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Apostelgeschichte (Stanley D. Toussaint)

 

EINLEITUNG

 

Unter den Schriften des Neuen Testaments nimmt die Apostelgeschichte einen ganz besonderen Platz ein. Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, daß sie als einzige kanonische Schrift an die historischen Berichte der Evangelien anknüpft und uns außerdem zahlreiche Informationen über die Hintergründe und das Umfeld der meisten Paulusbriefe liefert. Bruce schreibt: "Lukas haben wir einen zusammenhängenden Bericht über die missionarischen Aktivitäten des Apostels Paulus zu verdanken. Ohne (die Apostelgeschichte) stünden wir unendlich viel ärmer da. Selbst wenn man sie als Erklärungsgrundlage mit heranzieht, bleibt noch vieles in den Paulusbriefen unklar; wieviel schwieriger aber wäre unsere Situation, wenn wir die Apostelgeschichte nicht besäßen" (F.F. Bruce, Commentary on the Book of the Acts , S. 27).

Das Buch der Apostelgeschichte vermittelt dem heutigen Christen einen äußerst aufschlußreichen Einblick in das Leben der Urkirche. Lukas beschreibt die Spannungen, Verfolgungen, Frustrationen und theologischen Probleme, mit denen die ersten Gläubigen zu kämpfen hatten, und die Hoffnung, aus der sie lebten. Es wäre ein unersetzlicher Verlust für die Kirche, wenn dieses Quellenmaterial über ihre ersten Anfänge verlorengegangen wäre.

Zugleich zeichnet die Apostelgeschichte aber auch ein Bild des Übergangs von einem allein auf das jüdische Volk beschränkten Wirken Gottes hin zur Errichtung einer weltweiten Kirche. In ihren 28 Kapiteln führt sie den Leser von Jerusalem bis in die entlegensten Regionen der damaligen Welt.

Nicht zuletzt stellt die Apostelgeschichte auch heute noch eine Herausforderung für die Gläubigen dar. Die Begeisterung, der Glaube, die Freude des Engagements und der Gehorsam der ersten Heiligen haben Vorbildcharakter für alle späteren Christen. Wer Christus nachfolgen will, sollte sich deshalb mit diesem Buch, dessen Bedeutung nach Ansicht von Richard Rackham kaum überschätzt werden kann (Richard Belward Rackham, The Acts of the Apostles , S. xiii), so vertraut wie möglich machen.

 

 

Titel des Buches

 

 

 

 

 

 

 

 

Das älteste schriftliche Zeugnis für den Titel "Apostelgeschichte" findet sich in einem anti-marcionitischen Prolog zum Lukasevangelium aus der Zeit zwischen 150 und 180 n. Chr. Wie es zu dieser Bezeichnung kam, ist allerdings unklar.

 

Man muß einräumen, daß der Titel eigentlich nicht ganz zutreffend ist, denn die Apostelgeschichte ist keineswegs ein Bericht über alle Werke sämtlicher Apostel, sie konzentriert sich hauptsächlich auf Petrus und Paulus. Sogar eine so berühmte Gestalt wie der Apostel Johannes wird nur beiläufig erwähnt, und auch vom Tod des Johannesbruders Jakobus ist nur in einem einzigen kurzen Satz die Rede ( Apg 12,2 ).

Angemessener wäre also der Titel: "Berichte über das Wirken einiger Apostel". Trotzdem hat sich die kürzere Bezeichnung "Apostelgeschichte" vollkommen eingebürgert.

 

 

 

 

 

 

Intention der Apostelgeschichte

 

Es steht fest, daß Lukas mit seinem Bericht eine ganz bestimmte Absicht verfolgte. Doch was genau wollte er mit seiner Darstellung erreichen, oder anders gesagt, warum wählte er gerade diese Personen und Fakten aus? Darauf gibt es zwei Antworten.

Manche Forscher sind der Ansicht, daß es Lukas in erster Linie darum ging, einen historischen Abriß einer bestimmten Zeitspanne zu geben; andere sehen in der Apostelgeschichte eine Apologie, eine Verteidigung des Christentums, noch stärker aber eine Apologie des Paulus. Einig sind sich die Wissenschaftler dagegen, daß Lukas daneben auch noch andere, seiner Hauptintention untergeordnete, Ziele verfolgte.

Für die erste These, daß die Apostelgeschichte in erster Linie eine Apologie des Paulus ist, sprechen z. B. die zahlreichen Parallelen, die zwischen dem Wirken des Petrus und dem des Paulus gezogen werden (vgl. die Tabelle "Die Wunder von Petrus und Paulus").

Vielleicht wollte Lukas das Apostolat des Paulus verteidigen, indem er seinen Lesern vor Augen führte, daß Paulus, was Macht und Autorität betraf, ganz sicher nicht hinter Petrus zurückstand. Das würde auch erklären, warum in der Apostelgeschichte dreimal das Ereignis der Bekehrung des Paulus geschildert wird ( Apg 9;22;26 ). Doch trotz der vielen Hinweise auf die Gleichstellung von Paulus und Petrus läßt die These, der Hauptzweck des Buches liege in der Rechtfertigung des Apostolats des Paulus, zuviel offen. Viele Sachverhalte, auf die die Apostelgeschichte eingeht, sind für eine solche Thematik völlig irrelevant, so z. B. die Ernennung der Sieben ( Apg 6 ) oder die detaillierte Beschreibung des Schiffbruchs ( Apg 27 ).

Eine dritte zentrale Aussage des Buches liegt nach Ansicht der meisten Exegeten in der Betonung der Universalität des Christentums. Ist sie möglicherweise sogar sein Hauptzweck? Immerhin wird das Evangelium in der Apostelgeschichte den von den Juden verachteten Samaritern, dem äthiopischen Kämmerer, dem Römer Kornelius, den Heiden in Antiochia, Armen und Reichen, Gebildeten und Ungebildeten, Frauen und Männern, angesehenen Persönlichkeiten und Angehörigen der untersten sozialen Schichten verkündigt. Dazu würde auch der hohe Stellenwert, der dem in Kap. 15 beschriebenen Apostelkonzil im ganzen Buch eingeräumt wird, passen. Doch auch bei dieser These bleiben bestimmte Elemente, wie die Wahl des Matthias in Kap. 1 oder die Ernennung der Sieben in Kap. 6 , ungeklärt.

Was ist also der Hauptzweck der Apostelgeschichte? F.F. Bruce, ein Vertreter der Apologie-These, schreibt: "Lukas ist einer der ersten christlichen Apologeten. Er ist ein Pionier der besonderen, an die weltlichen Autoritäten gerichteten Form der Apologie, die die säkularen Herrscher der Gesetzestreue des Christentums versichert." (Bruce, Acts, S. 24; vgl. F.J. Foakes Jackson und Kirsopp Lake (Hrsg.), The Beginnings of Christianity , Band II, Prolegomena II: Criticism, Grand Rapids 1979, S. 177 - 87). In der Tat spricht vieles in der Apostelgeschichte dafür, daß das Buch geschrieben wurde, um das Christentum vor der römischen Obrigkeit zu verteidigen.

So haben z. B. die Verfolgungen in der Apostelgeschichte immer rein religiöse Gründe - mit zwei Ausnahmen in Philippi ( Apg 16 ) und Ephesus ( Apg 19 ). In diesen beiden Städten erwuchs der Widerstand aus bestimmten Gruppen, die im Christentum eine Bedrohung ihres Profitstrebens sahen. Alle anderen Verfolgungen gingen auf die Initiative von Juden zurück.

Doch auch die Einwände gegen die Apologie-These können sich sehen lassen. Warum berichtet Lukas z. B. so ausführlich über den Schiffbruch des Paulus ( Apg 27 )? In eine andere Richtung weist auch die enge Verbindung zwischen der Apostelgeschichte und dem Lukasevangelium. Allem Anschein nach war die Apostelgeschichte des Lukas als zweibändiges Werk angelegt (vgl. Apg 1,1 ). Der erste Teil, das Lukasevangelium, läßt dabei nur wenig von einer apologetischen Absicht erkennen. Es ist unwahrscheinlich, daß sich das im zweiten Buch vollständig geändert haben sollte.

In der Forschung hat sich deshalb allgemein die Ansicht durchgesetzt, daß die Apostelgeschichte in erster Linie als historischer Bericht zu verstehen ist. Demnach wäre es das Ziel des Autors gewesen, die Ausbreitung des Evangeliums von "Jerusalem" über "ganz Judäa" bis nach "Samarien" und "an das Ende der Erde" darzustellen ( Apg 1,8 ). Barclay notiert: "Es war das Anliegen des Lukas, ein Werk über die Ausbreitung des Christentums zu verfassen, d. h. zu zeigen, wie diese Religion, die in einer winzigen Ecke Palästinas entstand, in wenig mehr als 30 Jahren bis nach Rom gelangte" (William Barclay, The Acts of the Apostles , S. xvii). Es geht damit in der Apostelgeschichte um den Übergang von der Verkündigung des Evangeliums unter den Juden - durch Petrus - zur Predigt unter den Heiden durch Paulus. So läßt sich die zeitliche Aussage in Apg 1,1 mit dem Prolog in Lk 1,1-4 , der der Vorrede eines Historikers wie Herodot, Thukydides oder Polybius vergleichbar ist, in Verbindung bringen. Lukas sah sich also in beiden Büchern als Geschichtsschreiber.

Doch war er wirklich nur Geschichtsschreiber? Die Apostelgeschichte des Lukas ist zwar ein historischer Bericht, doch sie ist zugleich auch ein theologisches Werk, und zwar in erster Linie ein eschatologisches. Sie beginnt mit einer eschatologischen Frage ( Apg 1,6 ) und endet mit einem eschatologischen Begriff ("Reich Gottes"; Apg 28,31 ). In einem zweiten Entwicklungsstrang zeigt sie die absolute Souveränität Gottes bei der Ausbreitung des Evangeliums. Trotz heftigster Widerstände verschiedenster Art breitete sich das Wort Gottes unaufhaltsam aus und fand einen Widerhall bei den Menschen, die es hörten. Man könnte den Zweck der Apostelgeschichte dennoch wie folgt definieren: Sie will, auf dem Hintergrund des Lukasevangeliums, das planvolle und von Gott souverän gelenkte Weitertragen der Botschaft vom Gottesreich von den Juden zu den Heiden und von Jerusalem nach Rom erklären . Der erste Band des lukanischen Geschichtswerks, das Lukasevangelium, begann mit der Beantwortung der Frage, wie aus dem Christentum, dessen Wurzeln doch im Alten Testament und im Judentum liegen, eine weltweite Religion werden konnte, und die Apostelgeschichte ist quasi seine Fortsetzung.

In beiden Schriften spielt der eschatologische Gedanke eine entscheidende Rolle. Der prophetische Terminus "Reich Gottes" findet sich allein zweiunddreißigmal im Lukasevangelium und sechsmal in der Apostelgeschichte - dazu kommen indirekte Anspielungen auf das Gottesreich in Apg 1,6 und Apg 20,25 (vgl. Apg 1,3; 8,12; 14,22; 19,8; 28,23.31 ) und viele andere - auch implizite - eschatologische Hinweise ( Apg 1,11; 2,19-21.34-35; 3,19-25; 6,14; 10,42; 13,23-26.32-33; 15,15-18; 17,7.31; 20,24-25.32; 21,28; 23,6; 24,15.1.25; 26,6-8.18; 28,20 ). Auffallend ist auch die Betonung der Rolle der Kirche im gegenwärtigen Zeitalter - sie gilt als Erbin des Gottesreiches. All das weist darauf hin, daß Lukas in seiner Schrift die Verbreitung der Botschaft vom Reich Gottes zeigen wollte, die Verlagerung des Schwergewichts vonden Juden, für die das Evangelium zuerst bestimmt war, auf die Heiden, von Jerusalem nach Rom.

Diese Ausbreitung vollzog sich in planvoller, von Gott gelenkter Weise. Die Souveränität Gottes ist, wie bereits gesagt, ein weiterer "roter Faden", der sich durch das ganze Buch der Apostelgeschichte zieht. Trotz größter Hindernisse faßte das Wort des Herrn immer mehr Fuß und breitete sich aus. Lukas will daran aufzeigen, daß Gott sowohl gläubige Juden als auch Heiden aus diesem Zeitalter in sein Tausendjähriges Reich aufnehmen will.

In diese Gesamtintention des Werkes gehen die zuvor genannten anderen Ziele mit ein. Petrus als Apostel für die Beschnittenen und Paulus für die Unbeschnittenen sind die Hauptfiguren der geschilderten Ereignisse. Im Mittelpunkt sowohl des Lukasevangeliums als auch der Apostelgeschichte steht die Universalität des Evangeliums und die Ausbreitung der frohen Botschaft, von der in Apg 1,8 die Rede ist.

 

Mögliche Quellen des Buches

 

Lukas zog für seinen Bericht wahrscheinlich mehrere Quellen heran, an erster Stelle standen jedoch seine persönlichen Erfahrungen. Der eindeutigste Beleg dafür sind die "wir"-Passagen der Apostelgeschichte ( Apg 16,10-40;20,5-28,31 ). Eine zweite persönliche Informationsquelle war wohl Paulus, mit dem er lange Zeit zusammen war. Auf ihren langen gemeinsamen Reisen haben die beiden zweifellos die Bekehrung des Apostels und die Erfahrungen, die er in seinem Amt machte, eingehend erörtert. An dritter Stelle sind die anderen Zeugen, zu denen Lukas Verbindung hatte, zu nennen (vgl. Apg 20,4-5;21,15-19 ). In Apg 21,18-19 wird z. B. eine Begegnung mit Jakobus erwähnt. Jakobus wäre am ehesten in der Lage gewesen, Lukas die in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte verarbeiteten Informationen zu geben. Tatsächlich scheinen diese Anfangspassagen auf eine aramäische Quelle zurückzugehen. Als Paulus dann zwei Jahre lang in Cäsarea im Gefängnis lag ( Apg 24,27 ), hatte Lukas Zeit, in Palästina weitere Recherchen anzustellen ( Lk 1,2-3 ). Nach eingehenden Augenzeugenbefragungen schrieb er dann seinen Bericht.

 

Datierung Die Apostelgeschichte muß vor der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. entstanden sein, denn ein Ereignis von solcher Tragweite hätte der Verfasser mit Sicherheit nicht unerwähnt gelassen. Das gilt besonders angesichts eines der Grundthemen des Buches: Der Abwendung Gottes von den Juden, die Jesus Christus verworfen hatten, und seiner Hinwendung zu den Heiden.

Auch die Nachricht vom Tode des Paulus, der gewöhnlich zwischen 66 und 68 n. Chr. datiert wird, hätte Lukas wohl kaum verschwiegen.

Ebensowenig hätte der Historiker Lukas die Christenverfolgungen unter Nero, die nach dem Brand Roms im Jahr 64 n. Chr. begannen, übergangen, wenn er sein Buch nach dieser Zeit geschrieben hätte.

Eine Apologie des Christentums, die davon handelt, wie irgendwelche unbedeutenden kaiserlichen Beamten mit Paulus verfahren waren, wäre zu dieser Zeit wohl kaum noch von Nutzen gewesen. Nero war damals so fest entschlossen, die Kirche zu zerschlagen, daß eine Verteidigung, wie sie die Apostelgeschichte darstellt, ihn auf keinen Fall von seinem Vorhaben abgebracht hätte.

Die Forschung datiert die Entstehung der Apostelgeschichte daher im allgemeinen zwischen 60 und 62 n. Chr. Der Abfassungsort wäre damit Rom, möglicherweise auch Cäsarea und Rom. Jedenfalls befand sich Paulus bereits wieder auf freiem Fuß, oder seine Freilassung stand unmittelbar bevor.

 

Aufbau des Buches Die dieser Untersuchung zugrundeliegende Gliederung stützt sich auf zwei Schwerpunkte des Buches: Erstens auf das Leitthema der Ausbreitung des Evangeliums, das in Apg 1,8 formuliert ist: "Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien bis an das Ende der Erde."

Zweitens auf die Einfügung sogenannter "Summarien" oder "Verlaufsberichte", in denen Lukas die Entwicklung der Ausbreitung des Evangeliums zusammenfaßt (vgl. Apg 2,47;6,7;9,31;12,24;16,5;19,20;28,30-31 ). Weil er dabei keine feststehende Formel verwendet, besteht einige Uneinigkeit darüber, ob und an welchen Stellen eventuell noch weitere solcher "Verlaufsberichte" stehen (z. B. Apg 2,41;4,31;5,42;8,25.40 usw.). Auf jeden Fall fehlt diesen anderen Aussagen entweder der summarische Charakter oder die Eindeutigkeit.

Der Schlüsselvers Apg 1,8 und die sieben zusammenfassenden Verlaufsberichte bilden die Grundlage für die folgende Gliederung.

 

GLIEDERUNG

 

I. Das Zeugnis in Jerusalem ( 1,1-6,7 )

 

     A. Die Erwartung der Erwählten ( Kap. 1-2 )

          1. Einführung ( 1,1-5 )

          2. Die Klausur in Jerusalem ( 1,6-26 )

          3. Die Geburtsstunde der Kirche ( Kap. 2 ) "Verlaufsbericht" Nr. 1: "Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden" ( 2,47 ).

 

     B. Die Ausbreitung der Kirche in Jerusalem ( 3,1-6,7 )

          1. Widerstände gegenüber der Kirche ( 3,1-4,31 )

          2. Bestrafung innerhalb der Kirche ( 4,32-5,11 )

          3. Die weitere Entwicklung der Kirche ( 5,12-42 )

          4. Die Verwaltung innerhalb der Kirche ( 6,1-7 ) "Verlaufsbericht" Nr. 2: "Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem" ( 6,7 ).

 

II. Das Zeugnis in ganz Judäa und Samaria ( 6,8-9,31 )

 

     A. Der Märtyrertod des Stephanus ( 6,8-8,1 a)

          1. Die Gefangennahme des Stephanus ( 6,8-7,1 )

          2. Die Rede des Stephanus ( 7,2-53 )

          3. Der Tod des Stephanus ( 7,54-8,1 a)

 

     B. Das Wirken des Philippus ( 8,1 b. 2 - 40 )

          1. In Samarien ( 8,1 b. 2-25 )

          2. Das Gespräch mit dem äthiopischen Kämmererer ( 8,26-40 )

 

     C. Die Botschaft des Sauls ( 9,1-31 )

          1. Die Bekehrung des Sauls ( 9,1-19 a)

          2. Sauls in Damaskus und Jerusalem ( 9,19 b. 20-31 ) "Verlaufsbericht" Nr. 3: "So hatte nun die Gemeinde Frieden in ganz Judäa und Galiläa und Samarien und baute sich auf und lebte in der furcht des Herrn und mehrte sich unter dem Bei- stand des Heiligen Geistes" ( 9,31 ).

 

III. Das Zeugnis bis ans Ende der Erde ( 9,32-28,31 )

 

     A. Die Ausbreitung der Gemeinde bis nach Antiochia ( 9,32-12,24 )

          1. Die Wegbereitung für ein universales Evangelium durch Petrus ( 9,32-10,48 )

          2. Die Wegbereitung für ein universales Evangelium durch die Apostel ( 11,1-18 )

          3. Die Wegbereitung für ein universales Evangelium durch die Gemeinde in Antiochia ( 11,19-30 )

          4. Die Verfolgung der Gemeinde in Jerusalem ( 12,1-24 ) "Verlaufsbericht" Nr. 4: "Und das Wort Gottes wuchs und breitete sich aus" ( 12,24 ).

 

     B. Die Ausbreitung der Gemeinde in Kleinasien ( 12,25-16,5 )

          1. Die Berufung und Beauftragung von Barnabas und Sauls ( 12,25-13,3 ) (Die erste Missionsreise, Kap. 13-14 )

          2. Die Rundreise durch Kleinasien ( 13,4-14,28 )

          3. Das Apostelkonzil in Jerusalem ( 15,1-35 )

          4. Die Stärkung der Gemeinden in Kleinasien ( 15,36-16,5 ) (Die zweite Missionsreise, 15,36-18,22 ) "Verlaufsbericht" Nr. 5: "Da wurden die Gemeinden im Glaube gefestigt und nahmen täglich zu an der Zahl" ( 16,5 ).

 

     C. Die Ausbreitung der Kirche in Griechenland ( 16,6-19,20 )

          1. Der Ruf nach Mazedonien ( 16,6-10 )

          2. Die Konflikte in Mazedonien ( 16,11-17,15 )

          3. Der missionarische Kreuzzug in Achaja ( 17,16-18,18 )

          4. Der Abschluß der zweiten Missionsreise ( 18,19-22 )

          5. Die Missionirung von Ephesus ( 18,23-19,20 ) (Die dritte Missionsreise 18,23-21,16 ) "Verlaufsbericht" Nr. 6: "So breitete sich das Wort aus durch die Kraft des Herrn und wurde mächtig" ( 19,20 )

 

     D. Die Ausbreitung der Kirche in Rom ( 19,21-28,31 )

          1. Der Abschluß der dritten Missionsreise ( 19,21-21,16 )

          2. Die Gefangenschaft in Jerusalem ( 21,17-23,32 )

          3. Die Gefangenschaft in Cäsarea ( 23,33-26,32 )

          4. Die Gefangenschaft in Rom ( Kap. 27-28 ) "Verlaufsbericht" Nr. 7: "Paulus aber bleib zwei volle Jahre in seiner eigenen Wohnung und nahm alle auf, die zu ihm kamen, predigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit allem Freimut ungehindert" ( 28,30-31 )

 

AUSLEGUNG

 

I. Das Zeugnis in Jerusalem

( 1,1 - 6,7 )

 

A. Die Erwartung der Erwählten

( Apg 1-2 )

 

1. Einführung

( 1,1 - 5 ) Apg 1,1-2

Die beiden ersten Verse der Apostelgeschichte verweisen zurück auf das Lukasevangelium. Jener Theophilus , von dem dort die Rede ist, war möglicherweise ein Gönner von Lukas, der ihn während der Arbeit an seinen Büchern finanziell unterstützte. Sicher ist, daß er Christ war und daß Lukas ihn - und die Kirche Christi - mit seinen Schriften im Glauben stärken und belehren wollte (vgl. Lk 1,1-4 ).

Die Präposition von Anfang an besagt, daß die Apostelgeschichte den Bericht vom Wirken und Lehren Christi auf Erden fortsetzt. Durch sein Volk wirkt und lehrt Christus noch heute.

Der Hinweis auf die Himmelfahrt des Herrn in Apg 1,2 bezieht sich zurück auf Lk 24,51 .

Die Jünger erhielten bei dieser Gelegenheit zwei Aufträge: (1) Sie sollten in Jerusalem bleiben ( Apg 1,4; vgl. Lk 24,49 ), und (2) sie sollten als Zeugen in die Welt gehen ( Apg 1,8; vgl. Lk 10,4;24,47 ). Diese Weisungen mögen auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, sind es jedoch nicht, denn sie sollten der Reihe nach erfüllt werden.

 

Apg 1,3

 

Die Erscheinungen des auferstandenen Herrn dienten als Beweise für seine Auferstehung. Der Begriff "Beweise" ( tekmEriois ) kommt nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vor; gemeint sind damit sichtbare Indizien, im Gegensatz zu Beweisen, die sich auf Zeugenaussagen stützen. Die Jünger konnten sich mit eigenen Augen und durch die Berührung des Auferstandenen von der Wahrheit des Geschehens überzeugen (vgl. Lk 24,39-40; 1Joh 1,1 ).

Vierzig Tage lang zeigte sich Jesus nach seiner Auferstehung den Aposteln und redete mit ihnen vom Reich Gottes . Was meint Lukas mit dem "Reich Gottes" (vgl. den Kommentar zu Mt 3,2;13,10-16 )? War Gott nicht schon immer der Herrscher der Welt, ganz besonders der Herr über Israel ( Dan 2,47; 3,33; 4,22-23.29.31-34; 5,21; 6,26-28; Ps 84,4; 89,7-19;103 ; usw.)? Das ist richtig, doch es wird eine Zeit - das "Tausendjährige Reich" - kommen, in der Gott auf spektakuläre Weise in die menschliche Geschichte eingreifen und für alle sichtbar seine Herrschaft auf Erden errichten wird. Obwohl Jesus seine Jünger schon vor seiner Kreuzigung immer wieder auf dieses kommende Ereignis hinwies, hielt er es für angebracht, noch vierzig Tage nach der Auferstehung mit ihnen darüber zu reden.

 

Apg 1,4

 

Die Verheißung des Vaters , von der auch in Lk 24,49 die Rede ist, bestand ganz offensichtlich im Kommen des Heiligen Geistes (vgl. Apg 1,5; Joh 14,16;15,26;16,7 ).

 

Apg 1,5

 

Schon Johannes der Täufer hatte von einer Taufe mit dem Heiligen Geist , die der Herr Jesus an den Gläubigen vornehmen und durch die er sie an sich binden würde, gesprochen. Diese Taufe war für ihn ein Zeichen der Größe des Herrn, denn er selbst hatte nur mit Wasser getauft. Das Wort getauft , das im strengen Wortsinn "ein- oder untertauchen" bedeutet, hat hier die Bedeutung von "vereinigen mit" (vgl. 1Kor 10,1-2 ). Auch Jesus selbst hatte mehrmals auf die Taufe mit dem Heiligen Geist hingewiesen ( Mt 3,11; Mk 1,8; vgl. Apg 11,16 ).

 

2. Die Klausur in Jerusalem

( 1,6 - 26 )

 

a. Die Himmelfahrt

( 1,6 - 11 )

 

Apg 1,6

 

Außerordentlich aufschlußreich ist die Frage der Jünger: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?

Der Satz beginnt im Griechischen mit dem Bindewort "nun" ( men oun ), das den Zusammenhang zu Vers 5 herstellt. In der Vorstellung der Jünger mußten die Ausgießung des Heiligen Geistes und das Kommen des verheißenen Gottesreiches zusammenfallen. Wie konnte es auch anders sein, wo doch das Alte Testament diese beiden Ereignisse so oft zusammen beschrieben hatte (vgl. Jes 32,15-20;44,3-5; Hes 39,28-29; Joe 3,1-4,1; Sach 12,8-10 )! Als deshalb Christus davon sprach, daß die Taufe mit dem Heiligen Geist bevorstünde, schlossen sie daraus sofort, daß auch die Wiederherstellung des Königreiches Israel gekommen sei (vgl. den Kommentar zu dem Verb "wiederherstellen" bei Apg 3,21 ).

 

Apg 1,7 Manche Forscher leiten aus der Antwort Jesu die Schlußfolgerung ab, daß die Apostel sich ein falsches Bild vom Gottesreich machten. Das ist jedoch sicherlich nicht der Fall. Christus warf den Jüngern nicht vor, sich falschen Hoffnungen hingegeben zu haben. Dabei wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen, ihren Irrtum zu korrigieren. Jesus hatte ihnen tatsächlich gesagt, daß ein irdisches, ganz konkretes Reich kommen werde (vgl. Mt 19,28; Lk 19,11-27;22,28-30 ). Nach Apg 1,3 sprach der Herr mehrmals mit den Jüngern über das Reich Gottes; dabei hatte er ihnen mit Sicherheit ein richtiges Bild vom Wesen dieses Reiches vermittelt. Hier (in V. 7 ) ging es ihm jedoch um die Zeit, zu der das Reich kommen sollte. Das griechische Wort für Zeit ( chronous ) bezeichnet ursprünglich eine zeitliche Dauer; der Begriff für Stunde dagegen ( kairous ) umfaßt sowohl die zeitliche Dauer als auch ihre Qualität (wie z. B. "harte Zeiten"). Die Jünger würden also weder die Zeit selbst, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat, wissen , noch wie sie werden würde. All das würde ihnen später noch genauer offenbart werden (vgl. 1Thes 5,1 ).

 

Apg 1,8

Dieser Vers beginnt mit einer Gegenüberstellung ( alla , aber ) zu Vers 7 . Statt sich um Zeit und Stunde zu kümmern, sollten die Apostel Zeugen Christi bis an das Ende der Erde werden, nachdem sie auf übernatürliche Weise die Kraft des Heiligen Geistes empfangen hatten.

Die Bedeutung des Satzes "ihr ... werdet meine Zeugen sein" ist nicht ganz klar. Handelt es sich hier um ein Gebot oder um eine Feststellung? Grammatisch könnte er beides bedeuten, doch angesichts von Apg 10,42 (vgl. Apg 4,20 ) ist er wohl eindeutig als Imperativ, als Aufforderung für die Zukunft, zu verstehen.

Wahrscheinlich ist mit dem "Ende (Singular) der Erde" Rom gemeint, im 1. Jahrhundert das stolze Zentrum der Zivilisation und über 2000 Kilometer (Luftlinie) von Jerusalem entfernt.

 

 

Apg 1,9-11 Die folgenden Verse beschreiben die Himmelfahrt des Herrn, weisen jedoch gleichzeitig auf seine Wiederkunft voraus. Christus wird leibhaftig, vor aller Augen, in einer Wolke auf den Ölberg ( Sach 14,4 ) zurückkehren ( Offb 1,7 ) - wie die Apostel ihn hatten zum Himmel auffahren sehen .

Die Himmelfahrt Christi war der Schlußpunkt seines Wirkens auf Erden in menschlicher Gestalt. Er wurde erhöht zur Rechten des Vaters ( Apg 2,33-36; Apg 5,30-31; Hebr 1,3;8,1;12,2 ). Das bedeutete, daß die Fortführung des Werkes Christi auf Erden nun in die Hände seiner Jünger gelegt wurde ( Apg 1,1-2.8 ).

Die Himmelfahrt war notwendig, denn der verheißene Tröster, der den Jüngern die Kraft für die Verkündigung des Evangeliums und für das Warten auf das Gottesreich geben sollte, konnte erst danach kommen (vgl. Joh 14,16.26;15,26; Joh 16,7; Apg 2,33-36 ).

 

b. Die Gebete im "Obergemach"

( 1,12 - 14 )

 

Apg 1,12-14

 

Der Ölberg lag nur einen Sabbatweg , etwa 800 Meter (vgl. 2Mo 16,29; 4Mo 35,5 ), von Jerusalem entfernt.

Die Apostel waren im Obergemach versammelt. Größere Gesellschaften trafen sich normalerweise in den Obergeschossen der Häuser, weil sich dort die größten Räume befanden (vgl. Apg 20,8-9 ). Die Zimmer in den unteren Stockwerken waren kleiner, weil die Mauern das Gewicht des Oberstocks tragen mußten.

Bei dem Gebet (im griechischen Text hat das Wort "Gebet" den Artikel bei sich; Apg 1,14 ) handelte es sich wahrscheinlich um die Bitte um die Verheißung, von der in Vers 4 die Rede ist. Die Jünger befolgten also offenbar die Weisungen, die sie von Jesus erhalten hatten ( Lk 11,13 ). Erst zu Pfingsten wurde über die Christen der Geist ausgegossen (vgl. Röm 8,9 ).

Offensichtlich bekehrten sich nach der Auferstehung des Herrn auch Jesu Brüder zum Christentum (vgl. Joh 7,5 ). Wenn das stimmt, so ist diese Erscheinung Christi nach seiner Auferstehung die einzige, die Personen zuteil wurde, die vor seinem Tod noch nicht an ihn glaubten.

 

c. Die Nachwahl des zwölften Apostels

( 1,15 - 26 )

Apg 1,15 Petrus , der führende Apostel, trat auf unter den Brüdern und sprach zu hundertzwanzig Menschen, die in Jerusalem versammelt waren. Insgesamt war der Kreis der Nachfolger Christi jedoch weitaus größer (vgl. 1Kor 15,6 ).

 

Apostelgeschichte

 

 

Apg 1,16-17

 

Wie hoch Petrus das Alte Testament einschätzte, wird an seiner Beurteilung der Psalmen deutlich: In seinen Augen sind sie Aussagen des Heiligen Geistes, die dieser durch den Mund Davids kundtat. Petrus war überzeugt, daß das Wort der Schrift erfüllt werden mußte . Dieses "mußte", dei , ist ein Ausdruck für die logische oder göttliche Notwendigkeit einer Sache.

Nach Petrus hatte schon David auf Judas vorausgewiesen. Doch an welcher Stelle soll David von Judas Iskariot gesprochen haben? Natürlich bezog er sich nicht auf ihn persönlich und nannte auch nicht seinen Namen. Der Messias wird in den Psalmen als der der vollkommene König beschrieben; daher gelten die "Königspsalmen", die vom König Israels reden, häufig als Antizipation Jesu Christi, und die Feinde des Königs werden mit den Feinden des Messias gleichgesetzt. So gesehen kann man Ps 69,26 und Ps 109,8 ,wie Lukas in Apg 1,20 sagt, auf Judas beziehen. Beide Male handelt es sich um Verwünschungen der Feinde des Königs (vgl. auch Ps 41,9 ).

 

Apg 1,18-19 Judas hatte den Acker zwar nicht persönlich erworben, doch indirekt gehörte er ihm, da die Priester ihn in seinem Namen mit dem Geld, das er für den Verrat erhalten und in den Tempel geworfen hatte, kauften ( Mt 27,3-10 ).

Der Bericht über das grauenhafte Ende des Judas in Apg 1,18 scheint der Aussage von Mt 27,5 zu widersprechen, wonach er sich "erhängte". Eine Erklärung dafür könnte sein, daß seine Eingeweide, als er sich aufgehängt hatte, so rasch anschwollen, daß sie platzten. Plausibler klingt allerdings, daß er sich über einem Felsen erhängte und der Zweig oder Ast des Baumes, über den er das Seil geworfen hatte, ihn nicht trug, so daß er auf die Felsen herabfiel und mitten entzwei brach.

Hakeldamach ist das aramäische Wort für Blutacker . Die genaue Lage dieses Ackers ist unbekannt, doch man nimmt an, daß er sich in der Nähe der griechisch-orthodoxen Kirche und des Klosters St. Oniprius befand, an der Schnittstelle zwischen dem Hinnom- und dem Kidrontal, südöstlich von Jerusalem (vgl. die Karte).

 

Apg 1,20

 

Zu Petrus' Zitat der Ps 69,26 und Ps 109,8 vgl. den Kommentar zu Apg 1,16-17 .

 

Apg 1,21

 

Lukas benutzt auch hier die Verbform dei , muß , um die logische oder göttliche Notwendigkeit der Ereignisse deutlich zu machen. Interessanterweise mußte die Zahl der Apostel nach dem Tod von Judas ergänzt werden, doch nach dem Tod des Apostels Jakobus ( Apg 12,2 ) wurde anscheinend kein Nachfolger gewählt (jedenfalls haben wir keinen Bericht darüber). Der Platz, den Judas hinterließ, mußte offensichtlich deshalb neu besetzt werden, weil sonst einer der verheißenen Throne, von denen in Mt 19,28 die Rede ist, leer bliebe, denn der Herr hatte den Aposteln verheißen, daß sie nach seiner Rückkehr auf die Erde mit ihm auf 12 Thronen sitzen und über das Reich Christi herrschen würden (vgl. Offb 21,14 ).

 

 

Apg 1,22

 

Welche Bedeutung die Auferstehung Jesu für die Jünger hatte, wird an der Forderung deutlich, daß der, der den Platz des Judas einnehmen sollte, Zeuge seiner Auferstehung , dem Eckstein des christlichen Glaubens (vgl. 1Kor 15 ), sein mußte.

 

Apg 1,23-26

 

Sie stellten zwei Männer auf, Josef (genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus) und Matthias . Dann beteten sie (das Gebet war die Anerkennung der Allwissenheit des Herrn; vgl. Ps 139,1-6; Joh 2,24;4,29 )und warfen das Los . Dabei wurden die Namen der Männer wahrscheinlich auf Steine geschrieben, die dann in einen Behälter gelegt wurden. Der Name des Mannes, der auf dem Stein stand, der dann beim Schütteln als erster herausfiel, galt als vom Herrn selbst erwählt.

Das ist das letzte Mal in der Bibel, daß der Wille Gottes durch das Los ermittelt wird. Dabei ist zu beachten, daß es hier nicht um eine moralische Entscheidung ging. Die Jünger mußten sich zwischen zwei Männern entscheiden, die anscheinend beide die gleichen Qualifikationen besaßen. Das Losverfahren geht wahrscheinlich auf Spr 16,33 zurück, wo geschrieben steht, daß die Entscheidung des Loses eine Entscheidung des Herrn ist.

Manche Theologen sind der Ansicht, daß die Wahl des Matthias im Grunde genommen falsch war. Abgesehen davon, daß sie das Losverfahren an sich mißbilligen, hätte in ihren Augen Paulus den Platz des Judas einnehmen müssen. Diejenigen, die die Wahl von Matthias für richtig halten, führen jedoch ins Feld, daß Mt 19,28 sich an die Juden richtet, während Paulus zu den Heiden gehen sollte ( Gal 2,9 ). Außerdem teilte auch Lukas, Paulus' Freund und Begleiter, offensichtlich die offizielle Anerkennung der Zwölf ( Apg 2,14;6,2 ). Die Apostelgeschichte selbst enthält ebenfalls keinerlei Einwand gegen die Wahl des Matthias.

 

3. Die Geburtsstunde der Kirche

( Apg 2 )

 

a. Das Kommen des Heiligen Geistes

( 2,1 - 13 )

 

Apg 2,1

 

Der Pfingsttag wurde alljährlich "eine Woche von Wochen" (d. h. nach sieben Wochen oder 49 Tagen) nach dem Fest der ersten Feldfrüchte gefeiert und daher auch "Wochenfest" (vgl. 3Mo 23,15-22 ) genannt. Die Bezeichnung Pfingsten ist griechischen Ursprungs; sie bedeutet 50, denn es fand am 50. Tag nach dem Fest der ersten Feldfrüchte statt ( 3Mo 23,16 ).

Wo genau sich die Anhänger Christi versammelt hatten, wissen wir nicht. Lukas schreibt einfach: Sie waren alle an einem Ort beieinander. Vielleicht hielten sie sich in den Vorhöfen des Tempels auf. Im nächsten Vers ist allerdings von einem Haus die Rede ( Apg 2,2 ) - eine zwar mögliche (vgl. Apg 7,47 ), aber unwahrscheinliche Bezeichnung für den Tempel. Wenn sie sich also nicht im Tempel versammelten, so muß das Haus, in dem sie sich trafen, doch auf jeden Fall in dessen Nähe gewesen sein (vgl. Apg 2,6 ).

 

Apg 2,2-3

 

Die Hinweise auf den "Wind" und das "Feuer" sind sehr wichtig. Das Wort für "Geist" ( pneuma ) ist verwandt mit pnoe, dem Wort, das hier mit "Wind" übersetzt ist und auch "Atem" bedeutet. Beide Substantive - "Geist" und "Wind" oder "Atem" - stammen von dem Verb pneO , "blasen, atmen". Das Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind war ein Zeichen für die Macht und die Fülle des Heiligen Geistes.

Die Zungen, zerteilt, wie von Feuer, stehen für die Anwesenheit Gottes. Im Alten Testament offenbarte Gott sich häufig in Form von Flammen ( 1Mo 15,17; 2Mo 3,2-6;13,21-22;19,18;40,38; vgl. Mt 3,11; Lk 3,16 ).

Keiner der Anwesenden war von diesem Erlebnis ausgenommen, denn die Zungen - bzw. der Heilige Geist - setzten sich auf einen jeden von ihnen .

 

Apg 2,4

 

Das "Erfülltwerden" mit dem Heiligen Geist ist nicht dasselbe wie die Taufe mit dem Geist. Die Taufe mit dem Geist erlebt jeder Gläubige nur einmal im Leben, zum Zeitpunkt seiner Rettung (vgl. Apg 11,15-16; Röm 6,3; 1Kor 12,13; Kol 2,12 ), doch mit dem Geist erfüllt wird er auch danach noch des öfteren ( Apg 4,8.31;6,3.5;7,55;9,17;13,9.52 ).

Die andern Sprachen ( heterias glOssais ; vgl. Apg 11,15-16 ), die die Apostel plötzlich beherrschten, waren ein Zeichen für die Taufe mit dem Heiligen Geist. Zweifellos handelte es sich dabei um lebende Sprachen; in Apg 2,6 und 8 wird das Wort dialektO verwendet, es bedeutet "Sprache", nicht "ekstatische Äußerungen". Das gibt uns auch Aufschluß über die "Zungen" in Kap. 2,10.19 und in 1Kor 12-14 .

Das Ereignis, das hier beschrieben ist, war praktisch die Geburtsstunde der Kirche. Bis jetzt wurde von ihr immer nur als von etwas Zukünftigem gesprochen ( Mt 16,18 ). Die Kirche bildet einen Leib, der durch die Taufe mit dem Heiligen Geist ins Leben gerufen wurde ( 1Kor 12,13 ), also muß das erstmalige Auftreten des Geistes, die Taufe mit dem Heiligen Geist, als die Geburtsstunde der Kirche betrachtet werden. Zwar wird in Apg 2,1-4 nicht ausdrücklich gesagt, daß die Taufe mit dem Heiligen Geist an Pfingsten stattfand. Doch in Apg 1,5 wird sie antizipiert, und Apg 11,15-16 ,wo von Pfingsten die Rede ist, bezieht sich zurück auf sie. Daraus schließen wir, daß die Kirche tatsächlich an Pfingsten gegründet wurde.

 

 

Apg 2,5-13

 

Während des Pfingstfestes hielten sich auch "Diaspora"-Juden (d. h. Juden in der Zerstreuung; vgl. 1Pet 1,1; Jak 1,1 ) in Jerusalem auf. Sie waren wahrscheinlich zweisprachig und beherrschten neben ihrem Heimatdialekt auch die griechische Sprache. Nun hörten sie zu ihrer maßlosen Verwunderung galiläische Juden in den Sprachen des Mittelmeerraums sprechen.

Unklar ist, ob nur die Zwölf oder alle 120 versammelten Gläubigen "in Zungen" sprachen. Mehreres spricht dafür, daß es nur die Apostel waren: (1) Sie werden aus Galiläa kommend bezeichnet ( Apg 2,7; vgl. Apg 1,11-13 ), (2) Petrus stand auf "mit den Elf" ( Apg 2,14 ), und (3) auch das "sie" in Apg 2,1 bezieht sich höchstwahrscheinlich auf "die Apostel" in Apg 1,26 .Dem steht entgegen, daß in Apg 2,9-11 mehr als zwölf Sprachen aufgezählt werden. Vielleicht konnte sich ein Apostel jeweils in mehreren Sprachen äußern. Andererseits ist aber auch nicht völlig auszuschließen, daß alle Einhundertzwanzig "in Zungen" sprachen. Da die Mehrheit von ihnen aus Galiläa stammte, wäre es immerhin denkbar, daß sie pauschal als "Galiläer" bezeichnet wurden. Die Verweise auf die Zwölf würden sich dann nur auf ihre Eigenschaft als Leiter der Einhundertzwanzig beziehen.

In all diesen verschiedenen Sprachen priesen sie die großen Taten Gottes , d. h., sie predigten an dieser Stelle weder die Buße noch das Evangelium.

Die ungläubigen Juden, die sich dieses Wunder beim besten Willen nicht erklären konnten, waren völlig verwirrt. Manche nahmen ihre Zuflucht zum Spott und behaupteten: Sie sind voll von süßem Wein.

 

b. Die Predigt des Petrus

( 2,14 - 40 )

 

Die Ansprache des Petrus kreist im Grunde genommen um ein zentrales Thema: Jesus ist der Messias und Herr (V. 36 ). Ihr Aufbau läßt sich wie folgt untergliedern:

I. Die Erfüllung der Prophezeiungen (V. 15 - 21 ) A. Eine Apologie (V. 15 ) B. Eine Erklärung (V. 16 - 21 ) II. Jesus - der Messias (V. 22 - 32 ) A. Zeugnis aus den Werken (V. 22 ) B. Zeugnis aus der Auferstehung (V. 23 - 32 ) III. Jesus, der verherrlichte Messias, als Spender des Heiligen Geistes (V. 33 - 36 ) IV. Praktische Umsetzung des Gesagten (V. 37 - 40 )

Apg 2,14-15

 

Gleich am Anfang seiner Predigt wies Petrus den Vorwurf zurück, daß sie alle betrunken seien. Es war erst die dritte Stunde am Tage (also neun Uhr; der Tag begann um sechs Uhr), viel zu früh für eine Gruppe betrunkener Zecher!

 

 

Apg 2,16-21

 

Die Gläubigen erlebten hier vielmehr am eigenen Leibe, was bei Joe 2 geschrieben stand: Das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist. "Das ist's" heißt nicht "das ist wie das", sondern bedeutet, daß das Pfingsterlebnis tatsächlich die Erfüllung dessen war, was Joel beschrieben hatte. Die Erfüllung der anderen Prophezeiungen Joels, die Petrus in Apg 2,19-20 zitierte, blieballerdings noch aus, denn Israel war nicht bereit, Buße zu tun (vgl. dazu den Kommentar zu Apg 3,19-23 ).

 

 

Apg 2,22

 

Gott hatte Jesus durch seine Wunder unter den Juden bestätigt und als Messias ausgewiesen (vgl. 1Kor 1,22;14,22 ).

 

 

Apg 2,23

 

Die Bedeutung dieses Verses liegt auf der Hand: die Kreuzigung war kein Zufall. Sie entsprach vielmehr dem Ratschluß ( boulE ) und der Vorsehung Gottes und war nicht nur sein Wunsch, sondern sein entschiedener Wille und damit göttliche Notwendigkeit (vgl. Apg 4,28 ). Mit ihr meinte Petrus die Juden. Beide, sowohl Juden als auch Heiden, waren schuld an Christi Tod. Den Juden warfen die Apostel häufig explizit vor, Jesus gekreuzigt zu haben ( Apg 2,23.36;3,15;4,10;5,30;7,52;10,39;13,28 ), doch sie hielten auch die Heiden für schuldig ("durch die Hand der Heiden"; Apg 2,23;4,27; vgl. Lk 23,24-25 ).

 

 

Apg 2,24

 

Eine der grundlegenden Aussagen der Apostelgeschichte ist die Auferstehung des Herrn (V. 32 ; Apg 3,15.26;4,10;5,30;10,40;13,30.33-34.37;17,31; Apg 26,23 ). Sie war ein weiterer Beleg dafür, daß er der Messias war, denn er konnte nicht vom Tode festgehalten werden ( Joh 20,9 ).

 

 

Apg 2,25-35

 

Die folgenden Verse enthalten vier Beweise für die Auferstehung des Herrn und seine Himmelfahrt: (a) Die Prophezeiung von Ps 16,8-11 ,die sich auf den Messias beziehen muß, da David gestorben ist ( Apg 2,29 ), (b) die Zeugen der Auferstehung (V. 32 ), (c) die übernatürlichen Ereignisse an Pfingsten (V. 33 ) und (d) die Himmelfahrt des Herrn Davids ( Ps 110,1; Apg 2,34-35 ).

Das in Vers 27.31 mit Tod übersetzte Wort ist hadEs , es bedeutet entweder Unterwelt, d. i. der Aufenthaltsort der Verstorbenen, oder, wie hier, "Grab".

Petrus will damit sagen, daß David, der Erzvater, in Ps 16,15 nicht von sich selbst sprechen konnte, weil er gestorben und begraben war; daher mußte an dieser Stelle Christus ("Messias") und seine Auferstehung gemeint sein. Der Eid, den Gott David schwur ( Apg 2,30 ), bezieht sich zurück auf Ps 132,11 (vgl. 1Sam 7,15-16 ). Gott hat Jesus auferweckt und erhöht (vgl. Apg 3,13; Phil 2,9 ) und ihn zu seiner Rechten gesetzt (vgl. Apg 5,30-31; Eph 1,20; Kol 3,1; Hebr 1,3; Apg 8,1;10,12;12,2; 1Pet 3,22 ). Von dort hatte er die Macht, den verheißenen Heiligen Geist zu senden ( Joh 1,5.8;14,16.26;15,26;16,7 ), dessen Gegenwart durch den Anblick, der sich den Menschen bot ("Zungen von Feuer"; Apg 2,3 ), durch das Brausen, das sie hörten ("ein gewaltiger Wind"; V. 2 ), und durch die Fähigkeit der Apostel, in anderen Sprachen zu sprechen (V. 4.6. 8.11 ), bewiesen wurde.

Auch in Ps 110,1 konnte David nicht von sich selbst gesprochen haben. Er wurde nicht auferweckt ( Apg 2,29.31 ), und er ist auch nicht gen Himmel gefahren (V. 34 ). Der HERR ist Jahwe, Gott, der zu meinem (Davids) Herrn , Christus, Gottes Sohn, sprach.

Immer wieder hoben die Apostel hervor, daß sie Zeugen des auferstandenen Christus waren (in der Apostelgeschichte insgesamt fünfmal; vgl. V. 32 ; Apg 3,15;5,32;10,39-41;13,30-31 ). Sie wußten also, wovon sie sprachen!

 

 

Apg 2,36

 

Dann kam Petrus zur Schlußfolgerung aus seinem Gedankengang. Das Substantiv Herr , hier bezogen auf Christus, ist wahrscheinlich ein Verweis auf Jahwe. Dasselbe Wort, kyrios , steht in Vers 21.34.39 für Gott (vgl. Phil 2,9 ) und ist damit eine Bestätigung der Gottheit Christi.

 

Apg 2,37

 

Die Verse 37 - 40 enthalten dann die praktische Anwendung der Predigt. Das hier mit ging durch übersetzte Verb ( katenygEsan ) bedeutet "heftig schlagen oder stechen, verblüffen". Das Wirken des Heiligen Geistes erwies sich als mächtig in den Herzen der Menschen (vgl. Joh 16,8-11 ).

Ihre Frage "was sollen wir tun?" hatte allerdings einen verzweifelten Unterton (vgl. Apg 16,30 ). Wenn die Juden ihren Messias gekreuzigt hatten und er jetzt erhöht war, was blieb ihnen dann noch zu tun übrig?

 

 

Apg 2,38-39

 

Die Antwort von Petrus war klar und eindeutig. Als erstes sollten sie Buße tun . Das Verb, das er hier verwendete ( metanoEsate ), bedeutet ursprünglich "die Einstellung, das Herz, die Ausrichtung des Lebens ändern". Aus der inneren Wandlung sollte dann offensichtlich auch eine Verhaltensänderung erwachsen, doch die Betonung liegt auf der Änderung des Geistes bzw. der Einstellung. Die Juden hatten Jesus verworfen; jetzt sollten sie ihm vertrauen und an ihn glauben. Die Buße spielt in der Apostelgeschichte immer wieder eine wesentliche Rolle in der Predigt der Apostel (V. 38 ; Apg 3,19;5,31;8,22;11,18;13,24;17,30;19,4;20,21;26,20 ).

Das Gebot "jeder von euch lasse sich taufen" und die mit ihm in Verbindung gebrachte Sündenvergebung wurde unterschiedlich ausgelegt: (1) Beide, Buße und Taufe, führen zur Vergebung der Sünden. Demnach wäre die Taufe heilsnotwendig. An anderen Stellen in der Schrift wird die Vergebung der Sünden dagegen allein vom Glauben abhängig gemacht ( Joh 3,16.36; Röm 4,1-17; Röm 11,6; Gal 3,8-9; Eph 2,8-9; usw.). Auch Petrus selbst verhieß später die Vergebung der Sünden allein durch den Glauben ( Apg 5,31;10,43;13,38;26,18 ).

 

 

Apg 2,40

 

(3) Eine dritte Möglichkeit wäre, den Satz "und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi" vom übrigen Satz abzugrenzen. Dafür spricht folgendes: (a) Die Verben und Substantive in Vers 38 stehen zum Teil im Singular und zum Teil im Plural. Das Verb "tut Buße" ist Plural, ebenso wie das Pronomen "eurer" in dem Satz "zur Vergebung eurer Sünden" ( eis aphesin tOn harmartiOn hymOn ). Daher muß das Verb "tut Buße" zu dem Satzteil "zur Vergebung der Sünden" gehören. Der Imperativ "jeder von euch lasse sich taufen" dagegen steht im Singular und hebt sich damit vom übrigen Satz ab. (b) Diese Interpretation paßt auch zu der Aussage von Petrus in Apg 10,43 , in der dieselbe Formulierung, "zur Vergebung der Sünden" ( aphesin hamartiOn ), vorkommt. Auch dort wird die Vergebung der Sünden allein durch den Glauben gewährt. (c) In Lk 24,47 und Apg 5,31 weist Lukas darauf hin, daß es die Buße ist, die die Vergebung der Sünden bewirkt.

 

Petrus' Worte in diesem Vers beziehen sich zurück auf die Verse 23 und 36 . Israel als Ganzes hatte entsetzliche Schuld auf sich geladen, doch als Individuen konnten die Juden dem Gericht Gottes über dieses Geschlecht noch entgehen, wenn sie Buße taten (vgl. Mt 21,41-44;22,7;23,34-24,2 ).

 

 

c. Die Beschreibung der ersten Kirche

( 2,41 - 47 )

 

Apg 2,41

 

An diesem Tag ließen sich dreitausend Gläubige taufen und gaben damit ihrem Wunsch Ausdruck, Christus nachzufolgen. Unmittelbar nach der Taufe schlossen sie sich der Glaubensgemeinschaft an.

 

Apg 2,42

 

Diese ersten Gläubigen, die die Urkirche bildeten, taten zweierlei. Sie blieben beständig ( proskarterountes , "beharren in oder fortfahren mit"; vgl. Apg 1,14;2,46;6,4;8,13;10,7; Röm 12,12; Röm 13,6; Kol 4,2 ) in der Lehre der Apostel , und sie schlossen sich zu einer Gemeinschaft zusammen, die sich im Brotbrechen und im Gebet manifestierte.

Mit dem "Brotbrechen" waren wahrscheinlich sowohl normale gemeinsame Mahlzeiten als auch das Herrenmahl gemeint (vgl. Apg 2,46;20,7; 1Kor 10,16;11,23-25; Jud 1,12 ).

 

 

Apg 2,43

 

Die Apostel vollbrachten - auch später noch ( Apg 4,30;5,12;6,8;8,6.13;14,3;15,12 ) - viele Wunder ( terata , "Wunder, die Ehrfurcht erwecken") und Zeichen ( sEmeia , "Wunder, die auf die göttliche Wahrheit verweisen"), die ihre Glaubwürdigkeit bestätigten (vgl. 2Kor 12,12; Hebr 2,3-4 ). Christus selbst hatte die Wahrheit seiner Botschaft ebenfalls durch "Wunder", "Zeichen" und "große Taten" ( dynameis ) erwiesen.

 

 

Apg 2,44-45

 

Alle Mitglieder der Urgemeinde verkauften ihr Eigentum und lebten von dem gemeinschaftlichen Besitz, wahrscheinlich, weil sie mit der baldigen Rückkehr des Herrn und der Errichtung des Gottesreiches rechneten. Als ihre Hoffnung sich als Irrtum herausstellte, gaben sie diese Praxis wohl auf. Sie war allerdings von Anfang an nicht mit dem heutigen Sozialismus oder Kommunismus zu vergleichen, denn sowohl der Anschluß an die Gemeinschaft der Gläubigen als auch der Verkauf des Privateigentums geschahen freiwillig (vgl. Apg 4,32.34-35;5,4 ); außerdem wurden die Güter nicht gleichmäßig, sondern entsprechend den Bedürfnissen eines jeden verteilt.

 

 

Apg 2,46-47

 

Alle diese Aktivitäten trugen dazu bei, daß sich die Kirche mehr und mehr vom traditionellen Judentum entfernte. Dennoch waren die Christen weiterhin täglich (vgl. V. 47 ) einmütig beieinander im Tempel .

Eine siegreiche Kirche ist eine freudige Kirche. Diese Freude zeigte sich bei allen möglichen Gelegenheiten ( Apg 5,41;8,8.39;11,23;12,14;13,48.52;14,17;15,3.31;16,34;21,17 ). Gemeinschaftlich brachen die Gläubigen das Brot hier und dort in den Häusern und hielten die Mahlzeiten (vgl. Apg 2,42 ) mit Freude . (Der Ausdruck lobten [ ainountes ] steht nur neunmal im Neuen Testament, davon allein siebenmal bei Lukas: Lk 2,13.20;19,37;24,53; Apg 2,47;3,8-9; Röm 15,11; Offb 19,5 ).

Der Abschnitt endet mit dem ersten der sieben "Verlaufsberichte" (vgl. Apg 6,7;9,31;12,24;16,5;19,20;28,30-31 ): täglich wurden weitere gerettet. Die Kirche verzeichnete also von Anfang an verblüffende Zuwachsraten.

 

B. Die Ausbreitung der Kirche in Jerusalem

( 3,1 - 6,7 )

 

1. Widerstände gegenüber der Kirche

( 3,1 - 4,31 )

 

a. Der Anlass

( Apg 3 )

 

Apg 3,1

 

Offensichtlich waren im Tempel in Jerusalem verschiedene Zeiten für das Gebet festgesetzt: neun Uhr morgens, zwölf Uhr mittags und drei Uhr nachmittags. An dieser Stelle ist wahrscheinlich vom Nachmittagsgebet die Rede (vgl. Apg 4,3 ).

 

 

Apg 3,2

 

Die Beschreibung des von Geburt an Gelähmten, der täglich in den Tempel getragen wurde, macht deutlich, daß sein Zustand hoffnungslos war. Er war bereits über 40 Jahre alt ( Apg 4,22 ) und wurde jeden Tag vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne (vermutlich das Osttor, das vom Vorhof der Heiden in den Frauenhof führte), gesetzt, um dort zu betteln.

