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Heidnisches Christentum?  (Viola)
Gottesdienstordnung

Viele Anpassungen, aber kein grundlegender Wandel

Unsere Untersuchungen der Lutheraner, Reformierten (jeweils 16. Jahr hundert), Puritaner (17. Jahrhundert), Methodisten (18. Jahrhundert), Anhänger der Fro«r/er-Erweckungsbewegung (18. bis 19. Jahrhundert) sowie der Pfmgstler (20. Jahrhundert) machen eines deutlich: In den letz ten 500 Jahren hat sich die protestantische Gottesdienstliturgie nur mini mal verändert. Im Grunde genommen verfügen alle protestantischen Traditionen über die gleichen gemeinsamen liturgischen Merkmale: Die Leitung erfolgt durch einen Geistlichen, Dreh- und Angelpunkt bildet die Predigt, die Gemeindeglieder sind passiv und dürfen keinen geistlichen Dienst ausü ben.'” Zwar erreichten die Reformatoren mit der Veränderung der römischkatholischen Theologie eine wichtige Sache, aber was die Praxis angeht, nahmen sie nur geringfügige Anpassungen vor, die kaum dazu beitrugen, das Leben der Gemeinde wieder dem neutestamentlichen Vorbild anzunähem. Ergebnis: Die Christen haben sich nie von den liturgischen Zwängen - dem Erbe der römisch-katholischen Kirche - befreit. [156]

Ein Autor meinte einmal: „Die Reformatoren haben im Wesentlichen das frühere katholische Strickmuster der Liturgie beibehalten ... die Grundstruktur ihrer Gottesdienste wurde im Allgemeinen von verschiedenen Gottesdienstordnungen des späten Mittelalters übernommen Letztendlich veränderten die Reformatoren die katholische Liturgie nur leicht. Ihr größter Beitrag war, dass sie den zentralen Schwerpunkt verschoben, ln den Worten eines Wissenschaftlers:

„Der Katholizismus befand sich zunehmend auf dem Pfad der [heidnischen] Kulte, indem ein Ritus den Mittelpunkt seiner Aktivitäten bildete;
der Protestantismus hingegen folgte dem Vorbild der Synagoge und machte das Buch zum Zentrum des Gottesdienstes.“'

Bedauerlicherweise ist es weder Katholiken noch Protestanten gelungen, Jesus Christus die Mitte ihrer Versammlungen sein zu lassen.
 Es gelang ihnen auch nicht, den Leib Christi freizusetzen, sodass bei einem Treffen jeder dem anderen dienen kann, wie es das Neue Testament vorsieht.

→→Zwar wurde durch die Reformation die Eucharistie durch die Bibel abgelöst und der Pastor nahm den Platz des Priesters ein,
aber immer noch ist es ein Mensch, der die Gläubigen leitet und sie zu passiven Zu hörern macht.
 Die zentrale Rolle des Urhebers der Heiligen Schrift wur de nie wiederhergestellt.
Demzufolge haben es die Reformatoren grundegend versäumt, auf das eigentliche Problem hinzuweisen: ein Gottesdienst, der von einem Geistlichen geleitetet und von passiven Laien besucht wird.'“

Es überrascht daher nicht, dass sich die Reformatoren eigentlich als reformierte Katholiken betrachteten.


Christen aber sind Christen also weder Protestanten noch Katholiken

Was ist daran falsch?

Wie deutlich erkennbar ist, lässt sich die protestantische Gottesdienstordnung weder auf Jesus Christus noch auf die Apostel oder die Schriften des Neuen Testaments zurückführen
.’“ Deshalb ist sie an sich nicht falsch; es bedeutet lediglich, dass sie keine biblische Grundlage aufweist.

 Auch das Benutzen von Stühlen und Samtteppichen lässt sich nicht biblisch begründen, sondern geht auf heidnische Bräuche zurück.
 Dennoch käme wohl kaum jemand auf die Idee, allein aus diesen Grün den zu behaupten, es wäre falsch, auf einem Stuhl zu sitzen oder einen Teppich zu benutzen.

