg nach Ägypten, bei Beersheba, bestätigt. Von da an (der letzten Verheißung) bis zum Exodus waren es noch 400 Jahre. (Vgl. Harold W. Hoehner, The Duration of the Egyptian Bondage .
Bibliotheca Sacra 126. Oktober - Dezember 1969, 306 - 316.)
Eine weitere offensichtliche Diskrepanz in Stephanus' Rede zeigt sich in Vers 14 . Stephanus behauptet, daß Jakobs Familie fünfundsiebzig Menschen umfaßte, doch im hebräischen Text sowohl von 1Mo 46,27 als auch 2Mo 1,5 steht "siebzig". Die Septuaginta hat beides durch "fünfundsiebzig" ersetzt. Gemeinhin wird angenommen, daß Stephanus, ein griechisch sprechender Jude, wahrscheinlich die Septuaginta benutzt hat und daher an dieser Stelle einen "ehrlichen Fehler" machte. Die Diskrepanz kann jedoch auch auf andere Weise erklärt werden (vgl. Joseph Addison Alexander, Commentary on the Acts of the Apostles , Neuauflage, Grand Rapids, S. 226 - 267). Eine von fast allen Forschern akzeptierte Lösung lautet, daß der hebräische Text Jakob, Josef und die beiden Söhne Josefs, Ephraim und Manasse, miteinschließt (das sind zusammen 70), daß die Septuaginta jedoch Jakob und Joseph ausläßt und statt dessen Josephs sieben Enkel aufnimmt (vgl. 1Chr 7,14-15.20-25 ). Das wird durch den hebräischen Text in 1Mo 46,8-26 gestützt, wo 66 Namen aufgezählt werden und Jakob, Josef und die Söhne Josefs ausgelassen werden.
Auch in Vers 16 findet sich eine Diskrepanz. Stephanus scheint vorauszusetzen, daß Jakob in Sichem begraben wurde, während im Alten Testament steht, daß er und seine Frau Lea (wie auch seine Eltern Isaak und Rebekka und seine Großeltern Abraham und Sarah) in der Höhle Machpela auf dem Acker von Efron ( 1Mo 49,29-50,13 ) begraben wurden. In Sichem dagegen wurde nicht Jakob, wohl aber Josef, der später aus Ägypten dorthin überführt wurde ( 1Mo 50,26; 2Mo 13,19; Jos 24,32 ), begraben. Auch seine Brüder liegen dort, obwohl Jos 24,32 nur von den Knochen Josefs spricht (vgl. auch Josephus). Das Pronomen sie ( Apg 7,16 ) bezieht sich nicht auf Abraham, Isaak und Jakob, sondern auf die Worte unsre Väter in Vers 15 , spricht also nur von Josef und seinen Brüdern.
Stephanus' Formulierung "das Grab, das Abraham für Geld gekauft hatte von den Söhnen Hamors in Sichem" (V. 16 ), ist ebenfalls ein Problem. Denn in Wirklichkeit erwarb Jakob, nicht Abraham, das Grundstück ( 1Mo 33,19 ).Das wird vielleicht durch die Annahme erklärt, daß sein Enkel Jakob den Acker "anstelle" seines Großvaters Abraham kaufte und ihm damit ein Recht auf das Grab in Sichem erwarb.
Die Anspielung auf Sichem, die "Hauptstadt" der Samariter, löste bei den Hörern von Stephanus wahrscheinlich starkes Mißfallen aus; damit werden die Leser jedoch schon jetzt auf den nächsten Schritt in der Ausbreitung des Evangeliums vorbereitet ( Apg 8 )..

Der Tod des Stephanus
( 7,54 - 8,1 a) 
Apg 7,54-56

Die Reaktion der religiösen Machthaber auf Stephanus' Rede war leicht vorauszusehen: Als sie das hörten, ging's ihnen durchs Herz (vgl. Apg 5,33 ) und sie knirschten mit den Zähnen über ihn.
Statt eingeschüchtert zu sein, sah Stephanus, voll Heiligen Geistes (vgl. Apg 6,3.5.10 ), auf zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur Rechten Gottes .
In allen Texten, die von dem erhöhten Herrn sprechen, wird gesagt, daß Jesus zur Rechten Gottes sitzt ( Ps 110,1; Röm 8,34; Kol 3,1; Hebr 1,3.13;8,1;10,12;12,2; 1Pet 3,22 ). Daß er hier stand , deutet vielleicht darauf hin, daß er aufgestanden war, um Stephanus willkommen zu heißen.
Apg 7,56

ist aus mehreren Gründen der Höhepunkt dieses Kapitels. Erstens wird der Anspruch, den Jesus in seiner Verhandlung vor dem Hohenpriester erhob, wiederholt ( Mk 14,62 ).
Geradeso wie damals Jesus der Gotteslästerung angeklagt wurde, führten auch diese Worte von Stephanus zum Ausbruch der Gewalt gegen ihn. Zweitens ist der Terminus Menschensohn von großer Bedeutung. Er wird an dieser Stelle zum letzten Mal im Neuen Testament und zum einzigen Mal in den Evangelien und der Apostelgeschichte nicht von Jesus selbst verwendet. Er bestätigt, daß Jesus der Messias war, denn er stammt aus Dan 7,13-14und ist definitiv eschatologisch. (Vgl. den Kommentar zum "Menschensohn" bei Mk 8,31 .) Drittens werden an dieser Stelle zwei große messianische Passagen verknüpft - Dan 7,13-14 und Ps 110,1 . Dan 7,13-14 betont vor allem den universalen Aspekt der Herrschaft des Herrn. Er ist nicht nur irgendein jüdischer König; er ist der Retter der Welt. Ps 110 beschreibt den Messias als zur Rechten Gottes sitzend.

Das ist ein Zeichen nicht nur für seine Macht und seinen Rang, sondern auch dafür, daß sein Opfer angenommen wurde. Christus ist der Mittler (vgl. 1Tim 2,5 ) und beweist damit, daß die Menschen auch auf anderem Wege als durch den Tempel und die Priester Zugang zu Gott haben.
Apg 7,57-58

Die Reaktion des Hohen Rats erfolgte auf der Stelle und war äußerst heftig. Den Ratsmitgliedern war die theologische Implikation des Gesagten sofort klar: Israel war schuldig; das Gesetz galt nicht für immer; der Tempel mußte abgetan werden. Daher stießen sie Stephanus zur Stadt hinaus und steinigten ihn . Auf Gotteslästerung stand die Todesstrafe ( 3Mo 24,16 ).

Daß Stephanus ausgerechnet durch die Hände der Juden den Märtyrertod starb, entbehrt wiederum nicht einer gewissen Ironie, denn nach dem mosaischen Gesetz ( 3Mo 20,2 ) hätten eigentlich ihre Väter, die den "Moloch" anbeteten ( Apg 7,43 ), diesen Tod sterben müssen.
Ein junger Theologe namens Saulus hatte der Steinigung offensichtlich zugestimmt, denn die Zeugen legten ihre Kleider zu seinen Füßen ab , was bedeutet, daß er ihr Tun billigte, indem er ihre Kleidung bewachte ( Apg 8,1; 22,20 )
Apg 7,59-60

Mit Worten, die an die Worte Jesu erinnern, übergab Stephanus seinen Geist dem Herrn und bat für seine Feinde (vgl. Lk 23,34.46 ).

Apg 8,1 a Die Worte "hatte Gefallen" ( syneudokOn ) implizieren aktive Billigung, nicht nur passive Zustimmung (vgl. Röm 1,32 ). Sie machen Saulus' Verhalten in Apg 7,58 noch deutlicher.