 

 

Apg 3,3-11

 

Seine Wunderheilung durch Petrus und Johannes (V. 7 ) zog, in Verbindung mit der überschwenglichen Reaktion des Mannes (V. 8 ), eine überraschte ( Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie ) Menge an. Alles Volk lief zu ihnen in die Halle, die da heißt Salomos , d. h. in den Säulengang, der die ganze Ostseite des Tempels entlang bis zum äußeren Hof verlief (vgl. Apg 5,12 ). Die Apostelgeschichte berichtet noch von zwei weiteren Heilungen Gelähmter ( Apg 9,32-34; Apg 14,8-10 ).

 

 

Apg 3,12

 

Petrus erfaßte die Situation sofort und machte sie sich zunutze. Seine Predigt bestand aus einer Erklärung (V. 12 - 16 ) und einer Ermahnung (V. 17 - 26 ).

 

 

Apg 3,13-15

 

Zunächst sagte er, daß Jesus, der Knecht Gottes (vgl. V. 26 ; Apg 4,27.30 ), diese Heilung vollbracht habe. Der Terminus "Knecht Gottes" erinnert an den Titel "Gottesknecht" in Jes 42,1;49,6-7;52,13;53,11 .Interessanterweise verwendet Jesaja ( Jes 53,12; im Text der Septuaginta) zwei Formen des Verbs überantworten , paradidOmi . Der niedrige Gottesknecht (vgl. Phil 2,6-8 ) wurde vom Gott der Väter Israels, Abraham, Isaak und Jakob (vgl. 1Mo 32,10;3,6.15.16; Mt 22,32; Mk 12,26; Lk 20,37 ), verherrlicht (vgl. Joh 12,23;17,1; Apg 2,33; Phil 2,9; Hebr 1,3-4.8 ). Dann hielt er seinen Zuhörern mit drastischen Worten ihr Verhalten vor Augen ( Apg 3,13-15 ). Zuerst hatten sie von Pilatus verlangt, Christus zu töten, obwohl dieser ihn loslassen wollte . Sodann hatten sie den Heiligen und Gerechten verleugnet und statt seiner einen Mörder befreit. Drittens hatten sie den Fürsten des Lebens getötet. Doch Gott hat ihn von den Toten auferweckt . Interessant sind hier vor allem die Titel, mit denen Petrus Christus belegt: Er nennt ihn "seinen Knecht Jesus", "den Heiligen und Gerechten" (vgl. Hebr 7,26 ) und "den Fürsten des Lebens" (vgl. Joh 10,10 ). Vor allem dieser dritte Titel enthält eine gewisse Ironie: Die Juden töteten den Fürsten des Lebens , doch er wurde zum Leben auferweckt! (Zur Auferstehung Jesu vgl. den Kommentar zu Apg 2,24 ,zu den Zeugen der Auferstehung 2,32 .)

 

 

Apg 3,16 Der Gelähmte war geheilt worden, weil er, wie die vielen, die Jesus geheilt hatte, an den Namen Jesu glaubte (z. B. Mk 5,34;10,52; Lk 17,19 ). In der Zeit des Alten und Neuen Testaments stand der Name einer Person für die Person selbst. Lukas nennt den Namen (Jesu) in der Apostelgeschichte mindestens dreiunddreißigmal (vgl. Apg 2,21.38;3,6.16;4,7.10.12.17-18;5,28.40-41; usw.).

 

 

Apg 3,17-18

 

Mit diesem Vers beginnt der ermahnende Teil der Ansprache des Petrus. Die Juden und ihre religiösen Führer (vgl. Lk 23,13 ) hatten insofern in Unwissenheit gehandelt (vgl. Apg 17,30; Eph 4,18; 1Pet 1,14 ), als sie nicht erkannt hatten, wer Jesus wirklich war. Doch Gott gab ihnen nun noch einmal die Möglichkeit, Buße zu tun. Durch ihre in Unwissenheit begangene Tat hatten sie zugleich dazu beigetragen, daß die Prophezeiungen des Alten Testaments in Erfüllung gingen (vgl. Apg 17,3;26,22-23 ).

 

 

Apg 3,19-21

 

Petrus forderte die Menschen also auch hier, wie in seiner Pfingstpredigt ( Apg 2,38 ), zur Buße auf. War er der Ansicht, daß das Gottesreich kommen würde, wenn Israel bereute? Diese Frage muß aus mehreren Gründen mit "ja" beantwortet werden: (1) Die Verbform wiedergebracht ist im Griechischen ein Substantiv ( apokatastaseOs , Apg 3,21 ), das mit dem Verb "wieder aufrichten" ( apokathistaneis ; Apg 1,6 ) verwandt ist. Beide verweisen auf die Wiederherstellung des Königreichs Israel (vgl. Mt 17,11; Mk 9,12 ). (2) Der Begriff der Wiederherstellung entspricht, wenn er sich auf das Gottesreich bezieht, der Neuschaffung bzw. Wiedergeburt am Jüngsten Tag (vgl. Jes 65,17;66,22; Mt 19,28; Röm 8,20-22 ). (3) Die Satzkonstruktionen von Apg 3,19 und Apg 3,20 unterscheiden sich voneinander. Das daß in Vers 19 ist die Übersetzung des griechischen pros to (in manchen Handschriften steht eis to ) mit Infinitiv, das auf eine unmittelbare Absicht oder Folge deutet. Das damit in Vers 20 gibt jedoch eine ganz andere Satzkonstruktion wieder ( hopOs , mit Konjunktiv), die auf die ferne Zukunft verweist. Buße führt also zuerst (und sofort) zur Vergebung der Sünden. Wenn Israel dann als Ganzes Buße tut, wird ein zweites, entfernteres Ziel, das Kommen des Gottesreiches ( die Zeit der Erquickung beim zweiten Kommen Christi) Wirklichkeit werden. (4) Das Senden des Christus , d. h. des Messias (V. 20 ), bedeutet dasselbe wie das Kommen des Gottesreiches. (5) Bereits das Alte Testament "verkündigte diese Tage" (V. 24 ; vgl. V. 21 ). Die Propheten des Alten Testaments sagten zwar nicht die Kirche voraus, die für sie noch ein Geheimnis war ( Röm 16,25; Eph 3,2-6 ), aber sie sprachen oft vom goldenen messianischen Zeitalter, d. h. vom Tausendjährigen Reich.

Als Zeichen seiner Gnade hatte Gott den Israeliten ein zweites Mal die Möglichkeit zur Rettung angeboten, doch wieder lehnten sie es ab zu glauben. Sie hatten Jesus bereits vor der Kreuzigung abgelehnt, und auch der auferstandene Christus konnte sie nicht zur Buße bewegen. Auch dem "Zeichen des Jona" glaubten sie also nicht (vgl. Lk 16,31 ); es bestärkte sie eher in ihrem Unglauben.

Manche Exegeten sind allerdings der Ansicht, daß Petrus an dieser Stelle nicht vom Kommen des Gottesreiches sprach. Auch sie können mehrere Gründe dafür anführen. (1) Da Gott wußte, daß Israel nicht auf ein solches Angebot eingehen würde, handelte es sich nicht um ein Angebot im eigentlichen Sinn. Dagegen ist zu sagen, daß dieses Angebot von den Juden nicht mehr verlangte als die Verkündigung des Evangeliums von den Nicht-Erwählten. (2) Damit wird das Gottesreich in das Zeitalter der Kirche verlegt. Dazu ist zu sagen, daß die Ursprünge des Kirchenzeitalters bereits vor der Geburt der Kirche an Pfingsten liegen (vgl. Mt 16,18;18,17; Joh 10,16;14,20 ). (3) Die These, daß Petrus hier vom Gottesreich sprach, führt zu einer extremen Jenseitshoffnung. Das ist jedoch keine zwingende Folge, wenn man das Angebot Gottes als eine Übergangszeit innerhalb der Kirchenzeit versteht. Die Apostelgeschichte ist quasi ein Werk des Übergangs, eine Brücke, die das Werk Christi auf Erden mit seinem Werk durch die Kirche auf Erden verbindet.

 

 

Apg 3,17-21

 

stellt also zwei Verheißungen für die Buße, die von Israel verlangt wurde, in Aussicht: (1) Für den einzelnen die Vergebung der Sünden, und (2) für das Volk als Ganzes die Rückkehr und Herrschaft des Messias.

 

 

Apg 3,22-23 An dieser Stelle wird Jesus als der "Mose des Neuen Testaments" bezeichnet, als die Erfüllung von 5Mo 18,15-19 (vgl. Joh 6,14 ). Christus wird nicht nur kommen und die Menschen befreien, wie Mose es tat, sondern er wird sie auch - ebenfalls wie Mose - richten (vgl. 3Mo 23,29 mit 5Mo 18,19; 4Mo 14,26-35 ).

 

 

Apg 3,24-25

 

Daß als nächster Prophet nach Mose erst wieder Samuel angeführt wird (vgl. Apg 13,20 ), impliziert ganz klar, daß Josua die Prophezeiung von 5Mo 18,15 nicht erfüllte.

Alle Propheten (vgl. Apg 3,18.21 ) sprachen auf die eine oder andere Art über diese Tage, d. h. über das messianische Zeitalter. Die Juden waren Söhne der Propheten und des Bundes, den Gott mit Abraham geschlossen ( 1Mo 12,2-3;15,18-21;17,1-8;22,18 ) und den er ihren Vätern bestätigt hatte (z. B. Isaak, 1Mo 26,3-4 ). Sie waren gesegnet, wenn sie, wie Abraham, glaubten (vgl. Röm 3,28; Röm 4,3; Gal 3,6-7 ), ja letztlich sollten alle Völker durch Abraham gesegnet sein (vgl. 1Mo 12,3; Röm 4,12.16; Gal 3,29; Eph 3,6 ).

 

 

Apg 3,26

 

Jesus, der Knecht Gottes (vgl. V. 13 ; Apg 4,27.30 ), wurde euch, d. h. den Juden, zuerst gesandt . Dieses chronologische Muster wird auch in den Evangelien und in der Apostelgeschichte eingehalten (vgl. z. B. Mt 10,5-6; Apg 13,46; Röm 1,16 ), denn die Errichtung des Gottesreiches hing damals wie heute von der Antwort Israels ab (vgl. Mt 23,39; Röm 11,26 ).

 

 

 

b. Die Gefangennahme

( 4,1 - 22 )

 

Apg 4,1-2

 

Verantwortlich für die Festnahme von Petrus, Johannes und dem Gelähmten (V. 14 ) waren die Priester und der Hauptmann des Tempels und die Sadduzäer . Da es Sache des Hauptmanns war, im Tempel für Ruhe und Ordnung zu sorgen, ist es nicht überraschend, daß auch er einschritt, um die Menschenansammlung auseinanderzutreiben (vgl. Apg 3,11 ).

Die Priester waren selbst größtenteils Sadduzäer ( Apg 5,17 ); es war also in erster Linie diese Partei, die Anklage gegen die Apostel erhob. Das Priestergeschlecht der Sadduzäer vertrat eine Reihe besonderer religiöser und politischer Überzeugungen: (a) Sie glaubten weder an die Auferstehung des Leibes noch an Engel oder Geister; (b) sie verhielten sich der römischen Verwaltung gegenüber loyal; (c) sie wollten den Status quo aufrechterhalten; (d) sie gehörten zu den Wohlhabenden; (e) für sie war nur der Pentateuch maßgeblich. Die Predigt von Petrus und Johannes hatte sie sehr verdrossen, weil sie ihrer Leugnung der Auferstehung von den Toten explizit widersprach und außerdem das Establishment angriff.

 

 

Apg 4,3

 

Die beiden Apostel wurden über Nacht eingesperrt, denn es war schon Abend (vgl. drei Uhr nachmittags; Apg 3,1 ) und daher zu spät für einen Prozeß.

 

 

Apg 4,4

 

 

 

 

Hier zeigte sich erstmals, daß das Evangelium sich unaufhaltsam, gegen alle Widerstände, durchsetzte. Die beiden führenden Apostel wurden in Ketten gelegt, doch das Wort Gottes konnte nicht gebunden werden! (Vgl. Apg 28,30-31; Phil 1,12-14 .)

 

 

Apg 4,5-6 Lukas' sorgfältige Beschreibung der jüdischen Machthaber führt den Pomp und die Macht dieser Versammlung vor Augen. Einfache Fischer standen vor den höchsten Führern des Landes! Die Obersten und Ältesten und Schriftgelehrten zusammen bildeten den Sanhedrin, den höchsten jüdischen Gerichtshof (vgl. V. 15 ). Hannas , der Schwiegervater des Kaiphas, war von 6 bis 15 n. Chr. Hoherpriester und wurde dann abgesetzt. Sein Schwiegersohn Kaiphas trat seine Nachfolge an (18 bis 36 n. Chr.), doch offensichtlich betrachteten die Juden Hannas, der eine Art priesterlicher Staatsmann war, weiterhin als ihren rechtmäßigen Hohenpriester. (Vgl. die Tabelle zur Familie des Hannas und den Kommentar zu Lk 3,2; Joh 18,13; Apg 7,1 .) Der Hohe Rat hatte über Jesus zu Gericht gesessen; jetzt standen zwei von Jesu berühmtesten und kühnsten Anhängern vor ihm! Über die beiden anderen Personen, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden, Johannes und Alexander , wissen wir nichts.

 

 

Apg 4,7-10 Als Petrus und Johannes vor den Hohen Rat gestellt und gefragt wurden, von wem sie ihre Vollmacht hatten, wurde Petrus, der Sprecher der beiden, vom Heiligen Geist erfüllt (vgl. Apg 2,4 ). Das ist bereits Petrus' vierte Rede in der Apostelgeschichte. Ihr - mit beißender Ironie vorgetragener - Inhalt lautete in etwa: "Stehen wir hier vor Gericht, weil wir einem kranken Menschen geholfen haben?" Die Apostel hatten das Wunder nicht aus eigener Kraft, sondern im Namen Jesu Christi (vgl. Apg 3,16;4,7.12.17-18 ) vollbracht, den das jüdische Volk gekreuzigt, Gott aber von den Toten auferweckt hatte (vgl. Apg 2,23-24;3,15 ).

 

 

Apg 4,11

 

Der, der diesen Gelähmten geheilt hatte, war der Stein, den die Bauleute verworfen hatten. Hier zitierte Petrus Ps 118,22 .Die Bedeutung des Verses ist jedoch umstritten. Der verworfene Stein ( Ps 118 ) kann (a) ein wirklicher Stein, (b) das Volk Israel oder (c) David sein. Möglich ist auch, daß es sich nur um ein Sprichwort handelt. David dachte wahrscheinlich an Israel, das von allen verachtete Volk, als er seinen Psalm dichtete. Doch auf jeden Fall ist Jesus Christus, das "vollkommene Israel", die endgültige Erfüllung dieses Verses (vgl. Jes 5,1-7; Mt 2,15;21,42; Mk 12,10; Lk 20,17; 1Pet 2,7 ). Der verworfene Stein (der in der Kreuzigung durch das Volk verworfene Christus) ist der Eckstein , der auferstandene Herr.

 

 

Apg 4,12

 

Auch der Begriff Heil geht auf Ps 118 ,die Hauptquelle für diese Predigt, zurück. Die Verse 22 - 29 weisen voraus auf die Befreiung im Tausendjährigen Reich. In Apg 4,12 sprach Petrus also nicht nur von der Rechtfertigung des einzelnen, sondern von der umfassenden Rettung des Volkes Israel.

Damit waren die religiösen Machthaber in die Defensive gedrängt. Sie hatten den einzigen, der Israel retten konnte, verworfen und sich damit der Vollendung des Bauwerks Gottes in den Weg gestellt. Doch es gibt keinen anderen Weg zum Heil (vgl. Joh 14,6; 1Tim 2,5 ).

 

 

Apg 4,13-14

 

Der Hohe Rat war erstaunt, daß Petrus und Johannes, ungelehrte ( agrammatoi , "ungebildet") und einfache ( idiOtai ) Leute , so freimütig sprachen. Der Freimut ( parrEsia , "Kühnheit" oder "Mut, offen und frei zu sprechen") ist ein weiteres wichtiges Thema in der Apostelgeschichte ( Apg 2,29;4,13.29.31;28,31; vgl. das Verb "frei und offen predigen" in Apg 9,27-28;13,46;14,3;18,26;19,8;26,26 .) Ihnen war bekannt, daß Petrus und Johannes mit Jesus gewesen waren (vgl. Joh 7,15 ), und sie wußten nichts mehr zu sagen. Die Apostel erfuhren hier also zum ersten Mal am eigenen Leibe, was Christus ihnen verheißen hatte ( Mt 10,19-20; Lk 12,11-12; Lk 21,15 ).

 

 

Apg 4,15-17

 

Es ist von großer Bedeutung, daß die Mitglieder des Hohen Rats die Wirklichkeit des Zeichens nicht leugnen konnten und es auch überhaupt nicht versuchten. Sie vermieden es sorgfältig, "Jesus" zu erwähnen und sprachen nur von diesem Namen (vgl. die Weigerung des Hohenpriesters in Apg 5,28 ).

Vielleicht hatte Lukas diese Einzelheiten, die sich mit Sicherheit hinter verschlossenen Türen abspielten, von Nikodemus oder Paulus erfahren. Paulus war zwar kein Sadduzäer, doch er hatte wahrscheinlich Zugang zu derartigen Informationen.

Der Hohe Rat (Sanhedrin), der oberste Gerichtshof und das höchste Verwaltungsorgan der Juden, bestand aus 71 Mitgliedern, einschließlich des Hohenpriesters. Die meisten waren Sadduzäer. Hier stehen erstmals in der Apostelgeschichte (vgl. Apg 5,27 : Petrus und die Apostel; Apg 6,12 : Stephanus; Apg 22,30 : Paulus) Anhänger von Jesus vor dem Hohen Rat.

 

 

Apg 4,18-22

 

Auf den Befehl, keinesfalls zu reden oder zu lehren in dem Namen Jesu , erwiderten Petrus und Johannes, daß sie Gott mehr gehorchen mußten als menschlichen Autoritäten (vgl. Apg 5,29 ). Sie mußten ihr Zeugnisamt ausüben, wie Christus es ihnen geboten hatte ( Apg 1,8 ). Daraufhin verboten die religiösen Machthaber es ihnen nochmals, offensichtlich unter Androhung von Strafe, und ließen sie dann gehen. Sie wagten nicht, sie zu strafen, denn alle lobten Gott für das, was geschehen war (vgl. Apg 3,9; 5,26 ).

 

 

c. Das Gebet der Gemeinde

( 4,23 - 31 )

 

Dieses Gebet der Urkirche besteht aus drei Schritten: (1) Gott ist der souveräne Herrscher (V. 24 ). (2) Es gehört zu Gottes Plan, daß die Gläubigen bei der Verkündigung des Evangeliums auf Widerstände treffen (V. 25 - 28 ). (3) Daher baten sie Gott, ihnen den Mut zu offenem und freimütigem Bekenntnis zu geben (V. 29 - 30 ).

 

 

Apg 4,23-24 Bemerkenswerterweise bestand die erste Reaktion der Gläubigen (die Ihren, d. h. die Leute von Petrus und Johannes) auf Verfolgungen darin, Gottes souveräne Schöpfungskraft zu preisen.

 

 

Apg 4,25-27

 

Die Worte "durch den Heiligen Geist, durch den Mund unseres Vaters David" beweisen, wie viele andere Passagen der Apostelgeschichte, daß die Verfasser der Bibel vom Heiligen Geist inspiriert waren (vgl. Apg 28,25 ). Vers 25.26 enthalten ein Zitat aus Ps 2,1-2 über die Zeit der großen Trübsal. In einem vorläufigen Sinn sah Petrus im Widerstand gegen die frühe Kirche die Erfüllung des von David in Ps 2 vorhergesagten Widerstands gegen den Messias, den Christus Gottes ( tou christou ; vgl. "gesalbt", Apg 4,27 ). Die Parallelen liegen auf der Hand.

Die Heiden (ethne) in Apg 4,25 entsprechen den Heiden ( ethnesin ) in Vers 27 ; die Völker ( laoi ) in Vers 25 den Stämmen Israels ( laois I sraEl ) in Vers 27 ; die Könige der Erde in Vers 26 Herodes in Vers 27 ; und die Fürsten in Vers 26 Pontius Pilatus in Vers 27 .

 

 

Apg 4,28-30

 

In dem klaren Bewußtsein, daß Gott es vorherbestimmt hatte , daß Christi Botschaft auf Widerstand stoßen sollte, beteten Petrus und Johannes nun um Freimut in der Verkündigung und um die Fähigkeit, Heilungen, Zeichen ( sEmeia ; vgl. Apg 2,43 ) und Wunder ( terata ; vgl. Apg 2,43 ) durch den Namen Jesu vollbringen zu können.

 

Apg 4,31

 

Der Antwort des Herrn auf das Gebet der Gläubigen um Freimut ging eine Art Erdbeben an der Stätte, wo sie versammelt waren, voraus. Dann wurden alle vom Heiligen Geist erfüllt (vgl. V. 8 ). Wenn Lukas, wie hier, das Kommen des Heiligen Geistes mit einer Verbform beschreibt, führte er es gewöhnlich allein auf das Wirken Gottes zurück. Im Gegensatz dazu sind die Christen in Eph 5,18 , wo der Imperativ steht, selbst dafür verantwortlich, daß sie vom Geist erfüllt werden.

 

2. Bestrafung innerhalb der Kirche

( 4,32 - 5,11 )

 

a. Die Gütergemeinschaft

( 4,32 - 37 )

 

Lukas hatte zwei Gründe dafür, an dieser Stelle den folgenden Abschnitt einzuschieben. Erstens nutzte er die Gelegenheit, seinen Lesern Barnabas vorzustellen. Es entsprach seiner üblichen Technik, eine Person zunächst in einer kleinen Geschichte einzuführen und sie dann später in einer größeren Rolle auf die Bühne zu bringen.

Zweitens wollte er das Verhalten des Barnabas und der übrigen Gemeinde dem Charakter von Hananias und Saphira ( Apg 5 ) gegenüberstellen. Die Großzügigkeit, die unter den anderen Christen herrschte und die vor allem Barnabas auszeichnete, hob sich scharf von der Selbstsucht dieses Ehepaars ab.

Apg 4,32-35

Die Gläubigen waren sich nicht nur in geistlichen, sondern auch in materiellen Dingen (vgl. Apg 2,44-45 und den Kommentar dazu) einig ( ein Herz und eine Seele ). Sie verkauften ihre Güter, und jeder bekam zugeteilt, was er nötig hatte . Der Herr hatte ihr Gebet um Freimut offensichtlich erhört ( Apg 4,29 ), denn die Apostel bezeugten mit großer Kraft die Auferstehung des Herrn Jesus . (Hier findet sich auch zum ersten Mal das in der Apostelgeschichte so häufig vorkommende Wort Gnade ; z. B. Apg 6,8;11,23;13,43;14,3.26;15,11.40;18,27;20,24.32; usw.)

 

 

Apg 4,36-37

 

Josef trug den Beinamen Barnabas, das heißt übersetzt: Sohn des Trostes ; wahrscheinlich verdankte er ihn der Gabe, Traurige und Entmutigte wieder aufzurichten.

Wie kam aber ein Levit zu Eigentum? War das nicht verboten ( 4Mo 18,20.24 )? Die Antwort ist vielleicht, daß es einem Leviten zwar in Israel, nicht aber außerhalb seiner Heimat verboten war, Land zu erwerben. Barnabas stammte von Zypern und besaß dort offensichtlich Grund und Boden. Möglich ist auch, daß der Acker seiner Frau gehörte und sie ihn zusammen verkauften. Höchstwahrscheinlich wurde die Einschränkung, die 4Mo 18,20.24 den Israeliten auferlegte, später ohnehin nicht mehr befolgt (vgl. auch Jer 1,1;32,6-15 ).

 

 

b. Der Täuschungsversuch von Hananias und Saphira

( Apg 5,1-11 )

 

Diese Geschichte erinnert an den Diebstahl Achans in Jos 7 (vgl. 4Mo 15,32-36;16,1-35 ).

 

 

Apg 5,1-2

 

Die Sünde, die Hananias und Saphira begingen, wird in Vers 3 - 4 und 9 erklärt. Selbstverständlich hätten sie den Erlös aus dem Verkauf ihres Ackers auch offen für sich behalten können. Statt dessen verfielen sie auf die Idee, die Apostel zu belügen und ihnen vorzumachen, daß sie ihnen ihr ganzes Vermögen gegeben hatten, während sie gleichzeitig etwas von dem Geld für sich zurückbehielten .

Die Wendung "den Aposteln zu Füßen" ist dieselbe wie in Apg 4,35.37 ; sie weist erneut auf das unterschiedliche Verhalten von Hananias und Barnabas hin.

 

 

Apg 5,3

 

Petrus hielt Hananias mit den Worten "der Satan hat dein Herz erfüllt" sein Verhalten vor. Bei dem hier mit "erfüllt" übersetzten griechischen Wort ( eplErOsen , von plEroO ) schwingt die Vorstellung von Kontrolle oder Einfluß mit. Dasselbe Verb findet sich auch in dem Gebot: "Laßt euch vom Geist erfüllen" ( Eph 5,18 ). Hananias, ein Gläubiger, stand also unter dem Einfluß Satans, nicht des Heiligen Geistes. Mit der Frage, warum er Satan solche Macht über sich gewinnen ließ, spielte Petrus vielleicht auf frühere Sünden von Hananias an.

 

Apg 5,4 Nach Petrus' Worten hatte Hananias den Heiligen Geist (V. 3 ) bzw. Gott (V. 4 ) belogen. Daß die beiden Namen hier als Synonyme verwendet werden, ist ein Beweis für die Gottheit auch des Geistes.

Die Tatsache, daß die Gläubigen das Recht hatten, ihr Eigentum zu behalten, unterscheidet diese Gütergemeinschaft von bestimmten Formen des Sozialismus. Die Spende für die Gemeinde war freiwillig. Außerdem wurde diese Praxis nur eine Zeitlang befolgt - solange die Gläubigen dachten, Christus würde noch in ihrer Generation auf die Erde zurückkehren.

 

 

Apg 5,5-6

Als Hananias diese Worte hörte, fiel er zu Boden und gab den Geist auf . Petrus schrieb später, das Gericht werde "an dem Hause Gottes" beginnen ( 1Pet 4,17 ). Was Hananias getan hatte, war ein ganz klarer Fall einer Sünde "zum Tode" ( 1Joh 5,16 ). Seine Strafe fiel so schwer aus, weil er, wie einst Achan für die Israeliten, als abschreckendes Beispiel für die anderen Gemeindemitglieder dienen sollte (vgl. 1Kor 10,6 ).

 

 

Apg 5,7-10

Auch Saphira, die noch nichts vom Tod ihres Mannes wußte, belog Petrus in bezug auf den Preis für den Acker, woraufhin Petrus ihr vorwarf, sich mit Hananias einig geworden zu sein, den Geist des Herrn zu versuchen . "Den Geist versuchen" heißt auszuprobieren, wie weit man ungestraft gehen kann, wie lange Gott sich ausnutzen und herausfordern läßt (vgl. 5Mo 6,16; Mt 4,7 ).

 

 

Apg 5,11

Die Strafe, die dieses Paar ereilt hatte, hatte dann auch zur Folge, daß über die ganze Gemeinde und auch alle anderen Ungläubigen, die das hörten, eine große Furcht kam (vgl. bereits V. 5 und auch Apg 19,17 ).

Mit diesem Bericht verfolgt Lukas mehrere Absichten: (1) Dieser Fall machte Gottes Mißfallen an der Sünde deutlich, insbesondere an der Unehrlichkeit innerhalb seines Leibes, der Kirche. (2) Er hob die jetzige Kirche vom alten Israel ab, denn eine solche Strafe hatte es in Israel noch nicht gegeben. Der Begriff Kirche (er steht hier zum ersten Mal in der Apostelgeschichte) bezieht sich sowohl auf die universale Kirche, von der auch in Apg 9,31 und Apg 20,28 die Rede ist, als auch auf die lokalen Gemeinden in Apg 11,26 und Apg 13,1 .(3) Er war ein Beweis, daß Gott in dieser neuen Gruppe wirkte.

 

3. Die weitere Entwicklung der Kirche

( 5,12 - 42 )

 

a. Die Bestätigung der Apostel

( 5,12 - 16 )

Dieser Abschnitt soll den Leser auf das Folgende vorbereiten. Was hier geschah, konnte nicht unbemerkt bleiben.

 

 

Apg 5,12

 

Wieder vollbrachte Gott durch die Hände der Apostel viele Zeichen und Wunder (vgl. den Kommentar zu Apg 2,43 ). Interessanterweise versammelte die Urkirche in Jerusalem sich ebenfalls im Tempel, in der Halle Salomos, zu der die Menschen geströmt waren, als sie von der Heilung des Gelähmten hörten ( Apg 3,11 ).

 

 

Apg 5,13

Hier soll wahrscheinlich gesagt werden, daß kein Heuchler oder Ungläubiger es wagte, sich der Gemeinde der Christusgläubigen anzuschließen. Das Beispiel von Hananias und Saphira war zu abschreckend gewesen!

Keiner heißt wörtlich "keiner von den übrigen" ( tOn loipOn oudeis ), wobei "die übrigen" die Verlorenen sind (in Lk 8,10 mit die "anderen" übersetzt; vgl. Röm 11,7; Eph 2,3; 1Thes 4,13;5,6 ).

 

 

Apg 5,14

 

Trotz des Zögerns vieler, sich den Gläubigen anzuschließen, wuchs die Zahl derer, die an den Herrn glaubten . Dieses rasche zahlenmäßige Wachstum war ein Phänomen der Urkirche (vgl. Apg 2,41.47;4,4;6,1.7;9,31 ).

 

 

Apg 5,15-16

Durch wunderbare Zeichen (vgl. V. 12 ) wurde das Wort Gottes in der jungen Kirche bestätigt. Im Gegensatz zu der schrecklichen Strafe, die Hananias und Saphira traf, waren die Wunder ein Beweis, daß Gott die Kirche guthieß. Sie riefen allerdings nicht nur Vertrauen in die Fähigkeiten der Apostel hervor, sondern auch Aberglauben: Die Menschen dachten, daß bereits Petrus' Schatten , wenn er auf einen Kranken fiele, diesen gesund machen könne.

Daß die Apostel tatsächlich die Macht besaßen, zu heilen und Dämonen auszutreiben, geht auf die Verheißung des Herrn zurück ( Mt 10,8; Mk 16,17-18 ).

 

 

b. Die zweite Festnahme und Freilassung der Apostel

( 5,17 - 20 )

 

Apg 5,17-20

Aus der zweiten Festnahme und Gefangenschaft befreite Gott die Apostel - offensichtlich wurden diesmal alle zwölf eingekerkert - auf übernatürliche Weise und gebot ihnen danach durch einen Engel , mit der öffentlichen Verkündigung (im Tempel, in der Nähe des Versammlungsortes der Kirche; vgl. V. 12 ) fortzufahren und alle Worte des Lebens (eine ungewöhnliche Bezeichnung für das Evangelium) zum Volk zu reden. Das war das erste von insgesamt drei Gefängniswundern, von denen die Apostelgeschichte berichtet (vgl. Petrus, Apg 12,6-10; Paulus und Silas, Apg 16,26-27 ).

 

 

c. Das Verhör und die Verteidigung der Apostel

( 5,21 - 32 )

 

Apg 5,21 a

 

Die Apostel gehorchten dem Gebot des Engels (V. 20 ). Obwohl sie in der Nacht kaum geschlafen hatten, gingen sie bereits frühmorgens in den Tempel (vgl. V. 20 ).

 

 

Apg 5,21-25

 

(Apg 5,21b-25)

 

Im folgenden Bericht steckt viel Ironie: (1) Die Wächter hatten die - mittlerweile leeren - Gefängniszellen sorgfältig gesichert (V. 21 b - 23 ). (2) Die höchsten Machthaber Israels waren versammelt, um über Gefangene zu richten, die sich in Wirklichkeit gar nicht mehr in ihrer Gewalt befanden. (3) Während die Führer des Volkes sich noch fragten, was mit den Männern, die sie in Gewahrsam hatten nehmen lassen, geschehen war, erhielten sie die Nachricht, daß sie wieder im Tempel waren und lehrten. Der Hauptmann des Tempels (vgl. Apg 4,1 ) und die Hohenpriester waren angesichts dessen sehr betreten ( diEporoun , wörtlich: "erstaunt, verlegen"); sie wußten nicht, was sie von den verschlossenen, nun aber leeren Zellen halten sollten. Wahrscheinlich befürchteten sie auch, daß die Flucht der Gefangenen noch ein Nachspiel haben könnte (vgl. Apg 16,27-28 ).

 

 

Apg 5,26-27 Als bekannt wurde, daß die Apostel im Tempel waren und lehrten, ging der Hauptmann mit den Knechten hin und holte sie , diesmal allerdings nicht mit Gewalt, denn sie fürchtetensich vor dem Volk, und brachte sie zum Verhör vor den Hohen Rat. (Zum Hohen Rat vgl. den Kommentar zu Apg 4,15; vgl. auch Apg 6,12; Apg 22,30 .)

 

 

Apg 5,28

Der zweimalige Gebrauch des Pronomens dieser macht deutlich, daß der Hohepriester es unter allen Umständen vermeiden wollte, den Namen Jesu auszusprechen (vgl. "dieser Name"; Apg 4,17 ). Wie sehr mußte er Jesus hassen!

 

 

Apg 5,29

 

Im folgenden Verhör wiederholte Petrus die Grundsatzerklärung, die er bereits in Apg 4,19-20 abgegeben hatte. Doch auch das Gegenteil hat in bestimmten Fällen seine Berechtigung: Christen sollen der Obrigkeit gehorchen , es sei denn, es würde eine Sünde von ihnen verlangt (vgl. Röm 13,1-7; 1Pet 2,13-17 ).

 

 

Apg 5,30-31

Die Aussage von Petrus und den Aposteln - daß Jesus auferstanden war - muß die Sadduzäer mit ohnmächtiger Wut erfüllt haben (vgl. Apg 4,1-2;5,17;23,8 ). Es war dieselbe Botschaft, die Petrus, der stets als Sprecher der Apostel auftrat, ihnen bereits zuvor verkündigt hatte: (a) Sie hatten Jesus getötet, doch Gott hatte ihn von den Toten auferweckt (vgl. Apg 2,23-24.36;3,15;4,10 ); (b) sie konnten die Vergebung der Sünden erlangen (vgl. Apg 2,38;10,43;13,38;26,18 ), wenn sie Buße taten und sich zu Christus bekehrten (vgl. Apg 2,38;3,16;4,12;8,22 ).

 

 

Apg 5,32

Die Apostel waren sich der Verantwortung, die sie übernommen hatten, sehr wohl bewußt, denn sie versicherten: Wir sind Zeugen dieses Geschehens ( rhEmatOn , "Worte, Sprichworte" oder "Dinge"). Der Heilige Geist bestätigte ihr Zeugnis, indem er ihnen den Mut zu freimütiger Predigt und die Fähigkeit, Wunder zu vollbringen, verlieh. Er ist mit allen, die an Christus glauben ( Röm 8,9 ).

 

 

d. Die Befreiung der Apostel

( 5,33 - 42 )

 

Apg 5,33

Daß diese Predigt die religiösen Machthaber in sinnlose Wut versetzte, war nichts Neues. Sie wollten die Apostel unbedingt töten. Ihr Haß äußerte sich auf dieselbe Art wie ihr Widerstand gegen den Herrn ein paar Wochen zuvor. Es ist ein häufiges Erscheinungsbild, daß eine oppositionelle Haltung sich immer mehr versteift.

 

 

Apg 5,34-35

Dem beim Volk sehr beliebten und verehrten Gamaliel, einem Pharisäer und Schriftgelehrten , gelang es jedoch, den Hohen Rat von einer Verfolgung der Apostel abzubringen. Es war allerdings nicht Sympathie für die Kirche, die ihn dazu veranlaßte, sondern Einsicht in Gottes souveränes Wirken auf Erden (vgl. V. 39 ).

 

 

Apg 5,36

Über Theudas und die vierhundert Aufrührer, denen kein Erfolg beschieden war, ist uns nichts bekannt. Ein von einem gewissen Theudas angeführter Aufstand, über den Josephus, ein jüdischer Historiker des ersten Jahrhunderts berichtete, fand erst später, sogar nach dem in Vers 37 beschriebenen Aufstand von Judas, statt und hatte außerdem sehr weitreichende Folgen.

 

 

Apg 5,37

 

Als zweites verwies Gamaliel auf die Verschwörung von Judas dem Galiläer . Auch über diese Bewegung, deren Anführer zwar hingerichtet wurde, die mit seinem Tod jedoch nicht erlosch, hat Josephus ausführlich berichtet.

 

 

Apg 5,38-39

 

Die Quintessenz von Gamaliels Rede war, daß die Juden abwarten sollten, was aus dieser neuen Bewegung entstünde, dann könnten sie entscheiden, ob dies Vorhaben oder dies Werk von Menschen oder von Gott kam . Interessanterweise war es einer der Feinde des Christentums, der an dieser Stelle eine Verteidigungsrede für die Kirche Jesu Christi hielt: Er machte deutlich, daß der Versuch, das Werk Gottes aufzuhalten, bedeuten würde, gegen Gott zu streiten !

 

 

Apg 5,40

 

Der Hohe Rat wollte die Apostel jedoch nicht einfach mit einer Ermahnung davonkommen lassen; er ließ sie geißeln und gebot ihnen, sie sollten nicht mehr im Namen Jesu reden (zu Jesu "Namen" vgl. den Kommentar zu Apg 3,16 ). Die Geißelung war offensichtlich als Strafe für ihren Ungehorsam gegenüber dem früheren Verbot gedacht (vgl. Apg 4,18.21;5,28 ).

 

 

Apg 5,41-42

 

Trotz der blutigen Geißelung gingen die Apostel fröhlich von dem Hohen Rat fort . Hier stoßen wir abermals auf das Thema der Freude (vgl. den Kommentar zu Apg 2,46-47 ). Eine siegreiche Kirche freut sich am Wirken Gottes, auch dann, wenn sie verfolgt wird - ja, sie kann sich sogar, wie hier, über die Verfolgung freuen. Für die Apostel war es eine Ehre, um Jesu Namen willen Schmach zu leiden (zu dem "Namen" Jesu vgl. Apg 3,16; vgl. 1Pet 4,14.16 ). Auch später ermutigte Petrus die Christen, sich zu freuen, wenn sie "mit Christus" litten ( 1Pet 4,13; vgl. 1Pet 2,18-21;3,8-17 ).

In Apg 5,17-42 wollte Lukas zeigen, wie das Volk Israel auf dem tragischen Weg der Verwerfung seines Messias Jesus fortschritt.

 

 

4. Die Verwaltung innerhalb der Kirche

( 6,1 - 7 )

 

Apg 6,1

 

Die griechischen Juden beherrschten das Hebräische, die Muttersprache der in Israel lebenden Juden, nicht. Sie waren wahrscheinlich irgendwann einmal ausgewandert und sprachen jetzt außer griechisch nur noch die Sprachen ihrer Herkunftsländer (vgl. Apg 2,5-11 ). Dasselbe galt wohl auch für die heidnischen Proselyten, die später zum Christentum übertraten. Doch auch die einheimischen Juden beherrschten zwei Sprachen (griechisch und hebräisch; vgl. Apg 21,40 ). Zwischen ihnen und den griechischen Juden gab es immer wieder Spannungen, die leider auch auf die christliche Kirche übergriffen.

 

 

Apg 6,2

 

Die zwölf Apostel hielten es für ihre vordringliche Aufgabe, das Wort Gottes zu verkündigen und zu beten (vg. V. 4 ).

 

 

Apg 6,3-4

 

Um dafür frei zu sein, wollten sie für die anderen in der Gemeinde anfallenden Aufgaben, d. h. die Verwaltung der Finanzen, sieben Männer einsetzen. Für diesen Dienst wurden drei Qualifikationen verlangt: Sie mußten (a) voll Heiligen Geistes und (b) Weisheit (vgl. V. 10 ) sein und (c) einen guten Ruf haben , d. h. bekannt dafür sein, daß sie die beiden ersteren Qualifikationen besaßen (der Glaube [V. 5 ] wird nicht ausdrücklich genannt, weil er die Vorbedingung dafür ist, "voll des Heiligen Geistes" zu sein).

Die Wahl von sieben Männern geht auf die Tradition der jüdischen Gemeinden zurück, die sieben geachtete Männer in einen offiziellen Rat wählten, der für die öffentlichen Angelegenheiten zuständig war.

Durch die Delegierung dieser Aufgaben an sieben dafür auserwählte Männer konnten die Zwölf ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben (vgl. V. 2 ).

Apostelgeschichte

 

Apg 6,5

 

Dieser Vorschlag gefiel der ganzen Menge gut . Die sieben, die gewählt wurden, trugen griechische Namen, waren also alle Hellenisten. Nikolaus , der Letztgenannte, war nicht einmal ein geborener Jude, sondern hatte sich zuerst zum Judentum und dann zum Christentum bekehrt. Die Urkirche war offensichtlich der Ansicht, das Problem der unbeabsichtigten Vernachlässigung der Witwen der griechischen Juden am besten durch die Ernennung von hellenistischen Juden zu Finanzverwaltern lösen zu können; man ging davon aus, daß sie ihrerseits die hebräisch sprechenden Witwen nicht vernachlässigen würden.

Die Einführung der sieben (vgl. Apg 21,8 ) soll die Leser auf das Wirken von Stephanus und Philippus , die in der Aufzählung an erster Stelle genannt werden, vorbereiten. Daß beide Griechen waren, weist außerdem voraus auf die weitere Verbreitung des Evangeliums über die Grenzen von Jerusalem und Judäa hinaus. (Über die vier anderen, Prochorus, Nikanor, Timon und Parmenas , ist uns nichts bekannt.)

 

 

Apg 6,6

 

Die eigentlichen Leiter der Gemeinde waren allerdings immer noch die Apostel, die beteten und den Neuernannten die Hände auflegten . Die Praxis des Handauflegens war ein Zeichen der Beauftragung und Bevollmächtigung (vgl. Apg 8,17-19;13,3; Apg 19,6; 1Tim 4,14;5,22; Hebr 6,2 ). Waren diese Männer, die als erste für eine bestimmte Aufgabe innerhalb der Gemeinde gewählt worden waren, so etwas wie die ersten "Diakone"? Dazu gibt es drei verschiedene Positionen:

 

 

Apg 6,7

 

(3) Eine dritte These lautet, daß die Sieben nur für eine begrenzte Zeit und für eine ganz bestimmte Aufgabe gewählt wurden. Das scheint - aus mehreren Gründen - die plausibelste Annahme zu sein. Zum einen wurden sie tatsächlich für eine ganz bestimmte Aufgabe ausgewählt. Zum anderen trugen sie die Verantwortung nur für eine begrenzte Zeit, weil die Kirche in Jerusalem gemeinschaftlich organisiert war. Doch auch in diesem Fall könnte man sagen, daß sie die Rolle und die Aufgabe von Diakonen erfüllten.

 

Hier folgt der nächste "Verlaufsbericht". Die Kirche nahm weiterhin rasch zu (vgl. Apg 2,41.47;4,4;5,14;6,1;9,31 ); auch viele jüdische Priester traten zum Christentum über ( wurden dem Glauben gehorsam ; vgl. Röm 1,5 ). Mit der Ernennung der Sieben waren die Leser auf das Werk von Stephanus und Philippus und auf die Verkündigung des Evangeliums außerhalb Jerusalems vorbereitet.

 

 

II. Das Zeugnis in ganz Judäa und Samaria

( 6,8 - 9,31 )

 

A. Der Märtyrertod des Stephanus

( 6,8 - 8,1 a)

 

1. Die Gefangennahme des Stephanus

( 6,8 - 7,1 )

 

Das Wirken, die Gefangennahme und der Prozeß des Stephanus ähneln auf frappierende Weise der Geschichte Jesu.

 

 

Apg 6,8

 

Wie Christus und die Apostel war auch Stephanus voll Gnade und Kraft (vgl. Apg 4,33; Lk 2,40.52 ); außerdem besaß er Geist, Weisheit und Glauben ( Apg 6,3.5.8 ) und tat Wunder und Zeichen (vgl. Apg 2,22; Lk 24,19; vgl. auch Apg 2,43 ). Offensichtlich war er eine hervorragende Führerpersönlichkeit. Die Beweise der Gnade Gottes, die ihm in so reichem Maße gegeben waren, leiteten ihn in seiner Verantwortung für die Versorgung der Witwen.

 

 

Apg 6,9-11

 

Der Synagoge der Libertiner gehörten wahrscheinlich Personen an, deren Vorfahren oder auch sie selbst sich aus der Kriegsgefangenschaft oder Sklaverei freigekauft hatten. Wer sie genau waren, wissen wir allerdings nicht.

Die Mitglieder dieser Synagoge stammten jedenfalls aus ganz verschiedenenLändern - Nordafrika ( Kyrene und Alexandria waren zwei der wichtigsten Städte dieses Gebiets), Asien (dem Westen der heutigen Türkei) und Zilizien . Wahrscheinlich gehörte auch Paulus dieser Kirche an, denn Tarsus lag in der Provinz Zilizien.

Stephanus war nicht nur Mitglied der Sieben und ein Wundertäter, er war auch ein gewandter Redner. Selbst seine Widersacher vermochten der Weisheit und dem Geist, in dem er redete, nicht zu widerstehen (vgl. "voll Heiligen Geistes und Weisheit", V. 3 und "voll ... Heiligen Geistes", V. 5 und Apg 7,55 ).

Um sich eines solchen gefährlichen Gegners zu entledigen, verleiteten die Mitglieder der Synagoge einige Männer dazu, Anklage gegen ihn zu erheben. Wie dem Herrn wurde auch ihm Gotteslästerung vorgeworfen (vgl. Mt 26,65 ).

 

 

Apg 6,12-14

 

Für die Laien und Leiter der Synagoge genügte das, um Stephanus zu ergreifen und vor den Hohen Rat zu führen. Zum dritten von insgesamt vier Malen in der Apostelgeschichte stehen hier Anhänger des Herrn vor dem jüdischen Gerichtshof; die anderen waren Petrus und Johannes ( Apg 4,15 ), Petrus und die Apostel ( Apg 5,27 ) und Paulus ( Apg 22,30 ).

Die falschen Zeugen müssen nicht unbedingt gelogen haben. Wahrscheinlich hatte Stephanus die Dinge, die sie ihm vorwarfen, tatsächlich gesagt, und sie hatten seine Intention lediglich mißverstanden (vgl. Mt 26,61; Mk 14,58; Joh 2,19 ). Auch Jesus hatte die Zerstörung des Tempels prophezeit ( Mt 24,1-2; Mk 13,1-2; Lk 21,5-6 ), doch er hatte nie gesagt, daß er ihn zerstören würde. Der zweite Teil der Anklage gegen Stephanus betraf die zeitlich begrenzte Gültigkeit des mosaischen Systems. Zweifelsohne waren Stephanus die theologischen Implikationen der Rechtfertigung durch den Glauben und der Erfüllung des Gesetzes in Christus klar. Darüber hinaus mußte das Gesetz schon dadurch, daß das Evangelium der ganzen Welt galt ( Apg 1,8 ), nur von begrenzter Dauer sein.

 

 

Apg 6,15

 

Alle, die im Rat saßen - d. h. alle 71 Mitglieder - blickten auf Stephanus und warteten auf seine Antwort. Sie sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht - offensichtlich wurde er verklärt (vgl. das Gesicht von Mose, 2Mo 34,29.35 ).

 

 

Apg 7,1

 

Der Hohepriester , der diesen Prozeß leitete, war wahrscheinlich Kaiphas - derselbe, der auch bei den Gerichtsverhandlungen gegen Jesus den Vorsitz gehabt hatte ( Mt 26,57; Mk 14,54; Lk 22,54; Joh 18,13.24; vgl. den Kommentar zu Apg 4,5-6 ).

 

 

2. Die Rede des Stephanus

( 7,2 - 53 )

 

Apg 7,2-53

 

Die Rede des Stephanus ist die längste Rede in der Apostelgeschichte - ein Beweis für die Bedeutung, die Lukas ihr beimaß. Durch sein Leben und seine Worte bereitete Stephanus, ein griechischer Jude, den Weg für die Verkündigung des Evangeliums außerhalb der Grenzen des Judentums.

Welche seiner Aussagen führte zu seinem Tod? Er streifte die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben worden waren, zwar kurz, hielt jedoch keine offizielle Verteidigungsrede für sich selbst. Statt dessen lieferte er ihnen eine Apologie des Christentums auf der Grundlage von Schriftbeweisen.

Drei rote Fäden ziehen sich durch seine Rede:

1. Zu Gottes Plan gehören Fortschritt und Veränderungen . Gott ist in seinem Umgang mit den Menschen, insbesondere mit Israel, kreativ und innovativ. Stephanus entwickelt diesen Gedanken in fünf Schritten: (a) Die Verheißung an Abraham (V. 2 - 8 ). Aus allen Menschen erwählte der Herr nach seinem Willen Abraham , den Stammvater der Juden, führte ihn aus Mesopotamien in das gelobte Land und gab ihm zwölf Söhne, die die Ahnherren der zwölf Stämme Israels wurden. (b) Josefs Aufenthalt in Ägypten (V. 9 - 16 ). Die Reise nach Ägypten war die Erfüllung der Verheißung Gottes, die in Vers 6 - 7 angesprochen ist. Sie bedeutete eine radikale Veränderung für die Nachkommen Jakobs. (c) Die Befreiung durch Mose (V. 17 - 43 ). Der Hauptteil der Rede galt Mose und der Flucht aus Ägypten, einem weiteren entscheidenden Abschnitt in der Geschichte Israels. (d) Der Bau der Stiftshütte (V. 44 - 46 ). Der Bau einer tragbaren Stiftshütte implizierte, daß diese Hütte nicht als dauerhafte Einrichtung dienen sollte. (Die Stiftshütte war ein Zeichen für die Gegenwart Gottes unter den Israeliten.) (e) Der Bau des Tempels (V. 47 - 50 ). Auch der Tempel war nur ein Symbol für die Anwesenheit Gottes; Gott wohnte nicht wirklich darin.

In Gottes Handeln mit dem Volk Israel von Abraham bis Salomo gab es immer wieder Neuerungen und Veränderungen. Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand: Wenn Gott im Laufe der Geschichte Israels so viele Dinge änderte, warum sollten dann das Gesetz und der Tempel ewig sein?

2. Gottes Segnungen sind nicht auf das Land Israel und den Tempel beschränkt . Manche der wichtigsten Privilegien Israels waren dem Volk außerhalb des Tempels und sogar außerhalb seines Landes verliehen worden.

Stephanus nannte vier Beispiele: (a) Die Patriarchen und Führer Israels waren außerhalb des Landes gesegnet worden. Abraham war in Mesopotamien berufen worden, und seine Verheißungen wurden ihm zuteil, noch ehe er in Haran wohnte (V. 2 - 5 ). Josef fand in Ägypten Gnade vor dem Pharao, weil Gott mit ihm war (V. 9 - 10 ). Mose erhielt seinen Auftrag in Midian (V. 29 - 34 ). Als Beweis dafür, daß Mose in Midian gesegnet wurde, wies Stephanus ausdrücklich darauf hin, daß ihm dort zwei Söhne geboren wurden. (b) Selbst das Gesetz erhielten die Israeliten außerhalb ihres gelobten Landes: Mose traf die Väter in der Wüste (V. 38 ). (c) Auch die Stiftshütte wurde in der Wüste gebaut und war bei ihnen in der Wüste (V. 44 ). Die Juden brachten sie mit Josua in das Land , das sie eroberten (V. 45 ). (d) Ja sogar der Symbolgehalt des Tempels war, obwohl er sich im Land befand, nicht auf die Region Palästinas beschränkt. Wie konnte er das Haus Gottes sein, wenn doch die Schrift sagt: "Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße" (V. 49 ; Jes 66,1 )?

3. Israel zeigte in der Vergangenheit stets Widerstand gegen die Pläne und die Männer Gottes . Mit dieser Aussage erreicht die Aussage des Stephanus gewissermaßen ihren Höhepunkt ( Apg 7,51-53 ): "Ihr seid wie eure Väter, ihr widerstrebt allezeit dem Heiligen Geist!" Davon war schon in der ganzen Predigt die Rede: (a) Statt direkt von Mesopotamien in das gelobte Land zu gehen, blieb Abraham zunächst in Haran (V. 2 - 4 ). (b) Josef wurde von seinen Brüdern in die Sklaverei nach Ägypten verkauft (V. 9 ). (c) Die Israeliten lehnten Mose ab (V. 23 - 29 ). Daß sowohl Josef als auch Mose erst bei ihrem zweiten Auftreten akzeptiert wurden, ist höchst bedeutsam (V. 13.35-36 ). Die Parallele zu Christus kann Stephanus' Zuhörern nicht entgangen sein. (d) Israel kehrte sich vom rechten Gottesdienst ab und wandte sich Götzen zu (V. 39 - 43 ). Im Götzendienst, der bei den Juden des apostolischen Zeitalters den größten Abscheu erregte, zeigte sich der Ungehorsam des Volkes am stärksten. Gott richtete das Volk denn auch, indem er es ins Exil nach Babylon sandte (V. 43 ). (e) Israel hatte die Bedeutung des Tempels falsch verstanden (V. 48 - 50 ). Stephanus' eindeutige und klare Aussage (V. 48 ) impliziert, daß die Juden den Tempel für den Wohnort Gottes auf Erden hielten, das jüdische Gegenstück des Olymps der griechischen Götter. In Wirklichkeit aber sollte er zwar ein Ort des Gottesdienstes und des Gebets sein, nicht aber Gottes Haus (vgl. 1Kö 8,23-53 ).

In den drei Beispielen, auf die sich die Rede stützt, wird folgender Gedankengang entwickelt: Da Gottes Plan Fortschritte beinhaltet und seine Segnungen nicht auf den Tempel beschränkt sind, sollte Israel sich hüten, seinen Werken "zu widerstreben" (V. 51 ), wie es das in der Vergangenheit getan hatte. Wenn die Juden es ablehnten, Gottes Werk in den christlichen Gemeinden und seine Segnungen außerhalb der Grenzen Israels zu sehen, so bedeutete das, daß sie sich dem Plan Gottes widersetzten. Das bezog sich ganz konkret auf die Anschuldigungen, die gegen Stephanus erhoben worden waren ( Apg 6,11-14 ).

Ein chronologisches Problem wirft Stephanus' Aussage, daß Israel vierhundert Jahre lang geknechtet und mißhandelt wurde ( Apg 7,6 ), auf. Nach Paulus ( Gal 3,17 ) betrug die Zeit von der Verheißung an Abraham ( 1Mo 15,13-16 ) bis zu den Ereignissen am Sinai 430 Jahre. Die dreißig Jahre Differenz können jedoch leicht erklärt werden, wenn man davon ausgeht, daß Stephanus einfach runde Zahlen gebrauchte. Möglich ist auch, daß die 400 Jahre nur die Zeit der tatsächlichen Gefangenschaft in Ägypten bezeichnen, wohingegen die 430 Jahre von der Bestätigung des Bundes in 1Mo 35,9-15 bis zum Exodus gerechnet sind, der im Jahr 1446 v. Chr. stattfand. Das Hauptproblem ist jedoch die Zeit, die Israel in ägyptischer Knechtschaft verbrachte. Wenn Gal 3,17 sagt, daß von der Verheißung an Abraham ( 1Mo 15 ) bis zum Exodus 430 Jahre verstrichen, hätte die Zeit der Gefangenschaft in Ägypten 215 Jahre betragen. Demgegenüber spricht die Apostelgeschichte von 400 Jahren. Am plausibelsten ist vielleicht die Annahme, daß Paulus an Zeiträume dachte. Die Verheißungen ergingen an alle drei Patriarchen Israels, Abraham, Isaak und Jakob. In 1Mo 46,1-4 wurden sie Jakob auf dem Weg nach Ägypten, bei Beersheba, bestätigt. Von da an (der letzten Verheißung) bis zum Exodus waren es noch 400 Jahre. (Vgl. Harold W. Hoehner, The Duration of the Egyptian Bondage . Bibliotheca Sacra 126. Oktober - Dezember 1969, 306 - 316.)

Eine weitere offensichtliche Diskrepanz in Stephanus' Rede zeigt sich in Vers 14 . Stephanus behauptet, daß Jakobs Familie fünfundsiebzig Menschen umfaßte, doch im hebräischen Text sowohl von 1Mo 46,27 als auch 2Mo 1,5 steht "siebzig". Die Septuaginta hat beides durch "fünfundsiebzig" ersetzt. Gemeinhin wird angenommen, daß Stephanus, ein griechisch sprechender Jude, wahrscheinlich die Septuaginta benutzt hat und daher an dieser Stelle einen "ehrlichen Fehler" machte. Die Diskrepanz kann jedoch auch auf andere Weise erklärt werden (vgl. Joseph Addison Alexander, Commentary on the Acts of the Apostles , Neuauflage, Grand Rapids, S. 226 - 267). Eine von fast allen Forschern akzeptierte Lösung lautet, daß der hebräische Text Jakob, Josef und die beiden Söhne Josefs, Ephraim und Manasse, miteinschließt (das sind zusammen 70), daß die Septuaginta jedoch Jakob und Joseph ausläßt und statt dessen Josephs sieben Enkel aufnimmt (vgl. 1Chr 7,14-15.20-25 ). Das wird durch den hebräischen Text in 1Mo 46,8-26 gestützt, wo 66 Namen aufgezählt werden und Jakob, Josef und die Söhne Josefs ausgelassen werden.