Tatsache ist, dass wir in unserer Kultur viele Dinge tun, die heidnischen Ursprungs sind - man denke nur an den allgemeingültigen Kalender.
 Sowohl die Wochentage als auch die Monate sind nach heidnischen Göttern benannt. Doch nur weil wir den allgemein anerkannten Kalen der benutzen, sind wir noch lange keine Heiden. Weshalb ist dann die Gottesdienstordnung am Sonntagmorgen anders zu bewerten als die Art der Stühle oder Teppiche, die wir im Gottes dienstraum benutzen.

Die Liturgie ist nicht nur unbiblisch und in hohem Maße heidnischen Einflüssen unterworfen (steht also im Widerspruch zu dem, was häufig von der Kanzel gepredigt wird),
sondern sie führt auch nicht zu dem von Gott vorgesehenen geistlichen Wachstum.'“

Bedenken Sie Folgendes: Erstens unterbindet die protestantische Gottesdienstordnung die aktive Teilnahme aller und das Wachstum der christlichen Gemeinschaft, indem das Funktionieren des Leibes Christi durch „Ruhigstellung“ der Gemein deglieder stark beeinträchtigt wird. Es gibt absolut keine Möglichkeit, um ein Wort der Ermutigung oder Ermahnung weiterzugeben, eine Er kenntnis mitzuteilen, ein Lied anzustimmen oder spontan ein Gebet zu sprechen. Man hat nur eine Wahl: still und stumm die Kirchenbank zu drücken. Man wird davon abgehalten, durch andere Gemeindeglieder be reichert zu werden und selbst für andere bereichernd zu sein. Genau wie jeder andere „Laie“ auch, darf man den Mund nur zum Singen der gemeinsamen Lieder öffnen. (Als Mitglied einer typischen Pfmgst- oder charismatischen Gemeinde besteht vielleicht die Möglich keit zu einer knappen ekstatischen Mitteilung. Aber auch dann muss man sich wieder hinsetzen und ruhig sein.) Obwohl ein offener Austausch während einer Versammlung durchaus biblisch ist,'®’ würde man den Ablauf der Liturgie stören, wenn man so etwas wagen würde. Die anderen würden sich womöglich fragen, ob man „noch ganz richtig tickt“ und würden einen bitten, sich ordentlich zu ver halten oder zu gehen. Zweitens beschneidet die Gottesdienstordnung die Funktion von Jesus Christus als Haupt.'

Der gesamte Gottesdienst wird von einem Men schen geleitet. Man ist auf das Wissen, die Gaben und die Erfahrung ei nes einzigen Mitgliedes des Leibes - den Pastor - beschränkt. Wo bleibt da noch die Freiheit für unseren Herrn Jesus Christus nach seinem Willen zu seiner Gemeinde zu sprechen? Wo hat Gott im Rahmen der Liturgie die Möglichkeit, einem Bruder oder einer Schwester ein Wort für die Gemeinde zu geben?

Die Gottesdienstordnung lässt dafür Jedenfalls keinen Raum. Jesus hat keine Freiheit, sich selbst durch seine Gemeinde  nach seinem Gutdünken mitzuteilen.
 Auch er wurde in die Rolle des pas siven Zuschauers gedrängt! Zugegeben, Jesus kann sich über ein oder zwei Gemeindeglieder mitteilen - gewöhnlich ist das der Pastor oder der Anbetungsleiter aber diese Ausdrucksform ist sehr limitiert und hindert Gott daran, sich durch andere Mitglieder seines Leibes zu offenbaren. Liturgie bewirkt folglich die Verkrüppelung des Leibes Christi und verwandelt ihn in einen riesi gen Mund (den Pastor) und viele kleine Ohren (die Gemeinde). Damit wird der Vision des Paulus für den Leib Christi, in dem sich jedes Glied für das Gemeinwohl aktiv an den Zusammenkünften beteiligt (vgl. 1 Kor 12), Gewalt angetan. Drittens finden viele Christen den Sonntagsgottesdienst peinlich langweilig. Er ist ohne Abwechslung und Spontaneität, genau vorherseh bar, äußerst oberflächlich und geistlos. Nur selten gibt es Änderungen oder Neuerungen. Er ist seit fünf Jahrhunderten auf Eis gelegt. Offen ge sagt hat sich die sonderbare Macht der Gewohnheit in die Gottesdienstli turgie eingeschlichen. Aus Gewohnheit wird schnell Routine. Routine erlahmt, verkommt zur Bedeutungslosigkeit und wird letztendlich un sichtbar. Evangelistisch ausgerichtete („sucherffeundliche“) Gemeinden haben den sterilen Charakter der modernen Gottesdienste erkannt und daraufhin eine große Bandbreite von multimedialen und künstlerischen Moderni sierungen in den Gottesdienstablauf integriert.