Auch in Vers 16 findet sich eine Diskrepanz. Stephanus scheint vorauszusetzen, daß Jakob in Sichem begraben wurde, während im Alten Testament steht, daß er und seine Frau Lea (wie auch seine Eltern Isaak und Rebekka und seine Großeltern Abraham und Sarah) in der Höhle Machpela auf dem Acker von Efron ( 1Mo 49,29-50,13 ) begraben wurden. In Sichem dagegen wurde nicht Jakob, wohl aber Josef, der später aus Ägypten dorthin überführt wurde ( 1Mo 50,26; 2Mo 13,19; Jos 24,32 ), begraben. Auch seine Brüder liegen dort, obwohl Jos 24,32 nur von den Knochen Josefs spricht (vgl. auch Josephus). Das Pronomen sie ( Apg 7,16 ) bezieht sich nicht auf Abraham, Isaak und Jakob, sondern auf die Worte unsre Väter in Vers 15 , spricht also nur von Josef und seinen Brüdern.

Stephanus' Formulierung "das Grab, das Abraham für Geld gekauft hatte von den Söhnen Hamors in Sichem" (V. 16 ), ist ebenfalls ein Problem. Denn in Wirklichkeit erwarb Jakob, nicht Abraham, das Grundstück ( 1Mo 33,19 ).Das wird vielleicht durch die Annahme erklärt, daß sein Enkel Jakob den Acker "anstelle" seines Großvaters Abraham kaufte und ihm damit ein Recht auf das Grab in Sichem erwarb.

Die Anspielung auf Sichem, die "Hauptstadt" der Samariter, löste bei den Hörern von Stephanus wahrscheinlich starkes Mißfallen aus; damit werden die Leser jedoch schon jetzt auf den nächsten Schritt in der Ausbreitung des Evangeliums vorbereitet ( Apg 8 ).

 

 

3. Der Tod des Stephanus

( 7,54 - 8,1 a)

 

Apg 7,54-56

 

Die Reaktion der religiösen Machthaber auf Stephanus' Rede war leicht vorauszusehen: Als sie das hörten, ging's ihnen durchs Herz (vgl. Apg 5,33 ) und sie knirschten mit den Zähnen über ihn.

Statt eingeschüchtert zu sein, sah Stephanus, voll Heiligen Geistes (vgl. Apg 6,3.5.10 ), auf zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur Rechten Gottes . In allen Texten, die von dem erhöhten Herrn sprechen, wird gesagt, daß Jesus zur Rechten Gottes sitzt ( Ps 110,1; Röm 8,34; Kol 3,1; Hebr 1,3.13;8,1;10,12;12,2; 1Pet 3,22 ). Daß er hier stand , deutet vielleicht darauf hin, daß er aufgestanden war, um Stephanus willkommen zu heißen.

 

 

Apg 7,56

 

ist aus mehreren Gründen der Höhepunkt dieses Kapitels. Erstens wird der Anspruch, den Jesus in seiner Verhandlung vor dem Hohenpriester erhob, wiederholt ( Mk 14,62 ). Geradeso wie damals Jesus der Gotteslästerung angeklagt wurde, führten auch diese Worte von Stephanus zum Ausbruch der Gewalt gegen ihn. Zweitens ist der Terminus Menschensohn von großer Bedeutung. Er wird an dieser Stelle zum letzten Mal im Neuen Testament und zum einzigen Mal in den Evangelien und der Apostelgeschichte nicht von Jesus selbst verwendet. Er bestätigt, daß Jesus der Messias war, denn er stammt aus Dan 7,13-14 und ist definitiv eschatologisch. (Vgl. den Kommentar zum "Menschensohn" bei Mk 8,31 .) Drittens werden an dieser Stelle zwei große messianische Passagen verknüpft - Dan 7,13-14 und Ps 110,1 . Dan 7,13-14 betont vor allem den universalen Aspekt der Herrschaft des Herrn. Er ist nicht nur irgendein jüdischer König; er ist der Retter der Welt. Ps 110 beschreibt den Messias als zur Rechten Gottes sitzend. Das ist ein Zeichen nicht nur für seine Macht und seinen Rang, sondern auch dafür, daß sein Opfer angenommen wurde. Christus ist der Mittler (vgl. 1Tim 2,5 ) und beweist damit, daß die Menschen auch auf anderem Wege als durch den Tempel und die Priester Zugang zu Gott haben.

 

Apg 7,57-58

 

Die Reaktion des Hohen Rats erfolgte auf der Stelle und war äußerst heftig. Den Ratsmitgliedern war die theologische Implikation des Gesagten sofort klar: Israel war schuldig; das Gesetz galt nicht für immer; der Tempel mußte abgetan werden. Daher stießen sie Stephanus zur Stadt hinaus und steinigten ihn . Auf Gotteslästerung stand die Todesstrafe ( 3Mo 24,16 ). Daß Stephanus ausgerechnet durch die Hände der Juden den Märtyrertod starb, entbehrt wiederum nicht einer gewissen Ironie, denn nach dem mosaischen Gesetz ( 3Mo 20,2 ) hätten eigentlich ihre Väter, die den "Moloch" anbeteten ( Apg 7,43 ), diesen Tod sterben müssen.

Ein junger Theologe namens Saulus hatte der Steinigung offensichtlich zugestimmt, denn die Zeugen legten ihre Kleider zu seinen Füßen ab , was bedeutet, daß er ihr Tun billigte, indem er ihre Kleidung bewachte ( Apg 8,1; 22,20 ).

 

 

Apg 7,59-60

 

Mit Worten, die an die Worte Jesu erinnern, übergab Stephanus seinen Geist dem Herrn und bat für seine Feinde (vgl. Lk 23,34.46 ).

 

 

Apg 8,1 a

 

Die Worte "hatte Gefallen" ( syneudokOn ) implizieren aktive Billigung, nicht nur passive Zustimmung (vgl. Röm 1,32 ). Sie machen Saulus' Verhalten in Apg 7,58 noch deutlicher.

 

 

B. Das Wirken des Philippus

( Apg 8,1 b. 2-40 )

 

1. In Samarien

( 8,1 b - 2-25 )

 

a. Die Verfolgung der Kirche

( 8,1 b - 2.3 )

 

Das achte Kapitel steht in enger Verbindung zum sechsten und siebten. Das Thema der Verfolgung begann bereits im sechsten Kapitel und wird nun im achten fortgesetzt. Auch Saulus, der bereits im siebten Kapitel eingeführt wurde, taucht hier wieder auf. Zwischen Philippus ( Apg 8 ) und Stephanus ( Apg 6-7 ) besteht ebenfalls ein enger Zusammenhang; beide gehörten zu den Sieben ( Apg 6,5 ). Selbst die Anordnung ihrer Namen in Apg 6,5 wird in der Erzählung in Apg 6,8-8,40 beibehalten.

 

 

Apg 8,1 b

 

Die Wendung "an diesem Tag" zeigt an, daß die Verfolgung der Gemeinde mit dem Märtyrertod des Stephanus einsetzte. Das impliziert, daß sein Tod noch im nachhinein die Billigung der jüdischen Machthaber fand. Israel war dabei, seine tragische Entscheidung - die Verwerfung des Messias - zu bestätigen.

Daß die ganze Gemeinde in Jerusalem außer den Aposteln in die Länder Judäa und Samarien zerstreut war, war Gottes Methode, die Aussage von Apg 1,8 zu erfüllen. Das Wort "zerstreut" ( ddiesparEsan , siehe auch Apg 8,4 ) stammt von dem Verb speirO , das für das Aussäen von Saatgut verwendet wird ( Mt 6,26;13,3-4.18;25,24.26; Lk 8,5;12,24; usw.). Auch damit wird der Leser auf das Wirken von Philippus in Samarien vorbereitet ( Apg 8,4-25 ).

Lukas spricht zwar von "allen", kann das allerdings nicht absolut gemeint haben, denn auch in Jerusalem bestand die Gemeinde weiter. Aus dem Kontext kann man schließen, daß vor allem die hellenistischen Juden unter Verfolgungen litten. Sie waren leicht zu identifizieren und man vermutete, daß sie mit Stephanus in Verbindung gestanden hatten.

Warum die Apostel die Stadt nicht verließen, wird nicht gesagt. Vielleicht hielt sie ihr Pflichtgefühl gegenüber der Kirche in Jerusalem in der Stadt zurück. Nachdem die Anhänger von Stephanus die Stadt verlassen hatten, wurde die Jerusalemer Gemeinde zweifellos nahezu ausschließlich jüdisch. Gleichzeitig vertieften die Verfolgungen, unter denen die Christen litten, den Zwiespalt zwischen den christlichen Gemeinden und dem Judentum.

 

 

Apg 8,2-3

 

Die beiden folgenden Verse stehen in schroffem Kontrast zueinander. Es bestatteten aber den Stephanus gottesfürchtige Männer und hielten eine große Klage über ihn. Saulus dagegen suchte die Gemeinde zu zerstören. Das Wort für "zerstören" ( elymaineto , es kommt nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vor) steht in der Septuaginta noch in Ps 79,13 : ( Ps 80,13 im deutschen Text) und bezeichnet dort das Vertreiben von Wildschweinen, die einen Weinberg zerstören. Saulus' Eifer gegen die Christen war so groß, daß er offensichtlich geradezu gegen sie wütete (vgl. Apg 9,1.13 ). Mit Gewalt schleppte er Männer und Frauen aus ihren Häusern fort (vgl. Apg 9,29;22,4-5 ) und warf sie ins Gefängnis ( Apg 22,19;26,11 ). Ein derartiges Vorgehen wirkte sich natürlich verheerend auf die Gemeinde in Jerusalem aus ( Apg 9,21 ). Daß Saulus später, als Apostel, selbst für Christus im Gefängnis saß, ist dann die genaue Umkehrung seiner früheren Verfolgung der Anhänger Christi.

Der Märtyrertod des Stephanus und die damit zusammenhängende Verfolgung der Gemeinde waren abermals eine Bestätigung für den Unglauben Israels und für seine halsstarrige Weigerung, Jesus als Erlöser zu akzeptieren.

 

 

b. Die Verkündigung der Botschaft

( 8,4 - 8 )

 

Apg 8,4

 

Im Griechischen beginnt dieser Vers mit "andererseits" ( men oun ). Die Verfolgungen führten nicht nur zur Zerstreuung der Gläubigen (vgl. V. 1 ), sondern gleichzeitig zur Ausbreitung des Wortes Gottes (vgl. Röm 8,28; 2Kor 2,14; Phil 1,12-14 ). Das ist einweiterer Beweis für Gottes souveränes Herrschen; trotz aller Widerstände breitete sich das Evangelium immer weiter aus (vgl. Apg 12,24;19,20 ).

 

 

Apg 8,5

 

Philippus , ein griechischer und daher toleranterer Jude als die hebräischen Juden in Israel (vgl. Apg 6,1 ), ging zu den Samaritern. (Samarien liegt nördlich von Jerusalem; Lukas spricht hier von hinabkommen , weil Samarien tiefer liegt.) Die Bedeutung seines Wirkens in der nicht mit Namen genannten Hauptstadt Samariens wird bei einem Vergleich zwischen Mt 10,5-6; Lk 9,52-54 und Joh 4,9 mit Apg 8,5 klar.

 

 

Apg 8,6-7

 

Seine Predigten wurden von Zeichen ( sEmeia , vgl. V. 13 ) begleitet, so daß das Volk einmütig dem zuneigte , was er sagte. Die Zeichen, die er vollbrachte (das Austreiben unreiner Geister , d. h. Dämonen, und das Heilen von Gelähmten und Verkrüppelten ; Apg 3,1-10 ) bestätigten seine Botschaft (vgl. Apg 2,43 ).

 

 

Apg 8,8

 

Wieder einmal führte die Verkündigung des Evangeliums zu großer Freude (vgl. den Kommentar zu Apg 2,46-47 ).

 

 

c. Die Glaubensbekenntnisse

( 8,9 - 13 )

 

Apg 8,9-10

 

Um Simon, den Zauberer, ranken sich viele Legenden: (a) Er war der Gründer der gnostischen Irrlehren, (b) er ging nach Rom und verfälschte die dortige christliche Lehre, und (c) er nahm an einem "Wunderwettstreit" mit Petrus teil und verlor. Auf jeden Fall trieb Simon in der Stadt Zauberei und zog das Volk von Samaria in seinen Bann . Weil er mit seiner "Zauberei" die Natur und/oder die Menschen durch dämonische Mächte beherrschte, nannten ihn die Menschen die Große Kraft Gottes . Ob sie wirklich dachten, daß er göttlichen Wesens sei, können wir nicht beurteilen. Simon selbst allerdings gab vor, er wäre etwas Großes , und ließ sich die Schmeicheleien der Leute gern gefallen.

 

 

Apg 8,11-12

 

Als Philippus nach Samarien kam, predigte er von dem Reich Gottes und von dem Namen (vgl. Apg 3,16 ) Jesu Christi . Der Terminus "Reich Gottes" bezieht sich auf das kommende Gottesreich (vgl. Apg 1,3.6 ), "der Name Jesu Christi" auf Jesus als den Messias (vgl. Apg 8,5 ,"der Christus", wörtlich: "der Messias"). Mit anderen Worten, Philippus verkündigte, daß auch die Samariter Erben des Tausendjährigen Reiches werden konnten, wenn sie an Jesus glaubten.

Daraufhin ließen sich die Samariter, Männer und Frauen, taufen (vgl. "Männer und Frauen" in V. 3 ). Die Parallelen und Gegensätze zwischen Simon, dem Zauberer, und Philippus sind frappierend. Beide vollbrachten Wunder, Simon durch dämonische Mächte, Philippus durch die Macht Gottes. Doch Simon prahlte und ließ sich feiern, Philippus aber verkündete Christus. Die Menschen staunten über den Zauber, den Simon vollbrachte, doch durch Philippus' Predigt bekehrten sie sich zu Christus.

 

 

Apg 8,13

 

Überraschenderweise wurde auch Simon gläubig und ließ sich taufen . Wie die Menschen ihm früher gefolgt waren, so folgte er nun Philippus! Das muß seine Anhänger sehr beeindruckt haben.

War Simon nun gerettet? Lukas geht darauf nicht weiter ein, daher ist es schwer, das endgültig zu entscheiden. Wir haben jedoch sieben Hinweise darauf, daß Simon wahrscheinlich nicht wiedergeboren wurde: (1) Das Verb "glauben" ( pisteuO ) bezieht sich nicht immer auf den rettenden Glauben. Es ist möglich, daß Simon nur wie die Dämonen in Jak 2,19 rein vom Intellekt her glaubte. (2) Ein Glaube, der sich auf Zeichen stützt, ist nicht zuverlässig (vgl. Joh 2,23-25;4,48 ). (3) Lukas sagt nirgends, daß Simon den Heiligen Geist empfing ( Apg 8,17-18 ). (4) Simon hatte nach wie vor ein eigennütziges Interesse an der Zurschaustellung von Wunderkräften (V. 18 - 19 ). (5) Das Verb "Buße tun" ( metanoeO ) in Vers 22 bezieht sich gewöhnlich auf verlorene Menschen. (6) Das Wort "verdammt" ( eis apOleian ) in Vers 20 ist mit dem Ausdruck "verloren" in Joh 3,16 verwandt. (7) Die Beschreibung von Simon in Joh 8,23 paßt besser zu einem Verlorenen als zu einem Geretteten (vgl. 5Mo 29,18 ). Dochtrotz allem wissen wir nicht genau, ob Simon wirklich verloren war. Der Herr allein kennt die Seinen ( 2Tim 2,19 ).

 

 

d. Der Beweis des Werkes

( 8,14 - 17 )

 

Apg 8,14-17

 

Aus verschiedenen Gründen war es nötig geworden, daß die Apostel in Jerusalem Petrus und Johannes nach Samarien sandten. Normalerweise erfolgt in dem Moment, in dem ein Mensch zum Glauben kommt, seine Taufe, Einwohnung und Versiegelung durch den Heiligen Geist , doch in Samarien war das noch nicht geschehen. Diese Verzögerung erwies sich jedoch als recht sinnvoll: (1) Das Gebet von Petrus und Johannes (um das Kommen des Heiligen Geistes) und ihre Handauflegung (die erst bewirkte, daß die Getauften den Heiligen Geist empfingen) bestätigte das Wirken des Philippus unter den Samaritern und machte es für die Apostel in Jerusalem erst "rechtsgültig". (2) Doch auch für die Samariter wurde das Werk des Philippus unter ihnen erst durch die Apostel bestätigt. Denn erst das Kommen des Geistes, ein Zeichen des kommenden Gottesreiches (vgl. V. 12 ; Jer 31,31-34; Hes 36,23-27; Joe 3,1-5 ), gab ihnen die Sicherheit, wirklich zu Christus zu gehören. (3) Am wichtigsten war jedoch, daß die Zurückhaltung des Geistes bis zum Eintreffen der Apostel aus Jerusalem ein Schisma verhinderte. Da zwischen Juden und Samaritern schon so lange eine tiefe Kluft bestand, mußten Petrus und Johannes die samaritischen Gläubigen offiziell in die christliche Kirche aufnehmen. Auffallend ist dabei der Gegensatz im Verhalten des Johannes hier und in Lk 9,52-54 .

 

 

e. Die Verfälschung der Wahrheit

( 8,18 - 24 )

 

Apg 8,18-19

 

Der Satz "als aber Simon sah, daß der Geist gegeben wurde" impliziert, daß das Kommen des Heiligen Geistes sich auch extern manifestierte, wahrscheinlich in Zungenreden (die Schrift selbst sagt allerdings nichts darüber; vgl. Apg 2,4;10,45-46;19,6 ).

Der Terminus "Simonie", der käufliche Erwerb von religiösen oder heiligen Dingen wie z. B. einem kirchlichen Amt, leitet sich von dem Wunsch Simons her, die Macht , den Heiligen Geist auf andere herabkommen zu lassen, von den Aposteln zu kaufen.

Mit dem Bericht über diesen Zwischenfall will Lukas die Überlegenheit des Christentums über den Okkultismus und die dämonischen Mächte zeigen. In der Apostelgeschichte gibt es mehrere Konflikte dieser Art; in allen blieb Christus Sieger ( Apg 13,6-12;16,16-18;19,13-20;28,1-6 ).

 

 

Apg 8,20

 

Petrus reagierte sehr böse auf Simons Ansinnen: Daß du verdammt werdest mitsamt deinem Geld!

Der Grund für diese heftige Reaktion war, daß Simon das Wesen der Gnade, der Rettung und des Segens Gottes nicht verstanden hatte. Petrus fügte noch hinzu: Weil du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt.

 

 

Apg 8,21-22

 

Die Wendung "du hast weder Anteil noch Anrecht an dieser Sache" ( logO , "Wort, Sache") impliziert, daß Simon kein Christ war. (Zu einer ähnlichen Terminologie vgl. 5Mo 12,12; 5Mo 14,27 .So wie die Leviten kein Erbteil am gelobten Land hatten, so hatte Simon keinen Anteil an der Rettung.)

 

 

Apg 8,23-24

 

Die Bitterkeit Simons (wörtlich: voll bitterer Galle , cholEn pikrias ) scheint auf 5Mo 29,17 anzuspielen, wo von Götzendienst und bitterem Abfall die Rede ist (vgl. Hebr 12,15 ). Simon war gefangen in falscher Lehre und in Sünde. Seine Reaktion auf Petrus' Verurteilung kann echt oder auch einfach ein Ausruf der Furcht gewesen sein; auf jeden Fall war er sich der tragischen Folgen seines Ansinnens ( Apg 8,18-19 ) bewußt.

 

 

f. Der Fortschritt des Werks

( 8,25 )

 

Apg 8,25

 

Petrus und Johannes waren so überzeugt vom Wirken Gottes unterden Samaritern, daß sie auf dem Weg zurück nach Jerusalem das Evangelium in vielen Dörfern der Samariter predigten - eine bemerkenswerte Tat für diese jüdischen Apostel!

 

 

2. Das Gespräch mit dem äthiopischen Kämmerer

( 8,26 - 40 )

 

a. Das Gebot

( 8,26 )

 

Apg 8,26

 

Lukas schreibt zwar nicht, daß Gott Philippus gebot, unter den Samaritern zu predigen (V. 5 ), doch anscheinend führte er selbst ihn direkt nach Gaza (vgl. die Karte bei Apg 9 ). Er sollte eine öde Straße entlanggehen (möglicherweise bezieht "öde" sich auch auf die Stadt). Das alte Gaza, auch das "verlassene Gaza" genannt, wurde im Jahr 93 v. Chr. zerstört und die Stadt 57 v. Chr. näher am Mittelmeer wiedererbaut. Man könnte das Gebot des Engels daher auch folgendermaßen übersetzen: "Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt. Die Stadt ist öde." Der Verweis auf die Straße in Apg 8,36 impliziert jedoch wohl eher, daß die Straße durch ein Wüstengebiet führte, nicht, daß die Stadt selbst öde war.

 

 

b. Das Zusammentreffen

( 8,27 - 30 )

 

Apg 8,27

 

Der äthiopische Kämmerer wird sehr ausführlich als Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien , beschrieben. Das Äthiopien, von dem hier die Rede ist, entsprach nicht dem Gebiet des heutigen Äthiopien, es war das alte Nubien, das Gebiet von Aswan im Süden Ägyptens bis Khartum im Sudan. Kandake war der Titel der Königinmutter, wie Pharao die Bezeichnung für den König von Ägypten war. Die Regierungsmacht ruhte ganz in den Händen der Kandake, denn ihr Sohn, der als Sohn der Sonne verehrt wurde, war der weltlichen Pflichten, wie sie die Herrschaft über ein Volk mit sich bringen, enthoben. Die Tatsache, daß der Kämmerer dieser Königin nach Jerusalem gekommen war, um anzubeten , ist sehr interessant, denn Eunuchen war es nach dem Gesetz verboten, die Versammlung des Herrn zu betreten ( 5Mo 23,2 ). Jes 56,3-5 sagt den Eunuchen allerdings große Segnungen im Tausendjährigen Reich voraus. Der Kämmerer war also offensichtlich ein Anbeter des Herrn, wenn auch noch kein echter Proselyt.

 

Apg 8,28-30

 

Wie reich er war, zeigt die simple Aussage, daß er auf seinem Wagen saß . Während des Fahrens las er den Propheten Jesaja . Da es damals üblich war, laut zu lesen, konnte Philippus leicht hören, mit welchem Text er sich beschäftigte (V. 30 ). Interessanterweise wurde Philippus zuerst von einem Engel (V. 26 ), dann vom Heiligen Geist selbst geführt (V. 29 ).

 

 

c. Das Gespräch

( 8,31 - 35 )

 

Apg 8,31-35

 

Die Ausführungen in Jes 53,7-8 hatte den Kämmerer verwirrt, und er ergriff nun freudig die Gelegenheit, sich die Stelle von Philippus auslegen zu lassen. Er lud den Apostel ein, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen . Der Äthiopier wollte wissen, ob Jesaja hier von sich selber oder von jemand anderem sprach, und Philippus nutzte seinerseits seine Chance und predigte ihm das Evangelium von Jesus (vgl. Joh 5,39 ).

 

d. Die Folgen

( 8,36 - 40 )

 

Apg 8,36-39

 

Diese Predigt bewirkte drei Dinge. Als erstes ließ der Kämmerer sich taufen. Seine Antwort "was hindert's, daß ich mich taufen lasse" ist ein Hinweis, daß die Wassertaufe die Besiegelung der persönlichen Entscheidung, Christus zu vertrauen, war (vgl. Mt 28,19 ). Zweitens freute er sich: er zog aber seine Straße fröhlich . Drittens war damit weder ein Jude noch ein Samariter, sondern ein heidnischer (afrikanischer) Verehrer Jahwes, der nochnicht endgültig zum Judentum übergetreten war (wahrscheinlich war er noch unbeschnitten), für das Christentum gewonnen. (Wie die Randbemerkung besagt, taucht V. 37 erst in späteren Handschriften auf.)

Nach der Taufe entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr . Die weitere Geschichte des äthiopischen Kämmerers ist unbekannt.

 

 

Apg 8,40

 

Philippus aber fand sich in Aschdod , einer alten Philisterhauptstadt, wieder. Auf dem Weg von dort nach Cäsarea predigte er in allen Städten das Evangelium (zu Aschdod und Cäsarea vgl. die Karte bei Apg 9 ). In Cäsarea ließ er sich dann wohl endgültig nieder, denn 20 Jahre später treffen wir ihn immer noch dort an (vgl. Apg 21,8 ). Ein Evangelist konnte einen festen Wohnsitz haben oder auch als Wanderapostel herumziehen; Philippus tat offensichtlich beides.

Auch Petrus besuchte später noch das Gebiet um Aschdod und Cäsarea ( Apg 9,32-43 ). Obwohl der Evangelist Philippus in Cäsarea lebte, berief der Herr Petrus aus Joppe dorthin, um den Hauptmann Kornelius zu bekehren ( Apg 10-11 ).

 

 

C. Die Botschaft des Saulus

( 9,1 - 31 )

 

Die Bekehrung des Saulus (Paulus) ist für manche Theologen das einschneidenste Ereignis in der Kirche seit Pfingsten. Auch Lukas hielt sie mit Sicherheit für sehr wichtig, denn er berichtet in der Apostelgeschichte dreimal über sie ( Kap. 9; 22; 26 ).

An dieser Stelle soll der Leser darauf vorbereitet werden, daß das Evangelium von nun an auch den Heiden gepredigt wird ( Apg 10 ). Der Bekehrung des späteren "Heidenapostels" ( Gal 2,8; Eph 3,8 ) ging die Bekehrung des Kornelius und seines Hauses durch Petrus voran.

Paulus' Erlebnis auf der Straße nach Damaskus steht vielleicht auch noch mit dem Märtyrertod des Stephanus in Verbindung, denn dessen Predigt scheint Saulus in seinen Bemühungen, das Christentum auszurotten, noch bestärkt zu haben ( Apg 8,1-3 ). Wenn die Lehre, die Stephanus verkündigt hatte, richtig war, dann war das Gesetz in Gefahr; daher setzte Saulus, der Eiferer für das Gesetz, die Verfolgung der christlichen Gemeinden mit noch größerer Härte fort (vgl. Gal 1,13; Phil 3,6 ).

Doch der Verfolger Saulus war im Begriff, zu Paulus, dem Apostel Jesu Christi, zu werden. Durch seinen kulturellen Hintergrund und seine Qualifikationen war er vor allen anderen geeignet für die Aufgabe, zu der Gott ihn berief: (1) Er war ein ausgezeichneter Kenner der jüdischen Kultur und Sprache ( Apg 21,40; Phil 3,5 ). (2) Er war in Tarsus aufgewachsen und daher auch mit der griechischen Kultur und Philosophie vertraut ( Apg 17,22-31; Tit 1,12 ). (3) Er besaß die römische Bürgerschaft und damit alle Vorrechte der Bürger Roms ( Apg 16,37; Apg 22,23-29; Apg 25,10-12 ). (4) Er war auch mit der jüdischen Religion mehr als vertraut ( Gal 1,14 ). (5) Er besaß eine praktische handwerkliche Berufsausbildung, konnte also selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen ( Apg 18,3; 1Kor 9,4-18; 2Kor 11,7-11; 1Thes 2,9; 2Thes 3,8 ). (6) Gott hatte ihm Einsatzfreude, Führungsqualitäten und theologisches Verständnis gegeben.

 

 

1. Die Bekehrung des Saulus

( 9,1 - 19 a)

 

a. Saulus wird von seiner Schuld überführt

( 9,1 - 9 )

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Apg 9,1 a

 

Das Adverb noch bezieht sich zurück auf Apg 8,3 .Während das Evangelium außerhalb Jerusalems rasch neue Anhänger fand, setzte Saulus seine erbarmungslose Verfolgung der Kirche fort.

 

 

Apg 9,1-2 (Apg 9,1b-2)

 

Sein Haß war so groß, daß er zum Hohenpriester ging und ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen bat . Damaskus (vgl. die Karte) stand nicht unter Kontrolle der Provinzen Judäa, Galiläa oder der Dekapolis. Welche Machtbefugnis hatte dann der Hohepriester über die Synagoge in Damaskus? Die Antwort darauf lautet, daß Rom einer Bitte des Hohenpriesters in Jerusalem um Auslieferung gewöhnlich nachkam. Aber auch eine andere Erklärung ist denkbar. Wahrscheinlich stand Damaskus zur damaligen Zeit unter der Herrschaft des nabatäischen Königs Aretas IV. (vgl. 2Kor 11,32-33 ). Um sich mit den antiömisch gesinnten Juden gutzustellen, hätte Aretas, der die Römer ebenfalls haßte, dem Hohenpriester mit Sicherheit fast jeden Gefallen getan.

 

Die Erwähnung der "Synagogen in Damaskus" weist darauf hin, daß das Christentum noch immer eng mit dem Judentum verbunden war (das Wort "Versammlung in Jak 2,2 ist die Übersetzung des griechischen synagOgEn , "Synagoge"). Daß Paulus nach Damaskus gehen wollte, zeigt im übrigen, wie weit das Christentum bereits vorgedrungen war.

Seltsamerweise sprach Saulus vom Christentum als von dem neuen Weg , ein Terminus, der nur in der Apostelgeschichte steht (griech.: Apg 19,9.23;22,4;24,14.22 ).

 

 

Apg 9,3-4

 

Saulus hörte plötzlich die Stimme des Herrn Jesus und sah ihn auch (vgl. Apg 9,17.27;22,14;26,16; 1Kor 9,1; 15,8 ). Es gibt zwar keine explizite Aussage darüber, was genau Saulus sah, doch die Wendung Licht vom Himmel deutet darauf hin, daß es Christus war. Diese Vision war die Grundlage des Apostolats von Saulus (vgl. 1Kor 9,1 ).

Die Frage "was verfolgst du mich?" ( Apg 9,5; der Gebrauch des Personalpronomens vermittelte Saulus eine erste Vorstellung davon, was es heißt, als Christ in Christus zu sein) ist ebenfalls sehr wichtig, denn sie beweist die Einheit Christi mit seiner Kirche. Der Herr fragte nicht: "Warum verfolgst du meine Kirche?" Darauf spielte Lukas bereits am Anfang der Apostelgeschichte an, als er schrieb, daß der Herr sein Werk auf Erden in der Kirche fortsetzen wird ( Apg 1,1 ). Dasselbe Verständnis drückte sich in der Episode um Hananias aus, der mit seiner Lüge gegenüber Petrus gleichzeitig eine Lüge gegen den Geist ausgesprochen hatte ( Apg 5,3 ). Lukas sah, wie Paulus auch, Christus als Haupt und die Kirche als seinen Leib an.

 

 

Apg 9,5

 

Manche Exegeten vertreten die Annahme, daß die Anrede "Herr" in Saulus' Frage "Herr ( Kyrie ) , wer bist du?" unserer heutigen Anrede "Herr Sowieso" entspricht. Das ist, wie Mt 13,27; 27,63; Joh 4,11; Apg 10,4 und andere Stellen zeigen, zwar durchaus möglich, doch in diesem Abschnitt geschieht zuviel Übernatürliches, als daß diese These plausibel erscheint. Selbst wenn Saulus den, der ihm da entgegentrat, nicht sofort als Jesus erkannte, muß er doch gewußt haben, daß es ein übernatürliches Wesen war. Dann offenbarte Jesus sich Saulus: Ich bin Jesus (vgl. Apg 9,17 ).

 

 

Apg 9,6

 

Der auferstandene Herr gebot ihm: Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst . Das bedeutet nicht, daß Saulus erst durch Hananias (V. 10 ) mit der christlichen Lehre bekannt wurde, wie manche behaupten. Saulus erfuhr vielmehr von Christus selbst, daß er das Evangelium verkünden und dabei auch leiden sollte (V. 15 - 16 ; Apg 22,10.15;26,16-20 ). Auch die Wahrheit der Rechtfertigung durch den Glauben offenbarte ihm der Herr bereits auf der Straße nach Damaskus; darüber läßt Apg 26,18 keinen Zweifel (vgl. Gal 1,11-12 ).

 

 

Apg 9,7

 

Zwischen Vers 7 und Apg 22,9 besteht offensichtlich eine Diskrepanz. In 9,7 berichtet Lukas, daß die Männer, die seine Gefährten waren, die Stimme ( phOnEs ) hörten , doch in Apg 22,9 schreibt er, daß sie die Stimme ( phOnEn ) nicht hörten . Das Verb "hören" mit Genitiv bedeutet im Griechischen jedoch "ein Geräusch hören", "hören" mit Akkusativ dagegen ist gleichbedeutend mit "verstehen". Nun steht in Apg 9,7 der Genitiv und Apg 22,9 der Akkusativ. Also kann man davon ausgehen, daß Paulus' Begleiter die Stimme zwar vernahmen ( Apg 9,7 ), sie jedoch nicht verstanden ( Apg 22,9 ).

 

 

Apg 9,8

 

Wenn der "Pfahl im Fleisch" des Paulus ein Augenleiden war (vgl. den Kommentar zu 2Kor 12,7 ), dann ist der Auslöser für diese Krankheit vielleicht in seinem Erlebnis auf der Straße nach Damaskus zu suchen. Auf jeden Fall haben wir es in Vers 8 plötzlich mit einem ganz anderen Menschen zu tun. Im einen Augenblick stürmte er noch vorwärts, entschlossen, jeden Christen, dessen er habhaft werden konnte, ins Gefängnis werfen zu lassen. Im andern wird er wie ein Kind bei der Hand nach Damaskus geführt . Die Gnade Gottes zeigt sich oft in großen Ereignissen, ja manchmal sogar in - scheinbaren - Katastrophen.

 

 

Apg 9,9

 

Die drei Tage der Blindheit, des Fastens und Betens (V. 11 ) waren eine Zeit des Wartens für Saulus. Er hatte die Botschaft, die Gott ihm verheißen hatte (V. 6 ), noch nicht empfangen.

 

 

b. Saulus tut Busse

( 9,10 - 19 a)

 

Apg 9,10-14

 

Als nächstes wies Gott den widerstrebenden Hananias in einer Vision an, Saulus das Augenlicht wiederzugeben. Er sollte zu ihm gehen, in das Haus eines Mannes mit Namen Judas , das in der bStraße, die die Gerade hieß (eine der beiden parallel verlaufenden, die ganze Stadt von der westlichen zur östlichen Stadtmauer durchziehenden Straßen), stand. Vers 11 enthält auch den ersten Hinweis auf Saulus' Geburtsort, Tarsus (vgl. die Karte und den Kommentar zu V. 30 ).

Hier werden die Gläubigen zum ersten Mal (V. 13 ) in der Apostelgeschichte Heilige genannt (vgl. Eph 1,1 und Phil 1,1; vgl. auch "Ausgesonderte", hagiois ; Röm 1,1 ). Aus Apg 9,13-14 geht hervor, daß die Neuigkeit vom Eintreffen des Saulus, dieses jüdischen Eiferers für das Gesetz, der die Christen mit Ingrimm verfolgte, seiner Ankunft vorausgeeilt war, und daß Hananias sich vor ihm fürchtete.

 

 

Apg 9,15

 

Der Herr aber versicherte ihm: Dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, daß er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel. Aus Saulus sollte Paulus, der Apostel der Unbeschnittenen, werden ( Röm 11,13; Gal 2,2.7-8; Eph 3,8 ), der vor hohen Persönlichkeiten und sogar Königen Zeugnis ablegen würde (vgl. den Statthalter Felix, Apg 24,1-23 ,den Statthalter Porzius Festus, Apg 24,27- Apg 25,12 ,Herodes Agrippa II., Apg 25,13-26,32 und vielleicht auch Kaiser Nero, Apg 25,11 ). Doch Paulus wirkte auch unter dem "Volk Israel" (vgl. Apg 9,20;13,5.14;14,1;17,2.10.17;18,4.19;19,8;26,17-20; Röm 1,16 ). Daß jemand, der die Christen so haßerfüllt verfolgt hatte, zu einem so mächtigen und beeindruckenden Zeugen des Evangeliums werden konnte, war ein überwältigender Beweis der Souveränität Gottes.

 

 

Apg 9,16

 

Diese Prophezeiung wird in Saulus' Leidenskatalog in 2Kor 11,23 - 27 zum Teil bestätigt.

In dem Gespräch zwischen Hananias und dem Herrn findet sich dreimal in drei Versen das Wort Name ( Apg 9,14-16; vgl. Apg 3,16 ).

 

 

Apg 9,17

 

Bruder Saul - wie ermutigend müssen diese Worte in Saulus' Ohrengeklungen haben! Der erste Mensch, von dem berichtet wird, daß er Saulus "Bruder" nannte, war Hananias. Was er Saulus sagte, ist in Apg 22,14-16 ausführlicher wiedergegeben. Hananias' Furcht hatte sich in Liebe zu Saulus gewandelt, weil der Herr es geboten hatte. Indem er die Hände auf ihn legte , identifizierte er sich mit ihm.

Dieser Vers enthält den unbezweifelbaren Beweis, daß Saulus nach seiner Bekehrung mit dem Heiligen Geist erfüllt wurde (vgl. Apg 4,8.31; Eph 5,18 ).

 

 

Apg 9,18

 

Es fiel wie Schuppen ( lepides , von dem Verb lepO , "schälen"; Schuppen von Fischen und Krokodilen) von seinen Augen, und er wurde wieder sehend . Nach seiner Bekehrung unterzog Paulus sich, wie alle Christen in der Apostelgeschichte ( Apg 8,12.38 ), der Wassertaufe.

Von Hananias ist erst in Kap. 22 , wo Paulus selbst von seiner Bekehrung berichtet, wieder die Rede.

 

 

Apg 9,19 a

 

Der Schock, den die Begegnung mit dem auferstandenen Christus darstellte, und die drei Tage, die Paulus ohne Essen und Trinken verbrachte, hatten ihn sehr geschwächt. Doch die Begegnung mit Hananias, seine Heilung, das Erfülltwerden mit dem Heiligen Geist, die Wassertaufe und nicht zuletzt, daß er Speise zu sich nahm , ließen ihn wieder zu Kräften kommen.

 

 

2. Saulus in Damaskus und Jerusalem

( 9,19 b. 20-31 )

 

a. Das Bekenntnis

( 9,19 b - 20-22 )

 

Apg 9,19-20 (Apg 9,19b-20)

 

Bereits nach wenigen Tagen begann Saulus, in den Synagogen in Damaskus von Jesus zu predigen, daß dieser Gottes Sohn sei . Diese Vorgehensweise - zuerst die Synagogen aufzusuchen - behielt er auch auf seinen Missionsreisen bei (die erste Missionsreise - Apg 13,5.14; 14,1; die zweite Missionsreise - Apg 17,2.10.17; 18,4; die dritte Missionsreise - Apg 18,19; 19,8 ). In Vers 20 findet sich zum ersten und einzigen Mal in der Apostelgeschichte die Wendung "Gottes Sohn". Die Gottessohnschaft Jesu war die erste Erkenntnis, die Saulus auf der Straße nach Damaskus zuteil geworden war.

 

 

Apg 9,21

 

Die Juden aber waren entsetzt - angesichts der Tatsache, daß Saulus in Jerusalem in einem schrecklichen Verfolgungsfeldzug alle Juden, die sich zu Jesus bekannten, vernichten wollte (vgl. Apg 8,3;22,19;26,11 ), eine völlig verständliche Reaktion. Das griechische Verb existanto bedeutet wörtlich "sie waren außer sich". Das Wort taucht in der Apostelgeschichte fünfmal auf ( Apg 2,7;8,13;9,21;10,45;12,16 ). Mit ähnlicher Fassungslosigkeit hatten zuvor viele Menschen auf Jesus reagiert ( Mk 2,12;5,42;6,51 ).

 

 

Apg 9,22

 

Doch nun nutzte Saulus seine theologische Bildung, um den Menschen sein neues Wissen - daß Jesus der Messias war - zu beweisen. Er war nach Damaskus gegangen, um die Kirche auszurotten - jetzt verkündete er das Evangelium. Welch ein Gegensatz! Kein Wunder, daß die Juden in Damaskus in die Enge getrieben ( synechynnen , "verwirrt", von syncheO , das im Neuen Testament nur in Apg 2,6;9,22;21,27.31 steht) waren.

 

 

b. Die Verschwörungen gegen Saulus

( 9,23 - 31 )

 

(1) In Damaskus

 

 

Apg 9,23-25

 

In diesem Abschnitt wird eines der Unterthemen der Apostelgeschichte, die Opposition der jüdischen Machthaber gegen das Evangelium, ganz deutlich. Aus 2Kor 11,32-33 geht hervor, daß es sich bei dieser Verschwörung um eine Gemeinschaftsaktion der Juden und des Statthalters des Königs Aretas (eines Nabatäers) handelte, wenngleich die Juden die Haupttriebfeder waren. Doch Saulus' Jünger hatten erfahren, daß die Juden beschlossen hatten, ihn zu töten, und ließen ihn in einem Korb die Mauer hinab , denn die Tore der Stadt waren bewacht. Hatte Saulus ursprünglich vorgehabt, die Anhänger des christlichen Glaubens in Damaskus zu verfolgen, so wurde er nun selbst zum Verfolgten. Sein Schicksal hatte eine seltsame Wendung genommen: Als Blinder hatte er die Stadt betreten, und in einem Korb verließ er sie wieder.

Die Tatsache, daß Saulus schon jetzt "Jünger" ( mathEtai ) folgten, zeigt, daß seine Predigt bereits Erfolg gehabt hatte und daß er offensichtlich wirklich ein begnadeter Apostel war.

Lukas übergeht in der stark gerafften Darstellung der Apostelgeschichte Saulus' kurzen Aufenthalt in Arabien, von dem wir aus Gal 1,17 wissen. Möglicherweise lag er in der Zeit zwischen dem in Apg 9,22 und Apg 9,23 berichteten Geschehen. Warum Saulus nach Arabien ging, wissen wir nicht; unwahrscheinlich ist allerdings, daß es Missionszwecke waren, denn das Gebiet war nur spärlich besiedelt und Saulus konzentrierte sich im allgemeinen auf die städtischen Metropolen. Vielleicht verließ er Damaskus, um seine Verfolger zu beschwichtigen und dadurch auch das Los der übrigen Christen in der Stadt zu erleichtern. Oder - und das klingt am plausibelsten - er ging nach Arabien, um zu meditieren und zu studieren.

 

 

Apg 9,26-28

 

(2) In Jerusalem ( Apg 9,26-30 )

 

Saulus hatte Jerusalem als unerbittlicher Feind des Christentums verlassen, um die Kirche in Damaskus auszurotten. Doch die souveräne Gnade Gottes machte ihn zum Mitbruder und Mitverkünder des Evangeliums in eben dieser Stadt. Nun schloß er sich den Christen in Jerusalem an, die sich allerdings verständlicherweise zunächst weigerten, ihm Glauben zu schenken (vgl. Hananias' Befürchtungen; V. 13 ). Als Saulus in Damaskus einen Freund gebraucht hatte, war Hananias zu ihm gekommen; in Jerusalem fand er Barnabas . Dieser Mann, dessen Name "Sohn des Trostes" bedeutet ( Apg 4,36 ), erwies sich als große Hilfe (Barnabas tritt danach in der Apostelgeschichte noch viermal in Erscheinung: (a) Apg 11,22-24; (b) Apg 11,30; 12,25; (c) Apg 13,1-2.50; 14,12; (d) Apg 15,2.12.22.25.37 ). Nachdem Barnabas die Gläubigen in Jerusalem davon überzeugt hatte, daß Saulus sich wirklich bekehrt hatte, erlaubten sie ihm, bei ihnen zu bleiben. In Damaskus hatte Saulus im Namen Jesu frei und offen gepredigt , und auch in Jerusalem predigte er im Namen des Herrn frei und offen (vgl. den Kommentar zu "frei" in Apg 4,31 ).

 

 

Apg 9,29

 

Er redete und stritt auch mit den griechischen Juden und setzte so das Werk des Stephanus fort (vgl. Apg 6,8-10 ). Daß die Juden ihn schon so bald töten wollten, ist wohl ein Zeichen, daß sie seiner rednerischen Begabung nicht gewachsen waren.

 

 

Apg 9,30

 

Daraufhin geleiteten ihn die Brüder (vgl. V. 17 ) in Jerusalem nach Cäsarea , den etwa 100 Kilometer entfernten Seehafen, und schickten ihn von dort in seine Heimatstadt, Tarsus . Das schon damals über 6000 Jahre alte Tarsus war die "Intellektuellenstadt" im römischen Reich. (Zu einem kurzen Überblick über die bedeutenden Ereignisse in der Geschichte von Tarsus vgl. V. Gilbert Beers, The Victor Handbook of Bible Knowlegde , Wheaton, Ill. 1981, S. 555.)

Im neunten Kapitel werden folgende Reisen von Saulus erwähnt:

1. Jerusalem (V. 1 - 2 )

2. Damaskus (V. 3 - 22 )

3. Arabien ( Gal 1,17 )

4. Damaskus ( Apg 9,23-25; Gal 1,17 ; 2Kor 11,32-33 )

5. Jerusalem ( Apg 9,26-29; Gal 1,18-19 )

6. Cäsarea ( Apg 9,30 )

7. Tarsus (V. 30; Gal 1,21-24 )

 

Apg 9,31

 

(3) Schluß

 

In dem Satz die Gemeinde in ganz Judäa und Galiäa und Samarien steht das Wort "Gemeinde" im Singular. Lukas sprach hier also offensichtlich von der universalen Kirche, die im ganzen Heiligen Land verstreut war.

Der Zorn der Juden hatte sich so sehr auf Saulus konzentriert, daß die Kirche, nachdem er fort war, eine Zeitlang Frieden hatte .

Bis jetzt gehörten der Kirche Jesu Christi noch ausschließlich Juden, Halbjuden (Samariter) und jüdische Proselyten, die sich zum Christentum bekehrt hatten, an (die einzige Ausnahme war der äthiopische Kämmerer; Apg 8,26-40 ), doch es war schon alles für die Ausbreitung der christlichen Kirche unter den anderen Völkern der Welt bereit.

Mit dem dritten der sieben "Verlaufsberichte" über das geistliche und zahlenmäßige Wachstum der Kirche (vgl. Apg 2,47;6,7;12,24;16,5;19,20;28,30-31 ) schließt Lukas diesen Abschnitt seines Buches.

 

Apostelgeschichte

 

III. Das Zeugnis bis ans Ende der Erde

( 9,32 - 28,31 )

 

A. Die Ausbreitung der Kirche bis nach Antiochia

( 9,32 - 12,24 )

 

1. Die Wegbereitung für ein universales Evangelium durch Petrus

( 9,32 - 10,48 )

 

a. Petrus in Lydda

( 9,32 - 35 )

 

Apg 9,32-35

 

Von Petrus war zuletzt in Apg 8,25 die Rede gewesen, als er mit Johannes aus Samarien nach Jerusalem zurückkehrte. Er arbeitete inzwischen als Wanderapostel in Judäa, wobei er unter anderem auch nach Lydda kam. Das damalige Lydda, das nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament erwähnt wird, ist das heutige Lod; im Norden der Stadt liegt der internationale Flughafen Israels. Auch später setzte Petrus seine ausgedehnten Missionsreisen fort (vgl. die Adressaten seines ersten Briefes; 1Pet 1,1 ). Philippus hatte ihm im Gebiet in und um Cäsarea den Weg bereitet ( Apg 8,40 ).

Die Wunderheilung des Äneas , eines Gelähmten, der seit acht Jahren ans Bett gebunden war, bekehrte viele zum Glauben an Christus. Dreimal in der Apostelgeschichte benutzt Lukas die Worte "sich zu dem Herrn bekehren" , wenn er von der Rettung spricht ( Apg 9,35;11,21;15,19 ). Das Evangelium erregte allmählich die Aufmerksamkeit breiterer Bevölkerungskreise, denn in diesem Küstengebiet lebten viele Heiden. Scharon ist der Name der - etwa 15 Kilometer breiten und 75 Kilometer langen - fruchtbaren Ebene entlang der palästinensischen Küste; Lydda lag im Südosten dieser Ebene. Das Wunder, das Petrus dort vollbrachte, war seine zweite Heilung eines Gelähmten (vgl. Apg 3,1-10; vgl. auch Apg 14,8-10 ).

 

Apostelgeschichte

 

b. Petrus in Joppe

( 9,36 - 43 )

 

Apg 9,36-38

 

Während Petrus sich in Lydda aufhielt, starb in Joppe eine von allen geliebte Christin ( eine Jüngerin ) mit Namen Tabita , das ist aramäisch und heißt übersetzt: Reh . Sie war bekannt für ihre guten Werke und reichlichen Almosen . Da die Städte Lydda und Joppe nur etwa 18 Kilometer voneinander entfernt liegen, wurden zwei Männer zu ihm gesandt, um ihn herbeizurufen. (Zu einer kurzen Zusammenfassung der Geschichte von Joppe s. Beers, The Victor Handbook of Bible Knowledge , S. 559.) Bis dahin war, wenn man den Berichten der Apostelgeschichte Glauben schenken darf, in der Urkirche noch niemand von den Toten auferweckt worden, doch der Glaube der Christen, die Petrus bekehrt hatte, war so groß, daß sie erwarteten, daß der Herr Tabita durch Petrus auferstehen lassen würde.

 

Apostelgeschichte

 

Apg 9,39-41

 

Sobald Petrus ankam, trieb er die weinenden Witwen und andere Gläubige aus dem Obergemach, kniete nieder, betete für Tabita und gebot ihr, aufzustehen (vgl. Mk 5,41 ). Um sich nicht zu verunreinigen, berührte er sie jedoch erst, als Gott sie wieder lebendig gemacht hatte.

 

 

Apg 9,42-43

 

Auch dieses Wunder brachte viele zum Glauben an den Herrn ( Apg 2,43.47;4,4;5,12.14;8,6;9,33-35 ). Danach blieb Petrus noch lange Zeit in Joppe bei einem Simon, der ein Gerber war und dessen Haus am Meer lag ( Apg 10,6 ).

Dieser Abschnitt ( Apg 9,32-43 ) schildert, wie sorgfältig Petrus auf sein folgendes Erlebnis mit Kornelius vorbereitet wurde. (1) Zwei weitere große Wunder bestätigten ihn in seinem Amt und bewiesen, daß Gott auf ganz besondere Weise mit ihm war. (2) Er wirkte jetzt in einem Gebiet, in dem auch Heiden lebten. (3) Er wohnte im Haus Simons des Gerbers. Gerber galten als unrein, weil sie ständig mit den Häuten toter Tiere in Kontakt kamen ( 3Mo 11,40 ).

 

 

c. Petrus und Kornelius

( Apg 10 )

 

Auch über dieses Ereignis berichtet Lukas in der Apostelgeschichte dreimal - hier in Apg 10 , in Kap. 11 und nochmals in Apg 15,6-9- ein Zeichen, wie wichtig es ihm war. Mit der geographischen Ausbreitung des Evangeliums begann die Erfüllung der Worte Jesu in Mt 8,11 : "Viele werden kommen von Osten und von Westen und ... im Himmelreich zu Tisch sitzen."

(1) Die Vision des Kornelius ( Apg 10,1-8 )

 

 

Apg 10,1

 

Sowohl Petrus als auch Kornelius wurden durch eine Vision auf ihre Begegnung vorbereitet. Lukas geht zunächst auf die Vision des Kornelius ein. Er war ein Hauptmann in der - sechshundert Mann starken - italischen Abteilung , also ein römischer Offizier, der 100 Soldaten befehligte. Im Neuen Testament erscheinen die Hauptleute häufig in vorteilhaftem Licht (vgl. Mt 8,5-10;27,54; Mk 15,44-45; Apg 22,25-26;23,17-18; Apg 27,6.43 ). Kornelius war einer der ersten Heiden, die nach Pfingsten die gute Nachricht von der Vergebung der Sünden durch Jesus Christus hörten.

 

 

Apg 10,2

 

Aus seiner Beschreibung als fromm ( eusebEs , dieses Wort steht außer an dieser Stelle nur noch in V. 7 und 2Pet 2,9 ) und gottesfürchtig (vgl. V. 22 ) kann geschlossen werden, daß er noch nicht endgültig zum Judentum übergetreten (d. h. noch nicht beschnitten; Apg 11,3 ) war, aber Jahwe verehrte. Offensichtlich besuchte er den Gottesdienst in der Synagoge und befolgte nach bestem Wissen und Gewissen die Gebote des Alten Testaments. Wie fromm dieser Soldat war, zeigen auch seine Gebete und freigebigen Almosen . Die Rettung, von der das Neue Testament spricht, war ihm jedoch noch nicht zuteil geworden (vgl. Apg 11,14 ).

 

 

Apg 10,3-6

 

Der Hinweis auf die Zeit um die neunte Stunde am Tage bezieht sich wahrscheinlich auf eine jüdische Gebetsstunde (vgl. Apg 3,1 ). Wenn ja, hatte Kornelius seine Vision, während er betete (vgl. Apg 10,9 ). Später beschrieb er den Engel, der ihm erschien, als "Mann in einem leuchtenden Gewand" (V. 30 ). Er sprach Kornelius an, und dieser antwortete mit der Frage: "Herr (kyrie; wahrscheinlich nur die übliche Anrede für Fremde, vgl. den Kommentar zu Apg 9,5 ), was ist?" Der Engel wies ihn an, nach Simon Petrus im Haus Simons des Gerbers zu senden (vgl. Apg 9,43 ).

 

 

Apg 10,7

 

Als der Engel, der mit ihm redete, hinweggegangen war , rief der Hauptmann drei seiner Männer - zwei Knechte und einen frommen ( eusebE , vgl. V. 2 ) Soldaten . Zweifellos hatte Kornelius' Frömmigkeit bereits ihre Wirkung auf seine Leute getan.

 

 

Apg 10,8

 

Er erzählte ihnen alles , was geschehen war. Mit dem an dieser Stelle verwendeten griechischen Partizip ( exEgEsam ) ist das Substantiv "Exegese" verwandt. Er "erklärte" ihnen also alles.

Die drei wurden nach dem etwa 50 Kilometer südlich von Cäsarea liegenden (V. 24 ) Joppe geschickt, um Petrus zu holen und zu Kornelius zu bringen.

 

 

Apg 10,9

 

(2) Die Vision des Petrus ( Apg 10,9-16 )

 

Auch Petrus betete morgens und abends zu den normalen Gebetsstunden, zusätzlich jedoch noch um die sechste Stunde , also mittags. Das war zwar in der Schrift nicht vorgeschrieben, doch Petrus folgte darin dem Beispiel vieler frommer Männer vor ihm (vgl. Ps 55,18; Dan 6,11 ). Er stieg für das Gebet auf das (flache) Dach, um allein zu sein.

 

 

Apg 10,10-12

 

Als er hungrig geworden war, geriet er in Verzückung . Gott ließ ihn eine Vision sehen, in der ein großes leinenes Tuch auf die Erde herabkam, auf dem allerlei vierfüßige und kriechende Tiere der Erde und Vögel herumkrabbelten.

 

 

Apg 10,13-14

 

Als Gott Petrus gebot, von diesen Tieren zu essen, antwortete er erschrocken: O nein ( mEdamOs , eine höflichere und demütigere Formulierung als das harte oudamOs , "unter keinen Umständen", das nur in Mt 2,6 steht), Herr. Das war das dritte Mal in Petrus' Laufbahn, daß er sich ganz direkt dem Willen Gottes widersetzte (vgl. Mt 16,23; Joh 13,8 ). Petrus wußte aus dem Gesetz, daß er keine unreinen Tiere essen durfte ( 3Mo 11 ). Konnte er denn nicht einfach die reinen töten und essen und die unreinen leben lassen? Wahrscheinlich war er der Ansicht, er solle alle essen, oder auf dem Tuch tummelten sich ausschließlich unreine Tiere.

 

 

Apg 10,15

 

Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten . Dieser Tadel unterstreicht die Bedeutung von Mk 7,14-23 (vgl. 1Tim 4,4 ). Es gilt als gesichert, daß Markus dort einen Ausspruch von Petrus niederschrieb. In der Rückschau muß Petrus erkannt haben, daß Jesus als Messias alle Nahrungsmittel rein gemacht hatte.

 

 

Apg 10,16

 

Petrus dreimalige Weigerung war ein Ausdruck für die Bestimmtheit seiner Weigerung und ein Beweis für die Gewißheit seiner Überzeugung und Treue Gott gegenüber. Er hatte hier Skrupel, die nicht einmal Gott selbst beseitigen konnte. Er wollte zwar nur das Beste, war aber dennoch ungehorsam. Außerdem besteht hier vielleicht auch eine gewisse Verbindung zu seiner dreifachen Leugnung des Herrn ( Joh 18,17.25-27 ) und der dreifachen Bestätigung seiner Liebe zu ihm ( Joh 21,15-17 ).

 

 

Apg 10,17-22

 

(3) Der Besuch der Boten ( Apg 10,17-23 a)

 

Durch ein wunderbares zeitliches Zusammentreffen kamen die drei Boten gerade in diesem Moment bei Petrus an. Da der Heilige Geist Petrus bereits über die Ankunft der drei Männer unterrichtet hatte, war er es vielleicht auch gewesen, dessen Stimme Petrus zuvor (V. 13.15 ) gehört hatte.

Die von Kornelius gesandten Männer schilderten Petrus ihren Vorgesetzten in einem äußerst vorteilhaften Licht (vgl. V. 2.4 ) und teilten ihm den Zweck ihres Kommens mit.

 

 

Apg 10,23 a

 

Da rief er sie herein und beherbergte sie . Petrus war gerade im Begriff gewesen, sein Mittagsmahl einzunehmen (vgl. V. 10 ) und lud seine Besucher nun ein, es mit ihm zu teilen. Vielleicht begann ihm bereits der Sinn der Lektion, die er in der Vision erhalten hatte, klarzuwerden!

 

 

Apg 10,23

 

(4) Der Besuch bei den Heiden ( Apg 10,23-43 )

 

b: Als Petrus und seine Gäste ihr Mahl beendet hatten, muß es bereits zu spät gewesen sein, um noch nach Cäsarea aufzubrechen. Am nächsten Tag machten sie sich dann jedoch gemeinsam auf die beinahe zweitägige Reise. (Die Boten des Kornelius hatten Cäsarea etwa um drei Uhr nachmittags verlassen [V. 3.8 ] und waren zwei Tage später um die Mittagszeit in Joppe angelangt; V. 9.19 ; vgl. "vor vier Tagen" in V. 30 .)

Einige Brüder aus Joppe begleiteten sie. Das paarweise Aussenden oder Reisen ist ein vertrautes Bild in der Apostelgeschichte; die Christen gingen meistens zu zweit. In diesem Fall wurde Petrus allerdings von mindestens sechs Männern begleitet ( Apg 11,12 ), d. h., es gab sieben Zeugen, die bestätigen konnten, was geschehen würde.

 

 

Apg 10,24

 

Kornelius war so sicher, daß Petrus kommen würde, und so begierig darauf, seine Botschaft zu hören, daß er bereits seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen hatte .

 

 

Apg 10,25-26

 

Als Petrus ankam, fiel er ihm zu Füßen und betete ihn an ( prosekynEsen ), doch Petrus untersagte ihm das, richtete ihn auf und sprach: Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch .

 

 

Apg 10,27-29

 

Petrus war sich der Folgen seiner Tat - daß er Heiden in ihrem Haus aufsuchte - wohl bewußt (vgl. Apg 11,2-3 ), doch er hatte inzwischen die Bedeutung seiner Vision erkannt. Mit dem Gebot, unreine Tiere zu essen, hatte Gott ihm sagen wollen, daß es nicht seine Sache war, einen Menschen unrein zu nennen . Darum weigerte er sich nicht , als er geholt wurde.

 

 

Apg 10,30-33

 

Nachdem Kornelius ihm die Umstände, die Petrus in sein Haus gebracht hatten, berichtet hatte, sagte er: Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist . Welch eine innerlich bereite Zuhörerschaft fand der Apostel hier im Haus eines Heiden!

 

 

Apg 10,34-35

 

Die folgende Predigt von Petrus war revolutionär. Sie wischte das Vorurteil und die Belehrungen von Generationen jüdischer Lehrer einfach fort. Allerdings war auch schon im Alten Testament an mehreren Stellen von der Rettung der Heiden die Rede gewesen (vgl. Jona; 1Mo 12,3 ). Die Juden waren zwar Gottes auserwähltes Volk, die Empfänger seiner Verheißungen und Offenbarung, doch nun verkündigte Petrus, daß Gottes Plan die ganze Welt umfaßte und daß seine Botschaft durch die christliche Gemeinde in alle Winde getragen werden sollte.

Über die Bedeutung der Worte "in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm" sind sich die Exegeten nicht einig. Sicherlich ist damit auf keinen Fall irgendeine Art von Werkgerechtigkeit gemeint, denn die erste und vornehmste Pflicht eines Menschen ist es, Gott zu fürchten, und das heißt nichts anderes, als ihm zu vertrauen und ihn anzubeten (vgl. zu dieser Stelle auch Mi 6,8 ). Gottes Annahme der Menschen aber hängt grundsätzlich damit zusammen, daß sie durch den Glauben an Christus zu einer richtigen Beziehung zu Gott selbst finden (vgl. Apg 11,14 ).

 

 

Apg 10,36-37

 

Im Anschluß an seine ersten, aufrüttelnden Worte gab Petrus seinen Zuhörern einen kurzen Bericht über das Leben und Werk Christi (V. 36 - 43 ), des allmächtigen Herrn über alle , durch den Gott den Menschen Frieden verkündigte . Neutestamentler haben immer wieder auf die nahezu vollkommene Übereinstimmung dieser Stelle mit dem Markusevangelium hingewiesen. Auch Markus setzt mit seiner Darstellung bei der Taufe des Johannes ein, verfolgt dann die Spuren des Wirkens Jesu von Galiläa nach Judäa und Jerusalem und schließt mit dem Kreuzestod, der Auferstehung und dem Missionsauftrag an die Jünger.

 

 

Apg 10,38

 

Der Begriff "Messias" bedeutet "Gesalbter"; wenn Petrus also sagte, Gott salbte Jesus von Nazareth , meinte er, "Gott machte ihn zum Messias" (vgl. Jes 61,1-3; Lk 4,16-21; Apg 4,27 ). Das geschah bei der Taufe Jesu (vgl. Mt 3,16-17; Mk 1,9-11; Lk 3,21-22; Joh 1,32-34 ). Jesaja hatte prophezeit, daß der Gesalbte große Wunder vollbringen werde ( Jes 61,1-3 ), und Petrus sagte denn auch: Der ist umhergezogen und hat Gutes getan und hat alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels waren.

 

 

Apg 10,39-41

 

Der Apostel versicherte seinen Hörern, daß er und seine Helfer Augenzeugen aller Werke Jesu gewesen waren. Sie , d. h. die Juden, haben ihn an das Holz gehängt und getötet , d. h., sie haben ihn auf schändlichste Weise umgebracht. Zuvor hatte Petrus den Juden in Jerusalem gepredigt: "Den Fürsten des Lebens habt ihr getötet" ( Apg 3,15 ); zu den Herrschenden sagte er: "den ihr gekreuzigt habt" ( Apg 4,10 ); und dem Hohen Rat warf er vor: "den ihr an das Holz gehängt und getötet habt" ( Apg 5,30 ). Auch Stephanus hatte den Hohen Rat angeklagt: "Und sie haben getötet" ( Apg 7,52 ). Fünfmal in der Apostelgeschichte bezeugen die Apostel, daß sie den auferstandenen Christus mit eigenen Augen gesehen haben ( Apg 2,32;3,15;5,32;10,41;13,30-31 ). Die Jünger hatten nach seiner Auferstehung gemeinsam mit ihm gegessen und getrunken (vgl. Joh 21,13 ) - das war der eindeutige Beweis, daß der auferstandene Herr kein körperloser Geist war, und es erklärt, wie er sichtbar erscheinen konnte ( Apg 10,40 ).

 

 

Apg 10,42-43

 

Als nächstes machte Petrus klar, daß das Wirken Christi entweder zum Gericht (V. 42 ) oder zum Heil (V. 43 ) führt. Der Schlüsselsatz lautet: Alle, die an ihn glauben . Im Griechischen besteht diese Konstruktion aus einem Partizip Präsens mit Artikel, ist also substantivisch formuliert ("jeder an ihn Glaubende"). Entscheidend für die Rettung ist der Glaube an Christus. Schon die Propheten sprachen von der Vergebung der Sünden (vgl. Apg 2,38;5,31;13,38;26,18 ) durch den Glauben an den Messias (z. B. Jes 53,11; Jer 31,34; Hes 36,25-26 ).

 

 

Apg 10,44-45

 

(5) Die Rechtfertigung durch den Heiligen Geist ( Apg 10,44-48 ).

 

Plötzlich, mitten in der Predigt, fiel der Heilige Geist auf alle , die Petrus' Botschaft von Jesus zuhörten und durch sie zum Glauben kamen. Die sechs (vgl. V. 23 ; Apg 11,12 ) gläubig gewordenen Juden , die Petrus begleitet hatten, entsetzten sich (exestesan, "gerieten außer sich"; vgl. Apg 9,21 ) angesichts dieses Beweises der Gleichstellung der Heiden mit Judenchristen.

 

 

Apg 10,46

 

Das Zeichen, das bestätigte, daß die Heiden wirklich gerettet waren, war das Zungenreden . (Zur Bedeutung des Zungenredens in der Apostelgeschichte vgl. den Kommentar zu Apg 19,1-7 .)

 

 

Apg 10,47-48

 

Petrus sah in diesem Wunder mindestens drei theologische Implikationen: (1) Er konnte Gott nicht "wehren", d. h., er mußte den Willen Gottes, die Heiden in seine Gemeinschaft aufzunehmen, akzeptieren ( 11, 17 ). (2) Kornelius und sein Haus wurden, obwohl sie unbeschnitten waren ( Apg 11,3 ), getauft, weil sie an Christus geglaubt hatten, wie das Herabkommen des Heiligen Geistes auf sie bestätigte. (3) Die Authentizität der Bekehrung des Kornelius wurde dadurch noch bekräftigt, daß Petrus einige Tage bei ihm blieb, wahrscheinlich, um ihn in seinem neuen Glauben zu unterweisen.

 

 

2. Die Wegbereitung für ein universales Evangelium durch die Apostel

( 11,1 - 18 )

 

a. Die Anklage

( 11,1 - 3 )

 

Apg 11,1-2

 

Die Reaktionen der Judenchristen auf die Geschehnisse in Cäsarea waren unterschiedlich. Der Ausdruck "gläubig gewordene Juden" (vgl. Apg 10,45 ) bezeichnet offensichtlich Christen, die sich noch am mosaischen Gesetz orientierten (vgl. Apg 15,5;21,20; Gal 2,12 ).

 

 

Apg 11,3

 

Die gegen Petrus erhobene Anklage lautete, daß er zu Männern gegangen sei, die nicht Juden sind, und mit ihnen gegessen habe. Das Problem war also nicht, daß er vor den Heiden gepredigt, sondern daß er mit ihnen gegessen hatte (vgl. Mk 2,16; Lk 15,2; Gal 2,12 ), denn die Tischgemeinschaft war ein äußeres Zeichen dafür, daß eine Person akzeptiert und in die Gemeinschaft aufgenommen war (vgl. 1Kor 5,11 ). Angesichts der Einwände der Judenchristen wird Petrus' Vision noch entscheidender ( Apg 10,9-16 ), denn eine solche Kontroverse hätte zu einem schwerwiegenden Bruch innerhalb der Urkirche führen können.

 

 

b. Die Antwort

( 11,4 - 17 )

 

Apg 11,4-14

 

Petrus berichtete den gläubig gewordenen Juden in Jerusalem kurz, was geschehen war (vgl. Apg 10 ): von seiner Erscheinung ( Apg 11,5-7 ), seiner Reaktion darauf (V. 8 - 10 ) und von den Ereignissen im Haus von Kornelius (V. 11 - 14 ).

Apostelgeschichte

 

Apg 11,15-16

 

Entscheidend an seinem Bericht war, daß er darin den Pfingsttag als die Erfüllung der Prophezeiung des Herrn über die Geisttaufe sah ( Apg 1,4-5 ). In Kap. 2 war diese Gleichsetzung (Geistestaufe an Pfingsten) noch nicht direkt vollzogen worden, doch Petrus wies an dieser Stelle mit der Wendung "wie am Anfang" explizit darauf hin (vgl. Apg 10,47 ,"ebenso wie wir", und Apg 11,17 ,"die gleiche Gabe gegeben hat wie auch uns"). Damit wird Pfingsten zum Ausgangspunkt für das Kirchenzeitalter.

 

 

Apg 11,17

 

Doch Petrus blieb in seiner Verteidigungsrede nicht bei dem, was er selbst getan hatte, stehen, sondern sprach vom Handeln Gottes. Gott hatte keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden gemacht, wie konnte Petrus es dann tun?

 

 

c. Der Freispruch

( 11,18 )

 

Apg 11,18

 

Mit Petrus erkannten die Heiligen, daß die Bekehrung der Heiden Gottes Wille war und daß sie sich ihr nicht widersetzen durften. Daraus ergaben sich zwei entscheidende Konsequenzen: Erstens wurde die Einheit des Leibes Christi, der Kirche, bewahrt. Zweitens öffnete sich eine tiefe Kluft zwischen den Gläubigen des Kirchenzeitalters und denen, die Gott weiterhin im Tempel in Jerusalem anbeteten. Bevor die Apostel sich den Heiden zuwandten, hatte das jüdische Volk eher wohlwollend auf die Christen geblickt (vgl. Apg 2,47;5,13.26 ), doch jetzt wandten die Juden sich schon bald gegen die Kirche. Ihren Höhepunkt erreichte diese Ablehnung dann in der Hinrichtung des Apostels Jakobus ( Apg 12,2-3; vgl. 12,11 ).

Apostelgeschichte

 

3. Die Wegbereitung für ein universales Evangelium durch die Gemeinde in Antiochia

( 11,19 - 30 )

 

a. Das kosmopolitische Wesen der Kirche

( 11,19 - 21 )

 

Die folgenden Verse bilden einen der Dreh- und Angelpunkte der Apostelgeschichte. Zum ersten Mal machte sich die Kirche aktiv daran, Heiden zum Christentum zu bekehren. Die Samariter aus Kap. 8 waren Halbjuden gewesen, der äthiopische Kämmerer hatte sich aus eigenem Antrieb Jesaja zugewandt, und auch Kornelius hatte selbst die Initiative ergriffen, als er Petrus um die Verkündigung des Evangeliums bat. Diesmal unternahm jedoch die Kirche selbst den ersten Schritt, den unbeschnittenen Griechen ihre Botschaft zu bringen.

 

 

Apg 11,19

 

Hier wendet der Bericht sich nochmals Stephanus zu ( Apg 8,1-2 ) und weist auf eine weitere Folge seines Märtyrertodes hin. Er hatte dazu beigetragen, das Evangelium nach Samarien zu tragen (vgl. die Ähnlichkeit zwischen Apg 8,4 und Apg 11,19 ), hatte Saulus zu einer konsequenteren Verfolgung der Kirche veranlaßt ( Apg 8,3 ) und wurde nun auch Anlaß für die Ausbreitung des Evangeliums in die Länder der Heiden ( Phönizien und Zypern und Antiochia ).

 

 

Apg 11,20

 

Der Verweis auf Antiochia in Syrien soll den Leser auf die wichtige Rolle, die diese Stadt in der Fortsetzung des Berichts spielte, vorbereiten. Es gab viele Städte mit dem Namen Antiochia, doch Antiochia in Syrien war die bedeutendste unter ihnen. Sie war die drittgrößte Metropole im römischen Reich hinter Rom und Alexandria, lag am Fluß Orontes (etwa 20 Kilometer landeinwärts) und war deshalb auch als Antiochia am Orontes bekannt. In landschaftlich reizvoller Umgebung nach sorgfältiger Planung errichtet, war sie ein wichtiges Handelszentrum und die Heimat einer großen jüdischen Gemeinschaft. Die Stadt war berüchtigt für ihre üblen Sitten. So war z. B. religiöse Prostitution als Teil des Tempelgottesdienstes an der Tagesordnung, und der römische Satiriker Juvenal beschwerte sich einmal: "Schon lange verschmutzen die Abwässer aus dem Orontes unseren Tiber". Er meinte damit, daß Antiochia so verderbt war, daß seine Schlechtigkeit sogar auf das 2000 Kilometer entfernte Rom übergriff. Doch trotz der Unmoral, die in der Stadt herrschte, war Antiochia dazu bestimmt, zum Ausgangspunkt für die Missionsreisen des Paulus zu werden.

Der erstaunliche Fortschritt, den die Heidenmission damit machte, ging natürlich auch auf die Mithilfe zahlloser ungenannter Missionare zurück. Trotzdem war es ein kühner Schritt für Leute von Zypern und aus Kyrene, einer Stadt in Nordafrika, sich zum christlichen Glauben zu bekennen und ihn zu verkünden (vgl. Mt 27,32; Apg 2,10;6,9;13,1 ).

 

 

Apg 11,21

 

Die Wendung "wurde gläubig und bekehrte sich zum Herrn" muß sich nicht unbedingt auf zwei verschiedene Handlungen beziehen. Die griechische Konstruktion (Partizip Aorist und Aorist Verbum finitum) weist häufig auf zwei gleichzeitige Handlungen hin. Der Satz bedeutet also wohl einfach: "Im Glauben bekehrten sie sich zum Herrn."

 

 

b. Die Bestätigung der Gemeinde in Antiochia

( Apg 11,22-26 )

 

Apg 11,22

 

Ein solch wichtiger Schritt von seiten der Gemeinde konnte der Aufmerksamkeit der Urgemeinde in Jerusalem nicht entgehen. Früher hatten die Jerusalemer Apostel Petrus und Johannes entsandt, um das Wirken von Philippus in Samarien zu kontrollieren. Jetzt schickten sie Barnabas fast 500 Kilometer nach Norden, nach Antiochia . Daß sie gerade ihn wählten, war ebenfalls von entscheidender Bedeutung, denn ihre Wahl erwies sich aus mehreren Gründen als weise. Erstens stammte Barnabas, wie auch andere Verkündiger der christlichen Botschaft, selbst aus Zypern ( Apg 4,36;11,20 ). Zweitens war er großzügig ( Apg 4,37 ) und rücksichtsvoll. Drittens war er, wie schon sein Beiname ( Apg 4,36 ) und auch Lukas' Zeugnis über ihn ( Apg 11,24 ) besagten, ein einfühlsamer Gesprächspartner.

 

 

Apg 11,23

 

Barnabas konnte sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß in Antiochia tatsächlich Gott am Werk war, und er freute sich darüber. Gemäß seinem Beinamen "Sohn des Trostes" ( Apg 4,36 ) ermahnte er die Gläubigen, mit festem Herzen an dem Herrn zu bleiben (vgl. Apg 14,23 ). (Barnabas wird außerdem noch in Apg 9,27;11,25.30;12,25;13,1-2.7.43.46.50; Apg 14,3.12.14.20;15,2.12.22.25.35-37.39; 1Kor 9,6; Gal 2,1.9.13 und Kol 4,10 erwähnt.)

 

 

Apg 11,24

 

Barnabas war ein bewährter Mann, voll Heiligen Geistes und Glaubens (vgl. Stephanus, der ebenfalls voll des Glaubens und des Heiligen Geistes gewesen war; Apg 6,5 ). Da Lukas, der Paulus ja auf seinen Reisen begleitete, diese Charakterisierung nach der Konfrontation zwischen Barnabas und Paulus (vgl. Apg 15,39 ) schrieb, muß auch Paulus dieser Ansicht gewesen sein.

 

 

Apg 11,25

 

Die Missionsarbeit in Antiochia war so erfolgreich und nahm so großartige Dimensionen an, daß Barnabas schon bald Hilfe brauchte, und in seinen Augen war dazu keiner geeigneter als der inzwischen in Tarsus lebende Saulus (vgl. Apg 9,30 ). Möglicherweise war Paulus bereits in Tarsus den Leiden und Verfolgungen ausgesetzt, von denen er in 2Kor 11,23-27 spricht, und wahrscheinlich wurde ihm auch damals schon die Offenbarung aus 2Kor 12,1-4 zuteil. Manche Forscher sind, gestützt auf die Aussage von Apg 22,17-21 , sogar der Ansicht, daß Saulus bereits unter den Heiden predigte, als Barnabas ihn nach Antiochia holen wollte.

 

 

Apg 11,26

 

Barnabas und Saulus arbeiteten ein ganzes Jahr in Antiochia und lehrten viele . Die Gemeinde gewann ständig neue Mitglieder (vgl. Apg 2,41.47;4,4;5,14;6,1;9,31;11,21.24 ).

In Antiochia wurden die Jünger Jesu zuerst Christen genannt . Das Wort "Christen" steht nur noch an zwei anderen Stellen im Neuen Testament: Apg 26,28 und 1Pet 4,16 . Diese Bezeichnung, die im Griechischen noch durch die Wortstellung hervorgehoben ist, sollte die Christen als eigenständige religiöse Gruppe von den Juden abheben.

 

 

c. Die Barmherzigkeit der antiochenischen Gemeinde

( 11,27 - 30 )

 

Apg 11,27

 

Aus Jerusalem kamen Propheten nach Antiochia , die die Gabe der Prophezeiung besaßen.

 

 

Apg 11,28

 

Agabus , der in Apg 21,10-11 nochmals in Erscheinung tritt, prophezeite eine große Hungersnot, die über den ganzen Erdkreis kommen sollte . In der Regierungszeit des Kaisers Klaudius (41 - 54 n. Chr.) wurden tatsächlich große Teile des römischen Reiches von schweren Hungersnöten heimgesucht. Klaudius war es auch, der später die Juden aus Rom vertrieb ( Apg 18,2 ). (Vgl. die Liste der römischen Kaiser bei Lk 1,2 .)

 

 

Apg 11,29-30

 

Als die Christen in Antiochia erfuhren, daß ihre Glaubensbrüder in Judäa besonders unter der Hungersnot litten, ließen sie ihnen, jeder nach seinem Vermögen (vgl. 1Kor 16,2; 2Kor 9,7 ), finanzielle Unterstützung zukommen. Diese Zuwendung stärkte sicherlich die Verbundenheit zwischen den beiden Gemeinden (vgl. Röm 15,27 ).

Barnabas und Saulus brachten die Gabe nach Judäa und überreichten sie dort den Ältesten. Hier ist zum ersten Mal in der Apostelgeschichte von Kirchenältesten die Rede. Es handelte sich ganz eindeutig um eine Geldspende, die die Ältesten - sicherlich nach sorgfältiger Prüfung der Missionsarbeit der beiden - in Empfang nahmen. Einige Zeit später übergaben Paulus und seine Mitarbeiter den Ältesten der Jerusalemer Gemeinde auch die Kollekte der Gemeinden von Achaja, Mazedonien und Kleinasien ( Apg 21,18 ,wenngleich in diesem Vers nichts von der Übergabe einer Geldspende gesagt wird).

Dieser Besuch ( Apg 11,27-30 ) ist möglicherweise derselbe, von dem auch in Gal 2,1-10 die Rede ist.

 

 

4. Die Verfolgung der Gemeinde in Jerusalem

( 12,1 - 24 )

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im folgenden Abschnitt wird das Thema der Verwerfung des Messias durch Israel, das immer wieder in den Bericht der Apostelgeschichte verwoben ist ( Apg 4,1-30 ,besonders Apg 4,29;5,17-40;6,11- Apg 8,3;9,1-2.29 ), erneut aufgegriffen. Die Feindseligkeit Israels war auch der Anlaß für die erste Missionsreise des Apostels Paulus.

 

 

a. Das Martyrium des Jakobus

( 12,1 - 2 )

 

Apg 12,1-2

 

Hier wird der Liebe der antiochenischen Gemeinde zu den Heiligen in Jerusalem die erbarmungslose Feindschaft des Herodes und der Juden gegenüber den christlichen Gemeinden entgegengestellt.

Der Herodes, von dem hier die Rede ist, ist Agrippa I., ein Herrscher, der, selbst jüdischer Herkunft - er war ein Hasmonäer -, bei den Juden recht beliebt war. Sein Königreich umfaßte etwa das Gebiet, über das auch sein Großvater, Herodes der Große, geherrscht hatte. Agrippa I. war dafür bekannt, daß er so ziemlich alles tat, um sich die Juden geneigt zu machen, daher schien es ihm vom politischen Standpunkt her ratsam, gegen die Christen vorzugehen. Jakobus, den Bruder des Johannes , ließ er sogar hinrichten. Agrippa I. starb im Jahr 44 n. Chr. Sein Sohn, Herodes Agrippa II., war von 50 bis 70 n. Chr. König von Judäa. Vor ihm und seiner Schwester Berenike mußte sich Paulus verteidigen ( Apg 25,13-26,32 ). (Vgl. die Tabelle zur Dynastie des Herodes bei Lk 1,5 .)

 

 

b. Die Gefangennahme und Flucht von Petrus

( 12,3 - 19 )

 

Dieser Zwischenfall macht deutlich, daß die christlichen Gemeinden inzwischen zu einer eigenständigen Gruppe geworden waren, gegen die sich der Haß und die Verachtung der Juden richtete.

 

 

Apg 12,3-4

 

Die Hinrichtung des Jakobus gefiel den Juden , daher ließ Herodes während des Festes der Ungesäuerten Brote auch Petrus ergreifen und ins Gefängnis werfen. Er hatte vor, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen . Als "Passa" wurde manchmal das insgesamt achttägige Fest bezeichnet, das aus dem Passafest selbst und dem unmittelbar darauffolgenden siebentägigen Fest der Ungesäuerten Brote bestand. Aus zwei Gründen hatte Herodes beschlossen, Petrus ebenfalls hinzurichten: erstens galt er als Leiter einer christlichen Gemeinde, und zweitens hatte er Umgang mit Heiden.

Herodes stellte sicher, daß Petrus auf keinen Fall entkommen konnte, indem er ihn vier Wachen von je vier Soldaten überantwortete . Das bedeutet wahrscheinlich, daß zwei Männer - auf jeder Seite einer - an Petrus gefesselt waren, und zwei weitere vor der Tür Wache standen (vgl. V. 6.10 ). Die vier Wachen beziehen sich wahrscheinlich auf die Wachablösung alle sechs Stunden. Offensichtlich erinnerten sich die Juden noch an Petrus' frühere Flucht (vgl. Apg 5,19-24 ), und Herodes wollte verhindern, daß sie sich wiederholte.

 

 

Apg 12,5

 

So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott . Petrus war zwar gebunden, es gab nichts mehr, was die Gemeinde noch für ihn tun konnte; das Gebet aber stand ihnen noch offen.

 

 

Apg 12,6

 

Petrus vertraute dem Herrn so sehr, daß er in der Nacht, bevor Herodes ihn vorführen lassen wollte , ruhig schlief (vgl. 1Pet 2,23;5,7 ). Er fürchtete nicht um sein Leben, denn Christus hatte ihm prophezeit, daß er sehr alt werden würde ( Joh 21,18 ).

 

 

Apg 12,7-10

 

Dies war das zweite Mal, daß ein Engel Petrus bei der Flucht behilflich war (vgl. Apg 5,19-20 ). Er weckte ihn auf und gebot ihm, die Schuhe anzuziehen und ihm aus dem Gefängnis zu folgen. Gott ließ die Ketten von seinen Händen fallen , versetzte die Wachen in tiefen Schlaf und öffnete das eiserne Tor .

 

Apg 12,11

 

Auch in dieser Befreiung des Petrus hatte es sich wieder erwiesen, daß es unmöglich war, dem Evangelium Gottes Einhalt zu gebieten. Als Petrus zu sich gekommen war und die frische Nachtluft atmete, erkannte er, daß seine Befreiung nicht nur eine Vision gewesen war (V. 9 ), sondern daß Gott ihm tatsächlich geholfen hatte.

 

 

Apg 12,12

 

In diesem Vers wird Johannes Markus eingeführt, der eine wichtige Rolle bei der ersten Missionsreise des Paulus spielte. Seine Mutter Maria war offensichtlich eine wohlhabende und bedeutende Frau, denn ihr Haus, das der Gemeinde als Versammlungsort diente, muß sehr groß gewesen sein. Aus der Tatsache, daß sein Vater nicht erwähnt wird, kann man schließen, daß Maria Witwe war. Markus gilt als der Verfasser des Evangeliums, das seinen Namen trägt. (vgl. Mk 14,51-52; 1Pet 5,13 ).

 

 

Apg 12,13-17

 

Die Geschichte von Petrus' unerwarteter Ankunft im Haus von Johannes Markus offenbart sehr viel Sinn für Humor und für menschliche Schwächen. Die Freude, von der in der Apostelgeschichte so viel die Rede ist, tritt auch hier bei der Magd Rhode zutage, die auf das Klopfen des Petrus an die Tür kam und seine Stimme erkannte. Die Heiligen hatten zwar ernsthaft (V. 5 ) um die Befreiung des Apostels gebetet, doch mit einer so raschen Erhörung hatten sie nicht gerechnet! Als Rhode ihnen versicherte, daß Petrus vor dem Tor stünde, meinten sie: Du bist von Sinnen. Es ist sein Engel. Daran wird deutlich, daß die Urgemeinde noch an persönliche, d. h. den einzelnen Menschen zugeteilte Engel glaubte (vgl. Dan 10,21; Mt 18,10 ), die anscheinend genauso aussahen wie die Person, der sie zugeteilt waren.

Als die Brüder Petrus sahen, entsetzten sie sich ( exestEsan ; vgl. Apg 9,21 ). Daß Jakobus hier ausdrücklich erwähnt wird, zeigt, daß er als Halbbruder des Herrn eine wichtige Stellung in der Jerusalemer Gemeinde innehatte.

Nachdem Petrus ihnen erzählt hatte, wie er befreit worden war, ging er hinaus und zog an einen andern Ort - wohin genau, wissen wir nicht, doch 1Pet 1,1 deutet darauf hin, daß er sich nach Kleinasien begab. Später tauchte er dann in Antiochia in Syrien auf ( Gal 2,11 ). Auch Paulus spricht von der Tätigkeit des Petrus als Wanderapostel ( 1Kor 1,12;9,5 ).

 

 

Apg 12,18-19

 

Herodes ordnete eine Untersuchung der Flucht des Petrus an; er verhörte die Wachen und ließ sie abführen , d. h. hinrichten. Zweifellos rechtfertigte er diese Grausamkeit (er verlor dadurch insgesamt 16 Männer; vgl. V. 4 ) damit, daß Wachen, deren Gefangene entfliehen konnten, unverantwortlich gehandelt hatten und unzuverlässig waren. Daraufhin begab er sich für eine Weile nach Cäsarea, der Hauptstadt der römischen Provinz Judäa, von wo aus die römischen Statthalter das jüdische Volk regierten.

 

 

c. Der Tod Herodes Agrippa I.

( 12,20 - 23 )

 

Apg 12,20-23

 

Die Städte Tyrus und Sidon , die im Herrschaftsbereich des Herodes lagen, hatten aus irgendeinem Grund seinen Zorn erregt. Da sie in bezug auf Nahrungsmittel von Galiläa abhängig waren, lag ihnen jedoch viel daran, Frieden mit Herodes zu halten. Wahrscheinlich bestachen sie Blastus, den Kämmerer des Königs , ein gutes Wort für sie einzulegen. An dem festgesetzten Tag, als Herodes eine Rede an das Volk hielt , beteten sie ihn als Gott an, doch der Herr bestrafte ihn dafür mit dem Tod (44 n. Chr.). Das entspricht dem Bericht des Josephus in seiner "Geschichte des Judentums" (19. 8. 2). Nach dem Tod des Herodes wurde Felix und danach Festus Statthalter von Judäa.

 

Drei der Nachkommen des Herodes spielen in der weiteren Erzählung der Apostelgeschichte eine bedeutende Rolle: Drusilla, die Frau von Felix ( Apg 24,24 ), Berenike ( Apg 25,13.23 ) und Herodes Agrippa II. ( Apg 25,13-26,32 ).

 

 

d. Das weitere Wachstum der Kirche

( 12,24 )

 

Apg 12,24

 

Und das Wort Gottes wuchs und breitete sich aus (vgl. die ähnlichen Formulierungen in Apg 6,7;13,49; 19,20 ). Trotz der Widerstände und Verfolgungen ließ der Herr das Werk seiner Kirche gelingen. Mit diesem "Fortschrittsbericht" schließt Lukas einen weiteren Abschnitt seiner Erzählung (vgl. Apg 2,47;6,7;9,31;12,24;16,5;19,20;28,30-31 ). Von Antiochia aus sollte das Evangelium nun nach Kleinasien gelangen.

 

 

B. Die Ausbreitung der Kirche in Kleinasien

( 12,25 - 16,5 )

 

1. Die Berufung und Beauftragung von Barnabas und Saulus

( 12,25 - 13,3 )

 

Apg 12,25

 

Nachdem Barnabas und Saulus den Ältesten die Spende für die Hungernden in Jerusalem ausgehändigt hatten ( Apg 11,27-30 ), kehrten sie nach Antiochia zurück und nahmen Johannes Markus (vgl. Apg 13,5 ), einen Cousin von Barnabas ( Kol 4,10 ), mit sich ( Apg 12,12 ).

(Erste Missionsreise, Apg 13-14 )

 

 

Apg 13,1

 

Die Gemeinde in Antiochia wurde zur Ausgangsbasis für das Wirken von Saulus. Noch war die Jerusalemer Gemeinde die "Urgemeinde", Antiochia am Orontes aber wurde zum Zentrum der christlichen Mission. Die Verkündigung des Evangeliums war nun nicht mehr in erster Linie mit der Person des Petrus verknüpft; allmählich nahm Saulus seinen Platz ein.

Der unterschiedliche kulturelle Hintergrund der Leiter der antiochenischen Gemeinde macht den kosmopolitischen Charakter der dortigen Kirche besonders anschaulich. Barnabas war ein Jude aus Zypern ( Apg 4,36 ). Simeon war ebenfalls Jude, doch sein lateinischer Beiname Niger weist nicht nur auf seine dunkle Hautfarbe hin, sondern auch darauf, daß er sich in römischen Kreisen bewegte. Vielleicht war er jener Simon von Kyrene, der das Kreuz für Christus trug ( Mt 27,32; Mk 15,21 ). Luzius stammte aus Kyrene in Nordafrika (vgl. Apg 11,20 ). Manaën hatte Umgang mit hochgestellten Personen, denn er war gemeinsam mit dem Landesfürsten Herodes - Herodes Antipas, der Johannes den Täufer hatte enthaupten lassen und Jesus bei seiner Verhandlung so gedemütigt hatte - erzogen worden (vgl. die Tabelle zur Dynastie des Herodes bei Lk 1,5 ). Einer dieser beiden, Manaen, wurde ein Jünger, der andere, Herodes, ein Widersacher Jesu! Am Ende der Liste stand Saulus , ein an rabbinischen Schulen ausgebildeter Jude, denn er war der letzte, der zu ihnen gestoßen war. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft waren die Männer jedoch zu einer hervorragenden Zusammenarbeit fähig.

Barnabas wird vermutlich deshalb als erster genannt, weil er als Abgesandter der Stammkirche in Jerusalem eine führende Stellung innehatte.

 

 

Apg 13,2

 

 

 

 

 

Offensichtlich tat Gott der Kirche seinen Willen auch damals noch durch "Propheten" kund (vgl. V. 1 ). Inder Apostelgeschichte ist es meistens der Heilige Geist , der den von Gott erwählten Führern Anweisungen überbringt (z. B. Apg 8,29;10,19;13,2.4 ). Hier wies er die fünf, als sie dem Herrn dienten und fasteten, an, Barnabas und Saulus abzusondern . Wie schon in der Zeit, als Jesus noch bei ihnen war, arbeiteten auch später stets zwei Männer zusammen. Das Verb "absondern" ( aphorizO ) wird für drei Ereignisse im Leben des Paulus verwendet: Gleich bei seiner Geburt wurde er von Gott ausgesondert und berufen ( Gal 1,15 ), bei seiner Bekehrung wurde er für die Predigt des Evangeliums abgesondert ( Röm 1,1 ), und in Antiochia wurde er ebenfalls für einen ganz besonderen Dienst auserwählt ( Apg 13,2 ).

 

 

Apg 13,3

 

Die Leiter der Kirche legten die Hände auf Barnabas und Saulus und ließen sie ziehen . Das Handauflegen war ein Symbol dafür, daß ihr Wirken von der Gesamtkirche anerkannt wurde und daß sie unter Gottes Führung standen (vgl. Hananias, der sich mit Saulus identifizierte, indem er ihm die Hände auflegte; Apg 9,17 ). Zwei der fähigsten Männer der Kirche wurden also auf diese wichtige Missionsreise entsandt.

 

 

2. Die Rundreise durch Kleinasien

( 13,4 - 14,28 )

 

a. Auf Zypern

( 13,4 - 12 )

 

Apg 13,4

 

Geführt vom Heiligen Geist (vgl. V. 2 ) reisten sie zunächst nach Seleuzia , einem etwa 25 Kilometer von Antiochia entfernten Seehafen, und von da zu Schiff nach Zypern . Die Insel Zypern, im Alten Testament unter dem Namen Kittim ( 1Mo 10,4 ) bekannt, war Barnabas' Heimat ( Apg 4,36 ); er war also wohl der Leiter dieser kleinen Reisegesellschaft (vgl. die Reihenfolge der Namen in Apg 13,2.7 ).

 

 

Apg 13,5

 

Salamis war die größte Stadt auf der Osthälfte Zyperns. Dort lebten offensichtlich sehr viele Juden, denn Barnabas und Saulus verkündigten das Wort Gottes in den Synagogen , von denen es offenbar mehrere gab.

Ihre Vorgehensweise, stets zuerst die religiösen Zentren der Juden aufzusuchen, stellte sich als sehr vorteilhaft heraus: Zum einen wurde damit das Vorrecht der Juden, als erste das Evangelium zu hören, gewahrt (vgl. Röm 1,16; Apg 13,46;17,2;18,4.19;19,8 ). Zum anderen waren die Heiden, die an den Gottesdiensten in den Synagogen teilnahmen, besonders empfänglich für die Botschaft des Evangeliums, weil sie bereits mit dem Alten Testament und den Prophezeiungen des Messias vertraut waren.

Johannes Markus, ein Cousin von Barnabas ( Kol 4,10 ), begleitete die Missionare als Gehilfe (vgl. Apg 12,25 ). Was genau dieser Ausdruck (hypereten) besagt, ist umstritten. Wahrscheinlich unterwies er die Neubekehrten, half bei den Taufen (vgl. 1Kor 1,14-17 ) und anderen anfallenden Aufgaben.

 

 

Apg 13,6

 

Ob die Verkündigung in Salamis Erfolg hatte, erfahren wir nicht. Das nächste Ziel der Apostel war Paphos , etwa 150 Kilometer von Salamis entfernt, der Sitz der Provinzialregierung. Was dort geschah, war von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Heidenmission.

In Paphos trafen Barnabas und Saulus einen Zauberer und falschen Propheten, einen Juden, der hieß Barjesus . Der Begriff "Zauberer" ( magos ) konnte sowohl einen Ratsherrn oder angesehenen Mitbürger (z. B. die "Magi" in Mt 2,1.7.16 ) als auch - wie hier - einen betrügerischen Hexenmeister bezeichnen. Magos ist mit dem Verb "Zauberei treiben" ( mageuO ) verwandt, das auch im Zusammenhang mit dem Zauberer Simon verwendet wurde ( Apg 8,9 ).

 

 

Apg 13,7

 

Barjesus gehörte zum Hofstaat des römischen Statthalters Sergius Paulus . Da dieser lebhaftes Interesse am Evangelium zeigte, geriet das Ansehen des Zauberers in große Gefahr. Sergius Paulus war Proconsul, d. h., er war vom römischen Senat ernannt (im Gegensatz zu den Procuratoren, die vom Kaiser persönlich ernannt wurden. Im Neuen Testament werden drei Procuratoren Judäas erwähnt: Pontius Pilatus [26 - 36 n. Chr.], Antonius Felix [52 - 59? n. Chr.] und Porcius Festus [59 - 62 n. Chr.]).

 

 

Apg 13,8

 

Der Zauberer Barjesus versuchte deshalb, den Statthalter vom Glauben abzuhalten .

Ein Problem ist der Name Elymas . Wahrscheinlich handelt es sich hier um einen semitischen Ausdruck, der ebenfalls "Zauberer" bedeutet und den Barjesus als Beinamen erhielt oder annahm.

 

 

Apg 13,9

 

In diesem kritischen Augenblick trat Saulus , hier zum ersten Mal Paulus genannt, vor und riß die Leitung an sich. Er war wahrscheinlich aggressiver und kannte die Heiden auch besser als Barnabas. Von nun an war er der Leiter der christlichen Mission, und sein Name wurde stets vor dem des Barnabas genannt (bis auf Apg 15,12.25 und Apg 14,14 ).

Außerdem verwendet Lukas von nun an nur noch seinen römischen Namen, Paulus; nur Paulus selbst benutzte noch manchmal das jüdische "Saulus", und zwar dann, wenn er in persönlichen Zeugnissen von seinem früheren Leben sprach ( Apg 22,7;26,14 ).

 

 

Apg 13,10

 

Barjesus ist hebräisch und bedeutet "Sohn des Jesus". Paulus teilte ihm in Anspielung darauf mit, daß er nicht ein Sohn Jesu ("Jesus" bedeutet "Jahwe ist das Heil"), sondern ein Sohn ( huie ) des Teufels sei. Er bezeichnete ihn mit scharfen Worten als Feind aller Gerechtigkeit, voll aller List ( dolou ) und aller Bosheit ( rhadiourgias , "skrupellose Bosheit, Täuschung"; ein Wort, das nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament steht), der nicht aufhörte, krumm zu machen die geraden Wege des Herrn . Die Magie - die Ausübung von Macht mit Hilfe dämonischer Kräfte -, der Barjesus sich ergeben hatte, hatte dazu geführt, daß er seine Mitmenschen mit allen Mitteln betrog und die Wahrheit entstellte. Das Okkulte kann dem Menschen sehr gefährlich werden.

Dies ist die zweite von vier in der Apostelgeschichte berichteten siegreich beendeten Auseinandersetzungen mit dämonischen Mächten (vgl. Apg 8,9-24;16,16-18;19,13-17 ).

 

Apostelgeschichte

 

Apg 13,11-12

 

Mitten in diesem Streit mit dem Juden Elymas über die Verkündigung des Evangeliums vor einem Heiden verhängte Paulus eine zeitweilige Blindheit über den Zauberer. Es ist dies das erste Wunder, das er vollbrachte.

Als Sergius Paulus dieses Wunder sah, verwandelte sich sein Interesse am Wort Gottes (V. 7 ) in wahren Glauben an Christus. Interessanterweise waren der Statthalter und der Apostel Namensvettern: Beide hießen Paulus.

Der Zwischenfall mit Elymas ist aus drei Gründen so wichtig: (1) Er markierte den Beginn der Führerschaft des Paulus (vgl. Vers 13 : "Paulus und die um ihn waren"). (2) Von diesem Zeitpunkt an entwickelte sich die Verkündigung des Evangeliums in entscheidender Weise hin zur Heidenmission. (3) Außerdem enthält die Passage zahlreiche symbolische Anspielungen. Ein Heide mit Namen Paulus nahm die Botschaft an, während ein Jude mit dem Namen "Sohn Jesu" sie ablehnte, und die Blindheit des Elymas war ein Bild für die Blindheit des Volkes Israel (vgl. Apg 28,26-27 ). Auf diese Weise betont Lukas den Übergangscharakter der Apostelgeschichte: Die Heiden wurden immer mehr zu den Hauptadressaten des Evangeliums, während Gott sich (zeitweilig) von den Israeliten abwandte. Diese Abkehr war gleichbedeutend mit dem Gericht.

 

 

 

b. In Antiochia in Pisidien

( 13,13 - 52 )

 

(1) Die Trennung des Johannes Markus von der Missionsgruppe

 

 

Apg 13,13

 

Wie großzügig Barnabas war, sieht man daran, daß er Paulus bereitwillig die führende Position in der Gruppe überließ. Sie fuhren von Paphos ab und kamen nach Perge in Pamphylien. Johannes (d. i. Johannes Markus) aber trennte sich von ihnen und kehrte zurück nach Jerusalem . Über die Gründe, die ihn dazu veranlaßten,die Reise abzubrechen, können wir nur Vermutungen anstellen: (1) Vielleicht enttäuschte ihn der Wechsel in der Führung, denn schließlich war Barnabas, der ursprüngliche Leiter, sein Cousin. (2) Die neue Wendung, die das ganze Missionsprojekt genommen hatte - die immer stärkere Hinwendung zu den Heiden - war für einen palästinischen Juden wie Markus vielleicht nicht so leicht hinzunehmen. (3) Möglicherweise scheute Markus auch den gefährlichen Weg über das Taurusgebirge nach Antiochia, den Paulus einschlagen wollte. (4) Es gibt Hinweise, daß Paulus in Perge ziemlich schwer erkrankte - möglicherweise hatte er einen Malariaanfall, eine Krankheit, die in dieser Region nicht selten vorkam; jedenfalls war er, als er in Galatien predigte, noch sehr schwach (vgl. Gal 4,13 ). Vielleicht gingen die Missionare landeinwärts, höher hinauf, um der verheerenden Wirkung der Malaria zu entgehen, während Markus angesichts all dieser Beschwernisse aufgab und nach Hause zurückkehrte. (5) Manche Forscher sind auch der Ansicht, daß Markus unter Heimweh litt. Vielleicht sehnte er sich nach seiner Mutter, die wahrscheinlich Witwe war ( Apg 12,12 ). Was auch immer der Grund für seine Rückreise war, Paulus nahm sie ihm übel. Seiner Ansicht nach ließ Markus ihn und die anderen im Stich (vgl. Apg 15,38 ).

 

 

Apg 13,14

 

(2) Die Rede am ersten Sabbat ( Apg 13,14-41 )

 

Die Stadt Antiochia, von der hier die Rede ist, gehörte zwar zu Phrygien, wurde jedoch allgemein Antiochia in Pisidien genannt, weil sie so nahe an der Grenze zu Pisidien lag. Wie viele andere Städte - Lystra, Troas, Philippi und Korinth - war das pisidische Antiochien eine römische Kolonie. Paulus hatte die Route über diese Städte ausgewählt, weil sie alle an strategisch günstigen Punkten lagen.

 

 

Apg 13,15

 

In der Synagoge in Antiochia bot sich Paulus und Barnabas die erste Gelegenheit zu einer Predigt. Es war Brauch, im Gottesdienst am Sabbat zwei Stellen aus dem Alten Testament zu verlesen - eine aus dem Gesetz (dem Pentateuch) und eine aus den Propheten . "Das Gesetz und die Propheten" zusammen bildeten das Alte Testament (vgl. Mt 5,17;7,12;11,13;22,40; Lk 16,16; Apg 24,14;28,23; Röm 3,21 ). Offensichtlich hatten Paulus und Barnabas vor der Gottesdienstversammlung die Vorsteher der Synagoge aufgesucht. Nach der Schriftlesung wurden sie jedenfalls aufgefordert, zum Volk zu sprechen.

 

 

 

Apg 13,16-25

 

Paulus nutzte die Gelegenheit, die Menschen darauf hinzuweisen, daß die Erwartungen des Alten Testaments - das Kommen des Messias - in Jesus erfüllt waren. Lukas gibt in der Apostelgeschichte eine ganze Reihe von paulinischen Predigten wieder (vgl. Apg 14,15-17;17,22-31;20,18-35 ). Diese, die erste und am vollständigsten erhaltene, ist ein anschauliches Beispiel für den Aufbau einer Predigt vor Juden, die stets auf einem Schriftbeweis aus dem Alten Testament aufgebaut war.

Die Predigt kann - entsprechend der dreimaligen Anrede der Zuhörer - in drei Abschnitte unterteilt und wie folgt gegliedert werden: (1) Antizipation und Vorbereitung auf das Kommen des Messias (V. 16 - 25 ), (2) Verwerfung, Kreuzigung und Auferstehung des Herrn Jesus (V. 26 - 37 ), (3) Anwendung des Gesagten und Ermahnung (V. 38 - 41 ).

Der Apostel begann mit der Anrede: Männer von Israel und ihr Gottesfürchtigen, hört zu! (V. 16 ). Damit waren sowohl Juden als auch die am Judentum interessierten Heiden angesprochen, die dem Gottesdienst in der Synagoge beiwohnten. Bei diesen Heiden handelte es sich wahrscheinlich um Leute, die noch nicht endgültig zum Judentum übergetreten waren und, obwohl sie den Jahwe Israels anbeteten (vgl. V. 26.43 ), der Rettung, die im Neuen Testament verheißen wird, noch nicht teilhaftig waren. (Die in Vers 43 mit "gottesfürchtige Judengenossen" übersetzte Wendung sollte ebenfalls, wie hier, mit "Gottesfürchtige" wiedergegeben werden. Die sogenannten "Gottesfürchtigen" waren keine Proselyten, sondern Heiden, die erst zum Judentum übertreten wollten, aber noch nicht beschnitten waren.)

In einem Überblick über die Geschichte Israels erinnerte Paulus seine Hörer zunächst an die Schlüsselereignisse und -personen ihrer Vergangenheit: den Aufenthalt in Ägypten (V. 17 ), die vierzig Jahre währende Wanderung in der Wüste (V. 18 ), die Eroberung und Besiedelung Palästinas (V. 19 ; die sieben Völker in dem Land Kanaan, die Gott vernichtete , werden in 5Mo 7,1 aufgezählt), die Zeit der Richter ( Apg 13,20 ) und die Monarchie unter Saul und David (V. 21 - 22 ). Von David war der Übergang zum Heiland Jesus (V. 23 ) und zu seinem Vorläufer Johannes dem Täufer (V. 24 - 25 ) nicht mehr schwer. (Vgl. die Botschaft des Stephanus in Apg 7,2-47 .) Die vierhundertfünfzig Jahre ( Apg 13,20 ) umfassen die Unterdrückung in Ägypten (400 Jahre), den Aufenthalt in der Wüste (40 Jahre) und die Eroberung Kanaans unter Josua (10 Jahre).

 

 

Apg 13,26-37

 

Wie Petrus ( Apg 2,23.36;3,15;4,10;5,30;10,39 ) und Stephanus ( Apg 7,52 ) warf auch Paulus den Juden ganz konkret vor, Jesus getötet zu haben, stellte dieser Anschuldigung jedoch gleichzeitig die Auferstehung gegenüber, die bei vielen Gelegenheiten bezeugt worden war. Zum fünften Mal in der Apostelgeschichte weisen die Apostel an dieser Stelle darauf hin, daß sie Zeugen der Auferstehung Jesu Christi waren ( Apg 2,32;3,15;5,32;10,39-41;13,30-31 ).

Beziehen sich die Worte "indem er Jesus auferweckte" (V. 33 ) auf die Auferstehung oder auf die Erhöhung? Mehrere Gründe sprechen für die letztere Annahme: (1) Im nächsten Vers wird die Auferweckung im eigentlichen Sinn explizit mit dem Prädikat von den Toten wiedergegeben. (2) Dasselbe Verb "auferwecken" ( anistEmi ) wird in Apg 3,22.26 und Apg 7,37 im Sinne von "Erhöhung" gebraucht. (3) In 13,22 steht außerdem ein Synonym für anistEmi , egeirO , das Davids Ernennung, also Erhöhung, zum König bezeichnet. (4) Der Hauptgrund, "Auferweckung" hier im Sinne der Erhöhung Jesu zu verstehen, ist jedoch Ps 2,7 .Diese alttestamentliche Textstelle, die Paulus hier zitiert ( Apg 13,33 ), beschreibt die Salbung des Königs, deren endgültige Erfüllung im Tausendjährigen Reich liegt.

Paulus bekräftigte die Tatsache, daß Jesus von den Toten auferstanden war, mit einem Zitat aus Jes 55,3 und Ps 16,10 ( Apg 13,34-35 ). Ganz ähnlich hatte Petrus diesen Psalm verwendet (vgl. den Kommentar zu Apg 2,25-32 ).

 

 

Apg 13,38-39

 

Die Sündenvergebung ist ein weiteres zentrales Thema der Apostelgeschichte (vgl. Apg 2,38;5,31;26,18 ). Vers 39 nimmt die These von der Gerechtigkeit durch den Glauben auf, die im Galaterbrief, den Paulus wahrscheinlich nach seiner ersten Missionsreise und vor dem Apostelkonzil in Jerusalem schrieb ( Apg 15 ), weiter ausgeführt wird. (Vgl. die Tabelle "Briefe des Paulus von seinen Missionsreisen und aus der Gefangenschaft".)

 

 

Apg 13,40-41

 

Das Habakuk-Zitat ( Apg 1,5 ) in Vers 41 warnt vor dem drohenden Gericht. Der Prophet hatte verkündet, daß Gott beschlossen hatte, Juda in die Hände Babylons zu geben ( Hab 1,6 ). Wie das Gericht über die ungläubigen Juden in seiner Zeit aussehen sollte, sagte Paulus nicht; er warnte nur: Glaubt oder ihr werdet gerichtet.

 

 

Apg 13,42-43

 

(3) Die Diskussion am folgenden Sabbat ( Apg 13,42-52 )

 

Die Vorsteher der Synagoge waren an der Botschaft des Paulus interessiert und wollten mehr darüber hören. Manche waren sogar bereit, das Evangelium anzunehmen; Paulus und Barnabas ermahnten sie, daß sie bleiben sollten in der Gnade Gottes .

 

 

Apg 13,44-45

 

Am folgenden Sabbat wurden die Juden (d. h. die jüdischen Machthaber) neidisch angesichts des Zulaufes, den die Apostel hatten, und widersprachen dem, was Paulus sagte, und lästerten .

 

 

Apg 13,46

 

Paulus und Barnabas aber sprachen frei und offen: Euch mußte das Wort Gottes zuerst gesagt werden. Die Apostel waren bekannt für ihre freimütige Predigt (vgl. den Kommentar zu Apg 4,13 ).

Daß die Verkündigung des Evangeliums sich zunächst an die Juden richtete, hatte mehrere Gründe. Erstens war das Kommen des Gottesreiches von der Reaktion Israels auf das Kommen Christi abhängig (vgl. Mt 23,39; Röm 11,26 ). Zweitens konnte Paulus sich erst, als Israel das Evangelium abgelehnt hatte, den Heiden widmen. Drittens ist die Botschaft Jesu insofern grundlegend jüdisch, als das Alte Testament, der Messias und die Verheißungen aus dem Judentum kamen. (Zu der Wendung euch ... zuerst vgl. den Kommentar zu Apg 3,26; Röm 1,16 .)

Da die Juden das Evangelium jedoch ablehnten, wandte Paulus sich nun den Heiden in Antiochia zu. Dieser Vorgang wiederholte sich in jeder Stadt (vgl. Apg 13,50-51;14,2-6;17,5.13-15;18,6;19,8-9 ), zuletzt auch in Rom ( Apg 28,23-28 ).

 

 

Apg 13,47

 

Paulus und Barnabas sahen in der Hinwendung zu den Heiden die Erfüllung von Jes 49,6 : Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht . Diese alttestamentliche Stelle kann man auf mindestens drei verschiedene Personen oder Gruppen beziehen: auf Israel ( Jes 49,3 ), Christus ( Lk 2,29-32 ) und Paulus, den Heidenapostel.

 

 

Apg 13,48

 

Die Heiden freuten sich über diesen Gang der Ereignisse, und alle wurden gläubig, die zum ewigen Leben bestimmt waren . Ein gewisser Unterton der Lehre von der Prädestination ist an dieser Stelle nicht zu überhören; das Verb tasso, "bestimmt waren", stammt aus dem Militärwortschatz und bedeutet "anordnen" oder "zuteilen". Lukas benutzt es hier, um deutlich zu machen, daß auch Heiden zu den Erwählten gehörten.

 

 

Apg 13,49-51

 

Und das Wort des Herrn breitete sich aus in der ganzen Gegend (vgl. Apg 6,7;12,24;19,20 ). Als die Juden das sahen, benutzten sie ihre Beziehungen zu hochgestellten Personen und stifteten eine Verfolgung an gegen Paulus und Barnabas , doch die Apostel schüttelten - gemäß der Weisung des Herrn ( Mt 10,14 ) - den Staub von ihren Füßen und verließen die Stadt.

 

 

Apg 13,52

 

Wieder war das Evangelium zur Quelle der Freude geworden (vgl. V. 48 ; Apg 2,46 ), und auch hier wurden die Jünger vom Heiligen Geist erfüllt (vgl. Apg 2,4 ).

 

 

c. In Ikonion

( 14,1 - 6 )

 

Apg 14,1-2

 

Der folgende Abschnitt bestätigt die Ereignisse, die in Antiochia in Pisidien geschehen waren. Ganz eindeutig stand der Heilige Geist den Aposteln bei, denn sie predigten so, daß eine große Menge Juden und Griechen gläubig wurde . Doch auch hier trafen sie auf Widerstand (vgl. Wachstum und Widerstand in Apg 13,49-50 ), dessen Folgen in Apg 14,6 beschrieben werden.

 

 

Apg 14,3

 

Im Durchhaltevermögen der Apostel trotz aller gegnerischen Hetze zeigte sich erneut die Unerschrockenheit, mit der sie das Wort Gottes verkündigten (vgl. Apg 4,13;13,46 ).

Die Zeichen und Wunder , die sie vollbrachten, waren eine weitere Bestätigung, daß Gott ihr Tun guthieß (vgl. Apg 2,43;4,30;5,12;6,8;8,6.13;15,12 ). Paulus wies den Galatern gegenüber später auf diese Wunder hin, als Beweis dafür, daß er ihnen die Wahrheit gepredigt hatte ( Gal 3,5 ; vgl. auch den Kommentar zu 2Kor 12,12 und Hebr 2,3-4 ). Das setzt in bezug auf die Adressaten des Galaterbriefs die südgalatische Hypothese voraus. (Zu einer kurzen Erörterung der süd- und der nordgalatischen Hypothese vgl. die Einführung zum Galaterbrief.)

 

 

Apg 14,4

 

Die Prediger des Evangeliums wurden allgemein die Apostel genannt. Das waren sie auch, denn die eigentliche Bedeutung des Begriffs "Apostel" ist: "bevollmächtigter Stellvertreter", und diese Männer waren von der Gemeinde in Antiochia am Orontes ( Apg 13,3 ) mit allen Vollmachten der Kirche ausgestattet worden.