 Dahinter liegt die Absicht, den Gottesdienst für kirchendistanzierte Menschen attraktiv zu machen. Durch Einsatz neuester Technik ist es evangelistisch ausgerichteten Ge meinden gelungen, die Ränge zu füllen und sich dadurch ein großes Stück am protestantischen Marktanteil in Amerika zu sichern.'® Aber trotz des zusätzlichen Unterhaltungswertes wird der marktge rechte, evangelistisch ausgerichtete Gottesdienst immer noch vom Pastor „gefangen“ gehalten, das „Drei-Hymnen-Sandwich“ bleibt unangefoch ten, und die Besucher sind weiterhin zum bloßen Zuschauen verurteilt (außer dass sie beim Zusehen besser unterhalten werden). Viertens verhindert die protestantische Liturgie, der man sich geduldig Sonntag für Sonntag und Jahr für Jahr aussetzt, tatsächlich geistliches Wachstum. Die Gründe dafür sind: Sie fördert die Passivität, schränkt die Mitwirkung aller ein und vermittelt eine Haltung, dass eine Stunde pro Woche ausreicht, um ein siegreiches christliches Leben zu führen. Sonntag für Sonntag besucht man den Gottesdienst, um sich, wie alle anderen verletzten „Krieger“, verbinden zu lassen und aufzutanken. Viel




[155] Senn vergleicht parallel fünf moderne schriftliche Liturgien; das römisch-katholische Messbuch, das Lutheran Book of Worship, das Book of Comnmn Prayer,
The Methodist Hymnai sowie das Book of Common Worship. Die Ähnlichkeiten sind erschreckend (Senn, Christian Liturgy, 646-647).

[156] Einige Geisteswissenschaftler bemühten sich, aus den Schriften der Kirchenväter ? =>Gotteslästerlicher Ausdruck!!!!! 
eine einheitliche, monolithische Liturgie herauszuziehen, die von allen Kirchen befolgt wurde.
Neuere Studien zeigen jedoch auf, dass keine ihrer Schriften pauschal das Geschehen in allen Kirchen zu einer be stimmten Epoche abbildet (Bradshaw, Origins of Christian Worship, 67-73, 158-183).
 Darüber hinaus wurde durch archäologische Funde belegt, dass die Schriften der Kirchenväter - sie waren Theologen keine genaue Sichtweise auf den Glauben und die Gepflogenheiten der gemeinen Christenheit jener Zeit vermitteln, Ante Pacem ist der Name einer von Graydon F. Snyder (Professor für Neues Testament) durchgeführten Studie über archäologische Zeugnisse,
die in Widerspruch zur Darstel lung der Kirchenväter über das Gemeindeleben in vorkonstantinischer Zeit steht.
 Einem Priesterseminar-Autoren zufolge wirft Snyder die Frage auf, ob die Schriften der frühchristlichen Theologen ein hinreichendes Bild über die Kirche ihrer Zeit vermitteln.