 

 

Apg 14,5-6

 

Als Paulus und Barnabas von einer Verschwörung, sie zu mißhandeln und zu steinigen, erfuhren, entflohen sie in die Städte Lykaoniens, nach Lystra und Derbe . Hier zeigte sich wieder einmal, wie genau es Lukas in seinem Bericht mit der Historizität nahm. Auch Ikonion war eigentlich eine lykaonische Stadt, doch seine Einwohner rekrutierten sich in der Hauptsache aus Phrygiern. Lystra und Derbe hingegen waren sowohl von ihrer Lage als auch von ihrer Bevölkerung her rein lykaonische Städte (vgl. "lykaonisch"; V. 11 ).

 

 

d. In Lystra

( 14,7 - 20 a)

 

(1) Der Aberglaube der Heiden ( Apg 14,7-18 )

 

 

Apg 14,7

 

Doch Paulus und Barnabas gingen nicht nur aus Angst vor den Verfolgungen nach Lystra; sie hatten außerdem vor, dort ebenfalls das Evangelium zu verkündigen. Ihr Dienst am Wort erfuhr also keinerlei Unterbrechung.

 

 

Apg 14,8

 

In der römischen Kolonie Lystra trafen sie einen Gelähmten, dessen Zustand hoffnungslos war. Wie schlimm es um den Mann stand, zeigen die wiederholten Wendungen: schwache Füße ... gelähmt von Mutterleib an ... hatte noch nie gehen können . Anscheinend gab es in Lystra keine jüdische Synagoge, daher schlug Gott einen anderen Weg ein, um den Menschen dort das Evangelium nahezubringen. Dies ist die dritte Heilung eines Gelähmten, von der in der Apostelgeschichte berichtet wird ( Apg 3,1-9;9,33-35 ).

 

 

Apg 14,9-10

 

Diese Heilung, die Paulus vollbrachte, gleicht der Heilung, die Petrus im dritten Kapitel gelang. Beide Male bestand die Lähmung von Geburt an ( Apg 3,2;14,8 ); sowohl Petrus als auch Paulus sahen den Betreffenden an ( Apg 3,4;14,9 ); und beide Kranken sprangen auf und gingen umher , als sie geheilt waren ( Apg 3,8;14,10 ). Das ist ein Beleg, daß Paulus Petrus als Apostel durchaus gleichgestellt war (vgl. die Einführung).

 

 

Apg 14,11-13

 

Die Reaktion des lykaonischen Volks entsprach der heidnischen Leichtgläubigkeit dieser Menschen. Weil sie in ihrer Muttersprache redeten, konnten Paulus und Barnabas sie zuerst nicht verstehen. Daß die Lykaonier Barnabas und Paulus für Zeus und Hermes hielten, geht möglicherweise auf eine Legende zurück, nach der diese beiden Götter eines Tages ein altes Ehepaar in Lystra, Philemon und Baucis, besuchten, das sie gastfreundlich aufnahm und dafür reich belohnt wurde.

Dem griechischen Göttervater Zeus und dem Götterboten Hermes entsprachen die römischen Götter Jupiter und Merkur. Warum sahen die Lykaonier nun aber in Barnabas Zeus, obwohl doch Paulus der Anführer der beiden war? Weil Paulus als Sprecher auftrat, während Barnabas, der zurückhaltendere der beiden, mit Zeus, dem Würdevollen, in dessen Händen alle Fäden zusammenliefen, identifiziert wurde.

In diesem Moment, in dem die Menschen einfach überwältigt waren von dem, was geschehen war, brachte der Priester des Zeus aus dem Tempel vor der Stadt Stiere und Kränze vor das Tor und wollte Paulus und Barnabas Opfer darbringen. Bei den Kränzen handelte es sich um Girlanden aus Wolle, mit denen die Opfertiere geschmückt waren.

 

 

Apg 14,14

 

Als den Aposteln jedoch klar wurde, was da vorging, waren sie soentsetzt, daß sie ihre Kleider zerrissen - ein Zeichen heftigsten Abscheus angesichts einer Gotteslästerung. Solche Risse waren normalerweise zehn bis zwölf Zentimeter tief und begannen am Halsausschnitt des Gewands.

 

 

Apg 14,15-18

 

Die Ansprache, die die beiden Apostel daraufhin offensichtlich gemeinsam hielten (im Griechischen steht das Verb im Plural), ist ebenfalls eine Beispielpredigt. Sie illustriert, wie christliche Prediger sich abergläubischen Heiden näherten. Im Gegensatz dazu hatte sich Paulus' erste Predigt an Juden bzw. an Leute, die das Alte Testament kannten, gerichtet (vgl. Apg 13,16-41 ).

Nachdem sie dem Volk klargemacht hatten, daß sie keine Götter waren, forderten sie ihre Zuhörer auf, sich von ihren heidnischen Göttern zu dem einen wahren, dem lebendigen Gott, zu bekehren . Dieser Gott, der Schöpfer aller Dinge, ist über allen und allem (vgl. Apg 17,24; Röm 1,19-20 ). Er gibt nicht nur Regen und fruchtbare Zeiten, er ernährt und schenkt ihnen Freude .

Manche Exegeten deuten Vers 16 dahingehend, daß die Heiden, die vor dem apostolischen Zeitalter lebten, nicht unter dem Gericht stehen. Dieser Vers muß jedoch in Zusammenhang mit Vers 17 gelesen werden. Bis zur Zeit der Kirche hatte Gott den Heiden keine direkten Offenbarungen zuteil werden lassen, sondern sich ihnen nur in den natürlichen Offenbarungen in der Schöpfung gezeigt (vgl den Kommentar zu Apg 17,27.30 und Röm 1,18-20 ). Für ihren Umgang mit diesen Offenbarungen waren sie Gott durchaus verantwortlich.

 

 

Apg 14,19-20

 

(2) Die Steinigung des Paulus

 

a: Wieder einmal erwiesen sich die Juden als Feinde des Evangeliums der Gnade. Sie überredeten das Volk , das soeben noch versucht hatte, Paulus und Barnabas zu Göttern zu machen, dazu, Paulus zu steinigen . Dies ist der zweite Vorfall, bei dem eine aufgeregte Volksmenge dermaßen heftig auf die Predigt des Paulus reagiert (insgesamt werden in der Apostelgeschichte fünf solcher Zwischenfälle berichtet, vgl. Apg 13,50;16,19-22; Apg 17,5-8.13;19,25-34 ). Ob Paulus dabei wirklich gestorben war, wird nicht gesagt; wahrscheinlich war er jedoch nur bewußtlos und halbtot geschlagen (vgl. 2Kor 12,2-4 ). Doch er erholte sich so rasch, daß man unwillkürlich an ein Wunder denkt. Auch Paulus selbst sprach einmal davon, daß er gesteinigt worden sei ( 2Kor 11,25 ), und meinte damit zweifellos dieses Ereignis (vgl. 2Tim 3,11 ).

 

 

e. In Derbe

( 14,20 b - 21 a)

 

Apg 14,20-21 (Apg 14,20b-21a)

 

Das Wirken der Apostel in dieser abgelegensten und östlichsten Stadt, in die sie ihre Reise durch Kleinasien führte, war ebenfalls erfolgreich. Das Evangelium traf in Derbe auf keinen großen Widerstand, und viele wurden zu Jüngern des Herrn Jesus (vgl. Apg 20,4 ).

 

 

f. Die Rückkehr nach Antiochia in Syrien

( 14,21 b - 22-28 )

 

Apg 14,21-22 (Apg 14,21b-22)

 

Obwohl Tarsus, Paulus' Heimatstadt, nur etwa 250 Kilometer von Derbe entfernt lag, suchten die beiden Apostel zunächst nochmals die Städte auf, in denen sie Gemeinden gegründet hatten, um die Gruppen, die erst so kurze Zeit existierten, im Glauben zu festigen.

Sie bestärkten (vgl. Apg 15,32.41 ) und ermutigten die Gläubigen durch Warnungen und Verheißungen, wie Barnabas es zuvor mit der Gemeinde in Antiochia in Syrien getan hatte ( Apg 11,23 ). Zu den Warnungen gehörte die Vorhersage vieler Bedrängnisse , während die Verheißung ihnen vor Augen stellte, daß der, der glaubt, in das Reich Gottes eingehen wird. Mit dem Gottesreich ist hier zweifellos die eschatologische Herrschaft Christi auf Erden gemeint.

 

Apg 14,23

 

Doch die Gläubigen wurden nicht nur erbaut, gleichzeitig erhielten die Gemeinden auch eine Organisationsstruktur. Paulus und Barnabas setzten in jeder Gemeinde Älteste ein . Bei diesen Ältesten handelte es sich nicht um Neulinge im Glauben ( 1Tim 3,6 ); wahrscheinlich waren es Juden, die in den Synagogen ihre Kenntnisse im Alten Testament vertieft hatten. So wurden aus Synagogenältesten Kirchenälteste.

 

 

Apg 14,24-28

 

Als die Apostel wieder in Antiochia waren (wobei sie auf der Rückreise einfach ihren Hinweg über Pisidien, Pamphylien und Perge zurückverfolgten; vgl. Apg 13,13-14 ), erstatteten sie der dortigen Gemeinde, die sie ausgesandt hatte, ausführlich Bericht über alles, was Gott durch sie getan hatte. Der Satz "wie er den Heiden die Tür des Glaubens aufgetan hätte" ist sehr wichtig: (a) Er beweist, daß das Evangelium nun seinen Weg zu den Heiden genommen hatte. (b) Er zeigt, daß der Glaube, nicht die Werke des Gesetzes, das Entscheidende war. (c) Er besagt, daß Gott das eigentliche Werk getan hatte, indem er den Menschen die "Tür des Glaubens" öffnete.

So endete die erste Missionsreise, die etwa anderthalb Jahre dauerte und auf der Paulus und Barnabas über 1000 Kilometer zu Land und 800 Kilometer auf See zurücklegten. Das Wichtigste war jedoch, daß sie die Mauer, die zwischen Juden und Heiden bestand, niedergerissen hatten (vgl. Eph 2,14-16 ). Die beiden Apostel waren von der Gemeinde in Antiochia der Gnade Gottes befohlen worden (vgl. Apg 15,40 ), und die Antiochener konnten nun sehen, daß diese Gnade tatsächlich am Werk gewesen war (vgl. "Gnade" in Apg 13,43;14,3 ).

Wahrscheinlich schrieb Paulus kurz nach Beendigung der ersten Missionsreise, noch bevor er zum Apostelkonzil nach Jerusalem aufbrach ( Apg 15 ), von Antiochia aus den Galaterbrief.

 

 

3. Das Apostelkonzil in Jerusalem

( 15,1 - 35 )

 

a. Die Meinungsverschiedenheit in bezug auf die Beschneidung

( 15,1 - 2 )

 

Apg 15,1-2

 

Bei den Männern, die von Judäa herabkamen nach Antiochia, handelte es sich wohl um dieselben, von denen auch in Gal 2,12 die Rede ist. Sie behaupteten, daß die Beschneidung heilsnotwendig sei. Vielleicht stützten sie ihre Theologie auf alttestamentliche Textstellen wie z. B. 1Mo 17,14 und 2Mo 12,48-49 .

Auf jeden Fall bestand die Gefahr, daß sie mit ihrer Lehre eine Kirchenspaltung herbeiführten, denn Paulus und Barnabas hatten einen nicht geringen Streit mit ihnen .

Die Männer aus Judäa beharrten jedoch auf ihrer Lehre, trotzdem sie in keiner Weise von der Urgemeinde in Jerusalem autorisiert waren. Wie sie den Fall des Kornelius ( Apg 10 ) oder auch das Wirken des Barnabas in Antiochia ( Apg 11,22-24 ) erklärten, wird nicht gesagt. Vielleicht hielten sie die Geschichte des ersteren für eine einmalige Ausnahme und erachteten die Gemeinde in Antiochia ( Apg 11 ) als zu unbedeutend, als daß man sie hätte als Beispiel anführen können, sahen sich nun jedoch, angesichts der Größe, die die Bewegung allmählich erreicht hatte, genötigt, Einspruch einzulegen.

Die Gläubigen in Antiochia hielten es für geraten, die Frage mit den Aposteln und Ältesten in Jerusalem zu besprechen. Mit dieser Aufgabe betrauten sie abermals Paulus und Barnabas und schickten klugerweise noch einige andre aus der Gemeinde als Zeugen mit. Diese Zeugen sollten Paulus und Barnabas vor einer eventuellen späteren Anklage, daß sie die Fakten verdrehten, schützen.

 

 

b. Die Diskussion in bezug auf die Beschneidung

( 15,3 - 12 )

 

Apg 15,3-4

 

Auf dem Weg nach Jerusalem verkündigte die Delegation die gute Nachricht von der Bekehrung der Heiden auch den Brüdern in Phönizien und Samarien . Wieder einmal reagierte die glaubende Kirche mit Freude (vgl. Apg 2,46 )! Die Gemeinde und ihre Ältesten in Jerusalem hießen Paulus und Barnabas ebenfalls willkommen - eine Reaktion, die von Gegnern wohl nicht zu erwarten gewesen wäre.

 

 

Apg 15,5

 

Gläubig gewordene Pharisäer kamen dann unumwunden auf die strittige Frage zu sprechen. Entscheidend dabei war, daß sich die Heiden, wie Paulus später schrieb ( Gal 5,3 ), wenn sie sich beschneiden ließen, damit unter das ganze alttestamentliche Gesetz stellten. Die Art und Weise der Rechtfertigung aber entscheidet über die Art und Weise, wie das Heil erlangt werden kann (vgl. Kol 2,6 ).

 

 

Apg 15,6-9

 

Da kamen die Apostel und die Ältesten zusammen, über diese Sache zu beraten. Auch viele andere Gläubige waren anwesend (vgl. V. 12.22 ). Die Entscheidung, die hier zu treffen war, war sehr wichtig; man stritt sich ( zEtEseOs , "Nachforschungen, Debatten, Fragen"; das Wort ist in V. 2 mit "Streit" übersetzt, in 1Tim 6,4 mit "Fragen", in 2Tim 2,23 und Tit 3,9 wieder mit "Streit") deshalb lange und heftig. Petrus hörte sich die Debatte klugerweise eine Zeitlang an, um den Eindruck zu vermeiden, daß es sich bei den Beschlüssen um eine bereits vorher abgemachte Sache handelte. Was den Zeitpunkt des Apostelkonzils angeht, so wird es im allgemeinen auf das Jahr 49 n. Chr. angesetzt. Wenn Petrus also sagte, daß die Erwählung des Kornelius bereits lange Zeit zurückliege, sprach er von einem Zeitraum von zehn Jahren ( Apg 10,1-11,18 ). Die Frage, ob Heiden überhaupt in die Kirche aufgenommen werden sollten, war schon damals geklärt worden. Gott hatte diesen Entschluß nach den Worten des Petrus bestätigt, indem er den Heiden, wie den Juden auch ( Apg 2,4; 11,15 ), den Heiligen Geist gegeben hatte ( 10,44-46 ). Gott machte also keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden, entscheidend ist der Glaube.

 

 

Apg 15,10

 

Wenn man von den Heiden gefordert hätte, sich beschneiden zu lassen und dem mosaischen Gesetz zu gehorchen, so hätte das zweierlei bedeutet: (a) Die Juden hätten Gott versucht ( peirazete ; vgl. 5Mo 6,16 ), und (b) sie hätten ein Joch auf den Nacken der Jünger gelegt, das weder ihre Väter noch sie selbst hatten tragen können (vgl. Mt 23,4 ). Das war ein sehr passender Vergleich, denn das "Aufnehmen des Joches" war eine Metapher für den endgültigen Übertritt heidnischer Proselyten zum Judentum. Sie bedeutete eine unabänderliche Verpflichtung.

Bei der Erörterung der Frage bezog Petrus sich jedoch nicht nur auf die Heiden, sondern auf alle Gläubigen. Der Terminus "Jünger" bezeichnete sowohl Juden als auch Heiden.

 

 

Apg 15,11

 

Die Aussage "wir glauben, selig zu werden, ebenso wie auch sie" ist erstaunlich. Ein gesetzestreuer Jude hätte diesen Satz in umgekehrter Reihenfolge gesagt ("sie glauben, ... selig zu werden, ebenso wie auch wir"). Doch jemand, der - wie Petrus - Gottes Gnade kannte, formulierte es nicht so. Jeder - ob Jude oder Heide - ist durch die Gnade Gottes (V. 11 ) und durch den Glauben (V. 9 ; vgl. Gal 2,16; Eph 2,8 ) gerettet.

 

 

Apg 15,12

 

Als nächste Redner wandten sich Barnabas und Paulus an die Versammlung und beschrieben die großen Zeichen und Wunder ( sEmeia und terata ; vgl. Apg 2,43 und den Kommentar dort, Apg 5,12;6,8;8,6.13;14,3 ), die Gott durch sie getan hatte unter den Heiden . Das beeindruckte vor allem die Juden (vgl. 1Kor 1,22 ), die still wurden und zuhörten. Ihr Aufhorchen wies bereits darauf hin, daß sie sich nicht gegen das Zeugnis von Petrus, Paulus und Barnabas wenden würden.

 

 

c. Die Entscheidung in bezug auf die Beschneidung

( 15,13 - 29 )

 

Apg 15,13-14

 

Nach ihnen ergriff Jakobus, offensichtlich das Haupt der Gemeinde in Jerusalem, das Wort und gab eine zusammenfassende Stellungnahme ab. Er war Jesu Halbbruder und der Verfasser des Jakobusbriefes.

Jakobus begann mit der Erfahrung des Petrus ( Apg 10 ), wobei er seinen hebräischen Namen, Simon , benutzte, was in dieser Umgebung, in Jerusalem, natürlich selbstverständlich war (im griechischen Text steht S ymeOn , eine auch formal an das Hebräische angelehnte Schreibweise, die im Neuen Testament nur an dieser Stelle und in 2Pet 1,1 vorkommt).

Die Wendung "zum ersten Mal" ist besonders wichtig, weil sie bestätigt, daß Paulus und Barnabas nicht die ersten Apostel waren, die zu den Heiden gingen. Wie Petrus gesagt hatte ( Apg 15,7-11 ), war die Frage der Heidenmission im Prinzip bereits gelöst worden ( Apg 10-11 ), bevor Paulus und Barnabas zu ihrer ersten Reise aufbrachen.

 

 

Apg 15,15-18

 

Doch natürlich verlangte der Rat mehr als nur das Zeugnis der persönlichen Erfahrung. Genauso wichtig war das Zeugnis der Schrift, an dem sich letztlich alles entschied.

Zum Beweis, daß die Beschneidung der Heiden auch nach dem Alten Testament nicht heilsnotwendig war, zitierte Jakobus Am 9,11-12 .Dieses Zitat wirft mehrere Probleme auf.

Da wäre zunächst einmal der Text selbst. Das Zitat ähnelte, so wie Jakobus es hier gebrauchte, in seinem Wortlaut dem Text der Septuaginta (dem griechischen Alten Testament), der sich vom hebräischen Text unterscheidet. Aus dem Hebräischen könnte man Am 9,12 folgendermaßen übersetzen: "Damit sie den Rest von Edom und alle Völker, die durch meinen Namen berufen sind, besitzen." Doch Jakobus benutzte statt "Edom" das Substantiv Menschen und sagte fragen statt "besitzen".

Die hebräischen Konsonanten für "Edom" und "Adam" sind identisch ( ?Dm ). Daß die Vokale (die sehr viel später hinzugefügt wurden) hier leicht Verwirrung stiften konnten, liegt auf der Hand. Ähnlich fein ist der Unterschied zwischen "besitzen" ( yAraS ) und "fragen" ( DAraS ), der im Hebräischen an einem einzigen Konsonanten hängt. Es wäre also durchaus denkbar, daß das Zitat in dem Wortlaut, den Jakobus wiedergab, dem Urtext entsprach.

Ein anderes - noch größeres - Problem betrifft die Auslegung der Stelle. Was meinte Amos mit diesen Versen, und wie setzte Jakobus sie ein? Dazu muß man folgendes vorausschicken: (1) Jakobus sagte nicht, daß Am 9,11-12 in der Kirche erfüllt sei; er sagte lediglich, daß das, was in der Kirche geschah, mit den Worten der Propheten im Alten Testament übereinstimmte . (2) "Propheten" ist Plural; das impliziert, daß das Amoszitat sich mit den Aussagen der anderen Propheten deckte. (3) Worum es Jakobus eigentlich ging, ist klar: Die Rettung der Heiden auch ohne Unterwerfung unter das Gesetz stellt keinen Widerspruch zu den Aussagen der alttestamentlichen Propheten dar. (4) Die Zeitangabe danach findet sich weder im masoretischen Text noch in der Septuaginta; beide schreiben "am selben Tag". Um die Textstelle richtig interpretieren zu können, müssen alle diese Faktoren berücksichtigt werden.

Drei verschiedene Deutungen bieten sich an. Die Gegner der These des Tausendjährigen Reiches sagen, die wiedererbaute Hütte ( skEnEn , "Zelt") Davids sei die Kirche, durch die Gott den Heiden das Evangelium predigen läßt. Das scheint zwar auf den ersten Blick durchaus plausibel, doch es gibt mehrere Gründe, die dagegen sprechen. (1) Das Verb wieder zuwenden ( anastrepsO ) in Apg 15,16 impliziert eine tatsächliche Wiederkehr. Lukas benutzt es nur in Apg 5,22 ("kamen zurück") und an dieser Stelle (in seinem Evangelium kommt es nicht vor); beide Male beschreibt es eine tatsächlich erfolgte Rückkehr. Da der Sohn Gottes jedoch noch nicht leiblich zurückgekehrt ist, hat dieser Wiederaufbau noch nicht stattgefunden. (2) Christi gegenwärtiges Wirken im Himmel hat nichts mit dem davidischen Thron, von dem sonst im Neuen Testament die Rede ist, zu tun. Er sitzt zur Rechten Gottes ( Ps 110,1; Röm 8,34; Kol 3,1; 1Pet 3,22; Hebr 1,3;8,1;10,12;12,2; ). Erst wenn er zurückkehrt, wird er den Thron Davids besteigen ( 1Sam 7,16; Ps 89,5; Mt 19,28;25,31 ). (3) Die Kirche war ein Geheimnis, eine Wahrheit, die den Heiligen des Alten Testaments noch nicht offenbart war ( Röm 16,25; Eph 3,5-6; Kol 1,24-27 ); daher konnte Amos noch gar nicht von ihr sprechen.

Eine andere Ansicht vertreten die Anhänger der Theologie, daß das Tausendjährige Reich in der Zukunft liegt. Sie finden in dieser Textstelle vier chronologische Ereignisse angesprochen: das gegenwärtige Kirchenzeitalter ("um aus ihnen [den Heiden] ein Volk für sich selbst zu gewinnen"; Apg 15,14 ), die Rückkehr Christi zu den Juden (V. 16 a), die Errichtung des davidischen Königsreichs (V. 16 b) und die Bekehrung der Heiden zu Gott (V. 17 ). Das klingt zwar sehr logisch, birgt jedoch auch einige Schwierigkeiten. (1) Das Zitat beginnt mit dem Wort "danach". Nach Ansicht der Anhänger der These, daß das Tausendjährige Reich in der Zukunft liegt, wollte Jakobus hier seine Interpretation der Textstelle anführen. Da das "danach" jedoch am Anfang des Zitats steht, ging es ihm hier nicht um eine eigene These, sondern um den Sinn von Am 9,11 .Der Satz bezieht sich daher auch nicht auf Apg 15,14 zurück, sondern ausschließlich auf Am 9,8-10 ,wo von der Zeit der großen Trübsal die Rede ist ("eine Zeit der Angst für Jakob"; Jer 30,7 ). (2) Wenn das temporale "danach" sich auf die Gegenwart in Am 9,11 bezieht, hätte Amos bereits im Alten Testament die Kirche prophezeit.

Eine dritte These, die von der gleichen theologischen Position ausgeht, scheint plausibler. Jakobus wollte einfach sagen, daß die Heiden im Tausendjährigen Reich, wenn Christus zurückkehren und die zerfallene Hütte Davids wiederbauen wird, gerettet werden und daß bei Amos nichts davon steht, daß sie dazu beschnitten werden müssen. Für diese Interpretation sprechen mehrere Gründe: (1) Sie paßt zu dem Grund der Einberufung des Apostelkonzils. Wenn die Heiden in der Zeit des Gottesreiches (dem Tausendjährigen Reich) gerettet werden, warum sollen sie sich dann im Kirchenzeitalter beschneiden lassen und jüdische Proselyten werden? (2) Sie paßt zu der Bedeutung der Wendung "zur selben Zeit" in Am 9,11 .Nach der Zeit der großen Trübsal ( Am 9,8-10 ) wird Gott das messianische Reich errichten ( Am 9,11-12 ). Jakobus ( Apg 15,16 ) interpretierte "zur selben Zeit" als "dann": zu "derselben Zeit", in der Gott das eine (die Trübsal) schickt, wird er auch das andere tun; daher das "danach". (3) Diese Deutung verleiht auch der Wendung "zum ersten Mal" in Vers 14 Sinn. Kornelius und sein Haus gehörten zu den ersten Heiden, die Mitglieder des Leibes Christi, der Kirche, wurden. Die Rettung der Heiden wird im Tausendjährigen Reich zur Vollendung kommen (vgl. Röm 11,12 ). (4) Viele alttestamentliche Propheten sagten voraus, daß, wie Jakobus in Apg 15,15 bemerkt, im Tausendjährigen Reich auch gerettete Heiden leben würden (z. B. Jes 42,6; 60,3; Mal 1,11 ).

 

 

Apg 15,19-21

 

Aufgrund dieses theologischen Gedankengangs kam Jakobus dann zu einer praktischen Schlußfolgerung. Er war der Ansicht ( krinO , ich meine ), daß die Kirche den Heiden ... nicht Unruhe ( parenochlein ; steht nur an dieser Stelle im Neuen Testament) machen solle. Das entspricht der Meinung, der auch Petrus in Vers 10 Ausdruck gegeben hatte. Sondern ( alla , "aber", beinhaltet einen starken Gegensatz) er schlug vor, ihnen ethische Richtlinien zu geben, die diejenigen, die nach wie vor am Alten Testament festhielten, nicht verletzten.

Die Heiden sollten sich nach dieser Regelung dreier Dinge enthalten : (a) von Götzen , (b) von Unzucht und (c) vom Erstickten und vom Blut . Viele Exegeten sehen darin nur zeremonielle Vorschriften. Die "Götzen" werden in Vers 29 näher als "Götzenopfer" beschrieben (vgl. Apg 21,25 ). Folglich, so sagen sie, ging es hier um dasselbe Problem, von dem auch Paulus in 1Kor 8-10 sprach. Die "Unzucht" bezieht sich ihrer Ansicht nach auf die Ehegesetze in 3Mo 18,6-20 ,und das Verbot, Blut zu essen, auf 3Mo 17,10-14 .Nach dieser Deutung bezögen sich also alle Verbote auf das jüdische zeremonielle Gesetz. Es scheint jedoch plausibler, sie als moralische Anliegen aufzufassen. Der Verweis auf das Götzenopferfleisch sollte im Sinne von Offb 2,14.20 verstanden werden. Bei den Heiden war es üblich, die Tempel für Festmähler und Feiern zu benutzen. Die Teilnahme an derartigen Festen wurde auch von Paulus verurteilt ( 1Kor 10,14-22 ). Die Prostitution wiederum war eine unter den Heiden so verbreitete Sünde, daß sie bereits als etwas ganz Normales akzeptiert wurde. Auch die Christen hatten nur allzuoft mit dieser Unmoral zu kämpfen, wie die zahlreichen Warnungen im Neuen Testament beweisen (vgl. 1Kor 6,12-18 ,wo Paulus offensichtlich Argumente zu ihren Gunsten zurückweist). Das dritte Verbot geht noch weiter zurück; es bezieht sich auf 1Mo 9 ,wo Gott den Bund mit Noah schloß, einen "Vertrag", der noch heute Gültigkeit hat. Dort gestattete er seinem Volk, Fleisch zu essen, doch das Tier sollte vorher ausbluten (V. 3 - 4 ).

Alle drei Verbote in Apg 15,20 haben also wahrscheinlich ethische bzw. moralische Implikationen und gelten in diesem Fall auch für die heutigen Christen, denen es dann beispielsweise ebenfalls verboten ist, blutiges oder rohes Fleisch zu essen. Indem sie nicht an Tempelfestmählern teilnahmen, keine Unzucht trieben und kein Fleisch aßen, das noch Blut enthielt, bewiesen die Heidenchristen ein hohes moralisches Bewußtsein und erregten bei ihren jüdischen Brüdern keinen Anstoß, denn in jeder Stadt gab es Juden, die sich von Christen, die sich nicht an diese Vorschriften hielten, verletzt fühlten.

 

 

Apg 15,22

 

Anschließend durfte sich die ganze Gemeinde (vgl. V. 12 ) zu diesen Fragen äußern. Interessanterweise wurden - zur Absicherung beider Parteien - Paulus und Barnabas zwei Zeugen zur Seite gegeben (V. 2 ), die den in einem Schreiben festgehaltenen Entschluß des Apostelkonzils mündlich bestätigen (V. 27 ) sollten. Niemand konnte also behaupten, daß er über diese heikle Frage falsch unterrichtet worden sei.

Einer dieser beiden Männer war Silas . Das entspricht wieder Lukas' Methode, ganz unauffällig eine Person in das Geschehen einzuführen, die später eine wichtige Rolle spielen wird (vgl. V. 40 ). Diese beiden angesehenen Männer , die selbst Propheten waren (V. 32 ), repräsentierten die beiden größten Gruppierungen in der Jerusalemer Gemeinde - Judas , wahrscheinlich ein Bruder von Josef (vgl. Apg 1,23 ), die Hebräer, und Silas, ein römischer Bürger (vgl. Apg 16,37 ), die Hellenisten.

 

 

Apg 15,23-29

 

Das Schreiben, das die Apostel und Ältesten der Delegation aus Antiochia mitgaben, bestätigte die Beschlüsse des Apostelkonzils. Die Verehrung, die die Urgemeinde in Jerusalem Barnabas und Paulus entgegenbrachte, zeigt sich an den Worten unsere geliebten Brüder und der Anerkennung, die den beiden dafür, daß sie ihr Leben für den Namen (vgl. den Kommentar zu Apg 3,16 ) unseres Herrn Jesus Christus eingesetzt hatten (vgl. Apg 13,50;14,5.19 ), gezollt wurde. Bedeutsamerweise wurde in diesem Brief der Heilige Geist als Ursache für die Entscheidung in dieser schwierigen Frage genannt.

 

 

d. Die Benachrichtigung der Gemeinde in Antiochia

( 15,30 - 35 )

 

Apg 15,30-35

 

Die Gruppe brach aus Jerusalem auf und zog, zusammen mit Judas und Silas, nach Antiochia, wo der Brief der dortigen Gemeinde übergeben wurde. Er war eine große Ermutigung für die Brüder in Antiochia, und auch Judas und Silas, die selbst Propheten waren, stärkten die Gemeinde mit vielen Reden .

Die Antiochener schlossen die beiden dann auch sehr ins Herz und ließen sie, als es Zeit war, mit Frieden gehen . Dieser Begriff "Frieden" war ein Segenswunsch, der dem anderen Wohlergehen in allen Lebensbereichen zudachte.

Vers 34 fehlt in vielen wichtigen griechischen Handschriften. Vielleicht fügte ein späterer Kopist ihn als Erklärung, warum Paulus Silas als Begleiter wählte, hinzu (V. 40 ). In den folgenden Monaten fuhren Paulus und Barnabas fort, unter den Heiligen in Antiochia zu lehren und zu predigen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4. Die Stärkung der Gemeinden in Kleinasien

( 15,36 - 16,5 ) (Die zweite Missionsreise, 15,36 - 18,22)

 

a. Der Streit zwischen Paulus und Barnabas

( 15,36 - 41 )

 

Apg 15,36-41

 

Als Paulus Barnabas den Vorschlag machte, eine zweite Missionsreise zu unternehmen, um die auf ihrer ersten Reise gegründeten Gemeinden im Glauben zu stärken, wollte Barnabas, daß sie auch Markus mitnähmen . Damit war Paulus jedoch nicht einverstanden, weil Markus sie auf der ersten Reise in Pamphylien verlassen hatte (vgl. Apg 13,13 ). Sie kamen so scharf aneinander ( paroxysmos , "provozieren, aufrühren, aufrütteln", vgl. den Fachausdruck "Paroxysmus"), daß sie sich trennten . Auch in diesem Streit zeigte sich, daß Gott alle Dinge zum Guten wendet, denn dadurch kam es zu zwei Missionsreisen statt nur zu einer: Barnabas und Markus gingen nach Zypern , und die anderen mit Paulus und Silas nach Syrien und Zilizien und schließlich nach Europa. Was Markus anbelangt, so hatten wahrscheinlich sowohl Paulus als auch Barnabas recht. Vielleicht war es wirklich zu früh für Markus, sich mit einem Apostel wie Paulus, der seinem ganzen Selbstverständnis nach zuallererst an die Heiden gesandt war, auf eine Reise zu wagen, doch auch Barnabas irrte sich mit Sicherheit nicht, wenn er in seinem Cousin Markus gute Anlagen sah (vgl. Kol 4,10; 2Tim 4,11; Phlm 1,24; 1Pet 5,13 ). Später sprach Paulus wieder wohlwollender von Barnabas ( 1Kor 9,6; Kol 4,10 ). Er verdankte ihm viel, und die beiden scheinen trotz ihrer Meinungsverschiedenheit über Markus Freunde geblieben zu sein.

Von nun an treten weder Markus noch Barnabas in der Apostelgeschichte nochmals in Erscheinung, und auch von Petrus ist nach dem Apostelkonzil ( Apg 15 ) nicht mehr die Rede.

Daß Paulus sich als Begleiter Silas, dessen römischer Name Silvanus lautete ( 2Kor 1,19; 1Thes 1,1; 2Thes 1,1; 1Pet 5,12 ), erwählte, erwies sich in mehrfacher Hinsicht als Glücksgriff: (1) Silas war ein offizieller Repräsentant der Jerusalemer Gemeinde; er gehörte zu denen, die der Gemeinde in Antiochia den Beschluß des Apostelkonzils überbracht hatten ( Apg 15,22 ). (2) Er war römischer Bürger ( Apg 16,37 ). (3) Er war ein Prophet ( Apg 15,32 ). (4) Die Gemeinde in Antiochia kannte ihn gut. Paulus und Silas wurden also von den Brüdern der Gnade Gottes befohlen . (5) Aus der Tatsache, daß Silas gleichsam die Pflichten eines Sekretärs von Paulus erfüllte, könnte man schließen, daß er der griechischen Sprache mächtig war (vgl. 1Pet 5,12 ). Zu der Aufgabe der beiden Apostel gehörte unter anderem die Stärkung der Gemeinden (vgl. Apg 14,22;15,32 ).

 

 

b. Die Zwangsverpflichtung des Timotheus

( 16,1 - 5 )

 

Apg 16,1-3

 

Timotheus , der in Lystra zu Hause war, war ein "Mischling": Er hatte eine jüdische Mutter und einen griechischen Vater. Wahrscheinlich war er während Paulus' erstem Aufenthalt in Lystra bekehrt worden (vgl. 1Tim 1,2 ). Manche Neutestamentler vermuten, daß er durch seine Großmutter Lois und seine Mutter Eunike ( 2Tim 1,5 ) zum Glauben kam. Doch wie auch immer, er wurde Paulus' besonderer Schützling. Da er einen guten Ruf hatte ( Apg 16,2 ), wollte Paulus , daß er, wahrscheinlich als Ersatz für Markus, mit ihm ziehe . Dieser Reise stand allerdings noch ein Hindernis entgegen. Die Juden, denen Paulus auch jetzt wieder in jeder Stadt als ersten das Evangelium predigen wollte, wären verletzt gewesen, wenn ein Mann, dessen Mutter Jüdin war, sich nicht hätte beschneiden lassen. Daher bestand Paulus darauf, daß Timotheus beschnitten wurde. Daß das nicht schon an dem Säugling vorgenommen worden war, war anscheinend auf den Einfluß seines Vaters zurückzuführen.

Die Beschneidung des Timotheus scheint der Aussage von Paulus in Gal 2,3 - 5 , wo er behauptet, daß er sich geweigert habe, Titus beschneiden zu lassen, zu widersprechen. Dieser scheinbare Widerspruch liegt jedoch in der Verschiedenheit der jeweiligen Situation. In Gal 2 ging es um die paulinische Rechtfertigungslehre; hier dagegen lag Paulus vor allen Dingen daran, bei den Judenchristen keinen Anstoß zu erregen (vgl. 1Kor 9,19-23 ). Es besteht kein Zweifel daran, daß auf dem Apostelkonzil in Jerusalem beschlossen worden war, daß die Beschneidung nicht heilsnotwendig war ( Apg 15,10-11.19 ); in Apg 16 aber dachte Paulus an die Verkündigung vor den Judenchristen und handelte deshalb klug, als er Timotheus beschneiden ließ.

 

 

Apg 16,4

 

Als sie aber durch die Städte zogen, übergaben sie ihnen die Beschlüsse, die auf dem Apostelkonzil in Jerusalem gefaßt worden waren ( Apg 15, 23-29 ). Wenn Paulus den Galaterbrief tatsächlich nach der ersten Missionsreise, aber noch vor dem Apostelkonzil schrieb, so war das Dokument mit den Beschlüssen des Apostelkonzils eine beeindruckende Bestätigung für das Evangelium, das er predigte und über das er schrieb.

 

 

Apg 16,5

 

Auch diesen Abschnitt schließt Lukas mit einem "Verlaufsbericht" (vgl. die Einführung). Die Bedeutung des Wortes gefestigt ( estereounto , "stark gemacht werden") geht in eine etwas andere Richtung als die seines Synonyms epistErizO ("stärken"; Apg 14,22;15,32.41 ).

 

 

C. Die Ausbreitung der Kirche in Griechenland

( 16,6 - 19,20 )

 

1. Der Ruf nach Mazedonien

( 16,6 - 10 )

 

Apg 16,6-7

 

Es kam vor, daß der Heilige Geist die Apostel von ihrer Reiseroute abbrachte. Offensichtlich planten Paulus und seine Begleiter zunächst, nach Westen, in die Hauptstadt der Provinz Asien , nach Ephesus, zu gehen. Da der Geist das aber nicht zuließ, zogen sie durch Phrygien und das Land Galatien (vgl. Apg 18,23 ). Darunter hat man sich wahrscheinlich den von Phrygiern besiedelten Teil Galatiens vorzustellen. Daraufhin wandten sie sich nach Norden, in den Osten Mysiens , und versuchten, nach Bithynien zu gelangen, doch auch daran wurden sie vom Geist Jesu gehindert. Wie das geschah, wird nicht gesagt. Es können widrige Umstände gewesen sein, eine Prophezeiung, eine Vision oder irgendein anderes Phänomen. Auf jeden Fall begriffen die Missionare, daß Gott den Menschen in Ephesus und Bithynien das Evangelium erst zu einem späteren Zeitpunkt zugedacht hatte (vgl. Apg 18,19-21.24-19,40; 1Pet 1,1 ).

 

 

Apg 16,8-9

 

Als sie schließlich in Troas , einer Hafenstadt an der Ägäis, in der Nähe des antiken Troja, angelangt waren, erhielt Paulus in einer nächtlichen Erscheinung direkte Weisungen von Gott. Mazedonien war römische Senatsprovinz; sie umfaßte in etwa das Gebiet des heutigen Griechenland.

 

 

Apg 16,10

 

Hier beginnt die erste der "wir"-Passagen in der Apostelgeschichte, die beweisen, daß der kleinen Gruppe, bestehend aus Paulus, Silas und Timotheus, auch Lukas angehörte. Wie, warum und wo er sich ihnen angeschlossen hatte, erfahren wir allerdings nicht.

 

 

2. Die Konflikte in Mazedonien

( 16,11 - 17,15 )

 

a. In Philippi

( 16,11 - 40 )

 

(1) Die Bekehrung der Lydia ( Apg 16,11-15 )

 

 

Apg 16,11

 

Die Reise von Troas nach Samothrake und Neapolis , dem Seehafen von Philippi, dauerte nur sehr kurz, was darauf hindeutet, daß der Wind günstig stand (vgl. Apg 20,6 ,wo die Fahrt in die entgegengesetzte Richtung fünf Tage in Anspruch nahm).

 

 

Apg 16,12

 

Von Neapolis aus reisten die Missionare die 15 Kilometer nach Philippi auf der Via Egnatia. Lukas bezeichnet Philippi als römische Kolonie und Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien . Schon hier zeigt sich sein Stolz auf die Stadt, die er später so sehr lieben sollte. Manche Forscher sind der Ansicht, daß Lukas hier aufgewachsen war und Medizin studiert hatte. Der ursprüngliche Name der Stadt lautete Crenides ("Quellen"). Sie wurde von Philipp von Mazedonien erobert und nach ihm benannt. 168 v. Chr. fiel sie dann an die Römer. Nachdem Markus Antonius und Oktavian die Mörder Cäsars, Brutus und Cassius, im Jahr 42 v. Chr. in der Nähe von Philippi besiegt hatten, wurde die Stadt zur römischen Kolonie.

Als solche hatte sie viele Privilegien (z. B. niedrigere Steuern) und entwickelte sich beinahe zu einem "zweiten Rom" (vgl. den Kommentar zu Philippi in der Einführung zum Philipperbrief). Die römischen Kolonien waren in der Hauptsache Militärstützpunkte; die Römer sicherten ihre neueroberten Gebiete, indem sie an strategisch wichtigen Punkten römische Bürger und Sympathisanten Roms ansiedelten. Aus diesem Grund schickte Oktavian (der im Jahr 27 v. Chr. römischer Kaiser wurde) im Jahr 31 v. Chr, nach seinem Sieg über Antonius bei Actium an der Westküste Griechenlands, weitere Kolonisten (in der Hauptsache entlassene Soldaten) nach Philippi.

 

 

Apg 16,13

 

Die jüdische Bevölkerung in Philippi kann nicht sehr zahlreich gewesen sein, denn es gab keine Synagoge in der Stadt, obwohl bereits zehn jüdische Männer zu ihrer Gründung ausgereicht hätten. Der Ort, den Paulus statt dessen aufsuchte (an dem man zu beten pflegte ; vgl. V. 16 ) - wahrscheinlich handelte es sich um ein einfaches Gebäude oder auch nur um einen Platz unter freiem Himmel -, lag am Fluß Gangites, etwa zwei Kilometer westlich vor der Stadt.

Den Frauen, die dort zusammenkamen , predigten die Missionare als erste das Evangelium.

 

 

Apg 16,14

 

Lydia war eine Purpurhändlerin . Der Purpurfarbstoff, den man damals verwendete, wurde aus kleinen Muscheln, den Purpurschnecken, oder auch aus den Wurzeln bestimmter Pflanzen gewonnen. Lydia stammte aus Thyatira , einer bekannten Handelsstadt in Kleinasien (vgl. den Kommentar zu Thyatira in Offb 2,18-29 ). Sie war eine Gottesfürchtige (mit diesem Terminus wurden Heiden [z. B. Kornelius; Apg 10,2 ], darunter auch Einwohner Thessalonichs [ Apg 17,4 ] und Athens [ Apg 17,17 ], bezeichnet, die noch nicht endgültig zum Judentum übergetreten waren, aber bereits Jahwe verehrten; auch der Kirche des Neuen Testaments, dem Leib Christi, gehörten sie nicht an). Der Herr tat ihr Herz auf (vgl. Lk 24,45 ), so daß sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde . Wieder kommt es Lukas vor allem auf das freie Wirken Gottes bei der Rettung an (vgl. Apg 13,48 ).

 

 

Apg 16,15

 

Offensichtlich wurde Lydia schon bald nach der ersten Predigt des Paulus getauft. Mit den Angehörigen ihres Hauses sind wahrscheinlich ihre Knechte und Kinder gemeint, denn sie war wohl Witwe. Andere Personen im Neuen Testament, die "mit ihrem ganzen Haus" zum Christentum übertraten, waren Kornelius ( Apg 10,24.44 ), der Gefängnisaufseher in Philippi ( Apg 16,31 ), Krispus ( Apg 18,8 ), Aristobulus ( Röm 16,10 ), Narzissus ( Röm 16,11 ) und Stephanas ( 1Kor 1,16 ).

Daß Lydia recht wohlhabend war, sieht man auch an der Größe ihres Hauses. Sie konnte darin - außer ihren Angehörigen, Knechten und Sklaven - bequem noch vier Männer beherbergen (vgl. Apg 16,40 ).

 

 

Apg 16,16-18

 

(2) Der Exorzismus der Magd mit dem Wahrsagegeist

 

In Philippi traf Paulus auch auf eine von einem Dämon besessene Magd, deren Herren sich ihre Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen, zunutze machten. Der "Wahrsagegeist" ist die Übersetzung der beiden griechischen Wörter: "ein Geist, eine Python". Das Bild, das sich hinter dieser Formulierung verbarg, geht auf die griechische Stadt Delphi zurück, wo sich der Gott Apoll nach dem Glauben der Griechen im Körper einer Pythonschlange manifestiert hatte. Die Priesterin von Delphi galt als von Apoll besessen und wurde als Orakel benützt, weil sie angeblich die Zukunft voraussagen konnte. Daher die Annahme, daß jemand, der von einem Pythongeist besessen war, kommende Ereignisse vorhersagen könne. Zweifellos waren die fraglichen Personen wirklich besessen. Schon immer machten sich Dämonen den Aberglauben der Menschen zunutze (vgl. Apg 17,23; 1Kor 10,20 ).

Die Magd folgte Paulus und den anderen überallhin und schrie unentwegt (Imperfekt): Diese Menschen sind Knechte des allerhöchsten Gottes, die euch den Weg des Heils verkündigen. Obwohl das der Wahrheit entsprach, konnte eine solche Assoziation mit einer Besessenen das Evangelium Christi in Gefahr bringen. Daher trieb Paulus, nachdem er sich das viele Tage lang angehört hatte, den Dämon aus. (Weitere erfolgreiche Dämonenaustreibungen stehen in der Apostelgeschichte in Apg 8,9-24;13,6-12;19,13-20 .)

 

 

Apg 16,19-21

 

(3) Die Bekehrung des Gefängnisaufsehers ( Apg 16,19-34 )

 

Jede römische Kolonie wurde von zwei Männern, den duoviri , verwaltet. Der Terminus Stadtrichter ist die Übersetzung von stratEgois , des griechischen Äquivalents des lateinischen magistrates .

Die Anklage der Herren des Mädchens gegen Paulus und Silas war außer auf die Tatsache, daß ihre Magd durch den Exorzismus sozusagen "wertlos" geworden war, offensichtlich auf einen generellen Antisemitismus zurückzuführen. Kurz vor diesem Zwischenfall hatte Kaiser Klaudius die Juden aus Rom vertrieben ( Apg 18,2 ), ein Erlaß, der an der römischen Kolonie Philippi mit Sicherheit nicht spurlos vorübergegangen war. Umgekehrt erklärt diese antisemitische Stimmung zum Teil auch, warum Timotheus und Lukas nicht vor Gericht gestellt wurden. Timotheus war seiner Geburt nach zur Hälfte Heide ( Apg 16,1 ), und auch Lukas war wahrscheinlich Heide.

Paulus und Silas wurde vorgeworfen, einen verderblichen Einfluß auf die Stadt auszuüben, indem sie Ordnungen verkündeten , die die Einwohner weder annehmen noch einhalten durften, weil sie Römer waren. Rom gestand der Bevölkerung in den Kolonien zwar die Ausübung ihrer eigenen Religionen zu, doch der Versuch, römische Bürger zu bekehren, war verboten. Für die zivile Verwaltung der Stadt machte es keinen Unterschied, ob Juden oder Christen die Leute zu bekehren versuchten (vgl. Apg 18,14-15 ); sie sah in der Predigt von Paulus und Silas eine offenkundige Verletzung des kaiserlichen Gesetzes.

 

 

Apg 16,22

 

Angestachelt durch das Volk, gaben die Stadtrichter den Befehl, Paulus und Silas die Kleider herunterzureißen und sie mit Stöcken zu schlagen ( rhabdizO ; dieses Verb steht nur noch in 2Kor 11,25 ). Das war eine der drei Auspeitschungen, von denen Paulus in 2Kor 11,25 spricht.

 

 

Apg 16,23-24

 

Die Apostel wurden hart geschlagen und ins Gefängnis geworfen . Das war ein wenig vielversprechender Empfang in der ersten europäischen Stadt, in der sie das Evangelium verkündigten. Der Gefängnisaufseher , der die Anweisung erhalten hatte, sie gut zu bewachen , wollte keinerlei Risiko eingehen, daher warf er sie in das innerste Gefängnis (möglicherweise ein Verlies, auf jeden Fall aber die sicherste Zelle) und legte ihre Füße in den Block .

 

 

Apg 16,25

 

Daß Paulus und Silas auch in dieser Lage noch dazu imstande waren, Gott zu loben, gibt dem Thema der Freude in der Apostelgeschichte eine ganz besondere Bedeutung (vgl. Ps 42,9; "und des Nachts singe ich ihm und bete zu dem Gott meines Lebens"). Ihr Lobpreis und ihr Beten drang nicht nur zu Gott, auch die anderen Gefangenen hörten es.

 

 

Apg 16,26

 

Die folgende übernatürliche Befreiung erinnert den Leser an die ganz ähnlichen Erlebnisse von Petrus (vgl. Apg 5,18-20;12,3-11 ). Es war mit Sicherheit eine höchst ungewöhnlicheErfahrung, die die Insassen des Gefängnisses hier um Mitternacht machten - die Erde bebte, die Grundmauern des Gefängnisses wankten, alle Türen öffneten sich, und von allen fielen die Fesseln ab .

 

 

Apg 16,27-28

 

Der Aufseher, der für die Gefangenen verantwortlich war (vgl. Apg 12,19 ), zog das Schwert und wollte sich selbst töten . Als Paulus das sah, rief er ihm jedoch zu, daß sie alle noch da seien. Vielleicht waren die anderen Gefangenen so beeindruckt von dem Gott, zu dem Paulus und Silas gebetet hatten, daß sie es nicht wagten zu fliehen!

 

 

Apg 16,29-30

 

Daraufhin ging der Aufseher zu Paulus und Silas in die Zelle und fragte sie zitternd: Liebe Herren, was muß ich tun, daß ich gerettet werde? Diese Frage ist höchst bedeutsam, denn ganz sicher wußte er, worum er da eigentlich bat. Zweifellos hatte er von der Magd und ihrem Geschrei, daß diese beiden Männer Knechte Gottes seien und das Heil brächten (V. 17 ), gehört, und auch die Lobgebete von Paulus und Silas (V. 25 ) vernommen. Das schreckliche Erdbeben und die sich daraus ergebende Möglichkeit für die Gefangenen zu fliehen sowie die ermutigenden Worte, die Paulus sprach, waren für ihn wohl der letzte Anstoß, nach dem Weg zur Rettung zu fragen.

 

 

Apg 16,31-32

 

Vers 31 ist ein Schlüsselsatz in der Botschaft des Glaubens. Alles, was zur Rechtfertigung eines Menschen nötig ist, ist der Glaube an den Herrn Jesus . Der Gefängnisaufseher hatte gefragt, was er tun solle. Die Antwort war, daß keinerlei Werke von ihm gefordert wurden; das einzige, was er tun mußte, war, an Jesus, der der Herr ist, zu glauben.

Die Worte "und dein Haus" bedeuteten, daß die Mitglieder seines Haushalts, die alt genug waren, um zu glauben, ebenfalls gerettet waren (vgl. V. 34 ), wenn sie an den Herrn glaubten.

 

 

Apg 16,33

 

Daraufhin wusch ihnen der Gefängnisaufseher die Striemen (vgl. V. 23 ) - eine erstaunliche Handlung. Dann bezeugten er und alle die Seinen durch die Wassertaufe, daß ihre Sünden von ihnen genommen waren.

Apostelgeschichte

 

Apg 16,34

 

Ein Gefängnisaufseher nahm seine ehemaligen Gefangenen in sein Haus auf und gab ihnen zu essen! Wieder einmal führte die siegreiche Verkündigung des Evangeliums bei den Menschen, die sich von ihr erreichen ließen, zu großer Freude.

Apostelgeschichte

 

Apg 16,35-36

 

(4) Die Befreiung von Paulus und Silas ( Apg 16,35-40 )

 

Anscheinend wurden Paulus und Silas danach wieder ins Gefängnis zurückgebracht. Was die Stadtrichter dann allerdings zu ihrer Sinnesänderung bewegte, wird nicht gesagt. Vielleicht hatte das Erdbeben sie aufgerüttelt, oder sie hatten nachgedacht und eingesehen, wie ungerecht sie gehandelt hatten.

 

 

Apg 16,37-40

 

Paulus' Forderung, zusammen mit Silas von den Stadtrichtern persönlich aus dem Gefängnis herausgeführt zu werden, scheint auf reiner Rachsucht zu basieren. Doch wahrscheinlich wollte er damit nur die junge Kirche in Philippi vor weiteren Bedrängnissen schützen, denn nach einer solchen öffentlichen Demonstration wäre sie höchstwahrscheinlich eine Zeitlang vor staatlichen Übergriffen sicher.

Doch warum hielt Paulus die Information, daß er römischer Bürger sei, so lange zurück? Vielleicht konnte er sich in dem Aufruhr bei der Verhandlung nicht verständlich machen (V. 19 - 22 ), vielleicht wartete er aber auch nur auf den vorteilhaftesten Zeitpunkt für diese Eröffnung. Als römischer Bürger ( Apg 22,28 ) hatte er bestimmte Rechte, darunter auch das Recht auf eine öffentliche Gerichtsverhandlung. Außerdem durfte er nicht gegeißelt werden.

Nur zweimal in der Apostelgeschichte wurde Paulus von Heiden verletzt oder bedroht - in Philippi und in Ephesus ( Apg 19,23-41 ). In beiden Fällen ging es um finanzielle Nachteile, die die Menschen seinetwegen erlitten oder befürchteten, und beide Male wurde Paulus von römischen Beamten freigesprochen. Nach ihrer Freilassung gingen Paulus und Silas zu Lydia , in derenHaus sie sich mit den Brüdern trafen (vgl. Apg 16,15 ).

Als Paulus abreiste, blieb Lukas in Philippi zurück.

 

 

b. In Thessalonich

( 17,1 - 9 )

 

Apg 17,1

 

Von Philippi nach Thessalonich waren es etwa 150 Kilometer. Der Weg führte über die Via Egnatia, an der jeweils nach etwa 50 Kilometern die Städte Amphipolis und Apollonia lagen. Da sie offensichtlich beide keine Synagoge besaßen, unterbrach Paulus seine Reise nicht. Er schätzte die Synagoge als ausgezeichneten Ort zur Kontaktaufnahme (vgl. V. 10 ) und machte deshalb erst in Thessalonich , dem heutigen Saloniki, wieder Halt, um zu predigen.

 

 

Apg 17,2

 

Der Hinweis auf die drei Sabbate bedeutet nicht, daß die Missionare sich nur drei Wochen in Thessalonich aufhielten. Es war vielmehr so, daß Paulus an den drei genannten Feiertagen das Evangelium den Juden predigte und sich danach den Heiden zuwandte. Darauf deutet jedenfalls folgendes hin: (1) Die Gemeinde in Philippi schickte Paulus mindestens zweimal während seines Aufenthalts in Thessalonich Geld ( Phil 4,15-16 ), er muß also länger als nur drei Wochen dort gewohnt haben. (2) Außerdem arbeitete Paulus, der eine Handwerksausbildung hatte, in seinem Beruf und verdiente sich selbst etwas für seinen Lebensunterhalt ( 1Thes 2,9; 2Thes 3,7-10 ). Das deutet darauf hin, daß vor der Ankunft der Unterstützung aus Philippi längere Zeit verstrich. (3) Die meisten Bekehrten in Thessalonich waren nicht Juden, sondern Heiden, die zuvor Götzen angebetet hatten (vgl. 1Thes 1,9 ).

 

 

Apg 17,3-4

 

Das Bemühen von Paulus und Silas, den Thessalonichern den gekreuzigten und auferstandenen Jesus als den Christus (den Messias) nahezubringen, hatte Erfolg: einige Juden, eine große Menge von gottesfürchtigen Griechen (vgl. Apg 16,14 ,wo dasselbe griechische Wort für Lydia benutzt wird, und Apg 17,17 ), dazu nicht wenige von den angesehensten Frauen (vgl. V. 12 ) schlossen sich ihnen an . Die Botschaft des Evangeliums wurde also von Menschen verschiedenster Nationalitäten und sozialer Schichten akzeptiert.

 

 

Apg 17,5

 

Diesen Zwischenfall nahm Lukas wohl in seinen Bericht auf, um ganz deutlich zu machen, daß die Juden bei ihrer Ablehnung des Messias blieben. Wahrscheinlich hatte Jason Paulus und Silas Unterkunft gewährt. Nun suchten die Juden die Apostel, um sie vor das Volk zu führen . Thessalonich war eine freie Stadt; das bedeutete, daß es in lokalen Angelegenheiten frei entscheiden durfte und nicht der Provinzialverwaltung unterstellt war. Es hatte, neben den römischen Statthaltern, die dort selbstverständlich residierten, seine eigene Ratsversammlung ( dEmos , hier mit "Volk" übersetzt; vgl. Apg 19,30.33 ) behalten dürfen.

 

 

Apg 17,6-7

 

Als der Mob Paulus und Silas nicht finden konnte, schleiften sie Jason und einige Brüder vor die Oberen der Stadt ( politarchas , wörtlich: "Herrscher der Stadt"). Diese Magistrate bildeten in den mazedonischen Städten den Stadtrat. Die Anklage konzentrierte sich nun in erster Linie auf Jason (möglicherweise ein Verwandter von Paulus; vgl. Röm 16,21 ), weil er Männern Obdach gewährt hatte, die den ganzen Weltkreis - eine offensichtliche Übertreibung - erregen und gegen des Kaisers Gebote handeln, indem sie sagen, ein anderer sei König, nämlich Jesus . Diese letztere Beschuldigung ist vor allem bedeutsam, denn sie zeigt, daß hinter dem ganzen Aufruhr die Juden steckten (vgl. Apg 17,5 ). Nur sie kannten die Theologie des Paulus gut genug, um einen solchen Vorwurf zu erheben. (Auch Jesus hatten sie beschuldigt, zu behaupten, "ein König" zu sein; Lk 23,2 .) Darüber hinaus gibt sie Aufschluß über die Verkündigung des Paulus. Wie auch aus dem Brief an die Thessalonicher hervorgeht, predigte er, daß bei der Rückkehr Christi das messianische Reich errichtet werde ( 1Thes 3,13;5,1-11; 2Thes 1,5-10;2,14; vgl. Lk 23,2; Joh 18,33-37 ).

 

 

Apg 17,8-9

 

Das Volk und die Oberen waren aufgebracht ( etaraxan ; vgl. Joh 11,33; Apg 16,20 ), wahrscheinlich, weil sie Paulus und Silas, die Urheber aller dieser Probleme, nicht finden konnten ( Apg 17,6 ). Die Bürgschaft mußte Silas wohl leisten, damit die beiden die Stadt wirklich verließen und nicht etwa zurückkehrten. Wenn wieder Unruhen entstünden, würden Jason und die anderen ihr Geld verlieren. Das wäre auch eine Erklärung dafür, warum Paulus nicht wieder nach Thessalonich kommen konnte ( 1Thes 2,18 ). Doch trotz all dieser Schwierigkeiten fuhren die Christen in Thessalonich fort, mit allem Freimut das Evangelium zu verkündigen ( 1Thes 1,7-10; vgl. 1Thes 2,14-16 ).

 

 

c. In Beröa

( 17,10 - 15 )

 

Apg 17,10

 

Im Schutz der Nacht (vgl. Paulus andere nächtliche Fluchterlebnisse; Apg 9,25 ) schickten die Brüder Paulus und Silas nach Beröa . Entweder war Timotheus zu diesem Zeitpunkt bereits bei ihnen, oder er stieß erst später, in Beröa, zu den beiden (vgl. Apg 17,14 ). Beröa, von wo auch Sopater stammte ( Apg 20,4 ), lag etwa 65 Kilometer südwestlich von Thessalonich, an den östlichen Ausläufern eines Gebirges. Paulus und Silas machten auf dem Weg nach Achaja, der Provinz, die in etwa das Gebiet des heutigen südlichen Griechenlands umfaßt, dort Station, und suchten auch hier die Synagoge auf (vgl. Apg 17,2.17; Apg 18,4.19; Apg 19,8 ).

 

 

Apg 17,11-12

 

Die Juden in Beröa waren freundlicher als die in Thessalonich. Sie nahmen das Wort bereitwillig auf und forschten täglich in der Schrift, ob sich's so verhielte . Das unterschied sie von ihren Glaubensgenossen in Thessalonich, von denen nur einige wenige glaubten (V. 4 ), während die anderen nur neidisch darauf schielten, daß Paulus nicht zuviel Einfluß gewann, und gegen ihn hetzten. Die Aufgeschlossenheit der Juden in Beröa dagegen führte zu vielen Bekehrungen, sowohl unter den Juden als auch unter den Heiden. Interessanterweise nahmen auch hier wieder einige vornehme griechische Frauen das Evangelium an (V. 4.12 ).

 

 

Apg 17,13-14

 

Doch auch in Beröa forderten ungläubige Juden (die allerdings aus Thessalonich kamen), daß Paulus aus der Stadt vertrieben werde. Unruhe erregen ist die Übersetzung desselben griechischen Wortes, das in Vers 8 mit "aufbringen" wiedergegeben ist. Silas und Timotheus blieben in Beröa zurück, um die neu gegründete Kirche zu betreuen, während Paulus nach Süden weiterzog.

 

 

Apg 17,15

 

Ob er auf dem Land- oder dem Seeweg nach Athen ging, wissen wir nicht. Auf jeden Fall wurde er um der größeren Sicherheit willen von einigen Brüdern geleitet. In Athen gab er ihnen dann den Auftrag, Silas und Timotheus anzuweisen, so schnell wie möglich zu ihm zu kommen .

Aus 1Thes 3,1-2.6 geht zweifelsfrei hervor, daß Silas und Timotheus Paulus tatsächlich in Athen trafen. Dort erhielt Silas den Auftrag, Athen wieder zu verlassen und in Korinth erneut zu Paulus zu stoßen (vgl. Apg 18,1-5 ).

Apostelgeschichte

 

3. Der missionarische Kreuzzug in Achaja

( 17,16 - 18,18 )

 

a. In Athen

( 17,16 - 34 )

 

Apg 17,16

 

Zur Zeit des Paulus war der Ruhm Griechenlands, der im fünften und vierten Jahrhundert v. Chr. seinen Zenit erreicht hatte, bereits im Schwinden begriffen. Auch die Stadt Athen, einst Mittelpunkt des Hellenismus, hatte ihre Blütezeit überschritten. Doch sie war noch immer ein lebendiges kulturelles Zentrum mit einer weltberühmten Universität. Viele ihrer bekannten Bauwerke waren in der Zeit des Perikles errichtet worden (461 - 429 v. Chr.). So schön und überwältigend der Eindruck der Architektur und der zahlreichen Kunstwerke aber auch war - Paulus konnte sich nicht daran freuen, denn sein Geist ergrimmte in ihm, als er die Stadt voller Götzenbilder sah .Die Kunstwerke in Athen spiegelten die Religion der Griechen: Die geistige Hauptstadt der Welt war dem Götzendienst verfallen.

Apostelgeschichte

 

Apg 17,17

 

In dieser Stadt führte Paulus einen geistlichen Feldzug an zwei Fronten, in der Synagoge und auf dem Markt . In der Synagoge, in der er Juden und gottesfürchtige Heiden antraf (vgl. V. 4 ), ging er wie gewöhnlich vor und bewies aus dem Alten Testament, daß Jesus der Messias war (vgl. V. 2 - 3 ). Auf dem Markt ( agora , dem Zentrum des öffentlichen Lebens), wo Philosophen debattierten und ihre Theorien vortrugen, redete er zu denen, die sich einfanden .

 

 

Apg 17,18

 

Seine wichtigsten Gegenspieler auf der Agora waren die Epikureer und die Stoiker . Die ersteren, Anhänger Epikurs (341 - 270 v. Chr.), behaupteten, daß der eigentliche und wichtigste Daseinszweck des Menschen auf Erden sein Vergnügen und sein Glück seien. Diesen Daseinszweck, so glaubten sie, erreiche man, wenn man sich keinerlei Exzessen hingäbe und keine Angst vor dem Tod habe, sondern Ruhe und Freiheit von Schmerzen suche und die Menschheit liebe. Die Epikureer waren der Überzeugung, daß die Götter, falls es sie gab, sich nicht in die Angelegenheiten der Menschen einmischten.

Die Stoiker waren Anhänger des Philosophen Zenon (ca. 320 - 250 v. Chr.). Ihr Name geht auf die bemalte Säulenhalle, die Stoa, in Athen zurück, wo dieser gewöhnlich lehrte. Als Pantheisten glaubten sie, daß ein größerer "Zweck" die Geschichte bestimme. Der Mensch war aufgerufen, sich in Glück und Unglück in diesen Zweck einzuordnen. Eine solche Philosophie kann, wenn sie auch durchaus edle Eigenschaften hervorbringt, zu unangemessenem Stolz und Selbstgerechtigkeit führen.

Diese Philosophen begannen nun, mit Paulus zu streiten ( syneballon , wörtlich: "sich zuwerfen", d. h. "sich Ideen zuspielen", im Gegensatz zu den Gesprächen in den Synagogen, wo er argumentierte: dielegeto , "erörtern, überzeugen", V. 17 ; vgl. dasselbe Wort in V. 2 ; Apg 18,4.19;19,8 ). Einige von ihnen sprachen: Was will dieser Schwätzer sagen? Das mit "Schwätzer" übersetzte Wort, spermologos , heißt wörtlich "Saat-Picker". So wurde jemand bezeichnet, der wie ein Vogel Saatgut aufpickt, hier und dort einige Lehren aufgenommen hatte und sie dann im geeigneten Moment als seine eigenen verkündete. Andere aber bemerkten: Es sieht so aus, als wolle er fremde Götter verkündigen. Diese Reaktion ging auf ihre Unfähigkeit zurück, Paulus' Lehre von Christus und seiner Auferstehung , die ihrem Denken völlig fremd war, zu begreifen (vgl. Apg 17,31-32 ).

 

 

Apg 17,19-21

 

Der Areopag (wörtlich: "Areshügel") war der Versammlungsort des Rates des Areopags, des obersten athenischen Gerichtshofs. In der apostolischen Zeit war seine Macht auf religiöse und Erziehungsangelegenheiten beschränkt.

Es besteht einige Unklarheit, wo dieser Rat zu der Zeit, in der Paulus in Athen war, zusammentrat. Manche vermuten, daß er auf dem traditionellen Marshügel hinter der Agora (dem Marktplatz der altgriechischen Städte), westlich neben der Akropolis, tagte. Andere sind der Ansicht, er versammelte sich in der Stoa Basileios, einem Gebäude auf der Agora . Auf jeden Fall wollte die Ratsversammlung von Paulus Näheres über seine neue Lehre , die den Griechen so fremd war, erfahren. Sowohl die Athener als auch die in Athen, dem intellektuellen Mittelpunkt der Alten Welt, lebenden Fremden, waren stets begierig, etwas Neues zu hören und darüber zu debattieren. Diese Offenheit gab Paulus Gelegenheit, seine Botschaft zu verkündigen.

 

 

Apg 17,22

 

Mit diesem Vers beginnt die dritte Beispielspredigt des Paulus (sie geht bis V. 31 ; vgl. Apg 13,16-41;14,15-17;20,18-35 ). Sie zeigt, auf welchem Wege er versuchte, die intellektuellen Heiden für das Evangelium zu gewinnen. Der Inhalt seiner Botschaft ist klar: Der Schöpfergott, der sich selbst in der Schöpfung offenbart hat, hat allen Menschen geboten, Buße zu tun, denn jeder Mensch muß vor Jesus Christus, den Gott von den Toten auferweckte, Rechenschaft ablegen.

Paulus' Rede bestand aus drei Teilen: (a) Einführung ( Apg 17,22-23 ), (b) der unbekannte Gott (V. 24 - 29 ), (c) die Botschaft Gottes (V. 30 - 31 ).

Es war ein kluger Schachzug von Paulus, seine Predigt mit der lobenden Feststellung zu eröffnen, daß die Athener die Götter in allen Stücken sehr verehrten ( deisidaimonesterous , von deidO , "fürchten oder verehren", daimOn , "Götter, böse Geister" und stereos , "fest, hart"). Damit brachte er gleich zu Anfang seine Überzeugung zum Ausdruck, daß die Griechen ihren Göttern standhaft und treu dienten. Die Formulierung, die er benutzte, war sorgfältig und mit Bedacht ausgewählt. Die Männer von Athen dachten dabei zweifellos an ihre Götter, während in dem Wort gleichzeitig mitschwingt, daß diese Götter böse Geister oder Dämonen seien (vgl. den Kommentar zu Apg 16,16 ).

 

 

Apg 17,23

 

Da die Athener stets in großer Sorge lebten, irgendeinen Gott, den sie nicht kannten, zu vernachlässigen und sich so seinen Zorn zuzuziehen, hatten sie einen Altar dem unbekannten Gott geweiht. Auf diesen Gott spielte Paulus an. Dabei ging es ihm nicht so sehr um die Tatsache, daß sie einen solchen Altar errichtet hatten, sondern darum, daß ihnen der Gott, dem sie ihn errichtet hatten, unbekannt war.

 

 

Apg 17,24

 

Da Gott alles gemacht hat, ist er der Höchste - der Herr des Himmels und der Erde (vgl. Apg 14,15 und Ps 24,1 ). Ein solcher Gott wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind , wie die Athener von ihren griechischen Göttern annahmen (vgl. die Worte des Stephanus in Apg 7,48-50 ).

 

 

Apg 17,25

 

Gott steht über den von Menschen erbauten Tempeln, er braucht niemanden und ist nicht von Menschenhänden abhängig. Das richtete sich an die Epikureer, die glaubten, daß Gott bzw. die Götter über den Angelegenheiten der Menschen standen.

Der letzte Teil des Verses, in dem davon die Rede ist, daß Gott den Menschen Leben (vgl. V. 28 ) und Odem und alles (vgl. Apg 14,17 ) gegeben hat, knüpfte an die stoische Philosophie an, deren Anhänger ihr Leben dem "Zweck" des Kosmos unterstellten. Paulus ließ sich also auf den Wissens- und Glaubensstand seiner Hörer ein und führte sie von ihren irrigen Vorstellungen hin zur Wahrheit.

 

 

Apg 17,26

 

Die Wendung "aus einem Menschen" bezieht sich zurück auf Adam. Das war allerdings ein Schlag für den Stolz der Athener; sie sollten aus demselben Schöpfungsakt hervorgegangen sein wie alle anderen Menschen, dessen Ziel es war, die Erde mit Menschen zu bevölkern ( 1Mo 1,28 ).

Der souveräne Gott hat in seiner Allmacht die Geschichte ( wie lange ) und die Grenzen der Völker festgesetzt (vgl. 5Mo 32,8 ). Die Griechen waren also nicht das einzige Volk auf der Erde!

 

 

Apg 17,27

 

Eines der Ziele der Selbstoffenbarung Gottes in der Schöpfung und Geschichte ist es, daß die Menschen ihn suchen (vgl. Röm 1,19-20 ). Obwohl Gott allmächtig und völlig frei ist ( Apg 17,24 ), ist er doch auch in der Welt und nicht so fern, daß man ihn nicht finden kann .

 

 

Apg 17,28

 

Paulus untermauerte seine Predigt mit einem Zitat von Epimenides, einem kretischen Dichter (den er auch später, in Tit 1,12 ,nochmals zitierte): Denn in ihm leben (vgl. Apg 17,25 ) , weben und sind wir. Er zitierte den aus seiner eigenen Heimat Zilizien stammenden Aratus: Wir sind seines Geschlechts. Das zweite Zitat stammt aus dem Werk Phainomena . Alle Menschen - die Athener und alle anderen - sind Kinder Gottes, nicht in dem Sinne, daß sie alle seine erlösten Kinder sind oder göttliche Züge tragen, sondern insofern, als sie von Gott geschaffen sind und ihr Leben von ihm erhalten (V. 25 ). Auch die Athener waren von diesem Gott, den sie nicht kannten, geschaffen und hingen in ihrer Existenz von ihm ab. Keiner der unzähligen falschen Götter, die die Griechenverehrten, konnte einen solchen Anspruch erheben.

 

 

Apg 17,29

 

Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand: Da die Menschen von Gott, der Gottheit, geschaffen sind, kann dieser Gott kein Götze, kein von Menschen gedachtes und gemachtes Bild sein (vgl. Röm 1,22-23 ). ("Gottheit" ist die Übersetzung von theion , wörtlich "göttliches Wesen", das im klassischen Griechisch sehr gebräuchlich ist, im Neuen Testament jedoch nur an dieser Stelle und in 2Pet 1,3-4 steht.) Das war etwas ganz Neues für die Athener, die in einer Stadt "voller Götzenbilder" ( Apg 17,16 ) und "Heiligtümer" (V. 23 ) lebten.

 

 

Apg 17,30

 

Gott hat über die Zeit der Unwissenheit der Menschen, d. h. über ihren Götzendienst, geduldig hinweggesehen . Obwohl die Menschen seinem Zorn verfallen sind ( Röm 1,18 ) und keine Entschuldigung haben, da ihnen die Offenbarung Gottes in der Natur ja immer vor Augen war ( Röm 1,19-20 ), ließ Gott "die Sünden, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld" ( anochE , "Zurückhaltung, Verzögerung"), ungestraft ( Röm 3,25-26 ). Das entspricht Apg 14,16 : "Zwar hat er in den vergangenen Zeiten alle Heiden ihre eigenen Wege gehen lassen" (vgl. den Kommentar dort). Dennoch trugen sie bereits in dieser Zeit die Verantwortung für die allgemeine Offenbarung, die ihnen gegeben war, und jetzt, mit der weltweiten Verkündigung des Evangeliums, sind auch sie dazu aufgerufen, auf diese besondere Offenbarung zu reagieren. Auch ihnen gilt nun der Aufruf zur Buße .

 

 

Apg 17,31

 

An diesem Punkt führte Paulus einen spezifisch christlichen Standpunkt ein. Sein Verweis auf den einen Mann bezieht sich ganz eindeutig auf Dan 7,13-14 , wo vom Menschensohn die Rede ist, der von Gott Vater dazu bestimmt ist, den Erdkreis zu richten mit Gerechtigkeit (vgl. Joh 5,22 ). Die Bestätigung der Person und des Werkes Christi war seine Auferstehung. Auch in dieser Predigt des Paulus steht also die Auferstehung Jesu im Mittelpunkt, eine Vorstellung (vgl. Apg 17,18.32 ), die auf keine Weise mit der griechischen Philosophie vereinbar war. Die Griechen sehnten sich danach, mit dem Tod ihres Körpers ledig zu werden, sie wollten auf keinen Fall erneut an ihn gefesselt sein. Auch der Gedanke eines persönlichen Gerichtes war ihnen unangenehm. Die Botschaft des Evangeliums zielte also auf das Zentrum ihrer Vorstellungen und Bedürfnisse ab.

Interessanterweise ging Paulus in seiner Erörterung (V. 30 - 31 ) auch auf die Themen Sünde ("Buße tun"), Gerechtigkeit und Gericht ("er will richten") ein, von denen Jesus gesagt hatte, daß sie der Menschheit durch den Heiligen Geist offengelegt würden ( Joh 16,5-11 ).

 

 

Apg 17,32-34

 

Da es für einen Griechen völliger Unsinn war, daß ein Toter auferweckt wurde und ewig lebte, begannen einige von ihnen zu spotten . Andere, die höflicher waren, sagten, sie wollten darüber ein andermal weiter hören . Nur einige wenige schlossen sich Paulus an und wurden gläubig , darunter auch Dionysius, einer aus dem Rat (vgl. den Kommentar zu V. 19 ), und eine Frau mit Namen Damaris . Weitere in der Apostelgeschichte bekehrte Frauen waren Lydia ( Apg 16,14-15 ), einige vornehme Frauen in Thessalonich ( Apg 17,4 ) und ein paar vornehme griechische Frauen in Beröa (V. 12 ).

War die Predigt des Paulus in Athen ein Mißerfolg? Das läßt sich nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Immerhin ist nirgends die Rede davon, daß dort eine Gemeinde gegründet wurde, und später bezeichnete Paulus das Haus des Stephanas ( 1Kor 16,15 ) in Korinth als den "Erstling" in Achaja. (Auch Athen lag in Achaja.) Wie war das möglich, wenn sich doch, laut Apg 17,34 , bereits in Athen manche zu Christus bekehrten? Die Lösung ist, daß Paulus bei Stephanas wahrscheinlich an den "Erstling" einer bestimmten "Gemeinde" in Achaja dachte. Möglich ist aber auch, daß "Erstling" sich auf mehr als eine einzige Person beziehen kann. Wenn es tatsächlich in Athen nicht zur Gründung einer Gemeinde kam, so lag das nicht an der Botschaft, die Paulus verkündigte, und auch nicht an der Methode, die er anwandte, sondern an den verstockten Herzen der Athener.

 

 

b. In Korinth

( 18,1 - 18 )

 

Apg 18,1

 

Ohne weitere Erklärungen fährt Lukas dann einfach fort: Danach verließ Paulus Athen und kam nach Korinth. Obwohl die beiden Städte nur etwa 75 Kilometer voneinander entfernt lagen, waren sie doch völlig verschieden. Athen war bekannt für seine Kultur und Gelehrsamkeit, das Handelszentrum Korinth berüchtigt für seine Lasterhaftigkeit. Die Stadt lag im Süden einer Landenge, die die peloponnesische Halbinsel mit dem nördlichen Achaja verband. Sie war Knotenpunkt sowohl für den Handel in nördliche und südliche Richtung über den Landweg als auch für den Seehandel nach Westen und Osten. Korinth besaß zwei Seehäfen - drei Kilometer westlich der Stadt, am Golf von Korinth, der sich in die Adria öffnet, lag Lechäum, und neun Kilometer südöstlich, zur Ägäis hin, lag Kenchreä. Da die Südspitze des Peloponnes für Schiffe sehr gefährlich war, liefen sie meistens einen der Häfen Korinths an. Dort wurde ihre Fracht über Land in den anderen Hafen transportiert und erneut auf Schiffe verladen.

146 v. Chr. wurde die Stadt von den Römern erobert und geschleift, doch aufgrund ihrer strategischen Lage hörte sie nicht ganz zu existieren auf. Doch erst 100 Jahre später, 46 v. Chr., wurde sie wiedererbaut und gewann ihre einstige Bedeutung zurück.

Wie man von einer Stadt, die vom Handel und von Reisenden lebte, erwarten konnte, gab es in Korinth Prostitution und alle möglichen Arten von Laster. Die Stadt war ein Kultzentrum der Aphrodite, der Göttin der Liebe, so daß die Unmoral hier im Namen einer Religion ihr Wesen trieb.

Politisch gesehen war Korinth römische Kolonie und Hauptstadt der Provinz Achaja.

Einen Einblick in Paulus' Gefühle, als er die Stadt betrat, gibt 1Kor 2,1-5 . Seine "Schwachheit", "Furcht" und sein "großes Zittern" gingen wahrscheinlich auf mehrere Faktoren zurück: (1) Paulus kam allein. (2) Die Schwierigkeiten, denen er begegnete, seit er Mazedonien betreten hatte, erfüllten ihn wahrscheinlich mit schlechten Vorahnungen darüber, was ihn in Korinth erwartete (vgl. Apg 18,9-10 ). (3) Korinth war selbst in einer Welt, die dem Laster gegenüber völlig unempfindlich geworden war, berüchtigt für seine sexuelle Freizügigkeit.

Die Tatsache, daß Paulus allein nach Korinth kam, erklärt möglicherweise, warum er dort einige Leute persönlich taufte und diese Aufgabe nicht, wie gewöhnlich, seinen Begleitern überließ (vgl. 1Kor 1,14-17 ).

 

 

Apg 18,2

 

In Korinth traf Paulus Aquila und seine Frau Priszilla . Aquila war Jude und stammte aus Pontus , einer Provinz im Nordosten Kleinasiens, südlich des Schwarzen Meeres. Durch einen Erlaß von Klaudius aus dem Jahr 49 n. Chr., der allen Juden gebot, Rom zu verlassen, aus der italischen Hauptstadt vertrieben, waren Aquila und Priszilla aus geschäftlichen Gründen nach Korinth gekommen. (Klaudius regierte von 41 bis 54 n. Chr.; vgl. die Liste der römischen Kaiser bei Lk 2,1 .Sueton (69? bis 140 n. Chr.), ein Biograph der römischen Kaiser, führte die möglichen Gründe für das Dekret an. In seinem "Leben des Klaudius" (25.4) spricht er von den ständigen Aufständen der Juden auf Betreiben eines gewissen Chrestos. Dieser Name ist möglicherweise ein Hinweis auf Christus.)

Ob Aquila und Priszilla bereits Christen waren, bevor sie Paulus trafen, wissen wir nicht. Daß Aquila als "Jude" bezeichnet wurde, muß nicht bedeuten, daß er Christ war (vgl. Apollos, ein Jude; Apg 18,24 ). Auch daß Paulus bei ihnen wohnte, muß nicht zwangsläufig zu dieser Schlußfolgerung führen; wahrscheinlich blieb er bei ihnen, weil sie - wie er - Zeltmacher waren (V. 3 ).

 

Priszilla wird zweimal vor ihrem Mann Aquila erwähnt (V. 18.26 ; Röm 16,3 ), was vielleicht darauf hindeutet, daß sie aus einer sehr hochgestellten oder adligen Familie stammte.

 

 

Apg 18,3

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sowohl Paulus als auch Aquila und Priszilla waren Zeltmacher . Die Berufsbezeichnung skEnopoioi deutet nach Ansicht mancher Wissenschaftler darauf hin, daß dieses Handwerk auch die Bearbeitung von Leder einschloß. Möglicherweise wurde außer Ziegenhaar, für das Paulus' Heimatprovinz Zilizien berühmt war, auch Leder für die Herstellung von Zelten verwendet.

Wie noch heute im Nahen Osten üblich, befand sich der Laden eines Handwerkers im Erdgeschoß und seine Wohnung in den Stockwerken darüber.

 

 

Apg 18,4

 

Auch in Korinth begann Paulus mit der Evangelisation in der Synagoge (vgl. Apg 9,20;13,5.14;14,1;17,1-2.10.17;18,19;19,8 ).

 

 

Apg 18,5

 

Nach der Ankunft von Silas und Timotheus aus Mazedonien (vgl. Apg 17,14-15 ) widmete er sich ganz der Verkündigung des Wortes ( er richtete sich ganz auf , syneicheto , von synechO , das hier im Passiv "sich genötigt sehen" heißt). Dazu ermutigten ihn folgende Faktoren: (1) Silas und Timotheus brachten ihm offensichtlich finanzielle Unterstützung aus Mazedonien mit (vgl. 2Kor 11,9; Phil 4,15 ), daher hatte er es nicht mehr nötig, seinen Beruf auszuüben und konnte sich ganz der Missionsarbeit widmen. (2) Die guten Nachrichten über die Beständigkeit der Thessalonicher gaben ihm neuen Auftrieb (vgl. 1Thes 3,6-9 ). (3) Auch daß er jetzt nicht mehr allein war, war Paulus wahrscheinlich eine Aufmunterung und Hilfe.

Seine Botschaft deckte sich mit dem, was er auf dem Weg nach Damaskus erfahren hatte: Jesus ist der Christus, d. h. der Messias (vgl. Apg 2,36;3,18.20;17,3;18,28 ).

 

 

Apg 18,6

 

Doch auch in Korinth wandten sich die Juden gegen das Evangelium, woraufhin Paulus sich auch hier den Heiden zukehrte (vgl. Apg 13,7-11.46;14,2-6;17,5;19,8-9;28,23-28 ).

Das Ausschütteln der Kleider entspricht dem Abschütteln des Staubes von den Füßen (vgl. Apg 13,51 ). Mit den Worten "euer Blut komme über euer Haupt" wies Paulus die Korinther auf die Strafe hin, die sie erwartete, und darauf, daß sie ganz allein für ihr Tun verantwortlich waren (vgl. Hes 33,1-6 ).

 

 

Apg 18,7-8

 

Nachdem Paulus die Synagoge verlassen hatte, fand er daneben, im Haus eines Mannes mit Namen Titius Justus , einen Ort, an dem er weiter predigen konnte. Titius Justus war wahrscheinlich Heide, denn er wird als Gottesfürchtiger bezeichnet (vgl. Apg 16,14;17,4 ). Auch Krispus, der Vorsteher der Synagoge, kam zum Glauben an den Herrn mit seinem ganzen Hause. Die Bekehrung von Krispus, der natürlich mit dem Alten Testament vertraut war, war zweifellos der Anlaß, daß auch viele andere Korinther gläubig wurden und sich taufen ließen.

 

 

Apg 18,9-11

 

Die Erscheinung , von der im folgenden die Rede ist, war wahrscheinlich die Antwort auf einige bedrohliche Umstände, denen sich Paulus gegenübersah. Möglicherweise erfolgte sie auf das Gelübde hin, das er abgelegt hatte (vgl. V. 18 und den dortigen Kommentar). Der Herr gebot Paulus in dieser Vision, in Korinth zu bleiben und weiter zu predigen, und versicherte ihm, daß ihm nichts geschehen werde - eine Ermutigung, über die Paulus angesichts der dauernden Angriffe, denen er in den anderen Städten (vgl. Apg 17,5.13 ) und auch in Korinth selbst ( Apg 18,6 ) ausgesetzt war, zweifellos sehr froh war. Er gehorchte der Weisung und blieb dort ein Jahr und sechs Monate (vgl. V. 18 ); das war sein zweitlängster Aufenthalt in einer Stadt, nur in Ephesus war er noch länger gewesen (zwei bis drei Jahre; vgl. Apg 19,10;20,31 ).

Interessanterweise wird in Vers 10 das Wort laos für Volk benutzt, das im allgemeinen das Volk Gottes, Israel, bezeichnet. Es lag also offensichtlich im Plan des Herrn für die Welt, daß die christliche Kirche eine Zeitlang denPlatz seines erwählten Volkes, der Juden, einnehmen sollte (vgl. Röm 11,11-21 ).

 

 

Apg 18,12

 

Die Verse 12 - 17 sind vor allem entscheidend für die apologetische Funktion der Apostelgeschichte. Zunächst einmal deshalb, weil Gallio römischer Proconsul, Statthalter in Achaja , war und ein Urteil, das er fällte, grundsätzlich einen rechtlichen Präzedenzfall schuf. Außerdem war er ein Bruder Senecas (4 v. Chr.? bis 65 n. Chr.), eines berühmten Philosophen, der in Rom großen Einfluß hatte.

Die ungläubigen Juden versuchten weiterhin, Paulus Hindernisse in den Weg zu legen (vgl. V. 6 ). Sie empörten sich einmütig gegen ihn und und führten ihn vor den Richterstuhl .

 

 

Apg 18,13-15

 

Paulus wurde vorgeworfen, die Leute zu überreden, Gott zu dienen dem römischen Gesetz zuwider . Rom hatte die Einführung neuer Religionen verboten; nur das Judentum, eine bereits etablierte Religion, wurde akzeptiert. Nun behaupteten die Juden, das Christentum sei ein neuer Kult, der nichts mit dem Judentum zu tun habe.

Doch Gallio sah es anders. Für ihn gehörte das Christentum zum Judentum. Daher sah er keinen Grund, diese Angelegenheit vor einem römischen Zivilgericht zu erörtern. Dieser Entschluß war von großer Tragweite, denn er war vor dem römischen Gesetz gleichbedeutend mit einer Legalisierung des Christentums.

 

 

Apg 18,16-17

 

Der spontane Ausbruch der Gewalt gegen Sosthenes, den Vorsteher der Synagoge , könnte ein Zeichen für den Antisemitismus, der hinter der glatten Fassade der korinthischen Gesellschaft schwelte, gewesen sein. Die Heiden in Korinth wollten nichts mit den Streitigkeiten der Juden zu tun haben. Sosthenes war offensichtlich als Nachfolger von Krispus Vorsteher der Synagoge geworden und hatte die jüdische Kampagne gegen Paulus angeführt. Möglicherweise handelt es sich hier um denselben Mann, der später Christ wurde (vgl. 1Kor 1,1 ).

Gallio jedenfalls hatte an einem so unbedeutenden Zwischenfall keinerlei Interesse; er mischte sich nicht in religiöse Angelegenheiten, auch dann nicht, wenn es zwischen den streitenden Parteien zu Gewalttätigkeiten kam.

 

 

Apg 18,18

 

Wie lange Paulus sich tatsächlich in Korinth aufhielt, wissen wir nicht. Die 18 Monate, von denen in Vers 11 die Rede war, können vom Zeitpunkt der Erscheinung, die ihm zuteil geworden war (V. 9 - 10 ), gerechnet sein oder auch die ganze Zeit, die er in der Stadt verbrachte (von V. 5 an), bezeichnen.

Danach verließ er Korinth und trat die Rückreise in die Gemeinde an, die ihn ausgesandt hatte, nach Antiochia am Orontes in Syrien. Doch zuvor ließ er sich in Kenchreä , dem südöstlichen Hafen Korinths, sein Haupt scheren, denn er hatte ein Gelübde getan . Wann er dieses Gelübde abgelegt hatte, wird nicht gesagt. Vielleicht geschah es, als er Troas verließ, um nach Mazedonien zu gehen, vielleicht zu Beginn seiner Predigt in Korinth oder, was am wahrscheinlichsten ist, vor der nächtlichen Vision (V. 9 - 10 ). Jedenfalls wollte er eine bestimmte Zeitlang sein Haar wachsen lassen. Jetzt (nach 18 Monaten) war die Zeit des nasiräischen Gelübdes abgelaufen, und er ließ sich in Kenchreä das Haar wieder schneiden (vgl. 4Mo 6,1-21 ).

Josephus berichtete von Juden, die sich unmittelbar nach einem Unglück den Schädel rasierten und 30 Tage lang nicht opferten ( Jüd. Krieg 2. 15. 1). In diesem Fall hätte Paulus sich wahrscheinlich zu Beginn seines Gelübdes die Haare abschneiden lassen. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, daß es sich um ein solches Gelübde handelte, denn an keiner Stelle ist von einer Krankheit oder einer anderen Heimsuchung die Rede (es sei denn, 2Kor 12,7-9 bezieht sich auf diese Stelle).

Während seines Aufenthaltes in Korinth schrieb Paulus den 1. und den 2. Thessalonicherbrief (vgl. die Tabelle bei Apg 13,38-39 ).

 

 

4. Der Abschluß der zweiten Missionsreise

( Apg 18,19-22 )

 

Apg 18,19

 

Priszilla und Aquila begleiteten Paulus nach Ephesus , während Silas und Timotheus offenbar in Mazedonien und Achaja zurückblieben, um die dortigen Gemeinden noch etwas in ihrer Entwicklung zu überwachen. Warum Priszilla und Aquila nach Ephesus gingen, wissen wir nicht; wahrscheinlich wollten sie in der Mission mitarbeiten.

Wie in jeder Stadt war auch dort eine Synagoge, die Paulus aufsuchte und in der er mit den Juden redete (vgl. Apg 9,20;13,5.14;14,1;17,2.10.17;18,4;19,8 ).

 

 

Apg 18,20-21

 

Im Gegensatz zu der hartnäckigen Weigerung der Juden in den anderen Städten, sich dem Glauben zu öffnen, suchten die Juden in Ephesus das Gespräch mit Paulus und hätten ihn gerne länger gehört. Ihn aber drängte es allmählich, in die Heimat zurückzukehren. Manche griechischen Handschriften fügen an dieser Stelle noch ein, daß er es so eilig hatte, nach Jerusalem zu kommen, weil er an einem Fest teilnehmen wollte. Wenn das zutrifft, so ist hier wahrscheinlich das Passafest gemeint.

 

 

Apg 18,22

 

Nachdem er in Cäsarea an der palästinischen Küste gelandet war - von Ephesus aus eine Reise von etwa 750 Kilometern - ging er hinauf nach Jerusalem und grüßte die Gemeinde und ging hinab nach Antiochia . "Hinaufgehen" und "hinabgehen" sind, wenn von Jerusalem die Rede ist, schon beinahe Termini technici, die auf die hohe Lage der Stadt anspielen.

 

 

5. Die Missionierung von Ephesus

( 18,23 - 19,20 ) (Dritte Missionsreise, 18,23 - 21,16)

 

a. Der Anlass für Paulus' dritte Missionsreise

( 18,23 )

 

Apg 18,23

 

Über den ersten Teil der dritten Missionsreise des Paulus berichtet Lukas nur ganz knapp. Es geht ihm diesmal offensichtlich stärker um das Wirken des Apostels in Ephesus. Auf dem Weg dorthin predigte Paulus im galatischen Land und in Phrygien (vgl. Apg 16,6 ), wo er alle Jünger stärkte . Zweifellos waren viele der Gläubigen dort von ihm selbst bei seiner zweiten Missionsreise bekehrt worden. Der Zwischenfall in Apg 18,24-28 dient daher als Einführung in seine Missionsarbeit in Ephesus.

 

 

b. Die Unterweisung des Apollos

( 18,24 - 28 )

 

Diese ( Apg 18,24-28 ) und auch die folgende Episode ( Apg 19,1-7 ) unterstreichen den Übergangscharakter der Anfangsphase der christlichen Kirche. Aus 19,1-7 kann geschlossen werden, daß Apollos die christliche Taufe und damit den Heiligen Geist noch nicht empfangen hatte.

Darüber hinaus ist dieser Abschnitt der Apostelgeschichte ein Beleg dafür, daß das Christentum auf dem Alten Testament und auf dem Wirken des Täufers aufbaut. Die Botschaft des Paulus ist der des Johannes überlegen, so groß die Bedeutung des Täufers auch in der Heilsgeschichte war. Obwohl Johannes' Predigt bis nach Alexandria und Ephesus vordrang, brachte sein Werk doch erst in Christus Früchte.

 

 

Apg 18,24

 

Die Ereignisse in Apg 18,24-28 fanden statt, nachdem Paulus Ephesus verlassen hatte (V. 21 ) und vor seiner Rückkehr dorthin ( Apg 19,1 ). In der Zwischenzeit hatte sich, vermutlich unter dem Einfluß von Aquila und Priszilla, eine Gemeinde gebildet. Zu dieser Gemeinde stieß Apollos, ein Jude aus Alexandria in Nordafrika und äußerst befähigter Mann. Als Jude war er mit der Schrift , d. h. dem Alten Testament, bestens vertraut.

 

 

Apg 18,25

 

Was Apollos über Jesus lehrte, war zwar richtig, aber er besaß noch nicht die volle Erkenntnis. Das bedeutet wahrscheinlich, daß er noch nichts von der Taufe mit dem Heiligen Geist wußte. Die Taufe des Johannes war ein Symbol der Reinigung, nachdem die Menschen Buße getan hatten (vgl. 19,4 ). Die christliche Taufe jedoch ist ein Sinnbild der Einheit mit Christus in seinem Tod, seinem Begräbnis und seiner Auferstehung durch die Taufe des Heiligen Geistes (vgl. Röm 6,3-10; 1Kor 12,13; Gal 3,27; Kol 2,12 ).

 

 

Apg 18,26

 

Statt Apollos in der Öffentlichkeit zurechtzuweisen, nahmen ihn Aquila und Priszilla zu sich und legten ihm den Weg Gottes (vgl. "den Weg des Herrn"; V. 25 ) noch genauer aus .

 

 

Apg 18,27-28

 

Ausgerüstet mit diesem neuen Wissen, überquerte Apollos auf dem Weg nach Achaja (wahrscheinlich nach Korinth, wo Gott seinem Wirken denn großen Segen zuteil werden ließ) die Ägäis. Dort angelangt, widerlegte er kräftig die Juden , indem er ihnen aus der Schrift bewies, daß Jesus der Christus ist . So ging auch Paulus stets vor (V. 5 ). Apollos war so erfolgreich, daß die parteisüchtigen Gläubigen in Korinth eine eigene Partei des Apollos gründeten ( 1Kor 1,12 ). Es gibt jedoch keinerlei Hinweis darauf, daß Apollos selbst die Bildung einer solchen Splittergruppe unterstützte, und Paulus macht ihn auch an keiner Stelle dafür verantwortlich.

 

 

c. Der Einfluss des Evangeliums

( 19,1 - 20 )

 

(1) Die Zwölf ( Apg 19,1-7 )

 

 

Apg 19,1-2

 

Für seine dritte Missionsreise wählte Paulus Ephesus als Stützpunkt. In dieser Stadt stand der Tempel der Artemis, eines der sieben Weltwunder der Antike. Berechnungen anhand der Ruinen ergaben, daß er 70 Meter breit und 127 Meter lang war, also viermal so groß wie der Parthenontempel in Athen. Als Handelszentrum war Ephesus die führende Stadt der Provinz Asien. Die Ruinen der Stadt zeugen noch heute von ihrer einstigen Pracht und Schönheit. Durch den Zufluß des Cayster kam es jedoch zu einer Verschlammung des Hafens, und die Stadt wurde verlassen. Doch zur Zeit des Paulus stand sie auf dem Höhepunkt ihres Ruhms.

Paulus wählte den Weg durch das Hochland (vielleicht eine kürzere Reiseroute). Als er in der Metropole ankam, fand er dort einige Jünger vor. Was genau Lukas mit diesem Ausdruck meinte, wissen wir nicht. Normalerweise benutzte er ihn für Christen; möglicherweise trifft das auch hier zu, denn Paulus fragte sie: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, als ihr gläubig wurdet?

Auch die Antwort der Jünger stellt ein Rätsel dar. Mit den Worten "wir haben noch nie gehört, daß es einen Heiligen Geist gibt" meinten sie vielleicht, daß sie noch nicht davon gehört hatten, daß der Geist ausgegossen worden war oder bei der Taufe empfangen wurde. Eine ähnliche griechische Konstruktion findet sich in Joh 7,39 . Immerhin hatte Johannes der Täuferganz klar das Wirken des Heiligen Geistes vorausgesagt ( Mt 3,11; Mk 1,8; Lk 3,16; vgl. Joh 1,32-33 ).

 

 

Apg 19,3-4

 

Wie Apollos ( Apg 18,25 ) kannten auch die Jünger in Ephesus nur die Taufe des Johannes , das Zeichen der Buße ( Mt 3,2.6.8.11; Mk 1,4-5; Lk 3,8 ). Paulus aber lehrte sie, daß Johannes auf Jesus Christus als den, an den sie glauben sollten , vorausgewiesen hatte ( Mt 3,11-12; Mk 1,7-8; Lk 3,16-17 ).

 

 

Apg 19,5

 

Dies ist die einzige Stelle im Neuen Testament, in der davon die Rede ist, daß jemand sich ein zweites Mal taufen ließ. Das Amt des Johannes war ganz eindeutig antizipatorisch; erst Christus war die Erfüllung aller Dinge.

 

 

Apg 19,6

 

Die Handauflegung fand entweder während der Taufe oder, was wahrscheinlicher ist, danach statt. Unmittelbar darauf kam der Heilige Geist auf die Jünger herab, und sie redeten in Zungen und weissagten . Das Zungenreden in der Apostelgeschichte bestätigt Paulus' Behauptung, daß die "Zungen" "ein Zeichen ... für die Ungläubigen" ( 1Kor 14,22 ) waren. Sie sollten den Menschen helfen, ihren Unglauben zu überwinden. Die Tabelle veranschaulicht den Gebrauch der Zungenrede in der Apostelgeschichte und ihren jeweiligen Zweck.

 

Bemerkenswert ist auch, daß das Kommen des Heiligen Geistes in der Apostelgeschichte keinem bestimmten Schema folgt. Der Geist kommt vor der Taufe ( Apg 10,44 ), während oder nach der Taufe ( Apg 8,12-16;19,6 ) oder auch durch die Handauflegung ( Apg 8,17;19,6 ) auf die Gläubigen herab. Die Apostelgeschichte, die ja nur eine Übergangszeit beschreibt, sollte also nicht als Quelle für eine bestimmte Lehre über das Empfangen des Heiligen Geistes herangezogen werden (vgl. den Kommentar zum Zungenreden; 1Kor 13,8-14,25 ). Doch auf jeden Fall lehrte Paulus ( Röm 8,9 ), daß jemand, der den Heiligen Geist nicht empfangen hat, kein Christ ist.

 

 

Apg 19,7

 

Der Verweis auf zwölf Männer impliziert nicht, wie manche Forscher annehmen, daß die christliche Kirche das neue Israel ist. Wenn der Zahl überhaupt eine besondere Bedeutung beizumessen ist, dann die, daß Israel die Fülle des Geistes erst noch erfahren wird (vgl. Hes 36,26-27; Joe 3,1-5; Sach 12,10-14 ).

 

 

Apg 19,8

 

(2) In der Synagoge

 

Gemäß seinem Versprechen ( Apg 18,21 ) kehrte Paulus in die Synagoge in Ephesus zurück und predigte frei und offen drei Monate lang . Diese drei Monate ungestörter Verkündigung in einer Synagoge waren ein Rekord für ihn. Vielleicht hatte die kosmopolitische Atmosphäre der Stadt die Juden, die dort lebten, toleranter gemacht (zum Freimut der Apostel vgl. den Kommentar zu Apg 4,13 ).

Der Inhalt seiner Predigt war das Reich Gottes , das die Person und das Wirken Christi einschloß, aber offensichtlich auch seine tausendjährige Herrschaft antizipierte (vgl. Apg 1,3.6 ).

 

 

Apg 19,9

 

(3) In der Schule des Tyrannus ( Apg 19,9-12 )

 

Doch auch in Ephesus zeigte sich wieder, wenn auch später als sonst, der übliche Widerstand der Juden gegen das Evangelium (vgl. Apg 18,6 ). Diesmal verleumdeten sie die Lehre (vgl. Apg 9,2;19,23;22,4;24,14.22 ) vor der Menge. Daher trennte Paulus sich von ihnen .

Er nahm auch die Jünger mit sich und redete von nun an täglich in der Schule des Tyrannus . Anscheinend hatte dieser einen Vorlesungssaal, den er reisenden Lehrern zur Verfügung stellte. Eine griechische Handschrift fügt noch hinzu, daß die Schule von 11 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags zugänglich war, also dann, wenn die meisten Menschen ihr Mittagessen einnahmen und Mittagsruhe hielten. Diese Überlieferung ist wahrscheinlich korrekt. Den übrigen Teil des Tages arbeitete Paulus in seinem Beruf, um finanziell unabhängig zu sein ( Apg 20,34 ).

 

 

Apg 19,10

 

Zwei Jahre lang predigte Paulus in Ephesus. Nach Apg 20,31 hielt er sich allerdings insgesamt drei Jahre dort auf. Da nach der damaligen jüdischen Zeitrechnung eine angebrochene Zeiteinheit als ganze gerechnet wurde, lebte er also wohl zwischen zwei und drei Jahren in der Stadt.

Seine Arbeit war so erfolgreich, daß das Evangelium sich in der ganzen P rovinz Asien , an der Westküste der heutigen Türkei, ausbreitete. In dieser Zeit wurden auch die Gemeinden in Kolossä, Laodizea und Hierapolis gegründet ( Kol 4,13 ). Manche Forscher sind der Ansicht, daß damals der Grundstein zu allen sieben Gemeinden gelegt wurde, von denen in Offb 2-3 die Rede ist, doch das läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.

 

 

Apg 19,11-12

 

Die Taten des Apostels, von denen hier berichtet wird, gleichen den von Petrus vollbrachten Wundern (vgl. Apg 5,15-16 ). Ganz eindeutig lag Gottes mächtige und segnende Hand auch auf Paulus. Die wundertätigen Kräfte der Schweißtücher und anderen Tücher versinnbildlichten offenbar die Macht, die Gott ihm verliehen hatte. Es muß jedoch festgehalten werden, daß sie aus sich selbst heraus keinerlei magische Kräfte besaßen und es daher keine Grundlage dafür gibt, derartige Wunder heute wiederholen zu wollen. Wie es auch sonst in der Apostelgeschichte meist der Fall ist, dienten die Wunder zur Bestätigung der Werke des Apostels ( Apg 2,43;4,30;5,12;6,8;8,6.13;14,3;15,12; vgl. 2Kor 12,12; Hebr 2,3-4 ).

Die Erwähnung der bösen Geister leitet zum nächsten Zwischenfall über ( Apg 19,13-20 ).

 

 

Apg 19,13

 

(4) Exorzismus und Zauberei ( 19, 13 - 20 )

 

Einige reisende jüdische Exorzisten, die offensichtlich mit den unterschiedlichsten Zaubersprüchen und Methoden arbeiteten, versuchten, im Namen des Herrn Jesus Dämonen auszutreiben.

 

 

Apg 19,14

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Angabe, daß Skeva ein jüdischer Hoherpriester war, bezieht sich wohl einfach auf eine Prahlerei und Amtsanmaßung dieses Mannes. Wenn er jedoch tatsächlich Hoherpriester gewesen sein sollte, so hatten seine sieben Söhne sich von Gott abgekehrt und hatten sich exorzistischen Praktiken ergeben.

 

 

Apg 19,15

 

Einige Aufmerksamkeit verdienen die Variationen der Verben für "kennen, wissen", die der böse Geist (d. h. der Dämon) hier verwendete. Er sagte: Jesus kenne ( ginOskO , "aus der Erfahrung kennen") ich wohl, und von Paulus weiß ( epistamai , "wissen, verstehen") ich wohl. Aber von den Söhnen Skevas hatte er nicht gehört.

 

 

Apg 19,16

 

Statt von seinem Dämon befreit zu werden, zeigte der Besessene auf einmal übernatürliche Kräfte. Er überwältigte alle sieben ( amphoterOn bedeutet normalerweise "beide", kann jedoch auch "alle" heißen) und richtete sie so schrecklich zu, daß sie nackt und verwundet aus dem Haus flohen . Dämonen können den Menschen, von denen sie Besitz ergriffen haben, manchmal ungewöhnliche Körperkräfte verleihen (vgl. Mk 5,3-4 ).

 

 

Apg 19,17-18

 

Daraufhin fürchteten sich ( phobos , kann auch Ehrfurcht heißen) sowohl die Juden als auch die Heiden (vgl. Apg 5,5 ), und der Name des Herrn Jesus wurde hoch gelobt (im Gegensatz zum Versuch des Mißbrauchs seines Namens durch die Exorzisten; vgl. Apg 19,13 ). Auch viele Christen, die der Zauberei und spiritistischen Praktiken verfallen waren, bekannten und verkündeten, was sie getan hatten . Das mit "getan" übersetzte Wort, praxeis , ist ein Hinweis auf Zaubersprüche und -formeln. Wenn Exorzisten ihre Geheimnisse preisgaben, verloren sie ihre Macht.

 

 

Apg 19,19

 

Sie brachten auch die Bücher zusammen und verbrannten sie öffentlich . In der Zauberei versuchten die Menschen, mit Hilfe von Dämonen Macht über andere zu erlangen. Das mit "Silbergroschen" (Drachmen) übersetzte Wort lautete ursprünglich einfach argyriou , "Silber"; der genaue Wert der fünfzigtausend Silbergroschen ist daher nicht mehr festzustellen, doch es handelte sich mit Sicherheit um eine sehr große Summe.

 

 

Apg 19,20

 

Die solcherart gereinigte Kirche wuchs rasch und gewann beträchtlichen Einfluß. (Von der Ausbreitung des Wortes Gottes ist auch in Apg 6,7;12,24; und Apg 13,49 die Rede.) Mit dem sechsten "Verlaufsbericht" schließt Lukas diesen Abschnitt seines Buches (vgl. Apg 2,47;6,7;9,31;12,24;16,5;28,30-31 ).

Apostelgeschichte

 

D. Die Ausbreitung der Kirche in Rom

( 19,21 - 28,31 )

 

1. Der Abschluß der dritten Missionsreise

( 19,21 - 21,16 )

 

a. Der Aufruhr in Ephesus

( 19,21-41 )

 

Apg 19,21

 

Dieser Vers bestimmt wie ein Leitmotiv die folgenden Kapitel der Apostelgeschichte. Paulus' Sinnen und Trachten ist von nun an ganz auf Rom gerichtet. Er plante, auf dem Weg über Jerusalem nach Rom und von dort aus weiter nach Spanien zu gehen ( Röm 1,15; Röm 15,22-24 ). Lukas erwähnt dieses letzte Reiseziel nicht, denn ihm ging es in der Hauptsache um die Ausbreitung des Evangeliums bis nach Rom, dem Zentrum der damaligen Welt. Nach Ansicht mancher Exegeten ist das Lukasevangelium ganz auf Jerusalem konzentriert, während die Apostelgeschichte die Ausbreitung der Botschaft von Jerusalem aus nach Rom beschreibt. In diesen beiden Städten scheint der Anfangs- und Endpunkt der Apostelgeschichte zu liegen.

Die Worte "Paulus nahm sich im Geist vor" scheinen sich entweder auf Paulus selbst oder aber auf den Heiligen Geist zu beziehen. Da das Verb jedoch "er hatte vor" und nicht "er wurde geführt" bedeutet, ist wahrscheinlich von einem eigenen Entschluß von Paulus die Rede.

Zunächst wollte er jedoch die Gemeinden in Mazedonien und Achaja besuchen, um sie zu stärken und um die Spenden für die Heiligen in Jerusalem einzusammeln.

 

 

Apg 19,22

 

An dieser Stelle betritt erneut Timotheus , den wir zuletzt mit Paulus in Korinth antrafen ( Apg 18,5 ), die Bühne des Geschehens. Er und Erastus wurden nach Mazedonien gesandt, offensichtlich, um Paulus' Ankunft vorzubereiten. (Erastus wird auch in 2Tim 4,20 erwähnt.)

 

 

Apg 19,23-24

 

Vor der Abreise des Paulus aus Ephesus - wie um ihm den Entschluß, die Stadt zu verlassen, zu erleichtern - gab es noch einen Aufruhr. (Zu dem neuen Weg vgl. den Kommentar zu Apg 9,2 .)

Nur zweimal in der Apostelgeschichte traf Paulus auf Widerstand von seiten der Heiden : an dieser Stelle und im Fall der Magd mit dem Wahrsagegeist in Philippi ( Apg 16,16-24 ). Beide Male ging es um finanzielle Interessen.

Zwei Göttinnen in Kleinasien führten den Namen Artemis ( Diana ). Die von den Griechen verehrte jungfräuliche Göttin der Jagd, die römische Diana, und die Artemis der Epheser, eine Fruchtbarkeitsgöttin, die auf ihren Abbildungen und Statuen stets mit vielen Brüsten dargestellt ist. Wahrscheinlich war die ursprüngliche "Statue" ein Meteorit, der in seiner Form einer Frau mit vielen Brüsten ähnelte (vgl. Apg 19,35 ).

Die Goldschmiede , die Statuen ( silberne Tempel ) dieser Gottheit anfertigten, befürchteten, daß die Macht des Evangeliums ihnen das Geschäft verderben würde.

 

 

Apg 19,25-27

 

Demetrius (V. 24 ), ein Goldschmied, rief die Angehörigen seiner Zunft zusammen und appellierte sowohl aus geschäftlichen ( unser Gewerbe droht in Verruf zu geraten ) als auch aus religiösen Gründen ( der Tempel der großen Göttin Diana wird für nichts geachtet werden ) an sie, Paulus das Handwerk zu legen. Die religiösen Gründe waren allerdings wohl nur ein Vorwand, den Beteiligten ging es in erster Linie um ihre finanziellen Interessen. Die Diana der Epheser wurde auch in vielen anderen Städten verehrt. Paulus' Standpunkt, daß mit den Händen gemachte Götzen keine Götter seien, bedrohte nun anscheinend das einträgliche Gewerbe der Goldschmiede in Ephesus.

 

 

Apg 19,28-29

 

Von Demetrius aufgestachelt, stürmten sie einmütig zum Theater , dem größten Versammlungsort der Stadt, in dem 25 000 Menschen Platz fanden. Als Zeichen ihres Widerstands ergriffen sie Gajus und Aristarch (vgl. Apg 20,4 ). Gajus war in damaliger Zeit ein weitverbreiteter Name; daher wissen wir nicht genau, ob es sich um denselben handelte, von dem in Röm 16,23 und 1Kor 1,14 die Rede ist. Aristarch wird außer an dieser Stelle noch in Apg 20,4 und Apg 27,2 erwähnt. Offensichtlich entkamen die beiden diesem Aufstand ohne oder mit nur geringen Verletzungen.

 

 

Apg 19,30-31

 

Diese Verse sind nicht nur ihrer direkten Aussage wegen wichtig, sondern auch wegen ihrer Implikationen. Paulus war bereit, das Evangelium zu verteidigen und sich dem Volk zu stellen, doch die Christen ließen ihn nicht. Auch einige der Oberen der Provinz Asien rieten ihm davon ab. Sie waren als Asiarchen (wörtlich "Herrscher über Asien") mit den politischen und religiösen Angelegenheiten der Stadt betraut. Wahrscheinlich hatten sie auch gute Beziehungen zu Rom, was wiederum beweist, daß das Christentum durchaus nicht immer schlecht mit der römischen Verwaltung stand.

 

 

Apg 19,32-34

 

In diesem Abschnitt tritt Lukas' Sinn für Humor ganz deutlich zutage. Die meisten wußten nicht, warum sie zusammengekommen waren . Da die Juden Monotheisten waren und jede Form von Götzendienst heftig bekämpften, schickten sie Alexander vor , der einen öffentlichen Widerruf vorbringen sollte: Sie waren nicht schuld daran, daß der Handel mit den Bildern der Artemis rückläufig war! Doch der Antisemitismus gewann die Oberhand, der Mob weigerte sich, einem Juden überhaupt zuzuhören, und alles schrie wie aus einem Munde fast zwei Stunden lang: Groß ist die Diana der Epheser!

 

 

Apg 19,35-39

 

Der Begriff Kanzler ( grammateus , wörtlich "Schreiber") wird der Stellung dieses Mannes ganz gut gerecht. Er war praktisch die Exekutive der Stadt; wenn er auftrat, hörten die Menschen zu.