Diese Frage kann nur gestellt werden, um die augenscheinliche Antwort „nein“ von unseren Lippen zu vernehmen.
Vermitteln die Gelehrten irgend einer Epoche eine Vorstellung vom Alltag? Beschreiben Barth, Tiilich oder selbst die beiden Niebuhrs in irgendeiner Weise, wie das populäre amerikanische Christentum des 20. Jahrhunderts aussieht? Bekanntermaßen tun sie das nicht. Trotzdem sind wir davon ausgegangen, dass uns die sogenann ten ,patristischen Theologen' eine genaue Beschreibung des Christentums der ersten drei Jahrhun derte hinterlassen haben. Dies ist natürlich zum Teil auf die Annahme zurückzuführen, dass dies die einzigen vorliegenden Quellen seien, was zum Großteil auch stimmt - was die literarischen Doku mente angehr (Robin Scroggs, Chicago Theological Seminary Register, 75, no. 3 [Herbst 1985]: 26)., Übersetzung A. P,).
Jahrhundert wird Gottesdienst nicht in Privathäusem, sondern in stattiichen Kathedraien und herrtichen Kirchen gefeiert; er wird auch nicht in freien und einfachen Formen, sondern in starren und wohigeordneten Abiäufen durchgeführt.“ {Christian Worship: iis History and Meaning, 26, Überset zung A. P.). Nichois, Corporate Worship in the Reformed Tradition, 155. Einige iiturgische Geiehrte, wie der Angiikaner Gregory Dix, bemühten sich aufzuzeigen, dass im Neuen Testament ein vereinfachtes Modeii der Messe dargesteiit wird. Eine sorgfaitige Untersuchung deren Argumentationen iässt aiierdings erkennen, dass diese Theoiogen lediglich ihre gegenwärtige Tradition in den biblischen Text .zurücklesen“ (Bradshaw, Origins of Christian Worship, ch. 2). 163 Die frühest bekannten Stühle wurden in Ägypten hergestellt. Über Tausende von Jahren hinweg war ihr Gebrauch ausschließlich Königen, Adligen, Priestern und der wohlhabenden Schicht Vorbe halten. Erst im 16, Jahrhundert setzte sich der Stuhl als Gebrauchsgegenstand in der breiten Masse der Bevölkerung durch {Encarta Encyciopedia, [1999], ed„ s. v. .Chairs“). Florteppiche wurden im 11. Jahrhundert in Indien entwickelt und über die gesamte östliche Welt verbreitet {Encarta Encyciopedia 1998 ed., s. V, .Floorand Floor Coverings“). '65 Die Sieben-Tage-Woche stammt ursprünglich aus Mesopotamien und wurde 321 n. Chr. in den römischen Kalender aufgenommen. Der Monat Januar wurde nach dem römischen Gott Janus be nannt, März nach dem römischen Gott Mars, April kommt von Aprilis dem heiligen Monat der Venus, der Monat Mai erhielt seinen Namen von der Göttin Maia und der Monat Juni von der Göttin Juno. Mit dem .Sonntag“ wird der Sonnengott geehrt und mit dem „Montag“ die Mondgöttin gefeiert. Der Diens tag wurde nach dem Kriegsgott Tiw benannt, der Mittwoch nach dem Teutonischen Gott Wotan. Der Donnerstag erhielt seinen Namen vom skandinavischen Gott Thor, der Freitag von der skandinavi schen Göttin Frigg, Der Samstag geht auf Saturn, den Gott des Ackerbaus, zurück {vgl. Months of the yearunterwww.emie.cummings.net/caiendar.htm), '65 Bei Fragen, weshalb in diesem Buch nicht auf Weihnachten und warum sich Christen sonntags treffen eingegangen wird, vgl. Frank Violas vollständigen Kommentar unter www.ptmin.org/answers.htm (Englisch).
Gedankengut der sie umgebenden Kuitur aufnimmt, dieses jedoch heidnisch ist und daher häufig in Kontrast zum bibiischen Giauben steht Somit wird der Gemeinde durch kultureiie Anpassung (Akkuituration) und Vermischung reiigiöser ideen (Synkretismus) oft Schaden zugefügt (To Preach or Not, 1 Kor 14,26. Im Neuen Testament steht geschrieben, dass Christen, wenn sie Zusammenkom men, ihre Gaben ais Priester zur gegenseitigen Erbauung einsetzen soiien (vgi. Rom 12,3,6; 1 Kor 12,7; Eph 4,7; Heb 10,24-25; 13,15-16; 1 Pet 2,5,9). Mit den Worten von Arthur Waiiis ausgedrückt: .Liturgie, sowohi herkömmiiche als auch moderne, geschriebene oder ungeschriebene, ist ein menschiicher Kniff, das reiigiöse Auto in Gang zu haiten. Man ist festgefahren und tut, was man immer getan hat anstatt an die unmittelbare Gegenwart und Wirkung des Heiiigen Geistes zu giauben“ (Anm. d. Obers.: Deutsche Übersetzung entnommen aus Arthur Waiiis, Leben ohne Kompromisse, Aßlar: Verlag Schulte-*Gerth, 1982,149).


Viola