Zunächst sprach er über die Stellung von Ephesus als Hüterin der großen Diana und ihres Bildes, das vom Himmel gefallen ist . Der Nachsatz war wahrscheinlich eine milde Zurechtweisung angesichts der Aussage von Vers 26 , daß mit Händen gemachte Götter keine Götter sind. Diana, so argumentierte er, war eben nicht mit Händen gemacht. Warum sollten sie sich also von Paulus' Worten getroffen fühlen? Zweitens hielt er der Menge vor Augen, daß Gajus und Aristarch unschuldig waren, womit er gleichzeitig auch Paulus von jedem Vorwurf freisprach (V. 37 ). Drittens wies er die Menschen auf die legalen Wege, sich Gehör zu verschaffen, hin - die Gerichte und Statthalter und eine ordentliche Versammlung (V. 38 - 39 ). Diese Versammlung war jedenfalls nicht legal.

 

 

Apg 19,40-41

 

Schließlich warnte der nicht mit Namen genannte Beamte die Leute noch vor den politischen Folgen einer Empörung in der Stadt. Es würde ihnen schwerfallen, Rom diesen Aufruhr zu erklären, und die Stadt lief Gefahr, einige ihrer Privilegien einzubüßen. So wurde Paulus von jeglichem religiösen und auch politischen Vorwurf freigesprochen.

Während seines Aufenthalts in Ephesus schrieb Paulus den 1. Korintherbrief sowie einen früheren Brief an die Korinther, der nicht zum biblischen Kanon gehört (vgl. 1Kor 5,9 ). Außerdem machte er einen dritten Besuch in Korinth, von dem in der Apostelgeschichte nicht berichtet wird (vgl. 2Kor 12,14;13,1; vgl. "Persönliche und briefliche Kontakte" in der Einführung zum 2. Korintherbrief).

 

 

b. Die Abreise aus Mazedonien und Achaja

( 20,1 - 6 )

 

Apg 20,1-2

 

Auf diesen Teil der dritten Missionsreise geht Lukas wieder nur kurz ein. Der 2. Korintherbrief ( 2Kor 2,12-13 und 2Kor 7,5-7 ) enthält weitere Informationen über Paulus' Zwischenaufenthalt in Troas, wo er ebenfalls das Evangelium verkündete, und über seinen sehnlichen Wunsch, dort Titus zu sehen, um Nachricht über die Gemeinde in Korinth zu erhalten. Er traf ihn jedoch erst in Mazedonien (vgl. Apg 19,21 ), wo er dann auch den 2. Korintherbrief schrieb.

Auf dieser Reise gelangte Paulus wahrscheinlich sogar bis nach Illyrien, dessen Gebiet in etwa dem heutigen Jugoslawien entspricht ( Röm 15,19; vgl. 2Kor 10,13 ), und predigte auch dort das Evangelium.

 

 

Apg 20,3

 

Während seines dreimonatigen Aufenthalts in Achaja schrieb er außerdem von Korinth aus den Römerbrief (vgl. Röm 15,23- Röm 16,2 ).

Die Juden planten offensichtlich, Paulus auf der Schiffsreise nach Syrien zu ermorden und seine Leiche ins Meer zu werfen. Doch irgendwie hatte er von der Verschwörung erfahren und beschloß, nicht den direkten Weg über das östliche Mittelmeer zu nehmen, sondern durch Mazedonien zurückzukehren . Wahrscheinlich hatte er vorgehabt, zum Passafest in Jerusalem zu sein; jetzt konnte er nur noch hoffen, rechtzeitig zu Pfingsten dort einzutreffen ( Apg 20,16 ).

 

 

Apg 20,4-6

 

Die Erwähnung der sieben Männer, die Paulus begleiteten, zeigt seine Sorge um die Sammlung für die Armen in Jerusalem, von der zuvor schon die Rede war. Als Abgeordnete mehrerer Gemeinden trugen sie eine größere Summe Geldes bei sich. Drei der Männer ( Sopater, Aristarch und Sekundus ) kamen aus Mazedonien und vier aus Kleinasien ( Gajus, Timotheus, Tychikus ; vgl. Eph 6,21; Kol 4,7; 2Tim 4,12; Tit 3,12; und Trophimus ; vgl. Apg 21,29; 2Tim 4,20 ). In Troas wollten sie sich mit Paulus treffen. Laut Apg 19,29 stammte Gajus "aus Mazedonien", in Apg 20,4 wird jedoch gesagt, er komme aus Derbe . Es handelte sich also wohl um zwei verschiedene Männer (vgl. einen dritten Gajus aus Korinth; 1Kor 1,14 ).

Die Verse 5.6 enthalten die zweite "wir"-Passage der Apostelgeschichte. Lukas, der in Kap. 16 in Philippi zurückgelassen worden war, hatte sich anscheinend bis jetzt dort aufgehalten. Nun schloß er sich der Gruppe wieder an und begleitete Paulus nach Jerusalem. Das Fest der Ungesäuerten Brote fand im Frühling statt. Sie legten die etwa 220 Kilometer lange Reise von Philippi nach Troas in fünf Tagen zurück.

 

 

c. Die Predigt in Troas

( 20,7 - 12 )

 

Apg 20,7

 

An dieser Stelle findet sich der eindeutigste Hinweis im Neuen Testament, daß der Sonntag der Versammlungstag der apostolischen Kirche war. Paulus blieb sieben Tage in der Stadt (V. 6 ), und die Gemeinde traf sich am ersten Tag der Woche . Lukas benutzt an dieser Stelle nicht die jüdische Zeitrechnung, die von Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang, sondern die römische, die von Mitternacht zu Mitternacht rechnet. Diesmal steht das zweifelsfrei fest, denn der "Tagesanbruch" (V. 11 ) war der nächste Tag (V. 7 ).

Wahrscheinlich traf sich die Gemeinde nachts, weil die meisten Leute tagsüber arbeiten mußten. Da Paulus sie am nächsten Tag verlassen wollte, war es wohl ihr letztes Treffen, und er predigte bis Mitternacht .

 

 

Apg 20,8-10

 

Die einschläfernde Atmosphäre im Raum wurde durch die vielen brennenden Lampen und die vielen Menschen noch verstärkt. Der Sauerstoff im Zimmer war also wohl allmählich sehr verbraucht.

Da passierte einem jungen Mann mit Namen Eutychus (wörtlich: "der Glückliche") ein Unglück: er stürzte aus dem Fenster. Doch er machte dabei seinem Namen alle Ehre. Lukas, der Arzt, bestätigt, daß er, nachdem er vom dritten Stock hinuntergefallen war, tot aufgehoben wurde . Die größeren Räume, in denen auch Versammlungen abgehalten werden konnten, befanden sich normalerweise in den oberen Stockwerken (vgl. den Kommentar zu Apg 1,13 ). Wie Elia und Elisa ( 1Kö 17,21; 2Kö 4,34-35 ) umfing Paulus Eutychus und erweckte ihn auf diese Weise wieder zum Leben . Der glückliche junge Mann (vgl. V. 9 ) wurde "lebend hereingebracht" (V. 12 ).

 

Apg 20,11-12

 

Das Herrenmahl ( brach das Brot und aß ; vgl. V. 7 ) war ein Bestandteil der normalen Abendmahlzeit. Das Treffen dauerte dann noch bis Tagesanbruch.

 

 

d. Die Predigt in Milet

( 20,13 - 38 )

 

Apg 20,13-15

 

Offensichtlich blieb Paulus länger in Troas, als er geplant hatte (V. 7 ). Um die Verzögerung wieder wett zu machen, sandte er den Rest der Gruppe voraus. Der Landweg von Troas nach Assos ist sehr viel kürzer als der Seeweg, daher konnte Paulus es sich erlauben, noch länger in Troas zu bleiben. Von Assos, wo die Gruppe Paulus wieder traf, fuhren sie nach Mitylene, Chios, Samos und Milet . Die drei letzten Etappen lagen jeweils eine Tagesreise auseinander.

 

 

Apg 20,16-17

 

In Ephesus machte Paulus diesmal nicht mehr Halt, denn er eilte, am Pfingsttag in Jerusalem zu sein, wenn es ihm möglich wäre , und er wußte, daß er durch den Abschied von seinen vielen Freunden in Ephesus viel Zeit verlieren würde. Milet lag etwa 50 Kilometer südlich von Ephesus, daher sandte er nach Ephesus und ließ die Ältesten der Gemeinde rufen . Offensichtlich lag sein Schiff mehrere Tage im Hafen von Milet fest.

 

 

Apg 20,18

 

Hier beginnt eine weitere Beispielspredigt des Paulus (vgl. Apg 13,16-41;14,15-17;17,22-31 ). Diesmal sprach er zu Gemeindeältesten, Männern, die er sehr schätzte. Die Ansprache besteht aus drei Teilen: (a) einer Übersicht über die vergangenen drei Jahre seines Wirkens in Ephesus ( Apg 20,18-21 ), (b) einer Beschreibung der gegenwärtigen Lage (V. 22 - 27 ) und (c) der zukünftigen Pflichten der Ältesten in Ephesus (V. 28 - 35 ).

 

 

Apg 20,19

 

Wie immer hatten die Juden auch in Ephesus eine Verschwörung gegen Paulus angezettelt (der Aufruhr, von dem in Apg 19 die Rede ist, war allerdings unter den Heiden entstanden). Lukas spricht hier von Nachstellungen der Juden, geht aber nicht näher darauf ein (vgl. Paulus' Worte in 1Kor 15,30-32;16,9; 2Kor 1,8-10 ).

 

 

Apg 20,20

 

Das Predigen und Lehren von Paulus in den Häusern (vgl. Apg 2,46 ) wird seinen öffentlichen Auftritten gegenübergesetzt und bezieht sich wahrscheinlich auf die Hausgemeinden. Wenn ja, so war jeder dieser Ältesten möglicherweise ein Vorsteher einer solchen Hausgemeinde.

Apostelgeschichte

 

Apg 20,21

 

Im griechischen Text sind die Worte Umkehr und Glaube dadurch zusammengefaßt, daß sie nur einen Artikel haben. Damit soll vielleicht deutlich gemacht werden, daß sie zwei Aspekte des Vertrauens auf Christus zum Ausdruck bringen (vgl. Apg 2,38 ). Wer an Christus glaubt, der wendet sich von seinem früheren Unglauben ab und kehrt um. Diese Botschaft gilt sowohl für Juden als auch für Griechen (d. h. Heiden; vgl. Apg 19,10; Gal 3,28 ).

 

 

Apg 20,22

 

Hier begann Paulus mit der Schilderung der gegenwärtigen Umstände (V. 22 - 27 ). Die Wendung "durch den Geist gebunden" ( dedemenos...tO pneumati ), bezog sich wahrscheinlich auf die Leitung des Heiligen Geistes, die dem Apostel immer wieder zuteil wurde (vgl. Lk 2,27; Lk 4,1; Apg 8,29;10,19;11,12;16,6-7 ). Der Grund, warum Paulus nach Jerusalem fahren wollte, wird zwar nicht genannt, doch offensichtlich lag ihm daran, die Spenden der heidnischen Gemeinden für die Armen in Jerusalem persönlich zu überbringen ( Apg 24,17; vgl. den Kommentar zu Apg 21,12-14 ).

  

 

Apg 20,24-25

 

Wenn diese Verse zusammen gelesen werden, wird klar, daß die Predigt vom Gottesreich und die Predigt des Evangeliums von der Gnade Gottes zusammengehören. Gottes Werk der Gnade ermöglicht es den gläubigen Heiden, gerettet zu werden und ins Tausendjährige Reich des Herrn einzugehen.

Weil Paulus vor der Reise nach Jerusalem gewarnt worden war (V. 23 ), schloß er seine Predigt damit, daß die Ältesten aus Ephesus ihn nicht mehr sehen würden. Die griechische Formulierung besagt dabei nur, daß sie als Gruppe ihn nicht wiedersehen würden ( ihr alle (als Gruppe) werdet mein Angesicht nicht mehr sehen ). Paulus sagte also nicht , daß kein einziger von ihnen ihn wiedersehen würde (vgl. den Plural des Verbes in V. 38 ). Es war sein Bestreben, "den Lauf zu vollenden", was ihm, wie er später sagte, auch gelang ( 2Tim 4,7 ).

 

 

Apg 20,26-27

 

In Übereinstimmung mit Hes 33,1-9 erklärte Paulus, daß er rein sei vom Blut aller (vgl. den Kommentar zu Apg 18,6 ). Er hatte "allen" (vgl. "allen Juden und Griechen, die in der Provinz Asien wohnten"; Apg 19,10 ) das Evangelium, d. h. den ganzen Ratschluß ( boulEn , "Zweck, Plan", vgl. Apg 2,23;4,28;13,36; Eph 1,11; Hebr 6,17 ) Gottes gepredigt. Interessanterweise benutzte Paulus mehrere unterschiedliche Worte für seine Missionarsrolle: (a) verkündigen (V. 27 ), das von anangellO ("verkündigen, ankündigen") abstammt; (b) "lehren" (von didasko, V. 20 ); (c) "bezeugen" (V. 21.24 ), das von diamartyromai ("feierlich Zeugnis ablegen") kommt; und (d) bezeugen ( martyromai , "zeugen", V. 26 ).

 

 

Apg 20,28

 

In Vers 28 - 35 kam Paulus dann auf die zukünftige Verantwortung der Ältesten in Ephesus zu sprechen. Zuallererst sollten sie auf sich selbst und ihre ganze Herde achthaben ( prosechete , "sorgen für"). Bezeichnenderweise mußten sie, bevor sie sich um die anderen kümmern konnten, zunächst einmal darauf achten, wie es um ihren eigenen Glauben stand.

An dieser Stelle werden die Ältesten Bischöfe ( episkopous , von episkopeO , "sehen nach, sorgen für") genannt. Der Begriff "Älteste" ist jüdischen Ursprungs und hebt die Würde des Amtes hervor, wohingegen die Bezeichnung "Bischöfe" aus dem Griechischen stammt und die Verantwortung des Amtes, nämlich für die Herde "zu sorgen", in den Mittelpunkt stellt.

Paulus unterstrich den Wert der Herde, über die die Ältesten als Hirten ( poimainein ; Infinitiv Präsens; vgl. 1Pet 5,2 ) eingesetzt wurden, indem er sie als Gemeinde Gottes (d. i. die Kirche, die Gott gehört) bezeichnete und darauf hinwies, daß Gott sie durch sein eigenes Blut erworben habe (vgl. Ps 74,2 ). Die Bibel spricht allerdings nirgendwo vom Blut des Vaters. Der griechische Urtext erlaubt hier auch die Lesart "durch das Blut seines Eigentums", d. h. seines Sohnes.

 

 

Apg 20,29-31

 

Diese Verse erklären, warum Paulus den Ältesten ihr eigenes Wohl und das der Herde so sehr ans Herz legen mußte (V. 28 ). Falsche Lehrer, reißende Wölfe, würden kommen und die Herde nicht verschonen , ja sogar Männer aus ihrer Mitte würden Verkehrtes lehren . Diese Warnung wird durch die Verweise auf die Vorgänge in der Gemeinde in Ephesus, die wir im Neuen Testament finden, bestätigt ( 1Tim 1,6-7.19.20;4,1-7; 2Tim 1,15;2,16-18;3,1-9; Offb 2,1-7 ). Nochmals forderte Paulus die Ältesten auf: Seid wachsam! und warnte sie sogar unter Tränen (vgl. Apg 20,19 ) vor falschen Lehrern.

 

 

Apg 20,32

 

Danach empfahl er sie zunächst Gott und dann dem Wort seiner Gnade . Obwohl das Vertrauen auf Gott das Entscheidende ist, muß es doch auch von Gehorsam gegenüber seinem Wort begleitet werden. Erst beides zusammen führt zum Aufbau der Kirche ( euch zu erbauen ) und macht die Gläubigen mit allen, die geheiligt sind, zu Erben (vgl. Apg 26,18; Eph 1,18; Kol 1,12; 1Pet 1,4 ).

 

 

Apg 20,33-34

 

Paulus hatte stets selbst für seinen und den Unterhalt seiner Begleiter gesorgt (vgl. Apg 18,3; Eph 4,28 ).

Apostelgeschichte

 

Apg 20,35

 

Diese harte Arbeit hatte es ihm auch ermöglicht, sich der Schwachen anzunehmen (vgl. 1Thes 5,14 ). Das Jesuswort "geben ist seliger denn nehmen" findet sich in den vier Evangelien nicht. Es handelt sich dabei wohlum eine mündliche Überlieferung, die auf die Urkirche überkommen war.

 

 

Apg 20,36-38

 

Hier zeigt sich die tiefe Liebe der Ältesten zu Paulus. Auf der Weiterreise nach Jerusalem ( Apg 21,1-17 ) werden noch mehr Beweise der Zuneigung, die die Menschen ihm entgegenbrachten, erwähnt. Warum verweilt Lukas so lange bei diesen Einzelheiten? Er wollte auf diese Weise den Gegensatz zwischen der Aufnahme, die Paulus bei den Heiden zuteil geworden war, und dem Empfang, den er in Jerusalem fand, deutlich machen.

 

 

e. Die Warnungen auf dem Weg von Milet nach Jerusalem

( 21,1 - 16 )

 

Apg 21,1

 

Auch jede dieser Etappen zu Schiff - von Kos nach Rhodos und Patara - nahm einen Tag in Anspruch (vgl. Apg 20,13-15 ).

 

 

Apg 21,2

 

Statt mit einem Boot, das jeden Abend einen Hafen anlief, reiste Paulus mit einem Schiff, das offensichtlich größer war und ohne Unterbrechung nach Phönizien segelte.

 

 

Apg 21,3-4

 

Auf dem Weg nach Süden kam Zypern in Sicht , doch sie fuhren daran vorbei nach Syrien und landeten in Tyrus, denn dort sollte das Schiff die Ware ausladen , ein Unterfangen, das eine Woche in Anspruch nahm (V. 4 ). Die Verfolgungen, denen die Urkirche in Jerusalem ausgesetzt war, hatte viele Gläubige nach Phönizien verschlagen ( Apg 11,19 ), wo Paulus sie nun besuchte.

Die sagten Paulus durch den Geist, er solle nicht nach Jerusalem hinaufziehen. Tat Paulus also das Falsche, wenn er auf seinem Vorhaben bestand? Mehrere Gründe sprechen dafür, daß er mit seiner Beharrlichkeit im Recht war: (1) Apg 20,22 und 21,14 implizieren, daß es trotz allem der Wille Gottes war, daß er nach Jerusalem ging (vgl. Apg 19,21 ). (2) Der Trost, den Gott ihm zukommen ließ ( Apg 23,11 ), bestätigt ebenfalls, daß er nicht gegen seinen Willen handelte. (3) In 23,1 sagt Paulus, daß er stets ein reines Gewissen hatte.

Die Warnung seiner Glaubensgenossen ( Apg 21,4 ) bedeutete also wohl nur, daß sie "durch den Geist" wußten, daß er in Jerusalem leiden werde (vgl. Apg 20,23 ), und deshalb natürlich versuchten, ihn von der Reise abzuhalten.

 

 

Apg 21,5-6

 

Das war Paulus' erste Begegnung mit der Gemeinde in Tyrus, und bereits nach einer Woche hatte sich ein starkes Band der Liebe zwischen ihnen entwickelt. Die Abschiedsszene ist zwar nicht so ergreifend wie die in Milet ( Apg 20,37 ), aber dennoch beeindruckend.

 

Apg 21,7

 

Dann fuhr das Schiff etwa 30 Kilometer in Richtung Süden, nach Ptolemaïs , dem heutigen Akre oder Akka, wo es einen Tag vor Anker lag. Wahrscheinlich setzte sich auch die dortige Gemeinde, wie die in Tyrus , aus Leuten zusammen, die den Verfolgungen in Jerusalem, von denen in Apg 11,19 die Rede war, entronnen waren.

 

 

Apg 21,8-9

 

Ob sie die 60 Kilometer nach Cäsarea zu Land oder mit dem Schiff zurücklegten, wissen wir nicht genau, doch wahrscheinlich wählten sie das letztere, da der Landweg sehr viel mehr Schwierigkeiten bot und Cäsarea einen günstig gelegenen Hafen hatte.

In Cäsarea wohnte Paulus bei Philippus dem Evangelisten. Er war einer der Sieben (vgl. Apg 6,1-5 ), die in Jerusalem als Finanzverwalter eingesetzt worden waren. Seine evangelistische Arbeit ist in Kap. 8 beschrieben. Offensichtlich lebte er bereits 20 Jahre in Cäsarea, der "römischsten" Stadt Israels (vgl. Apg 8,40 ), als Paulus dort eintraf.

Der hatte vier unverheiratete Töchter ( parthenoi , wörtlich: "Jungfrauen"), die weissagten . Diese Geistesgabe, die in der Frühzeit der Kirche offensichtlich noch vorkam, war nicht auf Männer beschränkt (vgl. 1Kor 11,5 ). Daß diese Mädchen, im Gegensatz zu all den anderen Propheten, nicht von Paulus' bevorstehenden Leiden in Jerusalem sprachen, ist überraschend.

 

 

Apg 21,10-11

 

Agabus, ein Prophet , der bereits in Apg 11,28 eingeführt wurde, kam aus Judäa herab - offensichtlich aus Jerusalem. Er demonstrierte mit einer eindrucksvollen Pantomime, wie es Paulus in Jerusalem ergehen würde.Schon im Alten Testament hatten die Propheten ihre Weissagungen häufig bildlich dargestellt (vgl. 1Kö 11,29-31; Jes 20,2-4; Jer 13,1-7; Hes 4 ). Die Tatsache, daß Paulus ins Gefängnis geworfen würde, war außer ihm selbst also noch mehreren Menschen bekannt ( Apg 20,23 ).

 

 

Apg 21,12-14

 

Nachdem sie diese Prophezeiung vernommen hatten, baten Paulus' Gefährten und die aus dem Ort ihn, daß er nicht hinauf nach Jerusalem zöge (vgl. V. 4 ). Auch Lukas schloß sich der allgemeinen Bitte an, wie der Gebrauch des Pronomens wir an dieser Stelle zeigt. Doch es gelang ihnen nicht, den Apostel zu überreden.

Lukas geht zwar nicht darauf ein, doch einer der Gründe, warum Paulus unter allen Umständen nach Jerusalem gehen wollte, war sicherlich, daß er den dortigen Glaubensbrüdern die Kollekte, die für sie gesammelt worden war, überbringen wollte (vgl. Apg 24,17; Röm 15,25-27; 1Kor 16,1-4; 2Kor 8,13-14;9,12-13; Gal 2,10 ). Diese Übergabe war ihm so ungemein wichtig, weil sie eine sichtbare Bestätigung seiner grundlegenden Lehre der Einheit von Juden und Heiden in Christus sein sollte ( Eph 2,11-22;3,6 ).

 

 

Apg 21,15-16

 

Die Entfernung von Cäsarea nach Jerusalem betrug etwa 100 Kilometer, zu Pferd eine Zweitagesreise. Manche sind der Ansicht, daß das Haus des Mnason auf halbem Wege lag und Paulus und seine Begleiter dort übernachteten. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß Mnason in Jerusalem wohnte. Interessanterweise stammte er aus Zypern, von der Insel also, auf der auch Barnabas zu Hause war.

 

 

2. Die Gefangenschaft in Jerusalem

( 21,17 - 23,32 )

 

a. Die Festnahme des Paulus

( 21,17 - 36 )

 

(1) Das Gelübde ( Apg 21,17-26 )

 

 

Apg 21,17-19

 

Sobald wie möglich ersuchten Paulus und seine Begleiter um eine Audienz bei Jakobus , dem Vorsteher der Jerusalemer Gemeinde (vgl. Apg 15,13-21 ), und den Ältesten. Lukas schreibt hier nur, daß Paulus der Gemeinde in Jerusalem Bericht darüber erstattete, was Gott unter den Heiden durch seinen Dienst getan hatte (vgl. Apg 14,27 ), doch offensichtlich übergab er bei dieser Gelegenheit Jakobus in Gegenwart der Ältesten auch die bedeutende Kollekte für die Heiligen in Jerusalem ( Apg 24,17 ). Lukas übergeht diesen Vorgang wahrscheinlich deshalb, weil er nichts mit seinem Hauptanliegen in der Apostelgeschichte, der Verkündigung des Evangeliums unter den Heiden, zu tun hat.

 

 

Apg 21,20-21

 

Als die Leiter der Jerusalemer Gemeinde vom Wirken des Paulus unter den Heiden hörten, lobten sie Gott . Zweifellos gaben sie in diesem Zusammenhang auch ihrem Dank für das Opfer der Heiden für die Gläubigen in Jerusalem Ausdruck (vgl. den Kommentar zu V. 12-14 ).

Neben der Freude über seinen Bericht wiesen sie Paulus aber auch darauf hin, daß die gläubigen Juden, die auch als Christen noch Eiferer für das Gesetz waren, einige Vorbehalte gegen ihn hegten, weil ihnen falsche Nachrichten über ihn zu Ohren gekommen waren. Es war zwar richtig, daß Paulus die Heiden lehrte, daß die Beschneidung theologisch irrelevant war, und es traf auch zu, daß er nicht von ihnen forderte, die jüdischen Bräuche zu halten. Doch vor den Juden hatte er niemals den Abfall von Mose gelehrt.

 

 

Apg 21,22-24

 

Jakobus und die Ältesten schlugen vor, daß Paulus sich gemeinsam mit vier Männern, die ein Gelübde getan hatten, reinigen und die Kosten für sie, daß sie ihr Haupt scheren konnten, übernehmen sollte, um sich auf diese Weise das Wohlgefallen der Judenchristen zu erwerben. Ob ihm das gelang, schreibt Lukas jedoch nicht; ihm ging es um andere Dinge.

Die Einzelheiten des Gelübdes, von dem hier die Rede ist, kennen wir nicht; wir können also nur raten, was genau Paulus tun mußte. Offensichtlich hatten die vier einen nasiräischen Eid abgelegt, an dessen Abschluß einige kostspielige Opfer erforderlich waren (vgl. 4Mo 6,13-17 ), die anscheinend ihre finanziellen Mittel überstiegen. Nun sollte Paulus diese Kosten tragen und auf diese Weise seine Sympathie für die "Eiferer für das Gesetz" zur Schau stellen.

 

War es ein Fehler, daß er diesem Abkommen und damit dem jüdischen Gesetz zustimmte? Aus mehreren Gründen muß diese Frage mit "nein" beantwortet werden: (1) Paulus selbst hatte kurz zuvor ein nasiräisches Gelübde abgelegt ( Apg 18,18 ). (2) Später berichtete er dem Statthalter Felix ohne Scham von diesem Zwischenfall ( 24,17-18 ). (3) Was er hier tat, bestätigte nur eines der Prinzipien seines Wirkens, nämlich den "Juden ein Jude" zu sein und sich unter das Gesetz zu stellen, um die, die darunter standen, zu gewinnen ( 1Kor 9,20 ). (4) Eines der Ziele seiner Reise nach Jerusalem - außer der Übergabe der Kollekte - war es gewesen, die Einigkeit von Juden und Heiden voranzutreiben. (5) Paulus leugnete nicht die "ein-für-allemal" geltende Wirkung des Opfers Christi, wenn er Tieropfer darbrachte. Die Briefe, die er zu dieser Zeit bereits geschrieben hatte (Galater, 1. und 2. Thessalonicher, 1. und 2. Korinther, Römer) machen das ganz deutlich. Für ihn müssen diese Opfer nicht mehr als Erinnerungen gewesen sein, und darin liegt wohl auch die Bedeutung der Opfer im Tausendjährigen Reich ( Hes 43,18-46,24; Mal 1,11; Mal 3,3-4 ). (6) Paulus versicherte später, daß er ein reines Gewissen habe ( Apg 23,1 ).

 

 

Apg 21,25-26

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Ältesten versicherten Paulus, daß ihr Vorschlag (vgl. V. 23 - 24 ) die frühere Entscheidung nicht aufheben solle, und bestätigten nochmals den Beschluß des Apostelkonzils (vgl. Apg 15,20.29 ). Daraufhin folgte Paulus ihrem Rat und reinigte sich mit den vier Männern. Das widersprach nicht seiner Lehre, daß Juden und Heiden nicht durch das Gesetz gerettet würden. Er unterwarf sich damit lediglich einem jüdischen Brauch, der nichts mit der Rettung oder Heiligung der Menschen zu tun hatte.

 

 

Apg 21,27

 

(2) Der Gewaltausbruch des Volkes ( Apg 21,27-36 )

 

Die Opposition gegen Paulus, auf die er in Jerusalem traf, ging nicht von gläubigen, sondern von ungläubigen Juden aus. Einige Juden aus der Provinz Asien , wo dem Evangelium großer Erfolg beschieden war, fachten einen Aufruhr an. Diese Männer, die zum Pfingstfest nach Jerusalem gekommen waren, erkannten sofort ihren alten Feind im Tempel und erregten das ganze Volk und ergriffen ihn. Das war das sechste Mal, daß Paulus mit seinem öffentlichen Auftreten einen Aufstand verursachte ( Apg 14,19;16,19-22;17,5-8.13;19,25-34 ).

 

 

Apg 21,28-29

 

Die offenkundig falschen Beschuldigungen, die sie gegen Paulus erhoben, ähnelten denen, die sie gegen Stephanus vorgebracht hatten ( Apg 6,11.13-14 ). Auch der Vorwurf, Paulus habe Griechen in den Tempel geführt , war unberechtigt. Damit hätte er in den Augen der Juden die heilige Stätte entweiht , denn Heiden durften nur bis in den Vorhof der Heiden kommen. Auf einer Balustrade, die diesen Vorhof vom eigentlichen Tempel trennte, wurden zwei Inschriften gefunden, die Heiden bei Androhung der Todesstrafe davor warnten, diese Grenze zu überschreiten. Wer sich nicht an diese Anordnung hielt, war selbst für die Folgen verantwortlich (vgl. Eph 2,14 ).

Der Vollzug dieser Strafe war den Juden von der römischen Besatzungsmacht in diesem Ausnahmefall sogar dann gestattet worden, wenn es sich um einen römischen Bürger handelte.

 

 

Apg 21,30

 

Die ganze Stadt war in höchste Erregung versetzt. Paulus wurde ergriffen und aus dem Tempel (offensichtlich aus dem Hof der Männer) hinausgezogen. Danach wurden sogleich die Tore zugeschlossen , so daß niemand aus dem Hof der Heiden eindringen und ihn entweihen konnte.

 

 

Apg 21,31-32

 

Im Norden, direkt neben dem Tempel, lag die Festung Antonia, von der zwei Treppen in den äußeren Tempelhof hinabführten (vgl. die Skizze des Tempelbereichs und der Burg). In der Festung waren Soldaten stationiert, deren Zahl während der jüdischen Festzeiten stets erhöht wurde. Sie gehörten zur zehnten römischen Legion. Der Oberst der Abteilung , Klaudius Lysias (vgl. Apg 23,26 ), nahm sogleich Soldaten und Hauptleute und lief hinunter zu der aufgebrachten Menge. "Oberst" ist die Übersetzung von chiliarchos , Führer von tausend Soldaten ( Apg 25,23 ). Der Plural "Hauptleute" ( hekatontarchas , wörtlich: "Führer von Hundert" oder Zenturionen) beweist, daß hier mindestens 200 Soldaten aufmarschierten.

 

 

Apg 21,33-36

 

Die Männer befreiten Paulus aus den Händen des Mobs, und der Oberst ließ ihn sofort festnehmen ( epelabeto , dasselbe Verb ist in V. 30 mit "ergreifen" übersetzt) und mit zwei Ketten fesseln . Die Verwirrung und Ausschreitungen nahmen ein solches Ausmaß an, daß die Soldaten Paulus tragen mußten, denn die Menge folgte und schrie: Weg mit ihm! In derselben Stadt hatte einige Jahre zuvor eine aufgebrachte Menschenmenge ganz ähnliche Parolen gegen den Herrn Jesus geschrien ( Lk 23,18; Joh 19,15 ).

 

 

b. Die Verteidigung des Paulus

( 21,37 - 23,10 )

 

(1) Vor dem Volk ( Apg 21,37-22,29 )

 

 

Apg 21,37-38

 

Der Oberst war erstaunt, daß Paulus griechisch sprach, denn er hatte geglaubt, daß der Apostel ein aufständischer Ägypter sei, nach dem die römische Besatzungsmacht fahndete. Dieser Ägypter beherrschte offensichtlich das Griechische nicht oder weigerte sich, es zu sprechen.

In den Schriften von Josephus lesen wir von einem ägyptischen Betrüger, der vorgab, ein Prophet zu sein. Dieser Ägypter hatte angeblich 30 000 Anhänger um sich geschart (Lukas, der es mit der historischen Wahrheit stets sehr genau nimmt, spricht nur von viertausend , während Josephus eher dazu neigte, Zahlen maßlos zu übertreiben) und war im Jahr 54 n. Chr. vor den Ölberg gezogen. Er hatte seinem Gefolge versprochen, daß sie Jerusalem einnehmen würden. Doch die römischen Besatzungstruppen griffen das Aufrührerheer an und töteten einen Teil der Leute. Der Rest wurde gefangengenommen oder zerstreut. Dem Anführer gelang es jedoch zu entkommen.

Zweifellos wäre es den Israeliten sehr recht gewesen, wenn sie dieses Aufrührers, der ihnen so große Schwierigkeiten gemacht hatte, habhaft geworden wären. Als Lysias von dem Aufruhr im Tempel erfuhr, nahm er daher an, daß der Ägypter der Anlaß dazu gewesen sei und die Juden nun ihren Zorn an ihm ausließen.

 

 

Apg 21,39-40

 

Paulus versicherte dem Obersten jedoch, daß er ein Jude (der das Recht hatte, sich im Tempel aufzuhalten) und Bürger von Tarsus war, wo er auch Griechisch gelernt habe. Tarsus war bekannt für seine ausgezeichneten Schulen. Daß er auch römischer Bürger war, verschwieg Paulus zunächst (vgl. Apg 22,23-29 ).

Als er die Erlaubnis erhielt, zum Volk zu sprechen, trat er auf die Stufen der Festung, winkte dem Volk mit der Hand und redete sie auf hebräisch an . (Die Verkehrssprache, die damals imganzen Nahen Osten gesprochen wurde, war Aramäisch.)

Seine Verteidigungsrede bestand aus drei Teilen: (a) seinem Verhalten vor seiner Bekehrung ( Apg 22,1-5 ), (b) seiner Bekehrung ( Apg 22,6-16 ) und (c) seinem Auftrag, das Evangelium zu verkündigen ( Apg 22,17-21 ).

 

 

Apg 22,1

 

Die Anrede " Brüder und Väter" , mit der Paulus seine Rede begann, hatte bereits Stephanus benutzt ( Apg 7,2 ). Dessen Rede und Märtyrertod hatten also wohl doch großen Eindruck auf ihn gemacht (vgl. Apg 8,1 ).

 

 

Apg 22,2

 

Als die Leute hörten, daß er hebräisch zu ihnen redete, wurden sie noch stiller . Zweifellos waren sie überrascht, und es gefiel ihnen auch, daß ein Jude aus der Diaspora - wie Paulus es war - das Griechische und das Hebräische beherrschte. Daher beruhigten sie sich und hörten zu.

 

 

Apg 22,3-9

 

Wieviele Jahre Paulus als Kind in Jerusalem verbrachte (vgl. Apg 26,4 ), wissen wir nicht. Das mit aufgewachsen übersetzte Wort stammt von anatrephO ; es bedeutet auch "erziehen". Einer seiner Mentoren war jedenfalls der von allen verehrte und hochgeschätzte Gamaliel (vgl. Apg 5,34 ).

Worum es Paulus hier ging, liegt auf der Hand. Früher hatte er sich ganz dem Gesetz und der Ausrottung des Christentums verschrieben. (Zu der neuen Lehre vgl. den Kommentar zu Apg 9,2; vgl. auch Apg 19,9.23;24,14 .) Er war seiner Sache damals so sicher gewesen, daß nur eine radikale, übernatürliche Wandlung ihn auf einen anderen Weg bringen konnte. Auf dieses einschneidende Ereignis kam er nun zu sprechen ( Apg 22,6-9; vgl. Apg 9,1-6 ).

 

 

Apg 22,10-11

 

Die Aussage "dort wird man dir alles sagen, was dir zu tun aufgetragen ist" (vgl. Apg 9,6 ), weist voraus auf Paulus' zukünftiges Wirken und seine Worte in Apg 22,14-15 .

 

 

Apg 22,12-13

 

Wie sehr er sich in seiner Rede auf seine jüdischen Hörer einstellte, sieht man an den Worten, mit denen er ihnen Hananias beschrieb: Ein gottesfürchtiger Mann, der sich an das Gesetz hielt und einen guten Ruf bei allen Juden hatte, die dort wohnten . In Apg 9 war von all dem nicht die Rede. Seine Anrede Bruder meint dasselbe wie in Apg 22,5 ,wo die Juden in Damaskus als "Brüder" der Juden in Jerusalem bezeichnet werden.

 

 

Apg 22,14-15

 

Der Verweis darauf, daß Paulus Christus, den Gerechten, sehen sollte, ist wichtig, weil er damit zum Apostel berufen wurde (vgl. 1Kor 9,1; Apg 15,8 ). Auch Stephanus hatte den Terminus "Gerechter" für Jesus benutzt ( Apg 7,52 ). Zu allen Menschen , denen Paulus das Evangelium verkünden sollte, gehörten neben den Juden auch die Heiden und ihre Könige ( Apg 9,15 ).

 

 

Apg 22,16

 

Dieser Vers wirft zwei Fragen auf. Erstens: Wann wurde Paulus gerettet - auf der Straße nach Damaskus oder im Haus von Judas? Mehrere Gründe sprechen dafür, daß es bereits auf der Straße nach Damaskus geschah: (1) Das Evangelium wurde ihm direkt von Christus verkündigt ( Gal 1,11-12 ), nicht erst später durch Hananias. (2) Seine Antwort ( Apg 22,10 ) zeigte, daß er bereits glaubte. (3) Er wurde schon vor der Wassertaufe mit dem Heiligen Geist erfüllt ( Apg 9,17-18 ). (4) Das griechische Partizip Aorist, epikalesamenos , übersetzt mit: rufe seinen Namen an , bezieht sich entweder auf eine gleichzeitige Handlung oder eine, die vor der, von der das Hauptverb spricht, stattfand. Seine Anrufung des Namens Christi (um Rettung) ging also seiner Wassertaufe voraus. (Man könnte das Partizip auch mit "nachdem er seinen Namen angerufen hatte" übersetzen.)

Zweitens: Was bedeuten die Worte: Laß deine Sünden abwaschen ? Beinhalten sie, daß die Rettung von der Wassertaufe abhängig ist? Da Paulus bereits spirituell rein war (vgl. die Feststellungen in der vorhergehenden Klammer), müssen die Worte sich auf die Symbolik der Taufe beziehen. Die Taufe ist ein äußerliches Bild für Gottes inneres Werk des Abwaschens der Sünden (vgl. 1Kor 6,11; 1Pet 3,21 ).

 

 

Apg 22,17-18

 

Laut Apg 9,29 - 30 hatte Paulus Jerusalem verlassen, weil ihm seine christlichen Brüder dazu geraten hatten. Es war also eine Kombination aus göttlicher Offenbarung ( Apg 22,17-18 ) und menschlicher Führung, die Paulus nach Tarsus gehen ließ.

 

 

Apg 22,19-20

 

Die Antwort, die Paulus dem Herrn gab, zeigte, daß er der Ansicht war, daß die radikale Veränderung, die sich in seinem Leben zeigte, die Juden beeindrucken würde; schließlich war er zuvor einer der eifrigsten Verfolger der Christen gewesen ( Apg 8,3;9,1-2;22,4-5;26,11 ), der sogar am Märtyrertod des Stephanus beteiligt gewesen war ( Apg 7,58;8,1 ).

 

 

Apg 22,21-22

 

Als Paulus dann jedoch auf seinen Auftrag, den Heiden das Evangelium zu verkündigen, zu sprechen kam, flackerten erneut Wut und Gewalttätigkeit in der Menge auf. Das hing allerdings nicht allein mit der Predigt vor den Heiden zusammen; auch die jüdischen Theologen hatten ja den Heiden gepredigt (vgl. Mt 23,15 ). Was die Juden so aufbrachte, war Paulus' Aussage, daß Juden und Heiden gleichgestellt waren, ohne daß letztere das mosaische Gesetz befolgen mußten (vgl. Eph 2,11-22;3,2-6; Gal 3,28 ).

Die Reaktion der Juden in Jerusalem ist wichtig für den Gedankengang der Apostelgeschichte. Sie beweist, daß Israel das Evangelium Jesu Christi nun unwiderruflich verworfen und damit sein Schicksal besiegelt hatte. Nicht ganz 20 Jahre später, im Jahr 70 n. Chr., wurde Jerusalem denn auch völlig zerstört (vgl. Mt 24,1-2; s. auch Mt 21,41;22,7 ). Das bedeutet natürlich nicht, daß Israel nicht in der Zukunft wiederhergestellt werden wird (vgl. Röm 11,26 ).

 

 

Apg 22,23-24

 

Die Menschen warfen ihre Kleider ab und wirbelten Staub in die Luft als Zeichen ihres Ärgers. Der Oberst, der kein Hebräisch verstand, war verwirrt. Doch er war entschlossen, diesen Vorfällen auf den Grund zu gehen, selbst wenn er Paulus dafür geißeln lassen mußte.

Bei dieser Geißelung handelte es sich um eine andere Strafe als die Schläge, die Paulus in Philippi und bei zwei anderen Gelegenheiten bekam ( 2Kor 11,25; Apg 16,22-23 ), und auch um eine andere als die 39 Peitschenhiebe, die er fünfmal über sich ergehen lassen mußte ( 2Kor 11,24 ). Die römische Geißel bestand aus einem starken hölzernen Griff mit kürzeren Lederriemen, an deren Enden sich kleine Metall- oder Knochenstückchen befanden. Die Gefahr, einen Menschen damit zu töten oder für immer zum Krüppel zu schlagen, war sehr groß. Auch Christus hatte diese Strafe erlitten ( Mt 27,26 ) und war danach nicht mehr in der Lage gewesen, sein Kreuz zu tragen.

 

 

Apg 22,25-27

 

Ein römischer Bürger durfte erst dann gegeißelt werden, wenn seine Schuld zweifelsfrei erwiesen war. Durch eine Frage lenkte Paulus die Aufmerksamkeit des Hauptmanns, der die Geißelung überwachen sollte, auf diese Tatsache. Als man dem Oberst von seiner Aussage Bericht erstattete, konnte er kaum glauben, daß Paulus, gegen den die Juden einen solchen Haß gezeigt hatten, tatsächlich ein römischer Bürger war.

 

 

Apg 22,28

 

In der Regierungszeit des Kaisers Klaudius (41 - 54 n. Chr.; vgl. die Tabelle zu den römischen Kaisern bei Lk 2,1 ) war es möglich, das römische Bürgerrecht käuflich zu erwerben. Die Regierungsbeamten, die dieses Vorrecht verkauften, konnten sich mit dem Bestechungsgeld, das sie bei derartigen Transaktionen erhielten, eine goldene Nase verdienen. Paulus jedoch war, im Gegensatz zu dem Oberst, der sich das Bürgerrecht Roms erkaufen mußte, als römischer Bürger geboren .

 

 

Apg 22,29

 

Als der Oberst vernahm, daß es ein römischer Bürger war, den er hatte festbinden lassen , fürchtete er, daß Rom von dieser Verletzung des Gesetzes erfahren könnte. Bei den Ketten handelte es sich wahrscheinlich um die, die ihm für die Geißelung angelegt worden waren. Auch später wurde Paulus, ein römischer Bürger, nochmals in Ketten gelegt ( Apg 26,29 ).

Konnte nun nicht jeder einfach eine Geißelung umgehen, indem er behauptete, römischer Bürger zu sein? Das ist möglich; wenn sich allerdings herausstellte, daß er gelogen hatte,mußte er mit der Todesstrafe rechnen.

 

 

Apg 22,30

 

(2) Vor dem Hohen Rat ( Apg 22,30-23,10 )

 

Inzwischen war dem Obersten klar geworden, daß die Juden als Ankläger gegen Paulus auftraten (vgl. V. 23-29 ). Die beste Möglichkeit, Licht in diese dunkle Angelegenheit zu bringen, war eine Anhörung vor dem Hohen Rat. Wenn sich dabei herausstellte, daß Paulus unschuldig war, konnte er ihn entlassen, wenn die Vorwürfe jedoch berechtigt waren, konnte der Fall dem Procurator, dem römischen Statthalter, übergeben werden.

 

 

Apg 23,1-2

 

Hier wird der Ton, in dem diese kurze Verhandlung verlief, beschrieben. Nachdem Paulus darauf hingewiesen hatte, daß er in der Ausübung seines Auftrags stets ein gutes Gewissen hatte (vgl. Apg 24,16; 1Kor 4,4 ), befahl der Hohepriester Hananias denen, die um ihn standen, ihn auf den Mund zu schlagen . Das entspricht dem, was wir von Josephus über Hananias wissen; er beschrieb ihn als anmaßend, jähzornig, weltlich gesinnt und habgierig. In der Tatsache, daß ein anderer Hananias Paulus zu Beginn seiner Laufbahn wieder zum Augenlicht verhalf, liegt eine gewisse Ironie.

 

 

Apg 23,3-5

 

Auf diese Aufforderung hin, die klar der Prozeßordnung widersprach, geriet auch Paulus in Zorn. Wie konnte der Hohepriester das Gesetz verletzen, während er über jemanden zu Gericht saß, der angeblich eben dieses Gesetz übertreten hatte? Nach jüdischem Gesetz war ein Angeklagter so lange unschuldig, bis seine Schuld erwiesen war. Wie eine getünchte Wand bot Hananias nach außen ein makelloses Bild, war jedoch in seinem Innern schwach und verderbt. Auch Jesus wurde in seinen Verhandlungen auf den Mund geschlagen und hatte ebenfalls Einspruch dagegen erhoben ( Joh 18,20-23 ).

Paulus' Aussage "liebe Brüder, ich wußte es nicht, daß er der Hohepriester ist" stellt wieder einmal ein Problem dar. Sie konnte kaum etwas mit seinen schlechten Augen zu tun haben, denn er hatte den Hohen Rat doch direkt ( atenisas , wörtlich: "ganz genau ansehen") "angesehen" ( Apg 23,1 ). Vielleicht gab Paulus hier auf ironische Weise seiner Ansicht Ausdruck, daß man von einem Hohenpriester ein solches Verhalten - eine Verletzung des Gesetzes - zuallerletzt erwartete. Das Wort "Brüder" (V. 5 ) macht diese Deutung jedoch unwahrscheinlich. Möglicherweise herrschte tatsächlich ein solches Durcheinander, daß der Hohepriester, der hier mit Sicherheit nicht seine Amtskleidung trug, nicht auszumachen war. Darüber hinaus kannte Paulus Hananias wahrscheinlich nicht persönlich, da er lange Jahre nicht in Jerusalem gewesen war und dieses Amt häufig neu besetzt wurde (vgl. die Tabelle zur Familie des Hananias bei Apg 4,5-6 ).

Auf jeden Fall erkannte Paulus in seiner Äußerung das Amt des Hohenpriesters an, wenn er ihn auch als Menschen nicht respektieren konnte.

 

 

Apg 23,6-9

 

Jedenfalls war in einem solchen Umfeld keine Gerechtigkeit zu erwarten. Als Paulus das erkannte, änderte er seine Taktik und rief, daß er um der Hoffnung und um der Auferstehung der Toten willen , worin er mit den Pharisäern übereinstimmte (zu "um der Hoffnung willen" vgl. Apg 24,15;26,6-7;28,20 ), angeklagt sei. Das unterbrach den Verlauf des Prozesses auf der Stelle, denn es brach ein Streit zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern aus (vgl. Apg 4,1-2 ). Es war Paulus also gelungen, seine Feinde in zwei Lager zu spalten. Überraschenderweise verteidigten die Pharisäer ihn nun, da er sich als Glaubensgenosse herausgestellt hatte.

 

 

Apg 23,10

 

Hier, inmitten der Juden, war Paulus in größerer Gefahr, als er es je in einem römischen Gefängnis gewesen war. Daher wurde er von dem römischen Oberst in die Burg Antonia zurückgebracht (vgl. Apg 21,35 ).

 

 

c. Paulus in Gefahr

( 23,11 - 32 )

 

Apg 23,11

 

Die Bedeutung der Erscheinung, die ihm in der folgenden Nachtzuteil wurde, lag nicht nur in dem Trost und der Ermutigung, die sie Paulus brachte (vgl. Apg 18,9-10 ), sondern auch in der Bestätigung für seinen Plan, nach Rom zu gehen. Das Evangelium Christi sollte also wirklich durch den Apostel Paulus von Jerusalem nach Rom gebracht werden. Das war die vierte Vision des Apostels (vgl. Apg 9,4-6;16,9;18,9-10 ).

Apostelgeschichte

 

Apg 23,12-13

 

Der Haß des Volkes gegen Paulus war so groß, daß sich sogleich am nächsten Tag mehr als vierzig fanatische Juden zusammenrotteten und schworen, weder zu essen noch zu trinken, bis sie Paulus getötet hätten (vgl. die Versuche der Menge, ihn zu töten; Apg 21,31 ). Das griechische Verb für "schwören" an dieser Stelle ist anathematizO (daher das "Anathema"); es bedeutet, daß eine Person sich unter einen Fluch stellt, wenn sie ihren Schwur nicht erfüllt. Vermutlich wurden diese Männer später durch Anwälte von ihrem Schwur entbunden, da sich in einer Reihe dramatischer Ereignisse die Umstände von Paulus' Gefangenschaft völlig änderten.

 

 

Apg 23,14-15

 

Die Komplizenschaft der Hohenpriester und Ältesten in diesem Komplott zeigt, daß beide im Grunde genommen nichts gegen Paulus vorzubringen hatten und sie ihn deshalb auf illegale Weise beseitigen mußten. Außerdem offenbart die Verschwörung den Charakter der Beteiligten. Auch der Fanatismus der 40 Männer muß geradezu erschreckende Ausmaße angenommen haben, denn falls ihr Plan gelungen wäre, wären einige von ihnen mit Sicherheit bei dem Versuch, Paulus' Wachen zu überwältigen, umgekommen.

 

 

Apg 23,16-22

 

Ein Neffe von Paulus, der nicht mit Namen genannt wird, hörte jedoch von dem Anschlag . Es gelang ihm, in die Festung zu kommen und Paulus und auch den Oberst davon zu unterrichten. Auch hier gibt es viele ungelöste Fragen. War Paulus' Neffe Christ? Wie kam er zu der Information? Lebte Paulus' Schwester in Jerusalem? Wenn Paulus Verwandte in Jerusalem hatte, warum wohnte er dann nicht bei ihnen?

Der Neffe war ein junger Mann (V. 17 - 19.22 ). Das griechische Wort dafür, neanias , das in Vers 17 benutzt wird, war bereits früher für Paulus ( Apg 7,58 ) und Eutychus ( Apg 20,9 ) verwendet worden. Es bezieht sich wahrscheinlich auf einen Mann zwischen zwanzig und dreißig Jahren. (In 23,18.22 steht neaniskos , ein Synonym für neanios .) Als der Oberst von dem Plan hörte, gebot er Paulus' Neffen, niemandem zu sagen, daß er ihm das eröffnet hätte .

 

 

Apg 23,23-24

 

Der Oberst beschloß, Paulus aus der Gefahrenzone herauszubringen, und traf alle Vorkehrungen für eine sichere Überführung. Zu seiner Begleitung stellte er über 470 Männer ab - zwei Hauptleute, zweihundert Soldaten (ein Hauptmann führte einhundert Soldaten an), siebzig Reiter und zweihundert Schützen. Um neun Uhr abends rückten sie mit dem Gefangenen im Schutz der Nacht aus nach Cäsarea, einer sehr viel ruhigeren Stadt, deren Einwohner nicht so zu Aufständen neigten wie die Jerusalemer. Zum dritten Mal (!) stahl Paulus sich heimlich, bei Nacht und Nebel, aus einer Stadt davon (vgl. Damaskus, Apg 9,25; Thessalonich, Apg 17,10 ).

 

 

Apg 23,25-30

 

Wenn ein untergeordneter Beamter seinem Vorgesetzten einen Gefangenen überstellte, so mußte er den Transport begleiten und einen schriftlichen Bericht über den Fall abliefern.

Dieser Brief von Klaudius Lysias enthielt die wesentlichen Einzelheiten der Vorfälle. Der Oberst blieb zwar nicht ganz bei der Wahrheit, als er sagte, daß er Paulus den Juden entrissen hatte (V. 27 ), denn in Wirklichkeit hatte er von einem seiner Untergebenen erfahren, daß Paulus römischer Bürger war ( Apg 22,26 ). Auch den Entschluß, Paulus geißeln zu lassen, verschwieg er wohlweislich (vgl. Apg 22,25.29 ). Die Bedeutung dieses Dokumentes zeigt sich in Apg 23,29 : Der Oberst erklärte, daß Paulus seiner Ansicht nach unschuldig sei. Vgl. dazu ähnliche Kommentare von Gallio ( Apg 18,14-15 ), dem Kanzler in Ephesus ( Apg 19,40 ), den Pharisäern ( Apg 23,9 ), Festus ( Apg 25,25 ) und Herodes Agrippa II. ( Apg 26,31-32 ).

 

 

Apg 23,31-32

 

Die Entfernung zwischen Jerusalem und Antipatris betrug über 50 Kilometer. Es muß also ein Gewaltmarsch gewesen sein, den die Abteilung mit ihrem Gefangenen in dieser Nacht zurücklegte, denn sie kamen bereits am nächsten Tag dort an. Vor allem die Strecke zwischen Jerusalem und Lydda oder Joppe (dem heutigen Lod; vgl. Apg 9,32-43 ), etwa zehn Kilometer vor Antipatris, war sehr schwierig und bot gute Möglichkeiten für einen Hinterhalt. Doch als sie Antipatris erst einmal erreicht hatten, waren die Soldaten nicht mehr nötig. Die restlichen 50 Kilometer nach Cäsarea waren weniger gefährlich.

 

 

3. Die Gefangenschaft in Cäsarea

( 23,33 - 26,32 )

 

a. Paulus' Verteidigungsrede vor Felix

( 23,33 - 24,27 )

 

Apg 23,33-35

 

Als die Reiter (V. 32 ) mit Paulus zusammen in Cäsarea ankamen, hielt Felix, der Statthalter Roms in Judäa, eine kurze Voruntersuchung ab. Felix war von 52 - 58 n. Chr. Procurator von Judäa. Er ist einer der drei römischen Procuratoren, die im Neuen Testament erwähnt werden. Die anderen sind Pontius Pilatus (26 - 36 n. Chr.) und Porcius Festus (58 - 62 n. Chr.). Felix war mit Drusilla ( Apg 24,24 ), einer Schwester des Herodes Agrippa II., von dem in Apg 25,13-26,32 die Rede ist, verheiratet (vgl. die Tabelle zur Dynastie des Herodes bei Lk 1,5 ).

Als Felix erfuhr, daß Paulus aus Zilizien sei , beschloß er, sich selbst um den Fall zu kümmern. Offensichtlich konnte ein solcher Prozeß in der Provinz des Angeklagten oder auch in der Provinz, in der das Verbrechen stattgefunden haben sollte, verhandelt werden. Die Frage, aus welchem ( poias ) Land Paulus kam, war also sehr wichtig. In der damaligen Zeit war Zilizien keine eigene Provinz, sondern war dem Legaten von Syrien unterstellt, dessen Stellvertreter Felix war. Der wollte den Gesandten aber nicht mit einer solchen Lappalie behelligen und sich auch nicht den Zorn der Juden zuziehen, indem er sie zwang, ihren Fall in Paulus' weit entfernter Heimatstadt Tarsus vorzutragen. So blieb ihm eigentlich nur die Möglichkeit, selbst über diese Sache zu Gericht zu sitzen. Doch zuvor mußten Zeugen gegen Paulus aufgetrieben werden (vgl. Apg 23,30 ).

 

 

Apg 24,1

 

Der Hohepriester selbst kam , zusammen mit einigen Ältesten aus dem Hohen Rat, nach Cäsarea herab. Sie hatten einen Anwalt ( rhEtoros , ein öffentlicher Redner, ein Begriff, der nur an dieser Stelle im Neuen Testament vorkommt), Tertullus , bei sich, der Felix den Fall vortragen sollte.

 

 

Apg 24,2-4

 

Dieser Anwalt brauchte für seine Einleitung fast ebenso lange wie für die Anschuldigungen, die gegen Paulus erhoben wurden. Seine Beschreibung von Felix war pure kriecherische Heuchelei, denn dieser Statthalter war bekannt für sein rücksichtsloses und gewaltsames Vorgehen, für seine korrupte Haltung und seinen Hang zur Prahlerei. Er war ein ehemaliger Sklave, der sich beim Kaiserhof lieb Kind machen wollte. Tacitus, ein römischer Historiker, faßte seinen Charakter in dem beißenden Kommentar zusammen: "Er übte die kaiserliche Macht mit der Gesinnung eines Sklaven aus."

 

 

Apg 24,5-8

 

Drei Anklagen wurden gegen Paulus erhoben: (1) Er habe auf dem ganzen Erdkreis Aufruhr erregt . (2) Er sei ein Anführer der Sekte der Nazarener . (3) Er versuche, den Tempel zu entweihen .

Die erste Beschuldigung hatte politischen Charakter, denn den Römern lag sehr an Ruhe und Ordnung in ihrem Reich.

In der zweiten ging es um die römische Provinzialverwaltung, also auch um Politik, denn der Anwalt der Juden, Tertullus, stellte es so hin, als ob die Christen sich als eigene Religion von den Juden abgespalten hätten. Rom aber hatte zwar dem Judentum den Status einer religio licita (einer rechtmäßigen Religion) zugestanden, tolerierte jedoch keine neuen Religionen. Indem der Anwalt das Christentum als "Sekte" ( haireseOs , "Fraktion, Partei, Schule"; daher "Häresie") der Nazarener bezeichnete, stellte er den Glauben des Apostels in eine Reihe mit den bizarren Auswüchsen mancher Mysterienkulte.

Auch in der dritten Anklage, der Entweihung des Tempels, schwangen politische Untertöne mit, denn die Römer hatten den Juden gestattet, jeden Heiden, der über den Vorhof der Heiden hinaus in den Tempel eindrang, hinzurichten (vgl. Apg 21,28 ). An diesem Punkt veränderte Tertullus die ursprüngliche Anklage ( Apg 21,28 ). War Paulus zunächst vorgeworfen worden, einen Heiden (Trophimus, den Epheser) in den Tempel gebracht zu haben, so wurde ihm nun zur Last gelegt, daß er versucht habe, den Tempel zu entweihen. Der Satz "ihn haben wir ergriffen" war eine völlige Entstellung des wirklichen Vorgangs, denn er klang so, als hätten sie Paulus ursprünglich lediglich gefangennehmen, nicht etwa töten wollen.

 

 

Apg 24,9-10

 

Nachdem die Juden bestätigt hatten, daß ihr Anwalt die Wahrheit gesagt hatte, erhielt Paulus die Gelegenheit zu sprechen.

Seine Einleitung war sehr viel kürzer und blieb auch näher an der Wahrheit. Er setzte voraus, daß Felix die Lage in Judäa gut genug kannte, um eine gerechte Entscheidung zu fällen.

 

 

Apg 24,11

 

Zu seiner Verteidigung führte er mehrere Punkte an. Zunächst einmal war er überhaupt nicht lange genug in Jerusalem gewesen, um einen Aufruhr anzuzetteln. Er war vielmehr in die Stadt gekommen, um anzubeten und das Pfingstfest zu feiern ( Apg 20,16 ). In Apg 24,17 - 18 wird dann noch ein weiterer Grund genannt.

 

 

Apg 24,12-13

 

Zweitens konnten seine Verleumder nicht ein einziges Beispiel nennen, wie er mit jemandem gestritten oder einen Aufruhr im Volk gemacht hätte .

 

 

Apg 24,14-16

 

Drittens diente er dem Gott Israels in voller Übereinstimmung mit dem Gesetz und den Propheten (vgl. Apg 26,22;28,23 ). (Zum Terminus "das Gesetz und die Propheten" vgl. Mt 5,17 .) Darüber hinaus gehörte er nicht einer Sekte, sondern dem Christentum an, das als der Weg bekannt war (vgl. Apg 9,2;19,9.23;22,4;24,22 ). Seine Hoffnung auf die Auferstehung (vgl. Apg 23,6;26,6-7 ) entsprach dem Glauben seiner Ankläger (Paulus ging davon aus, daß auch Pharisäer anwesend waren). Damit sagte er, daß das Christentum aus dem Alten Testament entstanden sei. Schließlich übte er sich, allezeit ein unverletztes Gewissen zu haben (vgl. Apg 23,1 ). "Unverletzt" ist die Übersetzung von aproskopon (wörtlich: "nicht zum Stolpern verführen, nicht verletzen"), das nur noch zweimal im Neuen Testament verwendet wird, beide Male von Paulus selbst ( 1Kor 10,32; Phil 1,10 ).

 

 

Apg 24,17

 

An dieser Stelle ist das einzige Mal in der Apostelgeschichte davon die Rede, daß Paulus die Spende der heidnischen Gemeinden nach Jerusalem brachte. Die Darstellung des Lukas konzentrierte sich auf andere Punkte. Für Paulus dagegen war die Kollekte ungemein wichtig, wie man aus den zahlreichen Anspielungen in seinen Briefen ersehen kann ( Röm 15,25-28; 1Kor 16,1-4; 2Kor 8,13-14;9,12-13; Gal 2,10 ).

Was meinte Paulus mit den Worten: Ich bin nach Jerusalem gekommen, um zu opfern? Vielleicht die Tatsache, daß er in den Tempel ging, um zu opfern ( Apg 24,18 ). Wahrscheinlicher ist allerdings, daß er von Opfern sprach, die er Gott zum Dank dafür, daß er ihn in seinem Amt gesegnet hatte, darbringen wollte.

 

 

Apg 24,18

 

Wieder versicherte Paulus, daß er seinerseits nicht das Geringste mit der Entstehung des Aufruhrs zu tun hatte (vgl. V. 12 ), wohl aber seine Ankläger.

 

 

Apg 24,19-21

 

Schließlich führte er noch an, daß seine eigentlichen Ankläger, die Juden aus der Provinz Asien , die als erste die falschen Beschuldigungen gegen ihn vorgebracht hatten und in Wirklichkeit für den Aufruhr im Tempel verantwortlich waren, nicht anwesend seien (vgl. Apg 21,27 ). Da der Hohe Rat ihn keiner Schuld hatte überführenkönnen ( Apg 23,1-9 ), konnte Tertullus also keine einzige gerechtfertigte Klage gegen ihn vorbringen.

 

 

Apg 24,22

 

Auf welche Weise Felix etwas über das Christentum erfahren hatte, können wir nur vermuten. Möglicherweise hatte seine Frau Drusilla, eine Tochter von Herodes Agrippa I. und Schwester von Herodes Agrippa II., ihm davon erzählt. Als Jüdin hatte (V. 24 ) sie wahrscheinlich von dem "neuen Weg" gehört. Doch auch Felix selbst konnte wohl kaum mehrere Jahre in Judäa regieren, ohne etwas von dem neuen Glauben der Urkirche zu wissen.

Statt eine für die jüdischen Ankläger ungünstige Entscheidung zu treffen, zog Felix die Sache jedoch hin. Er wollte erst dann eine Entscheidung fällen, wenn der Oberst Lysias kam. Das war jedoch nur ein Vorwand, Felix lag nur daran, den Prozeß zu verschleppen.

 

 

Apg 24,23

 

Felix wußte offensichtlich ganz genau, daß Paulus unschuldig war, denn er gab ihn zwar in den Gewahrsam eines Hauptmanns, gestattete ihm jedoch einige Freiheiten (vgl. Paulus' Lage später in Sidon; Apg 27,3 ).

 

 

Apg 24,24-26

 

Danach unternahm er anscheinend eine kleinere Reise mit seiner Frau Drusilla . Als sie zurückkehrten, ließ er Paulus kommen und hörte ihn über den Glauben an Jesus Christus. Als aber Paulus von Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und von dem zukünftigen Gericht redete, erschrak er . Wie sollte er nicht, wo doch Drusilla bereits seine dritte Frau war und er sich von einer anderen hatte scheiden lassen, um sie zu heiraten. Außerdem trat ihm angesichts der Gerechtigkeit Gottes wohl ganz klar die Ungerechtigkeit seiner eigenen Regierung vor Augen. Dazu mangelte es ihm vollkommen an Selbstbeherrschung.

Die Falschheit und Habgier von Felix zeigte sich auch daran, daß er zu hoffen schien, daß Paulus ihn bestechen werde.

 

 

Apg 24,27

 

Um den Juden eine Gunst zu erweisen, ließ er Paulus , als er abberufen wurde, gefangen zurück , obwohl er wußte, daß er unschuldig war. Felix wurde seines Amtes enthoben, weil er einen Streit zwischen Juden und Heiden in Cäsarea mit unvorstellbarer Grausamkeit niedergeschlagen hatte.

 

 

b. Paulus' Verteidigungsrede vor Festus

( 25,1 - 12 )

 

Apg 25,1

 

Der folgende Abschnitt (V. 1 - 12 ) ist ganz entscheidend für den weiteren Fortgang der Ereignisse, denn hier legte Paulus Berufung vor dem Kaiser ein. Damit ist die Richtung für die übrigen Kapitel des Buches vorgegeben; gleichzeitig erklärt diese Berufung, warum und wie Paulus nach Rom gelangte.

Über Porcius Festus , der von 58 - 62 n. Chr. römischer Statthalter von Judäa war, ist wenig bekannt, doch das wenige, das wir wissen, läßt ihn in einem günstigen Licht erscheinen. Daß er die Absicht hatte, seinen Pflichten gewissenhaft und gerecht nachzukommen, zeigte sich schon daran, daß er bereits drei Tage nach seiner Ankunft in Cäsarea hinauf nach Jerusalem zog . Zweifellos hatte er von der Anfälligkeit dieser Stadt für Aufruhr aller Art gehört.

 

 

Apg 25,2-3

 

Die Juden waren immer noch sehr daran interessiert, daß Paulus endlich der Prozeß gemacht wurde. Es war ihnen allerdings klar, daß sie sich rechtlich in einer schlechten Ausgangsposition befanden und ihn nur durch einen Hinterhalt , in den sie ihn bei der Überführung von Cäsarea nach Jerusalem locken (und umbringen) wollten, loswerden konnten.

Apostelgeschichte

 

Apg 25,4-5

 

Offensichtlich kam Festus ihrer Bitte, den Prozeß in Jerusalem fortzusetzen, nicht nach, doch er versprach ihnen, den Fall in Cäsarea, wo Paulus noch immer gefangengehalten wurde, neu aufzurollen. Festus kehrte also wieder nach Cäsarea zurück.

 

 

Apg 25,6-7

 

Nochmals wiederholte sich die ganze Szenerie der ersten Verhandlung. Lukas fügt an, daß diesmal viele und schwere Klagen gegen Paulus vorgebracht wurden. Apg 25,8-9 : Nachdem Paulus diese Beschuldigungen zurückgewiesen hatte, fragte Festus den Gefangenen, ob er bereit sei, hinauf nach Jerusalem zu ziehen und sich dort in dieser Sache von ihm richten zu lassen, denn auch ihm lag daran, sich mit den Juden gut zu stellen. Außerdem wußte er nicht, wie er sich in diesem religiösen Streit verhalten sollte (V. 20 ).

 

 

Apg 25,10

 

Paulus lehnte dieses Ansinnen aus mehreren Gründen ab: (1) Die Reise von Cäsarea nach Jerusalem würde sehr gefährlich werden. Die 40 Juden, die vor zwei Jahren (vgl. Apg 24,27 ) geschworen hatten, ihn umzubringen ( Apg 23,13-14 ), waren von diesem Gelübde wahrscheinlich inzwischen befreit worden, doch mit Sicherheit wollten sie ihn noch immer töten. (2) In Jerusalem hatte er kaum Aussicht auf einen fairen Prozeß. (3) Er hatte bereits zwei Jahre in Cäsarea im Gefängnis gelegen.

Außerdem gehörten die Klagen, die gegen Paulus vorgebracht worden waren, vor ein Zivilgericht (angeblich hatte er den Juden Unrecht getan ), daher war Festus als Stellvertreter des Kaisers für den Fall zuständig.

 

 

Apg 25,11

 

Die Vorwürfe, die gegen Paulus erhoben worden waren, verlangten die Todesstrafe. Wenn sie wahr seien, sagte Paulus, sei er bereit zu sterben . Doch er wies Festus darauf hin, daß sein Vorschlag, ihn nach Jerusalem bringen zu lassen (V. 9 ), gleichbedeutend damit war, ihn den Juden preiszugeben, und zwar auch dann, wenn Festus selbst den Vorsitz bei dem Prozeß führen würde.

 

 

Apg 25,12

 

Es ist nicht ganz klar, ob Festus gesetzlich gehalten war, Paulus' Fall vor den Kaiser (Nero, der von 54 - 68 n. Chr. regierte) zu bringen, oder ob es ihm freigestanden hätte, selbst ein Urteil zu fällen. Wenn er zugunsten der Juden entschieden hätte, hätte Paulus immer noch Berufung einlegen können. Doch wahrscheinlich hatte Festus keine Alternative. Daher antwortete er, nachdem er sich mit seinen Ratgebern besprochen hatte: Auf den Kaiser hast du dich berufen, zum Kaiser sollst du ziehen.

 

 

c. Paulus' Verteidigungsrede vor Agrippa II.

( 25,13 - 26,32 )

 

Apg 25,13

 

Der König Agrippa , von dem hier die Rede ist, war Herodes Agrippa II., der Sohn Herodes Agrippa I. ( Apg 12,1 ) und ein Enkel Herodes des Großen ( Mt 2,1 ). (Vgl. die Tabelle zur Dynastie des Herodes bei Lk 1,5 .) Er war damals ein junger Mann von etwa 30 Jahren und herrschte unter dem Titel "König" über die Gebiete im Nordosten Palästinas. Da er ein Freund der kaiserlichen Familie in Rom war, besaß er das Privileg, den Hohenpriester zu ernennen, und war außerdem zum Hüter des Tempelschatzes bestellt. Von seiner Herkunft und Erziehung her war er durchaus qualifiziert, in dem Prozeß gegen Paulus ein gerechtes Urteil zu fällen, denn er war ein ausgezeichneter Kenner der jüdischen Religion (vgl. Apg 25,26-27 ).

Agrippa II. und seine Schwester Berenike kamen nach Cäsarea, Festus zu begrüßen . Obwohl Berenike der jüdischen Religion zuneigte, führte sie ein sehr lasterhaftes Leben und pflegte unter anderem eine inzestuöse Beziehung zu ihrem Bruder Agrippa.

 

 

Apg 25,14-21

 

Festus trug dem König Paulus' Fall, den Felix ihm hinterlassen hatte, vor. Er gab offen zu, daß er nicht genug davon verstand, um eine Entscheidung zu treffen (V. 20 ). Vor allem war ihm unklar, warum Paulus darauf beharrte, daß Christus auferstanden sei (V. 19 ).

 

 

Apg 25,22

 

Agrippa reagierte, wie Festus es gewünscht hatte. Die Familie des Herodes war für Rom sehr nützlich, denn die Herodianer waren mit den jüdischen Bräuchen vertraut. Festus hoffte nun, daß Agrippa ihm behilflich sein konnte, das Ganze zu durchschauen.

 

 

Apg 25,23-24

 

Der eher unbedeutende König Agrippa und seine Schwester Berenike benutzten die Gelegenheit, ihren Rang und ihre prächtigen Kleider in einer festlichen Zeremonie zur Schau zu stellen. Zweifellos ging es Lukas darum, in dieser Beschreibung den Gegensatz zwischen dem armen Gefangenen Paulus und dem königlichen Paar mitsamt den Hauptleuten und vornehmsten Männern der Stadt besonders deutlich herauszustellen. In Cäsarea waren fünf Kohorten stationiert (eine Kohorte umfaßte 1000 Mann), daher waren fünf hochrangige Offiziere anwesend ( chiliarchoi ; wörtlich: "Anführer einer Tausendschaft"; vgl. Apg 21,31 ). Festus informierte Agrippa darüber, daß die Juden auf dem Todesurteil über Paulus beharrten.

 

 

Apg 25,25-27

 

Die Aussage in Vers 25 ist so wichtig, weil sie zeigt, daß Festus, wie vor ihm Felix, erkannte, daß Paulus nichts getan hatte, was des Todes würdig war (vgl. Apg 23,9.29;26,31 ).

Es hätte einen schlechten Eindruck gemacht, wenn Festus Paulus zum Kaiser gesandt hätte, ohne ihm etwas Konkretes vorwerfen zu können. Er hoffte daher, daß Agrippa, der die jüdischen Bräuche und Gesetze besser kannte als er, ihm helfen konnte, ein Begleitschreiben zu verfassen, in dem er rechtfertigen konnte, daß der Fall des Paulus bis vor Kaiser Nero getragen wurde.

In diesem Kapitel finden sich zwei interessante Ausdrücke für den römischen Kaiser: Sebastos , das bedeutet "Verehrter" oder "Erhabener" und steht im Neuen Testament nur in Apg 25,21.25 und Apg 27,1 .In Kapitel 25 ist es mit "Kaiser" und in Apg 27,1 mit "kaiserlich" übersetzt.

Der andere Terminus ist kyrios , das bedeutet "Herr". Augustus und Tiberius lehnten diesen Titel für sich ab, weil er ihnen in ihren Augen nicht zustand. Zu Neros Zeit war er jedoch für den Kaiser üblich geworden. Obwohl Nero nichts gegen den Titel "Herr" einzuwenden hatte, hatte er sich doch noch nicht den Exzessen hingegeben, die seine spätere Herrschaft kennzeichneten. Bis jetzt war er noch als gerechter Herrscher bekannt.

 

 

Apg 26,1

 

Vor Festus hatte Paulus sich bereits verantwortet, daher wandte er sich nun an Agrippa. Es ging ihm darum, den König darüber zu informieren, was wirklich vorgefallen war.

Das Ausstrecken der Hand war offensichtlich eine beliebte Geste bei den Rednern der damaligen Zeit. Die Rede selbst besteht aus mehreren Teilen: (1) einführende Komplimente ( Apg 26,2-3 ), (2) Paulus' Jugend als Jude (V. 4 - 8 ), (3) sein Eifern gegen das Christentum (V. 9 - 11 ), (4) seine Bekehrung und sein Auftrag (V. 12 - 18 ), (5) sein Wirken als Apostel (V. 19 - 23 ). Daran schloß sich das Wortgefecht mit Festus und Agrippa an (V. 24 - 29 ).

 

 

Apg 26,2-3

 

Paulus' Komplimente waren durchaus aufrichtig gemeint; er wußte, daß Agrippa tatsächlich alle Ordnungen und Streitfragen der Juden kannte und darüber hinaus selbst nicht nur dem Buchstaben nach Jude war, sondern sich tatsächlich in seinem Leben nach den jüdischen Gesetzen, Vorschriften und Bräuchen richtete.

Im Gegensatz zu Tertullus, der Felix eine kurze Rede versprach ( Apg 24,4 ), wies Paulus von vornherein darauf hin, daß seine Verteidigung etwas länger ausfallen würde. Die folgende Rede ist denn auch der Höhepunkt aller Verteidigungsreden in der Apostelgeschichte (vgl. Apg 22,1-21;23,1-8;24,10-21;25,8-11 ).

 

 

Apg 26,4-8

 

Zunächst versicherte Paulus, daß er von Jugend auf nach der allerstrengsten Richtung und aus der Hoffnung auf die Verheißung, die Gott Israel gegeben hatte, gelebt hatte (V. 6.7 ; vgl. Apg 23,6;24,15;28,20 ). Diese Hoffnung schloß, wie er sagte, auch die Erwartung der Auferweckung der Toten ein (auch Christus hatte Mose zitiert [ 2Mo 3,6 ], um seine Lehre von der Auferstehung zu belegen; Mt 22,32 ). Weil Jahwe der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs war und ist, müssen die Väter der Juden auferweckt werden, um die Erfüllung der Verheißungen, die Gott ihnen gab, zu erleben. Auch die Verheißungen, die Israel später zuteil wurden, machen es nötig, daß die Juden im messianischen Zeitalter auferweckt werden.

Paulus' Bezugnahme auf die zwölf Stämme Israel zeigt, daß es sich bei der These von der Sammlung der "zehn verlorenen Stämme Israel" um einen Irrtum handelt (vgl. Mt 19,28; Lk 22,30; Jak 1,1; Offb 7,4-8;21,12 ).

 

 

Apg 26,9-11

 

Paulus war nicht nur mit Leib und Seele Jude, sondern auch ein erbitterter Feind des Christentums gewesen (vgl. Apg 8,3;9,1-2;22,4-5.19 ). Daß er seine Zustimmung zur Hinrichtung gefangener Christen gab, muß nicht unbedingt bedeuten, daß er Mitglied des Hohen Rats war. Wahrscheinlich billigte er einfach die vom Rat beschlossenen Maßnahmen (vgl. Apg 8,1;22,20 ).

Darüber hinaus zwang er die Gefangenen häufig durch Strafen zur Lästerung , d. h. zum Widerruf ihres Glaubensbekenntnisses.

 

 

Apg 26,12-18

 

In dem Bericht über seine Bekehrung (vgl. Apg 9,1-19;22,1-21 ) sprach Paulus erneut von dem Licht vom Himmel, das heller war als der Glanz der Sonne (vgl. Apg 22,6 ). Hier erfährt der Leser erstmals, daß die himmlische Stimme, die Paulus hörte, hebräisch sprach - eine Tatsache, die jedoch die Aussprache seines Namens (Saulus) in Apg 9,4 und Apg 22,7 bereits vermuten ließ.

Manche Forscher sind der Ansicht, daß die Aussage "es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu löcken" bedeutete, daß Paulus bei seiner Christenverfolgung von Schuldgefühlen geplagt wurde und wider sein Gewissen gehandelt habe. Doch Paulus schrieb später selbst, daß er trotz seiner frevelhaften Taten und trotz der Grausamkeit, mit der er gegen die Kirche vorgegangen war, Gnade gefunden habe, weil er in Unwissenheit und Unglauben gehandelt hatte ( 1Tim 1,13 ). "Wider den Stachel löcken" bezieht sich also offensichtlich auf die Sinnlosigkeit seines damaligen Tuns.

Die Worte, mit denen er beauftragt wurde ( Apg 26,18 ), ähneln der Vorhersage des Wirkens des Messias in Jes 35,5;42,7.16 und Jes 61,1 .Als Stellvertreter des Herrn Jesus Christus tat Paulus auf symbolische Weise, was der Herr Jesus eines Tages auf Erden wirklich tun wird. In geistlicher Hinsicht hatte Paulus viele von der Finsternis der Sünde ( Joh 3,19; 2Kor 4,4; Eph 4,18;5,8; Kol 1,13 ) zum Licht Christi ( Joh 12,36; 2Kor 4,6; Eph 5,8; Kol 1,12; 1Thes 5,5 ) geführt. Diese Rettung befreite die Menschen aus der Gewalt des Satans ( Joh 8,44; Hebr 2,14 ) und brachte ihnen die Vergebung der Sünden ( Apg 2,38;5,31;10,43;13,38; Eph 1,7; Kol 1,14 ) und ein geistliches Erbteil ( Röm 8,17; Kol 1,12 ) samt denen, die geheiligt , d. h. mit denen, die durch Gottes erlösendes Werk auserwählt sind (vgl. 1Kor 1,30; Hebr 10,10;13,12 ).

 

 

Apg 26,19-23

 

Paulus' Aussage in Vers 20 steht im Widerspruch zum Galaterbrief. Während er nach dem Text der Apostelgeschichte zuerst denen in Damaskus und in Jerusalem und im ganzen jüdischen Land das Evangelium verkündigt hat, schreibt er dort, daß er in den Gemeinden in Judäa unbekannt sei ( Gal 1,22 ). Viele Exegeten führten das auf einen Textfehler zurück; ihrer Ansicht nach lautete der Text im Griechischen: "Denen in Damaskus und in Jerusalem und im ganzen Land, sowohl Juden als auch Heiden." Der griechische Text bietet hier tatsächlich einige Schwierigkeiten (er wechselt vom Dativ in den Akkusativ), trotzdem ist diese Textkorrektur in höchstem Grade spekulativ und unnötig.

Wahrscheinlich faßte Paulus zunächst sein Wirken unter den Juden zusammen und beschrieb dann seine Taten unter den Heiden. Seine Aussage hier ist also nicht streng chronologisch zu verstehen, sondern als allgemeiner Überblick. Er predigte, in Übereinstimmung mit Apg 1,8 , zuerst vor den Juden und dann unter den Heiden. Beide sollten Buße tun und sich zu Gott bekehren . (In der Apostelgeschichte sprechen die Apostel häufig von der Buße; vgl. Apg 2,38;3,19;5,31;8,22;11,18;13,24;17,30;19,4;20,21 .)

Darüber hinaus, so sagte Paulus, beinhalte seine Botschaft die Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen ( Apg 26,22; vgl. Apg 24,14;28,23 ) über den Tod und die Auferstehung des Messias. (Auch von der Auferstehung ist in der Apostelgeschichte oft die Rede.)

 

 

Apg 26,24-29

 

Für den Griechen Festus war die Lehre von der Auferstehung etwas völlig Unmögliches (vgl. Apg 17,32;23,6-7 ), daher unterbrach er Paulus an diesem Punkt. Doch Paulus hatte bereits das Wichtigste gesagt. Festus behauptete nun, daß er von Sinnen sei, daß sein großes Wissen ihn wahnsinnig gemacht habe.

Doch Paulus versicherte ihm, daß er völlig vernünftig gesprochen habe, und wandte sich dann erneut an Agrippa. Nichts davon - d. h. nichts von Christi Tod und Auferstehung und von den Anfängen der Kirche - konnte ihm verborgen geblieben sein. Er kannte sich im Judentum aus, und das Christentum war ja keineswegs eine esoterische Geheimreligion.

Schließlich erzwang Paulus die Entscheidung mit der ganz direkten Frage: Glaubst du, König Agrippa, den Propheten (vgl. Apg 26,22 )? Ich weiß, daß du glaubst (vgl. Paulus' Zeugnis vor Felix, Apg 24,24 ).

Damit war Agrippa in die Enge getrieben. Wenn er an die Propheten glaubte, war er gezwungen zuzugeben, daß Christus ihre Weissagungen erfüllte. Er hatte nur noch die Möglichkeit, die Frage mit einer Gegenfrage zu parieren.

Die Lutherübersetzung von Apg 26,28 hat den Sinn dieser Frage gut erfaßt; sie war eine humorvolle Zurechtweisung von Paulus.

Paulus aber nahm sie ernst, denn er liebte die Menschen um des Herrn willen. Er war bereit zu warten, wie lange es auch dauern sollte, Agrippa für Christus zu gewinnen. Er antwortete, daß er dafür bete, daß Agrippa und alle, die ihn hörten, das würden, was er sei (d. i. ein Christ), ausgenommen diese Fesseln . (Das ist seit Apg 22,29 das erste Mal, daß Paulus' Fesseln erwähnt werden.) Damit schloß Paulus seine Verteidigungsrede.

 

 

Apg 26,30-32

 

Auch andere waren bereits zu der Überzeugung gelangt, daß Paulus unschuldig war: Die Pharisäer ( Apg 23,9 ); Klaudius Lysias, der Oberst in Jerusalem ( Apg 23,29 ); und der Statthalter Festus ( Apg 25,25 ). Jetzt kam auch Agrippa, ein mächtiger, im Judentum bewanderter und den Juden wohlgesonnener Mann, zu dem Schluß: Dieser Mensch könnte freigelassen werden, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte.

Apostelgeschichte

 

4. Die Gefangenschaft in Rom

( Apg 27-28 )

 

a. Die Seereise

( Apg 27 )

 

 

Warum beschrieb Lukas die Schiffsreise von Cäsarea nach Rom so ausführlich? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten.

(1) Es kann einfach ein Kunstgriff gewesen sein, um den Höhepunkt seines Buches, Paulus' Reise und seine Ankunft in Rom, ins richtige Licht zu setzen. Wie die Evangelisten die letzte Reise des Herrn nach Jerusalem und seine letzten drei Tage in den Mittelpunkt ihrer Berichte stellten, um die Bedeutung seines Todes und seiner Auferstehung herauszuarbeiten, so arbeitete Lukas auf den Höhepunkt der Verkündigung des Evangeliums vom Gottesreich, auf die Predigt vor den Heiden in der römischen Hauptstadt, hin.

(2) Möglicherweise griff er dabei auf das Vorbild der großen epischen Dichter seiner Zeit zurück, in deren Erzählungen ein Sturm und Schiffbruch häufig eine wichtige Rolle spielen. Das Ganze entspräche dann ungefähr einer Verfolgungsszene in einem modernen Film oder Fernsehspiel. Dennoch fragt man sich, wie diese Geschichte in die Gesamtkonzeption der Apostelgeschichte paßt. Daß Lukas einfach dem Vorbild der Epiker der Antike folgte, reicht als Erklärung nicht ganz aus.

(3) Vielleicht wollte er eine Parallele zu Jona und dem Schiffbruch, den dieser erlebte, herstellen ( Jon 1,4-15 ). Nachdem Jona auf wunderbare Weise überlebt hatte, predigte er in einer großen heidnischen Stadt. Der Vergleich mit Paulus läge hier auf der Hand.

(4) Die Absicht hinter diesem Bericht ist es zu zeigen, daß Gott Paulus beschützte und ihn führte. Es war der Wille Gottes, daß der Apostel das Evangelium in Rom verkündigte.

(5) Lukas will die herausragende Rolle, die Paulus spielte, deutlich machen, und damit die Tatsache hervorheben, daß der Plan Gottes sich nun in erster Linie auf die Heiden konzentrierte. Paulus war Gottes Mann der Stunde. In der Erzählung vom Schiffbruch stellte sich dann auch heraus, daß er sowohl auf der Seereise als auch in der Gefahr, in die sie gerieten, derjenige war, der einen kühlen Kopf behielt und alles unter Kontrolle hatte.

(6) Manche Forscher halten den Bericht über den Schiffbruch für eine Allegorie. Im Alten Testament wurde das Meer stets als feindliche Macht dargestellt; hier wäre es in diesem Fall das Sinnbild des Widerstandes gegen die Ausbreitung des Evangeliums, das jedoch trotz aller Hindernisse überleben und schließlich sein vorherbestimmtes Ziel erreichen wird. Eine so stark allegorische Auslegung klingt allerdings unwahrscheinlich.

Als Anwort auf die Frage, warum Lukas der Reise nach Rom so große Bedeutung beimißt, könnte auch eine Kombination von Punkt 1,3,4 und 5 sein, doch auch diese Deutung bleibt Vermutung.

Apg 27,1

 

Wer und wie viele andre Gefangene Paulus nach Rom begleiteten, ist eine weitere unbeantwortete Frage. Auch den Grund, warum diese anderen nach Rom überführt wurden, erfährt der Leser nicht.

Der Hauptmann Julius , der eine tragende Rolle bei der Überstellung von Paulus nach Rom spielt, gehörte zu einer kaiserlichen Abteilung - ein Ehrentitel, der bestimmten Truppen verliehen wurde. "Kaiserlich" ist die Übersetzung von S ebastEs , was "verehrt" oder "erhaben" bedeutet (vgl. den Kommentar zu Apg 25,25 ). Ein "Hauptmann" befehligte 100 Soldaten (vgl. Apg 10,1;21,32;22,25-26;23,17.23;24,23 ).

Der Gebrauch des Pronomens wir zeigt an, daß Lukas Paulus auf dieser Reise begleitete.

 

 

Apg 27,2-3

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Adramyttion , der Heimathafen des Schiffs, mit dem die ganze Gruppe schließlich segelte, lag südöstlich von Troas, im Nordwesten Kleinasiens. Offensichtlich war es die letzte Fahrt für das Schiff vor dem Anbruch der stürmischen Wintersaison in diesem Jahr. Der Hauptmann hatte wohl vor, entweder mit dem Schiff nach Rom zu fahren oder die Gefangenen auf der Via Egnatia zu transportieren.

Aristarch war offensichtlich mitgekommen, um Paulus beizustehen. Er blieb auch während seiner Gefangenschaft in Rom bei ihm ( Kol 4,10; Phlm 1,24 ).

Interessanterweise hatte Paulus auch in Sidon , dem ersten Bestimmungshafen des Schiffes nach dem Auslaufen aus Cäsarea, Freunde. Die Freundlichkeit des Hauptmanns erinnert an die eines anderen Gefängnisaufsehers von Paulus ( Apg 24,23 ).

 

 

Apg 27,4-8

 

Dieser Vers belehrt den Leser darüber, wie schwierig es war, das Mittelmeer von Osten nach Westen zu befahren. Die Winde kamen meistens aus Westen, so daß die Schiffe an der Ostküste Zyperns entlangsegeln mußten und an der Westküste Kleinasiens bis nach Kreta nur mit Mühe vorankamen. Als Paulus den umgekehrten Weg segelte, nahm sein Schiff einen sehr viel direkteren Kurs ( Apg 21,1-3 ).

In Myra , einer Hafenstadt an der Südküste Kleinasiens, fand der Hauptmann ein Schiff aus Alexandria, das nach Italien ging , für die Weiterfahrt. Es war ein Kornschiff ( Apg 27,38 ), das groß genug war, 276 Passagiere zu befördern (V. 37 ). Ägypten war die Kornkammer Roms. Die Schiffe, die von dort ausliefen, segelten gewöhnlich nach Norden, nach Kleinasien, und versuchten dann in westlicher Richtung das Mittelmeer zu überqueren, wobei sie sich im Schutz der Inseln vorwärtsbewegten. Paulus' Reise auf diesem zweiten Schiff brachte ihn von Myra bis zur Insel Knidus und dann südwestlich an die Südküste Kretas, an einen Ort, der "Guthafen" hieß. Die Kreter waren bekannt für ihre Faulheit und Verderbtheit ( Tit 1,12 ). Später schrieb Paulus Titus, daß er Älteste für die Gemeinden der Insel ernennen sollte ( Tit 1,5 ).

Apostelgeschichte

 

Apg 27,9-12

 

Die Fastenzeit , von der hier die Rede ist, bezog sich wahrscheinlich auf das Versöhnungsfest, das von Ende September bis Anfang Oktober gefeiert wurde. Später im Jahr machte das ungewisse Wetter auf dem Mittelmeer die Schiffahrt sehr gefährlich, daher liefen ab November normalerweise keine Schiffe mehr aus.

Paulus gehörte vielleicht sogar zu den Ratgebern des Kapitäns, weil er auf seinen vielen Reisen große Erfahrungen gesammelt hatte (vgl. 2Kor 11,25 : "Dreimal habe ich Schiffbruch erlitten") und außerdem von seiner ganzen Persönlichkeit her der "geborene Führer" war. Doch entgegen seinem Rat bestanden die meisten ( Apg 27,11 ) auf dem Plan, weiterzufahren und zu versuchen , in einem angenehmeren Hafen zu überwintern . Die Entscheidungsgewalt lag letztlich beim Hauptmann, weil die Kornschiffe in Staatsdiensten segelten. Daher setzten sie ihre Fahrt entlang der Südküste Kretas fort und hofften, Phönix zu erreichen.

 

 

Apg 27,13-17

 

Doch plötzlich wurden sie von einem starken Nordost , einem Orkan, gepackt und konnten sich nicht mehr im Schutz der kretischen Küste halten, sondern wurden auf die offene See getrieben. Kauda , eine kleine Insel etwa 40 Kilometer vor Kreta, bot ihnen dann nochmals kurz Schutz vor der Gewalt des Sturmes. Sie zogen das Rettungsboot, das sie normalerweise im Schlepp hatten, das jetzt jedoch wahrscheinlich voll Wasser gelaufen war, an Bord.

Was mit den Seilen, mit denen sie das Schiff zum Schutz umspannten , gemeint ist, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich sollten die Seile das Schiff davor bewahren, auseinanderzubrechen oder leckzuschlagen und voll Wasser zu laufen.

Die Sandbänke der Syrte lagen vor der nordafrikanischen Provinz Libyen. Das griechische Wort, das hier mit Treibanker übersetzt ist, skeuos , bedeutet wörtlich "Kessel" oder "Maschine" und kann sich also auf jegliche Antriebsmöglichkeit beziehen. Wahrscheinlich war es in diesem Fall jedoch wirklich ein Anker.

 

 

Apg 27,18-26

 

Der Sturm tobte immer heftiger; daher warfen sie am nächsten Tag Ladung und am dritten Tag das Schiffsgerät ins Meer . Das Unwetter war inzwischen jedoch so schrecklich geworden, daß sie nach vielen Tagen all ihre Hoffnung auf Rettung aufgaben .

Die Passagiere und wahrscheinlich auch die Besatzung hatten bereits seit langer Zeit nichts mehr zu sich genommen. Vielleicht hatte der Sturm die meisten Lebensmittel über Bord gespült. Manche waren aber sicherlich auch seekrank und andere viel zu verängstigt, um zu essen (vgl V. 33 ). Nachdem Paulus sie zuerst an seine Warnung vor der Abfahrt von Kreta (vgl. V. 10 ) erinnert hatte, sprach er ihnen jedoch Mut zu, denn er hatte eine Botschaft von Gott erhalten. Das war nicht das erste Mal, daß eine Erscheinung seine Lebensgeister weckte (vgl. Apg 18,9-10;23,11 ); tatsächlich hatte Gott ihm in der Vision in Jerusalem ( Apg 23,11 ) nicht nur zugesagt, daß er am Leben bleiben, sondern auch, daß er sicher nach Rom gelangen werde. Hier bestätigte er ihm erneut (durch einen Engel ), daß er vor den Kaiser gestellt werden würde. Zweimal forderte Paulus seine Schiffsgenossen (insgesamt befanden sich 275 Leute an Bord; vgl. Apg 27,37 ) auf, nicht zu verzagen (V. 22.25 ). Das Verb "unverzagt sein" ( euthymeO ) findet sich nur dreimal im Neuen Testament - zweimal hier und einmal im Jakobusbrief ( Apg 5,13; "seid guten Mutes"). Es hat den Beiklang von guter Stimmung oder freudigem Erregtsein. Auch als Gefangener zögerte Paulus nicht, von seinem Glauben an Gott zu reden.

 

 

Apg 27,27-32

 

Als Adria wurde in neutestamentlicher Zeit nicht nur das Meer zwischen Italien und Griechenland, sondern auch die Gewässer südlich Italiens, bis nach Sizilien und Malta, bezeichnet. Nach zwei stürmischen Wochen hatten die Schiffsleute endlich das Gefühl, sie kämen an ein Land . Das Wasser wurde flacher (es sank von zwanzig auf fünfzehn Faden ). Sie loteten , indem sie eine Schnur mit einem Stück Blei daran ( bolisantes , "das Los nehmen", heißt wörtlich "das Blei werfen") auswarfen und damit die Wassertiefe maßen. Als sie in noch flacheres Wasser kamen, warfen sie hinten vom Schiff vier Anker aus . Paulus sagte dem Hauptmann, daß die Schiffsleute, die zu fliehen suchten, auf dem Schiff bleiben müßten (vgl. V. 24 ). Daher hieben die Soldaten die Taue des Beibootes ab, was bedeutete, daß alle an Bord nur noch von der Bewahrung des Herrn abhängig waren.

 

 

Apg 27,33-35

 

Das Vertrauen des Paulus in Gottes Bewahrung (V. 24 ) war so groß, daß er seine Gefährten ermutigte, Nahrung zu sich zu nehmen (V. 33 - 34 ). Er nahm das Brot, dankte Gott vor ihnen allen und brach's und fing an zu essen . Obwohl diese Worte und die ganze Handlung an das Abendmahl erinnern, hatten sie doch wohl nichts damit zu tun. Die meisten der 276 Passagiere waren keine Christen. Dieses Essen war wohl eher ein öffentliches Zeugnis für Paulus' Glauben an Gott, den Vater des Herrn Jesus, und gleichzeitig eine praktische Notwendigkeit, um die Leute für das, was vor ihnen lag, körperlich zu stärken.

 

 

Apg 27,36

 

In Vers 33 werden zwei Probleme angesprochen - die Menschen auf dem Schiff hatten bereits seit 14 Tagen nichts mehr gegessen und zudem in ständiger Anspannung gelebt. Jetzt aber wurden sie alle guten Mutes ( euthymoi ; vgl. V. 22.25 ) und nahmen auch Nahrung zu sich - damit waren also die beiden Probleme aus Vers 33 gelöst.

 

 

Apg 27,37-38

 

Das Kornschiff führte nicht nur Fracht, sondern auch 276 Passagiere und die Besatzung mit sich. Über die Zahl der Gefangenen (V. 42 ) wird, wie bereits angemerkt, nichts gesagt. Das war noch nicht einmal besonders groß; Josephus berichtet beispielsweise, daß er mit einem Schiff nach Italien fuhr, das 600 Passagieren Platz bot.

 

 

Apg 27,39-40

 

Bei Tagesanbruch erkannten sie eine Bucht mit Sandstrand und beschlossen, das Schiff stranden zu lassen, wenn es möglich wäre. Sie hieben die Anker ab, ... banden die Steuerruder los und richteten das Segel nach dem Wind und hielten auf das Ufer zu . Das Wort "Steuerruder" ( pEdaliOn ) bedeutete wörtlich Ruderblätter und bezieht sich auf die Paddelruder an den Seiten des Schiffes. Sie waren eingezogen, während das Schiff vor Anker lag.

 

 

Apg 27,41

 

Plötzlich liefen sie auf eine Sandbank auf, die die Seeleute nicht gesehen hatten. Unter der Gewalt der Wellen zerbrach das Hinterschiff und das Vorderschiff bohrte sich in den Sand.

 

 

Apg 27,42-44

 

Da die Soldaten mit ihrem eigenen Leben für die Gefangen haften mußten (vgl. Apg 12,19;16,27 ), hatten sie vor, sie zu töten, damit niemand fortschwimmen und entfliehen konnte. Dieses Vorgehen war ganz einfach eine Selbstschutzmaßnahme.

Der Hauptmann wollte Paulus jedoch am Leben lassen. Er hatte eingesehen, wie wertvoll und vertrauenswürdig dieser Gefangene war und wehrte daher dem Vorhaben seiner Soldaten. Hier war offensichtlich Gott am Werk, der Paulus retten und nach Rom bringen und so seine Weissagung erfüllen wollte (V. 24 ). In dem kalten Regen ( Apg 28,2 ) wurden die Passagiere (Soldaten und Gefangene) und die Besatzung, die schwimmen konnten , aufgefordert, ins Meer zu springen und sich ans Land zu retten , während die anderen auf den Trümmern des Schiffes blieben.

Wie Paulus vorhergesagt hatte, war das Schiff verloren ( Apg 27,22 ), sie waren auf einer Insel auf Grund gelaufen (V. 26 ), und keiner der Passagiere war ums Leben gekommen (V. 22 ).

 

b. Der Aufenthalt auf Malta

( 28,1 - 10 )

 

Apg 28,1-2

 

Sie hatten vor Malta , einer kleinen Insel etwa 90 Kilometer vor Sizilien, Schiffbruch erlitten. Malta besaß gute Häfen und bot daher ausgezeichnete Möglichkeiten für den Seehandel. In zwei Wochen hatte der Sturm das Schiff also beinahe 1000 Kilometer westlich von seinem Ausgangsort, Guthafen auf Kreta, abgetrieben. Die Leute auf der Insel wurden hoi barbaroi (wörtlich "die Barbaren") genannt, ein griechischer Begriff für nicht griechisch sprechende Völker. Das bedeutete allerdings nicht, daß diese Nationen wild oder unzivilisiert waren, sondern nur, daß ihre Kultur nicht an der griechischen orientiert war. Sie erwiesen den Schiffbrüchigen nicht geringe Freundlichkeit, zündeten ihnen ein Feuer an und hießen sie willkommen.

 

 

Apg 28,3

 

Da es sehr kalt war (V. 2 ), waren auch die Schlangen, die es auf der Insel gab, erstarrt und lethargisch. Als Paulus jedoch einen Haufen Reisig zusammenraffte und aufs Feuer legte, fuhr wegen der Hitze eine Schlange heraus und biß sich an seiner Hand fest .

 

 

Apg 28,4-6

 

Als die Leute sahen, daß Paulus von einer Schlange gebissen worden war, schlossen sie daraus, daß er ein Mörder sein mußte, den jetzt die Gerechtigkeit ereilte. Doch als er unverletzt blieb und seine Hand nicht einmal anschwoll, schlug ihre Meinung um und sie hielten ihn in ihrem Aberglauben für einen Gott . Zweifellos war Paulus' Antwort darauf, wenn sie hier auch nicht wiedergegeben ist, dieselbe, die er den Leuten in Lystra gegeben hatte ( Apg 14,8-18 ).

 

 

Apg 28,7-10

 

Publius nahm Paulus und seine Gefährten (darunter auch Lukas) auf einem seiner Landgüter auf und beherbergte sie drei Tage lang freundlich . Bei dieser Gelegenheit heilte Paulus den Vater seines Gastgebers ( der am Fieber und an der Ruhr darniederlag ) und machte auch die andern Kranken der Insel gesund . Interessanterweise blieb Paulus nicht nur bei dem Schlangenbiß unverletzt, sondern Gott heilte durch ihn auch noch andere Menschen. Kein Wunder, daß die Leute auf der Insel den Schiffbrüchigen große Ehre erwiesen und ihnen mitgaben, was sie nötig hatten, als sie drei Monate später abfuhren (V. 11 ). Sie taten es zweifellos aus Dankbarkeit für die Wohltaten, die Paulus ihnen erwiesen hatte.

 

 

c. Die Vollendung des Wirkens des Paulus in Rom

( 28,11 - 31 )

 

Apg 28,11

 

Da die Besatzung und die Passagiere Kreta im Oktober oder November (nach der "Fastenzeit"; Apg 27,9 ) verlassen und zwei Wochen im Sturm auf dem Meer getrieben waren, war es nach dem dreimonatigen Aufenthalt auf Malta bereits Februar oder März, als sie weiterfuhren. Sie benutzten ein anderes Schiff, das ebenfalls auf der Insel überwintert hatte. Es kam aus Alexandria, war also vermutlich ebenfalls ein Kornschiff (vgl. Apg 27,6.38 ) aus Ägypten, das die Wintermonate, in denen das Mittelmeer quasi unpassierbar war, im Seehafen von Malta, wahrscheinlich im Hafen von Valetta, verbracht hatte.

Das Zeichen der Zwillinge Castor und Pollux am Bug des Schiffes stellte die Söhne des Zeus und der Leda, Figuren aus der griechischen Mythologie, dar; angeblich brachte es Seeleuten Glück. Wenn diese astrologische Konstellation, die Gemini, in einem Sturm zu sehen war, galt das als gutes Omen. Wahrscheinlich fügte Lukas dieses Detail ein, um dem Christentum den Aberglauben der Einwohner von Malta, Rom, Griechenland und Ägypten gegenüberzustellen.

 

 

 

Apg 28,12-14

 

Wieder beschreibt Lukas die Reise ganz genau: von Malta ging es nach Syrakus auf Sizilien; von dort nach Rhegium (das heutige Reggio) auf der "Zehe" Italiens; dann nach Puteoli (dem heutigen Pozzuoli), das 244 Kilometer südlich von Rom liegt, und schließlich kamen sie nach Rom. Puteoli war ein bedeutender Handelshafen auf halbem Weg zwischen Rhegium und Rom . Paulus und seine Begleiter trafen dort einige Brüder. Das beweist, daß das Evangelium bereits von Rom bis in diesen italischen Hafen vorgedrungen war. Offensichtlich gab es in Rom bereits eine christliche Gemeinde. Sie war wohl von römischen Juden, die anläßlich des Pfingstfestes nach Jerusalem gereist waren, dort Petrus' Predigt gehört hatten und daraufhin zum christlichen Glauben übergetreten waren, gegründet worden ( Apg 2,10 ). Paulus nahm die Einladung der Brüder, sieben Tage da zu bleiben , an. Vielleicht war der Hauptmann mit dem Löschen der Fracht beschäftigt oder hatte irgendwelche anderen Formalitäten in Puteoli zu erledigen, die ihn eine Woche festhielten.

 

Apg 28,15

 

Sobald die Christen in Rom hörten, daß Paulus angekommen war, kamen sie ihm entgegen bis Forum Appii (eine Marktstadt 70 Kilometer vor Rom) und Tres-Tabernae (53 Kilometer vor Rom). Das Substantiv apantEsin , hier verbal mit "entgegenkommen" übersetzt, bezeichnete im Griechischen eine Gruppe Abgesandter, die vor die Stadt kam, um einen offiziellen Gast in Empfang zu nehmen. Es steht auch in 1Thes 4,17 , wo davon die Rede ist, daß die Gläubigen "entrückt werden ... in die Luft, dem Herrn entgegen ( apantEsin )". Wie ein solches offzielles Begrüßungskommitee werden die Gläubigen bei der Entrückung Jesus, ihrem Retter und Herrn, der aus dem Himmel kommt, um sie zu sich zu holen, in den Wolken entgegengehen. Paulus freute sich auf die Begegnung mit der Gruppe aus Rom.

Als er sie sah, dankte er Gott und gewann neue Zuversicht ( tharsos ; das Verb tharseO wird in der Septuaginta benutzt, wenn jemand in Zeiten des Kummers gestärkt wird; vgl. den Kommentar zu Mk 6,50 ). So hatte Gott seinen Apostel schließlich doch noch nach Rom gebracht. Die herzliche Begrüßung seiner Glaubensgenossen, die er noch nie gesehen hatte, erfüllte Paulus mit Freude. Dann gingen sie gemeinsam auf der Via Appia, "der Königin der Fernstraßen", nach Rom hinein.

 

Apg 28,16

 

Weil er sich als vertrauenswürdiger Gefangener erwiesen hatte, wurde Paulus erlaubt, für sich allein zu wohnen mit dem Soldaten, der ihn bewachte . Er zog in ein Mietshaus (V. 30 ).

 

 

Apg 28,17-20

 

Die folgenden Schlußverse bilden den Höhepunkt der Apostelgeschichte. In Vers 17.24 berichtet Lukas nochmals, daß die Juden das Evangelium verwarfen, und in Vers 28 wendet Paulus sich dann erneut in aller Deutlichkeit den Heiden zu.

Wie gewöhnlich sprach Paulus auch in Rom zunächst zu den Juden (vgl. Apg 9,20;13,5.14;14,1;17,2.10.17;18,4.19;19,8 ). Diesmal rief er die Angesehensten zusammen , weil er nicht in ihre Synagogen gehen konnte (er war ja Gefangener).

In der Rede, die er vor ihnen hielt, kam er auf folgende Punkte zu sprechen: (1) Er hatte nichts getan gegen sein Volk und die Ordnungen der Väter ( Apg 28,17 ). (2) Auch die römischen Machthaber in Judäa hatten ihn für unschuldig befunden (V. 18 ; vgl. Apg 23,9.29;25,25;26,31-32 ). (3) Ihm blieb nur noch die Möglichkeit, sich auf den Kaiser zu berufen , weil er bei den Juden keine Gerechtigkeit fand ( Apg 28,19; vgl. Apg 25,11 ). (4) Dieser vierte Punkt ist einer der wichtigsten: er erhob keine Vorwürfe gegen Israel; er verlangte lediglich, freigesprochen zu werden ( Apg 28,19 ). (5) Der Hauptgrund für die Einberufung der Vorsteher der jüdischen Gemeinde war jedoch, daß er mit ihnen über die Hoffnung Israels sprechen wollte. Auf diesen Begriff und die Vorstellung, die sich damit verband, kam Paulus im letzten Teil der Apostelgeschichte mehrfach zurück (vgl. Apg 23,6;24,15;26,6-7 ). Die Hoffnung Israels ging über die Auferstehung hinaus; sie beinhaltete die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen für das ganze Volk (vgl. Apg 26,6-7 ). Paulus glaubte ganz fest, daß Jesus der Messias Israels war, der eines Tages wiederkommen und sich selbst als König über sein Volk und die anderen Nationen einsetzen wird (vgl. Apg 1,6 ).

Apostelgeschichte

 

Apg 28,21-22

 

Seine jüdischen Gesprächspartner reagierten zwiespältig: Sie behaupteten, daß sie nichts von Paulus wüßten und daß sie über das Christentum ( diese Sekte ) nur Nachteiliges gehört hätten. Man fragt sich, ob sie hier aufrichtig waren. Wie war es möglich, daß die angesehensten Juden in Rom nichts von der Existenz einer christlichen Gemeinde in Rom wußten, die sich aus ehemaligen Glaubensbrüdern von ihnen zusammensetzte? Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß keine Nachrichten von den Spannungen, die zwischen der christlichen Kirche in Jerusalem und den dortigen Juden entstanden waren, zu ihnen gedrungen waren. Es ist zwar möglich, daß sie Paulus nicht kannten, doch über das Christentum müssen sie mehr gewußt haben, als sie hier zugaben. Doch sie waren daran interessiert, Paulus' Standpunkt zu hören, da sie wußten, daß dem, was er verkündete, an allen Enden widersprochen wurde.

 

 

Apg 28,23-24

 

Bei ihrer zweiten Zusammenkunft mit Paulus bezogen sie klarer Stellung. Diesmal waren sie zahlreicher erschienen, und die Diskussion dauerte länger. Den ganzen Tag sprach Paulus zu ihnen vom Reich Gottes und predigte ihnen von Jesus aus dem Gesetz des Mose und aus den Propheten (vgl. Apg 24,14;26,22 ).

Der Terminus "Reich Gottes" geht vom Tod und der Auferstehung Christi aus, blickt jedoch auch voraus in die Zeit, wenn Christus auf Erden herrschen wird, hat also ganz eindeutig eschatologischen Charakter (vgl. Apg 1,3-6;8,12;14,22;19,8;20,25; Lk 1,33;4,43;6,20;7,28;8,1.10;9,2.11.27.60.62;10,9.11;11,2.20;12,31-32;13,18.20.28-29;14,15;16,16;17,20-21;18,16-17.24-25.29-30;19,11;21,31;22,16.18.29-30;23,42.51 ). Für die Juden war die Vorstellung eines Messias, der als Sühneopfer für ihre Sünden starb, und die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben als einziger Weg in das Reich Gottes etwas völlig Fremdes.

Die Reaktionen seiner Zuhörer fielen völlig unterschiedlich aus. Die einen stimmten dem zu, was er sagte, die anderen aber glaubten nicht ( Apg 28,24 ). Im Griechischen ist das Verb "stimmten zu" Imperfekt und könnte auch mit "begannen zuzustimmen" übersetzt werden, d. h., sie waren noch nicht ganz überzeugt. Dasselbe Verb ist in Vers 23 mit "predigte" (im Sinne von "versuchte zu überzeugen") übersetzt.

 

 

Apg 28,25-27

 

Die Reaktion der jüdischen Oberen in bezug auf die Botschaft des Paulus zeigte, daß sie dem Evangelium nicht zugänglich waren. In geradezu prophetischer Voraussicht wandte Paulus die Worte Jesajas ( Apg 6,9-10 ) auf seine eigenen Zeitgenossen an. Mit verstockten Herzen, tauben Ohren und blinden Augen weigerten sie sich, an das Evangelium zu glauben. Das galt für die Zeit des Jesaja ebenso wie für die Zeit des Paulus (vgl. Röm 11,7-10 ). Interessanterweise führte Paulus die Worte Jesajas auf die Inspiration des Heiligen Geistes zurück (vgl. Apg 4,25 ).

 

 

Apg 28,28

 

Zum letzten Mal wandte Paulus sich nun mit seiner Verkündigung an die Heiden. Von Jerusalem bis Rom war seine Botschaft von den meisten Juden verworfen worden, und in einer Stadt nach der anderen hatte er das Evangelium daraufhin den Nicht-Juden gepredigt. So geschah es auch hier, in der Hauptstadt der römischen Welt, und so wird es sein, bis "die Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist" ( Röm 11,25-26 ).

 

 

Apg 28,29

 

Manche griechischen Handschriften fügen hier noch ein: "Und als er das gesagt hatte, gingen die Juden weg und stritten heftig untereinander." Dieser Vers ist jedoch wahrscheinlich nicht authentisch, wenn er die Situation auch zweifellos richtig wiedergibt (vgl. V. 25 ).

 

 

Apg 28,30-31

 

Die beiden letzten Verse der Apostelgeschichte sind zugleich auch der letzte "Verlaufsbericht" (vgl. Apg 2,47;6,7;9,31;12,24;16,5;19,20 ). Mit allem Freimut predigte Paulus in seiner eigenen Wohnung das Reich Gottes . Der eschatologische Begriff des "Gottesreichs" weist nicht nur darauf hin, daß Juden und auch Heiden durch den Glauben gerechtfertigt sind, sondern auch darauf, daß die Heiden mit den Juden zusammen in das Tausendjährige Reich eingehen werden (vgl. den Kommentar zu Apg 28,23 ).

Eine häufig gestellte Frage bezieht sich auf das Wirken des Apostels Paulus nach dieser zweijährigen Gefangenschaft. Welchen Verlauf nahm sein Schicksal nun? Möglicherweise wurde er freigesprochen. Die Juden wußten, daß sie außerhalb Judäas nichts gegenihn in der Hand hatten, und zögerten daher sicherlich, in Rom Anklage gegen ihn zu erheben.

Wahrscheinlich kehrte er in die Provinzen Mazedonien, Achaja und Asien zurück und ging dann, gemäß seinem ursprünglichen Plan, nach Westen, nach Spanien ( Röm 15,22-28 ). Danach kehrte er wieder in den ägäischen Raum zurück, wo er erneut gefangengenommen, nach Rom überführt und diesmal hingerichtet wurde.

In der Zeit seiner zweijährigen Gefangenschaft in Rom schrieb Paulus den Epheser-, Kolosser-, Philemon- und den Philipperbrief (vgl. die Tabelle "Briefe des Paulus von seinen Missionsreisen und aus der Gefangenschaft" bei Apg 13,16-25 ).

Während Paulus in Rom gefangen war, breitete sich das Evangelium weiter aus. Auch dort predigte er mit allem Freimut (vgl. den Kommentar zu Apg 4,13 ). Das letzte Wort im griechischen und auch im deutschen Text der Apostelgeschichte ist akOlytOs , ungehindert . Die Menschen können die Verkünder der frohen Botschaft in Ketten legen, doch die Botschaft selbst können sie nicht aufhalten!

So geschah es, daß die Botschaft vom Gottesreich nach Gottes Willen von den Juden zu den Heiden und von Jerusalem nach Rom vordrang.

 

 

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